Ben dient dem Kapital: Ein Bundeswehr-Comic als Kriegspropaganda für Jugendliche

Von Erwin Annecke und Erik Likedeeler, REVOLUTION Zeitung, Dezember 2024

Um Jugendliche anzuwerben veröffentlichte das Verteidigungsministerium im September einen Comic mit dem Titel Ben dient Deutschland. Wer jetzt actiongeladene Kampfszenen erwartet, wird enttäuscht. Angepriesen als Comic über „Militärethik“ soll mit der verbrecherischen Vergangenheit Deutschlands aufgeräumt und die aktuelle Aufrüstung gerechtfertigt werden.

Auch du marschierst

Die titelgebende Hauptfigur ist 19 Jahre alt und frisch raus aus der Schule. Auf einen Schreibtischjob hat er „keinen Bock“, also nichts wie ab zur Bundeswehr.

In der Kaserne angekommen steht für Ben ein 10km Marsch mit über 20kg Gepäck auf der Tagesordnung. Körperliche und psychische Qualen werden mit dem Versprechen von „Glückshormonen“ verklärt. Mitten in der Nacht aus dem Bett gerissen, angeschrien und beleidigt zu werden, wird als effektives Mittel zur Motivation verkauft. Soldat:innen müssen schließlich funktionieren, Nachfragen und Kritik sind unerwünscht: „Hirn aus und Füße an!“

Durchgehend wird eine aggressive, emotional abgestumpfte männliche Performance beschworen: In Bens Gedankenwelt entsteht ein Alter Ego in Form eines Roboters. Der Appell an reaktionäre Geschlechterrollen ist offensichtlich vorhanden, wird jedoch oberflächlich verneint. Im Comic wird die Bundeswehr als diverses Umfeld mit verschiedenen Geschlechtern, Ethnien und Hintergründen präsentiert. Gute Nachricht: Auch Frauen können jetzt Führungskräfte bei der Bundeswehr sein! Sogar eine Rekrutin mit iranischem Vornamen wird als Token aufgeführt, denn gelungene Integration bedeutet anscheinend, für Deutschland in den Krieg zu ziehen.

Als zentrale Aspekte der Wehrausbildung werden Kameradschaft und Freundschaft genannt. Doch diese Illusion scheitert an den Zuständen in den realen Kasernen. Dort sind Gruppenzwang, Mobbingrituale und Übergriffe an der Tagesordnung, Frauen, queere Menschen und People of Color sind Repressalien und Erniedrigungen ausgesetzt. Zudem ist die Bundeswehr als Teil der staatlichen Gewalt direkt daran beteiligt, Minderheiten systematisch zu unterdrücken.

Auch du liebst Befehle

In der Kaserne beginnt die Schießausbildung, und Ben merkt, dass der Umgang mit der Waffe ihn von seinem Umfeld entfernt. Hier wird auf die sogenannten Battlefield Ethics verwiesen: Als „gute“ Armee sei die Bundeswehr daran interessiert, ihren Soldat:innen einen Wertekompass mitzugeben. Dass im Rahmen dieser Werte bei jedem Bundeswehreinsatz ungeheure Verbrechen stattfinden, wird als „notwendiges Übel“ heruntergespielt.

Bei der Erprobung von Befehlskette und Disziplin wird suggeriert: Soldat zu sein gehe nur „mit einer Landkarte im Kopf und einem Kompass im Herzen.“ Dass beides von Vorgesetzten definiert wird, bleibt unerwähnt. Die Ermordung von Zivilist:innen, wie US-Soldaten es in Afghanistan taten, sei zwar ein moralisches Dilemma, aber für jedes Dilemma gebe es eine Lösung: „Am Ende machen wir, was befohlen wird“, wie es im Gespräch zwischen Ben und seiner Kameradin heißt. So wird Bens imaginärer Roboter zu einer willenlosen Kampfmaschine voller demokratischer Werte.

Außerdem muss Ben sich der Kritik seiner kleinen Schwester stellen: Mit Peace-Zeichen auf dem Pulli dient sie zunächst als kritische Stimme. Auf ihre Frage, ob er zum Bund gehe, „um ein richtiger Mann zu sein“, hat Ben zunächst keine schlagfertige Antwort parat. Eine ganze Bandbreite sexistischer Stereotype wird auf sie projiziert: Was wisse sie schon, schließlich „versteht sie nichts von Technik“. Die Fähigkeit, sich eine fundierte Meinung zu bilden, wird ihr abgesprochen.

Beim nächsten Treffen muss sie bereits einsehen, dass ihr Bruder sich einer moralischen Sache verschrieben hat: Auf die Frage nach den Gründen für Kriegsverbrechen verweist er ausweichend darauf, dass Befehle eben „rechtmäßig“ sein müssten. Immer seltener muss er sich vor seiner Schwester verteidigen, da sie auch von den Eltern zum Schweigen gebracht wird. Als zickiges, idealistisches Mädchen wird sie im Verlauf der Geschichte dazu genötigt, die Rolle der braven deutschen Frau einzunehmen, die keine Widerworte einlegt und ihren Bruder an der „Heimatfront“ unterstützt.

Auch du darfst wieder stolz sein

Das Perfide an dem Comic ist, dass sich große Mühe gegeben wird, eine vermeintliche Kritik am Militarismus und eine kritische Aufarbeitung der deutschen Geschichte vorzuführen und so einen reflektierten Charakter vorzutäuschen.

Bei der Frage nach Bens Berufswahl ist ein Bezugspunkt entscheidend: Sein Urgroßvater, der sich als Mitglied der Wehrmacht an der Shoah beteiligte. „Fragt sich, was das mit mir zu tun hat“, wundert sich Ben, denn den Faschismus habe die BRD dank vollständiger Demilitarisierung überwunden. Vollkommen ungerechtfertigt sei es, dass eine Mitreisende im Zug sich weigert, neben einem Soldaten in Tarnfleck zu sitzen. Wahrlich niemand hat es so schwer wie die Betroffenen von Bundeswehr-Diskriminierung.

Mag sein, dass einer der Rekruten sich im Verlauf der Handlung nach rechts radikalisiert, aber in der Märchenwelt des Comics stößt dieser auf den Widerstand seiner Kameraden. In der Realität ist die Bundeswehr ein Nährboden für rechtsextreme Kräfte. Diese sind keine Ausnahme, der man mit einem Augenrollen begegnen kann. Im Comic wird durchaus darauf eingegangen, dass Nazi-Floskeln und Sprüche aus dem Kaiserreich in der Kaserne an der Tagesordnung sind; das wird jedoch als lustig gemeinte Hommage normalisiert.

Nur ein Panel später beteiligen sich die Rekruten an einer Kranzniederlegung, um verstorbenen Soldaten der Wehrmacht die Ehre zu erweisen. Um diese Kontinuität zu legitimieren, wird die namenlose Figur eines Rabbis eingefügt. Der Rabbi erzählt Ben von jüdischen Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs für das Deutsche Kaiserreich fielen. Sie hätten zeigen wollen, dass „auch sie Patrioten sind“. Der jüdische Glaube erlaube es im Rahmen der Verteidigung, sich „für eine gerechte Sache“ zur Waffe zu melden. Die Figur des „weisen“ Rabbis hat keine andere Funktion, als deutsche Kriegsanstrengungen zu entschuldigen und die Bundeswehr vom Faschismus freizusprechen. Wenn Ben, wie zuvor sein Nazi-Urgroßvater, unter dem Eisernen Kreuz marschiert, sei das in Ordnung. Schließlich seien auch jüdische Menschen patriotisch. Die Intention ist klar: Deutschland darf endlich wieder Krieg.

Warum wir nicht mitmarschieren

Die mythische Verklärung des Militärs zu einer Institution des Friedens macht diesen Comic zu einem widerlichen Beispiel für den deutschen Zeitgeist. Die Bundeswehr verteidigt nicht die Bevölkerung oder „unsere Freiheit“. Sie schützt das Kapital und damit die imperialistischen Interessen des deutschen Staates. Wenn die BRD sich um Aufrüstung bemüht und rechtspopulistische Propaganda an Jugendliche vermarktet, stehen die Zeichen auf Krieg. Deshalb müssen wir uns entschieden dagegenstellen, als Kanonenfutter für einen Staat zu dienen, der kein Interesse an uns hat. Die Soldat:innen, die sich in Kriegen gegenüberstehen, haben untereinander mehr Gemeinsamkeiten als ihre Herrscher:innen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Arbeiter:innen verschiedener Länder aufeinander gehetzt werden, um die nationale Bourgeoisie zu schützen. Wir müssen uns wehren, wenn Jugendliche wieder einmal als erstes ihr Leben lassen sollen!




EU: Land der Zäune, Seenot und Selbstgerechten.

Von Ener Zink & Felix Ruga, REVOLUTION Zeitung, Dezember 2024

Wenn man die EU fragt, gründet sie sich auf folgende Werte: Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie, Gleichstellung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Und selbstverständlich war das immer ziemlich verlogen, denn die Gründung war vor allem durch wirtschaftliche und imperialistische Interessen getrieben. Doch mit dem wachsenden Rechtsruck in Europa werden auch die letzten Hüllen fallengelassen. Gerade beim Recht auf Asyl verlieren alle Parteien auch die letzten Hemmungen und schließen sich den Rechten an. Was ist also der Stand des Rechtsrucks in Europa? Und was können wir dagegen tun?

Das europäische Asylverweigerungssystem

Im April 2024 wurde die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen, die 2026 in Kraft treten soll. Diese Änderung bedeutet de facto die Abschaffung des Rechts auf Asyl in Europa. Die Reform wird häufig als Maßnahme dargestellt, um die Zahl der Todesfälle im Mittelmeer zu verringern und eine bessere Verteilung von Asylsuchenden innerhalb Europas zu erreichen. Doch das Sterben an den EU-Außengrenzen wird durch gezielte Pushbacks und die Gewalt von Frontex nicht reduziert, sondern verschärft.

Bereits 2016 wurden erste Vorschläge für eine derartige Reform gemacht. Sie stellt die gravierendste Änderung des Asylrechts seit dem Dublin-Abkommen dar. Im Rahmen des neuen Asylverfahrens werden die Zuständigkeiten und Abläufe für Asylsuchende geregelt. Dieses Verfahren umfasst im Wesentlichen drei Phasen: ein Screening, ein Asylgrenzverfahren von bis zu drei Monaten sowie ein Abschiebeverfahren von weiteren drei Monaten. Erst nach Ablauf dieser sechs Monate gelten die Personen als offiziell eingereist. All diese Maßnahmen finden unter Haftbedingungen statt, die nun auch für Familien mit Kindern gelten. Nur alleinreisende Minderjährige sind von diesen Regelungen ausgenommen.

Das verlängerte Antragsprinzip, welches de facto einer schuldlosen Inhaftierung entspricht, dient nicht der tatsächlichen Prüfung der Anträge, sondern schafft vor allem Möglichkeiten für Abschiebungen in sogenannte „sichere Drittstaaten“ außerhalb Europas. Die Anforderungen an die Sicherheit dieser Länder wurden stark herabgesetzt. So gilt die Türkei generell als sicherer Drittstaat, und Deutschland plant, im neuen Abkommen zwischen Olaf Scholz und Erdoğan, Abschiebungen dorthin weiter auszubauen. Darüber, wie sicher die Türkei ist, können Kurd:innen und türkische Linke ein Liedchen singen…

Ähnlich dem umstrittenen britischen Ruanda-Modell wird auch in Deutschland die Haftzeit an Flughäfen (von bisher 12 Wochen) vervierfacht, eventuell auch an anderen Binnengrenzen, in Verbindung mit verschärften Kontrollen an den Außengrenzen. Die Abschiebeverfahren sollen vereinfacht und die Verteilung innerhalb der EU und an „sichere Drittstaaten“ weiter ausgebaut werden. Die Definition von „sicher“ orientiert sich hierbei vor allem an diplomatischen und letztendlich imperialistischen Interessen der EU.

Getragen durch die Politik

Das läuft selbstverständlich nicht ohne eine politische Machtverschiebung ab: Die AfD in Deutschland, Fratelli d’Italia in Italien und der Rassemblement National in Frankreich gewinnen zunehmend an Einfluss. Bei den letzten Europawahlen verzeichneten vor allem die rechten Fraktionen große Zuwächse: Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) gewann vier Sitze, und die Fraktion der Identität und Demokratie (ID) konnte neun zusätzliche Sitze erlangen. Zusammengenommen mit anderen rechten Parteien wie der AfD oder Fidesz, die keiner Fraktion angehören, stellen sie etwa 25 % aller Sitze – etwa so viele wie die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Besonders in den imperialistischen Kernländern Europas, wie Frankreich, Deutschland und Italien sowie in Teilen Osteuropas erzielen diese Kräfte die größten Erfolge.

Aber der wachsende Anteil der offen rechten Kräfte ist nur die eine Hälfte des Problems. Der Rechtsruck in Europa ist Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Krise und nicht nur auf rechtspopulistische Parteien begrenzt. So wie sich hier in Deutschland die FDP, die Grünen und die SPD zunehmend der fremdenfeindlichen Rhetorik anschließen und eine entsprechende Politik betreiben, angeblich mit großem Widerwillen, so ist es auch im restlichen Europa mit den etablierten Parteien. Parolen und Forderungen, die vor 10 Jahren nur von Rechtsextremen laut ausgesprochen wurden, sind mittlerweile überall salonfähig geworden. Nur einige linke Parteien scheinen dabei noch klaren Widerspruch zu leisten.

Warum läuft es momentan so?

Die bürgerliche Politik in der EU wechselt gerade im großen Stil ihre Strategie. Das hat sicherlich viele Gründe, aber wir wollen zwei zentrale Wirkmechanismen herausnehmen. Erstens versinkt Europa gerade in einer Wirtschaftskrise. Mit stagnierendem Wirtschaftswachstum, steigenden Lebenshaltungskosten, sinkenden Löhnen und dem Widerwillen, die Steuern bei den Reichen anzuheben, schrumpfen die Staatskassen. Das Ergebnis: Während die Reichen immer reicher werden, wird die arbeitende Bevölkerung auf dem Altar der Austerität geopfert. Allgemein werden Gelder für soziale Unterstützung und Infrastruktur gekürzt. Asylsuchende sind ebenfalls auf genau diese angewiesen. Die Investitionen in sichere Unterkünfte, Deutschkurse und Lebensperspektiven für Geflüchtete werden als „zu teuer“ abgetan. Gerade in einer zunehmend rassistischen Gesellschaft ist es unerlässlich, einiges an finanziellem Support zu leisten, damit das Einleben gut funktioniert. Daran wurde aber von Anfang viel zu viel gespart, selbst in Zeiten der deutschen „Willkommenskultur“. Das ist nun auch meistens der Kern dessen, dass die „Kommunen Alarm schlagen“: Die neoliberale Sparpolitik, die auf die Erhaltung der Gewinne für die herrschende Klasse abzielt, führt dazu, dass man den Geflüchteten nicht die nötige Unterstützung leisten kann und es zunehmend nur noch ein perspektivloses Verwahren dieser ist. Anstatt aber das Geld bei den Reichen zu holen, wird nun die andere Option gewählt: ein möglichst blutiges Abschottungsregime.

Der zweite zentrale Grund für diesen Wechsel in der bürgerlichen Politik ist die systematische Spaltung der Arbeiter:innen. Die Verschlechterung der Lebenslage der meisten Arbeiter:innen sorgt zurecht für Unmut bei ihnen, und die Parteien müssen irgendwie mit diesem Unmut umgehen. Aufgrund der Krise ist an sozialen Ausgleich nicht zu denken. Um aber dennoch die Illusion zu schüren, man würde als Partei „was machen“, und gleichzeitig die Aufmerksamkeit von den Reichen und Mächtigen wegzulenken, wird der falsche Eindruck erweckt, dass Asylsuchende bevorzugt behandelt würden und den „Einheimischen“ angeblich Ressourcen wegnehmen, und dass man dagegen jetzt vorgeht. Diese Erzählung wird bewusst gestreut, um die Menschen in Konkurrenz zueinander zu setzen, und dass die einheimischen Arbeiter:innen in ihrem Frust und ihrer Aggression gelindert werden, indem die Politik auf Leute losgeht, die noch ärmer dran sind als sie selbst.

Die EU nutzt also eine rassistische Asylpolitik nicht nur zur Abschottung, sondern auch zur Sicherung ihrer eigenen Macht. Es ist kein Zufall, dass sich die Bedingungen für Geflüchtete in ganz Europa verschärfen: Sie dienen als Sündenböcke, die davon ablenken sollen, dass die wahre Bedrohung für die Arbeiter:innen von oben kommt.

Wie verteidigen wir das Recht auf Asyl?

In Zeiten zunehmender Repression und Abschottungspolitik ist eine klare Perspektive für offene Grenzen und gleiche Rechte für alle notwendiger denn je. Geflüchtete werden durch die geltenden Asylgesetze und die anstehende Reform zu Menschen zweiter Klasse degradiert.

Zu Jahresbeginn gingen bereits Hunderttausende gegen die rassistischen Remigrationspläne der AfD auf die Straße. Angesichts der bevorstehenden Reform braucht es eine breite, kämpferische Bewegung, die daran anknüpft und sich konsequent antirassistisch positioniert. Eine Bewegung, die sich aus Schüler:innen, Studierenden, Arbeiter:innen und migrantischen Organisationen zusammensetzt, kann den Widerstand aufbauen und verteidigen. Wir müssen diesen Kampf dort verankern, wo wir uns täglich aufhalten: in Schulen, Universitäten und Betrieben. Wir dürfen dabei nicht auf die rechten Narrative reinfallen, sondern stabil und selbstbewusst das Recht auf Migration verteidigen. Zentral ist dabei die Verbindung mit anderen Kämpfen, vor allem gegen die sozialen Angriffe, aber auch mit den existierenden antiimperialistischen Bewegungen, um daraus eine allgemeine Bewegung um Solidarität und antikapitalistischen Widerstand zu schmieden.




Woher kommt der globale Rechtsruck?

Von Lia Malinovski, REVOLUTION Zeitung, Dezember 2024

Dass immer mehr Mitschüler:innen rechte Scheiße raushauen und die Lehrer:innen drüber lachen, ist nicht nur in einem Deutschland so, in dem die AfD bundesweit auf über 17 % kommt. Auch Italien hat mit Georgia Meloni eine Regierungschefin, welche aus einer faschistischen Tradition stammt und sich auf einen neoliberalen Rechtspopulismus eingestellt hat. Javier Milei greift in Argentinien die Arbeiter:innenklasse und Jugend massiv an, Donald Trump hat die Wahl in den USA gewonnen und in Frankreich hat der ultrarassistische Rassemblement National 30 % der Wähler:innenstimmen geholt. Im Folgenden wollen wir untersuchen, woher diese Erfolge der Rechten kommen und welche Dimensionen der aktuelle Rechtsruck überhaupt hat, damit wir sie auch wirksam bekämpfen können!

Rechtsruck heißt Militarismus!

Alle imperialistischen Staaten zusammen investierten im vergangenen Jahr so viel Geld in ihre Armeen und Waffensysteme wie nie zuvor. Während sich kaum noch jemand um irgendwelche UNO-Resolutionen schert, erhöhen alle Staaten, die es sich leisten können, ihren Militäretat. In der Ukraine und in Gaza sehen wir bereits, zu welchen bestialischen Taten die wachsenden Spannungen zwischen den Weltmächten führen können. Auch Taiwan oder der Pazifik sind Orte, an denen sich diese in Zukunft schnell militärisch entladen könnten.

Doch wer nach außen gegen den scheinbaren äußeren Feind aufrüstet, muss sich auch gegen die angeblichen „inneren Feinde“ wappnen. Parallel zu Sondervermögen fürs Militär gibt es also mehr Befugnisse für die Polizei und Angriffe auf demokratische Rechte wie die Demonstrations- oder Pressefreiheit. Das sehen wir zum Beispiel daran, dass in Deutschland alle, die es gewagt haben, sich für Frieden in der Ukraine oder in Gaza auszusprechen, und damit den deutschen Kriegsplänen in der jeweiligen Region widersprochen haben, zu verkommenen Vaterlandsverrätern, Putinfreunden oder sogar Antisemiten abgestempelt wurden. Die ideologische Scharfmacherei wird begleitet von Demonstrationsverboten oder Angriffen auf das Asylrecht.

Hintergrund der globalen Militarisierung nach Innen und nach Außen ist die Wirtschaftskrise und eine verschärfte Blockbildung zwischen den imperialistischen Mächten. Angesichts unklarer Gewinnaussichten setzen die imperialistischen Mächte zunehmend auf militärische Stärke. Wir befinden uns nämlich aktuell in einer sogenannten Überproduktions- oder Überakkumulationskrise. Das bedeutet unter anderem, dass sich Investitionen, die Unternehmen gemacht haben, nicht mehr rentieren und sie auf den Ausgaben sitzen bleiben. Außerdem wurde mehr produziert, als auf dem Markt verkauft werden kann, was ebenfalls die Krise anfacht. Diese Überakkumulationskrise, hat – anders als noch vor einigen Jahren – mittlerweile auch China ergriffen. Die Vorläufer der aktuellen Krise, die Finanzkrise 2007/08 haben für ein Stocken und sogar für einen teilweisen Rückgang der Globalisierung gesorgt. Stattdessen werden Handelskonflikte immer mehr und es bilden sich imperialistische Blöcke. Diesen Prozess nennen wir Blockbildung. Die USA ist als klare weltbestimmende Macht auf dem Abstieg und ihre Vorherrschaft auf der Welt nicht mehr unangefochten. Daraus ergibt sich ein immer härterer Kampf um die Neuaufteilung der Welt, also um Einflusssphären und Absatzmärkte, zwischen den imperialistischen Blöcken. Bei diesem Kampf zeichnet sich ab, dass der Hauptwiderspruch zwischen den USA und China besteht und sich Russland und die EU (inkl. der britische Imperialismus) diesen beiden unterordnen müssen. Beispielhaft sind dafür die Schutzzölle auf chinesische E-Autos, die die USA auf 100% und die EU auf bis zu 35% angehoben hat. Es entbrennt ein Wirtschaftskrieg, der die relative Stabilität der letzten Jahrzehnte ins Chaos stürzt.

Rechtsruck heißt Sparpolitik!

Die Kosten der Krise werden jedoch nicht etwa von denjenigen gezahlt, die sich verzockt haben und sich mit Krieg und Ausbeutung die Taschen voll gemacht haben. Nein, sie werden auf uns Jugendliche, Queers, Migrant:innen und die gesamte Arbeiter:innenklasse abgeladen. Das sehen wir darin, dass nahezu überall auf der Welt die Löhne von Inflation und Mieten aufgefressen werden. Dass der Sozialstaat zusammengekürzt wird und unsere Schulen und Jugendclubs verfallen. Das internationale Wirtschaftswachstum wird auf gerade mal 3% prognostiziert, für Deutschland sogar nur ganz knapp über 0%. Damit stehen wir international am Rande einer Stagnation, die schnell in eine Rezession führen kann. Das Kapital reagiert darauf mit Sozialkürzungen, Angriffen auf die Löhne und Arbeitsbedingungen sowie Massenentlassungen.

Neben dem Proletariat ist auch das Kleinbürger:innentum von der Krise betroffen. Es wird dabei zwischen den Hauptklassen Proletariat und Bourgeoisie zerrieben und wird deshalb international zur sozialen Hauptstütze der rechten Parteien. Sie gehen in der globalen Konkurrenz unter und fürchten den Abstieg ins Proletariat. Sie haben wirtschaftliche Existenzängste, fühlen sich von den „Eliten“ (auf die sie doch immer vertrauen konnten) verraten, sind neidisch darauf, dass diese nur das Monopolkapital in der Krise retten. Sie wollen zurück zu den „guten alten Verhältnissen“ vor der Krise und ihre Position auf dem Binnenmarkt durch eine Abrieglung der Grenzen sichern.

Immer mehr Teile der Gesellschaft werden durch die Krise, die Inflation und die staatlichen Sparpolitiken in Armut und Verelendung getrieben. Doch anstatt sich dagegen mit einer fortschrittlichen Vision einer anderen Gesellschaft zu wehren, suchen immer mehr Teile der Gesellschaft die Antworten auf ihre Probleme im rechten Lager. Doch das liegt daran, dass es linke Parteien und Gewerkschaften in den letzten Jahren nicht geschafft haben, den Angriffen des Kapitals etwas entgegenzusetzen. Nachdem die Finanzkrise 2007/08 zuerst wie in Griechenland oder in den arabischen Ländern starke soziale Bewegungen ausgelöst hat, haben diese nach und nach schwere Niederlagen erlitten. Und auch die Gewerkschaften und Sozialdemokrat:innen, die die Krise nur sozialverträglicher gestalten wollen, statt gegen das Kapital zu kämpfen, haben immer weniger Spielraum zum Verteilen. Es folgen Mitgliederverlust, eine sinkende Kampfkraft und damit weniger Handlungsspielraum, den Angriffen des Kapitals etwas entgegenzusetzen. Für uns Jugendliche war sicherlich auch die Niederlage der Klimabewegung prägend, die viele vorher Aktive desillusioniert und frustriert zurückgelassen hat.

Rechtsruck heißt Rassismus und Sexismus!

Der Populismus schafft es in dieser Gemengelage mit seinem Gerede vom „Volk“ das gegen „die Eliten“ kämpft, den Klassenwiderspruch zu vernebeln und damit die Bourgeoisie zu stärken. Außerdem geht es einher mit Nationalismus und Sozialchauvinismus. Man müsse gegen die „fremden Elemente“ in einem eigentlich sonst so guten Kapitalismus vorgehen. In der Realität sind das dann oft Linke, Migrant:innen, Queers, Geflüchtete, Arbeitslose. Man will das Rad der Zeit zurückdrehen, in eine Zeit vor der großen Krise, in der es angeblich noch keine Geflüchteten, emanzipierten Frauen und keine queeren Geschlechtsidentitäten gab.

Der Rassismus, Sexismus und die Queerfeindlichkeit sind dabei wichtige Werkzeuge der Herrschenden, den Frust der Massen von sich abzulenken. Gleichzeitig erfordert die ökonomische Krise eine schärfere Ausbeutung der ärmeren Länder. Um dies zu rechtfertigen, müssen ihre Bevölkerungen mithilfe von Rassismus als minderwertiger erklärt werden. Auch wenn Menschen aufgrund von Krieg, Waffenexporten, Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen in die reicheren Länder flüchten müssen, wirkt diese Ideologie. So überholten sich aktuell AfD, CDU und die ehemalige Ampelregierung mit immer menschenfeindlicheren Angriffen auf Geflüchtete und deren Rechte, seien es „Abschiebeoffensiven“ oder die kürzlich eingeführte Bezahlkarte. Dieses Gift spaltet unsere Klasse und verhindert, dass wir uns international gegen die Angriffe auf uns alle wehren können.

Wer zur Zielscheibe der medialen Hetzkampagnen wird, hängt dabei auch von den außenpolitischen Interessen der jeweiligen Staaten ab. So gewinnt aktuell der antimuslimische Rassismus an einer immer größeren Bedeutung. Für die Legitimation der Waffenlieferungen für den Genozid in Gaza muss eine ungeheure rassistische Propagandamaschinerie angeworfen werden. Was an 9/11 an Fahrt aufnahm, wird heute auf die Spitze getrieben. In deutschen Schulen dürfen alle Menschen in Gaza als Terroristen beschimpft werden, aber Kritik an Israel wird sofort als antisemitisch gebrandmarkt und unterdrückt. Solidarität mit Israel wird Voraussetzung für die Einbürgerung und in vielen Medien schwirrt die Lüge vom importierten Antisemitismus umher.

Wohin treibt der Rechtsruck?

Ob in den USA Trump oder Harris gewonnen hat, die Politik wird eine Rechtere werden und der Konflikt mit China wird sich weiter zuspitzen. Auch wird die USA weiter auf eine Unterstützung der israelischen Aggression, die Bekämpfung sozialer Bewegungen im Innern und eine rassistische Abschottung ihrer Grenzen gegenüber Migrant:innen setzen. In Deutschland ist eine Regierung unter der CDU und ihrem rechten Aushängeschild Friedrich März zu erwarten. Angriffe auf das Streikrecht, auf das Demonstrationsrecht und die sexuelle Selbstbestimmung werden nur einige der erwartbaren Folgen sein.

Der Rechtsruck wird sich in seinen unterschiedlichen Dimensionen also weiter formieren und ausbreiten, wenn wir es nicht schaffen, zu beweisen, dass die Lösung der Krise von links kommen muss. Der Kampf dafür beginnt genau dort, wo du gerade diesen Artikel liest. Denn zuerst einmal müssen wir uns dort organisieren, wo wir uns tagtäglich aufhalten, nämlich an unseren Schulen, Unis und Betrieben. Dort müssen wir Komitees aufbauen, die sich den Auswirkungen des Rechtsrucks entgegenstellen. Nur so können wir es schaffen, andere Teile der Gesellschaft auf unsere Seite zu ziehen, der Szenepolitik ein Ende zu bereiten und uns unabhängig vom Staat zu organisieren. Dabei müssen wir die Angriffe des Kapitals mit sozialen Forderungen bekämpfen! Wir brauchen Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft. Diesen müssen wir mit antirassistischen Forderungen verknüpfen, denn Rassismus schwächt unsere gemeinsame Kampfkraft. Wir lassen uns nicht spalten! Lasst uns gemeinsam gegen alle Asylrechtsverschärfungen und Grenzregime kämpfen und organisierte Selbstverteidigung aufbauen, gegen die Angriffe der Rechten! Das können wir jedoch nicht alles alleine tun, dafür müssen wir unsere Forderungen auch an die Organisationen richten, die einen Großteil der Arbeiter:innenklasse organisieren – also die Gewerkschaften und die reformistischen Parteien. In gemeinsamen Kämpfen müssen wir ihre Führungen unter Druck setzen, sich tatsächlich und unter Mobilisierung ihrer gesamten Mitgliedschaft gegen den Rechtsruck zu stellen. Koordiniert werden muss unser Widerstand international, denn so wie der Rechtsruck global stattfindet, kann es auch nur unser Widerstand sein.




Von der Türkei bis nach Südafrika: Femi(ni)zide global bekämpfen!

Von Sani Meier, November 2024

89.000 Frauen und Mädchen wurden 2022 vorsätzlich getötet – das sind 234 pro Tag, so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Diesen Bericht veröffentlichte die UNO vor fast einem Jahr und löste damit weitreichende Empörung aus. Dennoch hat sich bis heute für die meisten Frauen wenig verändert: Deutschland erreichte 2023 seinen Höchststand an Femiziden. Wie schaffen wir es, die Gewaltspirale zu durchbrechen?

Frauenmord, Femizid, Feminizid?

Mehr als die Hälfte der Morde an Frauen finden im partnerschaftlichen oder familiären Umfeld der Opfer statt, also im privaten Raum. Die Täter sind ihre Ehemänner, Partner, Väter, Brüder oder vermeintliche Freunde. Die Motive reichen von Eifersucht und Trennungsangst über Rache bis zur Wiederherstellung der familiären „Ehre“. Noch immer verharmlosen die Medien diese Morde als „Familiendrama“, „Eifersuchtstat“ oder „Beziehungstragödie“, oder machen die Opfer mit Begriffen wie „erweiterter Suizid“ unsichtbar. Um dem entgegenzuwirken, wird heute der Begriff „Femizid“ verwendet, der die Systematik und geschlechtsbezogene Gewalt hinter den Taten in den Vordergrund rückt.

In Lateinamerika haben Feminist:innen erkannt, dass der Begriff des Femizids sich nur auf Taten im privaten Umfeld beschränkt. Um die Rolle des Staates und wirtschaftliche Faktoren nicht zu vernachlässigen, wurde der zusätzliche Begriff „Feminizid“ entwickelt. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind die Frauenverbrennungen der europäischen Frühen Neuzeit: Frauen wurden unter dem Vorwurf der Hexerei systematisch durch Vertreter der Kirche getötet. Diese waren nicht ihre Partner oder Verwandten, aber konnten sich durch die Morde das Eigentum der getöteten Frauen aneignen. Feminizide wie diese geschehen auch heute noch in Teilen Afrikas und Indiens vor den Augen der Öffentlichkeit, um die Macht der Täter zu demonstrieren. Der Staat tritt meist als Komplize auf, da er die Taten halbherzig oder gar nicht rechtlich verfolgt, selbst Täter ist oder Frauen nicht die Möglichkeiten gibt, sich zu schützen.

Afghanistan

Auch das gezielte Töten von Aktivistinnen zur Sicherung der staatlichen Ordnung spielt eine wichtige Rolle. In Afghanistan häufen sich die Berichte über Frauenleichen, die auf Müllhalden oder in Straßengräben gefunden werden, besonders seit der Machtübernahme der Taliban. Frauen, die sich kritisch gegenüber dem Regime äußern, werden gezielt Opfer von Gewalttaten und sollen andere abschrecken. Die Taliban selbst geben keine offiziellen Zahlen zu Morden an Frauen heraus, doch auch durch die jüngsten Gesetzesverschärfungen können sie nicht verhindern, dass mutige Frauen weiterhin über die Situation vor Ort berichten.

Obwohl mit den Begriffen „Femizid“ und „Feminizid“ ein großer Teil der Taten sprachlich abgedeckt wird, ist es wichtig zu betonen, dass die oben genannten Zahlen keine vollständige Abbildung der patriarchalen Gewalt darstellen. Das liegt daran, dass ein großer Teil der Fälle nicht offiziell dokumentiert wird oder von staatlicher Seite verheimlicht wird. Dazu kommt, dass auch trans, inter und nicht-binäre Personen von Gewalt aufgrund ihres Geschlechts betroffen sind – auch sie werden nicht in die Statistiken mitaufgenommen. Doch obwohl die Dunkelziffer nicht genau zu ermitteln ist, geben uns die offiziellen Zahlen Anlass genug Grund zum Handeln. Ein Blick auf die weltweiten Frauenbewegungen der letzten Monate zeigt das globale Ausmaß der Gewalt, aber auch des Widerstands dagegen:

Türkei

Besonders die Türkei ist in den letzten Wochen und Monaten Schauplatz feministischer Mobilisierung. Trauriger Anlass hierfür waren zwei besonders schockierende Femizide im Oktober: Ein 19-Jähriger Mann hatte zwei junge Frauen ermordet und enthauptet. Nachdem er den zweiten Mord in der Öffentlichkeit auf der Theodosianischen Mauer in Istanbul beging, tötete er dort auch sich selbst. Bis September zählten Frauenrechtsorganisationen bereits 295 Frauenmorde und 184 verdächtige Todesfälle in der Türkei. 65 Prozent der Täter gaben an, die Frauen getötet zu haben, weil diese sich trennen wollten oder weil sie eine Partnerschaft oder Ehe abgelehnt hätten. Der Doppelmord brachte das Fass zum Überlaufen und hunderte Aktivistinnen auf die Straßen Istanbuls. Sie machen nicht nur die Täter individuell verantwortlich, sondern auch das Patriarchat und den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dessen Regierung. Islamistische Bruderschaften und Teile des Regierungsbündnisses hatten immer wieder gefordert, die Gesetze zum Schutz von Frauen vor Gewalt abzuschaffen und Unterhaltszahlungen nach einer Scheidung zeitlich zu befristen. 2021 trat die Türkei aus der Istanbul-Konvention aus, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Angeblich fördere dieses Übereinkommen Homosexualität und untergrabe sogenannte „traditionelle Familienwerte“. An dieser Begründung wird deutlich, welche Rolle die bürgerliche Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, für Gewalt gegen Frauen spielt. Wie wir wissen, stellt sie den Schauplatz und Rahmen für Femizide dar, und diese Morde bilden meist den Höhepunkt einer langen Geschichte von häuslicher Gewalt. Doch warum ist das so?

Die bürgerlichen Familie

Seit der Industrialisierung ist dieses Familienmodell zum Ideal geworden: Der Vater geht einer Lohnarbeit nach und versorgt mit seinem Gehalt die Familie, während die Mutter als Hausfrau zuhause bleibt und Sorge- und Hausarbeit ohne Bezahlung erledigt. Seit der Finanzkrise 2008 reicht in den meisten Familien der Arbeiter:innenklasse das alleinige Einkommen des Mannes nicht mehr aus. Viele Familien schaffen es gerade so über die Runden, wenn die Frauen auch arbeiten. Besonders im globalen Süden und bei migrantischen Arbeitskräften liegt der Lohn oft unter den Kosten der Versorgung. In dieser Situation kann der Mann seine sozialisierte Rolle des Versorgers nicht erfüllen und Frauen verdienen allein nicht genug, um sich trennen zu können. Die Krise des Kapitalismus ist gleichzeitig eine Krise der bürgerlichen Familie, deren innere Spannungen sich häufig in Gewalt und im schlimmsten Fall Mord entladen.

Der Rechtsruck verschärft diese Entwicklungen, weil Sexismus und Homophobie im Zentrum der Politik rechter Parteien stehen. Anstatt „traditionelle Familienwerte“ als den Ursprung patriarchaler Gewalt anzuerkennen, stellen sie sie als „natürlichen“ Ausweg aus der Krise dar. Männer sollen sich weiterhin verzweifelt in das Bild des alleinigen Versorgers pressen, während Frauen ohne finanzielle Mittel an den Haushalt gefesselt sind und der Sozialstaat weiter abgebaut wird. Dieser Teufelskreis zeigt, dass nur die Überwindung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der kapitalistischen Ausbeutung einen Ausweg aus der Gewaltspirale bieten kann.

Südafrika

Die Zusammenhänge zwischen Gewalt gegen Frauen und dem Klassensystem zeigen sich deutlich in Südafrika, wo die Statistik für Femizide 5 Mal höher ist als der weltweite Durchschnitt. Vor allem liberale Feminist:innen wundern sich über solche Zahlen, da die politische Repräsentation von Frauen hier deutlich höher ist als im Rest der Welt: 45% Frauenanteil im Parlament. Das allein reicht aber nicht aus, um Frauen vor Gewalt zu schützen, da Frauen aus der Arbeiter:innenklasse meist keine Chance auf eine politische Karriere haben. Über die Hälfte der Südafrikanerinnen lebt unterhalb der Armutsgrenze und in den Townships, also den städtischen Siedlungen, leben etliche Menschen auf engstem Raum unter prekären Bedingungen. Sie haben keine Chance, sich aus finanzieller Not und Abhängigkeit herauszukaufen und werden von den Herrschenden nicht berücksichtigt.

Wichtig zu berücksichtigen ist jedoch, dass häusliche Gewalt nicht allein das Problem proletarischer Stadtteile ist: Risikofaktoren wie Stress, Veränderung und Abhängigkeit können auch in bürgerlichen Familien auftreten. Männer der herrschenden Klasse haben dabei gute Chancen, ihre Taten zu verbergen und dafür niemals rechtlich belangt zu werden.

Indien

Zuletzt zeigt ein Blick nach Indien, welche kämpferische Perspektive unsere Solidarität aufzeigen kann. Hier erschütterten die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Medizinstudentin im August das Land. Die Parallelen der Tat zur Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau in einem Bus 2012 führte vielen vor Augen, dass sich seitdem nicht genug getan hat, um Frauen zu schützen. Gleichzeitig geschah die Tat am Arbeitsplatz des Opfers, im Krankenhaus, und rückte damit die prekären Arbeitsbedingungen im indischen Gesundheitswesen in den Fokus. Seit Jahren beklagen sich die Ärzt:innen, die zu 60% Frauen sind, über Unterbesetzung und mangelnde Sicherheit. Aus Solidarität gingen nach Bekanntwerden der Tat mehr als eine Million indische Ärzt:innen in einen Generalstreik, um ihre Forderungen gegenüber der Regierung durchzusetzen. Ihr Einsatz führte dazu, dass der Fall nun auf der höchsten Ebene der staatlichen Gerichtsbarkeit verhandelt wird. Doch auch wenn wir daran erkennen, dass Streiks Regierungen unter Druck setzen können, dürfen wir kein Vertrauen in den Staat und seine Institutionen haben, wenn es um den Schutz von Frauen und Queers geht!

Es ist unsere Aufgabe als revolutionäre Linke, Femi(ni)ziden den ökonomischen Nährboden zu nehmen, indem wir für soziale Verbesserungen und Wohlfahrtsprogramme sowie die Vergesellschaftung der Hausarbeit eintreten. Dies kann nur durch die Kontrolle der Arbeiter:innen über die Produktion und die Verteilung von Ressourcen gesichert werden. Gleichzeitig müssen wir uns selbst durch die Organisierung von bewaffneten Arbeiter:innenmilizen verteidigen. Gewalt gegen Frauen ist ein globales Problem des Kapitalismus und kann demnach nur durch eine globale, proletarische Frauenbewegung überwunden. Diese muss dem Sexismus innerhalb der eigenen Klasse den Kampf ansagen und den Weg bereiten für eine Zukunft ohne unterdrückerische Rollenbilder und sexistische Gewalt.




Der vergessene Krieg: Was ist los im Sudan?

Von Jona Everdeen, November 2024

Während die Welt auf den Nahen Osten blickt, findet auf der anderen Seite des Roten Meeres ein ebenso brutaler Krieg statt: Der Bürgerkrieg im Sudan, der über 100.000 Menschen getötet und bis zu 10 Millionen vertrieben hat. Doch wer kämpft wofür im Sudan? Und auf welcher Seite müssen wir stehen?

Aus gescheiterter Revolution folgt Barbarei

Die Geschichte des sudanesischen Bürgerkriegs begann 2018 und 2019, als im ganzen Land die Massen auf die Straßen gingen und das Regime des Bonaparten Omar al-Baschir stürzten. Hier wiederholt sich die Geschichte des Arabischen Frühlings: Da es nicht gelang, die Revolution zu vollenden, schlug diese in die brutalste Konterrevolution um. Geschehen in Libyen, in Syrien, im Jemen und nun auch im Sudan.

Das Militär unter der Führung von General Abdel Fattah Burhan hatte sich mit den Protesten solidarisch erklärt und versprochen, den Übergang zu einem demokratischen System zu überwachen. Eine dreiste Lüge: Burhan stürzte die zivile Regierung, gemeinsam mit seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo, dem General der Spezialeinheit RSF. Diese hatte zuvor die Spardiktate der IWF ohne Rücksicht durchgesetzt und damit neue Proteste ausgelöst. Doch die beiden Putschisten Burhan und Daglo zerstritten sich um die Aufteilung der gemachten Beute. Im April 2023 stellte sich die RSF gegen die Armee. Damit begann der seit 1,5 Jahren tobende Bürgerkrieg.

Ganze Stadtteile und Dörfer werden in Kämpfen zerstört, rund 10 Millionen Menschen mussten ihre Heimatorte verlassen. Menschen werden massakriert, Vergewaltigung als Kriegswaffe ist an der Tagesordnung. Besonders die RSF geht dabei grausam vor.

Ernährungsversorgung und Gesundheitsstruktur sind zusammengebrochen, weshalb die Hälfte der Bevölkerung akut von Hunger betroffen ist. Es droht die größte Hungerkatastrophe seit langem, und Krankheiten breiten sich aus. Anstatt der Hoffnung von 2018/2019 regieren nun Angst und Schrecken das Land.

Warum schaut die Welt weg?

Im Sudan herrscht eine der schlimmsten humanitären Krisen dieses Jahrhunderts. Warum interessiert sich also niemand dafür? Im Krieg zwischen Armee und RSF spielen imperialistische Interessen durchaus eine Rolle: Die Vereinigten Arabischen Emirate, eine Regionalmacht, unterstützen die RSF mit Waffen.

Doch weder Armee noch RSF zählen konkret zu einem der rivalisierenden imperialistischen Blöcke. China, Russland und dem Westen ist es egal, ob Burhan oder Daglo die Goldminen von Darfur, das Öl sowie den strategischen Zugang zum Roten Meer kontrolliert, solange sie selbst davon profitieren können. Deshalb haben die imperialistischen Mächte ihre Prioritäten woanders und wollen es sich mit keiner der beiden Seiten verscherzen.

Gerechtigkeit und Frieden heißt Kampf den Generälen!

Die Strategie der imperialistischen Mächte ist es, zuzuschauen und ein bisschen symbolische Hilfe ins Land zu schicken. Für uns stellen sich die Fragen: Was braucht es, um das Grauen dieses Krieges zu beenden? Wie kann wieder an die Hoffnung des Arabischen Frühlings angeknüpft werden? Auch wenn die meisten der dokumentierten Kriegsverbrechen von der RSF begangen wurden, ist die Armee unter Burhan sicherlich nicht besser. Auch sie will nur, dass ihre Generäle als imperialistische Herrscher den Reichtum des Landes ausplündern können. Es muss klar sein, dass man auf das Wort eines Generals nichts geben kann. Es gilt, sich gegen beide Seiten zu stellen, sowie gegen mögliche imperialistische Interventionen von außen!

Stattdessen gilt es, die einfachen Soldaten auf die Seite des Volkes zu ziehen. In den Streitkräften müssen Soldatenkomitees errichtet werden, die sich gegen ihre Anführer und auf Seite des Volkes stellen! Was es ebenfalls braucht, ist eine Vernetzung der Arbeiter:innen, Bäuer:innen und städtischen Armeen. Eine Vernetzung, wie sie den Aufstand von 2018/19 getragen hat, der aus Nachbarschaftskomitees heraus organisiert wurde. Der einzige Hoffnungsschimmer momentan ist, dass solche Komitees noch existieren, dass die Menschen im Sudan versuchen, sich gegenseitig zu unterstützen, medizinische Hilfe und Nahrungsmittel zu organisieren, die Kriegsschäden gemeinsam zu beheben. Daran muss angeknüpft werden, um Frieden zu schaffen! Diese Organe müssen den Generälen die Macht entreißen und in die Hände des Volkes legen, angeführt von den Arbeiter:innen!

Für uns in Deutschland ist der Sudan weit weg. Dennoch können wir linke Kräfte unterstützen, im Sudan sowie im Exil. Wir müssen die existierenden fortschrittlichen Kräfte erkennen, und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind! Wir können mit Demonstrationen und auf Social Media auf die Lage im Sudan aufmerksam machen und dafür sorgen, dass der Sudan kein vergessener Krieg mehr bleibt.




Ein Jahr Krieg in Gaza: Wie erkämpfen wir Frieden im Nahen Osten?

von Dilara Lorin, November 2024

Die Situation im Nahen Osten spitzt sich weiter zu. Laut palästinensischen Gesundheitsbehörden liegt die Zahl der Todesopfer inzwischen bei mehr als 43.000, darunter über 16.700 Kinder. Über 200.000 Menschen starben infolge des Krieges. Die Lage ist verheerend: Mehr als 70 % des Gazastreifens wurden dem Erdboden gleichgemacht und sind aktuell nicht mehr bewohnbar. Dabei hat Israel klargemacht, dass es nicht an den Grenzen Gazas oder der Westbank haltmacht – die letzten Wochen waren geprägt durch Bombenangriffe auf den Libanon, den Iran, den Jemen und Syrien. Der befürchtete Flächenbrand ist damit bittere Realität geworden.

Die Attacke der israelischen Armee im Libanon sorgte international für Schlagzeilen und gilt als völkerrechtswidrig und inakzeptabel. Diese Attacke stellte den Anfang von mehreren Angriffen auf den Libanon dar, bei denen aktuell bis zu 4.000 Menschen starben und Hunderttausende auf der Flucht sind. Die aktuelle Offensive, bei der die Errichtung einer „begrenzten“ Besatzung umgesetzt werden soll, lässt Grausames erahnen. Eine derartige Offensive für Syrien scheint aktuell in Planung zu sein.

Derzeit ist keine Aussicht auf Frieden oder ein Waffenstillstandsabkommen erkennbar, insbesondere seit der Ermordung des Hamas-Führers Haniyya in Teheran. Die gezielte Tötung von Hamas-Führern kann als bewusste Provokation eines möglichen Krieges mit dem Iran interpretiert werden.

Innerhalb und auch außerhalb Israels rechtfertigen Medien und Politik diese Barbarei mit dem Andenken an die Opfer des 7. Oktober. Deutschlands bedingungslose Solidarität mit Israel wird nicht nur zur Staatsräson erklärt, sondern zeigt, wie eng Krieg und Vertreibung mit den Interessen des westlichen Imperialismus verbunden sind.

Was steckt hinter der mörderischen Ausweitung?

In Israel selbst ist seit fast zwei Jahren eine rechtsgerichtete Regierung an der Macht, wobei vor allem der rechtsextreme, teilweise faschistische Flügel die Genozidfantasie verwirklichen und Krieg führen will, bis eine vollständige Säuberung Palästinas stattgefunden hat. Es bestehen enge Verbindungen zu rechtsextremen Siedler:innen, die den illegalen Siedlungsbau immer weiter vorantreiben und ein freies Palästina faktisch unmöglich gemacht haben. Während innerhalb Israels verschiedene Demonstrationen gegen die immer autoritärere und rechter werdende Regierung stattfinden, ohne das Leid der Palästinenser:innen zu thematisieren, entgeht die Regierung dem durch Aggression und Eskalation gegen den Iran, den Libanon und den Jemen. Diese dienen dazu, die Mehrheit der israelischen Bevölkerung wieder auf Linie zu bringen und den Fokus auf die Verteidigung Israels zu lenken. Dabei zeigt sich seit Jahren: Solange die jüdische Arbeiter:innenklasse Israels nicht mit dem rassistischen Zionismus bricht, ist sie unfähig, der Rechten Parole zu bieten, bleibt politisch ohnmächtig und toleriert oder unterstützt gar die genozidale Politik.

Ein weiterer Aspekt hinter der Ausweitung des Krieges sind die westlichen Verbündeten Israels, die hinter Israel stehen. Auch wenn sie von Zeit zu Zeit zu einem gemäßigteren Vorgehen auffordern, ein wirklicher Entzug der Unterstützung folgt nicht, weil er letztlich nicht in ihrem Interesse liegt. Denn Israel dient dazu, die Interessen der imperialistischen Staaten im Nahen und Mittleren Osten zu verteidigen und wird gleichzeitig als Stützpunkt präsentiert. So ist die Bundesrepublik ein starker Verbündeter Israels und aktuell zweitgrößter Waffenlieferant und hält damit die Kriegsmaschinerie am Laufen. Allein 2023 genehmigte die Ampelkoalition Rüstungsgüter im Wert von 326,5 Millionen Euro an Israel. Im ersten Halbjahr 2024 sanken die Exporte zwar auf 45,74 Millionen, doch allein seit August wurden weitere Rüstungsgüter im Wert von 94,05 Millionen bewilligt.

Betrachtet man einige Staaten des Nahen Ostens – Saudi-Arabien, Ägypten, Katar oder die Türkei –, wird deutlich, dass ihre Reaktionen auf den Genozid sich lediglich auf Protestresolutionen gegen die zionistische Aggression beschränken. Es wird deutlich, dass auch diese Staaten kein Interesse am Leid der Palästinenser:innen haben, denn diese Staaten bauten noch vor dem 7. Oktober die wirtschaftlichen sowie politischen Verbindungen zu Israel aus. Auch der Iran und die Hisbollah machen deutlich, dass sie kein Interesse an einem militärischen Gegenschlag und daran haben, dadurch selbst tiefer in die Krise hineingezogen zu werden.

Trotz dieser ungünstigen internationalen Verhältnisse leisten die Massen in Gaza und der Westbank bis heute heroischen Widerstand gegen Besatzung und Vertreibung. Aber sie stehen angesichts der Offensive scheinbar übermächtiger Gegner:innen mit dem Rücken zur Wand.

Was können wir dagegen tun?

Die weltweite Solidaritätsbewegung hat im vergangenen Jahr demonstriert, welche organisatorischen Fähigkeiten sie besitzt, gleichzeitig aber auch ihre Grenzen aufgezeigt. Wir stellen fest, dass die Bewegung gegenwärtig in einer Defensive ist, obgleich an zahlreichen Schauplätzen positive Aktionen stattfinden, die einer weiteren Verbreitung bedürfen. Tausende Studierende haben ihre Universitäten besetzt und sich gegen eine Forschung für den Genozid sowie gegen Verbindungen der Universitäten mit Israel ausgesprochen. Hafenarbeiter:innen in Italien und in Griechenland haben das gesamte Jahr über in verschiedenen Häfen Schiffe bestreikt, die Munition und anderes nach Israel verschiffen sollten. Weltweit kam es zu Massendemonstrationen, trotz repressiver Polizei und des repressiven Staatsapparats in den jeweiligen Ländern. Selbstverständlich könnten an dieser Stelle noch zahlreiche weitere Aktionen Erwähnung finden. Dabei ist für uns klar, dass wir im Hier und Jetzt für eine sofortige Waffenruhe, den Rückzug der israelischen Armee und die Öffnung der Grenzen für Hilfslieferungen ohne jegliche Kontrolle und Bedingungen durch die Besatzungsmacht kämpfen müssen. Wir wissen, dass es nicht ausreicht, nur über eine (dauerhafte) Waffenruhe zu reden, da diese zwar Milderung schafft, aber nicht die Unterdrückung und Gewalt beenden wird, der die palästinensische Bevölkerung ausgesetzt ist. Um aber ein freies Palästina erkämpfen zu können, müssen die Proteste sich ausbreiten und aktiver in den Konflikt eingreifen.

Dabei kommt der arabischen Arbeiter:innenklasse vor allem in den umliegenden Ländern eine wesentliche Rolle zu. Denn diese sind mit der Herausforderung konfrontiert, gegen ihre eigenen herrschenden Regime zu kämpfen, die zwar Solidarität vorheucheln, jedoch den palästinensischen Befreiungskampf verraten, sobald die eigene Position im imperialistischen Weltgefüge gefährdet ist. So hätte Ägypten die Möglichkeit ergreifen können, den Suezkanal zu blockieren, der als einer der weltweit wichtigsten Knotenpunkte für den Warentransport gilt. Dadurch hätte das Land den Druck erhöhen können, um eine Waffenruhe und die Öffnung der Grenzen zu erreichen. Dies würde jedoch zu offenen Konflikten mit der EU und den USA führen. Letzten Endes hat keines der Länder oder Kräfte, bis auf die Huthis im Jemen, wirkliche Angriffe auf die militärische Präsenz unternommen. Denn schlussendlich würde ein freies, sozialistisches Palästina auch das Ende der eigenen Regime bedeuten. Um die Kampfkraft zu verstärken, sind die mehr als 6 Millionen palästinensischen Geflüchteten eine Schlüsselkraft, um den Kampf gegen die arabischen Regime mit dem für ein freies Palästina verbinden zu können. Anfangsforderungen können dabei gleiche Löhne und demokratische Rechte für alle sein. Eine revolutionäre Bewegung in Palästina und in den umliegenden arabischen Staaten ist zugleich auch entscheidend, um die klassenübergreifende Einheit im zionistischen Staat aufzubrechen. Je stärker der Kampf gegen die imperialistische Ordnung und Besetzung, umso eher werden Teile der jüdischen Arbeiter:innenklasse in Israel ihr Vertrauen in den rassistischen Staat verlieren und für den Bruch mit dem Zionismus gewonnen werden. Dann hat die Stunde der Revolution geschlagen.

Der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Zentren kommt dabei die Rolle zu, eine Bewegung aufzubauen, die sich gegen die konkrete Kriegsunterstützung ihrer Regierungen richtet. Denn ihre Staaten sind es, die die wichtigsten wirtschaftlichen und militärischen Unterstützer und Verbündeten Israels sind. Dabei sind Forderungen nach einem Stopp aller Waffenlieferungen zentral, um Gewerkschaften und große Teile der Arbeiter:innen dafür zu gewinnen. Eine solche Bewegung würde nicht nur revolutionäre, internationalistische Kräfte, sondern auch gewerkschaftliche, reformistische oder kleinbürgerliche umfassen. Wir müssen in diesen Staaten gegen jede weitere militärische, finanzielle und ökonomische Unterstützung des zionistischen Staates und seiner Angriffsmaschinerie kämpfen. Des Weiteren ist es notwendig, dem antipalästinensischen Rassismus sowie der antimuslimischen Hetze, die massiv zugenommen hat, den Kampf anzusagen. Denn diese dient neben der Spaltung der Arbeiter:innenklasse und der Überwachung im eigenen Land unter anderem dazu, die Militärinterventionen gegen Palästina, Libanon, Syrien, Jemen und den Iran zu rechtfertigen. Wir sagen klar: Hände weg von diesen Ländern! Stoppt die Ausbreitung des Kriegs!

Für uns ist der palästinensische Befreiungskampf kein Selbstzweck. Das stetige Morden und die anhaltende brutale Unterdrückung mögen zeitweilig die Hoffnung rauben, aber die Geschichte ist nicht zu Ende geschrieben. Der Kampf für ein befreites, sozialistisches Palästina ist notwendig für alle Palästinenser:innen, die dort leben, für alle Palästinenser:innen, die zurückkehren wollen – und für all jene, die durch die Fesseln des Imperialismus erdrückt werden.




10 Forderungen für ein Aktionsprogramm gegen den Rechtsruck

von Flo R. Gebhard und Lia Malinovski, November 2024

Die Ampel-Koalition ist zerbrochen, Donald Trump wieder zum US-Präsident gewählt, das 1,5 Grad Ziel überschritten, der Genozid in Palästina hält an und das Abschieberegime der EU und BRD schreitet voran: kurzum, die Situation ist scheiße. Wie wir am Erfolg der AfD beobachten können, profitieren davon Rechte und Konservative. Wir sind konfrontiert mit einem gesamtgesellschaftlichen, internationalen Rechtsruck.

Mit diesen 10 Forderungen wollen wir eine Auseinandersetzung darüber starten, wie das Aktionsprogramm einer Bewegung aussehen muss, die einen erfolgreichen Kampf gegen den Rechtsruck führt. Wir laden alle ein, gemeinsam in Diskussion zu treten und dem Aufbau einer solchen Bewegung näher zu kommen.

1. Holen wir uns unsere Zukunft zurück: Gegen Kürzungen und Sozialabbau!

In Deutschland ist das wirtschaftliche Wachstum nahe 0. Der Staat pumpt massig Geld in Unternehmen, um diese zu retten. Wenn das nicht reicht, antworten die Bosse mit Massenentlassungen wie bei VW, und Sparplänen im sozialen Bereich – besonders bei Schulen und Jugendzentren.

Das ist nicht erst seit gestern so. Seit 2008/2009 hat sich die Wirtschaft weltweit kaum erholt, und diese Krise hat den Rechtsruck angeheizt. Viele von uns haben Angst vor dem sozialen Abstieg. Hier setzt der Sozialchauvinismus von Regierung und Medien an. Uns soll weisgemacht werden, dass die Krise kein Resultat unseres Wirtschaftssystems sei, sondern die Konsequenz von arbeitsunwilligen Bürgergeldempfänger:innen. Derselben Logik folgen Rechtspopulist:innen, die „leichte“ Antworten auf die Misere geben: Ausländer:innen, Arbeitslose und Linke seien schuld.

Um eine erfolgreiche Bewegung aufzubauen, müssen wir auf die sozialen Probleme der Menschen eingehen und den Kampf gegen rechts mit dem Kampf gegen Sozialabbau, Massenentlassungen und Privatisierung führen, kurz gesagt: gegen die soziale Krise! Das bedeutet, keine Illusionen in Kompromisse zu haben, um „den Wirtschaftsstandort Deutschland“ zu fördern. Diese Art der Politik heißt Sozialpartner:innenschaft und hat die letzten Jahre große Proteste bei Kürzungen und Sparmaßnahmen verhindert.

Deshalb sagen wir:

  • Gegen jede Entlassung: Produktion umstellen für eine nachhaltige Verkehrswende und Arbeitsplätze erhalten – unter Kontrolle der Beschäftigten, Expert:innen und der Umweltbewegung! Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich statt Stellenabbau!
  • Schluss mit Armut: Weg mit Bürgergeld, Mindesteinkommen für alle, gekoppelt an die Inflation!
  • Schuldenbremse? Abschaffen! Wir zahlen eure Krise nicht: Massive Investitionen in die soziale Infrastruktur, unter Besteuerung der Reichen!

2. Massenhaft und militant: Gemeinsam gegen den Rechtsruck!

Wenn wir uns dem Rechtsruck erfolgreich entgegenstellen wollen, müssen wir eine andere Politik als die der letzten 10 Jahre fahren, denn die hat die AfD nicht aufgehalten. Das Bundesverfassungsgericht anzubetteln, die AfD zu verbieten, bringt nichts. Nicht nur, dass solche Verbote auch gegen linke Kräfte eingesetzt werden: Wir sind es, die was ändern müssen, nicht irgendwelche Verfassungsrichter:innen. Wenn wir erfolgreich gegen die AfD kämpfen wollen, müssen wir die Gründe beseitigen, aufgrund derer sie so stark geworden ist!

Vereinzelt werden wir nicht gegen eine rassistische Regierung, eine wachsende AfD und vermehrte Straßengewalt wehren können. Es wird nicht reichen, im Sumpf der “radikalen” Linken alle paar Wochen eine Antifa-Kundgebung oder Demo zu organisieren.

Es braucht Einheit unter den Organisationen der Arbeiter:innenklasse, seien es Parteien oder Gewerkschaften und Organisationen der Unterdrückten, ob migrantische Personen, queere Personen oder Frauen. Das nennen wir die Einheitsfront. Uns ist bewusst, dass z.B. Die Linke, die SPD und Migrantifa nicht die gleichen Ziele haben, aber alle müssen sich gegen den Rechtsruck wehren, denn sie sind direkt von dessen Auswirkungen betroffen. Wir dürfen nicht auf unseren Unterschieden verharren. Ein solches Bündnis ist vor allem ein Aktionsbündnis um konkrete Forderungen. Dabei ist zentral, dass man andere Partner:innen offen für ihre Positionen und ihr Verhalten kritisieren darf! Wir verstehen das Unbehagen, das viele spüren, mit Kräften zusammenzuarbeiten, die für ihr Elend mitverantwortlich sind, wie die SPD in der Regierung. Gleichzeitig zeigte die Mobilisierung gegen den AfD-Parteitag in Essen, dass die Mobilisierung von Gewerkschaften und reformistischen Parteien die Massen auf die Straße bringen kann, die es braucht, um effektiven Widerstand zu leisten. Wir müssen diese Kräfte in Bewegung zwingen und den Kampf für soziale Forderungen offen mit antirassistischen Forderungen verbinden, um klar zu machen: Wir lassen uns nicht spalten, Rassismus nützt nur Reichen!

Dabei dürfen wir keine Kompromisse mit bürgerlichen Kräften eingehen. Lose Floskeln von Vielfalt, Toleranz und „Demokratie verteidigen“ bringen uns nicht weiter. Der Kampf gegen die AfD wird zum Scheitern verurteilt sein, wenn er sich nur gegen diese eine Partei richtet. Wir lehnen die „Einheit der Demokrat:innen“ ab, denn mit FDP und CDU gegen die AfD zu „kämpfen“ bedeutet, dass soziale Verbesserungen auf der Strecke bleiben.

3. Gegen jede Abschiebung: Staatsbürger:innenrechte für alle, dort wo sie leben!

Ohne Zweifel ist die Hetze gegen Migrant:innen und Geflüchtete der stärkste Ausdruck des Rechtsrucks. Die Diskriminierung gegenüber Menschen steigt, denen muslimischer Glaube zugeschrieben wird. Der 7. Oktober und die Attacke in Solingen werden genutzt, um den politischen Diskurs rassistisch zu vereinnahmen. Die Forderung, „kriminelle Ausländer:innen” abschieben, gehört mittlerweile zum guten Ton der Politik. Die Ampel setzt um, was die AfD fordert und errichtete letztes Jahr ein härteres Abschieberegime, sodass wir dieses Jahr 30% mehr Abschiebungen erleben mussten. Der Antisemitismus und die rassistische Hetze von aufschäumenden Rechten und Faschist:innen steigen an. Zugleich wird der Antisemitismus-Begriff verwässert, um diesen als politische Waffe gegen Palästina-Solidarität zu nutzen.

Das führt dazu, dass nicht die Unternehmer:innen und Politiker:innen als Verursacher:innen unserer Misere gesehen werden, sondern ein alternatives Feindbild in Gestalt von Geflüchteten und Migrant:innen erschaffen wird. Durch diese Spaltung und Verschleierung der Verhältnisse können sich die Arbeiter:innen nicht zusammentun, um sich gegen Massenentlassungen, niedrige Löhne, Krise und Co. zu verbünden, da sie zu beschäftigt sind, sich gegeneinander die Schuld für ihre Lage zuzuschieben.

Deswegen müssen wir dafür kämpfen, dass für alle Menschen, die hier leben oder hierherkommen, die Grundrechte gelten. Wir sagen: Kein Mensch ist illegal! Offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle!

4. Frauen- und Queerunterdrückung entgegentreten: Gleiche Rechte für alle!

Femizide nehmen zu, queere Personen werden auf offener Straße angegriffen und hunderte Faschist:innen mobilisieren gegen CSDs. Queere Personen sind ein Feindbild der „natürlichen Ordnung“ der bürgerlichen Kleinfamilie, welche die Rechten als Ideal hochhalten, womit sie die Frauenunterdrückung zementieren.

Gleichzeitig wird die rassistische Hetze von AfD und Co. als Einsatz für Frauenrechte dargestellt. Dabei interessiert sie sexistische Gewalt nur, wenn sie von Migrant:innen ausgeübt wird, wobei sie alle anderen Teile der Frauenunterdrückung leugnen und in ihrer Politik verschärfen. Weder gehen sie die Doppelbelastung durch Care-Arbeit an, noch den Gender Pay Gap. Dadurch werden Frauen brutaler von der Krise getroffen: Entweder werden sie in die Hausarbeit geschoben oder in prekäre Beschäftigungen. Ein Kampf gegen den Rechtsruck muss ein Kampf für gleiche Rechte und gleiche Bezahlung für alle sein!

5. Antidiskriminierungsstellen und Selbstschutz

Um uns vor Alltagsdiskriminierung und rechten Angriffen zu schützen, müssen wir dafür eintreten, Organe des Selbstschutz aufzubauen! Zu oft haben Staat und Polizei bewiesen, dass sie keine Angriffe der Rassist:innen, Sexist:innen und Queerfeind:innen verhindern werden: durch die Ermordung von Oury Jalloh, die Verdeckung der Taten des NSU oder das Niederschlagen von antifaschistischen Mobilisierungen.

Daher braucht es Strukturen für Betroffene von sozialer Unterdrückung, an den Orten, wo wir uns täglich aufhalten, den Schulen, Unis und Betrieben! Damit diese im Interesse der Unterdrückten handeln, müssen sie demokratisch gewählt und unabhängig von Staat, Schul- und Unileitung oder Bossen sein. Sie müssen praktische Organe sein, welche z.B. Lehrkräfte aus dem Unterricht schmeißen, Kommiliton:innen zur Aufarbeitung ihres Verhaltens zwingen oder Präventionsworkshops in Betrieben abhalten. So setzen wir der individuellen Demütigung einen kollektiven Kampf entgegen.

Darüber hinaus haben uns die Mobilisierungen gegen CSDs, die Angriffe auf Migrant:innen oder unsere Demos gezeigt, dass das nicht reicht. Wir müssen uns gegen die Gewalt der Rechten, die bald in neuen Baseballschlägerjahren münden könnte, gemeinsam wehren! Dafür braucht es Selbstverteidigungsstrukturen, die es unseren Geschwistern ermöglichen, nicht wehrlos solchen Angriffen ausgesetzt zu sein.

6. Unsere Schulen, Unis und Betriebe gehören uns!

Bei denen, die zurzeit das Sagen haben, wird das auf Widerstand stoßen. Um gegen rassistische Lehrinhalte anzukommen und gegen übergriffige Profs vorzugehen, müssen wir die Kontrolle über unsere Schulen, Unis und Betriebe erkämpfen!

Warum sollten wir nicht selbst bestimmen, was an den Orten passiert, an denen wir einen so großen Teil unseres Lebens verbringen? Warum sollten wir nicht entscheiden, wer zu Podiumsdiskussionen an unseren Schulen eingeladen wird, welche Vorträge an unseren Unis abgehalten werden und welche Rassist:innen sich von unserem Campus fernzuhalten haben? Warum sollten wir auf irgendwelche Manager:innen hören, wenn wir am besten wissen, was zu tun ist?

Um dahin zu kommen, müssen Aktionskomitees aufgebaut werden, welche sich vor Ort gegen Ungerechtigkeiten auflehnen und dafür streiten, dass wir selbst Entscheidungen treffen dürfen über die Probleme, die uns in unserem Alltag betreffen.

7. Klimaschutz auf dem Nacken der Reichen!

Da die Politik der Ampelregierung auf dem Rücken der Armen ausgetragen wird und keine effektiven Maßnahmen gegen die Klimakrise durchführt, befeuert sie den Rechtsruck und bringt uns keinen Schritt voran, unsere Umwelt zu retten. Letztlich ist sie nicht mehr als eine Interessenvertretung von RWE und Co. Gegenüber der Klimakrise, welche unsere Lebensgrundlage bedroht, antworten die Rechten mit Leugnung und Hetze gegen die Klimabewegung. Die zu Recht kritisierbaren Initiativen wie das Heizungsgesetz werden ausgenutzt, um jegliche Anstrengungen gegen die Katastrophe als Teufelswerk zu bezeichnen.

Unter einer AfD-geführten Regierung wird der Kampf für Klimagerechtigkeit noch schwieriger sein. Deshalb müssen die verbleibenden Kräfte der Klimabewegung sich dem Kampf gegen den Rechtsruck anschließen, um zu einer geeinten, starken Kraft zu werden. Somit muss ein Kampf gegen rechts einer für eine soziale Umweltpolitik sein, welche sich die notwendigen Mittel für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen von den Reichen holt und nicht weiter die Arbeiter:innen belastet. Wir müssen Forderungen gegen die Umweltkrise aufwerfen, das heißt: Verbesserungen statt Verbote! Wir wollen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, finanziert durch die Besteuerung der Reichen!

8. Kein Cent, keinen Menschen dem Militär!

Das Fehlen von Geldern für Schulen und Rente erklären die Rechten durch die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen. Tatsächlich wird dieses fehlende Budget in Aufrüstung und Militarisierung gesteckt: Wir erinnern uns alle an das Sondervermögen von 100 Milliarden.

Begleitet wird das dadurch, dass die Trommel des Nationalismus gerührt wird. Versteckt hinter Floskeln wie „Verteidigung der Demokratie“ wird auf die Vaterlandsverteidigung der deutschen Nation gesetzt, was den Rechten in die Hände spielt.

Dafür wird direkt bei der Jugend angesetzt: In Bayern werden vermehrt Jugendoffiziere an Schulen geschickt, um fürs Sterben zu werben. Unter dem Ziel, Deutschland kriegstüchtig zu machen, werden demnächst verpflichtende Fragebögen an 18-Jährige verschickt. Unter einer noch rechteren Regierung wird die Wehrpflicht nicht auf sich warten lassen. Wir sagen: Bundeswehr raus aus den Schulen! Schluss mit Waffenlieferungen nach Israel! 100 Milliarden für Bildung und Soziales!

9. Gegen die Einschränkung demokratischer Rechte!

Auch im Inland wird aufgerüstet. In den letzten Jahren wurden unsere demokratischen Rechte eingeschränkt, z.B. durch Demonstrationsverbote beim Antifa-Ost-Verfahren, die Auflösung des Palästina-Kongresses und die Einschränkung des Streikrechts beim Kitastreik in Berlin. Zur Durchsetzung dessen werden die Befugnisse und die Militarisierung der Polizei ausgeweitet.

Wir müssen uns gegen den Trend zum Autoritarismus und gegen die Angriffe auf unsere Freiheit wehren. Zudem müssen wir die Ausweitung demokratischer Rechte erkämpfen und für das volle Recht auf politischen Streik eintreten.

10. Für bundesweite Schul- und Unistreiks, begleitet von politischen Streiks!

Um diese Forderungen durchzusetzen, reicht es nicht, sie auf Banner zu schreiben, auf eine Demo zu gehen oder einen Parteitag zu blockieren. Zunächst müssen wir die Menschen dort erreichen, wo sie sich täglich aufhalten, beim Job, im Vorlesungssaal oder auf dem Schulhof. Wenn wir es schaffen, an diesen Orten Komitees aufzubauen, die unseren Widerstand koordinieren und eine Verankerung schaffen, können wir durch Streiks Druck aufbauen, stark genug, um unsere Ziele zu verwirklichen!

Wenn wir unsere Anstrengungen koordinieren, werden wir es schaffen Sozialkürzungen, Massenentlassungen und Abschiebungen zu verhindern, sowie Klimaschutz durchzusetzen. Dann haben wir die Kraft, um unsere Geschwister kollektiv vor Angriffen zu verteidigen und dem Rechtsruck den Gar aus zu machen. Darüber hinaus müssen wir gemeinsam international Widerstand organisieren, indem wir den Schulterschluss mit jenen finden, die an anderen Orten der Welt von den Auswirkungen des Rechtsrucks und der Krise getroffen werden.

Wenn ihr das auch so seht oder mit uns darüber diskutieren wollt, schreibt uns und lasst uns gemeinsam den Schritt angehen, eine Bewegung der Jugend und der Arbeiter:innen gegen Rechtsruck und Krise aufzubauen!




Rechtsruck aber niemand auf der Straße?

Von Stephie Murcatto, Oktober 2024

Die AFD befindet sich auf einem historischen Höhenflug. Mit ihrer rechten Rhetorik dominiert sie die deutsche Politik, alle anderen Parteien passen sich an, die CDU rückt mit Friedrich Merz als Kanzlerkandidat und dem neuen Grundsatzprogramm weiter nach rechts und SPD und Co. lassen sich auf eine Diskussion über massive Abschiebewellen ein und fördern diese auch als Teil der Bundesregierung. Bei den letzten Landtagswahlen hat die AFD historische Erfolge erzielt und die Niederlage der Regierungsparteien hat sich verfestigt. Während sich die SPD noch einigermaßen behaupten konnte, sind Grüne und FDP in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Das Bündnis Sahra Wagenknecht, eine rechte Abspaltung der Linkspartei, lässt sich ähnlich wie Bundeskanzler Olaf Scholz auf eine rechte Abschiebedebatte ein und fördert diese aktiv.

Während vor einem halben Jahr noch Hunderttausende gegen die AFD auf die Straße gingen, sind die Straßen heute leer und still. Das meiste, was man sieht, sind die paar hundert üblichen Linken, die sich zu Antifa-Protesten auf der Straße versammeln. Größere Proteste und antirassistische Mobilisierungen gegen die rassistische Abschiebewelle der Bundesregierung hat es bisher nicht gegeben, ebenso wenig wie größere Mobilisierungen gegen die rassistische Rhetorik der AFD, die gerade mit Slogans wie „millionenfach abschieben“ ihren Wahlsieg in Brandenburg feiert. Die einzige größere Mobilisierung in den letzten Monaten, schaffte die #Widersetzen-Struktur, die vor allem durch die Mobilisierung innerhalb der Gewerkschaften einen großen Protest gegen den AfD-Parteitag in Essen organisierte. Die Jugend, die lange als linke Kraft in Erscheinung trat, orientiert sich zunehmend nach rechts und zur AFD. Rassistische Übergriffe auf migrantische Menschen häufen sich und werden in nächster Zeit wohl nicht weniger sondern eher mehr. Man fragt sich, wann wohl das nächste Hanau sein wird.

Aber warum ist niemand auf der Straße? Und warum gewinnt die AfD?

In Deutschland herrscht Krise. Die Reallöhne sinken immer weiter, große Unternehmen wie VW oder die Deutsche Bahn müssen massiv Arbeitsplätze abbauen. Die Inflation lässt die Preise steigen, und Sozialleistungen werden zunehmend gestrichen. Es wird massiv abgeschoben, demokratische Rechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt. All dies geschieht im Kontext mit einer schwachen Linken, die nicht in der Lage ist, gesamtgesellschaftliche Alternativen zum derzeitigen Regierungskurs aufzuzeigen und für soziale Verbesserung und gegen Abschiebungen auf die Straße zu gehen. Dabei fällt immer wieder auf, dass auf aktuelle Probleme und Krisen die Linke keine konkreten Antworten und Lösungsansätze parat hat. Das spielt der AfD in die Hände. Die AfD schafft es, sich als oppositionelle Anti-Regierungspartei darzustellen, während sie in Wirklichkeit nur eine massive Verschärfung der aktuellen Politik der Regierung vertritt.

Die Kräfte, die noch Vertrauen innerhalb der Massen der Arbeiter:innenklasse genießen und eine Alternative zur AfD aufzeigen könnten, verraten ihre Basis. Reformistische Kräfte wie die SPD oder linksliberale Parteien wie die Grünen verfolgen eine Strategie des sogenannten „strategischen Wählens“. Ihr politischer Kampf beschränkt sich darauf, Menschen für Wahlen zu mobilisieren – oft nicht einmal mit ihrem eigenen Programm. So wird beispielsweise in bestimmten Bundesländern oder Regionen dazu aufgerufen, SPD oder gar CDU zu wählen, auch wenn man diese programmatisch gar nicht unterstützt, um der AfD „strategisch“ Wahlerfolge zu verwehren.

Das grundlegende Problem dieser Strategie liegt darin, dass sie auf der Logik des „kleineren Übels“ basiert: Die AfD ist schlimm, und die Ampel oder eine CDU-Regierung ist weniger schlimm – deshalb müsse man für diese stimmen, da es keine echte Alternative gebe. Doch diese Logik verkennt das eigentliche Problem: Es geht nicht darum, wie sich alles etwas langsamer verschlechtert, sondern wie es für die arbeitenden und unterdrückten Menschen tatsächlich besser werden kann. Auch die Beschränkung auf Wahlen als Strategie übersieht, dass Wahlen allein die AfD nicht aufhalten können und dass Wahlen an sich keine Verbesserungen bringen.

Wenn es dann größere Mobilisierungen von SPD, Grünen und Co. gibt, die richtig und wichtig sind, werden diese nach der gleichen Logik des kleineren Übels zur Unterstützung der aktuellen Regierungspolitik genutzt. Dazu wird eine „Brandmauer“ gegen die AfD zur Verteidigung „unserer“ Demokratie aufgebaut, unter der sich alle Demokrat:innen gegen die undemokratische AfD versammeln und gemeinsam mit einem klassenübergreifenden Programm protestieren sollen. Unter den Teppich gekehrt wird natürlich, dass SPD, Grüne und Co. selbst demokratische Rechte abbauen, Sozialleistungen kürzen und rassistische Abschiebepolitik ganz ohne die AFD durchsetzen. So wichtig es ist, dass SPD, Gewerkschaften und andere Organisationen der Arbeiter:innen, der Klasse und der Unterdrückten zu Protesten gegen die AfD aufrufen, so wichtig ist es auch, dass dies mit einem klassenunabhängigen Programm im Interesse der Arbeiter:innen und der Unterdrückten passiert.

Häufig wird im Zusammenhang mit dieser sogenannten Brandmauer ein Verbot der AfD gefordert. Dabei wird darauf vertraut, dass der bürgerliche Staat die Probleme für einen löst, anstatt die AfD gesellschaftlich zu bekämpfen, indem der Nährboden für rechte Ideologien ausgetrocknet wird. Aber bekanntlich trifft eine Ausweitung der repressiven Mittel letztlich immer die gesellschaftliche Linke, also würde ein AfD-Verbot am Ende auf uns zurückfallen. Dazu wird ein Verbot der AfD den gesellschaftlichen Rechtsruck nicht aufhalten und 30% der Wähler:innen werden nicht aufhören, rechts zu sein, wenn man ihre Partei verbietet. Die Politiker:innen und Unterstützer:innen der AfD werden sich einfach ein neues Zuhause in einer anderen Partei suchen oder so eine Partei gründen, dass diese nicht unmittelbar wieder verboten wird, und so sind wir wieder beim selben Problem, dass 30% der Wähler:innen sie unterstützen. Genau deshalb brauchen wir eine gesellschaftliche Bewegung gegen rechte Ideologie und für soziale Verbesserungen statt der Scheinlösung eines AfD-Verbots.

Aber was können wir tatsächlich tun?

Um wirklich gegen die AfD kämpfen zu können, müssen wir uns gemeinsam mit anderen Kräften unter klaren, gemeinsamen Forderungen zusammenschließen. Als kleine linke Gruppe können wir eigenhändig keine grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen herbeiführen. Wir müssen dazu aufrufen, gemeinsam mit den großen Kräften der Arbeiter:innenklasse – wie zum Beispiel der SPD, Linkspartei aber auch den Gewerkschaften und vor allem deren Jugendorganisationen – eine gemeinsame Einheitsfront zu bilden, um die AfD zu zerschlagen und gesellschaftliche Verbesserungen zu erreichen, damit wir der AfD ihre soziale Basis entziehen. Das bedeutet aber auch, dass wir deren Führungen unter Druck setzen müssen, gemeinsam mit uns und allen anderen fortschrittlichen Kräften der Arbeiter:innen und Unterdrückten unter klaren Forderungen gegen die AfD zu kämpfen – vorausgesetzt, sie sind wirklich die Antirassist:innen, als die sie sich darstellen, und wollen tatsächlich im Interesse der Arbeiter:innen und Unterdrückten handeln.

Dieser Kampf kann nicht nur über Wahlen geführt werden; er muss auf der Straße, durch Massenmobilisierungen und durch Streiks stattfinden – zum Beispiel, um die AfD dort aufzuhalten, wo sie an der Regierung ist, oder ihre Parteitage zu blockieren. Doch das Ziel darf nicht allein in diesen Kämpfen bestehen. Es geht darum, die Lage der Arbeiter:innen und der Jugend zu verbessern und gegen die Krise anzukämpfen. Dabei dürfen wir nicht davor zurückschrecken, die aktuelle Regierung klar zu kritisieren.

Wir müssen klare Forderungen aufstellen, unter denen wir gemeinsam im Interesse der Arbeiter:innen und Unterdrückten kämpfen können. Antirassistische Forderungen und Forderungen nach sozialen Verbesserungen sollten dabei im Vordergrund stehen. Besonders die Frage der Abschiebungen ist derzeit relevanter denn je. Unser praktischer Vorschlag für Forderungen ist dabei:

100 Milliarden für soziales und Bildung, besteuert durch die Reichen, sowie Stopp aller Entlassungen.

Keine Abschiebungen, weg mit den Asylgesetzverschärfungen. Für offene Grenzen und Staatbürger:innenrechte für alle.

Rechtsruck da bekämpfen, wo er auf kommt: Für Antirassistische Basisstrukturen in Schule, Uni und Betrieb sowie Selbstverteidigungsstrukturen

Vor Ort müssen wir Kämpfe führen und Komitees aufbauen, um gemeinsam für dieselben Forderungen zu kämpfen. Gerade diese Komitees können zur Basis für größere Streiks und eine breitere Bewegung gegen den Rechtsruck und den Rassismus werden. Wir müssen Antidiskriminierungsstellen vor Ort einrichten, denn wie wir täglich sehen, breitet sich der Rassismus in der Gesellschaft immer weiter aus.

Zudem müssen wir weiterhin für unsere demokratischen Rechte kämpfen, die zunehmend eingeschränkt werden – sei es das Recht auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf den Genozid in Gaza oder das Versammlungs- und Streikrecht, das immer stärker beschnitten wird.

Genau solche Kämpfe müssen jedoch zusammengeführt werden. Deshalb schlagen wir vor, dass alle Menschen, die etwas gegen die AfD unternehmen wollen, zur Widersetzen-Strategiekonferenz vom 1. bis 3. November in Leipzig zu kommen, um sich dort praktisch zu vernetzen und erste Schritte zum Aufbau einer großen antirassistischen Bewegung zu setzen.