Ein neues Wir-Gefühl – mit dem Klassenfeind?

Von Maximilian Macht und Felix Ruga

Menschenmassen mit Deutschlandfarben im Gesicht bemalt oder schwarz-rot-goldene Mützen oder Fahnen sieht man nicht nur bei den vielen organisierten Public Viewings, sondern auch in Restaurants, Kneipen oder Spätis, wo die EM-Spiele übertragen werden. Falls ein Tor fällt oder das Spiel gewonnen wird, hört man lautstark den Namen des Landes und vielleicht gibt’s sogar am Ende ein Autokorso oder ein Feuerwerk. In der Halbzeit kommen dann die Tagesthemen, in denen es darum geht, dass Scholz es jetzt mit aller Gewalt versucht, doch noch Abschiebungen in „sichere“ Drittstaaten zu ermöglichen. Oder Pistorius erklärt uns, dass es mit der Kriegstüchtigkeit endlich mal vorwärts gehen müsse, damit Deutschland „Verantwortung übernehmen“ kann.

Die meisten in der radikalen Linken werden sich verständlicherweise von Fanzonen und einem Check24-Trikot fernhalten. Aber wie sollten wir politisch dazu stehen und welche Fragen wirft das für uns auf?

Endlich unverkrampft

Bis noch vor gar nicht allzu langer Zeit hatte es noch etwas Anrüchiges, wenn man stolz die schwarz-rot-gelbe Fahne im Garten stehen hatte oder sich damit einhüllte. Das war eher etwas, was man mit rechtem Gedankengut verbunden hat, und sicherlich hat es auch heute noch was davon, auch wenn es sich ändert. Denn mit der Wiedervereinigung, dem damit verbundenen nationalistischen Taumel und der Neuausrichtung des deutschen Imperialismus wurde hier eine Bresche geschlagen, und das hat das „Sommermärchen“, also die Fußball-WM 2006 in Deutschland, vollends normalisiert. Damals wurde voller Begeisterung von Presse und Politik verkündet, dass man nun endlich wieder ohne politische Hintergedanken patriotisch und stolz auf Deutschland sein dürfe. Bei diesem Gefühl hat zum einen der millionenfach verkaufte Deutschland-Merch von Fähnchen bis Autospiegelüberzieher eine große Rolle gespielt, aber auch das erstmalige Aufkommen von großangelegten Public Viewings, bei denen man in der Sonne mit seinen Freund:innen, der Familie und hunderten anderen Leuten das Spiel geguckt hat und so eine Volksfest-Stimmung aufgekommen ist.

Und das ist mit Sicherheit auch der größte Reiz, weswegen internationale Fußballturniere so massenhaft die Menschen bewegt: Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, denn alle sind jetzt hier auf der gleichen Seite, nämlich „für Deutschland“. Wenn man mal kritisch nachfragt, werden viele auch erstmal sagen, dass es dabei vor allem darum geht, dass man halt gemeinsam die Fußballmannschaft („unsere Jungs“) unterstützt. Aber auch, dass es halt normal sei oder sein sollte, dass man „sein Land“ unterstützt. Und sowieso ruft man ja auch nicht „Olé DFB!“, sondern „Deutschland, Deutschland!“. Auch wenn es für Viele in erster Linie ein spaßiges Event zu sein scheint, normalisieren und verbreiten sich damit nationalistische Annahmen von Zugehörigkeit und „wir gegen die“.

Nationalismus und seine Funktion

Nationalismus schafft ein verfälschtes Gemeinschaftsgefühl von Familie, Heimat und dessen „Schutz“. In der Realität sind das aber höchst widersprüchliche Dinge und mit Sicherheit nicht die wohlig-weichen Gemeinschaften, wie sie von bürgerlicher Seite gemalt werden: In der Familie reproduziert sich die Unterdrückung von Frauen, von queeren Menschen und von Jugendlichen. „Das Heimatland“ wird bestimmt und kontrolliert durch das Kapital und seinen Staat und damit auch sicherlich nicht „unser Land“. Und „Schutz“ eben dieser bedeutet meist Angriff auf äußere und innere „Feinde“, also Krieg und Repression. 

Dennoch spielen diese Vorstellungen eine sehr wichtige Rolle für den Kapitalismus, nämlich als eine ideologische Grundlage der Verblendung und Ausbeutung, um seine Existenz zu sichern. Nationalismus zu stärken ist in Krisenzeiten vom Kapitalismus eine wichtige Technik des bürgerlichen Staates, denn die „notwendigen“ Sparmaßnahmen, kriegerischen Entbehrungen und Angriffe auf die demokratischen Rechte müssen ja irgendwie gerechtfertigt werden, da sie offensichtlich gegen die Interessen der großen Mehrheit der Gesellschaft, der Arbeiter:innenklasse, stehen. Also sagen Staat und Kapital: „Schaut her, wir sind doch alles Deutsche und wir müssen nun gemeinschaftlich die Interessen Deutschlands vertreten“, was zuverlässig immer bedeutet, sich den Interessen des Staates und des Kapitals unterzuordnen, indem man sich den „Notwendigkeiten“ der internationalen Konkurrenz ergibt. Letztendlich geht es darum, die Arbeiter:innenklasse in solchen Momenten ideologisch zu integrieren und zu spalten, ob durch Rassismus, Sexismus oder Anderem, um diese verstärkt auszubeuten. Das Kapital versucht also, reelle Gemeinschaften und Solidarität mit Mystischen zu ersetzen.

Rassisten und ihre Widersprüche

Für die Spieler ist es ein Moment, in welchem sie sich als nationalistisches Aushängeschild des Staates hergeben müssen, um im Wettbewerb gegen andere zu gewinnen. Für diesen Wettbewerb stellt der deutsche Staat seinen Rassismus momentan beiseite, um nicht-weiße Spieler für sich spielen zu lassen, um dann kurz davor wieder Rassismus als Wahlkampfthema Nummer eins zu verwenden. Deutlich wird dies durch die Kommentare von Olaf Scholz, welcher vor einiger Zeit forderte, wieder „im großen Stil abzuschieben“. Gleichzeitig seien die Spieler „alles Deutsche“ und „unsere Jungs“, um ein Zeichen gegen den Rassismus jener 30 % zu setzen, welche sich laut einer Umfrage der ARD wünschten, weniger Menschen mit Migrationshintergrund in der Nationalmannschaft zu haben. Problematisches Verhalten von Fans im Kontext von „Wir gegen die“ schlägt nicht selten in offenen Rassismus um, wenn nun ein Spieler die „Frechheit“ hat, bei der Nationalhymne nicht mitzusingen oder schlichtweg nicht wie erhofft performt, oder ein anderer Fan die falsche Fahne mit sich trägt.

Mit dem internationalen Rechtsruck ist ein Anwachsen von Nationalismus für Rechte vorteilhaft, und die EM kommt dort sehr gelegen. Denn auch innerhalb des bürgerlichen Lagers gibt es einen Kampf darum, welche konkrete Bedeutung nun der deutsche Nationalismus haben sollte. Liberale sprechen davon, dass Deutschland ja jetzt zeigen könnte, wie offen, gastfreundlich und tolerant es sei, und dass das sei, was man meine, wenn man „stolz auf Deutschland“ ist. Ausdruck dessen sollte auch das neue, pinke Ausweichtrikot sein, das laut dem ehemaligen DFB-Geschäftsführer Bierhoff „den Nerv der Kids“ treffen sollte, also gewissermaßen dem etwas angestaubten Nationalismus neuen Lack verleihen. Die Rechten sehen das natürlich anders: Nicht nur gab es online schwere Wutausbrüche wegen des Trikots, was als „unmännlich“ wahrgenommen wird. Die AfD will den Pride Month zum „Stolzmonat“ umdeuten und dieser fällt dieses Jahr in die EM. Maximilian Krah sagte deshalb, dass der Stolzmonat das „Gegenmodell zum Pride Month, zur Pride EM, zum Regenbogen“ sei.

Was machen wir daraus?

Aus all dem sollte klar geworden sein: Diesen nationalistischen Taumel zu jeder WM und EM sollten wir kritisieren und ablehnen. Aber es macht dabei keinen Sinn, uns über die einzelnen Fans zu erheben und dafür zu maßregeln, denn die Allermeisten gehören zur Arbeiter:innenklasse und haben den nachvollziehbaren Wunsch, in einer widersprüchlichen und unterdrückerischen Gesellschaft etwas Gemeinschaft zu erleben und einfach für ein paar Stunden eine gute Zeit zu haben, auch wenn man dabei als Linke ziemlich Bauchschmerzen haben dürfte. Im privaten Umfeld kann es auch durchaus sinnvoll sein, etwas kritische Reflexion anzustoßen. Auf politischer Ebene sollten wir aber selbstverständlich dagegen agitieren, wenn dies in rassistischen oder sexistischen Angriffen mündet – sei es von Fans oder der Regierung, die die EM-Stimmung als Rückendeckung missbraucht.

Vielmehr macht es eine Frage für fortschrittliche Kräfte auf: Wie können wir selbst kollektive Erlebnisse der Gemeinschaft schaffen? Neben massenhaften politischen Aktionen können solche Dinge wie Fußball dabei sogar eine Rolle spielen: Denn Fußball ist gewissermaßen ein Sport der Arbeiter:innenklasse, ein Massensport mit Vereinsstrukturen mit 7 Millionen Mitgliedern allein in Deutschland. Fußball hat erst so eine große gesellschaftliche Relevanz bekommen, als die Arbeiter:innen sich den 8-Stunden-Tag und höhere Löhne erkämpft haben, denn so war nach der Arbeit Zeit, zum Training zu gehen und samstags zum Spiel. Man muss sich dafür nur mal angucken, wann die meisten großen Vereine gegründet wurden.

Andererseits ist der Fußball fest unter der Kontrolle des Kapitals. Dagegen müssen wir auch kämpfen, um uns den Fußball wie den Sport allgemein zurückzuholen. Hierbei macht es zum einen Sinn, uns die Geschichte der Arbeiter:innensportvereine ins Bewusstsein zu rufen, aber auch als klassenbewusste Jugendliche und Arbeiter:innen organisiert in den existierenden Vereinen und Verbänden zu wirken, dabei den Sport zu politisieren, zu demokratisieren und den Einfluss des Kapitals zurückzudrängen. Letztendlich muss es gesellschaftlich darum gehen, den Breitensport gegenüber dem Spitzensport zu fördern, zu verallgemeinern und für weite Teile des Proletariats überhaupt erst zu ermöglichen. Damit würde auch den Spitzenwettbewerben gänzlich ihr Charakter als unerreichbare und vergötterte Ereignisse verloren gehen. Somit könnten wir diesen passiven Konsumnationalismus des Fernsehschauens ersetzen durch echte und erlebte Gemeinschaft, was letztendlich nur durch die Überwindung der gesamten Ausbeutergesellschaft vollends möglich wird!




UEFA-EM 2024: Fußtritte gegen demokratische Rechte

von Bruno Tesch, ursprünglich erschienen in der Neuen Internationale 283 der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Juni 2024

Am 14. Juni beginnt die Fußballeuropameisterschaft (EM 2024) der Männermannschaften und endet einen Monat später. Sie wird dieses Mal In Deutschland an 10 Spielstätten ausgetragen. Das rein sportliche Spektakel wird jedoch von innen- und weltpolitischer Krisenhaftigkeit und Unsicherheit in Beschlag genommen. Regierungen nutzen solche Großveranstaltungen, die massenhafte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, gerne, um sich gleichzeitig im Licht erfolgreicher Nationalteams zu sonnen und währenddessen bspw. unpopuläre Gesetze zu installieren. Diesmal wird die Öffentlichkeit jedoch bereits im Vorwege hellhörig durch Pläne der deutschen Bundesregierung, die EM als Vorwand für verschärfte politische Repression zu projektieren.

Ausbau des EU-Sicherheitsapparats

Die Vorbereitungen zur Großveranstaltung laufen auf Hochtouren und auch die Bundespolizei bereitet sich sehr gründlich darauf vor. „Die Sicherheit der Fußball-EM bei uns im Land hat höchste Priorität. Alle Sicherheitsbehörden bereiten sich hochprofessionell vor. An allen Spielorten und überall, wo sich viele Menschen bewegen, gilt: Die Polizei wird hohe Präsenz zeigen. Dafür bin ich den Landespolizeien und unserer Bundespolizei sehr dankbar“, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

„Dabei intensivieren wir die Maßnahmen auf allen Verkehrswegen für die Sicherheit der Fußballfans und Reisenden. In Zügen und Bahnhöfen wird die Bundespolizei die Präsenz erhöhen“. Alle Maßnahmen wären eng mit den Polizeien der Länder, Grenzpolizeien der deutschen Anrainerstaaten, Eisenbahnverkehrsunternehmen, Flughafenbetreiber:innen und relevanten Sicherheits- und Ordnungspartner:innen abgestimmt.

Die Bundespolizeidirektion Koblenz wird hier an insgesamt neun Grenzübertrittsorten zu Frankreich, Luxemburg und Belgien die Reisebewegungen überwachen. Von dort aus erfolgen gemeinsame Streifen mit der Bundespolizeiinspektion Saarbrücken und den Kolleginnen und Kollegen der französischen Police aux Frontières (Grenzpolizei) sowie des Service National de la Police Ferroviaire (französische Bahnpolizei). Außerdem gibt es für Schwerpunkteinsätze ein gemeinsames Kommissariat.

Mit Frankreich sind etwa gemeinsame Polizeieinheiten und Streifen im grenzüberschreitenden Bahnverkehr geplant. Die Ministerin hob hervor, dass auch bei der Abwehr hybrider Bedrohungen und beim Schutz vor Terrorismus eng mit Frankreich zusammengearbeitet wird.

Regierungsoffziell heißt es: Im Fokus stehen der Schutz vor Islamist:innen und anderen Extremist:innen, vor Hooligans und weiteren Gewalttäter:innen sowie die Sicherheit der Netze.

Diese Konzeption wird ergänzt durch eine stärkere Kooperation des Staatsapparats auch auf Länderebene. So hat etwa der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul für die Fußball-Europameisterschaft erhöhte Sicherheitsmaßnahmen angekündigt. Teil des Konzepts: Urlaubssperre für Polizist:innen und ein internationales Polizeizentrum in Neuss. Teil dieser Aufrüstungspläne ist auch ein besserer Datenaustausch zwischen Behörden. Die derzeitige Kommunikation sei unter anderem aus Datenschutzgründen eingeschränkt und wichtige Informationen dürften nicht weitergegeben werden. Um dem entgegenzuwirken, seien Reuls Ansicht nach verbesserte Instrumente wie die umstrittene Vorratsdatenspeicherung erforderlich. So wird die Fußball-EM zum „zivilen“ Test für weitere staatliche Überwachung.

Staatsräson im DGB: die Gewerkschaft der Polizei (GdP)

Als spezielle Scharfmacher:innen für Hass und Hetze erweisen sich wieder einmal die Spitzen der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der Bezirksvorsitzende für Bundespolizei und Zoll, Andreas Roßkopf, meinte: Im Visier der Kontrollen stünden vor allem „die Fangruppierungen, gewaltbereite Hooligans, aber natürlich auch – islamistische Vereinigungen“.

„Und da brauchen wir – und haben auch – die Hinweise aus nationaler und internationaler Zusammenarbeit.“ Mit dieser besonderen Belastung zur EM habe man aber bereits gerechnet und sei vorbereitet.

Da muss dann sogar der Anschlag in einem „befreundeten“ Land auf eine Moskauer Konzerthalle Ende März 2024 herhalten, der mutmaßlich von ukrainischen Nationalist:innen verübt worden ist, ebenso wie ein Posting einer islamistischen Gruppierung in den sozialen Medien, das plakativ drei EM-Spielorte als Anschlagsziele nennt, um den aufgefahrenen Sicherheitsapparat zu verteidigen.

Ein Hintergedanke der sicherheitspolitischen Kooperation ist nicht zuletzt das imperialistische Interesse der Bundesrepublik, ihre Führungsposition in der Europäischen Union zu stärken und auch die noch nicht kriegstüchtige eigene Bevölkerung an die angebliche Notwendigkeit von polizeilicher Präsenz und finanziellen Opfern für Aufrüstung zu gewöhnen. Sie kann sich der stetigen Unterstützung durch staatslammfromme DGB-Gewerkschaften dabei sicher sein.

Die Positionierung der GdP verdeutlicht außerdem einmal mehr, dass die Polizeigewerkschaft im DGB nichts verloren hat. Gewerkschafter:innen, die gegen Spaltung und Repression am Arbeitsplatz, gegen Rassismus, Überwachungsstaat und Militarisierung kämpfen, brauchen keine Interessensvertretung des Staatsapparates in den eigenen Reihen, sondern müssen für den Ausschluss der GdP aus dem DGB eintreten.

Repression und Rassismus

Selbstverständlich ist diese Sicherheitslawine nicht erst in Erwartung einer solchen Veranstaltung überstürzt losgetreten worden. Dieses Paket reiht sich vielmehr als strategisches Kalkül der herrschenden Klasse ein, das eine rassistische Politik mit repressiven Maßnahmen gegen linkere Opposition verbindet. Die Asylgesetzgebung der bürgerlichen „Mitte“ passt nahtlos mit der Erstickung von Solidaritätsbekundungen für die palästinensische Bevölkerung zusammen, die in die Ecke „terroristischer Bedrohung“ gestellt werden. Die Verschärfung des Strafrechts beinhaltet auch eine Neudefinition von Gewalt, die Vollzugsmaßnahmen wie Abschiebung und Zwangsexmatrikulation unmittelbarer und auf höherer Eskalationsstufe spüren lässt.

Die EM nahm Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dankbar als Steilvorlage auf und forderte rasche Konsequenzen für Gewalttäter:innen. Er teilte der Zeitung „Bild am Sonntag“ mit, auch Hooligans und Krawalltourist:innen würden sich auf den Weg nach Deutschland machen. Wenn Straftaten begangen würden, sollte dort, wo es möglich sei, die Strafe auf dem Fuße folgen.

Kritik

Es erhebt sich aber auch Kritik im bürgerlich-liberalen Lager gegen den Sicherheitshype. So moniert bspw. der Deutsche Anwaltsverein drei problematische Überwachungstechnologien, die nun auf keinen Fall etabliert oder weiter ausgeweitet werden dürften. Dazu gehören Staatstrojaner, die Zugriffe auf PCs legitimieren, durchgängiger Einsatz biometrischer Gesichtserkennungsprozeduren sowie anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Zu den Eckpunkten des Sicherheitskatalogs zählt neben den genannten Pfeilern auch Präventionsarbeit durch die Unterstützung von Fanprojekten, z. B. durch das Fanbetreuungsprogramm „Fans welcome“.

Für die Polizei und den Staat stehen die Fangruppen selbst im Visier der verschärften Überwachung. Gegen diese, gegen die Kommerzialisierung des Sports, die bei den Großveranstaltungen besonders krass und überteuert hervortritt, gegen die verordnete Fankultur sollten sie sich organisiert zur Wehr zu setzen. Viele Fangruppen aus den Vereinen haben durch ihre bundesweit organisierten Proteste gegen die Machenschaften des DFL Deutsche Fußball Liga e. V. und Mauscheleien hinter ihrem Rücken mit zweifelhaften sportfremden Investor:innen nicht nur Erfolg gehabt, sondern auch bewiesen, dass sie als organisierte Kraft Kapitalkraken widerstehen können.

Diese Gruppen sind auch an den jeweiligen Spielorten stark vertreten. Sie könnten dabei die Kritik an der Kommerzialisierung der Veranstaltungen bis zum Public Viewing mit der am Überwachungswahn verbinden. Sie müssten sich dazu aber sowohl mit gewerkschaftlichen Organisationen abseits von GdP und Deutscher Polizeigewerkschaft (DPolG) wie auch mit internationalen Fanverbänden verbinden, Kontrollen und Einreisebeschränkungen entgegentreten. Statt der Polizei könnten die Fanclubs eigenständige Ordner:innendienste organisieren und so für einen geregelten Ablauf der Veranstaltungen sorgen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund überlässt es leider „seiner Fachvertretung“, der GdP, sich mit dem Thema Staatsaufrüstung im Namen der Sicherheit aller zu beschäftigen und klassenfeindlich hervorzutun.

  • Keine Grenzkontrollen!
  • Keine migrant:innenfeindliche Repression!
  • Keine Legitimierung von Überwachungseinrichtungen!
  • Nein zu allen Strafgesetz- und Sicherheitsverschärfungen!
  • Keine Mittel und Personal für polizeiliche Aufrüstung!
  • GdP raus aus dem DGB!
  • Organisierung von Sicherheitsvorkehrungen und Gegenwehr gegen staatliche Kontroll- und  Einreisewillkür durch internationale Fangruppierungen und Gewerkschaften!



EU-Wahl 2024: Krise, Krieg und Rechtsruck lassen sich nicht abwählen!

Von Leonie Schmidt, Juni 2024

Wir haben eine Welt zu gewinnen, organisiert euch JETZT!

Die EU-Wahl-Ergebnisse liegen vor und während sich viele sehr darüber ärgern, dass die AfD und die CDU so viele Stimmen eingeheimst haben, bestätigen die Ergebnisse nur, was seit Monaten in Prognosen erfasst wurde. Es ist verständlich, wütend darüber zu sein, dass die rechtskonservativen und rechtspopulistischen Parteien so gut abgeschnitten haben. Aber, anstatt jetzt pessimistisch zu werden, sollten wir uns lieber anschauen, was die Gründe dafür sind und auf dieser Basis eine Strategie finden, wie wir den Rechtspopulist:innen einen Strich durch die Rechung machen können!

Wir müssen der Realität ins Auge blicken, das Wahlergebnis kommt nicht davon, dass die Leute zu viel auf TikTok abhängen. Stattdessen basieren ihre Wahlentscheidungen auf realen Problemen im Zusammenhang mit Wirtschaftskrise und Krieg, die ausschließlich von Rechts aufgegriffen werden. Natürlich sind weder CDU/CSU noch AfD wirklich in der Lage, diese Probleme zu beheben. Aber sie verstehen es zumindest, diese zu thematisieren.

Der Ampel und der Linkspartei fällt hingegen nichts besseres ein, als Appelle für den Schutz der Demokratie mantraartig zu wiederholen. Das mag zwar ein paar Tausend Leute auf die Straße bringen, aber Jugendliche und Arbeiter:innen, die sich in diesen krisengeschüttelten Zeiten Sorgen um ihre Zukunft machen, überzeugt das nicht. Die Wahlentscheidung basiert nicht auf abstrakter Moralvorstellung von Demokratie, sondern auf sehr reellen Abstiegsängsten. Anstatt also mit konkreten Inhalten gegen die Krise und Sorge der Arbeiter:innenklasse ein Zeichen zu setzen, stellen sich SPD und Linke oberlehrerhaft hin, und behaupten, die Leute würden schon noch wachgerüttelt werden. Lars Klingbeil von der SPD am Sonntagabend bei NTV: „Ich glaube auch, dass das Ergebnis dieser Wahl viele noch wachrüttelt, dass die Nazis stärker geworden sind. (…) da wachen viele auf und kämpfen auch für die Demokratie.” Mit anderen Worten: die SPD macht wie bisher weiter. Naja, fast.

Hinzu kommt selbstverständlich die Unterstützung für Abschiebungen. Wie auch schon Scholz verkündete, sprach nun auch Klingbeil davon, zu 100 % hinter Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan zu stehen. Die Ampel macht also einfach schon heute die Politik, gegen die sie eigentlich die Demokratie schützen will. Wir sehen also: die bürgerlichen Parteien und ihr Fetisch für den Schutz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in der wir leben, wird uns nicht befreien. Sie stehen nur blöd daneben, während die Krise auf unser Kosten ausgetragen wird und verteidigen die Interessen des Kapitals. Denn der Kapitalismus ist die Grundlage von Krisen, Kriegen, Ausbeutung und Un-terdrükung und lässt sich auch nicht wegreformieren.

Selbst aktiv werden!

Was es stattdessen braucht, ist eine massenhafte Jugendbewegung gegen Rassismus, gegen Armut und Krise, gegen Krieg und Umweltzerstörung. Vernetzen wir uns dafür mit anderen Jugendlichen! Wir müssen die Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung auch als einen Nährboden für sozialistische Ideen wahrnehmen, auch wenn das erstmal absurd scheint. Es ist unsere Aufgabe, der Krise etwas entgegenzusetzen und aufzuzeigen, warum nur eine Überwindung des Gesellschaftssystems zu einem guten und gerechten Leben für Alle führt. Daher müssen wir auch als Jugend eng mit der organisierten Arbeiter:innenklasse, also u.a. den Gewerkschaften zusammenarbeiten. Deshalb müssen wir uns auch organisieren, wo wir uns tagtäglich aufhalten: in den Schulen, Unis und in den Betrieben. Hier gilt es Komitees aufzubauen und Gleichgesinnte zu finden, in Aktion zu treten und Streiks zu organisieren.

Für die folgenden Forderungen lohnt es sich, zu kämpfen, auch wenn wir nie verschweigen werden, dass unser Ziel der Kommunismus ist!

  • Massive Lohnerhöhungen mit gleitender Skala! Mindestlohn auf 15 Euro!
  • Mindesteinkommen für Jugendliche, Schüler:innen und Studierende! Erhöhung von Sozialleistungen!
  • Enteignung und Kollektivierung von Wohnraum!
  • Selbstverwaltete Antidiskriminierungsstellen an Schulen, Unis & in Betrieben!
  • Demokratische Selbstverteidigungskomitees von gesellschaftlich Unterdrückten, Jugendlichen & Arbeiter:innen!



EU-Wahl 2024: Wählt links, aber organisiert den Kampf für ein sozialistisches Europa!

Gemeinsame internationale Resolution von REVOLUTION, Juni 2024

Auch wenn es für die meisten von uns kaum im Alltag präsent ist: Die vielen Wahlplakate erinnern uns daran, dass alle fünf Jahre mal wieder ein neues EU-Parlament gewählt werden muss. Dieses Jahr dürfen auch wir Jugendliche über 16 ran, aber die Zeichen stehen auf Rechtsruck. Laut den aktuellen Prognosen werden die größten Stimmengewinne in fast allen Ländern an rechtspopulistische Parteien gehen. Gleichzeitig hat die EU auch ohne rechtspopulistische Mehrheit erst kürzlich durch die sogenannte GEAS-Reform das Asylrecht für Einzelpersonen faktisch abgeschafft, Abschiebungen erleichtert und wochenlange Inhaftierungen von Geflüchteten legalisiert. Während jede:r vierte Jugendliche in der EU in Armut lebt, nutzt sie den Krieg in der Ukraine, um allen Schein vom angeblichen „Friedensprojekt Europa“ endlich in die Tonne zu treten und fleißig aufzurüsten. Es geht schnell in so einer Situation die Hoffnung zu verlieren. Warum sollten wir als Kommunist:innen also überhaupt wählen gehen? Und wo sollten wir unser Kreuzchen machen?

Wahlboykott ist Unsinn!

Zuallererst müssen wir uns klar machen, dass Wahlen nur selten wirklich Veränderung bringen und ganz sicher nicht den Kapitalismus stürzen können. Die Hoffnung, dass wir den Kommunismus herbeiwählen können, wird immer enttäuscht werden. Da der bürgerliche Nationalstaat als Organisationsstruktur entstanden ist, um die Herrschaft des Bürgertums abzusichern, wird sich die herrschende Klasse auch nicht mit ihren eigenen Mitteln entwaffnen lassen. Wenn politische Mehrheiten entstehen, die es dem Kapital zu brenzlich werden lassen, kann es immer noch auf Militärputsche, faschistische Mobs oder Spardiktate zurückgreifen, um parlamentarisch gewählte unliebsame Akteure oder Reformen in die Knie zu zwingen. Unser Verhältnis zu bürgerlichen Wahlen ist deshalb ein taktisches.

Im Falle des EU-Parlamentes ist die Situation noch absurder, da dieses im politischen System der EU nur eine sehr begrenzte Macht hat. So ist es nicht mit einem normalen gesetzgebenden Parlament wie dem Bundestag oder dem Nationalrat zu verwechseln, da es weder eigene Gesetze initiieren kann noch die EU-Kommission direkt wählt. Doch auch wenn das EU Parlament keine wirkliche Macht hat, können Linke es als Bühne nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen oder um Korruption und Lobbyarbeit zu bekämpfen. Ebenso gilt es, den Massen, die Illusionen in dieses Parlament haben, aufzuzeigen, dass sie eine wirkliche Verbesserung ihrer Lebenssituation schon selbst erkämpfen müssen. Wir nutzen das Parlament als eine historische Errungenschaft für uns und zeigen gleichzeitig durch den praktischen Kampf auf, dass die Möglichkeiten zu parlamentarischen Reformen, die die herrschende Klasse einschränken, sehr gering sind. Es bleibt unsere Aufgabe praktisch zu zeigen, wo die Grenzen der bürgerlichen Demokratie liegen und dass nur eine sozialistische Revolution der Arbeiter:innen in der Lage ist, den Kapitalismus zu stürzen und seinen Krisen ein Ende zu setzen. Deshalb nutzt die politisierte Stimmung rund um die EU-Wahl in euren Schulen, die Podiumsdiskussionen, Jugendwahlen, Politikstunden etc. aber auch eure Wahlstimme, um die Illusionen einer „Friedens-EU“ zu zerstören und den Kampf gegen Asylrechtsverschärfungen, Rechtspopulismus, Umweltverschmutzung, Massenarmut und Militarisierung zu organisieren.

Die EU wird von der eigenständigen imperialistischen Macht zur Juniorpartnerin der USA!

Die EU ist mit dem Versprechen angetreten, das vom Weltkrieg zerrüttete Europa friedlich und sozial zu vereinigen und genoss deshalb lange eine große Popularität in weiten Teilen Europas. Doch davon ist angesichts von Krieg, Spardiktaten, Brexit, Rassismus, Umweltzerstörung und Inflation kaum noch was übriggeblieben. Uns überrascht dies nicht, denn eine Einigung Europas ist auf kapitalistischer Grundlage unmöglich. Als Marxist:innen ist uns klar, dass eine politische Einigung Europas nicht ohne ökonomische Grundlage erfolgen kann. Doch eine gemeinsame ökonomische Grundlage konnte sich aufgrund der verschärften Konkurrenz zwischen den einzelnen Nationalstaaten angesichts ihrer widersprüchlichen Interessen nicht herausbilden. Lange hat die Idee eines immer enger zusammenwachsenden Europas, das sich als eigene imperialistische Macht neben den USA, Russland, China etabliert, die verschiedenen Staaten der EU zusammengeschweißt und bei der Stange gehalten. Es fehlt der EU an einem integrierenden strategischen Projekt, das die auseinanderdriftenden Fliehkräfte der Einzelstaaten zusammenhalten kann. Dafür hat die EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen bei der letzten EU-Wahl einen Green New Deal versprochen, der mithilfe massiver Subventionen die Kapitale der führenden EU-Staaten auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger machen sollte (mit „green“ hatte das leider nicht so viel zu tun). Doch der Krieg in der Ukraine und die Wirtschaftskrise haben diesem Projekt einen Strich durch die Rechnung gemacht und die Widersprüche zwischen den einzelnen EU-Staaten verstärkt.

So sind die exportorientierten Kernstaaten der EU – Deutschland und Frankreich – durch den Zusammenbruch der weltweiten Lieferketten im Zuge der Corona-Pandemie aber auch durch die Sanktionspolitik im Zuge des Ukraine-Krieges stark angeschlagen. Die relative Unabhängigkeit der EU gegenüber den USA hat nur so lange funktioniert, wie ihre Produktionsketten nach China ausgedehnt werden konnten und billige Rohstoffe aus Russland flossen. Durch die verschärfte Blockbildung und die Sanktionen musste die EU ihre relative Unabhängigkeit aufgeben und sich den USA als „Juniorpartner“ unterordnen. Das von deutschem und französischem Kapital vorangetriebene Projekt einer eigenständigen imperialistischen EU-Macht wurde damit weitestgehend beerdigt. Ähnliche Interessen in geringerem Maße verfolgt der erweiterte Kern der EU aus Italien, Spanien, den BeNeLux-Staaten und Österreich. Südeuropa (Griechenland, Malta, Zypern, Portugal) hat dagegen auf der EU-Bühne kaum was zu sagen. Allen voran das deutsche Kapital hat seinen Arsch aus der Wirtschaftskrise 2007/2008 gerettet, indem es die Kosten der Krise Südeuropa durch brutale Sparprogramme und die Entmachtung ihrer gewählten Regierungen aufgedrückt hat. Südeuropa wurde damit vollständig und gewaltvoll untergeordnet und gefügig gemacht. Bekannt für ihre EU-kritische Haltung sind vor allem die Staaten Osteuropas wie zB. Polen oder Ungarn. Osteuropa aber insbesondere das Baltikum versucht seine Stellung in der EU dadurch auszubauen, dass sie als Partner der USA und enger NATO-Verbündeter ihre Interessen durchsetzen.

Wenn wir uns die aktuellen Wahlplakate anschauen, wird ganz deutlich: Der EU, und allen voran den Staaten, die die EU dominieren, fehlt es an einem integrativen Projekt, dass diese auseinanderdriftenden Tendenzen zusammenhalten kann. Die Folge dessen ist eine Zersplitterung im bürgerlichen Parteienlage, da die verschiedenen nationalen Kapitalfraktionen nach strategischer Orientierung suchen. Außerdem bedeutet dies, dass die Mitgliedsstaaten nun verstärkt auf ihre eigene Aufrüstung setzen, um eine eigenständigere Rolle zu spielen. Für uns in Deutschland und Österreich bedeutet das Kürzungswellen in unseren Schulen und Unis, um die massiven Aufrüstungsprogramme zu finanzieren und Debatten um die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Der Rechtsruck in der EU ist nicht die Ursache der Krise, sondern ist ein Ausdruck dessen!

In den Sonntagsreden vieler EU-Abgeordnete hören wir, dass sich Europa gegen die wachsende Macht der Rechtspopulist:innen verteidigen müsse. So weit so richtig. Allerdings tun diese Reden häufig so, als ob in der EU eigentlich alles tutti wäre, nur die Rechtspopulist:innen versuchen in die paradiesische EU einzudringen und wollen alles kaputt machen. Für uns Jugendliche ist die EU jedoch kein Dreamland, sondern bedeutet Militarisierung, Rassismus und Neoliberalismus. Außerdem sind die Rechtspopulist:innen nicht vom Himmel gefallen, sondern sie sind ein Produkt ebendieser Krise der EU und der zunehmenden Unzufriedenheit mit ihr in Teilen des Kapitals und des Kleinbürger:innentums. Wie wir eben aufgezeigt haben, hat die Krise der EU ihre Ursache in der kapitalistischen Krise selbst und nicht im wachsenden Rechtspopulismus. Dieser macht sich die Krise jedoch zunutze, um die Unzufriedenen und Abgehängten angesichts eines Mangels an einer linken Alternative hinter sich zu versammeln.

In Österreich haben wir die Situation, dass die rechtsextreme FPÖ in allen Umfragen auf Platz 1 liegt. Zwar kommen die Stimmen zu großen Teilen von der ÖVP, trotzdem bedeutet das weiterhin eine rechte parlamentarische Mehrheit und eine Stärkung der organisierten Rechten. Die AfD erreicht selbst in der U-16-Wahl in Brandenburg Spitzenwerte von 38 Prozent! Laut aktuellen Prognosen wird vermutlich jede vierte Stimme in Europa an rechtspopulistische Parteien gehen. Diese massiven Stimmenzuwächse verteilen sich jedoch auf die „Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer“ (zu deren stärkster Kraft die Partei von Italiens Ministerpräsidentin Meloni gehört) und „Identität und Demokratie“ (zu der auch AfD und FPÖ gehören). Wo sich beide Fraktionen in ihrem Rassismus einig sind, so uneinig sind sie sich in der Positionierung gegenüber dem Krieg in der Ukraine. Die „Konservativen und Reformer“ scheinen dabei die meisten Stimmenzuwächse zu erwarten und unterscheiden sich außenpolitisch nicht wesentlich von der herrschenden EU-Linie.

Doch auch die anderen europäischen Fraktionen sind von einem Rechtsruck geprägt. So versuchen die Europäische Volkspartei (CDU/CSU, ÖVP) und die Liberalen ihre Stimmenverluste an die Rechtspopulist:innen dadurch auszugleichen, in dem sie sich als stärkere Verfechter:innen der Festung Europa zu präsentieren versuchen. Doch auch die Grünen und Sozialdemokraten (SPD, SPÖ) stimmen in den Chor aus Abschottung, Krieg, Militarisierung und Aufrüstung ein. Einig sind sie sich ohnehin alle darin, dass man im Falle des genozidalen Kriegs in Gaza an der Seite Israels stehen müsse. Dabei hat die österreichische SPÖ doch dieses Jahr das erste mal seit langem wieder einen Parteiobmann, der sich positiv auf den Marxismus und die Arbeiter:innenbewegung bezieht? Der Linksruck, den manche damit herbeigesehnt haben, blieb leider aus. Vielmehr gehen die abgehobenen Streitigkeiten weiter. Die um einiges rechteren Landeshauptläute schießen regelmäßig gegen Babler, damit er ja nicht vergisst, dass die Sozialdemokratie schon lange nicht mehr auf die kleinen Leute schaut. In Deutschland hat sich der Rechtsruck auch in der Linkspartei ausgedrückt. So hat sich das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ von der Partei abgespalten und hofft mit rechteren Positionen zur Migration und gegen den angeblichen „Genderwahn“ Wähler:innen von der AfD zurückzuholen. Ihr wirtschaftspolitisches Programm wird in den Medien häufig als links bezeichnet, steht jedoch in erster Linie nur für eine ein wenig sozialere Marktwirtschaft, welche angesichts der aktuellen Krise ein utopisches Modell zu sein scheint.

Wählt die Europäische Linke, aber organisiert den Widerstand!

Wir rufen euch zur Wahl der Europäischen Linken (Linkspartei, KPÖ) auf. So finden wir mit ihren Forderungen nach einem Stopp der Privatisierungen und Kürzungswellen an unseren Schulen und Unis, einem EU-weiten Mindetslohn, einem Stopp der Aufrüstungsspirale und legalen und sicheren Fluchtwege in die EU noch die größte Übereinstimmung. Während die Linkspartei in Deutschland überhaupt darum kämpfen muss, ins Parlament einzuziehen zu dürfen, hat die KPÖ in Österreich dieses Jahr mehrere Erfolge einfahren können. Allen voran die Wahl in Salzburg, wo sie über 20% geschafft haben, aber auch für die EU-Wahlen stehen ihre Chancen gut. Die Parteien der Europäischen Linken eint die Idee von einem sozialeren Europa. Doch wie diese Forderungen genau umgesetzt werden sollen, insbesondere wenn sie auf den erbitterten Widerstand der herrschende Klasse stoßen werden – darüber schweigt die Fraktion. Doch dennoch vereint sie die Illusionen und Hoffnungen der fortschrittlichsten Teile der europäischen Arbeiter:innenklasse, der Gewerkschaften, der Klimabewegung auf sich. Mit diesen müssen wir brechen und den Massen aufzeigen, dass – wie oben schon näher erläutert – nur auf revolutionärem antikapitalistischen Wege eine soziale, friedliche, antirassistische und ökologische Vereinigung Europas unter kooperativer sozialistischer Planung der Produktion möglich ist.

Doch dafür dürfen wir nicht die kommunistischen Besserwisser:innen am Gartenzaun sein. Unsere Aufgabe ist es die richtigen Forderungen der Europäischen Linken zu unterstützen und im gemeinsamen Kampf aufzuzeigen, dass diese nicht auf parlamentarischem Wege und nur eingebettet in ein revolutionäres Programm durchgesetzt und verteidigt werden können. Die Basis und Wähler:innen dieser reformistischen Parteien müssen wir dazu auffordern, ihre Führung auf die Probe zu stellen und von ihnen einen tatsächlichen Kampf für ihre Forderungen einzufordern. Unsere Aufgabe ist es, Teil dieses Kampfes zu sein, das reformistische Bewusstsein in der Klasse zu brechen und ihn anhand unseres Programms auch zum Erfolg zu führen.

Die Wahl von irgendwelchen „linken Kleinstparteien“ wie DKP, MLPD, MERA25, SGP oder auch der Letzten Generation lehnen wir ab. Während DKP und MLPD versuchen aus dem Friedhof der Untoten des Steinzeitstalinismus auszubrechen, versucht sich die vom ehemaligen griechischen Finanzminister Varoufakis gegründete MERA25 als einzige palästinasolidarische Partei zu präsentieren. Sie alle eint jedoch, dass sie keinerlei Rückhalt in irgendwelchen Teilen der Arbeiter:innenklasse besitzen. Ihre Wahl hat keinerlei Einfluss auf das Bewusstsein der Klasse, sodass wir die Klasse auch nicht erreichen, wenn wir unser Kreuz für ihre zusammengekleisterten, reformistischen und sektiererischen Wahlprogramme machen.

In einer Zeit in der Wirtschaftskrisen und Genozide zu unserem Alltag gehören, braucht es massenhaften und organisierten Widerstand in unseren Schulen und Unis. Einen Zettel in eine Box werfen kann dabei maximal eine Nebenbeschäftigung sein.




Eurovision Song Contest 2024 – United by Genocide?

von Leonie Schmidt, Mai 2024, zuerst veröffentlicht in der Infomail 1254 der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Gestern Abend fand in Malmö das Finale des 68. Eurovision Song Contest unter dem Motto „United by Music“ statt. Überschattet war es, völlig zu Recht, von verschiedenen Protesten gegen die Teilnahme Israels und Boykottaufrufen. In den letzten Jahren hat sich das Schauen des ESCs besonders bei einem jüngeren und queeren Publikum zu einem festen kulturellen Bestandteil gemausert. Jährlich schalten für das Finale um die 162 Mio. Menschen weltweit ein. In diesem Artikel wollen wir die verschiedenen Aktionen, Vorfälle und Proteste näher beleuchten und auch auf die kulturelle Bedeutung des ESC eingehen.

Der ESC ist nicht unpolitisch!

Die erste Frage, die sich stellt, ist für viele sicher erst einmal, warum Israel überhaupt beim ESC teilnehmen darf. Immerhin liegt es nicht in Europa und begeht gerade einen Genozid in Gaza. Das lässt sich damit erklären, dass es Teil der Europäische Rundfunkunion (EBU) ist. Tatsächlich sind nicht nur europäische Staaten und ihre Sender vertreten, jedoch ist Israel historisch gesehen das erste Land, was außerhalb der EU liegt und beim ESC antrat. Allerdings könnte man ja meinen, dass die EBU Kriegsverbrechen sanktioniert, immerhin wurde Russland nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine auch ausgeschlossen. Doch diese Doppelmoral erklärt die EBU mit dem Verhältnis des russischen und israelischen Senders zu ihrer jeweiligen Regierung. Beim israelischen Sender KAN bestünden keine Verletzungen der Werte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seltsam in Anbetracht der Tatsache, dass auf X (vormals Twitter) Videos kursieren, auf denen zu sehen ist, wie der Sender KAN seinen Namen auf Panzergranaten schreiben lässt, die dann nach Gaza geschickt werden. So scheint es sich ja doch um eine kriegstreiberische Rundfunkanstalt zu handeln.

Vor allem aber möchte sich die EBU darauf ausruhen, dass der ESC unpolitisch sei. Das gelte selbstverständlich auch für die israelische Kandidatin Eden Golan, die ihren ESC-Song „October Rain“ in „Hurricane“ abändern musste. Doch beugen wollte sich Israel anfangs nicht direkt, ursprünglich wollte es die Teilnahme absagen, wenn das Lied abgeändert werden müsste. Letztendlich trat Golan doch an, zu symbolisch sei der Auftritt beim ESC. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen: Es handelt sich immer noch um dasselbe Lied, welches inspiriert ist von den Folgen des Angriffs der Hamas für die Israelis im Oktober 2023 und in diesem Kontext auch als Propaganda für den Krieg in Gaza gegen die Palästinenser:innen verstanden werden muss. Interessanterweise gibt es im Allgemeinen gerade in Israel eine Welle an Propagandasongs von jungen Künstler:innen, vornehmlich aus dem Bereich Hip-Hop, die den Krieg in Gaza und auch den Genozid glorifizieren und so IDF-Soldat:innen und die gesamte Bevölkerung bei der Fahnenstange halten sollen. Ein Beispiel ist der Song „Harbu Darbu“ von Ness und Stilla, die Zeilen wie „Wait for it to rain on you, whores. Every bad person comes for his punishment in the end“ (Deutsch: „Wartet, bis es auf euch regnet, Huren. Jeder schlechte Mensch kommt am Ende für seine Strafe auf“) beinhalten. Das Lied von Eden Golan ist zwar sicher nicht derart vulgär und gewaltverherrlichend, doch es muss dennoch als Inszenierung der Opferrolle des israelischen Staats verstanden werden. Schließlich ist es ein sehr emotionales Lied, was den Anschein erweckt, dass nicht gerade 35 Tausend Palästinenser:innen in Gaza durch die Hand des israelischen Militärs ermordet worden wären, zumal Eden Golan bereits angekündigt hat, nach ihrem ESC-Auftritt der IDF beizutreten.

Der diesjährige ESC wurde im Übrigen auch von einer israelischen Firma massiv gesponsert: Moroccanoil. Die Haarpflegeprodukte, die sie produziert, werden auch teilweise in besetzten palästinensischen Gebieten hergestellt. Sie profitiert also direkt von der Apartheid, und indem sie Teil des ESCs ist, erhält sie mehr Reichweite, Kredibilität und kann so noch mehr Produkte verkaufen.

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Israel die Teilnahme beim ESC nutzt, um sich und seine Apartheid gegenüber Palästina in ein besseres Licht zu rücken. 2019 konnte es sich bereits als unfassbar queerfreundliches Land inszenieren, was, wie wir in diesem Artikel näher ausgeführt haben, nicht der Realität entspricht. Auch der US-amerikanische Sender CNN bestätigt die Softpower, die durch die Teilnahme am ESC aufgebaut werden kann, besonders für Länder, die Menschenrechtsverletzungen begehen. Der israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog unterstreicht ebenso die Beweggründe, die hinter der Teilnahme stecken, wie die Times of Israel berichtete: Eine Teilnahme Israels an dem Wettbewerb sei wichtig für das Land und auch ein Statement. Es gebe Juden-/Jüdinnenhasser:innen, die versuchten, Israel von jeder Bühne zu vertreiben. Selbstverständlich geht es hier nicht wirklich um Antisemitismus, aber mit dieser Behauptung kann sich Israel eben wieder besser als Staat inszenieren, der ein Recht darauf hat, sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen, um seine proimperialistischen Absichten zu verschleiern. Den Beweis für diese These lieferte Israel gleich selbst: Während Eden Golan schmerzerfüllt in Malmö ihre Ballade trällerte, bombardierte die IDF den Gazastreifen, schoss auf einen Krankenwagen, der gerade verletzte Palästinenser:innen transportierte.

Der ESC ist also alles andere als unpolitisch. Auch wenn man sich das Abstimmungsverhalten der Vergangenheit anschaut, offenbart sich, dass „politische Spannungen“ keinen unwichtigen Einfluss haben und selten Punkte an Länder gehen, mit denen das jeweilige Land aus politischen oder kulturellen Gründen im Zwist bzw. in Konkurrenz steht. Beispielsweise erhielt Großbritannien 2021 0 Punkte sowohl von der Jury als auch Zuschauer:innen als Reaktion auf den Brexit.  Auch hinsichtlich des europäischen Imperialismus stellt es keinen unwichtigen Aspekt dar. Immerhin wurde der ESC 1956 gegründet, um die Einheit der teilnehmenden Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg zu fördern. Dahinter steht auch die Idee eines vereinten Europas als Wertegemeinschaft, welches dieselben (imperialistischen) Interessen vertritt. Genau genommen sind das natürlich die der imperialistischen Kernzentren Deutschland und Frankreich, auch wenn ihre Macht innerhalb der EU und des imperialistischen Weltsystems am Bröckeln ist. In dem Fall des diesjährigen ESC sollte daher ganz klar unterstrichen werden, dass der europäische Imperialismus hinter Israel steht. Selbstverständlich fördert der ESC auch nationalistische Gefühle durch die Konkurrenz der verschiedenen Länder und Identifikation mit der „eigenen“ künstlerischen Vertretung. In den letzten Jahren wurde das von einem queeren Publikum vermehrt aufgebrochen: Dadurch, dass offen queere Personen antreten und die Show seit jeher extravagant ist, empfinden viele auch abseits von nationalistischen Gefühlen Spaß an der Show.

Kein Sieg für Israel

Gewonnen hat Nemo, Vertretung der Schweiz, mit einem Lied über their Nichtbinarität. Dabei waren die Jurypunkte entscheidend. Zusätzlich tritt Nemo auch offen für einen Waffenstillstand in Gaza ein. Bei der Übergabe der Auszeichnung sprach sich they unkonkret für Frieden aus.

Israel hat trotz des Versuchs, viele Leute zu motivieren, für Golan zu stimmen, nicht gewonnen. Immerhin. Der 5. Platz jedoch wurde ihr sicher. Interessanterweise waren die Jurypunkte dabei nicht entscheidend, auch wenn sich Deutschland und Israel gegenseitig damit beschenkten. Stattdessen waren es die Televotes der Zuschauenden, die alle zusammengerechnet werden. Israel erhielt hier 328 Stimmen, 12 Punkte kamen unter anderem aus Deutschland. Wären also nur diese ausschlaggebend, hätte Israel tatsächlich gewonnen. Im Kontext der Boykottaufrufe ist es zwar nicht allzu verwunderlich, immerhin haben so Zionist:innen mehr Macht gehabt, wenn Fans, die für Palästina sind, gar nicht erst abstimmen. An diesem Ergebnis zeigt sich aber auch, wie gut die Propagandamasche und die Opferrolle ankommen. Aber es hätte eigentlich gar nicht so weit kommen dürfen, dass der Apartheidstaat Israel solch einen Auftritt hinlegen darf, um die Sympathien des TV-Publikums zu erheischen.

Gegenstimmen von Künstler:innen

Vor dem diesjährigen ESC hatten sich 2.000 Künstler:innen aus Schweden, Finnland und Island gegen eine Teilnahme Israels ausgesprochen. Auch hat die schwedische Gewinnerin des ESC 2023 Loreen verkündet, dass sie nicht Eden Golan den Preis überreichen würde, hätte diese gewonnen. Statt die vermeintliche politische Neutralität des ESC hinzunehmen, haben außerdem einige Künstler:innen, die am ESC teilnehmen (sollten), sich gegen die unkommentierte Teilnahme Israels ausgesprochen. Während einer Pressekonferenz zeigten sich Bambi Thug, Irlands Kandidat:in, Joost Klein, niederländischer Kandidat und Marina Satti, Griechenlands Vertreterin wenig begeistert von Eden Golans Statements gegenüber der Presse. Des Weiteren unterzeichneten einige von ihnen einen offenen Brief, der für Frieden, einen Waffenstillstand und die Freilassung aller Geiseln plädiert und Israel als Apartheidstaat bezeichnet. Nemo, Sieger:in des ESC für die Schweiz, unterschrieb diesen ebenfalls. Auch der vormalige schwedisch-palästinensische ESC-Gewinner von 2011, Eric Saade, setzte ein Statement, indem er bei der Eröffnung des Halbfinales eine Kufiya um sein Handgelenk geschlungen trug. Auf Instagram teilte er mit, dass die EBU seinen Auftritt nicht geteilt hatte, er aber keinesfalls schweigen wolle, wenn Kinder abgeschlachtet werden, unabhängig davon, wer die Täter:innen seien. Politische Statements und Palästinafahnen wurden von Seiten der EBU untersagt, das Tragen der Kufiya kann dabei allerdings als Grauzone interpretiert werden. Auch Bambi Thug trug sie während eines Presseinterviews, they durfte aber nicht mit Körperbemalung in mittelalterlicher-keltischer Schrift auftreten, die Freiheit für Palästina und Waffenruhe fordert. Die portugiesische Vertreterin Iolanda zeigte ihre Palästinanägel in Kufiyamuster beim Finale, bisher ohne weitere Konsequenzen, außer, dass ihre Performance nicht auf Youtube hochgeladen wurde wie alle anderen Songs, sondern stattdessen ihr Auftritt vom Halbfinale. Auch die italienische Vertreterin Angelina Mango setzte laut X ein Zeichen, indem sie bei der Flaggenparade absichtlich die italienische Flagge so mit ihrem Kleid kombinierte, dass es wie eine Palästinafahne aussah.

Konsequenzen scheint es aktuell für Joost Klein zu geben. Dieser wurde ausgeschlossen, wenig ist jedoch bisher bekannt. Nachdem er von der israelischen Delegation massiv bedrängt wurde, die seine toten Eltern, wegen welchen er überhaupt erst am ESC teilnehmen wollte, verhöhnte, wurde nun spekuliert, dass er deswegen verbal ausfällig geworden sei. Es wurden polizeiliche Ermittlungen eingeleitet und der niederländische Broadcaster des Eurovision Song Contest, AVROTROS, schildert den Vorfall wie folgt: Nach seinem Auftritt habe Joost mehrfach zu verstehen gegeben, dass er nicht gefilmt werden möchte. Dem wurde von nicht nachgegangen, trotz Wiederholung von Joosts Bitte. Daraufhin habe er sich in bedrohlicher Gestik auf die Kamera einer schwedischen Kamerafrau zubewegt, mehr sei jedoch nicht passiert. AVROTROS weigerte sich danach, die niederländischen Punkte zu übermitteln, und bezeichnet den Ausschluss von Joost Klein als völlig überzogen.

Es drängt sich jedenfalls das Gefühl auf, dass hier mit allen Mitteln versucht wird, die Künstler:innen, die sich kritisch zur Teilnahme Israels äußern, unter Druck zu setzen und ihnen notfalls die Plattform zu entziehen. Und das, während es der israelischen Delegation erlaubt bleibt, in sozialen Medien zu teilen, dass in ihrer Nähe kein/e Antisemit:in atmen dürfen solle, und Bambi Thugs Nichtbinarität durch den Kommentator des israelischen Übertragungssenders im Halbfinale durch den Dreck zu ziehen (seltsam, Israel ist wohl doch nicht so queerfreundlich?). Letzteres wird übrigens von der EBU mittlerweile als Regelverstoß gewertet. Er ist scheinbar jedoch nicht gravierend genug für eine Disqualifikation. Es häufen sich außerdem auch Berichte von kritischen Journalist:innen und anderen Teilnehmenden, die aussagen, dass sie von der israelischen Delegation ungefragt gefilmt, beleidigt und bedroht wurden.

Manipulation beim ESC?

Einen weiteren wichtigen Punkt stellen die Vorwürfe gegen verschiedene Aspekte des Wettbewerbs dar. Auf X (vormals Twitter) wurde geteilt, die EBU habe die Buhrufe des Publikums bei Eden Golans Auftritt im Halbfinale mit Applaus ersetzt. Obwohl im Stadion in Malmö die ablehnende Haltung klar zu hören war und auch durch Handyaufnahmen nachzuprüfen ist, schien es im Stream ganz anders: Hier erntete sie stattdessen tosenden Applaus. Auch der deutsche Vertreter für den ESC aus dem Jahr 2021, Jendrik, kritisierte diese Praxis auf X. Beim Finale selbst waren die Buhrufe zumindest deutlich zu hören und wurden auch vom deutschen Kommentator der Übertragung, Thorsten Schorn, aufgegriffen. Aber auch hier zeigen die Aufnahmen aus dem Stadion eine ganz andere Geräuschkulisse als die, die vor dem Fernseher ankam. Eine solche Manipulation der Reaktion von Zuschauer:innen ist nicht hinnehmbar und wird zu einem politischen Akt, auch wenn es im Namen des vermeintlich Unpolitischen durchgesetzt wird.

Die Abstimmungen für die Teilnahme am Finale haben ebenso Spekulationen nach sich gezogen. So veröffentlichte der italienische Broadcaster aufgrund von technischen Fehlern die Abstimmungsergebnisse, was eigentlich nicht erlaubt ist. Zuschauenden fiel auf, dass diese für Israel ungewöhnlich hoch seien. Auch das Televoting im Finale verwirrte einige – so hätten die Zuschauenden aus Irland 10 Punkte für Israel verteilt. Gerade in Anbetracht der irischen Kolonialgeschichte und des offenen Supports vieler Ir:innen für Palästina wirkt das doch ein bisschen seltsam. Natürlich gibt es nicht nur in Israel Zionist:innen, die für dieses Land abstimmen würden, daher muss nicht gleich von einer Manipulation ausgegangen werden. Jedoch gab es auch in der Vergangenheit Untersuchungen, das letzte Mal nach dem ESC 2022, aufgrund von „Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe“. Aufzuklären ist das durch Spekulationen jedenfalls nicht, stattdessen sollten die Abstimmungsergebnisse offengelegt und von Arbeiter:innenorganen überwacht und ausgewertet werden, um eine bessere Transparenz gewährleisten zu können.

Proteste

Doch auch außerhalb der Arena in Malmö kam es zu massiven Protesten. Auch die Sektion Arbetarmakt der LFI war vor Ort. Laut schwedischer Polizei strömten dabei in den vergangenen Tagen bis zu zwanzigtausend Menschen durch die Straßen bei Demonstrationen in der schwedischen Stadt, darunter auch Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie bezeichneten den ESC als Genocide Song Contest, forderten ein freies Palästina und einen sofortigen Waffenstillstand. Des Weiteren forderten sie den Boycott des ESC, als Teil der BDS-Kampagne im Bereich des kulturellen Boykotts. Durch den Aufschwung der Palästinasolidaritätsbewegung im Rahmen der weltweiten Unibesetzungen wurde auch dem Gegenprotest gegen den ESC eine besondere Aufmerksamkeit zuteil und viele Leute gingen auf die Straße.

Daneben gab es in anderen Ländern Aktionen. So schalteten belgische Gewerkschaften beim Halbfinale am Ende und Anfang der Übertragung eine Texttafel, die #Ceasefirenow und #StopGenocide beinhalteten. Das war nicht abgesprochen mit dem Sender, der in Belgien den ESC übertrug, jedoch ist das auch scheinbar nicht nötig.

Perspektive

Die belgische Gewerkschaft kann man sich jedenfalls definitiv in dieser Hinsicht zum Vorbild nehmen. Genau solche Aktionen wären unter anderem notwendig, um eine noch größere Öffentlichkeit zu schaffen für den Genozid in Gaza, die Vorkommnisse und Zensur beim ESC sowie Doppelmoral bezüglich der israelischen Teilnahme. Dafür müssten sich die Gewerkschaften in der Unterhaltungsbranche der teilnehmenden Länder und die Arbeiter:innen dieser zusammentun, könnten auch zusammen mit den Künstler:innen die Plattform des ESC nutzen, um ein Zeichen zu setzen und die israelische Teilnahme zu blockieren, wenn die EBU hier schon mit zweierlei Maß messen will. Im Zusammenhang mit gewerkschaftlicher Aktion kann auch die Boykottkampagne sinnvoll sein. Ebenso wäre natürlich auch eine komplette Bestreikung des ESCs oder die Besetzung der Arena in Malmö eine Möglichkeit gewesen.

Grundsätzlich müssen die Strukturen des ESCs transformiert werden. Die höheren Tiere der EBU haben bewiesen, dass sie durch ungerechtfertigte Entscheidungen, Ausschlüsse und Zensur alles versuchen, den Protest verstummen zu lassen. Ein solcher Song Contest, der fair und für Künstler:innen ein sicherer Ort ist, während imperialistische Staaten keine Plattform für die Legitimierung ihrer Kriegsverbrechen erhalten, kann nur durch Rätestrukturen von Arbeiter:innen, Zuschauenden und Künstler:innen gewährleistet werden! Zusätzlich kann man sich überlegen, ob die Zentrierung um die Herkunft der antretenden Künstler:innen abgeschafft werden kann. Aber erstmal ist klar: Der ESC darf nicht zum Propagandamittel für den Genozid werden! Take back the ESC! Oder um es mit den Worten von Bambie Thug zu sagen: „Fuck the EBU, we are what the Eurovision is!“ (Deutsch: „Scheißt auf die EBU! Wir sind die Eurovision!“)




Irland und der Verrat des Befreiungskampfes

von Urs Hecker, April 2024

Die Woche nach Ostern hat in Deutschland eigentlich keine größere Bedeutung. In Irland allerdings ist kaum eine Zeit im Jahr so politisch aufgeladen wie die Osterwoche, kein Wunder, denn der Osteraufstand 1916 und die auf ihn folgenden Kriege sind wahrscheinlich die prägenden Momente der modernen irischen Geschichte.

In diesem Text wollen wir uns mit dem Ablauf dieser auseinandersetzen, nicht (nur) aus reinem historischen Interesse, sondern weil wir der Meinung sind dass gerade aus dem irischen Befreiungskampf viele wichtige Lehren für den antiimperialistischen Kampf heute gewonnen werden können.

Historische Situation vor dem Osteraufstand

Irland hat eine lange Geschichte von Besatzung, Unterdrückung und Kolonialisierung. Aber auch des Widerstands gegen diese. Vor dem Osteraufstand war Irland bereits über 700 Jahre durch England besetzt. In ganz Irland siedelte sich ein englisch/normannischer Landadel an, der so gut wie alles Land besaß und es in seinem Interesse regierte. Da die Ir:innen ihre Ausbeutung und Unterdrückung jedoch nicht einfach hinnahmen kam es in regelmäßigen Abständen zu blutigen Aufständen. Um Irland zu befrieden, setzte die britische Krone auf Siedlungskolonialismus (sog. Plantations). Erfolgreich war dabei jedoch nur die Plantation of Ulster. Im heutigen Nordirland wurden die lokalen Clans enteignet und vertrieben, auf ihrem Land wurden schottische Siedler:innen angesiedelt. Diese waren besonders treu zur Krone und hatten anders als die katholischen Ir:innen protestantischen Glauben. Während die Mehrheit der Schott:innen auch katholisch war und Irland näher stand als England, waren die sog. Ulster Scots zum Protestantismus konvertiert in der Hoffnung so ihre nationale Unterdrückung in Folge des gescheiterteten Jakobitenaufstands zu überwinden, der zur gewaltsamen Vertreibung der Schott:innen aus den Highlands und Zerschlagung der schottischen Kultur geführt hatte. Dieser Versuch gelang: Aus Unterdrückten wurden Unterdrücker im Dienst ihrer vormaligen Schlächter.

Als der aufsteigende Kapitalismus nationalistisches Bewusstsein in ganz Europa verbreitete häuften sich die Aufstände, seit 1798 gab es ungefähr einen pro Generation.  Neben der Aufstände war das 19. Jahrhundert aber vor allem durch Hungersnot, Genozid und Emigration geprägt. Die große Hungersnot konnte nur entstehen da die Ir:innen, welche nur wenig Land hatten, Kartoffeln anbauen mussten um sich zu versorgen. Die größten Landflächen wurden zum Export von Weizen genutzt. Die britische Regierung stoppte diese Exporte selbst dann nicht, als Millionen von Ir:innen den Hungertod starben.  Auch heute ist die Bevölkerung Irlands immer noch kleiner als vor der Hungersnot.

Die fehlgeschlagenen Aufstände führten dazu, dass sich ein auf Reformen gestütztes Bewusstsein durchsetzte: Die sog. „Home-Rule“ Bewegung. Ihr Ziel war es dass Irland einige Zugeständnisse aus London erhielt und die irische Bourgeoise ihr eigenes Parlament in Dublin gründen könne. Dass dies alles als Teil von Großbritannien geschehen müsse wurde nicht in Frage gestellt. Die Protestant:innen im Norden sahen durch die Home Rule Bewegung ihr Privilegien bedroht und gründeten als erstes bewaffnete Organisationen um diese zur verteidigen. Ihre Massenbasis bestand aus Kleinbürger:innen und der Arbeiter:innenaristrokratie des Nordens. Als Antwort darauf und aus Selbstverteidigung gründeten irische Nationalist:innen selbst bewaffnete Milizen, die Irish-Volunteers. Die Mehrheit dieser und vor allem ihre Führung gehörten der reformistischen Home-Rule Bewegung an. Es war also kein Zufall als sich zum Ausbruch des ersten Weltkriegs die Irish Volunteers freiwillig für die britische Armee meldeten. Die Führung erhoffte sich so Londons „guten Willen“ zu verdienen.

Irischer Republikanismus

Eine Minderheit der irischen Nationalist:innen war allerdings radikaler. Der sog. Irische Nationalismus setzte sich aus Radikalliberalen, Sozialist:innen und anderen fortschrittlicheren Nationalist:innen zusammen. Ihr Ziel war eine gesamt irische Republik unabhännig von Großbritannien. Folglich lehnten sie auch den Beitritt in die britische Armee scharf ab. Während einigen Republikaner:innen eine sozialistische Republik vorschwärmte, war die Mehrheit klar für einen bürgerlichen Staat, welcher ein paar soziale Reformen mittragen sollte.
Organisiert waren die Republikaner:innen in der Geheimorganisation Irish Republican Brotherhood (IRB), der Partei Sinn Fein und in der Frauenorganisation Cumann na mBan.

Osteraufstand und Befreiungskampf der IRA

Nach 2 Jahren Weltkrieg entschied die IRB, dass der Zeitpunkt zum Aufstand gekommen war. Am Ostermontag 1916 besetzten sie mit kleineren Gruppen von Irish Volunteers prestigeträchtige und militärstrategisch wichtige Gebäude in Dublin. Im Hauptpostamt wurde die irische Republik proklamiert und die Anführer der IRB erklärten sich zur provisorischen Regierung dieser. Diese neue Republik stellte im Sinne der Proklamation einen fortschrittlichen bürgerlichen Staat dar. Das Wahlrecht für Frauen wurde betont und die Freiheit aller Religionsgemeinschaften, ein proletarischer Standpunkt fehlte allerdings. Dennoch waren Sozialist:innen am Osteraufstand beteiligt. Allen Voran: James Connolly ein ehemaliger Gewerkschafter aus Schottland welcher Teil der provisorischen Regierung wurde. 
Die britische Regierung reagierte erbarmungslos auf den Aufstand. Die Armee marschierte in Dublin ein und für den Rest der Osterwoche herrschte Krieg in der Stadt. Als die britische Armee durch Artilleriebeschuss begann die Stadt zu zerstören und die Situation der aufständischen ausweglos schien ergaben sich diese. Ihre Hoffnung, dass sich der Aufstand auf die breite Bevölkerung ausbreiten würde hatte sich zunächst nicht erfüllt.  
Bis auf Eamon de Valera, welcher amerikanische Staatsbürgerschaft besaß wurden alle Unterzeichner der Proklamation zu Tode verurteilt und hingerichtet.

Durch unermüdliche Propagandaarbeit, allen voran von der Frauenorganisation Cumann na mBan, wendete sich aber nun das Bewusstsein in Irland. Immer mehr Menschen wandten sich von der Home Rule ab und unterstützen den Unabhängigkeitskampf. Dies zeigte sich auch bei den Wahlen zum britischen Unterhaus  im Dezember 1918. 76 der 106 irischen Sitze wurden von der republikanischen Partei Sinn Fein gewonnen, der Republikanismus war zur Mehrheitsideologie geworden. Die Abgeordneten von Sinn Fein erkannten das britische Parlament nicht an, im Januar 1919 gründeten sie ein irisches Parlament (Dail) und erklärten die Unabhängigkeit. Großbritannien erkannte diese nicht an und der Befreiungskrieg brach aus. Die Irish Volunteers wurden umformiert zur irisch-republikanischen-Armee (IRA) welche offiziell dem Dail unterstand. Die IRA führte von nun an einen Guerillakrieg für die Befreiung Irlands. Großbritannien regierte mit Terror und Mord und ließ ehemalige Soldaten des ersten Weltkriegs als paramilitärische Todesschwadronen auf die Zivilbevölkerung los.

Vertrag und Verrat

Es entsteht eine Patt-Situation, die Besatzungsmacht kann die Guerillas nicht besiegen, diese können aber auch nicht eigenmächtig die Besatzungsmacht vertreiben.
Deswegen schlägt die britische Regierung 1921 einen Friedensvertrag vor.
Irland soll ein „Freistaat“ werden der weiter der britischen Krone untersteht, aber hohe Autonomie besitzt. Der Norden Irlands soll nicht Teil des Freistaats werden.
Letztendlich werden durch den Vertrag alle Ziele des Osteraufstands und des republikanischen Kampfes verraten. Es wir keine unabhängige irische Republik geben, der Norden bleibt direkt von Großbritannien kontrolliert, in ihm wird sich die Unterdrückung der Ir:innen sogar verschärfen. Die Situation der irischen Arbeiter:innen und armen Bäuer:innen verbessert sich kaum.

Verständlicher und richtiger Weise reagiert die republikanische Basis den Vertrag empört ab. Für die irischen Massen gab es nichts zu gewinnen. In einer parteiinternen Abstimmung stimmt die Mehrheit der Sinn Fein Mitglieder gegen den Vertrag. 
Aber der Dail, das irische Parlament lässt sich davon nicht aufhalten. Er stimmt dem Vertrag zu, der Verrat der irischen Bourgeoisie am Befreiungskampf ist perfekt. Sie wählt vermeintliche  Autonomie über dem Kampf für echte Unabhängigkeit.

Bürgerkrieg und Konterrevolution

Die Basis rebelliert gegen den Verrat. Der linke Flügel der Republikaner:innen und der große Teil der IRA lehnen sich gegen das Parlament auf. Es bricht ein Bürgerkrieg aus. 
Der neu entstandene Freistaat wird dabei von Großbritannien militärisch unterstützt.  Dadurch gelingt es ihm die IRA zurückzudrängen und letztendlich zu besiegen. Viele republikanische Anführerinnen werden in dieser Zeit von ihren ehemaligen Mitstreitern ermordet.
Nach der Niederlage der IRA geben auch die meisten Republikaner:innen die Republik auf und akzeptieren den Freistaat. Nur eine kleine Minderheit verbleibt in Sinn Fein, die sich weiterhin weigert die Legitimität des Freistaats anzuerkennen.
Der Sieg des Freistaats war faktisch der Sieg der Konterrevolution.
Die Ir:innen wurden demobilisiert und die Unterordnung unter den Imperialismus wurde akzeptiert. Der Freistaat selbst wurde zu einem der rückständigsten und reaktionärsten Staaten in Europa. Republikaner:innen wurden verfolgt und jedes fortschrittliche Bewusstsein wurde an den Rand gedrängt. Es entstand eine erzkatholische Hegemonie, die sehr sexistisch war und in den Ir:innen selbst reaktionäres Bewusstsein festigte. Der Freistaat war entsprechend auch sehr arbeiter:innenfeindlich und kooperierte im Norden zusammen mit Großbritannien gegen die Republikaner:innen.
Jedes Ziel des Befreiungskampfes wurde verraten Irland blieb politisch und wirtschaftliche vom Imperialismus abhängig.

Fazit

Aber worin lagen die Gründe des Verrats und der Niederlage und welche Lehren können wir heute für den antiimperialistischen Kampf daraus ziehen?

Was auffällt ist, dass es im damaligen Irland keine große Arbeiter:innenorganisationen und -parteien gab, die in den nationalen Befreiungskampf intervenierten. Es gab zwar sehr prominente Sozialist:innen an der Spitze der republikanischen Bewegung wie James Connolly, aber der Republikanismus ist keine sozialistische Strömung sondern eine „fortschrittliche“ bürgerlich nationalistische. Die Sozialist:innen im irischen Befreiungskampf gründeten keine unabhängigen Organisationen für das revolutionäre Proletariat sondern ordneten sich diesen „fortschrittlichen“ Teilen der Bourgeoisie unter. Das stellte sich als fataler Fehler heraus. Durch das Unterordnen unter die Bourgeoisie in der gleichen Partei (Sinn Fein) war es den Sozialist:innen nicht möglich effektiv gegen den Verrat ebendieser anzukämpfen und dem Freistaat etwas entgegenzusetzen. Außerdem konnte es ohne proletarische Organisationen auch keinen Weg zum Aufbau echter Doppelmacht geben. Das Parlament konnte den Kampf verraten, da es das einzige Organ mit Regierungsanspruch war und so in der Lage war den Kampf zu führen. Hätte die Arbeiter:innenklasse eigene Organe, wie Räte, geschaffen und sich dabei mit dem armen Bäuer:innen gegen die britischen Landbesitzer:innen verbündet, hätte es die Chance gegeben den Kampf weiter zu führen und ihn von einem Kampf für einen bürgerlichen Nationalstaat in eine sozialistische Revolution wandeln. 
Nur so hätte Irlands Unabhängigkeit verwirklicht werden können. Im nationalen Befreiungskampf wird die Bourgeosie immer, sobald sie ein für sich tragbares Ergebnis erzielt hat, den Kampf verraten. Denn sie hat immer noch kapitalistische Interessen, ihre Existenz beruht immer noch auf der Ausbeutung der Arbeiter:innen, sie muss sich immer noch dem Weltmarkt unterwerfen und sie ist in Kolonien und Halbkolonien oft so schwach, dass sie ihre Herrschaft auf Kollaboration mit den imperialistischen Staaten stützen muss. Nur die Arbeiter:innenklasse ist in der Lage den Kampf gegen den Imperialismus und für Unabhängigkeit zum Ziel zu führen, indem sie Imperialismus und Kapitalismus selbst aus dem Weg räumt.

Das heißt aber nicht, dass wir bürgerliche Bewegungen im antiimperialistischen Kampf einfach ignorieren können, oder dass wir uns nicht mit ihnen als Teil des Kampfes solidarisch zeigen. Oft haben sie nämlich noch die organisatorische und ideologische Führung dieser Kämpfe inne. Würden wir sie einfach ignorieren und uns komplett abspalten, könnten wir kaum Zugang zu den Massen der Arbeiter:innen und armen Bäuer:innen erhalten. Wir würden ihnen so erst Recht die Führung im Kampf überlassen. Um den Befreiungskampf also zum Sieg zu führen, müssen wir eine antiimperialistische Einheitsfront bei organisatorischer Unabhängigkeit mit den bürgerlichen, antiimperialistischen Kräften bilden. Das ist jedoch nicht mit einer Volksfront zu verwechseln, welche die Interessen der Arbeiter:innen denen der Bourgeiosie unterordnet. Gleichzeitig bezieht sich die antiimperialistische Einheitsfront auf konkrete gemeinsame Aktionen und spezifische Abkommen, die den Kampf gegen den Imperialismus vorantreiben. Nur so können wir die Ausgebeuteten und Unterdrückten davon überzeugen, dass die revolutionäre Arbeiter:innenklasse die einzige Kraft ist, die ihre vollständige Befreiung verwirklichen kann.
können wir die Ausgebeuteten und Unterdrückten davon überzeugen, dass die revolutionäre Arbiter:innenklasse die einzige Kraft ist, die ihre vollständige Befreiung.




Nein zum Gender-Verbot an Schulen!

von Erik Likedeeler, REVOLUTION, Fight! März 2024 (aufgrund der Gesetzesänderung in Bayern leicht angepasst am 21. März 2024 im Vergleich zur Print-Ausgabe )

Es klingt absurd, ist aber wahr: der bayerische Ministerrat und Sachsens Kultusministerium haben sich dazu entschieden, eine geschlechtergerechte Sprache in Form von Sternchen, Doppelpunkt und Binnen-I an Schulen, in Unis und an Behörden (Bayern) sowie an Schulen und deren Behörden (Sachsen) zu verbieten. Der thüringische Landtag hat beschlossen, dass Landesregierung, Ministerien, Schulen, Universitäten und der öffentliche Rundfunk nicht mehr „gendern“ dürfen. Auch in Niederösterreich haben ÖVP und FPÖ durchgesetzt, dass die Nutzung von Sternchen und Binnen-I in den Landesbehörden untersagt wird. Ein FPÖ-Sprecher betonte, es gehe darum, den „Wahnsinn des Genderns“ zu beenden. Diese Gender-Verbote stellen eine weitere Folge des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks in unseren Schulen dar. Sie sind eingebettet in einen internationalen Rollback gegen die Rechte von Frauen und queeren Personen, wie die Angriffe auf das Recht auf Abtreibung in den USA oder Italien oder gesetzliche Verbote für geschlechtsangleichende Maßnahmen oder Verbote von gleichgeschlechtlichen Ehen/Partnerschaften in osteuropäischen Staaten. So haben Rechtspopulist:innen auf der ganzen Welt die sogenannte „Trans- und Gender-Lobby“ zu einem ihrer Hauptfeinde erklärt. Auch unsere Schulen werden zur Zielscheibe ihrer Angriffe. Die zunehmenden Verwerfungen der kapitalistischen Krisen machen Teile des Kleinbürgertums und deklassierter Arbeiter:innen anfällig für diese Ideologie. So sorgen Inflation, zunehmende Konkurrenz, drohender Arbeitsplatzverlust und Sozialabbau dafür, dass viele Cis-Männer ihre zugewiesene Rolle des heldenhaften und starken Ernährers nicht mehr erfüllen können. Die Angst vor dem männlichen Macht- und Identitätsverlust wird zu einem rechten Kulturkampf umgeformt. Die Rückkehr zu konservativen Wertvorstellungen, zu einer Welt, in der doch alles noch besser war, wird ihnen dabei als Lösung verkauft. Der Wirbel um den angeblichen „Wahnsinn des Genderns“ dient als Ablenkung vom eigentlichen sozialen Elend. Doch auch die klassenlose Individualisierung des Kampfes um symbolische Repräsentation soll uns davon abhalten, die eigenen Klassenunterdrückungen zu erkennen. 

Den Rechtspopulist:innen geht es also nicht um eine vermeintlich „richtige“ oder „einfachere“ Sprache. Es geht ihnen darum, Frauen und Queers unsichtbarer zu machen und zurückzudrängen. Dabei greifen sie tief in die Mottenkiste der homophoben und sexistischen Vorurteile, indem sie ihre Gender-Verbote damit begründen, dass es angeblich die Kinder verwirre oder in ihrer Entwicklung beeinträchtige. Unter dem Schlagwort „Frühsexualisierung“ wird nicht nur Jagd auf Gender-Sternchen, sondern auch auf die gleichberechtigte Darstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungsmodelle im Unterricht gemacht. Die angeblichen Interessen der Schüler:innen werden hier argumentativ ins Feld geführt, ohne dass überhaupt die Schüler:innen gefragt wurden. Für den Kampf in der Schule bedeutet dies, dass wir uns nicht auf die Bildungsministerien verlassen können. Jede Errungenschaft kann scheinbar mit einem Regierungswechsel wieder zunichte gemacht werden. Schüler:innen müssen also selbst die Frage der Kontrolle über Lehrpläne und Verhaltensregeln in den Schulen stellen, um das Vordringen rechter und queerfeindlicher Ideologie in unsere Schulen zu stoppen. Was wir für eine gerechte und inklusive Bildung wirklich brauchen, sind Lehrpläne unter demokratischer Kontrolle von Organisationen der Arbeiter:innenklasse sowie Lehrer:innen und Schüler:innen. Selbige müssen selbstverwaltete Antidiskriminierungsstellen an den Schulen erkämpfen, um den Schutz von Mädchen, Frauen und queeren Personen an den Schulen zu garantieren. Es ist nicht das Gendern, was Schüler:innen Probleme bereitet, sondern es ist ein kaputtgespartes Bildungssystem, Lehrer:innenmangel und steigender Leistungsdruck. Doch die bayerische Regierung, das sächsische Bildungsministerium oder die FPÖ denken nicht einmal im Traum daran, an dieser Bildungsmisere etwas zu verändern. Dieser Umstand entlarvt nur noch mehr, dass es ihnen lediglich um den Kampf um ideologische Vorherrschaft und das Zurückdrängen von Frauen und LGBTIA geht. Doch auch Sachsens Lehrerverband (nicht jedoch die Gewerkschaft GEW!) sieht positiv, dass das Gender-Verbot „Klarheit“ und „Barrierefreiheit“ bringen würde. Der Sprecher der FPÖ führte sogar die „Integration“ von Migrant:innen als Grund dafür an, wieso die Partei es bei „einfachen und verständlichen“ Sprachregeln belassen will.

In sprachwissenschaftlichen Studien konnte das Argument jedoch widerlegt werden, dass Gendern für das Gehirn mühsam wäre oder zusätzlichen Aufwand bedeuten würde. Anders als häufig angenommen führen geschlechtergerechte Formulierungen nicht zu langsamerer Verarbeitung, schwächerer Erinnerungsleistung oder schlechterer Lesbarkeit. Das Maskulinum hingegen führt durchaus zu Zögern bei der Verarbeitung und langsamer Reaktion, sobald es geschlechtsübergreifend gemeint ist.

Gleichzeitig sollten wir auch als Linke nicht der Illusion verfallen, dass ein bloßes Ändern unserer Sprache automatisch zu einer tatsächlichen Überwindung gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse führt. Selbst, wenn nun mehr Leute geschlechtergerechte Sprache benutzen, ändert dies leider wenig am Gender-Pay-Gap oder an der Tatsache, dass Frauen immer noch einen Großteil der Haus- und Care-Arbeit leisten.

Anstatt jedoch wie manche Linke den “Kampf um eine inklusive Sprache” abzulehnen, sollten wir diesen viel eher in den Klassenkampf einbinden. Denn in Begriffen stecken implizite Sichtweisen und Wertungen, die beeinflussen können, wie wir bestimmte Gruppen und Ereignisse betrachten. Im besten Fall kann das Verwenden einer bestimmten Sprache unsere Sichtweisen einer breiteren Masse leichter zugänglich machen. Zudem vermittelt inklusive Sprache zusätzlich diskriminierten Personen, dass wir ihre Unterdrückung anerkennen und unsere Befreiungsbewegungen zusammendenken. In diesem Sinne dürfen wir uns keinesfalls der rechten Verbotskultur beugen, sondern müssen dem Gender-Verbot den Kampf ansagen! Denn das, was der bürgerliche Staat als Vertreter des Kapitals am meisten zu fürchten hat, ist eine Arbeiter:innenklasse und Jugend, die sich ihrer gemeinsamen Interessen bewusst ist und gegen die wahren Ursachen ihres Elends ankämpft.

Seid ihr an eurer Schule davon betroffen? Organisiert euch gegen das Verbot und werdet an eurer Schule aktiv! Wir unterstützen euch gerne, auch bei allen anderen politischen Fragen an der Schule!




Von Athen bis Berlin: Gerechte Bildung muss erkämpft werden!

Von Jona Everdeen, Februar 2024

Seit mehreren Wochen sind jetzt über 100 Universitäten in ganz Griechenland besetzt. Jeden Donnerstag demonstrieren zehntausende Studierende gegen ein neues Gesetz der rechtskonservativ-neoliberalen Regierung Mitsotakis, das vorsieht, künftig private Universitäten einzuführen und somit die öffentliche Bildung massiv zu untergraben. Wir solidarisieren uns mit diesen Protesten und rufen auf, eine europaweite Bewegung für gerechte Bildung und gegen die Folgen der neoliberalen Politik der EU aufzubauen!

Privatisierung als Folge neoliberaler Politik

Die Privatisierung der Bildung muss als weiterer Teil der massiven Privatisierungswelle betrachtet werden, die Griechenland in den letzten Jahren erlebte. So wurden u.a. schon Eisenbahn, Energieversorgung und Immobilien privatisiert. Diese radikale neoliberale Politik wurde Griechenland in Folge der Staatsschuldenkrise aufgezwungen. Mit Maßnahmen, die als Wirtschaftskrieg bezeichnet werden können, zwang die vom kürzlich verstorbenen Wolfgang Schäuble angeführte Troika die linksreformistische SYRIZA-Regierung dazu, eine brutale Austeritätspolitik zu akzeptieren. Hier taten die Reformist:innen wieder einmal, was sie am besten können: Die Arbeiter:innenklasse und Jugend verraten, indem sie entgegen der Referendumsentscheidung der Griech:innen vor dem Troika-Terror kapitulierten. Mit 61,31 % war die aufgezwungene Sparpolitik eigentlich abgelehnt worden, doch SYRIZA versprach viel, täuschte die griechische Bevölkerung sogar hinsichtlich des desaströsen Zustandes des Staates und machte letztendlich wenig. Die Folgen für Griechenland waren fatal und prägen das Land noch immer massiv: Proletarische und kleinbürgerliche Massen verarmten, da Lohnkürzungen und der Abbau von Arbeitsrechten erzwungen wurden. Die heutige rechte Regierung der Nea Dimokratia hingegen privatisiert ganz von alleine munter vor sich hin, so wie es eben jede bürgerlich-konservative Regierung tut. Für die griechischen Arbeiter:innen und Jugendlichen sorgte die Austeritätspolitik für eine massive Verschlechterung der Lebensbedingungen. Löhne sanken und Preise für Strom, Miete und Lebensmittel stiegen. Die massive Krise des bürgerlichen Staates soll also auf dem Rücken der Armen ausgetragen werden. Auch für das katastrophale Zugunglück von Tembi 2023, bei dem 57 Menschen starben, ist die neoliberale Privatisierungspolitik verantwortlich, da sie dafür sorgte, dass das Bahnsystem marode wurde. Die Ermöglichung von Privatisierung im Bildungssektor ist nun der nächste Schritt in dieser Reihe. Die Folgen für Jugendliche wären dabei katastrophal. So würden Investitionen in öffentliche Bildungseinrichtungen noch weiter zurückgehen und es würde eine riesige Kluft entstehen zwischen denen, die sich die Privatuni leisten können und denen, die mangels Geld gezwungen wären, weiter eine öffentliche Uni zu besuchen. Langfristig öffnet das Gesetz sogar die Möglichkeit dafür, dass höhere Bildung komplett privatisiert wird und sich nur noch Leute mit viel Geld leisten könnten, überhaupt zu studieren.

Das Problem ist ein internationales!

Griechenland ist durch die Eurokrise eines der Länder, das besonders stark von neoliberaler Austeritätspolitik, diktiert durch die EU, betroffen ist. Das liegt auch daran, dass es aufgrund der massiven wirtschaftlichen Abhängigkeit in einem halbkolonialen Verhältnis zu Deutschland und Frankreich steht. Doch alleine ist Griechenland mit dem Problem nicht. Im Gegenteil, ganz Europa und große Teile der Welt sind mehr oder weniger stark betroffen! Ob Deutschland oder Italien, Griechenland oder Österreich: In quasi jedem europäischen Land hat es, von der EU massiv befördert, zahlreiche Privatisierungen gegeben. Von Gebäuden über Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen wie das Gesundheitssystem bis hin zur Bildung. Die Angriffe auf Schüler:innen und Studierende nehmen dabei immer weiter zu, sei es auf die direkte und spürbarste Art durch die Privatisierung, oder aber auch etwas indirekter durch Unterfinanzierung, die zu maroden Schulgebäuden und viel zu wenig Personal führt. Auch Preissteigerungen für Mensaessen oder Lernmaterialien machen gute Bildung immer weiter zu einem Privileg der wenigen bessergestellten Schichten der Arbeiter:innenklasse und des Kleinbürger:innentums und der Reichen selbst. Dazu kann man zunehmende Repressionen gegen linkspolitische Meinungen und Aktivitäten an den Schulen und Universitäten beobachten, wie z. B. bei der Unterdrückung jeglicher Palästina-Solidarität in Deutschland oder Italien. Die strukturelle Krise des Kapitalismus zwingt die Staaten dazu, einerseits an der Bildung zu sparen, andererseits aber auch die Schüler:innen und Studierenden auf die verschärfte Ausbeutung am zukünftigen Arbeitsplatz vorzubereiten und dabei die Linie des Staates ideologisch zu festigen. Das ist zwar auch ein grundsätzliches Merkmal von Bildung im Kapitalismus, da so die vorherrschenden Ideen reproduziert werden, jedoch ist es in Krisenzeiten noch einmal massiver vonnöten, um jeglichen Widerstand zu brechen. Uns ist dabei bewusst, dass Bildung im Kapitalismus eben nie das Ziel hat, uns wirklich zu bilden und in unseren Stärken zu fördern, sondern nur gehörige Arbeiter:innen zu schaffen, welche sich ohne Aufschrei ausbeuten lassen sollen. Dass eine gerechte Bildung mit neoliberaler Politik also nicht vereinbar ist, sollte allen klar sein.

Doch was braucht es stattdessen?

Neben einer kompletten Verstaatlichung der Bildung, also dem sofortigen Stopp aller Bildungsprivatisierung und der Verstaatlichung aller bereits existierender Privatschulen und Unis sowie der Streichung jeglicher Gebühren für Bildung, braucht es deshalb auch ein komplett neues Bildungssystem. Eins, das von Lehrenden und Lernenden sowie Organen der Arbeiter:innenklasse demokratisch geplant und verwaltet wird, anstatt dass ein Bildungsministerium oder ein autoritärer Unisenat entscheidet, was und wie wir zu lernen haben! Dazu braucht es auch ein Ende des Konkurrenzsystems unter den Lernenden, das sich vor allem in der Benotung ausdrückt. Kostenloses Mensaessen, Unterrichtsmaterialien und Nachhilfe sind darüber hinaus nötig, damit wirklich niemand in Schule oder Uni aufgrund fehlender finanzieller Mittel benachteiligt wird und die Verdrängung ins Private nicht weiter patriarchale Strukturen fördert, welche Mütter durch unentlohnte Hilfe bei den anfallenden Hausaufgaben und das Schmieren von Pausenbroten zusätzlich ausbeuten! Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir wollen und brauchen eine Bildung, die uns nicht für den Konkurrenzkampf des Kapitalismus und die harte Realität der Lohnarbeit im Kapitalismus formt, sondern uns ermöglicht, nach unseren Interessen und Fähigkeiten entsprechend weiterzubilden!

Für eine internationale Jugendbewegung in Kampfeinheit mit den Arbeiter:innen!

Die Angriffe auf unsere Bildung und somit direkt auf uns als Jugendliche, als Schüler:innen und Studierende, sind Ergebnis der kapitalistischen Krise und des Neoliberalismus. Diese Spielart des kapitalistischen Regierens ist international vorherrschend und wird durch die EU und BRD befeuert, wenn nicht gleich ihren Mitgliedern aufgezwungen. Er greift dabei nicht nur uns an, sondern auch und ganz besonders die Arbeiter:innen, deren Lebensbedingungen in Folge von Privatisierungen und anderen Spaßmaßnahmen immer schlechter werden. Um die Krise zu überwinden, die neoliberalen Angriffe zurückzuschlagen und eine gerechte Bildung zu erkämpfen, müssen wir darum eine Bewegung aufbauen, die sich neben uns als Schüler:innen, Auszubildende und Studierende auch und gerade auf die Arbeiter:innen und ihre Organisationen, die Gewerkschaften, stützt. Dafür müssen wir in den Gewerkschaften gegen die Taktik der Sozialpartnerschaft, des faulen Kompromisses mit Bossen und Regierung kämpfen. Wir müssen die reformistischen Parteien, die ihre Basis in der Arbeiter:innenbewegung haben, wie z. B. die Linkspartei in Deutschland oder SYRIZA in Griechenland, dazu auffordern, sich einer Einheitsfront gegen die neoliberalen Angriffe anzuschließen. Im gemeinsamen Kampf müssen wir dann aufzeigen, dass die reformistischen Führungen sie nicht von den Auswirkungen neoliberaler Politik und der tagtäglichen Hölle des Kapitalismus befreien werden können. Es reicht nicht, wenn dies nur in einem Land geschieht, besonders nicht innerhalb der EU. Denn es war die EU, angeführt von Deutschland, die SYRIZA 2014 zur Kapitulation und Annahme der Troika-Diktate zwang. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht nur in Griechenland, sondern auch in Deutschland Generalstreiks stattgefunden hätten, die Schäuble aus dem Amt gejagt und seine Austeritätspolitik auch in Deutschland beendet hätten! Um in Zukunft siegen zu können, Privatisierungen, Austerität und Kapitalismus zu beenden und eine gerechte Bildung sowie ein besseres Leben für uns alle zu erreichen, braucht es eine internationale Jugend- und Arbeiter:innenbewegung im engem Bündnis, welche geeint dem Kampf gegen „unsere“ jeweiligen Staaten und die EU führen! Hier in Deutschland als führende Macht in der EU gilt es sich besonders mit allen von deutscher Politik Betroffenen zu solidarisieren und sich gegen die „eigenen“ Imperialisten zu stellen. Nur eine europaweite Massenbewegung mit revolutionärer Führung kann die Basis dafür sein, das kapitalistisch-neoliberale Europa zu Fall zu bringen und durch die vereinigten sozialistischen Staaten von Europa zu ersetzen!




Wahlen der Niederlande – Rassismus als Programm

von Mate Granate, Januar 2024

In den Niederlanden war bei den vergangenen Wahlen die Rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit), kurz PVV, die stärkste Kraft mit 23,6%. Inhalte dieser Partei sind unter anderem die Begrenzung von Einwanderung und ein härteres Vorgehen gegen „Kriminelle“, außerdem warnen sie vor der „Islamisierung der Niederlande”. Parteiführer und einziges offizielles Mitglied ist Geert Wilders, welcher unter anderem wegen Diskriminierung bereits verurteilt wurde. Seit der Gründung 2006 fiel die Partei immer wieder durch rechtsradikale Forderungen auf, 2009 forderten sie beispielsweise eine „kopvoddentaks“, also eine Kopftuchsteuer, wobei angemerkt werden sollte das natürlich jenes Wort die herablassende Variante des eigentlichen Wortes ist. Bei dieser soll jede Frau, die ein Hijab trägt, eine Lizenz erwerben müssen welche jährlich 1000€ kosten soll. Andere Forderungen der Partei sind beispielsweise ein 5–Jähriger Einwanderungsstop für Muslime, ein Verbot des Qur‘An oder auch eine ethnische Registrierung aller Einwohner:innen und somit eine rassistische Einteilung von Menschen unabhängig von ihrer Staatsbürger:innenschaft.

Parteigründung und Geert Wilders

Vor der Gründung war Geert Wilders Mitglied der rechtsliberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (Volkspartei für Freiheit und Demokratie), kurz VVD. Auch bevor er die deutlich rechtere PVV gründete, gab es schon rechtspopulistische und migrationsfeindliche Parteien welche sich aber alle wieder nach einiger Zeit auflösten. Bei der Wahl 2002, also der vor der Gründung der PVV, erhielt die rechtspopulistische Lijst Pim Fortuyn aus dem Stand die zweitmeisten Stimmen. Die Liste zerfiel aber nach kurzer Zeit da Fortuyn kurz vor den Wahlen ermordet wurde und sich die Führung dadurch häufig änderte. Nachdem Wilders 2004 die VVD verließ blieb er als Groep Wilders, eine Einmannfraktion, Abgeordneter. Bei den ersten Wahlen der PVV 2006 erhielt die Partei dann 5,9%, also neun Sitze im Parlament.

Doch warum gewinnt die Partei so stark an Zulauf?

Auch in den Niederlanden wächst die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Folge von Inflation, niedrigen Löhne und erschwerten Arbeitsbedingungen. Zudem kommt auch ein traditionalistischer Konservativismus wie er am Fest Sinter Klaas besonders deutlich wird. Dieses beinhaltete früher standartmäßig das massenhaft Menschen Blackfacing begingen, was jedoch geändert werden sollte. Dies führte zu einem großen Aufschrei in der niederländischen Bevölkerung. Sehr vielen fehlt das Verständnis weshalb dieses traditionelle Begehen des Festes, was ähnlich zu Weihnachten in Deutschland ist, rassistisch ist und so fühlten sich so als wolle man es ihnen generell wegnehmen, was natürlich nicht der Fall war. Trotzdem konnten gerade dieses sowie ähnliche Themen von den Rechten zur Polarisierung genutzt werden. Dazu werden wie in Deutschland auch Menschen mit Migrationshintergrund, Geflüchtete und Muslime zum Sündenbock der durch den Kapitalismus verursachten Probleme gemacht, um die berechtigte Wut der Massen von den eigentlichen Verursacher:innen der Krise, den Manager:innen und Aktionär:innen, wegzulenken.

Bisherige Regierung

Die Niederlande ist eine Konstitutionelle Monarchie, das heißt, dass es zwar einen König gibt doch dessen Amt im Grunde nur representativ ist. Er muss jedoch den Niederländischen Ministerpräsidenten ernennen, dieses Amt ist zu vergleichen mit dem eines Präsidenten wie in anderen Staaten. Die Bisherige Regierung bildete das Kabinett Rutte IV, bei dem Mark Rutte aus der VVD, den Ministerpräsidenten stellte. Neben der rechtsliberal-konservativen VVD waren auch die linksliberalen Democraten 66 (D66), die Christdemokraten CDA und die calvinistische ChristenUnie Teil der Regierung. Die Regierung zerbrach nach einer Diskussion über den Nachzug der Familien von in den Niederlanden lebenden Geflüchteten und am 07.07.23 wurde der vollständige Rücktritt des Kabinetts beim König eingereicht. Auch schon vorab erhielt Rutte viel Kritik dafür dass er der niederländischen Arbeiter:Innenklasse viele Versprechungen machte, diese aber nie einhielt, außerdem wurde er kritisiert er kümmere sich nicht genug um die arme Bevölkerung. Dies sind Kritikpunkte die absolut berechtigt sind, die jedoch ein Rechtspopulist wie Wilders genauso wenig lösen kann oder auch nur will wie die AfD die Probleme der armen ostdeutschen Bevölkerung, ganz im Gegenteil, wie wir es zur Zeit in Italien sehen sind es gerade Rechtspopulist:innen die Arbeiter:innen und Arme massiv angreifen.

Ein weiterer Punkt weshalb die niederländische Bevölkerung Misstrauen gegenüber Rutte hatte war die “Toeslagenaffaire” (Zuschlagsaffäre). Bei diesem Skandal Ende 2020 ging es darum, dass der Staat zu Unrecht Beihilfen zur Kinderbetreuung zurückforderte. Die Familien die hierbei fälschlicherweise des Sozialbetrugs beschuldigt wurden, waren hauptsächlich Familien mit Migrationshintergrund. Durch diesen Skandal trat Anfang 2021 das Kabinett Rutte III zurück.

Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass Rutte in der Niederländischen Bevölkerung vor allem wegen seiner Lügen sowie für seine generelle liberale Politik, die einzig und alleine den Reichsten der Niederlande diente, immer unbeliebter wurde.

Doch warum gewann dann Wilders der genau die selbe wenn nicht gar eine noch schlimmere Politik im Interesse der Reichen und gegen die Armen betreiben will, nur dazu noch ummantelt mit Rassismus und Rechtspopulismus, die Wahl und kein progressiver Kandidat?

Und die niederländische Linke?

Die ist, wie auch in den meisten anderen Ländern stark am Schwächeln. Den Menschen ist durchaus klar dass auch eine “Linke” Regierung ihnen keine wirkliche Alternative bieten kann und nichts weiter ändern wird als hier und da die eine oder andere marginale Kleinreform zu machen, den Mindestlohn etwas zu erhöhen, ein paar mehr Sozialwohnungen zu bauen. Doch sie kann und will das Problem nicht bei der Wurzel packen und den Kapitalismus substantiell angreifen. Im Gegenteil steht zu befürchten dass sich in der derzeitigen Krise auch eine „linke“ Regierung, aus „realpolitischer Notwendigkeit“, zu einem neoliberalen Sparkurs, und somit einer weiteren Verschlechterung der Lebensbedingungen der Massen, bewegen lassen würde.

Die stärkste linke Partei, GroenLinks (GrünLinks), ist linksliberal und steht somit auch ideologisch klar hinter dem Kapitalismus und wird sicher nicht die nötigen Mittel zur Lösung der Krise ergreifen und eben diesen bekämpfen. Doch das ist es, was es auch für einen konsequenten Kampf gegen Diskriminierung braucht, für einen Kampf gegen Rechtspopulist:innen wie Wilders!

Denn nur so, in dem sie den Kapitalismus überwindet, kann sich die Welt aus der andauernden Krise befreien und so auch die Menschen mit ihr, Kapitalismus ohne Unterdrückung kann nicht funktionieren! Das kapitalistische System ist darauf ausgelegt so viel Profit wie nur möglich zu erwirtschaften und das ist nur möglich auf dem Rücken anderer, auf dem Rücken von Arbeiter:innen. Darum müssen sich diese in den Niederlanden so wie in Deutschland, unabhängig von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit oder Religion, zusammenschließen um gemeinsam die Krise zu lösen und dabei Rechtspopulist:innen wie Wilders, Weidel oder Le Pen davon zu jagen, die ihnen nichts als Lügen und Hetze anzubieten haben! In den Niederlande wie in Deutschland – Kampf dem Rechtsruck, für eine revolutionäre Partei des Proletariats!

Wir fordern:

  • Offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle!
  • Eine antirassistische Massenbewegung mit Verankerung an den Schule, Unis und Betrieben!
  • Konsequente Aufarbeitung der Kolonialgeschichte der Niederlande, für die Abschaffung des Königreichs.
  • Kampf der PVV, heißt Kampf dem Kapital! Für ein revolutionäres Programm der Jugend und Arbeiter:innenklasse!



Stoppt den rassistischen Angriff Macrons!

Von Marco Lasalle, Januar 2023, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Am 19. Dezember hat das französische Parlament ein weiteres Einwanderungsgesetz verabschiedet – das 117. Gesetz zu diesem Thema seit 1945! Aber es ist viel schlimmer als alle vorherigen Gesetze. Es wurde von Innenminister Gérald Darmanin vorgeschlagen, von Präsident Emmanuel Macron unterstützt, von den rechten Senator:innen der Partei Les Républicains stark umgeschrieben und schließlich mit den Stimmen des von Marine Le Pen geführten Rassemblement National (RN) angenommen.

Es ist leicht zu verstehen, warum die rassistische und fremdenfeindliche RN für dieses Gesetz gestimmt und einen ideologischen Sieg errungen hat. Es enthält eine Reihe von Maßnahmen, die dazu führen, dass vielen Migrant:innen grundlegende Leistungen und Rechte vorenthalten werden. Es unterstützt das RN-Ziel der „nationalen Präferenz“ (wonach französische Staatsbürger:innen beim Zugang zu staatlichen Sozialleistungen Vorrang vor Ausländer:innen haben sollten) und wird weitgehend dazu beitragen, die reaktionären und falschen Ideen des RN zu verbreiten: dass Migrant:innen nur nach Frankreich kommen, um von Sozialmaßnahmen zu profitieren, sie für den Mangel an Wohnraum und Arbeitsplätzen verantwortlich, kriminell und gefährlich für die nationale Sicherheit sind. Kurz gesagt, es ist eine giftige Mischung aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gespickt mit Lügen und Verleumdungen.

Maßnahmen

Hier einige der Maßnahmen, die das neue Gesetz vorsieht:

  • Staatliche Leistungen wie Wohnungs- oder Familienbeihilfen werden Migrant:innen erst nach einer Verzögerung (bis zu fünf Jahren) gewährt, je nachdem, ob sie arbeiten oder nicht (obwohl die meisten Migrant:innen bei ihrer Ankunft in Frankreich nicht arbeiten dürfen).
  • Das Gesetz sieht die Einführung von Quoten für Migration vor, und die Legalisierung von migrantischen Lohnabhängigen wird vom Wohlwollen des/der Präfekt:in (Vorsteher:in eines Amtsbezirks) abhängen.
  • Das Gesetz ist ein Schlag gegen den Grundsatz des „loi du sol“, das Recht der in Frankreich Geborenen, mit ihrer Volljährigkeit die französische Staatsbürger:innenschaft zu erlangen, und geht auf ein früheres zurück, das von dem erzreaktionären Charles Pasqua unterstützt wurde.
  • Ausländische Universitätsstudent:innen müssen eine „Kaution“ an den Staat zahlen, die erst bei der Ausreise am Ende des Studiums zurückerstattet wird.
  • Bürger:innen mit doppelter Staatsbürger:innenschaft verlieren die französische, wenn sie sich schwerer Straftaten schuldig machen.

Um die Unterstützung des rechten Flügels zu erhalten, musste die Regierung außerdem versprechen, dass Anfang 2024 AME, die staatliche medizinische Hilfe, mit der alle Einwander:innen dringende medizinische Versorgung erhalten können, „reformiert“, d. h. wahrscheinlich stark eingeschränkt oder abgeschafft wird.

Das Gesetz enthält Maßnahmen, die so schockierend reaktionär sind, dass sich die Regierung sogar an den Verfassungsrat wendet, um einige seiner Artikel außer Kraft zu setzen, da sie gegen die Präambel der Verfassung von 1946 verstoßen, die besagt, dass „niemand wegen seiner/ihrer Herkunft benachteiligt werden darf“.

Die Verabschiedung des Gesetzes war selbst in Macrons Lager ein großer Schock, da 59 Abgeordnete der Regierungspartei dagegen stimmten und ein Minister zurücktrat. Die Behauptung Macrons bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen, er sei ein Bollwerk gegen Marine Le Pen und ihre Ideen, hat sich als eine weitere Lüge erwiesen. Allerdings hat die Arbeiter:innenklasse von den „Linken“ innerhalb des Präsidentenlagers wenig zu erwarten, da sie viele andere Angriffe gegen die Arbeiter:innen akzeptiert oder sogar durchgeführt haben.

Der französische Kapitalismus und die Überausbeutung

Seit Jahrhunderten braucht der französische Kapitalismus billige überausgebeutete Arbeitskräfte. Zunächst in Form von Sklav:innen auf den karibischen Inseln, später als indigene Zwangsarbeiter:innen in seinem Kolonialreich und im letzten Jahrhundert als Migrant:innen, in den letzten Jahrzehnten vor allem aus dem Maghreb. Die demokratischen Rechte dieser Arbeiter:innen wurden systematisch negiert und diese Entrechtung erreichte während des algerischen Unabhängigkeitskrieges in den 1950er und 1960er Jahren ein hysterisches Niveau. Die rassistische Ideologie diente als Rechtfertigung für diese Diskriminierung, obwohl auf allen öffentlichen Gebäuden „Egalité“ (Gleichheit) steht. Ein rassistischer Polizei- und Staatsapparat, dessen Personal nach dem Zweiten Weltkrieg vom faschistischen Vichy-Regime übernommen wurde, war für Repressionen und Massaker an Arbeitsmigrant:innen verantwortlich. Die von Jean-Marie Le Pen gegründete Front National baute auf einer rassistischen Ideologie auf und wandte sich massiv an die Anhänger:innen der Front Algérie Française. Aber auch die traditionellen rechten Parteien haben rassistischem Gedankengut geschmeichelt, und das gilt selbst für die linken Parteien.

Die französische Bourgeoisie war schon immer mehr als bereit, migrantische Arbeitskräfte zu beschäftigen und auszubeuten, die meisten von ihnen aus den ehemaligen französischen Kolonien in Afrika, sowohl im Maghreb als auch in Westafrika. Die rassistische Unterdrückung ermöglicht es den Bossen, sie in schlecht bezahlten Jobs zu halten, wobei ihnen oft grundlegende Arbeits- und Gewerkschaftsrechte verweigert werden. Entgegen der Verleumdung, dass Migrant:innen auf der Suche nach staatlichen Beihilfen nach Frankreich strömen, arbeiten die meisten von ihnen lange Jahre im Verborgenen als Sans Papiers (Menschen ohne Ausweisdokumente), insbesondere im Bau- und Dienstleistungssektor. Sie sind weit davon entfernt, von der staatlichen Sozialhilfe zu profitieren, denn sie zahlen zwar die obligatorischen Sozialbeiträge, haben aber keinen Anspruch auf entsprechende Beihilfen. Trotz der rassistischen Hysterie nimmt der Anteil der Migrant:innen an der Bevölkerung des Landes kaum zu: 7,8 % im Jahr 2022, 6,5 % im Jahr 1975. Selbst der Vorsitzende des MEDEF, des wichtigsten Arbeit„geber“verbandes, schätzt den Bedarf der französischen Wirtschaft auf 3,9 Millionen zugewanderte Arbeitskräfte in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der niedrigen Geburtenrate ein. Das französische Kapital will eine „kontrollierte“ Zuwanderung und zwingt die Migrant:innen weiterhin in extrem unsichere und übermäßig ausgebeutete Arbeitsverhältnisse.

Die extreme Rechte will noch weiter gehen. Bereits in den 1980er Jahren prägte Jean-Marie Le Pen den Slogan „eine Million Einwander:innen, eine Million Arbeitslose“ und suggerierte damit, dass die Ausweisung der Migrant:innen das Problem der Arbeitslosigkeit lösen würde. Marine Le Pen, die Tochter von Jean-Marie, propagiert das Konzept der „nationalen Präferenz“ und warnt vor der „Unterwanderung“ des französischen Volkes durch eine angebliche Migrationswelle. Ihre Ideen werden durch das neue Gesetz eindeutig legitimiert.

In dieser Hinsicht stellt das Gesetz einen Bruch mit früheren rassistischen Gesetzen dar. Während alle diese Angriffe gegen den Gleichheitsgrundsatz enthielten, stellt die schiere Menge an konzentrierten Schlägen gegen Migrant:innen dieses Gesetz eindeutig auf eine andere, viel gefährlichere Ebene. Es spiegelt die Verbreitung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der französischen Bevölkerung wider: Den Umfragen zufolge wird die Partei von Marine Le Pen bei den kommenden Europawahlen im Juni nächsten Jahres mit rund 28 % (und zusätzlich 6,5 % für ihre faschistische Nichte Marion Maréchal) die stimmenstärkste Partei in Frankreich sein, weit vor Macrons Partei „Renaissance“ mit 20 %.

Präsident Macron reklamiert mit dieser Zustimmung zum Gesetz, einen Sieg errungen zu haben, der zeigt, dass er keine „lahme Ente“ und in der Lage ist, Gesetze zu verabschieden, ohne die undemokratischen Tricks der französischen Verfassung der Fünften Republik anzuwenden. Auch Les Républicains beanspruchen einen Sieg für sich, da sie maßgeblich an der Verabschiedung des Gesetzes beteiligt waren und dessen Inhalt stark beeinflusst haben. Für beide wird sich dieser „Sieg“ bald als Pyrrhussieg erweisen. Rassistische Wähler:innen werden die konsequent rassistische Partei RN anderen Kräften vorziehen, die sie lediglich imitieren, und der ideologische Einfluss der RN-Ideen wird durch diese Maßnahme auf allen Ebenen nur vergrößert.

Arbeiter:innenklasse

Die französische Arbeiter:innenklasse befindet sich in einer schwierigen Situation. Sie ist durch den Sieg Macrons im Kampf um die Renten zu Beginn des Jahres bereits politisch geschwächt. Hinzu kommt, dass der Rassismus auch in der Klasse greift und eine mögliche Spaltung zwischen „französischen“ und migrantischen Arbeiter:innen droht sowie massiv verstärkte Repression gegenüber migrantischen Lohnabhängigen.

Die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und La France insoumise lehnten das Gesetz allesamt ab. 32 von der Sozialistischen Partei geführte Departements erklärten, dass sie das Gesetz nicht anwenden werden, ebenso wie die Pariser Bürgermeisterin. Die CGT-Vorsitzende Sophie Binet erklärte: „Die CGT ruft zum zivilen Ungehorsam und zur Vervielfachung der Widerstandsaktionen gegen dieses Gesetz auf, das alle unsere republikanischen Prinzipien untergräbt und der extremen Rechten den Boden bereitet.“ Die CGT wird in den nächsten Wochen „massive Initiativen organisieren, damit diejenigen, die sich mit dem geleugneten Frankreich identifizieren, ihre Entschlossenheit zeigen können, damit die Werte der Solidarität respektiert werden“.

All dies ist richtig, aber man kann durchaus an der Wirksamkeit des Widerstands der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften zweifeln, da es ihnen nicht gelungen ist, die Rentenreform abzuwehren. Es besteht die reale Gefahr, dass die „massiven Initiativen“ der Reformist:innen zahnlose symbolische Aktionen bleiben werden. Die Lohnabhängigen sollten ihre Führungen auffordern, den wirksamsten Widerstand gegen das Gesetz vorzubereiten, und zwar nicht nur auf den bequemen Sitzen des Parlaments, sondern an den Arbeitsplätzen, in den Banlieues und auf den Straßen. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, diesen Widerstand mit den Waffen des Klassenkampfes durchzusetzen, ob die reformistischen Führungen damit einverstanden sind oder nicht. Der zivile Ungehorsam muss von Protesten und Massenstreiks zugunsten einer massiven Legalisierung von Sans Papiers sowie der Abschaffung aller rassistischen Gesetze der letzten Jahre begleitet werden. Migrant:innen, darunter auch Sans Papiers, sind in großem Umfang auf den Baustellen für die kommenden Olympischen Spiele 2024 beschäftigt und werden bei der Organisation dieses Ereignisses an vorderster Front stehen, im Transportwesen, bei der Sicherheit, in Hotels, Restaurants, bei der Reinigung usw. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, alle damit zusammenhängenden Aktivitäten zu blockieren, bis das Gesetz aufgehoben ist, und solche Aktionen müssen von allen Gewerkschaften, Parteien und Organisationen der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden. Sie müssen durch organisierte Selbstverteidigung gegen mögliche Repressionen durch den Staat oder rechte bzw. sogar faschistische Kräfte verteidigt werden.

Die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung rassistischer Ideen in den Reihen der Arbeiter:innenklasse zu stoppen, besteht darin, ein Aktionsprogramm vorzuschlagen, zu verbreiten und dafür zu kämpfen, das alle rassistischen Gesetze bekämpft und die wirklichen Ursachen für das Anwachsen der RN angeht: niedrige Löhne, Mangel an Arbeitsplätzen, Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern. Der durch dieses Gesetz ausgelöste Schock sowie die Wut auf Macron und seine Regierung sollten in eine massive Streikwelle, einschließlich eines Generalstreiks, gegen die rassistische Diskriminierung und Unterdrückung sowie gegen die Regierung und das von ihr verteidigte System gebündelt werden.