Stoppt den rassistischen Angriff Macrons!

Von Marco Lasalle, Januar 2023, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Am 19. Dezember hat das französische Parlament ein weiteres Einwanderungsgesetz verabschiedet – das 117. Gesetz zu diesem Thema seit 1945! Aber es ist viel schlimmer als alle vorherigen Gesetze. Es wurde von Innenminister Gérald Darmanin vorgeschlagen, von Präsident Emmanuel Macron unterstützt, von den rechten Senator:innen der Partei Les Républicains stark umgeschrieben und schließlich mit den Stimmen des von Marine Le Pen geführten Rassemblement National (RN) angenommen.

Es ist leicht zu verstehen, warum die rassistische und fremdenfeindliche RN für dieses Gesetz gestimmt und einen ideologischen Sieg errungen hat. Es enthält eine Reihe von Maßnahmen, die dazu führen, dass vielen Migrant:innen grundlegende Leistungen und Rechte vorenthalten werden. Es unterstützt das RN-Ziel der „nationalen Präferenz“ (wonach französische Staatsbürger:innen beim Zugang zu staatlichen Sozialleistungen Vorrang vor Ausländer:innen haben sollten) und wird weitgehend dazu beitragen, die reaktionären und falschen Ideen des RN zu verbreiten: dass Migrant:innen nur nach Frankreich kommen, um von Sozialmaßnahmen zu profitieren, sie für den Mangel an Wohnraum und Arbeitsplätzen verantwortlich, kriminell und gefährlich für die nationale Sicherheit sind. Kurz gesagt, es ist eine giftige Mischung aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gespickt mit Lügen und Verleumdungen.

Maßnahmen

Hier einige der Maßnahmen, die das neue Gesetz vorsieht:

  • Staatliche Leistungen wie Wohnungs- oder Familienbeihilfen werden Migrant:innen erst nach einer Verzögerung (bis zu fünf Jahren) gewährt, je nachdem, ob sie arbeiten oder nicht (obwohl die meisten Migrant:innen bei ihrer Ankunft in Frankreich nicht arbeiten dürfen).
  • Das Gesetz sieht die Einführung von Quoten für Migration vor, und die Legalisierung von migrantischen Lohnabhängigen wird vom Wohlwollen des/der Präfekt:in (Vorsteher:in eines Amtsbezirks) abhängen.
  • Das Gesetz ist ein Schlag gegen den Grundsatz des „loi du sol“, das Recht der in Frankreich Geborenen, mit ihrer Volljährigkeit die französische Staatsbürger:innenschaft zu erlangen, und geht auf ein früheres zurück, das von dem erzreaktionären Charles Pasqua unterstützt wurde.
  • Ausländische Universitätsstudent:innen müssen eine „Kaution“ an den Staat zahlen, die erst bei der Ausreise am Ende des Studiums zurückerstattet wird.
  • Bürger:innen mit doppelter Staatsbürger:innenschaft verlieren die französische, wenn sie sich schwerer Straftaten schuldig machen.

Um die Unterstützung des rechten Flügels zu erhalten, musste die Regierung außerdem versprechen, dass Anfang 2024 AME, die staatliche medizinische Hilfe, mit der alle Einwander:innen dringende medizinische Versorgung erhalten können, „reformiert“, d. h. wahrscheinlich stark eingeschränkt oder abgeschafft wird.

Das Gesetz enthält Maßnahmen, die so schockierend reaktionär sind, dass sich die Regierung sogar an den Verfassungsrat wendet, um einige seiner Artikel außer Kraft zu setzen, da sie gegen die Präambel der Verfassung von 1946 verstoßen, die besagt, dass „niemand wegen seiner/ihrer Herkunft benachteiligt werden darf“.

Die Verabschiedung des Gesetzes war selbst in Macrons Lager ein großer Schock, da 59 Abgeordnete der Regierungspartei dagegen stimmten und ein Minister zurücktrat. Die Behauptung Macrons bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen, er sei ein Bollwerk gegen Marine Le Pen und ihre Ideen, hat sich als eine weitere Lüge erwiesen. Allerdings hat die Arbeiter:innenklasse von den „Linken“ innerhalb des Präsidentenlagers wenig zu erwarten, da sie viele andere Angriffe gegen die Arbeiter:innen akzeptiert oder sogar durchgeführt haben.

Der französische Kapitalismus und die Überausbeutung

Seit Jahrhunderten braucht der französische Kapitalismus billige überausgebeutete Arbeitskräfte. Zunächst in Form von Sklav:innen auf den karibischen Inseln, später als indigene Zwangsarbeiter:innen in seinem Kolonialreich und im letzten Jahrhundert als Migrant:innen, in den letzten Jahrzehnten vor allem aus dem Maghreb. Die demokratischen Rechte dieser Arbeiter:innen wurden systematisch negiert und diese Entrechtung erreichte während des algerischen Unabhängigkeitskrieges in den 1950er und 1960er Jahren ein hysterisches Niveau. Die rassistische Ideologie diente als Rechtfertigung für diese Diskriminierung, obwohl auf allen öffentlichen Gebäuden „Egalité“ (Gleichheit) steht. Ein rassistischer Polizei- und Staatsapparat, dessen Personal nach dem Zweiten Weltkrieg vom faschistischen Vichy-Regime übernommen wurde, war für Repressionen und Massaker an Arbeitsmigrant:innen verantwortlich. Die von Jean-Marie Le Pen gegründete Front National baute auf einer rassistischen Ideologie auf und wandte sich massiv an die Anhänger:innen der Front Algérie Française. Aber auch die traditionellen rechten Parteien haben rassistischem Gedankengut geschmeichelt, und das gilt selbst für die linken Parteien.

Die französische Bourgeoisie war schon immer mehr als bereit, migrantische Arbeitskräfte zu beschäftigen und auszubeuten, die meisten von ihnen aus den ehemaligen französischen Kolonien in Afrika, sowohl im Maghreb als auch in Westafrika. Die rassistische Unterdrückung ermöglicht es den Bossen, sie in schlecht bezahlten Jobs zu halten, wobei ihnen oft grundlegende Arbeits- und Gewerkschaftsrechte verweigert werden. Entgegen der Verleumdung, dass Migrant:innen auf der Suche nach staatlichen Beihilfen nach Frankreich strömen, arbeiten die meisten von ihnen lange Jahre im Verborgenen als Sans Papiers (Menschen ohne Ausweisdokumente), insbesondere im Bau- und Dienstleistungssektor. Sie sind weit davon entfernt, von der staatlichen Sozialhilfe zu profitieren, denn sie zahlen zwar die obligatorischen Sozialbeiträge, haben aber keinen Anspruch auf entsprechende Beihilfen. Trotz der rassistischen Hysterie nimmt der Anteil der Migrant:innen an der Bevölkerung des Landes kaum zu: 7,8 % im Jahr 2022, 6,5 % im Jahr 1975. Selbst der Vorsitzende des MEDEF, des wichtigsten Arbeit„geber“verbandes, schätzt den Bedarf der französischen Wirtschaft auf 3,9 Millionen zugewanderte Arbeitskräfte in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der niedrigen Geburtenrate ein. Das französische Kapital will eine „kontrollierte“ Zuwanderung und zwingt die Migrant:innen weiterhin in extrem unsichere und übermäßig ausgebeutete Arbeitsverhältnisse.

Die extreme Rechte will noch weiter gehen. Bereits in den 1980er Jahren prägte Jean-Marie Le Pen den Slogan „eine Million Einwander:innen, eine Million Arbeitslose“ und suggerierte damit, dass die Ausweisung der Migrant:innen das Problem der Arbeitslosigkeit lösen würde. Marine Le Pen, die Tochter von Jean-Marie, propagiert das Konzept der „nationalen Präferenz“ und warnt vor der „Unterwanderung“ des französischen Volkes durch eine angebliche Migrationswelle. Ihre Ideen werden durch das neue Gesetz eindeutig legitimiert.

In dieser Hinsicht stellt das Gesetz einen Bruch mit früheren rassistischen Gesetzen dar. Während alle diese Angriffe gegen den Gleichheitsgrundsatz enthielten, stellt die schiere Menge an konzentrierten Schlägen gegen Migrant:innen dieses Gesetz eindeutig auf eine andere, viel gefährlichere Ebene. Es spiegelt die Verbreitung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der französischen Bevölkerung wider: Den Umfragen zufolge wird die Partei von Marine Le Pen bei den kommenden Europawahlen im Juni nächsten Jahres mit rund 28 % (und zusätzlich 6,5 % für ihre faschistische Nichte Marion Maréchal) die stimmenstärkste Partei in Frankreich sein, weit vor Macrons Partei „Renaissance“ mit 20 %.

Präsident Macron reklamiert mit dieser Zustimmung zum Gesetz, einen Sieg errungen zu haben, der zeigt, dass er keine „lahme Ente“ und in der Lage ist, Gesetze zu verabschieden, ohne die undemokratischen Tricks der französischen Verfassung der Fünften Republik anzuwenden. Auch Les Républicains beanspruchen einen Sieg für sich, da sie maßgeblich an der Verabschiedung des Gesetzes beteiligt waren und dessen Inhalt stark beeinflusst haben. Für beide wird sich dieser „Sieg“ bald als Pyrrhussieg erweisen. Rassistische Wähler:innen werden die konsequent rassistische Partei RN anderen Kräften vorziehen, die sie lediglich imitieren, und der ideologische Einfluss der RN-Ideen wird durch diese Maßnahme auf allen Ebenen nur vergrößert.

Arbeiter:innenklasse

Die französische Arbeiter:innenklasse befindet sich in einer schwierigen Situation. Sie ist durch den Sieg Macrons im Kampf um die Renten zu Beginn des Jahres bereits politisch geschwächt. Hinzu kommt, dass der Rassismus auch in der Klasse greift und eine mögliche Spaltung zwischen „französischen“ und migrantischen Arbeiter:innen droht sowie massiv verstärkte Repression gegenüber migrantischen Lohnabhängigen.

Die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und La France insoumise lehnten das Gesetz allesamt ab. 32 von der Sozialistischen Partei geführte Departements erklärten, dass sie das Gesetz nicht anwenden werden, ebenso wie die Pariser Bürgermeisterin. Die CGT-Vorsitzende Sophie Binet erklärte: „Die CGT ruft zum zivilen Ungehorsam und zur Vervielfachung der Widerstandsaktionen gegen dieses Gesetz auf, das alle unsere republikanischen Prinzipien untergräbt und der extremen Rechten den Boden bereitet.“ Die CGT wird in den nächsten Wochen „massive Initiativen organisieren, damit diejenigen, die sich mit dem geleugneten Frankreich identifizieren, ihre Entschlossenheit zeigen können, damit die Werte der Solidarität respektiert werden“.

All dies ist richtig, aber man kann durchaus an der Wirksamkeit des Widerstands der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften zweifeln, da es ihnen nicht gelungen ist, die Rentenreform abzuwehren. Es besteht die reale Gefahr, dass die „massiven Initiativen“ der Reformist:innen zahnlose symbolische Aktionen bleiben werden. Die Lohnabhängigen sollten ihre Führungen auffordern, den wirksamsten Widerstand gegen das Gesetz vorzubereiten, und zwar nicht nur auf den bequemen Sitzen des Parlaments, sondern an den Arbeitsplätzen, in den Banlieues und auf den Straßen. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, diesen Widerstand mit den Waffen des Klassenkampfes durchzusetzen, ob die reformistischen Führungen damit einverstanden sind oder nicht. Der zivile Ungehorsam muss von Protesten und Massenstreiks zugunsten einer massiven Legalisierung von Sans Papiers sowie der Abschaffung aller rassistischen Gesetze der letzten Jahre begleitet werden. Migrant:innen, darunter auch Sans Papiers, sind in großem Umfang auf den Baustellen für die kommenden Olympischen Spiele 2024 beschäftigt und werden bei der Organisation dieses Ereignisses an vorderster Front stehen, im Transportwesen, bei der Sicherheit, in Hotels, Restaurants, bei der Reinigung usw. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, alle damit zusammenhängenden Aktivitäten zu blockieren, bis das Gesetz aufgehoben ist, und solche Aktionen müssen von allen Gewerkschaften, Parteien und Organisationen der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden. Sie müssen durch organisierte Selbstverteidigung gegen mögliche Repressionen durch den Staat oder rechte bzw. sogar faschistische Kräfte verteidigt werden.

Die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung rassistischer Ideen in den Reihen der Arbeiter:innenklasse zu stoppen, besteht darin, ein Aktionsprogramm vorzuschlagen, zu verbreiten und dafür zu kämpfen, das alle rassistischen Gesetze bekämpft und die wirklichen Ursachen für das Anwachsen der RN angeht: niedrige Löhne, Mangel an Arbeitsplätzen, Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern. Der durch dieses Gesetz ausgelöste Schock sowie die Wut auf Macron und seine Regierung sollten in eine massive Streikwelle, einschließlich eines Generalstreiks, gegen die rassistische Diskriminierung und Unterdrückung sowie gegen die Regierung und das von ihr verteidigte System gebündelt werden.




Treuhand, Troika, Schwarze Koffer – Ein politisches Nachwort an Wolfgang Schäuble

Von Jona Everdeen, Dezember 2023

Die Bundesrepublik trauert, Wolfgang Schäuble, über mehrere Jahrzehnte einer ihre politischen Köpfe, ist am 26.Dezember im Alter von 81 Jahren verstorben. Von 1972 bis zu seinem Tod war er Mitglied des Bundestags für die CDU. Die bürgerlichen Zeitungen schreiben Deutschland habe einen „Scharfen Denker“ verloren, selbst Linkspartei Abgeordneter Dietmar Bartsch sprach von dem Tod eines „Großen Demokraten“ mit dem er zwar nicht immer einer Meinung gewesen war, den er aber offensichtlich dennoch stark respektierte. Doch wer war Wolfgang Schäuble wirklich und für welche Politik stand er? Und warum weinen wir diesem langjährigen Verwalter des Deutschen Imperialismus keine Träne nach?

Schäubles Politische Grundsätze

Als CDU-Politiker stand Schäuble in politischen Fragen für eine rechtskonservative Politik, die sich einerseits auf einen hart durchgreifenden Staat und andererseits auf eine neoliberale Wirtschaftspolitik stützt. So trat Schäuble in seiner Funktion als Innenminister für eine massive Stärkung der Befugnisse der Polizei sowie Vereinfachung der Einschränkung von Grundrechten ein, im Interesse der „Sicherheit“ versteht sich. Für diese Sicherheit, vor allem mit Betonung auf den Schutz der Bevölkerung vor Terrorismus, rechtfertigte er, neben dem massiven Ausbau von Überwachung, auch Versuche den Einsatz der Bundeswehr im Inland zu vereinfachen. Uns jedoch ist klar um wessen Sicherheit es bei solchen Maßnahmen tatsächlich geht: Die des Kapitals vor unzufriedenen Arbeiter:innen.

Für das deutsche Kapital setzte sich Schäuble auch als Finanzminister weiterhin enerigsch ein und forcierte eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Mit Fug und Recht kann er als der politische Vater der „Schwarzen Null“ bezeichnet werden auf die sich heute Lindner bezieht wenn er einen Grund für massive Sozialkürzungen braucht, da er es war der die Schuldenbremse zur Staatsräson machte. Auch Nationalismus war bei Schäuble durchaus groß geschrieben, wobei er besonders bemüht war den Spagat zwischen anhaltendem deutschen Nationalismus und, für das deutsche Kapital sinnvollem, Bezug auf die EU zu vollziehen in dem er betonte, dass europäische Zusammenarbeit wichtig und notwendig sei, man dabei aber seine Heimatliebe nicht verlieren solle. Zusammenfassend kann man sagen, dass Schäuble politisch so ziemlich genau „die CDU“ wiederspiegelte, deftiger rechtskonservativ als Merkel und mit weniger Hang zum Populismus als Merz. Während uns also klar sein sollte, dass Schäuble eine Politik vertrat die nicht nur unseren Grundsätzen sondern eigentlich auch denen von Dietmar Bartschs Linkspartei fundamental widerspricht, schauen wir uns noch an wozu diese Politik in der Praxis geführt hat.

Die Abwicklung der DDR

Schäuble wird vor allem als eines immer wieder gefeiert: Als Architekt der deutschen „Wiedervereinigung“. Das liegt vor allem daran, dass er als Innenminister der BRD damals stark in die Verhandlungen über die genaue Form des Anschlusses der DDR an die Bundesrepublik involviert war. Entsprechend fällt ihm auch Verantwortung für eben diese zu, so für die Annektion des Territoriums der DDR anstelle von einer „echten“ Wiedervereinigung mit einer verfassungsgebenen Versammlung für den dann entstehenden neuen deutschen Staat so wie auch für die radikale und rabiate Abwicklung der DDR Volkswirtschaft durch die Treuhand.

Richtiger wäre es, Schäuble nicht als Architekten der Wiedervereinigung sondern der Treuhand zu betiteln. Eben jenes Organs dass dafür sorgte dass die Volkseignen Betriebe der DDR zu Billigpreisen an Westinvestor:innen verkauft, oder direkt abgewrackt, wurden und entsprechend hunderttausende wenn nicht Millionen Ostdeutsche arbeitslos wurden und mangels einer Perspektive ihre Heimat verlassen mussten. Ein bewusst herbeigeführte Verfall der in Ostdeutschland noch immer spürbar ist und auch das politische Klima nachhaltig prägt. Für das deutsche Kapital hingegen war die Treuhand hingegen ein absoluter Glücksgriff, man konnte die Konkurrenz aus dem Osten entweder einfach ausschalten oder zu Spottpreisen übernehmen und somit seine eigene Produktion ausweiten. Auch für den Deutschen Imperialismus, also das deutsche Gesamtkapital, schuf die Annektion des ehemals konkurrierenden Arbeiter:innenstaates eine massiv verbesserte Position die ihm langfristig die Hegemonie in Europa und die Wiederkehr alter Weltmachtsträume herbeiführen sollte.

Korruption – Rolle in Parteispendenaffäre

CDU-Politiker:innen neigen bekanntlich grundsätzlich dazu den Rahmen der legalen Korruption so gut es geht auszureizen, siehe jüngst Maskendeals und windige Geschäftsbeziehungen nach Aserbaidschan, in den 90er Jahren trieb es die CDU jedoch zu weit: Eine massive Spendenaffäre flog auf, prominent dabei war auch Fraktions- und Parteivorsitzender Wolfgang Schäuble. Insgesamt hatte die CDU in den 80er und 90er Jahren 2,1 Millionen D-Mark an Parteispenden an der offiziellen Kasse vorbei gewirtschaftet und dabei dafür gesorgt, dass die Spender anonym blieben. Dabei ist es zumindest wahrscheinlich, dass auch politische Entscheidungen unter Beeinflussung dieser Spendenzahlungen getroffen wurden, wobei die Spender aufgrund von Helmuth Kohls Schweigegelübte ihnen gegenüber noch immer nicht gänzlich bekannt sind. Bekannt ist jedoch die Verwicklung Schäubles in die Affäre. So nahm er persönlich 100.000 Euro in bar von dem Rüstungslobbyisten Karlheinz Schreiber entgegen und gab sie an die Partei weiter die dieses Geld als „Sonstige Einnahmen“ vermerkte. Diese 100.000 waren aller Voraussicht nach angedacht als Bestechungsgeld um im Gegenzug ein Rüstungsprojekt in das Schreiber involviert war zu genehmigen. Inoffiziell räumte Schäuble seine Mitverantwortung in der Affäre ein in dem er dem öffentlichen Druck nachgab und Fraktions- sowie Parteivorsitzender abgab. Seine politische Karriere beendete dies jedoch nicht, er wurde in der ersten Merkel-Regierung erneut als Innenminister eingesetzt. Und auch in seinem Nachruf interessiert es bürgerliche Parteien, Medien und auch Linksparteipolitiker Bartsch scheinbar wenig dass Schäuble sich von der Waffenlobby bestechen lassen hat.

Troika – Die planmäßige Verarmung Griechenlands

Während er bei Annektion und Abwracken der DDR nur einer von mehreren Akteur:innen war, erwies Schäuble dem neu erstarkten Deutschen Imperialismus als Finanzminister einen weiteren Dienst, dieses Mal in Eigeninitiative. So war er es der im Interesse des deutschen Bankkapitals, dass einer dominante Rolle in der EZB einnimmt, die griechische Politik unter das Troika-Diktat stellte und dafür verantwortlich war dass Griechenland mittels eines de facto Wirtschaftskrieges dazu gezwungen wurde jegliche von eben dieser Troika gestellten Forderungen zu akzeptieren. Die Folgen für Griechenland waren fatal und prägen das Land noch immer massiv, proletarische und kleinbürgerliche Massen verarmten da Lohnkürzungen und der Abbau von Arbeitsrechten erzwungen wurden. Die ehemals staatliche Infrastruktur Griechenlands, sei es in Form von Bahn, Häfen oder Krankenhäusern wurde zwangsprivatisiert und dabei häufig zu Billigpreisen an ausländische Investor:innen verscherbelt. Nicht wenige starben gar an den Folgen dieser Politik, etwa durch das kaputt gemachte Gesundheitssystem oder beim Zugunglück von Tembi. Griechenland wurde von einem ehemaligen Juniorpartner der imperialistischen EU zu einer Halbkolonie vor allem des deutschen Imperialismus, der neben dem Gewinn von lukrativem Optionen für seinen Kapitalexport auch eine Exempel statuieren konnte um andere verschuldete oder anderweitig ökonomisch schwächelnde Länder davon abzuhalten in der EU gegen deutsche Kapitalinteressen zu agieren. Während für die finale Niederlage des griechischen Proletariats, das einen heftigen Kampf gegen den ökonomischen Terror der Troika führte, der Verrat Syrizas verantwortlich ist, ist es Schäuble der die politische Verantwortung dafür trägt, dass es überhaupt soweit kam in dem er den Plan entwickelte das verschuldete Griechenland mittels ökonomischer Erpressung zu einem radikalen Neoliberalismus zu zwingen.

All dies verdeutlicht eines klar: Für uns ist Wolfgang Schäuble ist ganz sicher kein „großer Demokrat“ und wenn denn nur ein „scharfer Denker“ des deutschen Imperialismus, weshalb wir sicherlich nicht um ihn trauern. Er stand wie wenig andere für die Politik des Deutschen Imperialismus der letzten Jahrzehnte. Auch steht er wie kaum ein zweiter für die rechtskonservative Union als bevorzugte Regierungspartei des deutschen Großkapitals. Für Arbeiter:innen und Jugendliche ist sein Tod also nicht bedauerlich und wir verstehen es auch sehr gut wenn manch eine:r in Griechenland sich ein freudiges Lächeln bei der Nachricht von Schäubles Tod nicht verkneifen konnte.




Asylrechtsverschärfungen: Tödlicher Alltag an europäischen Außengrenzen

Dezember 2023

Im Juni wurde die neue Asylreform „GEAS“ von den EU-Innenminister_Innen vorgestellt. Dieses beinhaltet extreme Verschärfungen auf Kosten der Asylsuchenden.

Was ist GEAS?

Die Buchstaben GEAS stehen für “Gemeinsames Europäisches Asyl System”. Durch dieses System werden die Abläufe von Asylverfahren und der Umgang mit asylsuchenden Menschen festgelegt. Es ermöglicht den Abgleich von Fingerabdrücken und die Bestimmung der Zuständigkeit des Landes zur Prüfung des Asylantrags (Dublin-Verfahren). Auch soll es für eine einheitliche Asylregelung unter den EU-Staaten sorgen. Was es aber konkret für die Betroffenen bedeutet, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Kürzung von Sozialleistungen

Nicht nur, dass die bisher nach 18 Monaten gezahlten Analogleistungen in Höhe der regulären Sozialhilfe nun erst nach 36 Monaten gezahlt werden sollen, es werden auch die Bargeldleistungen durch Bezahlkarten ersetzt. Diese sollen die Menschen daran hindern, Geld an ihre Familien in der Heimat zu schicken und den angeblichen Anreiz der Flucht nach Deutschland mindern. Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass die Menschen hauptsächlich aus Geldsorgen flüchten. Meistens sind die Gründe, die eigene Heimat und Familie unter schweren Umständen zu verlassen, um einiges massiver, wie Krieg oder Verfolgung, jedoch sollte endlich bewusst werden, dass auch Menschen die einen Fluchtweg aus Existenzängsten auf sich nehmen, in Deutschland ebenso die Hilfe bekommen müssen, die sie zum Leben benötigen. Ob man arm ist oder nicht, ist nun einmal keine Frage des mindsets, sondern Konsequenz der materiellen Umstände.

Der Bund hat im neuen Asylgesetz außerdem beschlossen, pro Asylerstantragsteller_In eine jährliche Pauschale von 7.500€ zu zahlen.

Christian Lindner, der deutsche Bundesminister für Finanzen, behauptet, dass das neue Asylsystem “nicht nur Länder und Kommunen entlastet”, sondern “auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert”.

Asylverfahren außerhalb Europas

Die Bundesregierung sieht auch die Möglichkeit, Asylverfahren in Drittstaaten (außerhalb von Europa) unter nicht humanitären Umständen durchzuführen. Diese Staaten werden von der EU als sicher definiert, selbst wenn die Bürger_Innen dieses Landes das anders sehen. Ein Beispiel hierfür ist Tunesien. Sollten Menschen auf ihrem Fluchtweg durch eines dieser Länder reisen, kann der Asylanspruch in der EU verfallen. Das Prinzip der Drittstaatenregelung ist kein neues Konzept. Das Grundrecht auf Asyl wurde bereits vor 30 Jahren in Deutschland geändert und mit der Änderung die Drittstaatenregelung eingeführt.

Es soll auch versucht werden, Migrationsabkommen mit Ländern abzuschließen, aus denen häufig asylsuchende Menschen nach Deutschland kommen. In diesen Migrationsabkommen garantiert die EU finanzielle Unterstützung im Gegenzug zu Abschiebung oder des Vorgehens der Staaten gegen Fluchtbewegungen.

Als ein konkretes Beispiel ging es um die Wiederbelebung des 2016 beschlossenen EU-Türkei-Abkommens, das der Türkei Milliardenhilfen von der EU verspricht, wenn diese sich verpflichtet, Fluchtrouten abzuriegeln und nach Griechenland geflüchtete Menschen “zurückzunehmen”.

“So kauft sich die EU von ihrer menschenrechtlichen Verpflichtung des Asylrechts frei. Sie unterstützt so nicht nur autoritäre Regime unmittelbar beim systematischen Bruch von Menschenrechten. Sie stiftet sie regelrecht dazu an.” -STOP GEAS

Grenzverfahren

Die im Oktober eingeführten Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz sollen über lange Zeit aufrecht erhalten werden. Menschen, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland wollen, sollen möglichst direkt in diese zurückgeschickt werden. Auch sollen durch solche Grenzverfahren die Identitäten von Asylsuchenden schon an der EU-Außengrenze festgestellt werden. Da dies sehr zeitaufwendig (bis zu 12 Wochen) ist, sollen die Betroffenen in menschenunwürdigen Lagern an den Grenzen untergebracht werden. Bis über die Aussicht auf Asyl der Menschen entschieden wurde, gelten diese Menschen als nicht eingereist, auch wenn die Unterkunft auf der EU-Seite der Grenze ist. Von der Regelung der Grenzverfahren sind auch Kinder, die ca. 40% der geflüchteten Menschen ausmachen, sowie kranke und eingeschränkte Menschen nicht ausgeschlossen. Trotz mehrfachem Aufrufens von Menschenrechtsorganisationen, dass unter diesen Umständen keine individuelle und rechtskonforme Überprüfung der Asylgründe möglich ist, bietet diese Regelung der EU die Gelegenheit unfairer Asylschnellverfahren. Pushbacks gelten nun als „Grenzschutz“ und sind dadurch legalisiert worden.

Zusätzlich hat der EU-Innenminister_Innenrat hat einer Krisenverordnung zugestimmt. Diese Verordnung beinhaltet die Verlängerung der Zeit in den Lagern von bis zu 12 Wochen, auf bis zu 20 Wochen, sowie die Erweiterung der Menschengruppen die an den Grenzen inhaftiert werden dürfen. Der Europäische Rat kann die Krisenverordnung ausrufen, wenn sehr viele Asylsuchende Menschen an die Grenzen der EU kommen.

Wie wir es schon aus der Pflege kennen, wird ein Notfallplan schnell zum Alltag. Durch die nicht funktionierenden Grundsysteme sind solche Krisenverordnungen von Anfang an zum Scheitern verurteilt und bedeuten menschenunwürdige Behandlung von Asylsuchenden.

Die Zahl der Menschen die eine Flucht nach Europa als letzte Hoffnung sehen, wird steigen. Der Klimawandel zwingt auch immer mehr Menschen zur Flucht, da Nahrungsmittel und Wasser knapper werden, während die Bevölkerungszahl steigt. Hinzu kommen die Menschen, die direkt durch das Klima, die extremen Temperaturen und Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen müssen. Durch die ansteigenden Zahlen der Menschen, die an die Grenzen Europas kommen, müssen wir damit rechnen, dass die Maßnahmen der jetzt genannten Krisenverordnung uns bald als erneute “Asylrechtsreform” vorgestellt werden.

Was können wir dagegen tun?

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Asylrechtsverschärfung vor allem auf Abschreckung und Ausgrenzung abzielt. Menschen, die Hilfe suchen, müssen immer gefährlichere Fluchtrouten nutzen, um ihrer Not zu entkommen. Denn egal wie viele Asylrechtsverschärfungen von der EU kommen, die Menschen werden weiter flüchten. Was sich verändert, ist die immer menschenunwürdigere Behandlung, die die Menschenrechte massiv einschränkt!

In Zeiten von Wirtschaftskrisen und internationalem Rechtsruck dürfen wir uns nicht durch den Rassismus der Herrschenden spalten lassen, sondern müssen solidarisch füreinander einstehen. Klimawandel, Armut und Krieg sind Konsequenzen des kapitalistischen Systems und können nicht ohne dessen Abschaffung überwunden werden. Wir müssen also einerseits die Forderung nach offenen Grenzen und Staatsbürger_Innenrechten für alle aufwerfen und diese im Rahmen einer internationalen Bewegung aus Arbeiter_Innen, Jugendlichen, sexistisch oder rassistisch Unterdrückten und allen Ausgebeuteten erkämpfen. Im Rahmen von Streik-, Uni- und Schüler_Innenkomitees können wir schon jetzt unsere Forderungen an die Orte tragen, an denen wir uns täglich bewegen und für ein Ende rassistischer Asylverfahren einstehen!




5 Dinge, die wir heute von der Oktoberrevolution lernen können

Von Jona Everdeen, Oktober 2023

Vor nun 106 Jahren stürzte das russische Proletariat unter Führung der Bolschewiki die bürgerliche Kerenski Regierung und errichteten den ersten langlebigen Arbeiter_Innenstaat der Geschichte: Die Sowjetunion. Dass diese mit der Zeit immer stärker degenerierte und schlussendlich als direkte Folge ihrer Fehler unterging, schmälert diesen Triumph Lenins und seiner Genoss_Innen kaum. So ist die Oktoberrevolution noch immer DAS inspirierende Beispiel für uns als Kommunist_Innen dafür, wie es gelingen kann, die bourgeoise Klassenherrschaft endlich zu brechen, den bürgerlichen Staat in einer Revolution des Proletariats hin fortzufegen und auf seinen Trümmern eine neue Gesellschaft zu errichten. Doch warum genau ist die Oktoberrevolution für uns, abgesehen von Folklore, heute noch so relevant? Welche zentralen Erkenntnisse können wir aus ihr für die heutige Zeit und somit auch für einen neuen Anlauf zum Sozialismus ziehen?

1. Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Die erste zentrale Lehre der Oktoberrevolution zeigt sich bereits anhand ihres Zustandekommens selber. So geschah sie als Folge der sich abzeichnenden Niederlage des russischen Zarenreichs gegen das ökonomisch deutlich stärkere und somit mächtigere deutsche Kaiserreich im 1. Weltkrieg. Die Soldaten waren nicht mehr bereit, weiter für die imperialistischen Ziele des Zaren und der russischen Bourgeoisie zu sterben. So kam es zunächst zur Februarrevolution, die den Zaren entmachtete und später, als die bürgerlich-liberale Kerenski Regierung den Krieg fortführen wollte, schließlich zur Oktoberrevolution. Statt Krieg und Imperialismus wählten die russischen Arbeiter_Innen, Bäuer_Innen und Soldaten Frieden und Sozialismus.

Dies kam jedoch keineswegs aus dem Nichts. So waren die Bolschewiki unter Lenin von Beginn des Krieges an, neben der italienischen Sozialdemokratie, die einzige Sektion der 2. Internationale, die sich gegen die Kriegsanstrengungen des eigenen Imperialismus stellte und keinen Burgfrieden mit diesem schloss. Stattdessen warf Lenin die Losung des revolutionären Defätismus auf. Das bedeutet, dass die Niederlage des eigenen imperialistischen Staates für die Arbeiter_Innen besser ist als die Unterstützung dessen Kriegsanstrengungen, dass der Hauptfeind der Arbeiter_Innen im eigenen Land steht und nicht im gegenüberliegenden Schützengraben und dass der imperialistische Raubkrieg in einen Bürgerkrieg gegen die eigene Kapitalistenklasse und ihren Staat verwandelt werden muss.

Diese Erkenntnis ist für uns heute, wo die Imperialist_Innen, ob sie nun Putin, Biden, Baerbock oder Sunak heißen, den Militarismus anheizen und aufrüsten, wichtiger denn je und muss unsere Politik bestimmen in einer sich möglicherweise anbahnenden Phase neuer Kriege.

2. Die Revolution muss international sein oder sie ist nichts

Anknüpfend daran zeigte die Oktoberrevolution ebenfalls eine weitere Tatsache, die auch in Zukunft von unschätzbarem Wert sein wird: Nämlich die Tatsache, dass die sozialistische Revolution nur siegen kann, wenn sie als internationale Revolution gedacht und geführt wird. Dies beweist der Sieg der jungen Sowjetunion über die ausländische Intervention. So besetzten die verschiedenen imperialistischen Großmächte in Folge der Oktoberrevolution sowie der weißen Konterrevolution mehrere, teils große, Gebiete des ehemaligen russischen Zarenreichs, wobei der im Krieg gegen das Zarenreich siegreiche deutsche Imperialismus zunächst die Hauptrolle einnahm. Deutschland und sein Verbündeter Österreich-Ungarn besetzten das Baltikum, Belarus, die Ukraine und Teile des Kaukasus. Lenin wusste, dass er die riesige Übermacht der Mittelmächte nicht militärisch brechen konnte, er wusste aber auch, dass es in Berlin, Wien und Budapest bereits brodelte und dass die Chance bestand, dass das Proletariat auch dort den Imperialismus zu Fall bringen könnte. Während sich Lenin den Forderungen der Mittelmächte im Frieden von Brest-Litowsk formal unterwarf, spekulierte er auf die Unterstützung der deutschen, österreichischen und ungarischen Arbeiter_Innen. Diese enttäuschten ihn nicht. Als die Niederlage Deutschlands an der Westfront abzusehen war, kam es zum deutschen Gegenstück der Oktoberrevolution: der Novemberrevolution und auch in Österreich und Ungarn, angeführt von ehemaligen Kriegsgefangenen der K.U.K.-Armee, die die Revolution in Russland miterlebt hatten, kam es zu Revolutionen, die das Habsburgerreich zersprengten.

Auch die Interventionsarmeen der Entente-Mächte Frankreich und Britannien mussten vor allem abgezogen werden, da diese nicht mehr für die Loyalität ihrer Truppen und die Akzeptanz des Kriegseinsatzes in der Heimat garantieren konnten.

Die Oktoberrevolution, die Etablierung der Sowjetunion, war somit nicht nur ein Sieg des russischen Proletariats, sondern Resultat des vereinten Klassenkampfes des Weltproletariats. Der nationalistische-kriegsbefürwortende Sozialchauvinismus der 2. Internationale war praktisch besiegt worden.

3. Die Etappentheorie ist Quatsch

Eine weitere These widerlegte die Oktoberrevolution, auch wenn dies bei vielen nicht richtig ankam und die falsche These noch immer von vielen stalinistischen oder maoistischen Kräften für wahr gehalten wird: die Etappentheorie.

So zeigte der Sieg der Oktoberrevolution, dass es sehr wohl möglich war, auch in einem rückständigen, nicht voll entwickelt kapitalistischen Land wie Russland eine sozialistische Revolution durchzuführen und einen Arbeiter_Innenstaat aufzubauen.

Ein Flügel der Bolschewiki, dem auch Stalin angehört hatte, hatte für eine Anpassung an die Politik der Menschewiki und somit die Akzeptanz eines Stadiums der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung gestimmt, da dieses laut ihm nötig sei, um die Bedingungen für die sozialistische Revolution zu schaffen. Die Mehrheit der Bolschewiki, angeführt von Lenin und Trotzki, hingegen hatte für die Revolution gestimmt. Sie konnten mit der Oktoberrevolution aufzeigen, dass die Bedingungen für diese bereits da waren und dass es möglich war, in direkter Folge der siegreichen bürgerlichen Revolution eine sozialistische durchzuführen. Somit hatte sich Trotzkis Theorie der „Permanenten Revolution“ bestätigt.

Damit war die Etappentheorie jedoch leider noch lange nicht tot und wurde von stalinistischen Kräften immer wieder angewandt, so z.B. im chinesischen Bürgerkrieg der 20er Jahre sowie später im Iran. Dadurch, dass die stalinistische Tudeh Partei dort behauptete, der Iran bräuchte zuerst eine unabhängige bürgerlich kapitalistische Entwicklung und entsprechend zu einer Zusammenarbeit mit der „nationalen“, und in diesem Fall religiösen Bourgeoisie aufrief, konnten die Mullahs überhaupt an die Macht gelangen und ihre bonapartistische Terrorherrschaft etablieren nachdem die iranische Revolution 1973 den Schah gestürzt hatte. Umso wichtiger ist es, in Zukunft stets für die Losung der permanenten Revolution zu werben und aufzuzeigen, dass es sehr wohl möglich und nötig ist, in einem weniger entwickelten Land einen Arbeiter_Innenstaat zu errichten.

4. Nur der Sozialismus schlägt den Nationalismus!

Kürzlich erst kam es erneut zu einer Eskalation des jahrzehntealten Konfliktes zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach. Doch während 1917/18 und 1993/94 zwei brutale Kriege stattfanden, war es viele Jahre dazwischen ruhig in Bergkarabach und es war möglich, dass Armenier_Innen und Aseris friedlich nebeneinanderlebten. So konnten sich die linken Bolschewiki durchsetzen, die die Sowjetunion als eine Konföderation verschiedener Sowjetrepubliken aufbauen wollten, während andere rechte Kräfte eher eine Art großrussischen Arbeiter_Innenstaat anstrebten.

Dadurch konnten sich nationale Gruppen selber verwalten. Zusätzlich zu den Sowjetrepubliken gab es auch Regionen mit Autonomiestatus, wie eben Bergkarabach, die sich auch innerhalb der Sowjetrepublik, in der sie sich befanden, selbst verwalten konnten. Zwar sorgte die stalinistische Bürokratie später für eine undemokratische Zentralisierung, die sie benötigte, um ihre Macht zu sichern. Jedoch entschärfte die Selbstverwaltung der Republiken sowie das vereinende Element des Aufbaus des Arbeiter_Innenstaates, der durch eine extrem schnelle nachholende wirtschaftliche Entwicklung für viele Jahre das Lebensniveau drastisch anheben konnte, die nationalen Konflikte sowie das Entstehen von Rassismus und Chauvinismus. Erst als die stark degenerierte Sowjetunion in den 80er Jahren in ihre finale Krise geraten war, entluden sich alte nationale Konflikte wieder und es kam zu erneutem Hass, der in Bergkarabach in einen brutalen Krieg mündete.

5. Queer und Frauenbefreiung heißt Sozialismus!

Nicht nur gegen Nationalismus und Rassismus konnte die frühe Sowjetunion Erfolge verbuchen, auch in der Frage der selbstbestimmten Sexualität wurde sie in Folge der Oktoberrevolution zum fortschrittlichsten Land der Welt. Während in der BRD 50 Jahre später noch ausnahmslos jede homosexuelle Handlung (zwischen Männern) unter Strafe stand, legalisierten die Bolschewiki unter Lenin Anfang der 20er Jahre Homosexualität in den Ländern der Sowjetunion.

Damit war allerdings die gesellschaftliche Unterdrückung von queeren Menschen bei weitem noch nicht beseitigt, da das rückschrittliche Bewusstsein der Bevölkerung diesbezüglich mit der progressiven Gesetzeslage in Widerspruch stand und es keine organisierte Bewegung der Homosexuellen gab, wie es zum Beispiel eine proletarische Frauenbewegung gab. Jedoch war ein riesiger erster Schritt gemacht, dem vermutlich, wenn die Sowjetunion nicht bürokratisch degeneriert wäre, auch noch weitere Schritte gefolgt wären.

Stalin jedoch machte diesen ersten Schritt zur queeren Befreiung 1934 wieder zu Nichte, in erster Linie als Zugeständnis an die orthodoxe Kirche und sie umgebene konservative Kräfte, stellte er Homosexualität wieder unter Strafe.

Dennoch bleibt die Erkenntnis: Sozialismus schafft die Bedingungen, die für queere Befreiung notwendig sind. Auch die im Vergleich zu den kapitalistischen Staaten deutlich bessere Lage von queeren Menschen in der DDR im Vergleich zur BRD zeigt das auf, auch wenn hier ebenso wie in der UDSSR keine vollständige Befreiung und Akzeptanz durchgesetzt wurde und auch diesbezüglich ein rückschrittliches Bewusstsein in vielen Köpfen zurückblieb.

Auch die Frauenbefreiung war Teil der Oktoberrevolution. Die Beschlüsse, die 1918 bezüglich Ehe, Familie und Vormundschaft getroffen wurden, sind vermutlich die fortschrittlichsten, die die Welt je gesehen hat. Die Abtreibung wurde legalisiert, Ehen konnten viel leichter geschlossen und wieder geschieden werden, wobei beide Ehepartner gleichberechtigt waren. Des Weiteren wurden erste Schritte zur Vergesellschaftung von Hausarbeit gemacht, was die Frauen aus der doppelten Ausbeutung ansatzweise befreien konnte und dazu führte, dass die Reproduktionsarbeit in der Gesellschaft effektiver organisiert werden konnte.

Doch auch die Frauenpolitik blieb nicht von der stalinistischen Bürokratie verschont. Die Umgestaltung der Partei 1924 benachteiligte nicht nur die, die offene Kritik äußern wollten, um Fortschritte zu erzielen, sondern es waren auf einmal auch weniger Frauen, die Posten bekleideten. Man erklärte die Befreiung der Frau für bereits abgeschlossen und sah deshalb keine Notwendigkeit mehr für Einrichtungen, die nur für Frauen bestimmt waren. Es ging sogar soweit, dass es besondere Straftatbestände gab, die nur Frauen begehen konnten, wie Teil einer Familie zu sein, die „ein Feind des Volkes“ ist. Trotzki meinte daher, dass die Bürokratie es geschafft habe, den reaktionärsten Kern der Klassengesellschaft wieder herzustellen: die bürgerliche Familie.




Europäische Asylpolitik: Erst stirbt das Recht – dann der Mensch!

von Clay Ikarus, Oktober 2023

Hungersnöte, Umweltkatastrophen, Krieg und Verfolgung. Der Kapitalismus schafft eine Spirale des Elends! Über 100 Millionen Menschen sind bereits gezwungen, ihre Heimat zu verlassen auf der Suche nach einem sicheren Zuhause, doch alles was sie erwartet sind überfüllte Lager, eine rassistische Asylpolitik, Diskriminierung, Armut, Menschenhandel und oft auch der Tod. Allein in diesem Jahr sind fast 500 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen und das sind nur die offiziellen Zahlen. Doch anstatt den steigenden Todeszahlen entgegen zu wirken und den Menschen sichere Fluchtrouten, Asyl und gleiche Rechte zu bieten, setzt die EU und allen voran Deutschland auf Abschottungspolitik. Die Festung Europa wird immer weiter ausgebaut und das nicht nur durch Grenzschutzarmeen wie Frontex, sondern auch durch Verschärfungen der Gesetze und Abkommen mit anderen Ländern. Während im Koalitionsvertrag der Ampelregierung noch das Ziel gesetzt wurde, das Leid an den Außengrenzen zu beenden und bessere Standards in der Asylpolitik einzuführen, sieht die Praxis mal wieder komplett anders aus. So wurde in diesem Jahr bereits eine Asylgesetzverschärfung umgesetzt, Menschen können schneller abgeschoben werden. Am 04. und 05.10.23 fand zudem ein informeller EU-Gipfel in Granada statt, wo das GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) nochmals erweitert wurde.

Historischer Rückblick:

Es ist nun 30 Jahre her, dass in Deutschland das Grundrecht auf Asyl geändert wurde und das Prinzip der Drittstaatenregelung sowie „sicherer“ Herkunftsländer unter der Kohl-Regierung eingeführt wurde. 3 Tage später verbrennen 5 Menschen in Solingen im Haus der Familie Genç in Folge eines Angriffs rechter Brandstifter. Diese fühlten sich durch die rassistische Politik bestätigt. Damals wurden bereits Zugeständnisse an rechte Kräfte gemacht, die den Anstieg rechter Gewalt mit sich brachten. Die Politik hat den Kurs jedoch nicht geändert, nach und nach wurden immer mehr rassistische Gesetze eingeführt:

2011 wurden EU-weit Richtlinien erstellt für die Anerkennung eines Menschen als staatenlos, 2013 wurden diese um die Dublin-Verordnung erweitert, die besagt, dass Geflüchtete wo sie zuerst registriert werden, auch Asyl beantragen müssen.

2015 kam das Asylpaket I – Ausweitung der „sicheren“ Herkunftsländer, Verlängerung der Unterbringung in Lagern, Arbeitsverbot solange kein Asyl genehmigt ist, Leistungskürzungen, Abschiebetermine dürfen nicht mitgeteilt werden, Integrationskurse nur für Asylsuchende, die sicher Asyl bekommen und es nicht lange geprüft werden muss, Verteilung von Minderjährigen aufs ganze Bundesgebiet, diese wurden vorab durchs Jugendamt betreut. Ebenfalls wurde im gleichen Jahr noch das Asylschnellverfahren eingeführt, wo innerhalb einer Woche über das Leben der Menschen, die oft traumatisiert hier ankommen, entschieden wird.

2016, schon im März Asylpaket II – Familiennachzug wird eingeschränkt, auch die Integrationsgesetze wurden verschärft. 3 Jahre müssen Asylsuchende an ihrem Wohnsitz bleiben, weitere Kürzungen und Sanktionsmöglichkeiten des bereits aufs Existenzminimum gedrückten Asylleistungsgelds.

2017 wurde dann beschlossen, dass Asylsuchende bis Ende des Verfahrens in Lagern gelassen werden können, was manchmal Jahre dauert.

2018 dürfen Menschen in Abschiebehaft mit Strafgefangenen zusammengelegt werden. Zudem wurden die Gründe für Haft verschärft sowie Auflagen zur Unterbringung erweitert und Menschen, die Abschiebetermine weitergeben, begehen eine Straftat.

Über Corona hinweg wurde der Familiennachzug extrem erschwert, in den Lagern gab es massive Ausbrüche und kaum Hilfe, Abschiebungen wurden weiter durchgeführt, 2020 brannte Moria noch zusätzlich ab. Auch mit Asyl sind die meisten gezwungen, schlechter bezahlte Jobs in großen Einrichtungen, wie Amazon Lagern, Paketdiensten, Tönnies, Erntehilfe, etc. anzunehmen, daher sind viele der Coronatoten auch Migrant_Innen oder Geflüchtete. Doch auch nach Corona ging es brutal weiter. Nicht nur, dass die Umwelt- und Wirtschaftskrise und der Krieg in der Ukraine sowie anhaltende Kriege und Besetzungen mehr und mehr Menschen zur Flucht zwingen als je zuvor, die Abschottung geht gleichzeitig auch in die nächste Runde und mit ihr der Rechtsruck. NSU, Hoyerswerda, Rostock Lichtenhagen, Oury Jalloh, Halle, Hanau etc. sind Folgen dieser Politik. Natürlich gab es auch vorher rechte Kräfte und Gewalt, sowie rassistische Gesetze aber der Rechtsruck zieht sich seitdem verstärkt durch die Gesellschaft und steigert diese Unterdrückung, nicht nur in Deutschland, sondern EU- und weltweit. Gerade die Krise 07/08 befeuerte die Lage und die jetzigen bringen das Risiko des Faschismus näher.

Festung Europa schottet sich ab

Weiter geht es nun mit der Ausweitung des GEAS und der Krisenverordnung. Über 50 Organisationen, die sich für Geflüchtete einsetzen, haben davor gewarnt, doch der Beschluss steht nun fest und die EU-Staaten haben sich geeinigt. Zukünftig soll neben dem Dublin-III-System eben die Krisenverordnung gelten. Dublin-III führte dazu, dass gerade die EU-Staaten im Süden Geflüchtete aufnehmen, denn dort kommen die meisten zuerst an und schaffen es kaum bis nach Deutschland oder Frankreich ohne zuvor bereits registriert worden zu sein. In Italien, Griechenland, Spanien und auch Ländern, wie der Türkei werden die Menschen bereits jetzt in Lagern untergebracht und müssen da auf Asyl warten, was gerade durch die Überlastung Jahre dauern kann. Dies soll jetzt geändert werden, indem die Lager nicht mehr zur EU gehören und Geflüchtete somit die EU faktisch nie betreten haben. Die Asylanträge werden dann im Zuge eines Grenzverfahrens an die EU gestellt, während die Menschen vor der Grenze de facto inhaftiert sind, von dort können sie dann abgeschoben werden. Dies wird auch Kinder treffen, welche 40% der Geflüchtetenzahlen ausmachen. Außerdem kann nun in Drittstaaten abgeschoben werden, die die Menschen nie zuvor betreten haben, während gleichzeitig die Anforderungen an diese „sicheren“ Staaten runtergeschraubt werden. Es wird nicht mehr geprüft, ob Menschen das Recht auf Asyl haben, sondern nur noch festgelegt, wo sie zu leben haben. Heftig ist auch, dass anders als noch im Juni gesagt, nun doch ein Absatz zur „Instrumentalisierung von Migrant_Innen“ enthalten ist, der private Seenotrettung zur Straftat erklären kann. Auch die illegalen Pushbacks sind nun legalisiert, da sie zum legitimen Grenzschutz erklärt werden. Eine verpflichtende Aufnahme der EU-Staaten ist zudem nicht vorgesehen, die Staaten können auch einfach unter dem „Solidaritätsmechanismus“ Gelder an Staaten wie Tunesien zur Flüchtlingsabwehr zahlen.

Argumentiert wird diese grausame Reform dann auch noch mit dem Kampf gegen Rechts. Nächstes Jahr finden nämlich die EU-Wahlen statt und um den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen, macht man weiter Zugeständnisse an sie. Nicht nur, dass man hierbei nicht aus der Geschichte gelernt hat, nein, die letzten Jahre haben auch erneut bewiesen, dass dies den Rechtsruck nur vorantreibt. Olaf Scholz spricht von einem „historischen Wendepunkt“. Nancy Faeser sieht die deutschen „Vorstellungen von Menschlichkeit und Ordnung“ verwirklicht. Auch wurde auf die zu hohen Zahlen von Asylanträgen verwiesen, die ja unbedingt verringert werden müssen, sonst sei der freie Handel innerhalb der EU gefährdet. Also damit die Wirtschaft weiter offene Grenzen hat, bekommen Menschen keine Hilfe.

Über 100 Millionen Geflüchtete und Deutschland hat gerade mal 200.000 Asylanträge, in der ganzen EU sind es nur 800.000 Anträge von 100 Millionen Menschen, die kein Zuhause mehr haben. Diese nicht mal eine Millionen zu bearbeiten und aufzunehmen überfordert??? Was will man uns hier vormachen? Die meisten Menschen auf der Flucht fliehen innerhalb ihres eigenen Landes oder in Nachbarstaaten, ohne dass es da Aussicht auf ein besseres Leben gibt. Und selbst hier innerhalb der EU, wo der Handel sich über jede Grenze frei bewegen darf, dürfen die Menschen sich nicht einfach zu den gleichen Bedingungen bewegen. Während man als Deutsche_r eigentlich alles darf mit dem nötigen Geld, sieht das für Menschen aus Polen oder Griechenland schon ganz anders aus, die kriegen nicht überall ein Arbeitsrecht. Das zeigt mal wieder, dass wir mehr mit den Geflüchteten gemein haben als mit den Profiteur_Innen der kapitalistischen Produktion.

Was müssen wir also dagegen tun?

Also first step: Wir dürfen keine Illusionen in die kapitalistischen Regierungen haben, die seit Jahrzehnten den Rechtsruck befeuern und eh nur das Interesse hat, die Profitgier der herrschenden Klasse zu bedienen und dafür zu sorgen, dass die kapitalistische Wirtschaft freien Handel betreiben kann. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir nur als Unterdrückte und Ausgebeutete gegen die Grenzen die uns voneinander trennen, ankämpfen können und freie Bewegung in der Welt nur gemeinsam erreichen können.

Dafür müssen wir uns gemeinsam organisieren! Die Forderung nach offenen Grenzen und Staatsbürger_Innenrechten für Alle sind für uns alle wichtig, gerade in Zeiten mehrerer Krisen kann es schnell dazu kommen, dass man selbst betroffen ist. Zudem würden gleiche Staatsbürger_Innenrechte auch gegen Rassismus und Rechtsruck helfen, da es dann keine systematische Rechtssprechung gäbe, die Mirgrant_Innen ohnehin zu Menschen 2. Klasse erklärt. Löhne müssten gleich bezahlt werden und an die Inflation angepasst, sodass Lohndrückerei und Überausbeutung halbkolonialer Länder keine Anreize mehr hat. Wenn ein Konzern lieber Migrant_Innen einstellt als Staatsbürger_Innen, dann vor allem, weil weniger Lohn gezahlt werden kann. Das gleiche sehen wir auch bei Gastarbeiter_Innen und stellt auch den Grund für Outsourcing und Abwanderung dar. Gegen den Fachkräftemangel braucht es kostenlose Bildung und Ausbildungen, Umschulungen und ein Recht auf Arbeit und Wohnen für Alle. Dafür müssen wir uns in Schulen, Unis und Betrieben organisieren und gemeinsam streiken. Denn nur der Streik baut den nötigen Druck auf, um unsere Interessen umzusetzen, da dies den Verlust von Kapital bedeutet. Es braucht demokratische Streikkomitees, die auch bereit sind, sich zu nehmen was uns zusteht, wenn die herrschende kapitalistische Klasse es uns nicht geben will.




Nein zu den reaktionären Angriffen der Türkei – Solidarität mit Rojava!

Von Leonie Schmidt, Oktober 2023

Die Welt schaut gerade nach Israel und betrauert dabei fast ausschließlich die getöteten israelischen Zivilist_Innen, während das Töten palästinensischer Zivilist_Innen als Kampf gegen Terrorismus geframet und damit unsichtbar wird. Doch ebenso unsichtbar bleibt eine weitere humanitäre Katastrophe: In Nordsyrien, in den Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung Rojava, fliegt die Türkei nun seit über einer Woche Bombenangriffe, die die Infrastruktur zerstören, Menschen töten und die Schwersten dieser Art seit langem sind. Seit dem 5.10.23 wurden 47 Menschen ermordet, darunter auch neun Zivilist_Innen und zwei Kinder (Stand 11.10.23). So wurden bereits mehrere Krankenhäuser durch die Angriffe zerstört, sowie ein Kraftwerk getroffen, außerdem die Wasser- und Energieversorgung, Schulen, Ölfelder, Fabriken, Warenlager, sowie Geflüchtetenlager und Dörfer. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Infrastruktur massiv angegriffen wird, was nach internationalem Recht ein Kriegsverbrechen darstellt. So ist in großen Teilen Rojavas nach den Angriffen die Stromversorgung eingebrochen. In vielen Fällen sollen die Luftschläge auch Menschen in Fahrzeugen und auf Motorrädern gegolten haben. Erdogan möchte den Menschen die Lebensgrundlage rauben und er legitimiert es wie Netanjahu mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Am 2. Oktober kam es zu einem Anschlag der PKK in Ankara und nun wird behauptet, einer der Attentäter würde aus Nordsyrien stammen, wenngleich es dafür keine Beweise gibt. Aber Beweise braucht es für Erdogan schließlich auch nicht, da die Behauptung seiner Ideologie und seinem rassistischen Kampf gegen die Kurd_Innen entsprechen. Bereits im November 2022 wurde ein Anschlag in Istanbul als Vorwand genutzt einen zweiwöchigen Luftangriff auf die Region zu fliegen, wo ebenso Infrastruktur getroffen wurde und unter dessen Auswirkungen die Bevölkerung heute noch zu leiden hat. Seit den Angriffen gibt es nur einige Stunden am Tag Strom, Diesel ist rar und teuer geworden und auf eine neue Gasflasche zum Kochen muss man in der Regel eine Woche warten. Hinzu kommt die enorme psychische Belastung für die Bevölkerung, Drohnenangriffe sind allgegenwärtig. Und damit nicht genug: Innerhalb der Türkei wird das gerade damit begleitet, dass Dutzende prokurdische Aktivist_Innen inhaftiert und insgesamt ein harter Kampf gegen die fortschrittlichen Bewegungen geführt wird.

Doppelmoral so weit das Auge reicht

Erdogan sagte in einer gestrigen Ansprache an die Staatengemeinschaft, man solle sich hinsichtlich der Luftschläge gegen Gaza doch zurückhalten, denn es würde nicht den Menschenrechten entsprechen, Infrastruktur zu zerstören. Er prangerte des Weiteren das Schweigen der internationalen Staatengemeinschaft hinsichtlich dieser humanitären Katastrophe in Gaza an. Wenngleich seine Aussagen bezüglich Gazas einen wahren Kern haben, so ist das doch am Ende des Tages nichts weiter als dreckige Heuchelei. Scheinbar sind ihm Menschenrechte ziemlich egal, wenn es um den eigenen Dorn im Auge geht: den kurdischen Befreiungskampf.

Auch die USA und Russland nehmen die Angriffe ohne ein Augenzucken hin, denn sie sind es, die den Luftraum in Nordsyrien kontrollieren. Ohne die Zustimmung der beiden Militärs wären die türkischen Angriffe nicht möglich. Jedoch gibt es aktuell das unbestätigte Gerücht, die USA hätten eine Drohne des Nato-Bündnispartners Türkei über dem Ort Tal Baydar abgeschossen. Sollten diese Meldungen zutreffen, wäre es das erste Mal, dass US-Militär ein Flugobjekt der Türkei abgeschossen hat.

Ziele der Türkei

Die Türkei verfolgt mit dem Angriff ihr eigenes Ziel als Regionalmacht an der Neuordnung des Nahen Osten mitzuwirken, aber auch innenpolitische Ziele werden vom Regime in Ankara verfolgt.

Die Türkei steckt seit Jahren in einer Wirtschaftskrise, besonders die Inflation ist nach wie vor in einem sehr hohen Ausmaß und türkische Währung Lira ist weiterhin schwach. Im August lag die Teuerungsrate bei 58,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, was extrem hoch ist. Diese wird auf Arbeiter_Innen und Jugendliche abgewälzt. Der Krieg in Syrien schafft eine äußere Ablenkung von den sozialen Angriffen, aber bedient auch ganz unmittelbar ökonomische Interessen:

Die „Toki“ Häuser, die von staatlichen Bauunternehmen gebaut werden, sollen da, wo zerstört wird, aufgebaut werden und die Baubranche ankurbeln. Außerdem will Erdogan in diesem Gebiet bis zu 2 Millionen Geflüchtete zwangsansiedeln und das passt wiederum super in den Kram der EU, siehe die aktuelle GEAS-Gesetzgebung, bei der Menschen aus vermeintlich „sicheren Herkunftsstaaten“ (z. B. Türkei, Indien oder Tunesien) so schnell wie möglich dorthin abgeschoben werden sollen. Auch für Menschen aus Staaten, auf die diese Kategorie nicht zutrifft, finden die EU-Innenminister_Innen einen Weg, der an einem Asyl für diese vorbeiführt. Die Reform besagt, dass nun auch eine Abschiebung in ein „sicheres Drittland“, welches auf dem Fluchtweg passiert worden ist oder auf andere Weise mit der geflüchteten Person assoziiert wird (z.B. über entfernte Verwandtschaft), möglich sei.

Der Kampf um Befreiung ist international

Rojava muss gegen die Angriffe des türkischen Staates verteidigt werden. Der Kampf gegen die Militärmaschinerie in der Türkei, gegen das PKK-Verbot in Europa, für uneingeschränkte legale Betätigung aller Befreiungsbewegungen und, wann immer möglich, das Leisten materieller Hilfe für die Verteidigung von Rojava ist aktuell notwendig und könnte den entscheidenden Unterschied ausmachen.

Gleichzeitig müssen wir auf die Doppelmoral und auf die Ähnlichkeiten der Kämpfe in Gaza und in Nordsyrien hinweisen: one struggle, one fight! Für das Recht auf nationale Selbstbestimmung!

  • Schluss mit den Angriffen auf Rojava! Solidarität mit dem kurdischen Volk!
  • Nein zu allen Abschiebungen in die Türkei! Niederschlagung aller Verfahren gegen kurdische Aktivist_Innen!
  • Aufhebung der sog. Antiterrorliste der EU! Weg mit dem Verbot der PKK und anderer kurdischer Vereine!



Rassistische Polizeigewalt in Frankreich: Gerechtigkeit für Nahel!

Oktober 2023, Revolution Zeitung September 2023

Immer wieder kommt es weltweit zu rassistischer Polizeigewalt. In Frankreich gipfelte sie am 27. Juni dieses Jahres mit der Erschießung des 17-jährigen Nahel Merzouk. Doch was ist passiert? Nahel war mit zwei weiteren Personen im Auto unterwegs, als die Polizei sie aufgrund von zu hoher Geschwindigkeit anhalten wollte. Nahel ignorierte dies und es kam zu einer Verfolgungsjagd bei der er schließlich stoppen musste. Kurz darauf wurde Nahel auf dem Fahrersitz des Wagens erschossen. Die Polizei behauptete danach, Nahel sei auf einen Polizisten zugefahren, welcher dann aus Notwehr gehandelt habe. Ein öffentlich gemachtes Video widerlegte dies allerdings, denn der Polizist hielt sich seitlich am Fahrzeug auf.

In Folge dieses Mordes kam es zu gewaltigen Protesten, die ganz Frankreich erfassten. Diese richteten sich hauptsächlich gegen die massive Polizeigewalt und Racial Profiling. Die Wut der Demonstrierenden äußerte sich auch in größeren Krawallen bei denen beispielsweise Brände gelegt wurden etc. Im Zuge dessen war der Protest eher Ventil für die verständliche Wut, statt dass er eine größere politische Perspektive aufzeigen konnte. Zwar erklärte der franz. Präsident den Mord als „unerklärlich“ und hielt eine Schweigeminute ab, doch praktisch reagierte der Staat auf die Krawalle mit der Mobilisierung von bis zu 45.000 Polizist_Innen und die Polizeigewerkschaften erklärten offen, man befände sich „im Krieg“. Selbstredend kam es auch hier zu massiver Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden.

Doch nicht nur in Frankreich kommt es zu Polizeigewalt. Denken wir nur an die Tode von George Floyd in den USA oder den von Mouhamed Dramè in Dortmund. Auch knüppelt und schießt die Polizei praktisch weltweit Proteste nieder und das nicht nur in Ländern außerhalb des sich so liberal und freiheitsliebenden gebenden Westens. In jüngster Erinnerung sind sicherlich Proteste wie die nach dem Tode Nahels, gegen die Rentenreform in Frankreich oder auch die 1. Mai Demonstrationen.

Wer ist eigentlich die Polizei?

Um zu verstehen wieso es immer wieder dazu kommt und was eine Antwort darauf sein kann, müssen wir uns näher mit der Rolle der Polizei im kapitalistischen Staat befassen. Im bürgerlichen Staat ist die Polizei Teil der exekutiven Gewalt, sprich ausführenden Gewalt des Staates. Sie stellt also zumindest innerhalb der nationalstaatlichen Grenzen den bewaffneten Teil des Staates dar. Ihre Aufgabe ist es, die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Staates zu gewährleisten. Alleine an ihr liegt es, mit Gewalt für „Recht und Ordnung“ zu sorgen. Wenn also nun in einem Staat Proteste entbrennen, die sich z.B. gegen eine rassistische Praxis innerhalb der Staatsordnung wenden, so ist es die Aufgabe der Polizei, diese niederzuschlagen und den Status Quo zu verteidigen. Das Problem ist nun, das der Status Quo, also die herrschende Ordnung, vor allem der Klasse der Kapitalist_Innen dient und nicht den Interessen des Großteils der Bevölkerung, der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend.

Doch warum trifft die Polizeigewalt so oft unterdrückte Gruppen wie People of Color? Der Rassismus des Staates und der kapitalistischen Ausbeutung wird hier gewaltsam fortgeführt. Beispielhaft sind hier Migrant_Innen, die auf rassistische Art und Weise auf dem Arbeitsmarkt überausgebeutet in ein prekäres Dasein verdrängt werden, wo sie dann in den sogenannten „Problembezirken“ zusammenwohnen müssen, da man sich nur dort noch die Mieten leisten kann. Entwickeln diese Menschen dann eine berechtigte Wut auf die Art und Weise ihrer Behandlung durch den Staat, werden sie spätestens dann zum Problem für die herrschende Ordnung, wenn sie diese Wut kundtun. Aber auch Linke trifft die Gewalt des Staates immer wieder, da sie eben diesen kritisieren und abschaffen wollen, was natürlich im Gegensatz zur Aufgabe der Polizei steht, diesen zu bewahren. Es bleibt also festzustellen, dass die Polizei nicht unser Freund und Helfer ist, war oder sein wird. Sie setzten einfach nur die unserem Interesse entgegengerichtete Ordnung des Staates durch.

Doch wie gehen wir damit um, wenn wir uns die alltägliche Schikane und Gewalt durch den Staat nicht mehr länger gefallen lassen wollen? Da uns nun klar sein sollte, dass Polizeigewalt nicht Ausrutscher einzelner Polizist_Innen sind, sondern das Ergebnis der staatlichen Ordnung, müssen wir uns gegen diese organisieren. Die Forderungen müssen sich also damit auseinandersetzten, wie wir im Hier und Jetzt Polizeigewalt bekämpfen, aber auch wie wir die Polizei und den Kapitalismus als Ganzes überwinden können:

• Polizei aus dem DGB schmeißen! Bullen gehören nicht zur Arbeiter_Innenklasse, sondern sind die Schlägertruppe des Kapitals!

• Kein Massenüberwachung z.B. durch, Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Videoüberwachung usw.!

• Kein Racial Profiling und ein hartes Aburteilen von Bullen, die Racial Profiling anwenden!

• Polizist_Innen, die gewalttätig werden, sollen vor Volksgerichte gestellt und diese bei Bedarf abgeurteilt werden! Dafür müssen sie durch ein individuelles Erkennungszeichen identifizierbar sein!

• Keine Militarisierung der Polizei. Sofortige Entwaffnung der Polizei, vor allem was Taser, Maschinenpistolen, Knarren und Handgranaten angeht!

• Für demokratisch legitimierte und kontrollierte Selbstverteidigungsstrukturen der Arbeiter_Innen, Jugendlichen und allen Unterdrückten des Kapitalismus!




Erweiterung der BRICS-Staaten: Gipfel unterdrückter Völker oder imperialistisches Projekt?!

von Yorick F., September 2023, zuerst veröffentlicht in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Die BRICS Staaten wollen sich mit dem Jahresbeginn 2024 fast verdoppeln. Das wurde auf ihrem Gipfel in Johannesburg (Südafrika) vom 22. bis 24.8.2023 beschlossen. Zu den 5 bisherigen Namen gebenden Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika sollen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Argentinien, Äthiopien, Ägypten und dem Iran sechs weitere dazukommen. Einig davon sind schon seit Jahren erklärte Gegner des westlichen imperialistischen Blocks, andere waren jahrzehntelang jedoch dessen strategische Verbündete, die sich aber seit Jahren zwischen den USA und China neu positionieren.

Diese Erweiterung, die unter dem Namen BRICS Plus firmiert, will sich als Gegengewicht zu den 2006 gegründeten geführten G7 positionieren und könnte – wenn auch nicht in unmittelbarer Zukunft – eine ernste Bedrohung für das US-geführten Staatenbündnis werden.

Aktuell leben in den BRICS-Staaten bereits 42 Prozent der Weltbevölkerung, nach der Erweiterung wären es sogar 46. Bedeutsamer ist aber die ökonomische Zunahme: Die aktuellen 31 Prozent Anteil an der Weltwirtschaftsleistung nach Kaufkraft bereinigtem BIP würden sich auf 37 erhöhen. Tatsächlich überholten die BRICS damit bereits die G7. Was als Wendepunkt in der kapitalistischen Weltordnung erscheint, muss jedoch relativiert werden.

Ungleichheit unter den BRICS

Zunächst herrscht innerhalb der BRICS – noch mehr noch als in den G7 – eine extreme Ungleichverteilung der Anteile an diesem BIP vor. China zeichnet verantwortlich für 17,6 Prozent, gefolgt mit großem Abstand von Indien mit 7 Prozent und schließlich Russland (3,1), Brasilien (2,4) und Südafrika (0,6). Nach dem ökonomisch bedeutsameren Nominalwert in US-Dollar, also dem nicht bereinigten BIP, liegen die BRICS immer noch weit hinter den G7. So verfügten sie als gesamter Block 2022 über ein BIP von 26 Billionen US-Dollar, etwa so viel wie die USA alleine.

Nach BIP pro Kopf sind die BRICS noch immer weit abgeschlagen. Selbst wenn man nicht nach der Kaufkraft des US-Dollars rechnet, sondern bereinigte Größen zu Grunde legt, fällt es in den USA mit 80.035 US-Dollar mehr als dreimal so hoch aus wie das chinesische BIP von 23.382.

Auch als BRICS Plus mit allen potenziellen neuen Mitgliedsstaaten bleibt das Wirtschaftsbündnis letztlich eine weitaus schwächere und kleinere Wirtschaftsmacht als der imperialistische Block der G7. Darüber hinaus sind die BRICS in noch höherem Maße divers in ihrer Bevölkerung, dem BIP pro Kopf, ihrer Geografie und der Zusammensetzung ihrer Handelsströme.

Nicht zuletzt herrscht größere Uneinigkeit auch politisch zwischen den Mitgliedsstaaten, während  der G7–Block über lange etablierte Institutionen des globalen Finanzkapitals, gemeinsame militärische Institutionen verfügt und die Hegemonie der USA über ihre imperialistischen Verbündeten größer ist als jene Chinas über die BRICS-Staaten.

Im Gegensatz zu den G7, die unter Führung der USA trotz innerer Konkurrenz relativ einheitliche wirtschaftliche Ziele gegenüber den anderen Ländern verfolgen, haben die BRICS auch in Bezug auf ihre Wirtschaftsstrategie diese nicht. Sie eint – was für die aktuelle Lage schon bedeutend genug ist – vor allem, dass sie ein Gegengewicht gegenüber den USA und den anderen langjährigen imperialistischen Mächten bilden wollen. Sie haben aber keine gemeinsame Zielsetzung bezüglich eine anderen Weltwirtschaftsordnung.

Es eint sie vielmehr der Versuch, sich von der wirtschaftlichen Dominanz der USA und insbesondere des US-Dollars zu lösen. Und selbst das dürfte schwierig werden. Der Dollar bleibt trotz sinkender Dominanz der USA die weltweit bedeutsamste Währung für Handel, Investition und Devisenreserven. Der Anteil des Renminbi an globalen Währungsreserven hingegen beträgt heute nur etwa 3 %. Selbst China hält noch 58 % seiner Währungsreserven in Dollar. So wurde auch die Diskussion über die Ablösung des Dollars insbesondere aufgrund der Einwände vor allem Indiens auf den nächsten Gipfel im russischen Kasan (Republik Tatarstan) vertagt.

Auch im Hinblick auf die dominanten internationalen Institutionen der kapitalistischen Weltordnung gibt es wenig Aussicht auf eine Ablösung der westlichen Hegemonie. Die New Development Bank (NBD) konnte bisher kein spürbares Gegengewicht als Kreditinstitution gegenüber IWF und Weltbank aufbauen.

Dennoch wird sich die internationale Rivalität in diesem Jahrzehnt politisch, wirtschaftlich und militärisch verschärfen und die Erweiterung der BRICS wird insbesondere für China wohl von größerer Bedeutung sein. Das Bündnis erweitert sich um drei wichtige Lieferanten von fossilen Rohstoffen: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und den Iran. Unter Miteinbeziehung Russlands werden derzeit 60 Prozent der weltweit geförderten Öl- und Gasvorkommen in BRICS-Ländern gewonnen. Demnächst könnte BRICS Plus 80 Prozent der weltweiten Ölförderung kontrollieren.

Innere Spannungen

Vor allem Indien befürchtet eine wachsende Dominanz Chinas innerhalb des BRICS-Bündnisses, insbesondere auch aufgrund des territorialen Streites an der indisch-chinesischen Grenze. Die führende Rolle innerhalb des Bündnisses hat China zwar sowieso inne, aber mit einer Währung, die sich konjunkturell am Renminbi (Yuan; RMB) orientieren würde, könnte es seine dominierende Rolle für die BRICS Staaten ausbauen. Als zweitgrößte imperialistische Macht der Welt betrachtet China die BRICS letztlich natürlich als Mittel, den kriegsgeschüttelten russischen Imperialismus, aber auch aufstrebende und geostrategisch wichtige Halbkolonien enger an sich zu binden und seine ökonomische, militärische und politische Dominanz auszubauen.

Doch das ist bei weitem nicht die einzige Konfliktlinie innerhalb des BRICS-Bündnisses. Damit zusammenhängend bildet die Frage, was das Bündnis eigentlich vor allem in Bezug auf die G7 sein soll, einen immer wiederkehrenden Streitpunkt. Während China und Russland das Bündnis für sich als Unterstützung im Kampf um die Neuaufteilung der Welt mit dem Westen sehen wollen, sind die meisten anderen alten wie neuen Mitgliedsstaaten gegen eine dezidiert antiwestliche Ausrichtung und erhoffen sich, sowohl mit den G7 als auch den BRICS gute Beziehungen zu unterhalten. So verhalten sich die meisten z. B. in der Frage des Ukrainekrieges nach außen hin neutral.

Staaten wie Brasilien und Indien, aber auch neue Mitglieder wie Ägypten oder die VAE haben zwar ein direktes Interesse daran, China als Partner auf ihrer Seite zu haben, wollen aber auch nicht ihre wirtschaftlich guten Beziehungen mit dem Westen aufgeben. Andere (neue) Mitglieder wie der Iran oder Südafrika stehen hingegen ziemlich eindeutig auf russischer Seite, auch wenn Südafrika sich dem UN-Beschluss des internationalen Haftbefehls gegen Putin beugt und dieser deshalb nur per Videoschalte an der Konferenz teilnehmen konnte. Gerade aufgrund dessen waren vor allem Indien und Brasilien eher abgeneigt gegenüber einer Erweiterung des Bündnisses und forderten einheitliche Kriterien für zukünftige BRICS-Plus-Mitgliedsstaaten, da sie befürchten, innerhalb des Bündnisses an Einfluss zu verlieren und den Kurs vollständig in die Hände v. a. Chinas zu legen.

Diese Konflikte könnten in Zukunft auch durchaus noch größer werden, wenn es um die Aufnahme von 16 weiteren Staaten geht, die bereits einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt haben. 40 weitere haben ihr Interesse bekundet.

Unter den Bewerber_Innen sind nämlich so unterschiedliche Staaten wie Kuba oder Venezuela mit einer recht eindeutigen antiwestlichen Ausrichtung, aber z. B. auch Nigeria, welches relativ gute Beziehungen zum Westen pflegt und vor einem potentiellen Krieg in der Sahelzone mit Niger, Burkina Faso und Mali auf Seiten des Westens steht.

Diese Spannungen zeigen zu einem gewissen Grad den Charakter des Bündnisses auf. Es ist offensichtlich nicht das Ziel Chinas und Russlands, eines zu schaffen, welches die Interessen der unterdrückten Nationen des globalen Südens vertritt, sondern ihre eigenen ökonomischen und geostrategischen Ziele zu verfolgen. Aber zugleich müssen sie Kompromisse mit wichtigen halbkolonialen Ländern eingehen, um diese näher an sich zu ziehen oder aus einer engen Westbindung zu lösen. Die Formel, ein umschließendes Bündnis für mehr friedliches Miteinander in einer neuen multipolaren Weltordnung zu schaffen, dient dabei als ideologische Klammer, die realen imperialistischen Ambitionen Russlands und Chinas zu verschleiern – ganz ähnlich wie das Spielen der Demokratiekarte auf westlicher Seite.

Vor welchem Kontext findet das statt?

Noch deutlicher wird das, wenn wir uns angucken, in welchem Kontext, in welcher aktuelle Periode wir uns befinden. Die aktuellen wie auch die nächsten Jahre sind von einer tiefen Überakkumulationskrise, stagnierenden oder fallenden Profitragen geprägt. Natürlich versuchen alle kapitalistischen Staaten, die Kosten von Krieg, Krise, Stagnation auf die Arbeiter_Innenklasse abzuwälzen (beispielsweise auch durch die Inflation). Aber das wird nicht reichen, um die Weltwirtschaft wieder flottzumachen, zumal innerimperialistische Konkurrenz und der Krieg um die Ukraine gemeinsame Lösungsstrategien mehr und mehr verunöglichen.

Die Tage der unbestrittenen Vorherrschaft des imperialistischen Blocks unter Führung der USA sind vorbei – und damit die Zeiten der ungehinderten Expansion der Handels- und Finanzströme der 1990er Jahre und der ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts. Da die Rentabilität des Kapitals in den großen Volkswirtschaften in den letzten beiden Dekaden zurückging, hat sich der Kampf der großen kapitalistischen Volkswirtschaften um die Generierung von Profit verschärft.

Und dies führt zu einer Zersplitterung der wirtschaftlichen Macht. Der imperialistische Block unter Führung der USA ist zwar immer noch dominant, aber seine Vorherrschaft wird wie nie seit 1945 in Frage gestellt. Das führt dazu, dass sich die innerimperialistischen Konflikte weiter verschärfen. Nicht nur die Konkurrenz zwischen den großen Rivalen USA/EU und China, sondern auch zwischen verbündeten Imperialist_Innen tritt immer mehr zum Vorschein (z. B. die Versuche des US-Imperialismus mithilfe Anheizens des Ukrainekrieges Deutschland und Frankreich über die EU weiter an sich zu binden). Als Resultat davon wollen viele Staaten ihren Spielraum zwischen den sich formierenden Blöcken vergrößern, um sich im Zweifelsfall auf die günstigste Seite zu schlagen. Zugleich stehen etablierte Liefer- und Wertschöpfungsketten immer mehr zur Disposition, so dass immer mehr Tendenzen einer „Deglobalisierung“ hervortreten. Der Weltmarkt wird zunehmend fragmentiert, wirtschaftliche, militärische und politische Blöcke formieren sich im Rahmen des imperialistischen Weltsystems.

Nein zu allen imperialistischen Blöcken!

Für uns ist also klar, dass dieser Gipfel nicht, wie von z. B. dem brasilianischen Präsidenten Lula behauptet, einer der unterdrückten Völker des globalen Südens war. Die BRICS sind vielmehr ein Bündnis aus imperialistischen Mächten (China und Russland) sowie halbkolonialen Staaten, die ihrerseits um einen größeren Anteil am Reichtum der Welt kämpfen, inklusive bedeutender Regionalmächte, die selbst gern in den Kreis imperialistischer Mächte aufsteigen möchten (was sicher bei Indien am deutlichsten hervortritt).

Wir sehen in einem Erstarken der chinesischen und russischen Einflusssphäre keinen antiimperialistischen Fortschritt, sondern im Gegenteil ein Mittel des russischen und vor allem des chinesischen Imperialismus, in der sich im Zuge der Deglobalisierung vollziehenden Blockbildung möglichst viele Staaten als u. a. Einflusssphären, Ressourcenquellen und Absatzmärkte um sich zu scharen, um vor allem wirtschaftlich den USA die Stirn zu bieten.

Bei der Neuaufteilung der Welt zwischen „alten“ Großmächten (USA und die übrigen G7) einerseits und den neuen, aufstrebenden handelt es sich im einen reaktionären, innerimperialistischen Gegensatz, der auf dem Rücken der Arbeiter_Innenklasse und der unterdrückten Nationen ausgetragen wird.

Als Revolutionär_Innen müssen wir zum einen die Propaganda unserer „eigenen“ imperialistischen Bourgeoisie – des deutschen Kapitals – und seiner Regierung vom „Gipfel der Tyrannen“ als Heuchelei entlarven und den Klassenkampf gegen diese entschlossen führen. Gleichzeitig müssen wir uns mit der Arbeiter_Innenklasse und den Unterdrückten auch in den BRICS-Staaten im Kampf gegen „ihre“ herrschende Klasse solidarisieren. Dazu aber müssen wir selbst eine internationale Kampforganisation unserer Klasse, eine neue revolutionäre Internationale aufbauen.

Nein zu BRICS, G7 oder NATO – Zerschlagung aller imperialistischen Bündnisse! Für den gemeinsamen Kampf der Arbeiter_Innen und Unterdrückten!



Sexismus tötet, Macht korrumpiert und die Regierung vertuscht das Problem: Protestwelle in Bulgarien gegen Gewalt gegen Frauen

von Leonie Schmidt, September 2023, zuerst veröffentlicht in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Сексизмът убива, власта прекрива!

Nach einem versuchten Femizid im Juni 2023 in Bulgarien, bei welchem eine 18-Jährige von ihrem Ex-Freund mit 21 Wunden durch ein Teppichmesser zugerichtet und mit Knochenbrüchen übersät wurde, flammte eine Protestwelle gegen Gewalt gegen Frauen auf. Besonders schockierend für die Protestierenden: Der mutmaßliche Täter kam einige Tage später wieder auf freien Fuß und wurde wegen angeblich „leichter“ Verletzungen des Opfers freigesprochen!

Seitdem gehen die Menschen auf die Straße. Das ist gerade für dieses Land etwas Ungewöhnliches, denn wie Organisator_Innen des 8. März berichteten, kamen in den vergangenen Jahren nur wenige Personen zu ihren Kundgebungen. Jedoch begann die Entwicklung, dass es mehr und mehr Leute auf Proteste für Frauenrechte zog, bereits 2018, nachdem ein Schulmädchen mit Säure überkippt wurde. Auf den aktuellen Protesten sind vor allem junge Akivist_Innen anzutreffen. Veranstaltet wird das Ganze unter anderem von der Organisation Feminist Mobilization. Sie fordert in erster Linie eine Verschärfung der Gesetzeslage, denn zum Zeitpunkt der Tat gab es noch nicht einmal einen Paragraphen, welcher häusliche Gewalt im Strafgesetzbuch definierte. Aber in ihren Reihen finden sich auch Personen, die einen Kampf gegen Kapital und patriarchale Strukturen fordern.

Druck auf die Regierung wirkt – oder?

Mittlerweile hat sich die europaorientierte rechte Regierung Bulgariens dazu bequemt, einige Gesetzesänderungen durchzuführen. Täter und Betroffene müssen nun nicht mehr zusammenwohnen, damit es sich um häusliche Gewalt handelt. Eine zweite Reform wurde trotz Sommerpause durchgebracht: Künftig gilt es als Beziehungstat, wenn Täter und Opfer seit mindestens 60 Tagen in einer „intimen Beziehung“ zueinander stehen. Das ist offensichtlich ein Gesetz, das viele Schlupflöcher für die Täter beinhaltet. Die Tat ist nicht weniger schlimm, wenn sie am 40. Tag oder 1. Tag passierte. Der Nachweis, wann die Beziehung begann und ob es sich wirklich um eine intime (also sexuelle) Beziehung handelt, ist unfassbar schwierig. Wenn man als Betroffene vor Gericht eine Chance haben will, braucht man also einen guten anwaltlichen Beistand, den sich besonders Frauen der Arbeiter_Innenklasse wohl kaum leisten können.

Aber dass es nun zu so einer Laissez-faire-Reform kommt, ist leider nicht verwunderlich: In Bulgarien richten sich Politiker_Innen nicht erst seit heute gegen Frauen und explizit Betroffene häuslicher Gewalt. Seit Jahren mobilisieren rechte Parteien, aber auch die sog. sozialistische Partei Bulgariens, die linksnationalistisch und linkspopulistisch einzuordnen ist, gegen die Istanbul Konvention (ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt), da damit die Grundlage zur Einführung für die „Ehe für alle“ geschaffen werden würde.

Warum es zu häuslicher Gewalt kommt

Um einen effektiven Weg zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu finden, muss erst einmal geklärt werden, wie es überhaupt dazu kommt. Kleinbürgerliche Feminist_Innen versuchen, das entweder mit der Natur des Mannes oder der Rückschrittlichkeit der Kultur oder Klasse zu erklären, in welchen die Gewalt stattfindet. Als Marxist_Innen ist uns bewusst, dass häusliche Gewalt nur mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse erklärt werden kann. Denn sie findet nicht außerhalb der Gesellschaft statt, das Private ist nicht einfach unpolitisch, im Gegenteil: Häusliche Gewalt findet im Rahmen der bürgerlichen Familie oder einer ihr ähnlichen Beziehung statt, welche als Institution elementar für das Fortbestehen des Kapitalismus ist.

Während die bürgerliche Familie in der herrschenden Klasse eine andere Funktion hat, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, übernimmt sie in der Arbeiter_Innenklasse wesentliche Aufgaben zur Reproduktion der Klasse selbst und somit letztendlich auch des Kapitalismus. Denn hier findet die Reproduktion der Ware Arbeitskraft statt, was alle Tätigkeiten meint, die notwendig sind, damit die Arbeitenden am nächsten Tag wieder am Arbeitsplatz erscheinen und ihrer Arbeit nachgehen können. Darunter zählt also Kochen, Putzen, Wäsche Waschen, aber auch emotionale Sorgearbeit. Auch die Erziehung von Kindern fällt mit unter diese Kategorie, damit sich so die Arbeiter_Innenklasse als Ganze neu reproduzieren kann.

Um eine für das Kapital so günstig wie mögliche Reproduktion durchzusetzen, wird diese ins Private gedrängt. Die Arbeiten werden vor allem von Frauen unentlohnt verrichtet. Dies bildet die Basis für reaktionäre Rollenbilder, so dass diese ihrerseits stetig zur Reproduktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung beitragen. Das beginnt schon im Kleinkindalter durch Sozialisierung und erstreckt sich über das ganze Leben.

Die Familie existierte aber nicht schon immer, sondern entwickelte sich über die Klassengesellschaften zur heutigen Form hin und die konkrete Ausprägung heutzutage ist von der jeweiligen Gesellschaftsverfassung abhängig. Im Allgemeinen gilt der Mann als Ernährer der Familie, wohingegen die Frau als Hausfrau tätig wird. Das ist natürlich ein Ideal, was besonders für die Arbeiter_Innenklasse schwer zu erreichen ist, jedoch zu Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs zumindest für die bessergestellten Schichten der Lohnabhängigen ansatzweise etabliert werden kann. Zugleich wird sowohl mit der Expansion des Kapitalismus wie auch in der Krise die ökonomische Basis der lohnabhängigen Familie massiv unterhöhlt.

Betrachten wir Bulgarien, so geht es vor allem um die Auswirkungen der Krise. Die Frauen müssen auch Lohnarbeit nachgehen, um die Existenz der Familie abzusichern, während gleichzeitig der Lohn des Mannes nicht mehr zu deren Ernährung ausreicht. Hinzu kommen Angriffe auf die Rechte der Arbeiter_Innnenklasse und die sozialen Absicherungen wie Sozialleistungen oder Krankenkassen, um die Profite des imperialistischen Finanzkapitals zu sichern und dem Fall der Profitraten entgegenzuwirken. Solche Krisen sind ein Kennzeichen für die Periode, in welcher wir uns aktuell befinden.

Die Krise der Familie bildet also die strukturelle Grundlage der Gewalt gegen Frauen in der Arbeiter_Innenklasse innerhalb von Familien oder partnerschaftlichen Beziehungen, welche der Familie ähneln. Denn durch diese hat der Mann das Problem, dass er der Rollenerwartung als Ernährer der Familie nicht mehr nachkommen kann, während die Frauen einerseits in die Lohnarbeit gezwungen werden und andererseits aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor, in welchem sie oft tätig sind, nicht die Möglichkeit haben, dem Täter zu entfliehen. Dieses widersprüchliche Verhältnis zwischen Idealbild, Geschlechterrolle und Notwendigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt ist nicht im Rahmen des Kapitalismus aufzulösen und sorgt letzten Endes in seiner Unabdingbarkeit und Perspektivlosigkeit auch dafür, dass die extremste Form der häuslichen Gewalt, der Femizid, zu Tage dringt. Somit kann sich der Täter noch ein letztes Mal über das Opfer stellen.

Durch diese Analyse wird also auch klar, warum die herrschende Klasse gar kein Interesse hat, grundlegend gegen häusliche Gewalt vorzugehen, denn auf der einen Seite gehört die Einsparung im Sozialsicherheitssystem schließlich zum Rettungsschirm des Finanzkapitals und auf der anderen Seite müsste sie sonst die Institution der bürgerlichen Familie angreifen, welche zu den Grundfesten des kapitalistischen Systems gehört. Des Weiteren ist es auch im Sinne des herrschenden Klasse, wenn Frauen auch in ihrer Familie unterdrückt bleiben und sich nicht von ihren Geschlechterrollen zu befreien versuchen. Diesen Punkt kann man gut erkennen an den Teilen der herrschenden Klasse Bulgariens, welche an der bürgerlichen Familie festhalten wollen, indem sie sich gegen die Istanbuler Konvention stellen. Diese Analyse macht auch klar, warum besonders die Ärmsten und am stärksten unterdrückten Teile der Arbeiter_Innenklasse von jener Gewalt betroffen sind.

Lage in Bulgarien

Schauen wir uns nun die Lage in Bulgarien an. Tatsächlich gilt dies als ärmstes Land der EU. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei der Hälfte des EU-weiten Durchschnitts. 2022 betrug das jährliche  BIP/Kopf 13.079 Euro gegenüber 25.650 in der EU und 29.180 in der Euro-Zone. Des weiteren stagnieren die Löhne und Gehälter auf einem niedrigen Niveau. Interessant ist diesbezüglich auch, dass der Dienstleistungssektor dominiert: Vor allem outgesourcter Kundendienst in Form von Callcentern für imperialistische Staaten ist hier ansässig, welcher die Lohnabhängigen hier noch mehr ausbeuten kann. Dementsprechend müssen die Löhne auch auf einem derartig niedrigen Niveau bleiben, damit sich das Outsourcing für die Imperalist_Innen der EU überhaupt lohnen kann.

Über 2,2 Millionen Lohnabhängige (mehr als die Hälfte!) verkaufen ihre Arbeitskraft in anderen EU-Ländern. Viele Frauen, welche aus Bulgarien emigrieren, übernehmen in reichen imperialistischen EU-Staaten Carearbeit im Niedriglohnsektor, also als Putzkräfte, Krankenpflegerinnen und so weiter. Auch hier sind sie vor ökonomischer Abhängigkeit, Gewalt und Ausbeutung nicht sicher, im Gegenteil. All das verdeutlicht die halbkolonialen Verhältnisse in Bulgarien.

Hinsichtlich der Gewalt gegen Frauen in Bulgarien kann festgehalten werden, dass jede 3. Frau laut Befragungen bereits Opfer partnerschaftlicher Gewalt wurde. Des Weiteren wurden dieses Jahr bereits 14 Frauen Oper von Femiziden (Stand: August 2023). Es ist an dieser Stelle jedoch anzumerken, dass dies keine offiziellen Zahlen sind, da in Bulgarien diese von niemandem/r erhoben werden. Lediglich Frauenrechtsorganisationen sammeln sie. Dementsprechend ist also auch klar, dass die Dunkelziffer deutlich höher sein dürfte. Denn wie bereits eingangs erwähnt, gab es vor der aktuellen Protestwelle noch nicht einmal eine Definition im Strafgesetzbuch hinsichtlich häuslicher Gewalt!

Außerdem ist die sozialstaatliche Absicherung in Bulgarien besonders prekär, was Frauen am meisten trifft. Es fehlt an Kindergartenplätzen, was dazu führt, dass sie gezwungen sind, sich entweder unbezahlt „freizunehmen“, um ihre Kinder zu betreuen, oder flexiblere Arbeitsverhältnisse inklusive besonders schlechter Bezahlung anzunehmen. So oder so werden sie damit umso mehr an ihre Familie und ihre potentiell gewalttätigen Oberhäupter gebunden.

Perspektive der Proteste

Obwohl die Regierung versucht, durch Reformen die Protestierenden ruhigzustellen, gehen diese weiterhin auf die Straße und bringen auch antipatriarchale und antikapitalistische Forderungen mit ein, werfen die Frage auf, wem es am Ende nützt, dass Gewalt gegen Frauen herrscht und diese nur mehr als unzureichend vom bürgerlichen Staat bekämpft wird. Klar ist, die Proteste dürfen nicht bei dieser einen Frage stehen bleiben. Es gilt, eine breite Massenbewegung aus Frauen, Lohnabhängigen, und sozial Unterdrückten aufzubauen, welche für klare Forderungen und ein klares Programm hinsichtlich der Unterdrückung von Frauen und LGBTIA+-Personen eintritt. Hierbei müssen auch die Gewerkschaften aufgefordert werden, sich zu beteiligen. Des Weiteren darf diese Bewegung auch nicht im nationalen Rahmen stehen bleiben, sondern muss international aufgebaut werden. Diese Forderungen könnten sein:

  • Beendigung der Gewalt gegen Frauen und die LGBTQIA+-Gemeinschaft! Wir müssen freie Frauenhäuser, Hilfs- und Selbstverteidigungskomitees gegen Femizid, Genitalverstümmelung, häusliche und andere Formen von Gewalt organisieren.
  • Volle reproduktive Rechte und körperliche Selbstbestimmung für alle, überall! Alle Frauen sollten Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln und Abtreibung auf Verlangen haben. Frauenhäuser müssen vom Staat finanziert, aber von den Frauen selbst verwaltet werden.
  • Gleicher Lohn für Frauen! Für einen Mindestlohn und Renten, die Frauen ein unabhängiges Leben ohne Armut ermöglichen! Kampf gegen Preissteigerungen bei Wohnen, Energie und Waren des täglichen Bedarfs – für eine gleitende Skala bei Löhnen, Renten und Arbeitslosengeld, um die steigenden Lebenshaltungskosten zu decken!
  • Massive Investitionen in Bildung, Gesundheit und soziale Dienste von angemessener Qualität und kostenlos für alle als Schritt zur Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit!
  • Lasst die Kapitalist_Innen und die Reichen zahlen, um gleiche Rechte und gleichen Lohn zu gewährleisten!

Natürlich dürfen wir uns aber auch keine Illusion machen, dass wir patriarchale Gewalt im Kapitalismus einfach wegreformieren könnten. Es gilt, den Kapitalismus mitsamt seinen Institutionen zur Unterdrückung von Frauen, LGBTIA-Personen und der Arbeiter_Innenklasse zu zerschlagen und für eine solidarische Gesellschaft auf Basis von vergesellschafteter und demokratisch geplanter Produktion und Reproduktion sowie Rätemacht einzutreten. Das heißt auch, dass das Ideal der bürgerlichen Familie dann das Zeitliche gesegnet hat und sich Rollenbilder auflösen werden dadurch, dass die Reproduktionsarbeit bspw. durch gemeinsame Mensen und Waschküchen vergesellschaftet wird. Dazu braucht es mehr als Bewegungen – eine politische Kraft, die gegen alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung führt, eine revolutionäre Arbeiter_Innenpartei.




Erneute rassistische Angriffe der EU – Die neue Asylrechtsreform und das Abkommen mit Tunesien

Von Pauline P., August 2023, REVOLUTION Zeitung September 2023

Die Asylrechts“reform“

Die EU-Innenminister_Innen beschlossen am 8. Juni eine „Reform“ des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS), welche für ein Inkrafttreten nun nur noch die gesetzgebenden Institutionen passieren muss. Diese Reform sieht eine faktische Abschaffung des ohnehin schon eingeschränkten Asylrechts hunderttausender Geflüchteter vor.

Was besagt die Reform?

Während Politiker_Innen die Reform als „politischen Durchbruch“ feiern, sehen sich Geflüchtete mit neuen riesigen Einschnitten in ihre Freiheit und Sicherheit konfrontiert. Faktisch Gefängnisse, sogenannte „Asylzentren“, sollen schon jetzt an den EU-Außengrenzen dafür sorgen, Antragsteller_Innen auf Asyl – darunter auch Familien mit Kindern – bis zu drei Monate unter miserablen humanitären und hygienischen Bedingungen auf engstem Raum festzuhalten, um sie möglichst schnell wieder abzuschieben. In den Asylzentren festgehaltene Geflüchtete werden umfangreich registriert und identifiziert. Diese Daten sollen in einer EU-Datenbank gesammelt und gesichert werden, auf die alle Asyl- und Strafverfolgungsbehörden der EU-Staaten Zugriff erhalten. Versprochen wird sich dadurch eine Verhinderung von sogenannter „Sekundärmigration“, also die Chance auf Asyl in einem anderen EU-Land. Im gesamten Prozess wird Asylsuchenden der Zugang zu Asylberatung oder rechtlichem Beistand verwehrt. Die EU-Staaten lassen Geflüchtete an den Außengrenzen spüren, dass sie in der Festung Europa nicht erwünscht sind. Insbesondere Menschen aus vermeintlich „sicheren Herkunftsstaaten“ (z. B. Türkei, Indien oder Tunesien) werden so schnell wie möglich dorthin abgeschoben. Auch für Menschen aus Staaten, auf die diese Kategorie nicht zutrifft, finden die EU-Innenminister_Innen einen Weg, der an einem Asyl für diese vorbeiführt. Die Reform besagt, dass nun auch eine Abschiebung in ein „sicheres Drittland“, welches auf dem Fluchtweg passiert worden ist oder auf andere Weise mit der geflüchteten Person assoziiert wird (z.B. über entfernte Verwandtschaft), möglich sei.

Widerstand in Basis von SPD und Grünen?

Für uns steht fest: Die geplante Asylrechts-„Reform“ ist nicht tolerierbar. Doch wie sehen das SPD und Grüne? Auch hier ist der Rechtsruck mal wieder deutlich zu spüren. Während 2020 die SPD-Bundestagsfraktion noch die EU-Asylrechtsreform mitsamt „Massenlager[n] an der EU-Außengrenze” und einem „abgeschwächten Asylverfahren” ablehnte, zeigen sie heute ein ganz anderes Gesicht. Auch die Grünen beweisen durch ihre diesjährige Zustimmung, dass Menschenleben für sie einen geringeren Stellenwert haben, als die imperialistischen Interessen Deutschlands und der EU. Gibt es denn gar keinen Widerstand innerhalb der Parteien? Doch, aber einen sehr verhaltenen – 24 Abgeordnete der SPD und der Grünen sowie ein paar wenige aus den Landtagen sprachen sich gegen die Reform aus – die Politik tragen sie jedoch faktisch mit. Für uns ist klar: Es handelt sich hierbei um gezielte Verteidigung des Kapitals vertreten durch die Politiker_Innen.

Die Linkspartei ist die einzige Partei, welche die Reform konsequent als Angriff auf die Menschenrechte begreift und diese folglich ablehnt. CDU sowie CSU bilden dazu das Gegenstück: Sie bezeichnen die Reform als „guten Schritt“, dem weitere folgen sollten. Dass der AfD auch eine Aushebelung des Asylrechts nicht weit genug geht, ist leider nicht überraschend.

Es ist unsere Aufgabe, eine Bewegung, deren Ziel die Bekämpfung der menschenverachtenden Asylgesetze ist, aufzubauen.

Wir müssen für ein uneingeschränktes Asylrecht kämpfen! Es braucht Massenbewegungen, welche sich auf antirassistische Organisationen, Migrant­­_Innenorganisationen und Organisationen der Arbeiter_Innenklasse stützen. Dabei müssen wir die Abgeordneten, welche sich gegen diesen rassistischen Hammer ausgesprochen haben, dazu aufrufen, solch eine Mobilisierung zu unterstützen – nicht nur deutschlandweit, nicht nur EU-weit, sondern weltweit!

Abkommen mit Tunesien

Als sei dieser rassistische Angriff noch nicht ausreichend, so schloss die EU vor Kurzem eine Vereinbarung mit Tunesien, welche auch ein Abkommen zur Begrenzung der Migration über das Mittelmeer beinhaltet. Für das Vorgehen gegen „Schlepper“ und „illegale Überfahrten“ sicherte die EU Tunesien 100 Millionen Euro zu. Versprochen wird sich, das „zynische Geschäftsmodell von Schmugglern und Menschenhändlern zu brechen“, so von der Leyen. Die Koalition in Berlin sprach „volle Unterstützung“ für das Abkommen aus, während vereinzelte Stimmen aus den Grünen Bedenken äußerten, aber auch hier die Entscheidung letztendlich mittrugen. Dass Kritik seitens der Grünen vor allem Bedenken wie eine nicht gelungene Bindung des globalen Südens an die EU und verfehlte Zurückdrängung des russischen Einflusses in Afrika beinhaltet, zeigt, dass es den Grünen auch hier in erster Linie um die imperialistischen Interessen Deutschlands und der EU und nicht um die Rettung von Menschenleben geht.  Konsequenter sieht es bei den Linken aus, doch auch diese Partei schafft es nicht, sich ernsthaft gegen die Abmachung mit Tunesien zu stellen.

Gegen die Reform – für die Vereinigten sozialistischen Staaten!

Statt der menschenverachtenden EU-Außenpolitik braucht es eine menschenwürdige Alternative in der Hand von Arbeiter_Innen, Geflüchteten und anderen unterdrückten Menschengruppen und deshalb fordern wir:

  • Volles Asylrecht für alle Geflüchtete! Nein zu allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen sowie Abschiebungen! Für offene Grenzen!
  • Ein Recht auf Arbeit und freie Wahl des Wohnortes für alle!
  • Gleicher Lohn und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Religion oder Staatsangehörigkeit!
  • Volle Staatsbürger_Innenrechte für alle, inklusive des passiven wie des aktiven Wahlrechts!
  • Statt des Europas der Imperialist_Innen ein Europa des Widerstands, der Unterdrückten und Ausgebeuteten! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas!