Der Ukrainekrieg und seine Auswirkungen auf Frauen

von Jaqueline Katherina Singh, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Seit mehr als einem Jahr bestimmt der Ukrainekrieg die Schlagzeilen. Im Folgenden wollen wir eine kurze Skizze der aktuellen Situation anfertigen und uns damit auseinandersetzen, wie sich die aktuelle Situation auf Frauen auswirkt, um schließlich allgemein Kriegsfolgen für Frauen zu betrachten. Bevor wir dazu kommen, wollen wir kurz Stellung zum Konflikt beziehen.

Vom Angriffskrieg zum Stellungskampf

Klar ist, dass der Angriff seitens des russischen Imperialismus auf die Ukraine zu verurteilen und der Wille zur Selbstverteidigung seitens der ukrainischen Bevölkerung gerechtfertigt ist. Gleichzeitig muss das Geschehen auch im internationalen Kontext betrachtet werden. Es spielt sich nicht im luftleeren Raum ab, sondern vor dem Hintergrund einer krisenhaften Entwicklung des imperialistischen Weltsystems und eines Kampfs um die Neuaufteilung der Welt unter den Großmächten.

Somit ist es auch nicht irgendeine Auseinandersetzung, die zufällig mehr Aufmerksamkeit bekommt als der Bürger:innenkrieg im Jemen, weil der bewaffnete Konflikt im Westen stattfindet. Er ist auch Ausdruck einer zugespitzten globalen Weltlage und trägt in sich das Potenzial, mehr Kräfte in kriegerische Auseinandersetzungen zu ziehen. Darüber hinaus findet die Auseinandersetzung zwar augenscheinlich nur zwischen der Ukraine und Russland statt. Doch das fragile Gleichgewicht von prowestlichen und prorussischen wirtschaftlichen und politischen Eliten in der Ukraine und der Ausgleich zwischen ihren Nationalitäten wurde mit dem Maidan 2014 über den Haufen geworfen. Damals wurde der lavierende, Russland zuneigende Präsident Janukowytsch durch eine klar prowestliche Regierung abgelöst. Diese verwandte zwecks Machtsicherung viele der extrem rechten und nationalistischen Maidankräfte in ihrer Administration und ihren Sicherheitskräften und machte ihnen auch politisch Konzessionen. Damit war letztlich auch der bewaffnete Zusammenstoß mit den sich in ihren Minderheitenrechten bedroht fühlenden Bevölkerungsgruppen insbesondere in der Ostukraine vorprogrammiert und Russland nahm den inneren Bürger:innenkrieg zum Vorwand für die Inkorporation der Krim, wo jedoch schon länger eine prorussische Mehrheit lebte.

Weder Putin noch NATO!

Somit geriet das Gebiet der Ukraine zum Zankapfel zwischen russischem Imperialismus und der NATO. Wirkliche Verbesserung für alle Teile der Bevölkerung kann es nicht geben, wenn man sich einer dieser Kräfte politisch unterordnet. Dabei sind die von Putin angegebenen Gründe für seine „Militäroperation“ mehr als scheinheilig. Ihm geht es nicht um eine Denazifizierung, sondern darum, den seit 2014 stärker gewordenen Einfluss des westlichen Imperialismus zurückzudrängen. Dieses Interesse ist vor allem durch die Zunahme der internationalen Konkurrenz seit der Wirtschaftskrise um die Pandemie stärker geworden und auch durch die wirtschaftliche Schwäche Russlands bedingt.

Auf der anderen Seite muss gesagt werden, dass sowohl die massive finanzielle Unterstützung sowie die Waffenlieferungen seitens der NATO-Verbündeten nicht aus reiner Selbstlosigkeit erfolgen, weil man die ukrainische Bevölkerung nicht leiden sehen kann, sondern das Ziel anpeilen, die Ukraine als geostrategische Einflusssphäre zu festigen sowie den russischen Imperialismus zu schwächen und seine Fähigkeit, als Weltmacht zu agieren, massiv zu reduzieren, wenn nicht zu verunmöglichen. Natürlich agiert der Westen dabei nicht als geschlossener, einheitlicher Block. Vielmehr erweisen sich die USA als eindeutige Führungsmacht auch über ihre europäischen Verbündeten, für die jede stärkere ökonomische Durchdringung Russlands in weite Ferne gerückt ist.

Auswirkungen weltweit

Bevor wir zur Situationen in der Ukraine kommen, wollen wir uns den internationalen Folgen des Krieges widmen. Neben einer verstärkten Militarisierung haben der Krieg und vor allem die massiven Sanktionen nicht nur den Wirtschaftskonflikt mit Russland zugespitzt, sondern auch die Inflation befeuert und Energiepreise in die Höhe schnellen lassen. Die steigenden Kosten für Öl und Gas haben erhebliche Auswirkungen auf die Energiearmut von Frauen und Mädchen und den ohnehin schon ungleichen Zugang dazu. Dieser wurde vor allem durch die Pandemie drastisch verschlechtert, da so jene, die erst vor kurzem Zugang zu Energie erhalten hatten, diesen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit verloren, darunter 15 Millionen Afrikaner:innen südlich der Sahara. Der Krieg verschärft dies nun, da der sprunghafte Anstieg der Energiepreise in den letzten zwei Jahren der stärkste ist seit der Ölkrise von 1973. Darüber hinaus verursacht der Krieg eine Lebensmittelkrise. Der Anstieg der Lebensmittelpreise war der höchste seit 2008, was daran liegt, dass sowohl Russland als auch die Ukraine zentrale Getreideproduzent:innen sind. So importieren Länder wie Armenien, Aserbaidschan, Eritrea oder Somalia über 90 % des Getreides aus diesen beiden Ländern. Darüber hinaus stellt die Ukraine eine wichtige Weizenlieferantin des Welternährungsprogramms (WFP) dar, das 115,5 Millionen Menschen in mehr als 120 Ländern unterstützt.

Situation vor dem Krieg

Auch wenn es nicht möglich ist, hier ein komplettes Bild der Situation von Frauen zu zeichnen, wollen wir einen kurzen, allgemeinen Überblick geben. Vor dem Krieg machten Frauen 54 % der Gesamtbevölkerung aus und etwa 48 % aller Erwerbstätigen. Eine genaue Aufschlüsselung, wie hoch die Arbeitsbeteiligung von Frauen in unterschiedlichen Industrien ausfällt, ist nicht verfügbar. Jedoch lieferte die ILO 2008 einen groben Überblick, aus dem hervorgeht, dass Frauen vorwiegend im Caresektor sowie in der industriellen Produktion tätig waren (https://www.ituc-csi.org/IMG/pdf/Country_Report_No8-Ukraine_EN.pdf, S. 31).

Rechtliche Gleichstellung existierte zwar formal auch in Bezug auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Dennoch gab es ein recht hohes Gender Pay Gap von 27 – 33 % im Zeitraum 2003 – 2012. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Frauen oftmals in den schlechter bezahlten Berufen arbeiten. Doch auch innerhalb von Berufsgruppen gab es Unterschiede. So wurden die größten geschlechtsspezifischen bei den Gehältern im Finanzsektor festgestellt, während die geringsten in der Landwirtschaft bestehen, wo die Löhne jedoch im Allgemeinen viel niedriger ausfallen als in allen anderen Bereichen der ukrainischen Wirtschaft.

Flucht

Im Krieg sind Frauen besonders Gewalt ausgesetzt, neben Bomben, ausländischen Armeen direkt vor der Haustür, Angst und Engpässen bei der Strom- oder Nahrungsmittelversorgung. Kein Wunder also, dass mehrere Millionen Menschen, darunter vor allem Frauen und Kinder, seit Beginn des Krieges geflohen sind. Laut Angaben der UN sind davon 5,3 Millionen Binnenvertriebene, also innerhalb des Landes geflohen. Dies verschärft die Situation, da bereits seit 2014 aufgrund des Konflikts in der Ostukraine mehr als 1,5 Millionen Menschen gezwungen wurden umzusiedeln. Zwei Drittel von ihnen waren Frauen und Kinder, die seitdem unter dem erschwerten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Wohnraum sowie Beschäftigung leiden.

Darüber hinaus sind im Februar 2022 rund 8 Millionen Menschen über die ukrainischen Landesgrenzen geflohen. Davon sind über 80 % Frauen und Kinder, was unter anderem daran liegt, dass die Ausreise von Männern zwischen 18 und 60 Jahren seitens der ukrainischen Regierung verboten wurde. Frauen sind dabei auf der Flucht besonders sexueller Gewalt ausgesetzt. So stiegen die Suchanfragen nach Schlüsselwörtern wie „Escort“, „Porno“ oder „Vergewaltigung“ in Verbindung mit dem Wort „ukrainisch“ um 600 %, während sich „Ukraine refugee porn“ laut OSZE-Büro der Sonderbeauftragten und Koordinatorin für die Bekämpfung des Menschenhandels in Wien als Trendsuche herauskristallisierte. (https://www.euronews.com/2023/01/17/ukraine-refugee-porn-raises-risks-for-women-fleeing-the-war).

Zwar ist noch unklar, inwiefern ukrainische Frauen stärker von sexualisierter Gewalt betroffen sind als andere Gruppen weiblicher Geflüchteter. Klar ist jedoch, dass rassistische Stereotype, die innerhalb der EU existieren und osteuropäische Frauen sexualisieren, dies mitverursachen. Die Gefahr, sexuellen Missbrauch zu erleben oder Opfer von Menschenhandel zu werden, wird durch unsichere Fluchtrouten oder die Praxis z. B. in Großbritannien, wo 350 Pfund für die Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten gezahlt werden, begünstigt.

Um die Situation für Geflüchtete zu verbessern, müssen wir für Folgendes eintreten:

  • Offene Grenzen, sichere Fluchtwege und Staatsbürger:innenrechte für alle!
  • Statt Behausung in Lagern: Dezentrale Unterbringung durch die Enteignung von leerstehendem Wohnraum, Hotels sowie Spekulationsobjekten!
  • Nein zur Spaltung: Anerkennung der Bildungsabschlüsse sowie das Recht, die Muttersprache bei Ämtern zu benutzen, für alle Geflüchteten!

Auch wenn die letzte Forderung für ukrainische Geflüchtete, die in Deutschland ankommen, größtenteils Realität ist, muss sie aufgestellt werden, um eine weitere Spaltung zwischen ukrainischen und anderen Geflüchteten zu verhindern. Dass die Ausstellung von Arbeitserlaubnissen etc. für Ukrainer:innen so rasch passierte, zeigt nur, was eigentlich möglich ist, wenn die eigene Regierung ein unmittelbares Interesse dabei verfolgt. Deswegen sollte dies genutzt werden, um die Rechte anderer Geflüchteter anzugleichen.

Situation der Daheimgebliebenen

Jedoch konnten nicht alle fliehen. Alter, persönliche Fitness, Kontakte in anliegenden oder anderen europäischen Ländern sind weitere Faktoren, die es realistischer erscheinen lassen, sich mittel- oder langfristig ein „neues Leben“ aufzubauen. Wer hingegen pflegebedürftig ist oder selber jemanden pflegt, gehört zu den Gruppen, die es besonders schwer haben, das Land zu verlassen. Zwar gibt es Erfolgsgeschichten von Gruppen wie bspw. von etwa 180 Gehörlosen, die es nach Berlin geschafft haben. Doch wer ans Bett gefesselt oder auf fremde Hilfe angewiesen ist, hat schlechte Chancen.

Hier tragen auch vor allem Frauen die Hauptlast. Bereits vor der Eskalation der Feindseligkeiten im Februar 2022 führte die unbezahlte Hausarbeit in der Ukraine zu einer massiven Mehrbelastung. Frauen brachten im Schnitt 24,6 Stunden pro Woche für reproduktive Tätigkeiten auf, während es bei Männern 14,5 waren. Laut UN-Bericht „Rapid Gender Analyses in Ukraine“ geben die Befragten durchweg an, dass seit dem Beginn des Krieges der Umfang der unbezahlten Arbeit sowohl für Männer als auch für Frauen zugenommen hat. Dies liegt vor allem daran, dass Sozialdienste, medizinische und Bildungseinrichtungen sowie Kinderbetreuung durch den Krieg eingestellt oder reduziert wurden.

Das Wegbrechen dieser Infrastrukturen führt dementsprechend auch zu Verschlechterungen in allen diesen Bereichen. So sind beispielsweise Schwangere durch den Wegfall medizinischer Versorgung einer Lage ausgesetzt, die auch den Kindstod begünstigt. Um die Situation vor Ort einigermaßen erträglich zu machen, treten wir ein für:

  • Kontrolle und Verteilung der gelieferten Hilfsgüter durch demokratisch gewählte Komitees der Bevölkerung! Die Vertreter:innen müssen rechenschaftspflichtig und jederzeit wähl- und abwählbar sein!

So kann flächendeckend verhindert werden, dass Lebensmittel unterschlagen werden, wie beispielsweise durch zwei führende Ministeriumsbeamte, die Ende Januar dafür entlassen wurden. Das ist keine Kleinigkeit, denn über ein 1/3 der ukrainischen Bevölkerung ist von starken Nahrungsmittelengpässen betroffen. Viele Teile der Bevölkerung sind bereits in Hilfsstrukturen integriert – und sie sollten diese auch selber kontrollieren.

Denn zum einen kann durch die Verteilungskomitees überprüft werden, in welchen Regionen nicht nur mehr Hilfsgüter benötigt werden, sondern auch, wo es noch anderer Strukturen wie beispielsweise Kantinen oder anderer Hilfe bedarf. Diese sollten zum anderen als Momente kollektiver Reproduktionsarbeit nach dem Krieg erhalten bleiben und flächendeckend ausgeweitet werden. Denn nur durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit – also der Aufteilung der Sorge- und Carearbeit auf alle Hände – kann die Doppelbelastung von Frauen sowie die geschlechtliche Arbeitsteilung beendet werden. Es gilt, hier eine Grundlage zu legen, um künftigen Verschlechterungen entgegenzuwirken.

Arbeitsrechte

Diese Situation wird dadurch verstärkt, dass unter der Regierung von Selenskyj seit Beginn des Krieges massive Angriffe auf die Arbeitsrechte vorgenommen wurden. Am 24. März 2022 trat das Gesetz Nr.-2136-IX Über die Organisation der Arbeitsbeziehungen im Kriegsrecht in Kraft, was unter anderem die Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche auf 60 hochsetzt, Arbeit an Wochenenden, Feiertagen und arbeitsfreien Tagen nicht mehr verbietet und Betrieben ermöglicht, die Auszahlung des Gehalts zu verzögern, wenn nachgewiesen werden kann, dass Krieg oder „höhere Gewalt“ eine solche Verzögerung verursacht haben. Das Ganze wird begleitet vom Verbot von Oppositionsparteien, die Verbindungen nach Russland haben, sowie einer Degradierung von Gewerkschaften zu Organen der „Bürgerkontrolle“, die die Einhaltung des Gesetzes überwachen.

Diese Verschärfungen sind dabei nur eine zugespitzte Fortführung Selenskyjs neoliberaler Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse. Bereits 2020 gab es den Versuch eines reformierten Arbeitsgesetzes, welches eine massive Aufweichung der Arbeits- und Tarifrechte enthielt. Durch Proteste seitens der Gewerkschaften konnte damals verhindert werden, was nun Praxis ist.

Was das für praktische Auswirkungen hat, skizziert Bettina Musiolek (Clean Clothes Campaign; Kampagne für Saubere Kleidung) in einem Interview mit der GEW. Zwar ist der Anteil der Textilindustrie innerhalb der Ukraine am BIP gering. Laut Angaben von Ukraine Invest existieren jedoch rund 2.500 Textilbetriebe mit mehr als 200.000 Mitarbeiter:innen innerhalb des Landes, von denen zwischen 80 und 90 % der gesamten Erzeugnisse für den Export bestimmt sind. Die überwiegende Mehrheit ihrer Beschäftigten ist weiblich. Produziert wird unter anderem für Marken wie Adidas, Benetton, Boss, S.Oliver, Tommy Hilfiger, Zara oder Handelskonzerne wie Picard oder Aldi. Diese nutzen die Not brutal aus, wie Musiolek erklärt:

 „Die meisten Näherinnen werden das alles akzeptieren, weil sie den Job brauchen. Gegen das neue Gesetz zu demonstrieren oder zu streiken, ist für sie keine Option – ihnen droht unter dem Kriegsrecht, verhaftet zu werden. [ … ] Da werden im Schatten des Krieges rote Linien überschritten. Zwar soll die Arbeitsrechtsreform nur während des Kriegsrechts gelten. Aber unsere ukrainischen Gewerkschaftspartner bezweifeln, dass die Punkte nach dem Krieg wieder rückgängig gemacht würden.“ (https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/hungerloehne-unter-dem-deckmantel-des-kriegsrechts)

Das bedeutet praktisch, dass wir uns gegen diese Angriffe wehren müssen, was leichter geschrieben als getan ist. Es verdeutlicht, dass die herrschende Klasse der Ukraine nicht nur eine enge Verbündete der NATO ist, sondern – wie jede andere – auch im Krieg ihre Klasseninteressen vertritt.

Das Kriegsrecht richtet sich hier ganz konkret gegen die Lohnabhängigen und muss bekämpft werden. Die Aufgabe von Revolutionär:innen und fortschrittlichen Kräften muss darin bestehen aufzuzeigen, dass der Krieg alleine nicht den Klassencharakter aufhebt, nicht alle Ukrainer:innen vor ihm gleich werden und dieselben Interessen verfolgen dürfen. Deswegen muss gesagt werden:

  • Nein zu den Angriffen des Arbeitsrecht! Für die sofortige Rücknahme der Verschärfungen wie des einseitigen Kündigungsrechts oder der Ausweitung der Arbeitszeit!
  • Statt Arbeitslosigkeit und mehr Stunden braucht es Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich!
  • Für ein Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation!
  • Entschädigungslose Enteignung aller Kriegsgewinnler:innen, ukrainischer wie imperialistischer Unternehmen, die sich auf Kosten der Massen bereichern, unter Arbeiter:innenkontrolle!

Gewalt

Dass Gewalt gegen Frauen in Zeiten von Krisen zunimmt, ist spätestens seit der Coronapandemie kein Geheimnis mehr. Aktuelle offizielle Zahlen sind nicht verfügbar, jedoch gaben laut einer vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) im Jahr 2019 veröffentlichten Studie etwa 75 Prozent der ukrainischen Frauen an, seit ihrem 15. Lebensjahr irgendeine Form von Gewalt erlebt zu haben. Eine von drei Frauen berichtete, dass sie körperliche Formen von sexueller Gewalt erleiden musste.

Durch die verschlechterte ökonomische Situation kann sich dies verschlimmern, und da darüber hinaus in Konflikten sexuelle Gewalt und Vergewaltigung häufig als Kriegswaffe eingesetzt werden, um Macht über den Feind zu demonstrieren, sind die ukrainischen Frauen – inmitten der militärischen Invasion Russlands in ihrem Land – einem erhöhten Risiko sexueller und körperlicher Gewalt, Missbrauch, Vergewaltigung und Folter ausgesetzt. Um sich gegen die zunehmende Gewalt zu wehren, treten wir ein:

  • Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees der Bevölkerung, die auch Zugang zu Waffen haben!
  • Für Entschädigungszahlungen an Betroffene von Gewalt sowie kostenlosen Zugang zu therapeutischen Angeboten auch nach dem Krieg!

Militär

Doch es wäre falsch, die Rolle von ukrainischen Frauen derzeit auf Care- und Hilfsarbeit zu reduzieren. In der ukrainischen Armee dienen schätzungsweise zwischen 15 – 22 % Frauen. Manche kehren sogar aus den sicheren Ländern, in die sie geflohen waren, zurück, um an der Front zu kämpfen. Dies ist jedoch eine neuere Entwicklung. Seit 2014 sind Frauen Teil der ukrainischen Armee. Seit 2016 ist auch erlaubt, dass sie nicht nur klassische Hilfskraftjobs wie medizinische Versorgung oder Kochen ausüben. Dass sie nun auch an der Front kämpfen dürfen, heißt jedoch nicht, dass das Militär sich in einen Ort der Gleichberechtigung verwandelt. So hat die Zahl der Soldatinnen zwar zugenommen, aber ihre Mobilisierung erfolgte eher unregelmäßig. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass die klassische Arbeitsteilung in Armeen (Fokus der Frauen auf Hilfsjobs) trotz ihrer höheren Beteiligung erhalten bleibt, was begleitet wird durch Berichte über sexistische Kommentare oder die Tatsache, dass Frauen Uniformen wesentlich schlechter angepasst werden. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Männer mittels Kriegsrecht hat darüber hinaus verfestigt, dass es Frauen sind, die außerhalb der Armee die Last der Betreuung von Kindern und älteren Menschen tragen müssen. Um die tatsächliche Gleichstellung in der Armee zu gewährleisten, treten wir ein:

  • Für die Wähl- und Abwählbarkeit von Offizier:innen durch Soldat:innenräte sowie deren Kontrolle über Ausbildung und Waffen!
  • Für eine Kampagne innerhalb der Armee für Gleichstellung, aber auch gegen Nationalismus und Chauvinismus! Recht der Frauen auf gesonderte Treffen!

Zentral ist es darüber hinaus, dass Soldat:innen auch dafür argumentieren, den Krieg nur solange zu führen, wie er zur Selbstverteidigung dient, und beispielsweise gegen die Rückeroberung der Krim oder der Volksrepubliken auftreten. Vielmehr sollte die dort lebende Bevölkerung entscheiden, wo sie zukünftig leben und welchem Staat sie angehören möchte. Alles, was darüber hinausgeht, führt zu einer weiteren Verlängerung des Krieges, ohne seine tatsächliche Ursache zu bekämpfen.

Perspektiven

Die reaktionäre Invasion des russischen Imperialismus stellt bekanntlich nicht den einzigen Faktor im Krieg dar. Es wäre vielmehr verkürzt, den Charakter eines Kriegs unabhängig von der internationalen Lage zu bestimmen. Die Entwicklung, die zur Invasion führte, und vor allem jene seit dem reaktionären Überfall Russlands bestätigt in mehrfacher Hinsicht, dass es sich im Kern nicht bloß um einen nationalen Verteidigungskrieg handelt, sondern die politische, wirtschaftliche und militärische Einflussnahme der NATO auf internationaler Ebene selbst einen entscheidenden Faktor darstellt.

Das bedeutet, dass die Arbeiter:innenklassen in Russland wie auch in den NATO-Staaten vor allem für den Kampf gegen die Kriegsziele ihrer eigenen Bourgeoisien gewonnen und mobilisiert werden müssen. Dort steht der Hauptfeind eindeutig im eigenen Land.

In der Ukraine ist die Lage differenzierter zu betrachten. Hier sind die Massen Opfer der russischen imperialistischen Invasion. Einerseits spielt der innerimperialistische Konflikt eine prägende Rolle, andererseits existiert auch ein wichtiges Element der realen nationalen Unterdrückung. Dies bedeutet, dass Revolutionär:innen das Recht der Ukraine, sich gegen die russische Okkupation zur Wehr zu setzen, verteidigen müssen, jedoch ohne der Regierung Selenskyj irgendeine Form der Unterstützung angedeihen zu lassen.

In der Ukraine bildet daher das Recht auf Selbstverteidigung gegen die russische Invasion ein Element revolutionärer Politik, doch für den Fall des Rückzugs von russischen Truppen sollte klar sein, dass der Kampf danach weitergeht. Jedoch nicht mit dem Ziel, Vergeltung gegen Russland als Aggressor auszuüben, sondern in dem Wissen, dass NATO & Co. ihre Unterstützung nicht zugesagt haben, damit sie dann ebenfalls die Ukraine in Ruhe lassen, sondern sie als ausgebeutete Halbkolonie in ihren Machtbereich integrieren werden.

Neben stärkerer militärischer Präsenz ist es wahrscheinlich, dass westliche Firmen sich freuen, die ukrainische Infrastruktur wieder aufzubauen – auf dem Rücken der Bevölkerung vor Ort, die als billige Arbeitskräfte überausgebeutet werden kann. Die rechtlichen Grundlagen wurden ja bereits geschaffen. So ein Kampf kann nur erfolgreich sein, wenn bereits im Hier und Jetzt Strukturen aufgebaut werden, die sich der prowestlichen und neoliberalen Politik Selenkyjs nicht unterordnen wollen, aber auch kein Interesse hegen, sich an Putins Regime zu verkaufen. In Regionen wie der Krim, Donezk oder Luhansk sollten Referenden durch die Bevölkerung organisiert werden – nicht durch irgendeine Großmacht.

Im Westen, in der EU und den USA muss die Arbeiter:innenbewegung vor allem aber gegen die imperialistischen Ziele des „eigenen“ Imperialismus mobilmachen. Das bedeutet ein Nein zur jeder Aufrüstung, zu Waffenlieferungen und vor allem zu Sanktionen und Wirtschaftskrieg gegen Russland. Die US-amerikanische, deutsche und andere westliche Regierungen verfolgen damit keine demokratischen und humanitären Interessen. Das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine und erst recht deren Demokratie sind ihnen völlig egal, wie das jahrelange Paktieren mit Ultrarechten beweist. Für sie ist die Ukraine vor allem eine Frontlinie auf dem geostrategischen Schlachtfeld und außerdem ein Reservoir für billige Arbeitskräfte und Rohstoffe. Hier gilt es, Solidarität und Widerstand aufzubauen, die die objektiven Interessen der ukrainischen und russischen Arbeiter:innenklasse unterstützen, und nicht mit den Machtinteressen der jeweils eigenen Regierung zu paktieren.




Frauen und die Revolution im Iran

Martin Suchanek, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Der Mord an der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini war der Funke, der das Feuer einer neuen Massenbewegung im Iran entfachte. Seither versucht das diktatorische, islamistische Regime, die Proteste im Blut zu ertränken.

Über 500 Menschen wurden von den bewaffneten Kräften der Staatsmacht, von Polizei, Geheimdiensten oder den sog. Revolutionswächtern, ermordet. Tausende wurden verletzt, über 20.000 festgenommen. Seit Monaten werden Aktivist:innen der Bewegung und bekannte Oppositionelle nach Schauprozessen öffentlichkeitswirksam hingerichtet, um die Massen einzuschüchtern und die Anhänger:innen des Regimes zu stärken.

Nach Monaten des heroischen Kampfes droht die Bewegung, durch die Konterrevolution der Mullahs zerschlagen zu werden. Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, wird dieser „Sieg“ nicht von Dauer sein. Sie können zwar möglicherweise den Protest niederschlagen – die Ursachen für die revolutionäre Erhebung von Millionen können sie aber nicht aus der Welt schaffen. Denn es ist das reaktionäre, ausbeuterische, frauen- und menschenfeindliche Regime, die spezifische Mischung aus Kapitalismus, Nepotismus und islamistischer Diktatur, die immer wieder den Widerstand hervorbringen wird, den sie mit aller Gewalt – und letztlich nur noch mit Gewalt – blutig unterdrückt.

Eine Revolution der Frauen

In den letzten Jahrzehnten erschütterten immer wieder Massenproteste den Iran. 2009, bei der sog. grünen Revolution, bildeten vor allem die städtischen Mittelschichten – Intellektuelle, das Kleinbürger:innentum sowie reformorientierte Unternehmerschichten, die ihre Hoffnungen in den damaligen Präsidentschaftskandidaten Chātami setzten – die soziale Basis der Bewegung.

2017 und vor allem 2019 änderte sich die Lage. Die „Unterschichten“, d. h. vor allem die Arbeiter:innenklasse, schwangen sich zur sozialen Trägerin des Kampfes auf. Die Hoffnungen und Illusionen in den „reformorientierten“ Teil des Regimes waren bei den Massen verflogen. Umso drängender rückten die sozialen Fragen in den Vordergrund.

2022 standen von Beginn an Frauen, Studierende und die Jugend sowie die unterdrückten Nationalitäten im Zentrum.

Natürlich wurde dies auch durch den Mord an einer jungen Kurdin, Jina Mahsa Amini, durch die „Sittenpolizei“ befördert. Dass die Protestbewegung vor allem von jungen Frauen und Studentinnen getragen und vorangetrieben, sie mit gewissem Recht als feministische Revolution bezeichnet wurde, verweist auf tiefere gesellschaftliche Ursachen.

Frauen, Arbeit und Bildung

Die extreme Form der Entrechtung seit Beginn der Mullahherrschaft und Unterdrückung ging mit einer widersprüchlichen, teilweise geradezu paradoxen Entwicklung der Lage der Frauen im Bildungswesen, teilweise auch in der Arbeitswelt einher.

Heute gibt es im Iran rund 4,5 Millionen Studierende, also rund 50 % mehr als in Deutschland (3 Millionen), eine für ein halbkoloniales Land beachtliche Zahl und Quote. Fast jede/r zweite Studierende ist eine Frau. Dies spiegelt den Versuch des Mullahregimes wider, nach der Machtergreifung eine staatskapitalistische Industrialisierung voranzutreiben, was sich auch in der Erhöhung der Alphabetisierungsquote (80 % gegenüber 20 % unter dem „modernen“ Schahregime) wie auch im Zwang, vermehrt Frauen als Lohnarbeiterinnen zu beschäftigen oder professionell zu qualifizieren, ausdrückt.

Somit entstand im Iran einerseits eine sehr qualifizierte Schicht von Frauen, die zugleich weiter politisch und kulturell entrechtet blieb. Das Scheitern der Illusionen in den Reformflügel des Islamismus führte außerdem dazu, dass sich die Hoffnung auf eine allmähliche Öffnung und Liberalisierung des Regimes erschöpfte.

Heute stellen die Universitäten einen Fokus der Bewegung dar – und wir können angesichts der sozialen Lage der Studierenden und insbesondere Studentinnen erkennen, warum junge Frauen und Jugendliche eine so wichtige Rolle in der Mobilisierung einnehmen, an vorderster Front kämpfen. Über Jahre versprach das Regime den Frauen und der Jugend im Gegenzug für soziale Unterdrückung und kulturelle Tristesse Jobs, Einkommen und sogar einen gewissen Aufstieg. All das entpuppte sich nach anfänglichen ökonomischen Erfolgen in den 1990er Jahren mehr und mehr als Fiktion. Die neoliberalen Reformen und Privatisierungen des letzten Jahrzehnts, vor allem seit dem Einbruch 2012/13, verschlechterten die Lage weiter. Für die Frauen und die Jugend sieht die Zukunft düster aus.

Die Arbeiter:innen bilden mittlerweile die zahlreichste Klasse der iranischen Gesellschaft, zumal wenn wir die sub- und halbproletarischen Schichten und jene Teile der Intelligenz, die einem Proletarisierungsprozess unterzogen sind, einbeziehen.

Zugleich lebt ein großer Teil dieser Klasse heute in Armut. Nach unterschiedlichen Schätzungen leben 35 – 50 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze – Tendenz steigend angesichts von massiver Inflation und ökonomischer Stagnation.

Für die Lohnabhängigen repräsentierte die Diktatur der Mullahs immer eine brutale Herrschaft der Ausbeuter:innen – zu offensichtlich und eng sind iranischer Kapitalismus und islamistisches Regime miteinander verbunden.

Proletarische, aber auch junge, akademisch gebildete Frauen trifft dies besonders. Die Hindernisse auf dem Arbeitsmarkt sind beachtlich. So liegt der Anteil von Frauen an den Beschäftigten noch immer bei nur 17,26 % (er überstieg in der Islamischen Republik nie 20 %). Auch wenn dies den realen Anteil der Erwerbsarbeit von Frauen nicht reflektiert, weil ein großer Teil der in der Landwirtschaft Beschäftigten (Schätzungen gehen davon aus, dass rund 60 % der Arbeit auf dem Dorf von Frauen erledigt wird) wie auch nicht offiziell registrierte Beschäftigung rausfallen, werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt schon nach amtlichen Zahlen massiv diskriminiert.

Das verdeutlicht auch die Arbeitslosenquote von Frauen (https://de.theglobaleconomy.com/Iran/) mit offiziell 18,96 % im Jahr 2021, die fast doppelt so hoch ist wie jene der Männer (9,89 %). Noch höher liegt sie bei Jugendlichen – und das heißt insbesondere auch bei jungen Frauen – mit 27,21 %. Mit fast 89 % extrem stark von Arbeitslosigkeit – und damit von Armut – betroffen ist die ohnedies stigmatisierte Gruppe von alleinerziehenden Frauen.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Einerseits natürlich die ökonomische Stagnation selbst, die die gesamte Klasse der Lohnabhängigen betrifft. Zweitens ziehen viele, natürlich männliche Unternehmer vor, junge Männer statt Frauen zu beschäftigen, selbst wenn diese z. B. einen weit besseren Hochschulabschluss vorweisen.

Die Anzahl studierender Frauen ist seit Jahren vielen Mullahs an Dorn im Auge. Unter dem erzkonservativen Einpeitscher Ahmadineschād wurde nicht nur auf propagandistischer und ideologischer Ebene gegen diesen „Auswuchs“ angegangen, sondern wurden auch Männerquoten in verschiedenen, vor allem technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen eingeführt. Der „Erfolg“ war mäßig, da selbst regimetreue, sozial-konservative Väter (einschließlich hoher Kleriker) aller reaktionären Gesinnung zum Trotz ihre Töchter an die Unis schicken und gut ausgebildet haben wollten.

Die gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen nimmt daher viel stärker die Form der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt an.

Für beschäftigte Arbeiterinnen kommt „natürlich“ auch noch Sexismus am Arbeitsplatz hinzu. Darüber hinaus nutzen Unternehmen bewusst die reaktionäre Gesetzgebung, um gewerkschaftlich aktive oder einfach Widerstand leistende Arbeiterinnen unter dem Vorwand „unislamischen“ Verhaltens oder „unsittlicher“ Bekleidung zu entlassen.

All dies verdeutlicht, wie eng der Kampf gegen Frauenunterdrückung mit dem gegen Ausbeutung verbunden ist, so dass dieser einen essentiellen Teil des Klassenkampfes bildet.

Von der halben Revolution zur ganzen Konterrevolution

Die Unterdrückung der Frauen gehörte von Beginn an zur politischen DNA des islamistischen Regimes. Anders als heute gern von den bürgerlichen Medien vereinfacht dargestellt wird, war die iranische Revolution zu Beginn am Ende der 1970er Jahre keineswegs eine „islamische“.

Im Kampf gegen das Schahregime stellten die Linken, die Arbeiter:innenklasse und auch eine starke Frauenbewegung eine zentrale Kraft dar. Politisch kann die iranische Revolution als Kampf dreier Kräfte betrachtet werden. Erstens das prowestliche despotische Schahregime, das sich auf den Imperialismus, den iranischen Staatsapparat und einen Teil der herrschenden Klasse stützte, zweitens die von liberalen, mehr und mehr aber auch von den lslamist:innen vertretene oppositionelle Bourgeoisie und Mittelklasse.

Schließlich die Arbeiter:innenschaft und bäuerliche Schichten. Sie bildeten nicht nur eine zentrale Kraft beim Sturz des Schah, sondern die Arbeiter:innenklasse errichtete auch Formen der Doppelmacht, vor allem in verstaatlichten Betrieben und auf den Ölfeldern (Schoras = Räte).

Aber die stalinistische Doktrin der iranischen Linken erwies sich selbst als Hindernis für die Revolution. Gemäß ihrer Vorstellung war das Land für eine sozialistische Umwälzung noch nicht reif, vielmehr stünde als nächste Etappe eine antiimperialistische, bürgerliche Revolution an, die die „nationale Bourgeoisie“ zuerst an die Macht bringen müsste. Vor diesem Hintergrund wurden Khomeini und seinen Anhänger:innen als Verkörperung der antimonarchischen, nationalen Revolution betrachtet.

Politisch bedeutete dies, die Interessen der Arbeiter:innenklasse wie aller Unterdrückten – und das hieß vor allem jene der Frauen – denen der „nationalen“ Bourgeoisie und damit den Islamist:innen unterzuordnen.

Dies und die eng mit ihnen verbundenen Sektoren der Kapitalist:innenklasse, insbesondere die in Teheran ansässigen Handelskapitale (Bazaris), hatten ihrerseits längst die Linke und die Arbeiter:innenklasse als unversöhnlichen Gegnerinnen ausgemacht. Das lag nicht zuletzt auch an deren Stärke. Die Eroberung des Flughafens Teheran durch bewaffnete Guerillaeinheiten, die die Armee vertrieben, und die Errichtung von Arbeiter:innenräten beunruhigten alle kapitalistischen und reaktionären Kräfte. Zu Recht fürchteten sie (wie auch die westlichen Regierungen), dass die Revolution auch die Eigentumsverhältnisse in Fragen stellen könnte.

Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass eine solche, ihrem Wesen nach sozialistische Revolution gesiegt hätte. Aber die Unterordnung der Arbeiter:innenklasse und der Bauern-/Bäuerinnenschaft unter die herrschende Klasse konnte ihrerseits nur zum Sieg der Konterrevolution führen. Khomeini und die islamistischen Kräfte vernichteten alle Kräfte der Arbeiter:innenbewegung und der demokratischen Opposition – einschließlich vieler, die ihn als „Antiimperialisten“ gepriesen hatten. Tausende und Abertausende wurden gefoltert, liquidiert oder „verschwanden“. Die Arbeiter:innenklasse erlitt eine historische Niederlage. Die halbe, im Kampf um die Demokratie stehengebliebene Revolution endete mit einer ganzen Konterrevolution.

Konterrevolution und Entrechtung

Deren Sieg bedeutete für alle Frauen im Iran eine Katastrophe. Die Elemente formaler Gleichheit, die unter dem Schah errungen und in den ersten Monaten der Revolution faktisch sogar ausgeweitet worden waren, wurden rigoros abgeschafft.

Natürlich hatten Khomeini und die Mullahs die Frauenunterdrückung und das Patriarchat nicht erfunden, sie institutionalisierten sie jedoch im extremen Ausmaß. Die Scharia, as islamische Gesetz, wurde zu deren rechtlich-ideologischer Grundlage. Hier einige zentrale Folgen für die Frauen:

– Frauen sind strengen Kleidervorschriften, die u. a. die Zwangsverschleierung umfassen, unterworfen.

– Frauen sind vor Gericht den Männern nicht gleichgestellt. Ihre Aussage zählt nur halb so viel wie die eines Mannes. In manchen Fällen sind sie erst gar nicht als Zeuginnen zugelassen.

– Frauen sind von bestimmten Berufen (Armee, Richterinnen) ausgeschlossen.

– Frauen benötigten für Arbeit, Reisen und Scheidung das Einverständnis ihrer Ehemänner, Väter oder Brüder.

– Sie haben faktisch keinen Anspruch auf Sorgerecht.

– Das Mindestalter für Ehen und die volle Strafmündigkeit wurde bei Mädchen auf neun Jahre heruntergesetzt, Abtreibungen wurden verboten.

– Männer haben das „Recht“, die sexuelle Verfügbarkeit der Ehefrau gewaltsam durchzusetzen. Vergewaltigung in der Ehe ist daher legal.

– Geschlechtertrennung wurde in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens eingeführt, zum Beispiel im Personennahverkehr, beim Sport, in Bildungsinstitutionen und bei der Gesundheitsversorgung.

Die meisten dieser Maßnahmen wurden im Zuge der „kulturellen Revolution“ der Mullahs in den Jahren 1980 – 1983 eingeführt, in einer Art konzertierter Aktion zur Auslöschung aller Errungenschaft der Frauen. Auch wenn einige wenige Gesetze seither etwas gelockert wurden, blieb das System der institutionellen Unterdrückung bis heute intakt und stellt einen Eckpfeiler der klerikalen Diktatur dar.

Diese Form begünstigt Sexismus und Gewalt bis hin zu Femi(ni)ziden in Familien, in der Öffentlichkeit und durch staatliche Repressionsorgane. So sind Folter, Missbrauch und Vergewaltigung von Frauen durch Pasdaran (Iranische Revolutionsgrade), Sittenpolizei und andere Reaktionswächter weit verbreitet. Im Extremfall wurden Vergewaltigungen vor Hinrichtungen sogar durch sog. „Zeitehen“ gegen den Willen der Frauen von Geistlichen legalisiert.

Welche Revolution?

Die Erfahrungen der iranischen Revolution (und eigentlich aller wichtigen Revolutionen des 20. und 21. Jahrhunderts) zeigen, dass die demokratischen Forderungen – im Iran insbesondere die nach Gleichheit und Freiheit der Frauen – untrennbar mit der Klassenfrage verbunden sind.

Wirkliche Befreiung ist für die Frauen (sowie armen Bauern und Bäuerinnen sowie unterdrückten Nationalitäten) im Rahmen des Kapitalismus im Iran letztlich unmöglich. Ihre Unterdrückung mag unter einer anderen bürgerlichen Herrschaftsform oder einer anderen Elite allenfalls elastischere Formen annehmen (und selbst das ist keineswegs sicher).

Die Verbesserung der Lage der Massen – und insbesondere der Frauen und der unterdrückten Nationen – ist unmöglich, ohne die Profite, den Reichtum, die Privilegien, das Privateigentum der herrschenden Klasse im Iran anzutasten. Umgekehrt kann sich die Arbeiter:innenklasse selbst nur dann zur wirklich führenden Kraft einer Revolution aufschwingen, wenn sie die entscheidenden gesellschaftlichen Fragen mit der ihrer eigenen Befreiung, der Enteignung des Kapitals und der Errichtung eine demokratischen Planwirtschaft verbindet. Ansonsten wird das Proletariat – unabhängig vom Geschlecht – weiter eine Klasse von Lohnsklav:innen bleiben.

Die Klärung dieser Frage ist aber unbedingt notwendig, weil in der iranischen Oppositionsbewegung auch bürgerliche und direkt reaktionäre, monarchistische Kräfte wirken (inklusive des demokratischen Imperialismus und nichtmonarchistischer Kräfte). Deren Programm besteht im Grunde darin, dass an die Stelle der aktuellen, islamistischen Sklavenhalter:innen neue, bürgerliche und prowestliche treten (wenn nötig, im Bündnis mit Teilen des aktuellen Regimes).

Eine politische Kraft, die hingegen konsequent die Interessen der lohnabhängigen Frauen, der Student:innen und Arbeiter:innenklasse insgesamt zum Ausdruck bringt, muss mit allen unterdrückerischen Klassen und ihren Parteien brechen. Und das heißt zuerst, sie darf ihre Ziele nicht auf rein demokratische, rein bürgerliche beschränken.

Die Frage von Sieg oder Niederlage ist dabei nicht nur eine des Überlebens für die iranischen Massen, sondern auch von zentraler Bedeutung für den Befreiungskampf im gesamten Nahen und Mittleren Osten, vor allem in jenen Ländern, wo das iranische Regime einen unmittelbar konterrevolutionären Einfluss ausübt.

Revolutionäre Partei

Eine solche Perspektive und ein revolutionäres Programm, das demokratische und soziale Forderungen mit sozialistischen verbindet und in der Errichtung einer Arbeiter:innen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung gipfelt, entsteht nicht von alleine. Sie erfordern eine Kraft, die bewusst dafür in der Arbeiter:innenklasse, an den Universitäten und Schulen, unter der Jugend, den Frauen und unterdrückten Nationalitäten kämpft.

Nur so kann der stetige Vormarsch der Konterrevolution hier und jetzt gestoppt werden. Und diejenigen, die am beharrlichsten für solche Forderungen kämpfen und dabei nicht nur die Lehren aus den letzten vier Monaten, sondern vier Jahrzehnten ziehen, sind diejenigen, die mit dem Aufbau dieser Kraft, einer revolutionären Partei, beginnen können.

In einer Situation, in der die Repression immer erdrückender gerät, ist es jedoch schwieriger denn je, eine offene Debatte über Strategien zu führen. Hierbei könnten wohl im Exil Lebende eine wichtige Rolle spielen, doch es bleibt zentral, dass die linken Organisationen vor Ort sich dieser Debatte nicht verschließen. Andernfalls verblasst das Potenzial erneut.

Denn klar ist: Nur eine solche Partei wird in der Lage sein, den Kampf unter allen Bedingungen zu führen, im Untergrund zu operieren, wenn es nötig ist, und in Streiks, Gewerkschaften und vor allem in Massenbewegungen in Zeiten des Aufschwungs der Kämpfe einzugreifen.




Von der Verteidigung der Bewegung zur Revolution

von Martin Suchanek, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Die Demonstrant:innen auf den Straßen, die Studierenden an den Unis, die Arbeiter:innen in vielen Betrieben verbinden seit Monaten Parolen wie „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frau, Leben, Freiheit) mit dem Ruf nach dem Sturz des Regimes. Ihnen ist längst bewusst, dass es einer Revolution, einer grundlegenden Umwälzung bedarf, um ihr Ziel, die Gleichberechtigung der Frauen, ein Leben frei von islamistischer und patriarchaler Gängelung durchzusetzen. Entweder siegt die Bewegung, die Revolution oder die blutige Konterrevolution des Regimes.

Trotz der Repression im Herbst 2022 verbreiteten sich die Proteste wochenlang. Die Aktionen waren auf lokaler, universitärer und betrieblicher Ebene durchaus koordiniert, werden von illegalen oder halblegalen Gruppierungen geführt oder von Gewerkschaften, die sich in den letzten Jahren im Untergrund gebildet hatten. Aber die Bewegung besaß kein landesweites, alternatives Macht- und Koordinationszentrum, das den Apparat des Regimes paralysieren oder es gar mit diesem aufnehmen könnte.

In den letzten Wochen zeigt sich dieses Problem immer deutlicher. Die Konterrevolution hat die Initiative ergriffen, droht, die Bewegung im Blut zu ersticken.

Um das zu verhindern, braucht sie Kampfformen, die sie vereinheitlichen kann und die das gesamte Land erschüttern können – und das kann nur ein politischer Generalstreik zur Verteidigung der Bewegung und zum Sturz des Regimes sein.

Dieser würde nicht nur die Produktion und Infrastruktur des Landes lahmlegen und ökonomischen Druck ausüben. Die Arbeiter:innen müssten auch entscheiden, welche Produktion sie für die Versorgung der Menschen aufrechterhalten. Vor allem aber müsste ein solcher Generalstreik auch Kampforgane, Aktionskomitees schaffen, die sich auf Massenversammlungen stützen, die an den Räten der iranischen Revolution, den Schoras, anknüpfen würden.

Solche Organe wären natürlich nicht nur betriebliche Strukturen. Sie könnten ebenso gut an Universitäten, in den Stadtteilen und auf dem Land durch Massenversammlungen gewählt werden. Alle Unterdrückten, die Frauen, die Jugend, die nationalen Minderheiten würden darin einen zentralen Platz einnehmen. Die Bewegung würde so auf lokaler, regionaler und landesweiter Ebene zusammengeführt werden, faktisch zu einem Zentralorgan der Bewegung geraten.

Der Generalstreik würde dabei zugleich als Schutzschild gegen das Regime fungieren, indem er Formen der revolutionären Legalität durchsetzt, also Doppelmachtorgane schafft, die eine Alternative zum Staatsapparat darstellen.

Dazu braucht es notwendigerweise die Bildung von Schutzeinheiten für den Generalstreik selbst, von Arbeiter:innen- und Volksmilizen. Diese Politik müsste durch Aufrufe an die Soldat:innen ergänzt werden, dem Regime die Gefolgschaft zu verweigern, Soldat:innenräte zu bilden, die Offizierskaste zu entmachten, reaktionäre Kräfte zu entwaffnen und Arsenale für die Arbeiter:innenmilizen zu öffnen.

Dazu müsste die Arbeiter:innenklasse selbst jedoch nicht nur als soziale aktive Kraft hervortreten. Sie müsste der Bewegung nicht nur die Kraft zum Sieg verleihen, sondern sie bräuchte auch ein eigenes Programm, wie die Revolution vorangetrieben werden kann und welche neue Ordnung im Iran durchgesetzt werden soll.

Übergangsprogramm

Es braucht ein Programm, das die demokratischen Aufgaben und die soziale Frage revolutionär angeht, miteinander verbindet mit dem Ziel der Schaffung einer Arbeiter:innen und Bauern-/Bäuerinnenregierung, die die Revolution zu einer sozialistischen macht. Kernforderungen eines solchen Programms müssten sein:

  • Gleiche Rechte und volle Selbstbestimmung für alle Frauen! Abschaffung der reaktionären Kleidervorschriften und aller anderen diskriminierenden Gesetze!
  • Volle demokratische Rechte für die Jugend! Abschaffung aller reaktionären Vorschriften, die ihre geistige Betätigung, ihre Bewegungs- und Ausdrucksfreiheit beeinträchtigen!
  • Abschaffung der Zensur und aller Einschränkungen der Meinungs- und Publikationsfreiheit! Für die vollständige Trennung von Staat und Religion!
  • Selbstbestimmungsrecht für alle Nationen und Nationalitäten wie Kurd:innen, Belutsch:innen! Gleiche Rechte für Geflüchtete wie z. B. die 3 Millionen Afghan:innen!
  • Für eine verfassunggebende Versammlung, einberufen unter Kontrolle der revolutionären Massen und ihrer Organe in den Betrieben und Stadtteilen!
  • Sofortprogramm zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut! Mindestlohn und Mindesteinkommen für Arbeitslose, Jugendliche und Rentner:innen, um davon in Würde leben zu können, festgelegt von Arbeiter:innenausschüssen, ständig angepasst an die Inflation!
  • Massive Besteuerung von Unternehmensgewinnen und privaten Vermögen! Streichung der Auslandsschulden! Beschlagnahme aller Vermögen und Unternehmen der Mullahs, diverser regimetreuer halbstaatlicher Organisationen und Wiederverstaatlichung der an Günstlinge des Regimes privatisierten Unternehmen!
  • Arbeiter:innenkontrolle über die verstaatlichte Industrie und alle anderen Unternehmen!Entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer:innen, des Großhandels und der großen Industrie und Banken sowie der ausländischer Konzerne unter Arbeiter:innenkontrolle! Für ein Notprogramm zur Versorgung der Massen, zur Erneuerung der Infrastruktur und der Produktion gemäß den Bedürfnissen der Arbeiter:innen, Bauern/Bäuerinnen, der Frauen und der Jugend und ökologischer Nachhaltigkeit!
  • Schluss mit der Unterstützung des russischen und chinesischen Imperialismus und reaktionärer Despotien wie des Assadregimes! Keine Unterstützung der USA und anderer imperialistischer Staaten in der Region! Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf! Bündnis mit der Arbeiter:innenklasse, demokratischen und antiimperialistischen Kräften gegen ihre reaktionären Regierungen und imperialistische Intervention!
  • Zerschlagung des islamistischen Regimes und des reaktionären Staatsapparates! Für eine Arbeiter:innen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung, die sich auf Räte und Milizen stützt, die herrschende Klasse enteignet und eine demokratische Planwirtschaft einführt!
  • Für die Ausweitung der Revolution! Für eine Föderation Sozialistischer Staaten im Nahen und Mittleren Osten!



ChatGPT: Wie eine künstliche Intelligenz das kapitalistische Schulsystem herausfordert

Von Felix Ruga & ChatGPT; Februar 2023

Disclaimer: Der Text wurde von einem unserer Autoren und ChatGPT geschrieben. Eine Reflexion dazu findet ihr noch einmal gesondert am Ende.

Max sitzt vor seinem Computer und schaut auf seine Mathe-Hausaufgaben. Er versteht die Aufgabe einfach nicht und fühlt sich frustriert. Dann erinnert er sich daran, dass er ChatGPT benutzen kann, um seine Hausaufgaben zu erledigen.

Er gibt die Frage ein und innerhalb von Sekunden liefert ChatGPT ihm eine ausführliche Erklärung und Lösung. Max ist erleichtert und kopiert die Antwort in sein Arbeitsheft, ohne es wirklich zu verstehen.

Ein paar Tage später erhält Max seine Hausaufgaben zurück und entdeckt, dass er eine gute Note bekommen hat. Er ist erstaunt, wie einfach es war, die Hausaufgabe zu erledigen, und denkt darüber nach, ChatGPT öfter zu benutzen, um seine Noten zu verbessern.

ChatGPT hat sich in unser Leben geschlichen und uns mit einem mächtigen neuen Werkzeug ausgestattet. Wahrscheinlich kennen die allermeisten, die zur Schule oder Uni gehen, solche Geschichten und sicherlich auch ChatGPT. Für alle anderen nochmal:

ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer 3) ist ein Online-Tool, das wie ein virtueller Assistent funktioniert, das auf einer speziellen Form von Deep Learning namens „Transformers“ basiert. Wenn du eine Frage an ChatGPT stellst, analysiert die Plattform zunächst Ihre Eingabe und extrahiert die wichtigsten Informationen. Anschließend verwendet sie ihre Datenbank, um eine passende Antwort zu generieren und sie in natürlicher Sprache zurückzugeben.

Diese Technologie ermöglicht es, menschenähnliche Gespräche zu führen. Es basiert auf einer riesigen Menge an Daten und Texten, die von der Plattform automatisch verarbeitet wurden. Mit dieser Datenbank kann ChatGPT das Muster menschlicher Sprache und das Verständnis von Zusammenhängen zwischen Wörtern und Sätzen erlernen. ChatGPT verwendet auch maschinelles Lernen, um sich selbst zu verbessern und seine Antworten auf Basis von Feedback und neuen Daten zu optimieren.

ChatGPT kann eine Vielzahl von Fragen beantworten, von allgemeinen Wissensfragen bis hin zu persönlichen Empfehlungen. Einige Beispiele für Fragen, die ChatGPT beantworten kann, sind: Was ist die Hauptstadt von Frankreich? Wie funktioniert die Photosynthese? Wer hat den Roman „Die Verwandlung“ geschrieben? Was sind die Vor- und Nachteile von erneuerbaren Energien? Wie funktioniert Bitcoin?

Und woran erinnert das einen? Genau: Hausaufgaben. Tatsächlich können viele Fragen, die ChatGPT beantworten kann, Ähnlichkeiten mit den Fragen haben, die man in der Schule als Hausaufgabe oder Prüfungsaufgabe gestellt bekommt. Dies liegt daran, dass ChatGPT auf einer breiten Datenbank von Wissen und Informationen basiert, die von der Plattform automatisch verarbeitet wurden. Diese Datenbank enthält viele Themen und Fakten, die auch in Schulfächern wie Geographie, Biologie, Geschichte oder Mathematik behandelt werden.

Doch welche Aussage macht das über unser Schulsystem und im besonderen die Rolle von Hausaufgaben darin?

ChatGPT und die Hausaufgabenkultur

Als künstliche Intelligenz, die in der Lage ist, Fragen zu beantworten und Wissen zu liefern, legt ChatGPT nicht direkt Missstände im kapitalistischen Schulsystem offen. Allerdings können die Fragen, die an ChatGPT gestellt werden, auf einige der Herausforderungen und Ungerechtigkeiten im Schulsystem hinweisen.

Zum Beispiel können Fragen nach Hilfe bei Hausaufgaben darauf hindeuten, dass Schüler_Innen in ein System gezwungen werden, das oft sehr leistungsorientiert ist und ihnen wenig Zeit für ihre persönliche Entwicklung und Interessen lässt. Darüber hinaus können Fragen nach der Lösung komplexer mathematischer oder naturwissenschaftlicher Probleme darauf hinweisen, dass Lehrer_Innen mit der Größe von Klassen überfordert sind, um Schüler_Innen zur selbstständigen Lösung zu ermutigen oder zu befähigen.

ChatGPT kann auch auf die ungleiche Verteilung von Bildungschancen hinweisen, die oft durch die sozioökonomischen Bedingungen der Schüler_Innen und ihrer Familien beeinflusst wird. Zum Beispiel haben Schüler_Innen aus einkommensschwächeren Familien möglicherweise weniger Zugang zu Ressourcen wie Nachhilfe oder privaten Tutoren. ChatGPT kann in diesen Fällen als eine Ressource für alle dienen.

ChatGPT zeigt auf, dass Hausaufgaben besser kreativ gestellt werden sollten, anstatt reine Wiederholung zu sein. Indem Schüler_Innen ChatGPT um Hilfe bei ihren Hausaufgaben bitten, wird deutlich, dass viele der gestellten Fragen sich um konkrete Lösungen und einfache Antworten drehen, die ein maschinenartiges Denken abverlangen.

Um das Lernen zu fördern, sollten Hausaufgaben jedoch nicht nur auf einfache Wiederholung von Fakten und Formeln reduziert werden. Stattdessen sollten Hausaufgaben so gestaltet werden, dass sie die Kreativität und das kritische Denken der Schüler_Innen herausfordern.

Hausaufgaben können beispielsweise so gestellt werden, dass die Schüler_Innen selbstständig Probleme lösen, eigene Ideen entwickeln und neue Perspektiven einnehmen müssen. Solche Aufgaben können auch dazu beitragen, das Interesse der Schüler_Innen an einem bestimmten Thema zu wecken und ihnen dabei zu helfen, ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten zu entdecken.

Wir fordern also:

  • Schulen müssen gezwungen werden, ihre Hausaufgabenrichtlinien zu überarbeiten und sicherzustellen, dass die Hausaufgaben nicht nur auf Wiederholung und Reproduktion beschränkt sind, sondern auch auf kreative Problemlösungen und kritisches Denken abzielen.
  • Hausaufgaben müssen mit den Inhalten des Unterrichts übereinstimmen. Es darf nicht sein, dass Schüler_Innen mit zusätzlicher Arbeit überfordert werden!
  • Schüler_Innen aus verschiedenen sozialen Schichten müssen Zugang zu den nötigen Ressourcen haben! Hierzu können finanzielle Unterstützung, die Bereitstellung von Materialien und Geräten sowie die Schaffung von Räumen für Schüler_Innen gehören.
  • Wir brauchen eine Bildungsreform, die auf den Bedürfnissen und Interessen der Schüler_Innen basiert und nicht auf den Interessen von Unternehmen und Eliten.
  • Schüler_Innen müssen mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung ihrer Hausaufgaben haben. Es sollte sichergestellt werden, dass ihre Meinungen und Bedürfnisse gehört werden, um sicherzustellen, dass Hausaufgaben für sie sinnvoll und relevant sind.

Nachsatz: Wird auch die Arbeit des Artikelschreibens wegrationalisiert?

Der gesamte Text bis hierhin wurde von ChatGPT generiert, inklusive der Überschriften. Ich habe nur hier und da gekürzt, aus verschiedenen Fragen Absätze zusammengestückelt und vielleicht mal eine Überleitung ergänzt. Für so einen Text muss man bei den Fragen schon sehr genau vorgehen und eigene Ideen in die Fragen einfließen lassen, denn ansonsten redet ChatGPT nur belangloses und allgemeines Zeug. Es muss schon noch ein Mensch davorsitzen und überlegte Fragen stellen. Aber vielleicht entspricht das auch der Aufgabe, die uns als Menschen zunehmend zukommt?

Dennoch merkt man an dem Text auch noch, dass er etwas lasch, förmlich und inhaltlich flach klingt (selbst mit der Ergänzung „sozialistische Sprache“). Die Entwickler_Innen haben das Programm ja extra so entwickelt, dass es versucht, sich an ethische Regeln zu halten. Interessanterweise wollte mir ChatGPT nach jeder meiner Fragen zu Hausaufgaben sagen, wie wichtig es ist, die Hausaufgaben selbst zu machen und das Tool nur als Unterstützung zu verwenden. Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.




FASCHIST_INNEN BLOCKIEREN: Gemeinsam gegen die Naziaufmärsche in Dresden!

Aus: Widerworte #2, Januar 2023 – Bild von Twitter @tmoeritz

Dieses Jahr finden am 10./11./12./13.2. wieder die alljährlichen rechtsextremen Proteste in Dresden statt, die das Thema der Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg für sich instrumentalisieren. Hierbei betreiben die Nazis offenen Geschichtsrevisionismus und nennen die Bombardierung Dresdens „Den Bombenholocaust“, der 250.000 Opfer gefordert haben soll, so zumindest laut dem Fronttransparent vom letzten Jahr. Dabei ist die Bombardierung Dresdens ein Ereignis, das tatsächlich stattgefunden hat: Im Jahre 1945, am Ende des 2. Weltkrieges bombardierten britische Flugzeuge in der Nacht zum 13. Februar Dresden. Über Jahre hinweg gab es verschiedenste Schätzungen zu Opferzahlen mit den unterschiedlichsten Ergebnissen, doch laut Ermittlungen starben bei der Bombardierung etwa 22.700 – 25.000 Menschen.

Diese Fakten interessieren die Nazis aber nicht, sie haben in der Bombardierung Dresdens ein Ereignis gefunden, das man mit verdrehten Fakten für sich instrumentalisieren & emotionalisieren kann. Denn das, was sie machen, das Sprechen von einem angeblichen „Bombenholocaust“, relativiert schlicht und ergreifend den Holocaust, indem es einen übertriebenen Opfermythos erzeugt, der die Bombardierung Dresdens mit dem Holocaust gleichsetzt.

Doch mit diesem Thema haben es die Nazis in den letzten Jahrzehnten geschafft, rund um den 13.2. viele Rechte auf ihre Demo zu mobilisieren. Begonnen hat diese Tradition 2000 mit einem durch eine rechtsextreme Organisation initiierten „Trauermarsch“. Lagen die Teilnehmer_Innenzahlen 2000 noch bei knapp 500 stiegen sie bis zu ihrem Höhepunkt im Jahre 2005 auf 6500 Teilnehmer_Innen an und stellten den zur damaligen Zeit größten Neonazi-Aufmarsch in Europa dar. In den darauffolgenden Jahren verkleinerte sich die Zahl der rechten Demonstranten, auch aufgrund des Gegenprotestes, der immer präsenter wurde. Vor allem während der Pandemie sanken die Teilnehmer_Innenzahlen immer mehr, sodass auf rechter Seite im letzten Jahr lediglich 400-750 Menschen mobilisiert werden konnten.

Warum betrifft uns der Rechtsruck als Jugendliche und Schüler_Innen?

Dass es seit den späten 00ern in ganz Europa einen starken Rechtsruck gibt und dass dieser in den letzten Jahren noch mal einen gewaltigen Aufschwung erlebt hat, ist kein Zufall. Das lag an der Finanzkrise 2008, die nie wirklich aufgelöst wurde und dem erneuten Zusammenbrechen der Wirtschaft im Zuge der Corona Pandemie. In Zeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unsicherheit wie Kriegen oder Krisen des Kapitalismus beginnen mehr und mehr Menschen am „Weiter wie bisher!“, am kapitalistischen Status Quo zu zweifeln.

Leider führen diese Zweifel nicht bei allen dazu, das gesamte System zu hinterfragen und sich für eine komplett neue gerechtere Gesellschaftsordnung einzusetzen. Bei vielen anderen ist der Glaube an den Kapitalismus als Naturgesetz so tief verankert, dass sie nach anderen Erklärungen suchen. Für sie leben wir in einem fundamental gerechten System. Wenn es ihnen und ihrem Umfeld beginnt, schlechter zu gehen, dann liegt das nicht am System selbst, sondern daran, dass es missbraucht wird. An einzelnen korrupten Politiker_Innen, einer großen Verschwörung, ‚Eliten‘, Schattenregierungen und „Globalisten“ (womit übrigens fast immer Jüdinnen und Juden gemeint sind). Für sie müssen einfach die richtigen starken Männer an die Macht, die all die Verschwörer_Innen verjagen und wieder Frieden und Wohlstand ins Reich einkehren lassen.

Und die, die gerne solche starken Männer wären, wissen, wie sie die Zeiten der Unsicherheit nutzen können. Indem sie weiter Angst und Hass schüren, um Menschen zu sich zu treiben.

Und sollten sie das tatsächlich schaffen, sieht es für uns Jugendliche finster aus. Was noch mehr und offener Rassismus für nichtweiße Jugendliche bedeutet, muss man gar nicht erst ausführen, aber auch darüber hinaus ist mit Einigem zu rechnen. So greifen Rechte auch massiv in jedes einzelne Leben ein. Sie propagieren die bürgerliche Kleinfamilie mit der fürsorglichen und aufopfernden Mutter, dem strengen, gerechten Vater, der als allmächtiger Patriarch über die Familie verfügt und ihren braven weißen Kindern. Platz für abweichende Geschlechtsidentitäten, Sexualitäten oder schlicht und einfach Jugendliche mit einem eigenen Willen ist hier nicht.

Die finanzielle und rechtliche Abhängigkeit Jugendlicher von den Eltern und von Frauen gegenüber ihren Ehemännern ist für sie begrüßenswert und alles was sie schmälern könnte, lehnen sie ab. Sie versuchen uns Rollenbilder aufzuzwingen und all die bereits erkämpften Fortschritte wieder einzustampfen.

Auch die Krise selbst, für die die Rechten keine Lösung haben, trifft uns als Jugendliche besonders hart. Bildung ist das Erste, an dem gespart wird und auch die Jugendarbeitslosigkeit liegt meist noch deutlich über dem Durchschnitt. Azubis und studentische Hilfskräfte sind die ersten, die gefeuert werden und dadurch auch oft gezwungen, zu ihren Eltern zurückzuziehen oder gar nicht erst auszuziehen. So können sie sich nicht frei entfalten und ins selbständige Leben übergehen. All das sind Konsequenzen von Krise, Kapitalismus und Rechtsruck und sie treffen uns alle. Deswegen müssen wir uns auch alle kollektiv dagegen wehren!

Geht auf die Gegenkundgebungen und beteiligt euch an Aktionen rund um den 13.2., um den Nazis zu zeigen, dass wir ihnen ihren Opfermythos nicht abnehmen. Zur Vorbereitung darauf findet morgen (4.2.) um 16 Uhr ein Demotraining in Dresden (Zentralwerk, Riesaer Str. 32) von uns statt!

Aber lasst es nicht dabei! Wir müssen auch selbst Perspektiven aufzeigen und eine internationale Bewegung als Antwort auf die Krise aufbauen. Wir müssen uns organisieren, an Schulen, Unis und Betrieben. Antirassistische Komitees gründen, uns kollektiv selbst schützen und Nazis keinen Raum mehr lassen, auf der Straße oder anderswo. Wir müssen ankämpfen gegen Sparmaßnahmen in der Bildung und im Sozialen. Nicht wir sollten die Krise zahlen, sondern die, die an ihr noch reicher geworden sind! Gegen sexuelle Unterdrückung und für die körperliche Selbstbestimmung aller! Gegen aufgezwungene Rollenbilder, unausweichliche Ausbeutung und unfreiwillige Abhängigkeit von einer Familie, die man sich nicht selbst ausgesucht hat!




Hamburger Bildungspläne – mehr Leistungsdruck und größere Klassen

Wir alle kennen das Problem: Die Klassen sind zu groß, die Lehrkräfte völlig überfordert und wir kommen im Unterricht nicht mit. Der Leistungsdruck ist zu hoch, wir haben kaum freie Zeit und selbst in den Ferien müssen wir lernen – kurzgesagt ist die Situation für Schüler_innen und Lehrkräfte sehr prekär und niemand ist so richtig zufrieden.

Die Hamburger Schulbehörde hat im März 2022 den ersten Entwurf für neue Bildungspläne, die wohl die nächsten 10 Jahre gelten sollen, erstellt. Am 19.12.2022 sollen diese veröffentlicht werden und ab dem nächsten Schuljahr für die Oberstufe gelten. Die Pläne sind ein Versuch, das Hamburger Schulsystem an ein nationales Zentralabitur anzugleichen. Ziel ist, national einheitliche Standards zu haben, mit denen die zukünftigen Arbeiter_innen bewertet werden sollen.

Was hat es mit den Plänen auf sich?

Es sollen mehr Inhalte gelehrt werden und es soll in allen Fächern mehr Klausuren geben, die dann auch noch mehr zählen – richtig: mehr Leistungsdruck! Anstatt zu überlegen, wie der Leistungsdruck verringert werden kann, sollen wir unter noch schlechteren Bedingungen lernen. Das bedeutet mehr Zeit, die wir zuhause lernen müssen und weniger individuelles Eingehen der Lehrkräfte auf Probleme der Schüler_innen. Gerade Diskriminierte Jugendliche oder Jugendliche aus Arbeiter_innenfamilien werden darunter leiden. Unsere Eltern haben jetzt schon nicht genug Zeit, uns zu unterstützen; ab dem nächsten Schuljahr wird das aber noch stärker. Die Soziale Auslese steigt also weiter ins unermessliche.

Was können wir dagegen tun?

Dass das, was die Schulbehörde vorschlägt, keine Verbesserungen bringt, ist vollkommen offensichtlich. Es zeigt sich auch, dass diejenigen, die das entscheiden, keine Ahnung haben, wie es uns Schüler_innen geht oder unsere Lage ignorieren! Wir wissen selber, was für uns am Besten ist. Wir müssen mitbestimmen können und nicht zusehen, was die Behörde als nächstes vor hat!

Wir müssen gegen diese Pläne aktiv werden. Wir müssen uns als Schüler_innen gemeinsam mit Lehrkräften organisieren und gemeinsam zeigen, dass wir das nicht mitmachen werden!

Am 14.01.2023 wollen wir uns treffen und gemeinsam überlegen, wie wir diese Pläne aufhalten können. Kommt auch zu Aktionen, wie am 19.12. um 16 Uhr am Hachmannplatz, um gegen diese Pläne und für echte Mitbestimmung von uns Schüler_innen zu kämpfen!

Wir fordern:

  • Stoppt die Bildungspläne! Weniger Prüfungen, kleinere Klassen und mehr Zeit für individuelle Themen, statt noch mehr Leistungsdruck!
  • Echte Mitbestimmung: Statt einer beratenden Instanz, muss die Schüler_innenvertretung unsere Interessen in Abstimmungen und Entscheidungen vertreten können!
  • Für eine Gewerkschaft der Schüler_innen! Wir können uns nicht mehr gefallen lassen, dass wir nichts gegen Politik gegen uns tun können! Für das Recht zu streiken!



Inflation und politische Krise in der Türkei

Von Jonathan Frühling

Die Türkei ist ein Land mit 85 Millionen Einwohner_Innen und einem BIP von 850 Mrd. (ca. ein Drittel von Deutschland). Durch seine Lage zwischen dem Nahen Osten und Europa hat es neben seinem wirtschaftlichen Gewicht auch geopolitische Bedeutung. Außerdem ist das Land Teil der NATO und hat sogar die zweitgrößte Nato-Armee. Zuletzt hat die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte jedoch mit einer offiziellen Inflation von 80 % ein vorläufiges Ende gefunden. Wie kam es zur Krise in der Türkei und wie kann sie gestoppt werden?

Politische Entwicklung

Mit der AKP und Recip Tayyip Erdogan kam 2003 eine rechte, muslimische Partei an die Macht. Die nächsten Jahre waren von einer liberalen wirtschaftlichen Entwicklung geprägt, die sogar das Entstehen einer großen Mittelschicht ermöglichte. Allerdings erfolgten auch Privatisierungen und insgesamt eine Verschlechterung der Lage der Lohnabhängigen. 2013 hat das zu den großen Gezi-Protesten geführt, die sich gegen Verdrängung und die Regierung insgesamt richteten. Diese wurden jedoch blutig niedergeschlagen.

Die Türkei ist zwar nicht faschistisch, hat sich innenpolitisch jedoch immer mehr zu einer neoliberalen Diktatur entwickelt. Seit 2016 wurde ein brutaler Krieg gegen das kurdische Volk im Südosten des Landes geführt, um deren Autonomiebestrebungen zu zerstören. Schon seit der Gründung der kapitalistischen Türkei wurden die Kurd_Innen, die größte Minderheit im Land, massiv unterdrückt. Diese Politik, die sie zu Bürger_Innen zweiter Klasse machte, führte erst zum Kampf gegen den türkischen Staat und schließlich um Autonomiegebiete. Erdogan unterdrückte diesen Kampf mit besonderer Härte. Die Pressefreiheit ist mittlerweile eine der niedrigsten der Welt. Trotzdem hatte Erdogan in der Mehrheitsgesellschaft immer ein recht gutes Ansehen, was er aber nun zu verlieren scheint: In den Umfragewerten steht die AKP bei 30 %, was einen Verlust von über 13 % darstellt. Sie hat also bereits einen Teil ihrer früheren Basis verloren und schafft es immer weniger die Interessen der verschiedenen Kapitalfraktionen zu vereinen. Ihr Koalitionspartner, die faschistische MHP, liegt bei 7 Prozent und würde damit sogar den Einzug ins Parlament verpassen. Am 18. Juni 2023 werden die nächsten Parlamentswahlen in der Türkei abgehalten. Die aussichtsreichste Oppositionspartei ist allerdings die bürgerliche CHP, die die Kriege im Aus- und Inland, sowie jegliche neoliberale Reform im Inneren unterstützt hat.

Die Wirtschaft der Türkei

Die Türkei war lange Zeit eines der Länder mit einem großen Wirtschaftswachstum. Zum Teil nutzlose Infrastrukturprojekte haben zwar kurzfristig die Wirtschaft angekurbelt, jedoch auch Staatkassen belastet, sodass die Verschuldung von 2005 bis 2021 von 175 Mrd. auf 435 Mrd. (41,6 % des BIP) gestiegen ist. Die wichtigsten Industriesektoren sind die Textilindustrie, die Automobilindustrie, sowie die chemische Industrie, der Maschinenbau und die Elektronikbranche. Im Dienstleistungssektor, der ca. 50% der Wirtschaft ausmacht, ist vor allem die Tourismusbranche zu nennen. Weitreichende Privatisierungen im öffentlichen Sektor (z.B. im Gesundheitsbereich) haben in den letzten Jahren zu einer Verschlechterung der Leistungen und der Arbeitsbedingungen in diesem Sektor geführt. Das Wachstum des BIP wird für die nächsten Jahre nur noch auf ca. 3 % geschätzt.

Inflation

Im August 2021 begann die Inflation in die Höhe zu schnellen. Da Erdogan eine Rezession befürchtete, hatte er den Leitzins (Zinssatz bei dem sich Banken bei der Zentralbank Geld leihen können) nicht gehoben. Das Kalkül ging allerdings nicht auf und die Inflation stieg in der Folge bis zum August 2022 auf offiziell 80%. Grund dafür ist u.a. auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Der Hauptgrund der Inflation ist allerdings die schwache Landeswährung Lira, die dafür sorgt, dass Importe (z.B. von Nahrungsmitteln und Energie) deutlich teuer werden.

Die Erhöhung des Mindestlohns auf umgerechnet ca. 300 € kann die Verarmung der Bevölkerung nicht aufhalten. Über 20 % leben heute unter der Armutsgrenze und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 50 %.

Außenpolitik

Die Außenpolitik der Türkei ist davon geprägt, pro-kurdische Kräfte zu bekämpfen. Z.B. bereitet die Türkei gerade einen fünften (!) Krieg gegen die kurdischen Autonomiegebiete Rojava in Nordsyrien vor. Auch im Irak ist die Türkei einmarschiert und bombardiert regelmäßig kurdische Dörfer, um die pro-kurdische Partei PKK zu bekämpfen.

Zwar ist die Türkei in der NATO, hat aber Konflikte mit einzelnen Staaten, wie z.B. den USA, die die Kurd_Innen in Syrien gegen den IS unterstützen. Außerdem besteht eine lange Feindschaft mit Griechenland über die Herrschaft über diverse Inseln, aber auch um das Recht auf Gasbohrungen im Mittelmeerraum. Dies führte bereits in diesem Jahr fast zum Krieg zwischen den beiden NATO-Staaten. Mit Russlands Unterstützung des Assad-Regimes besteht zwar in Syrien ein Interessenkonflikt, allerdings ist es auch ein wichtiger Handelspartner, weshalb die Türkei stets um einen Ausgleich bemüht ist. Insgesamt versucht die Türkei ihre wirtschaftlichen Probleme militärisch mit einer aggressiven Außenpolitik in Syrien, Libyen oder als „Türsteher“ Europas auszugleichen. Gleichzeitig mit dem Hass auf das kurdische Volk, und angeblichem innerem „Terror“ den sie der PKK zu schieben. Das hilft Angst in der Bevölkerung vor den äußeren und inneren „Feinden“ zu schüren, um vor den tatsächlichen Problemen und ihren Ursachen abzulenken.

Widerstand

Gewerkschaftlicher Widerstand gegen die Politik der Regierung fiel abgesehen von den Gezi-Protesten 2013 leider eher schwach aus, da die Gewerkschaften traditionell sehr mitgliederschwach sind. Nur 9,2% der arbeitenden Menschen sind überhaupt organisiert und kaum 3 % arbeiten unter Tarifbedingungen. Anfang 2022 gab es allerdings Streiks in der Metall- und Elektroindustrie von drei Gewerkschaften. Auch Essenslieferant_Innen, Textilarbeiter_Innen und Angestellte im Gesundheitssektor haben 2022 gestreikt (teilweise mehrfach) und somit den Lohnabhängigen den Weg in den Kampf gewiesen. Dieser rasante Anstieg von Streiks 2022 hat auch zu massenhaften Eintritten in die Gewerkschaften geführt.

Die Schwäche der Regierung und die anstehenden Wahlen sind eine gute Möglichkeit, die Belange der Arbeiter_Innenklasse in den Fokus der Politik zu rücken und den Kampf gegen die kapitalistische Grundlage der Regierung populär zu machen. Dafür müssen die Gewerkschaften jedoch koordiniert auftreten. Sie müssen sich zu einem Aktionsbündnis gegen die Preissteigerungen zusammenschließen. Nur so kann die Arbeiter_Innenklasse zu einem politischen Machtfaktor werden, der Unentschlossene anzieht und der Regierung die Stirn bieten kann.  

Sie muss auch Forderungen, wie die Verstaatlichung des Gesundheitssektors aufstellen, um die Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern.

Aus einer solchen Bewegung müsste aber auch eine revolutionäre Partei entstehen. Die HDP kann als eine reformistische Partei eine solche Rolle nicht einnehmen. Mit ihre Forderungen nach einer teilweisen Integration der kurdischen Bewegung in den türkischen Staat und begrenzten sozialen Reformen können die Probleme der Wirtschaft und Gesellschaft nicht behoben werden. Nur eine antikapitalistische Revolution kann den wirtschaftlichen Verfall der Türkei noch aufhalten.

  • Für einen Generalstreik gegen Krieg und Inflation, angeleitet von den Gewerkschaften und Arbeiter_Innenkommitees in den Betrieben!
  • Gegen das Verbot von PKK, HDP und gegen jegliche Diskriminierung des kurdischen Volkes, für ein Recht auf autonome kurdische Gebiete!
  • Für die Enteignung aller Betriebe und hohen Vermögen unter Kontrolle von Arbeiter_Innenkommitees, Stopp sinnloser und verschwenderischer Infrastrukturprojekte!
  • Für eine gleitende Lohnskala angepasst an die Inflation und eine Erhöhung von Mindestlohn und Arbeitslosengeld unter Kontrolle der türkischen und kurdischen Arbeiter_Innen!
  • Für die Streichung aller Schulden der Türkei an das Ausland!
  • Für den Austritt der Türkei aus der NATO, gegen jede Militärunterstützung im Kampf gegen Rojava von Deutschland (insbesondere Waffen- und Panzerlieferungen)!
  • Für eine revolutionären Aufstand der Arbeiter_Innen und Bäuer_Innen der Türkei und Kurdistans und den Sturz des reaktionären Erdogan-Regimes!






Grundlagen des Marxismus: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Wert und Preis?

Durch die Inflation steigen momentan die Preise für viele Gebrauchsgegenstände des alltäglichen Lebens, vor allem aber für Heizkosten und Sprit. Wir möchten in diesem Artikel die Grundlagen der Marx’schen Werttheorie erklären, und damit aufdecken, wo der Wert einer Ware herkommt und wie Wert und Preis zusammenhängen. Dazu fangen wir damit an zu klären, was eine Ware überhaupt ist.

Eine Ware entsteht nicht einfach aus dem Nichts. Zuerst muss ein Produkt durch Arbeit gefertigt werden. Aber ein Produkt ist nicht automatisch eine Ware, denn dafür muss es zwei Voraussetzungen erfüllen: Es muss einen Gebrauchswert für andere haben, das heißt, seine Funktion muss die Bedürfnisse eines anderen Menschen erfüllen und einen Nutzen haben. Der Gebrauchswert hängt stark von den physischen Eigenschaften des Produkts ab. So ist der Gebrauchswert eines Stuhles beispielsweise, dass man sich daraufsetzen kann, oder die eines Tisches, dass man darauf Dinge abstellen kann. Der Gebrauchswert kann jedoch von Individuum zu Individuum unterschiedlich sein. So hat beispielsweise eine Zigarette einen Gebrauchswert für Raucher:innen, für Nicht-Raucher:innen hingegen keinen. Die zweite Voraussetzung, die ein Produkt erfüllen muss, um als Ware zu gelten ist, dass das es anderen im Austausch übertragen werden muss. Damit ein Gebrauchswert eine Ware werden kann, muss er Gebrauchswert für einen anderen sein. Dafür muss ein Markt existieren, auf dem das Produkt im Austausch gegen andere Güter gehandelt wird.

Tausch von Produkten oder Wissen erfolgte zwar schon sehr früh in der Geschichte der Menschheit, aber lange nur zufällig, und ohne in die Arbeitsteilung der Gemeinschaft einzugehen. Erst als diese begann, mehr zu produzieren, als sie selbst verbrauchte, wurde die Produktion von Waren wichtiger, auch wenn sie noch lange einen untergeordneten Aspekt darstellte. Doch nur so konnte sich überhaupt erst der Tausch entwickeln, in dem das Mehrprodukt als Waren gehandelt werden konnte.

Für den Tausch braucht die Ware einen Maßstab, damit eine Person weiß, in welchem Verhältnis die Waren zueinander getauscht werden können. Paradoxerweise hängt dieser Tauschwert nicht quantitativ von dem Gebrauchswert ab. So hat zum Beispiel Brot einen hohen Gebrauchswert, jedoch häufig einen niedrigen Tauschwert, während beispielsweise ein Diamant nicht sehr nützlich ist, aber oft einen hohen Tauschwert besitzt. Marx vertritt die Arbeitswerttheorie, laut derer der Tauschwert einer Ware die Erscheinungsform ihres Werts ist. Letzterer entsteht durch die in sie investierte Arbeitszeit: Je mehr Arbeit die Herstellung einer Ware braucht, desto höher ist ihr Wert. Dabei muss aber der gesamtgesellschaftliche Durchschnitt beachtet werden, nicht die Herstellungszeit individueller Personen. Wenn Person A einen Stuhl derselben Qualität und aus dem gleichen Material in einer Stunde herstellt, Person B jedoch 3 Stunden dafür benötigt, bedeutet das nicht, dass der Stuhl von Person B wertvoller ist, nur weil sie länger gebraucht hat, um dasselbe Ergebnis zu erzielen.

Der Wert einer Ware wird also durch die zur ihrer Herstellung notwendige Menge an gesellschaftlich durchschnittlicher Arbeit bestimmt. Dies schließt auch die für die Arbeit nötigen Materialien und Werkzeuge ein. Die Werkzeuge wurden ja vorher selbst durch Arbeit geschaffen, auch wenn nicht zwingend durch dieselbe arbeitende Person. Genauso wurden die für die Produktion der Ware notwendigen Rohmaterialien vorher durch Menschen gefördert, vorverarbeitet und transportiert. Das bedeutet, dass in den Werkzeugen und Materialien schon Arbeit vergegenständlicht ist, sie also schon einen Wert besitzen müssen. Dieser Wert geht im Produktionsprozess anteilig auf die neue Ware über.

Wenn wir heutzutage eine Ware erwerben möchten, tun wir dies aber meistens nicht durch den Austausch mit anderen Waren, sondern nutzen dafür Geld. Wenn der Tauschwert einer Ware in Geld ausgedrückt wird, so stellt das den Preis da.

Jedoch sind Wert und Preis nicht dasselbe. Letzterer kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. So ist er auch abhängig von Angebot und Nachfrage. Das ist das Problem, das wir momentan mit den Energiepreisen haben. Durch den Krieg und ausbleibende Gaslieferung erhöht sich der Preis, da weniger Gas zur Verfügung steht, aber die Nachfrage in etwa gleichbleibend. Das treibt den Preis in die Höhe. Da jede Produktion dadurch höhere Kosten hat, erhöht sich der Kostpreis der Kapitalist:innen, die dadurch niedrigere Profite einfahren. Deswegen steigern Sie den Preis, den wir letzten Endes im Laden bezahlen. Viele Kapitalist:innen nutzen diesen Vorwand aber auch aus, indem sie die Preise nicht nur um die Differenz zu Ihrem neuen Kostpreis erhöhen, sondern um ein Vielfaches dessen, um zusätzlichen Profit zu machen („Übergewinn“). Der Wert der Waren ist aber, solange es sich bei den veränderten Weltmarktpreisen nur um vorübergehende Schwankungen handelt, die ganze Zeit gleich geblieben, da die Arbeiter:Innen, die die Waren produziert haben, ja immer noch genau so lange brauchen wie vorher. Würden jedoch wichtige Rohstoffe für die Energieerzeugung dauerhaft teurer werden, würde sich letztlich auch der Wert der Waren erhöhen, weil Erdgas zum Beispiel sehr aufwändig aus Katar oder den USA nach Europa geschifft wird, anstatt durch die Pipeline aus Russland zu kommen.




Was bringt es, Schülersprecher_In zu werden?

Von Lia Malinovski

Neues Schuljahr, neue Schulsprecher_Innenwahlen und verändern wird sich sowie nichts? Die Mitbestimmungsrechte in der Schule durch Klassen-, Schulsprecher_Innenwahlen und das Recht Vollversammlungen einzuberufen wurden sich von Schüler_Innen hart erkämpft. Statt echter Mitbestimmung wurde die schulische Mitbestimmung durch Organe der Schüler_Innen jedoch nur zur Integration und Vorbereitung auf die parlamentarisch-repräsentative Demokratie umgestaltet. Kurz gesagt wurde aus echter Mitbestimmung ein bürokratisches Pseudo-System ohne wirkliches Mitbestimmungsrecht. Das sieht man besonders daran, dass vor jede Entscheidung durch die Schüler_Innenvertretung, die der Schulleitung nicht passt, ein Riegel geschoben wird und die Durchsetzung durch scheinheilige Gründe plötzlich nicht mehr geht. Zudem passieren die Wahlen meistens nach Beliebtheit und schon im Voraus ist klar, dass ein Großteil der Ideen eh nicht umgesetzt wird.

Aber warum treten wir dann zur Schüler_Innensprecherwahl an?

Als Kommunist_Innen haben wir keine Illusionen in das pseudodemokratische Mitbestimmungssystem an den Schulen. Jedoch wurde dieses System von Schüler_Innen wie uns erkämpft und wir können und sollten es nutzen, um die Schule zu politisieren und revolutionäre Positionen an die Leute zu bringen. Oft wird so getan, als wäre die Schule ein unpolitischer oder politisch neutraler Ort, der nichts mit der politischen Außenwelt zu tun hat. Die Realität widerlegt diese These: Wer auf welche Schule geht, wer Abitur macht und unter welchen Bedingungen, welche Inhalte gelehrt werden usw. ist sehr stark davon abhängig, aus welcher (sozialen) Klasse man kommt. Kinder von Arbeiter_Innen und Migrant_Innen sind stark benachteiligt, während Kinder von Kapitalist_Innen große Vorteile haben, bessere Bildung bekommen und mehr Möglichkeiten der Selbstbestimmung und Selbstentfaltung haben. Die Schule spiegelt also die Klassengesellschaft wider, und das auch mit allen anderen negativen Facetten: Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit usw. sind bittere Normalität. Uns zeigt das, dass wir noch viel zu erkämpfen haben.

Wie machen wir das also?

Wir müssen die Probleme an den Schulen aufzeigen. Wir müssen unsere Mitschüler_Innen dafür sensibilisieren, dass die Schule entgegen dem Gelaber unserer Lehrer_Innen ein politischer Ort ist. Ein Mittel neben vielen dafür können die Wahlen der Schüler_Innenvertretung sein. Durch Wahlkampf und Vollversammlungen – sofern es sowas gibt – haben wir ein Podium zur Verfügung, in dem wir unsere Positionen darlegen können und die Probleme an den Schulen und im Schulsystem benennen können. In vielen Bundesländern gibt es das Recht für die Schüler_Innenvertretung, für alle Schüler_Innen (ihre Mehrzahl) verpflichtende Versammlungen ausrufen zu können, bei denen der Unterricht wegfällt und bei denen das Programm dieser Versammlungen durch die Schüler_Innenvertretung bestimmt wird. Dies nennt man eine Vollversammlung. Solche Plattformen können ebenfalls als Diskussionsplattform genutzt werden und Schüler_Innen eine Stimme bieten, die sie sonst nicht haben. So kann eine revolutionäre Schüler_Innenvertretung die Schule politisieren. Ihr erster Schritt könnte die Organisierung des Kampfes für wirkliche Verbesserungen sein. Aber nur ein erster Schritt, denn Diskussionen und das Aufstellen von Forderungen in Vollversammlungen und der Schüler_Innenvertretung ändern ja noch nichts am aktuellen Zustand.

All das reicht doch noch nicht, um etwas zu verändern, oder?

Als Jugendliche müssen wir uns dort organisieren, wo wir uns täglich aufhalten. Mit verschiedenen Aktionsformen können wir das System unter Druck setzen und unseren Forderungen Gehör verschaffen. Wir können mit Flyern, Flugblättern oder linken Schüler_Innenzeitungen die Probleme benennen und Wege aufzeigen, diese zu bekämpfen. Mit Kundgebungen oder Demonstrationen können wir ein größeres Publikum, auch außerhalb der Schulen, erreichen und auch hier unsere Forderungen verbreiten. Mit genug Masse können schon solche Aktionen kleine Verbesserungen schaffen. Letztlich gibt uns das Mittel des Schulboykotts oder -streiks die Möglichkeit, durch direkte Aktion und Sabotage des täglichen Ablaufes, das System unter Druck zu setzen und wirkliche Verbesserungen zu erkämpfen.

Nicht alle Aktionsformen ergeben zu jeder Zeit Sinn. Und bevor wir über Blockaden oder Boykotte reden können, müssen wir die Schüler_Innen und die Schule politisieren. Bevor wir direkte Aktionen zur Verbesserung durchführen können, müssen wir unsere aktuellen Möglichkeiten ausschöpfen. Es ist anstrengend und macht oft keinen Spaß, mit Mitschüler_Innen über Politik zu diskutieren. Aber wir haben keine andere Wahl. Und es ist auch möglich Erfolg zu haben. Beispielsweise haben erst im September beim letzten großen Klimastreik Schüler_Innen in Darmstadt auf ihre Schule eine eintägige Besetzung mit Streikposten errichtet. Das zeigt doch, dass nichts unmöglich ist.

Deswegen rufen wir zur Beteiligung an den Schülersprecher_Innenwahlen auf. Politisiert eure Schulen, tragt aktuelle, revolutionäre Forderungen in die Schulen und lasst die Schüler_Innen darüber diskutieren!

Mit Glück schafft ihr es sogar, in die Schüler_Innenvertretung zu kommen und habt Möglichkeiten, Mitbestimmung und Freiräume für Schüler_Innen zu erkämpfen. Und selbst wenn nicht – es wird immer Leute geben, die eure Positionen gut fanden oder darüber diskutieren wollen. Ladet sie zu Treffen ein oder organisiert Diskussionsrunden! Gründet ein Aktionskomitee an der Schule!

Wir treten zur Schülersprecher_Innenwahl mit diesen Forderungen an. Ergänzt sie und wendet sie an eure eigenen Schulen an! Ihr wisst am besten, was passieren muss:

  • Für Unabhängigkeit von Staat und bürgerlicher Familie: 1200€ Grundeinkommen für Schüler_Innen auf Staat sein Nacken!!
  • Lehrmittelfreiheit! Schulbücher, Hefte, Stifte und digitale Endgeräte müssen kostenlos für alle sein!
  • Schluss mit den privatisierten Mensen mit Dreckessen! Alle Mensen in öffentliche Hand und Kontrolle über das Angebot und die Preise der Mensa durch Schüler_Innen und Lehrer_Innen.
  • Einen Raum, der den Schüler_nnen zur freien Gestaltung und Nutzung in der Freizeit zur Verfügung steht und finanzielle Mittel, um diesen nach Wunsch auszustatten
  • Eine wähl- und abwählbare (!) Meldestelle für Vorfälle von Diskriminierung
  • Investitionen in unsere Bildung – Holt das Geld vom Militär und von den Reichen her!



Warum der Ukrainekrieg in Afrika eine Hungerkrise auslöst

Von Jona Everdeen

Wir alle haben schon mitbekommen, dass die Preise für Lebensmittel in Folge der aktuellen Krise immer weiter angestiegen sind und dass ein Ende aufgrund der zunehmenden Inflation noch nicht in Sicht ist. Für uns als Arbeiter_Innen und als Jugendliche ist das ein großes Problem, da wir uns vieles, was früher zu unseren Grundnahrungsmitteln gehörte, so zum Beispiel den Döner in der Mittagspause, nicht mehr leisten können und für viele Familien besteht die reale Gefahr, in diesem Winter teilweise hungern zu müssen. Doch auch wenn die Lage hier in Europa ernst ist, sind diese Probleme im Vergleich zu den katastrophalen Folgen der Krise für die Ernährung im globalen Süden noch relativ überschaubar. Ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine und verstärkt durch die Klimakrise, die auch in Afrika für eine Dürreperiode sorgte, droht vielen Menschen eine katastrophale Hungerkrise. Doch wie konnte es soweit kommen?

Was ist eine Hungerkrise?

Von einer Hungerkrise kann man dann sprechen, wenn signifikante Teile der Bevölkerung eines Landes oder einer Region nicht mehr in der Lage sind, ausreichend Nahrung zu sich zu nehmen, weil diese entweder nicht verfügbar oder nicht bezahlbar ist. Menschen sind dann akut von Unterernährung betroffen und vom Hungertod bedroht. Traditionell waren und sind Hungerkrisen meist das Resultat von Kriegen oder schweren Naturkatastrophen vor Ort, doch in der Welt des globalisierten Imperialismus können auch externe Einflüsse für Länder im globalen Süden katastrophale Folgen haben, so wie in diesem Fall die russische Invasion auf die Ukraine und der daraus resultierende Krieg.

Was hat der Ukrainekrieg damit zu tun?

Russland und die Ukraine sind weltweit die beiden größten Exporteure für Getreide. Zusammen stellen sie ein Drittel der Weizen- und Gerstenproduktion, also von Grundnahrungsmitteln, die vor allem für Länder ohne eigene Produktion unverzichtbar sind. Gleichzeitig ist Russland auch noch der weltweit größte Exporteur für in der Landwirtschaft benötigte Düngemittel.

Nun konnten jedoch große Teile der ukrainischen Ernte durch die Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen nicht exportiert werden, während gleichzeitig die Ausfuhr russischer Lebens- und Düngemittel von westlichen Sanktionen erschwert wird. Durch diese verfahrene Situation entsteht eine Verknappung, wodurch die Preise für Lebensmittel massiv in die Höhe geschnellt sind. Und auch wenn sich die Situation der ukrainischen Getreideexporte inzwischen etwas entspannt hat, bleibt die Lage extrem kritisch.

Doch dabei stellt sich vor allem eine Frage: Warum sind Länder im globalen Süden, vor allem in Afrika, von Lebensmittelexporten aus Russland und der Ukraine abhängig, obwohl es dort doch auch jahrhundertelang gut funktionierende Landwirtschaft gab? Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie bitter: Imperialismus.

Was war nochmal Imperialismus?

Imperialismus bedeutet, in sehr verkürzter Darstellung, die wirtschaftliche Unterwerfung eines Landes durch das Kapital eines (oder mehrerer) anderer Länder. Man spricht dann davon, dass das wirtschaftlich abhängige Land eine Halbkolonie des anderen Landes ist.

Viele Länder des globalen Südens sind in irgendeiner Form von eben dieser imperialistischen Ausbeutung durch Länder des globalen Nordens betroffen. Konzerne aus imperialistischen Ländern wie den USA, der EU, China auch Russland kontrollieren de facto die Wirtschaft des jeweiligen Landes und passen sie mittels ökonomischer Zwänge, vor allem Verschuldung und Handelsabkommen, ihren Bedürfnissen an.

Die beiden wohl wichtigsten Arten imperialistischer Ausbeutung sind einmal die Schaffung eines billigen Absatzmarktes für Produkte aus der Produktion des imperialistischen Staates und andererseits die Ausbeutung der Ressourcen des halbkolonialen Staates.

Und genau das sind die Gründe warum viele Staaten des globalen Südens so stark von Lebensmittelimporten abhängig sind: Einerseits wurde in vielen Regionen des globalen Südens bereits zur Kolonialzeit die lokale Landwirtschaft durch Monokulturen von im globalen Norden nicht verfügbaren pflanzlichen Ressourcen ersetzt, so zum Beispiel Zuckerrohr, Kaffee oder Ölpalmen. Andererseits werden die Lebensmittelmärkte der betroffenen Länder von wesentlich günstigeren Produkten aus der Produktion von Konzernen des globalen Nordens überschwemmt. Durch Handelsabkommen mit entsprechenden Knebelverträgen sichern sich imperialistische Länder die optimalen Bedingungen für den Export und Verkauf ihrer Produkte in der halbkolonialen Welt und verhindern deren eigenständige und profitable Produktion.

Konsequenzen:

Das Resultat dieser Praxis ist dann unter anderem, dass in den fruchtbarsten Regionen Kenias zu großen Teilen keine Lebensmittel für die Bevölkerung vor Ort angebaut werden, sondern hier stattdessen Zierpflanzen für den westlichen Blumenmarkt wachsen, da die Klima- und Lohnbedingungen den Blumenkonzernen besonders hohe Profite versprechen.

Und selbst wenn doch Lebensmittel von westlichen Großkonzernen in Afrika produziert werden, werden diese nur selten auf dem lokalen Markt verkauft, sondern meist nach Europa, Nordamerika oder China verschifft und auf den dortigen Märkten profitabel verkauft. Dadurch, dass sie großenteils für internationale und nicht für den eigenen Markt produzieren, sind Länder im globalen Süden und vor allem in Afrika, unglaublich stark abhängig vom Weltmarkt. Ist die ökonomische Lage gerade schlecht, bricht einerseits der Absatzmarkt für viele Produkte, wie eben Blumen, Kaffee und ähnliches, ein, andererseits werden die notwendigen Importe von Grundnahrungsmitteln und anderen essentiellen Gütern teurer.

Manche Länder des globalen Südens versuchen, um der Ausbeutung durch die imperialistischen Westmächte zu umgehen, neue Bündnisse mit China oder Russland zu schmieden, so zum Beispiel Sambia mit China oder die Zentralafrikanische Republik mit Russland, jedoch ist auch dies keine Lösung. Zwar gelingt es den Ländern dadurch die Beherrschung durch die westlichen Imperialisten abzuschütteln oder zumindest zu verringern, dafür werden sie nun zu Halbkolonien der nicht weniger ausbeuterischen östlichen Imperialisten.

Zusätzliche Faktoren für die Krise sind auch noch einerseits die Klimakrise, an deren Entstehung die Länder des globalen Südens kaum beteiligt waren, von der sie jedoch bereits jetzt extrem stark in Form von Dürreperioden betroffen sind. Andererseits aber auch die extreme Abhängigkeit der noch existierenden regionalen Landwirtschaft von Großkonzernen, die ein Monopol auf Saatgut und Düngemittel besitzen (so zum Beispiel Bayer/Monsanto). Besonders schwer trifft diese Abhängigkeit zum Beispiel indische Bäuerinnen und Bauern, die sich von Bayer die Kaufpreise für das benötigte Saatgut diktieren lassen müssen, um weiter Landwirtschaft führen zu können. Dies führte in jüngerer Vergangenheit zum Bankrott zigtausender Höfe und einer massiv überproportionalen Suizidrate unter indischen Bäuerinnen und Bauern.

Für eine eigenständige Lebensmittelproduktion unter Arbeiter_Innenkontrolle!

Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Probleme zu lösen und die aktuelle Hungerkrise nachhaltig zu bekämpfen: Die Arbeiter_Innen in halbkolonialen Ländern müssen die Kontrolle über ihre Produktion zurückerkämpfen und diese planwirtschaftlich gestalten, nach dem Prinzip der Bedürfnisbefriedigung und nicht der Profitmaximierung.

Um dies zu erreichen, muss die Macht der imperialistischen Staaten, ihrer Banken und ihrer kapitalistischen Großkonzerne gebrochen werden. Bayer, Monsanto, Nestle und Co. müssen international vertrieben und enteignet werden. Bäuerinnen und Bauern, Arbeiter_Innen, Jugendliche und alle Ausgebeuteten müssen sich zusammenschließen und die meist autokratischen Kollaborationsregierungen zu Fall bringen und durch sozialistische Räteregierungen ersetzen. Diesen Bewegungen müssen wir uns mit unseren lokalen Antikrisenbewegungen anschließen und unsere Kämpfe zusammenführen!

Im Moment werden genug Nahrungsmittel produziert, um damit 10 Milliarden Menschen zu versorgen. Dass es zu Hunger kommt, dass immer noch Millionen Menschen unterernährt und vom Hungertod bedroht sind, und dass sich diese Zahl bald massiv erhöhen könnte, ist keine Folge von realem Ressourcenmangel, es ist eine Folge der kapitalistischen Eigentumsordnung, eine Folge des Systems, in dem tonnenweise essbare Lebensmittel eher vernichtet werden, als sie unter dem Marktpreis zu verkaufen. Wenn wir wirklich den Welthunger ein für alle mal beseitigen wollen, dann ist es unsere einzige Möglichkeit dieses System, den Kapitalismus, ein für alle mal zu beseitigen!

Wir sind solidarisch mit den möglichen und teilweise bereits stattfindenden Hungerrevolten, sowie mit allen progressiven antiimperialistischen und sozialistischen Kräften des globalen Südens und fordern deshalb:

  • die Einführung eines Mindestlohns gemessen an den Lebenserhaltungskosten und mit Inflationsbindung für alle Arbeiter_Innen weltweit!
  • die Enteignung der Großkonzerne und die Überführung der Produktionsmittel, sowohl in Landwirtschaft als auch in Bergbau, Industrie und Dienstleistung, in Arbeiter_Innen-Kontrolle!
  • Internationale Handelsabkommen zur Ausbeutung halbkolonialer Länder müssen sofort aufgekündigt werden und imperialistische Länder sich aus deren Märkten zurückziehen!
  • Schluss mit Patenten auf Saatgut und Düngemittel!
  • die sofortige Streichung aller Schulden, die Länder des globalen Südens an westliche, russische oder chinesische Banken binden, sowie die Bereitstellung von Soforthilfen finanziert durch Besteuerung und Enteignung der Profiteure imperialistischer Ausbeutung!