Bald weniger auf dem Teller? Hunger durch Krieg, Krieg durch Hunger

Aus: „Was hat der Krieg eigentlich mit mir zu tun?“

Gastbeitrag von Resa Ludvin

2020 litten 690 Millionen Menschen weltweit an Hunger (Quelle: Unicef), Tendenz voraussichtlich immer weiter steigend. Der Krieg in der Ukraine offenbart uns schmerzhaft ein weiteres Problem der kapitalistischen Wirtschaft: die Verteilung der produzierten Güter. Natürlich machen Felder dort mehr Sinn, wo der Boden besonders fruchtbar ist und auch nur da wo Öl ist, kann welches gefördert werden. Nur stehen die einzelnen Staaten in Konkurrenz zueinander und leben gleichzeitig von diesem Handel. Da kann Weizen oder Öl schnell mal zum Druckmittel werden.

Weizen ist weltweit eines der wichtigsten Nahrungsmittel. Die Ukraine gilt als „die Kornkammer Europas“ und da herrscht jetzt Krieg. Die Menschen müssen sich ernähren, doch die Ernte für dieses Jahr ist zerstört und das Pflanzen für den nächsten Zyklus müsste beginnen, was unter Kriegsbedingungen nicht geht. Nun werden die Regale in Deutschland, was Nudeln oder Mehl angeht, nächstes Jahr nicht leer sein, aber man wird die Auswirkungen spätestens an der Kasse merken. Neben Weizen ist auch Soja und Sonnenblumenöl betroffen. Nimmt Putin den Süden und Westen der Ukraine dauerhaft ein, wird das auch dauerhafte Folgen für die europäische und globale Ernährung haben. Hier braucht es ein Konzept der deutschen und europäischen Landwirtschaft, damit nicht nur die regionale Versorgung, sondern auch die der Geflüchteten, der am Ende des Krieges zerstörten Ukraine sowie weltweit geregelt ist. Hier darf es nicht zu einem neuen Lebensmittelnationalismus und Protektionismus durch Ausfuhrverbote kommen, sondern muss es eine internationale und internationalistische Lösung geben. Die Umstellung der Agrarindustrie, die neben Menschen vor allem Tiere ernährt oder für sogenannte „Biotreibstoff“ Raps und Getreide anbaut, muss der Mensch in den Mittelpunkt stellen. Nur so können wir den Hunger stoppen. Konkret heißt das, weniger auf tierische Nahrungsmittel zu setzen, damit das Korn auf dem Teller landet. Angebot und Nachfrage werden dieses Problem nicht lösen können und auch die Agrarlobby wird sich gegen eine solche humane Lösung stellen.

Denn mit Nahrungsmitteln wird an der Börse spekuliert und gehandelt. Es ist eine zynische Spekulation auf die nächste Hungerkrise, die nächsten Tausenden an Toten. Seit Beginn der 2000er sind diese Spekulationen stark angestiegen und haben bei der Krise von 2008 zu einer Explosion der Agrarpreise geführt. In Äthiopien stieg damals der Maispreis um 100%, der Weizenpreis in Somalia um 300%. Auch die Abhängigkeit von Erdöl treibt den Preis noch weiter hoch, da es in der industriellen Landwirtschaft gebraucht wird. 1Der Preis für Weizen ist seit Beginn des Krieges zwischen 35% und 50% gestiegen. Je länger der Krieg dauert, desto mehr wird sich diese Preissteigerung verfestigen oder noch erhöhen. Besonders hart trifft das Länder, die sowieso schon stark an Unterernährung leiden. Im Fall des Krieges und der Ukraine wird es besonders die vielen Abnehmerstaaten im Nahen und Mittleren Osten treffen. Bereits jetzt wurden die für den Jemen, in dem ebenfalls Krieg herrscht, bestimmten Rationen des Welternährungsprogramms halbiert.2

In Industrienationen wie Deutschland gibt es trotz des Wohlstandes schätzungsweise 15 Millionen Menschen, die dauerhaft unterernährt sind.3 Die Dunkelziffer oder Menschen, die nur zeitweise aufgrund von „Ernährungsarmut“ unterernährt sind, was bereits perfide klingt, dürfte weit darüber liegen. Hier mangelt es gesellschaftlich nicht an Geld oder Ressourcen, sondern an politischem Willen. Dieser Unwille und eine Sozialpolitik, die Menschen, wenn sie sich etwas dazu verdienen, noch bestraft und zum Flaschen sammeln verdammt, führt zu Millionen Mägen, die leer bleiben. Der Krieg und die Auswirkungen auf die Nahrungsmittelpreise wird die Nachfrage nach sogenannten Armenspeisungen wie der Tafel weiter ankurbeln. Doch sehen die Regierungsbeschlüsse gerade zwar mehr Geld für das Militär, nicht aber für private Haushalte oder soziale Projekte vor. Zum Teil wird sogar hier weiter eingespart. Noch interessanter wird es, wenn die Ampel-Regierung beschließt, an welchen Stellen das „Sondervermögen der Bundeswehr“ seine Spuren hinterlässt und dafür Einsparungen kommen. Kleiner Tipp: Es werden wohl nicht die reichsten 1% oder die Waffenindustrie sein, die dann mehr besteuert werden. Dort, wo sich die Menschen weniger wehren oder wehren können, wird gespart. Am Ende trifft es daher wieder vor allem die Arbeiter_Innenklasse, längst überfällige Investitionen in die Bildung wie Schulsanierung, Digitalisierung oder Luftfilter, den Ausbau der erneuerbaren Energien, damit die Erde bewohnbar bleibt. Auch das ist wieder einmal ein Nährboden für Rassismus und Sozialchauvinismus (Siehe Teil 1/3).

Die Krise trifft uns nicht alle gleich. Reiche bleiben reich und ein bisschen höhere Kosten für Essen und Sprit machen für sie wenig aus. Für in Armut und Prekarität lebende Menschen war es schon vorher zu viel. Steigende Preise treffen sie dementsprechend besonders hart. Nicht zu vergessen ist auch, dass Krisen gerade für die „Mittelklasse“ ein besonderes Dilemma darstellen. Gegenüber dem Prekariat haben sie gewisse Privilegien und halten daran fest, diese nicht zu verlieren. Steigende Preise durch den Krieg, die Inflation und die Auswirkungen bringen aber gerade den absteigenden Ast des Kleinbürgertums in Gefahr. Nur will natürlich niemand absteigen. Gerade das ist politischer Zündstoff, der in der Regel nicht linke oder progressive Positionen begünstigt, sondern reaktionäre Strömungen sowie die extreme Rechte. Parallel dazu sehen wir in Deutschland gerade, wie sich diverse politische Kräfte von SPD über Grüne bis hin zur CDU zu einer Volksfront formieren. Da finden auch mal kleinbürgerliche Linksliberale oder Autonome Waffenlieferungen toll, solange sie weiter darauf hoffen können, dass sie selbst der Krieg nicht so sehr trifft. Dieser Gedanke ist ein Trugschluss.

Hunger ist immer auch ein Revolutionstreiber. Ein Grund für die Auslösung des Arabischen Frühlings war, dass das Brot nicht mehr zu bezahlen war. Das trieb Menschen in Ägypten, Tunesien und darüber hinaus auf die Straße. Ihr Slogan „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkei“ erinnert stark an die Losung der russischen Kommunist*innen im Ersten Weltkrieg. Sie forderten erfolgreich „Brot, Land, Frieden“. Das hieß den Kapitalist*innen die Nahrungsmittelproduktion zu entreißen. Nur so können wir auch heute Spekulation entgehen. Daher fordern wir:

  • Nahrungsmittelproduktion in Arbeiter*innenhand!
  • Regionale Produktion steigern!
  • Keiner darf hungern: Aufbau von kostenlosen „Küchen für Alle“ (KüFa) in allen Kiezen!
  • Vegan/Vegetarisch vorantreiben. Pflanzen auf den Teller statt in die Tierfuttertröge!
  • Gerechte Verteilung des Essens statt Horten und Hungern lassen!

1 https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/nahrungsmittelspekulation

2 https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-russland-hunger-getreide-weizen-krieg-exporte-importe-aegypten-jemen-libanon-afrika-welternaehrungsprogramm-lebensmittel-nahrung-1.5536980

3 https://www.fian.de/was-wir-machen/themen/ernaehrungsarmut-in-deutschland/




Die Wohnungsfrage in Zeiten von Krieg und Rassismus

Aus: „Was hat der Krieg eigentlich mit mir zu tun?“

Gastbeitrag von Resa Ludvin

Du wohnst in Berlin, München oder Köln und hast massive Probleme, eine bezahlbare Bleibe zu finden? Da bist du nicht die*der Einzige und das ist nichts Neues. Der angespannte Wohnungsmarkt trifft in besonderen Maße Menschen mit geringem Einkommen, tatsächlichem oder vermeintlichen Migrationshintergrund (ja, Name und Hautfarbe bestimmen wesentlich über Zu- und Absage) und Alter. In all diesen Gruppen werden Flinta (das steht für Frauen*Lesben*Inter*Non-Binary*Trans*Agender) nochmal extra benachteiligt.

Jetzt ist Krieg und Tausende flüchten täglich aus der Ukraine nach Polen, Rumänien oder Deutschland. Sie alle brauchen ein Dach über dem Kopf. Sie brauchen eine menschenwürdige Unterbringung – sprich nicht nur ein Feldbett in einer Turnhalle oder Sammelunterkunft, sondern einen sicheren, bedarfsorientierten Rückzugsort, Internet, eine Ansprechperson für medizinische, aufenthaltsrechtliche Fragen und und und. Und je nachdem wie lange der Krieg geht, braucht es nicht nur kurzfristige Lösungen. Private Unterbringung, die es derzeit überall gibt, ist zwar eine ehrenwerte Geste der Solidarität, bedeutet aber auch Verantwortung. Nicht allen scheint klar, dass es keine „Wochenendgäste“ sind. Zumindest mehrere Wochen muss man damit planen, das jetzt zur Verfügung gestellte Bett oder Zimmer zu vergeben. Die Alternative für die Menschen heißt sonst Geflüchtetenunterkunft oder Schlimmeres. Je länger der Krieg dauert und je mehr Menschen aufgenommen werden, desto schlechter wird auch die Unterbringung sein. Bereits jetzt machen sich das die „Spanner“ und Menschenhändler_Innen zu Nutze, die an den großen Umsteigebahnhöfen warten und angeblich Wohnraum anbieten. Verzweifelte Frauen und Mütter gehen ihnen aufgrund nicht vorhandener Alternativen auf den Leim. Ihnen droht Gewalt und Ausbeutung. Wieder einmal zeigt sich hier die besondere Verbindung von Geschlecht und Krieg. Schon nach kurzer Zeit sind viele Wohngebiete unbewohnbar geworden, Familienangehörige gefallen. Ein längerer Aufenthalt der Menschen, ob gewollt oder ungewollt, wird daher immer wahrscheinlicher. Dafür braucht es Wohnraum. Nur ist der, gerade in Großstädten, angeblich knapp. Bezahlbar ist er auch nicht.

Teile und Herrsche

Rassismus auf dem Wohnungsmarkt ist allgegenwärtig. Der Nährboden ist auch ohne Krieg da, weil hier unterschiedliche diskriminierte Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Rassismus trifft Klassismus, am Ende freuen sich die profitorientierten Vermieter_Innen. Und Geflüchtete befinden sich sehr weit unten in der Nahrungskette. Nun besteht die Gefahr, dass selbst diese noch in „die Guten“ und „die Schlechten“ auseinanderdividiert werden. Weiße, europäische Geflüchtete stünden in dieser Hierarchie vor jenen, die auch aus der Ukraine geflüchtet sind, aber beispielsweise aus Afrika stammen und sich zum Studieren im Land aufhielten. Dann folgen erst die Geflüchteten aus anderen Ländern, die bereits hier in Unterkünften leben. In Berlin geht unter Helfer_Innenstrukturen das Gerücht herum, dass diese zu Gunsten der ukrainischen Geflüchteten die Unterkünfte verlassen müssten. Wenn das stimmt, hieße das für die Betroffenen eine dramatische Verschlechterung bis hin zur Obdachlosigkeit. Flucht ist allgegenwärtig. Während es in Europa eine Solidarität mit der Ukraine gibt- weiß und nah dran- gibt es überall auf der Welt andere Konflikte und unhaltbare Lebenssituationen, die Menschen zum Flüchten zwingen. Dabei geht das Sterben im Mittelmeer weiter. Diese Menschen stehen ganz unten.

Immer da, wo es von dem einen zu viel und von dem anderen zu wenig gibt, entstehen Konflikte. In diesem Fall Menschen, die Wohnraum suchen. Diese Menschen gegeneinander auszuspielen, beschleunigt die kapitalistische Wirtschaft und unterdrückt die Vereinigung dagegen. Die Ausgrenzungsmechanismen heißen Rassismus, Sexismus und Klassismus. Eine neue rassistische Welle, die sich gegen russischsprachige Menschen richtet, hat bereits begonnen. Menschen werden auf der Straße oder am Arbeitsplatz angefeindet. In Berlin gab es sogar einen Brandanschlag auf eine russisch-deutsche Schule. Je länger der Krieg dauert und je mehr Geflüchtete kommen, desto mehr wird sich dies ausbreiten. Erst wird es sich gegenüber Geflüchteten aus anderen Regionen der Welt richten, die dann unerwünscht sind. Letzten Endes besteht aber auch die Gefahr, dass er sich gegen Ukrainer*innen richten wird. Gegen „zu viele“ die kämen. Gegen andere politische, kulturelle oder religiöse Vorstellungen. Gegen Männer, die angeblich kämpfen müssten. Gerade das ist ein beliebtes Narrativ von Rechten und Reaktionären, die im gleichen Atemzug stolz auf militärische Wehrfähigkeit und Standhaftigkeit sowie auf ihre Vorväter (höchstwahrscheinlich dann auch Nazis) sind, die das zerstörte Land „alleine aufgebaut hätten“.

Die Krisen verstärken sich

Zurück zu Rassismus auf dem Wohnungsmarkt und die Auswirkungen des Krieges: In einer Stadt wie Berlin gibt es viel Leerstand, da mit Wohnraum spekuliert oder er zweckentfremdet wird. Der Kampf um ihn hat bereits begonnen. Der Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage wird zum angeblich „unausweichlichen“ Vorwand, um den Preis in die Höhe und den Rassismus weiter voranzutreiben. Auch jetzt gibt es Hausverwaltungen, die offen sagen „Hier nicht mit Kopftuch“ oder „schwarze Menschen wollen wir hier nicht“. Obwohl das verboten ist, helfen hier weder Anzeigen noch Gerichte. Menschen werden aus ihnen Wohnungen parallel dazu herausgeklagt, zwangsgeräumt. Das trifft nicht nur linke Hausprojekte, sondern auch viele Menschen, deren Häuser verkauft oder saniert wurden. Wiederum sorgt das dafür, dass es Menschen mit geringerem Einkommen noch schwieriger haben, etwas Neues in der Stadt zu finden. Sie werden an den Stadtrand oder darüber hinaus verdrängt. Zur Unterbringung der Menschen aus der Ukraine werden gerade vom Staat sowie der Privatwirtschaft ungewöhnliche Objekte wie Hotels in der Stadt aktiviert. Die vertriebenen Mieter_Innen fragen sich dann zu Recht: „Und warum habt ihr einen Scheiß für mich getan?“. Der Mechanismus des Rassismus‘ greift. Die gebeutelte Arbeiter_Innenklasse wird dann von „bürgerlichen Helfer_Innen“ als zu wenig solidarisch und allgemein als rassistisch dargestellt. Ein gefundenes Fressen für rechte Strukturen. Vergessen wird dabei, dass die deutsche Arbeiter_Innenklasse keine rein weiße Gruppe ist. In Berlin sind die Kiezkämpfe um Wohnraum geprägt von der migrantischen Linken, die Hand in Hand über rassistische Deutungsmuster hinausgehen. Wo Rassismus ist, muss man ihn benennen und bekämpfen. Wir als Revolutionär*innen greifen hier im Besonderen die materielle Grundlage an und versuchen die Kämpfe der Menschen zu verbinden.

Die Besetzung in der Habersaathstraße in Berlin Ende 2021 hat gezeigt, nur wer kämpft kann auch siegen, anstatt sich jetzt Seit‘ an Seit‘ mit der Regierung zu stellen. Die im Bund rüstet auf und liefert Waffen, die lokale Regierung -zumindest in Berlin- hat es die ersten zwei Wochen nicht mal geschafft, Essen für die Ankömmlinge am Hauptbahnhof zu organisieren. In dem Haus in Berlin Mitte konnten nun ehemalige Obdachlose einziehen. Das ist der Spirit der Stunde. Es braucht nicht nur langfristig mehr Wohnungsbau, sondern auch kurzfristig Enteignung und Besetzung, um die vielen Menschen ohne Bleibe in der Stadt unterzubringen- unabhängig vom Aufenthaltstitel, Hautfarbe, Name, Religion oder Geldbeutel. Wohnen ist ein Grundrecht! Das geht nur wenn wir unsere Kämpfe und Kräfte verbinden. Daher fordern wir:

  • Eine Einheitsfront der Linken gegen Krieg und Rassismus!
  • Enteignung und Nutzbarmachung sämtlichen leerstehenden Wohnraums!
  • Entschädigungslose Enteignung der Wohnungskonzerne!
  • Staatlich geregelte Wohnungsvergabe statt spekulierender Privatwirtschaft!
  • Bezahlbaren Wohnraum für alle!
  • Gegen Rassismus, immer und überall!
  • Lasst uns unsere Kämpfe verbinden und gemeinsam die soziale Frage angehen!



Sonntag 13. März: Gegen die Aufrüstung! Nein zum Krieg! Weder Putin noch NATO!

Klassenkämpferischer und antiimperialistischer Block zur Großkundgebung in Berlin für Frieden und Solidarität für die Menschen in der Ukraine

Sonntag, 13.3. 11.45 Uhr Alexanderplatz
Treffpunkt: vor dem Cubix-Kino
Beim Treffpunkt der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften

Seit zwei Wochen dauert der Angriff der russischen Streitkräfte auf ukrainische Städte und Dörfer an. Über 1,5 Millionen Menschen sind bereits geflohen. Putins reaktionärer Krieg muss sofort gestoppt und die Truppen zurückgezogen werden. Geflüchtete benötigen ein volles Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitsrecht, ohne jegliche rassistische Segregation.

Der Krieg ist kein Krieg zwischen Diktatur und Demokratie, sondern ein Ringen um kapitalistische Einflusssphären. Die EU und die NATO sind kein Ausweg! Die Länder Osteuropas dienen auch für die deutsche Industrie als Niedriglohnländer und Absatzmärkte, während der Internationale Währungsfond die Ukraine zu Sparmaßnahmen und Privatisierungen zwingt. Es braucht die internationale Solidarität der Arbeiter:innenbewegung, um sich überall gegen die kriegerische Eskalation, Ausbeutung und Unterdrückung zu wehren.

Wir stellen uns deshalb nicht nur gegen Putins Einmarsch, sondern auch gegen jede Intervention der NATO. Wir lehnen entschieden den neuen Kurs der deutschen Außenpolitik ab, der eine massive Aufrüstung der Bundeswehr und stärkere deutsche Beteiligung an internationalen Konflikten und Kriegen bedeutet.

Wir begrüßen, dass die Gewerkschaften zu Mobilisierungen gegen den Krieg aufrufen – wir lehnen jedoch scharf ab, dass sie sich hinter die Sanktionen stellen, die letztlich die Lebensbedingungen der russischen Bevölkerung zerstören und zugleich die Gefahr der Eskalation des Kriegs erhöhen. Sanktionen sind kein friedliches Mittel, sondern nur eine andere Form der Kriegsführung!

Als Gewerkschafter:innen und Linke sind wir ebenso der Meinung, dass wir dem deutschen Militarismus nicht einmal den kleinen Finger geben dürfen: Es reicht nicht aus, wie es der DGB tut, die Aufrüstung „kritisch“ zu beurteilen – wir müssen sie auf das schärfste ablehnen! Nein zum 100 Milliarden Euro Sonderhaushalt, nein zur Erhöhung der Militärausgaben auf das NATO 2 Prozent Ziel!

Nichts Gutes kann für die Menschen in der Ukraine und für die Völker der Welt kommen, wenn der deutsche Imperialismus aufrüstet. Deshalb brauchen wir eine starke Kampagne gegen Krieg und Aufrüstung, die in den Betrieben, Schulen und Unis und auf der Straße eine klassenkämpferische und antiimperialistische Antwort auf die Politik der Regierung und der Bosse liefert.

  • Russische Truppen raus aus der Ukraine!
  • Schluss mit NATO-Kriegsvorbereitungen!
  • Keine Aufrüstung der Bundeswehr! Milliarden für die Pflege, Bildung und Klima statt für Kriege!
  • Keine Waffenlieferungen oder Sanktionen von EU und USA!
  • Für die Aufnahme ALLER Geflüchteten!
  • Solidarität mit den Protesten in Russland gegen den Krieg!

Bisherige Unterzeichner:innen
Gruppe ArbeiterInnenmacht
MLPD Berlin
linksjugend [’solid] Nord-Berlin
REVOLUTION – kommunistische Jugendorganisation
Revolutionäre Internationalistische Organisation / Klasse Gegen Klasse
Revolutionär Sozialistische Organisation
Rot Feministische Jugend Berlin
SDS FU Berlin
Young Struggle Berlin

Wenn ihr auch unterschreiben wollt, dann meldet euch bei Klasse Gegen Klasse:
https://www.klassegegenklasse.org/sonntag-13-maerz-gegen-die-aufruestung-nein-zum-krieg-weder-putin-noch-nato/




Abtreibung international

Leila Cheng (REVOLUTION und Gruppe ArbeiterInnenmacht, Deutschland)

Zurzeit werden Abtreibungsrechte auf der ganzen Welt von rechten und fundamentalistischen Bewegungen und Regierungen angegriffen und zurückgenommen. Nur an wenigen Stellen konnten Frauen und linke Bewegungen Verbesserungen erkämpfen. Wir haben einige Beispiele gesammelt, und möchten sie mit euch teilen.

USA

Seit Dezember 2021 hat Mississippi Abtreibungen nach der 15. Woche verboten und damit ein wichtiges US-Grundsatzurteil (was Abtreibung erlaubt) infrage gestellt. Im ganzen US-Staat gibt es noch eine Abtreibungsklinik. Nun beschäftigt sich der Oberste Bundesgerichtshof mit dem neuen Gesetz. Seit 1973 gilt bundesweit das Urteil: Abtreibungen sind erlaubt, bis der Fötus lebensfähig ist, also zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche. Das neue Urteil des Gerichtshofes soll im Juni 2022 verkündet werden. Sollte das Gesetz tatsächlich gekippt werden, wollen einige Bundesstaaten Abtreibung ganz verbieten.

Rechte Antiabtreibungsbewegungen nehmen in den letzten Jahren in den USA vor allem in den Staaten des mittleren Westens stark zu. Sie sind Teil der rechten Mobilisierungen, die sich oft politisch nah bei Trump verorten und predigen konservative Frauenbilder. Oft haben die sogenannten Evangelikalen hierbei ihre Finger im Spiel (diese sind auch meist in die Politik dieser Bundesstaaten verstrickt).

Polen

In Polen starb im Januar 2022 eine Schwangere an einer Sepsis. Die Ärzt_Innen in 3 Kliniken trauten sich aufgrund des strengen Abtreibungsgesetzes nicht, einen Abbruch vorzunehmen (denn sie hätten dafür ins Gefängnis kommen können). Solche Sepsen können sich entwickeln, wenn ein schwerkrankes Kind im Mutterleib abstirbt und dann nicht bzw. zu spät entfernt wird.

Vor einem Jahr war nach einem Urteil des Verfassungsgerichts ein verschärftes Abtreibungsrecht in Kraft getreten. Seitdem dürfen Frauen auch dann keinen Abort vornehmen lassen, wenn es sich um einen schwer fehlgebildeten oder nicht überlebensfähigen Fötus handelt. Das heißt, es müssen todkranke Kinder zur Welt gebracht werden auch gegen den Willen von Mutter und Ärzt_Innen. Das geht nicht nur krass gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren eigenen Körper, sondern ist für sie auch lebensgefährlich.

Es gab letztes Jahr eine starke Bewegung u. a. von vielen Frauen, Arbeiter_Innen gegen das neue Gesetz, die tausende auf die Straße bringen und sogar Streiks anleiern konnte. Das Gesetz kam jedoch trotzdem durch. Hier spielen vor allem die katholische Kirche mit ihrer Verstrickung zur Regierung eine Rolle sowie auch die neue rechte Bewegung in Polen mitsamt der regierenden konservativen PiS-Partei.

Argentinien

In Argentinien sind Eingriffe sind bis zur 14. Woche erlaubt, kostenlos im öffentlichen Gesundheitswesen, länger bei Vergewaltigungen oder Gefahr für die Gesundheit der Mutter. 30 Jahre hat Argentiniens Frauenbewegung dafür gekämpft. Eine ähnliche Initiative war noch 2018 am konservativen Senat gescheitert. 2020 wurde das Gesetz von Präsident Alberto Fernandez persönlich eingebracht. Seit Dezember 2020 gilt die neu erkämpfte Regelung. In Argentinien gab es wirklich eine starke Frauenbewegung, die dieses noch unzureichende, aber dennoch schon mal fortschrittliche Gesetz durchboxen konnte, indem Jahr für Jahr tausende Frauen auf die Straße gingen.

Doch weiterhin kämpft der konservative Norden mit Einfluss der evangelikalen und katholischen Kirche dagegen.

Deutschland

In Deutschland gibt es den Paragraf 219a, der oft als ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche dargestellt wird. Er verbietet Ärzt_Innen jegliche Information darüber, ob sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und wie. Dieser Paragraf stammt sogar noch aus der Nazizeit. Weiterhin sind Abtreibungen in Deutschland eigentlich verboten, werden allerdings bis zu 12. Woche gemäß aktuellem Abtreibungsgesetz unter u. a. Bedingungen nicht unter Strafe gestellt. In Ausnahmefällen (wie schweren Fehlbildungen des Kindes) können diese bis zur 24. Woche gelten. Außerdem sagt Paragraf 218: Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Um nicht kriminalisiert zu werden, müssen die Abtreibenden zu einer Pflichtberatung. Die staatlich anerkannten Beratungsstellen werden dazu angehalten, den Schutz des ungeborenen Lebens in den Vordergrund zu rücken. Also sollen sie nicht sachlich informieren, sondern die Frauen vom Gegenteil überzeugen und unter Druck setzen.

Jetzt will die Ampelregierung zumindest den Paragrafen 219a abschaffen, was schon mal ein großer Fortschritt ist. Aber warum schweigt sie zu Paragraf 2018 und der dortigen Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen? Auch in Deutschland gibt es seit Jahren von erzkonservativen Katholiken und Rechten den sogenannten Marsch fürs Leben. Dagegen gibt es auch immer wieder linke Gegenproteste.

Fazit

Was können wir daraus schließen? Was alle Länder vereint, ist das Abtreibungsrechte immer wieder von rechten und konservativen Regierungen, Parteien oder der Kirche angegriffen oder zumindest stigmatisiert werden. Überall versucht man abtreibenden Frauen Steine in den Weg zu legen, je nach Land mal mehr und mal weniger. Gerade jetzt in Zeiten der Krise des Kapitalismus nutzen die erstarkenden Rechten Ängste um sich zu mobilisieren. Aufgrund dieser massiven Angriffe auf Abtreibungsrechte, die gerade auf der ganzen Welt stattfinden, haben wir einige Forderungen aufgestellt, die es zu erkämpfen gilt.

Weitere Forderungen (siehe dazu auch den Artikel zur Ampelkoalition in dieser Ausgabe):

  • Vollständige Übernahme aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat bzw. die Krankenversicherung!
  • Ausbau von Kitas und Kinder-/Jugendbetreuungsangeboten, um Eltern zu entlasten!
  • Für viel mehr finanzielle und gesellschaftliche Unterstützung von insbesondere (jungen) Frauen und Alleinerziehenden und dafür, dass minderjährige Frauen mit einer Schwangerschaft nicht alle Chancen auf eine gute Zukunft verlieren!
  • Langfristig daher: Für die Kollektivierung der Kindererziehung in der Gesellschaft!
  • Schluss mit der internationalen Stigmatisierung von abtreibenden Frauen! Für die Aufhebung aller Verbote! Das Leben einer Frau muss immer über dem eines ungeborenen Fötus stehen!



„Neue starke Männer“ zum Kampf für Chinas Vormachtstellung in der Welt?

Resa Ludivien (Sympathisantin von REVOLUTION, Deutschland)

Schaut man chinesische Serien, so finden sich immer mehr starke Frauenfiguren auf dem Bildschirm. Noch verwunderlicher ist es, dass, im Vergleich zum westlichen Pendant ganz normale Dinge einen Platz in 45 Minuten bekommen. Wann hatte in einer deutschen Serie das letzte Mal eine Frau ihre Tage, was nicht nur erwähnt wurde, um ihre schlechte Stimmung zu erklären?

Fernab von Fiktion ist die Entwicklung in Festland-China allerdings seit Jahren eine andere und sie spitzt sich zu. Militarisierung, Stärkung tradierter Männlichkeitsideale und ein neuer Rechtfertigungszwang für diversere Frauenbilder bestimmen den Alltag. Im folgenden Artikel soll diese Entwicklung beschrieben und analysiert sowie ein Überblick des Frauenbildes in China geliefert werden.

Geschlechterverhältnisse in China: Long Story Short

Im konfuzianischen Weltbild gibt es nur eine Beziehung, die als gleich dargestellt wird: nämlich zwischen Freund_Innen, wobei hier in erster Linie Männer gemeint sind. Der Ideologie zufolge sind alle dem Staat untergeordnet, Kinder den Eltern und Frauen den Männern. Dieses Weltbild war jahrhundertelang prägend. Doch es hatte eine materielle Grundlage. Die ökonomischen Verhältnisse in China unterschieden sich von der vorkapitalistischen Wirtschaft in Europa. Marx fasste diese unter asiatische Produktionsweise (auch wenn sie auch in anderen Teilen der Welt vorkam) zusammen.

In dieser erfüllte der Staat wesentliche, stark zentralisierte Funktionen zur Sicherung der Gesamtreproduktion der Gesellschaft (Bewässerung, Handel, Austausch zwischen den Agrargemeinden, Militär). Auf dieser Grundlage konnten nicht nur große Agrarterritorien regiert werden, wo die Dorfgemeinde (später tw. auch individuelle Bauern) noch Eigentümer von Grund und Boden war/en, an den Staat ein Mehrprodukt in Form von Tribut ablieferten.

Obwohl es immer wieder zu Aufständen kam, die sogar zu Herrschaftswechseln und Einsetzung einer neuen Herrschaftselite führten, blieben die eigentlichen Produktionsverhältnisse am Land davon weitgehend unberührt.

Eine starke Rolle in diesem Staat der herrschenden Klasse bildeten Beamte (nur Männer). Diese besaßen nicht nur das Macht-, sondern auch das Wissensmonopol. Die Rolle der Frau war demnach, bis auf den kaiserlichen Hof, eher eine arbeitende.

Beschäftigt man sich mit den Geschlechter- und Schönheitsidealen des vormodernen China, so ist davon auszugehen, dass vor allem die Verhältnisse der herrschenden Klasse bis heute überliefert sind. Über die normale Bevölkerung wissen wir hingegen wenig, da sie in Abbildungen und Texten weniger vorkommt und diese nicht selber hervorgebracht habt. Sie war zu sehr mit Produzieren beschäftigt. Allerdings waren Schönheitsideale bereits vor 1.000 Jahren nicht nur auf Frauen konzentriert. Immer wieder gab es Zeiten, in denen Männer, die sich schminkten, ganz normal waren. Außerdem darf man nicht vergessen, dass in den vormodernen Gesellschaftsstrukturen Chinas die Geschlechterverhältnisse keineswegs deckungsgleich mit europäischen waren.

Durch das Vordringen des Weltmarktes und damit verbundene Umwälzung der Klassenbeziehungen, soziale Bewegungen und nicht zuletzt die maoistische Führung wurde dieses Weltbild v. a. im 20. Jahrhundert stark aufgebrochen. So hinkte die Technik unter Mao Wirtschaftsplänen hinterher und Frauen wurden als Arbeiter_Innen gebraucht. Dies spiegelte sich auch in der Propaganda wider. Gleichzeitig kann man nicht von einer gänzlichen Gleichberechtigung von Frauen sprechen. Denn dazu zählt nicht nur die Gleichstellung auf rechtlicher und ökonomischer Ebene, sondern auch gesellschaftlich und somit auch die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Die Ein-Kind-Politik und auch die starke Bevorzugung von männlichen Babys stehen im krassen Widerspruch zur Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Jedoch gab es nach Maos Tod eine Zeit der Entspannung in China. Doch diese war nicht nachhaltig. In der KP von heute stehen vor allem Männer in den ersten Reihen. Und spätestens mit der Übernahme durch Xi Jinping wurden die chinesische Politik und Gesellschaft neustrukturiert. Dazu gehört auch die bewusste Förderung tradierter konfuzianischer Vorstellungen von Ordnung und Unterordnung sowie reaktionären Geschlechterrollen.

Xi Jinping zieht die Zügel an

Im ostasiatischen Raum ist Südkorea in der Popkultur seit mehreren Jahren der Maßstab. Von K-Pop, bis Serien begegnen einem dort auch Männerbilder, die fernab westlicher Vorstellungen sind. Werden hierzulande schon Menschen wegen etwas Nagellack schief angesehen, ist es dort kein Problem, als Nicht-XX-Chromosomensatz geschminkt aufzutreten und großen Wert auf die äußere Erscheinung zu legen. Auch chinesische Schauspieler nähern sich diesem Ideal oft an. Doch sind „verweichlichte“ Männer, womit Schminke von reaktionären Kräften auch assoziiert wird, der Parteiführung mittlerweile ein Dorn im Auge. Die nationale und somit KP-gesteuerte Filmindustrie soll sich diesem Trend entgegenstellen. Zum Teil bedeutet das sogar die Zensur solcher Filme und Serien. Doch warum werden Männer mit Schminke als so große Gefahr angesehen?

Bedenkt man, dass Menschen, die nicht in das binäre und heteronormative System passen, vor allem LGBTIQA, in China stark bekämpft werden, ist das nicht sehr verwunderlich. Sie werden als krasses Gegenstück für die herrschenden Geschlechterverhältnisse und als Angriff auf die soziale Ordnung gesehen. Des Weiteren gibt es auch einen politischen Hintergrund für das Verstärken eines vermeintlich traditionellen Männerbildes.

Im Rahmen zunehmender globaler Konkurrenz und eines Blockbildungsprozesses auf Militarisierung und „traditionelle“ Männlichkeit zu setzen, ist nichts Neues. Auch Putin greift zu diesem Narrativ „des Hüters der Männlichkeit“. Dieses betrifft nicht nur die offizielle politische Ebene, sondern auch die scheinbar private. Schönheitsideale werden politisch. Schminke gilt als Verweichlichung der starken Männer. Dieses Weltbild betrifft nicht nur Männer, die sich dem nicht unterwerfen, sondern auch vor allem Frauen und nonbinäre oder trans Personen. Denn das Pendant ist nicht die kämpferische Frau, sondern das krasse Gegenteil: Die „gute“ Frau sorgt sich um den Herd und trägt einen Rock, ähnlich dem westlichen Familienbild der 1950er Jahre.

Dieser reaktionäre Wandel des Frauenbildes wird vor dem Hintergrund der veränderten Rolle Chinas als aufstrebende imperialistische Macht verständlich. Mittlerweile stellt es den Hauptrivalen der niedergehenden Hegemonialmacht USA dar. Schaut man sich die Versuche an, Halbkolonien in die eigene Einflusssphäre einzubinden, ist sein Weg zur Weltmacht z. B. bei der „Neuen Seidenstraße“ deutlich erkennbar. Doch auch im Inland gibt es Auswirkungen des Blockbildungsprozesses.

Das Militär ist in China mittlerweile omnipräsent: seien es stetig wiederkehrende Militärreklame, die an Werbespots erinnert, Truppen bei Zugreisen oder in Bahnhöfen, wie man sie in wahrscheinlich keinem europäischen Land in diesem Umfang zu sehen bekommt. Die letzten Jahre und Monate hat China nicht nur auf ökonomischer und diplomatischer Ebene, vor allem in halbkolonialen Ländern in Afrika, Asien oder Südosteuropa, seinen Einfluss verstärkt. Auch im Inland bzw. dem Gebiet, welches die chinesische Regierung als solches betrachtet, wurden Militäraktionen immer präsenter und aus Sicht der Regierung notwendiger. In Taiwan läuten unaufhörlich die Alarmglocken, da das chinesische Militär immer stärker in dessen Luftraum eindringt. Des Weiteren kam es auch bei den Protesten in Hongkong zum Einsatz. Wie es in Xinjiang oder Tibet aussieht, lässt sich aufgrund der immer schlechter werdenden Informationslage nur vermuten. Sucht man nach „Zhongguojunren“ (chinesische Soldat_Innen), erscheinen in erster Linie Bilder von Männern in Uniform. Frauen und Militär sind an sich eigentlich kein Widerspruch und Frauen und Kämpfer_Innen schon gar nicht. Allerdings scheint der neue Kurs vor allem auf Männer ausgerichtet zu sein. Diese Entwicklung symbolisiert auch das staatlich verordnete Männlichkeitsbild.

Frauen als Systemstörung!?

Die Frauen werden in den Hintergrund gedrängt, zurück an den Herd, während die Männer kampfbereit gemacht werden sollen. Neben der strategischen Militarisierung Chinas spielt noch ein weiteres Element hinein. Auch der chinesischen Wirtschaft hat die Corona-Pandemie, vor allem zu Beginn, geschadet. Zusätzlich muss eine innerchinesische Schuldenkrise abgewendet werden (siehe: https://arbeiterinnenmacht.de/2021/10/19/china-was-heisst-lehman-auf-chinesisch/).

Zwei Krisen auf einmal also, die den Aufstieg gefährden könnten! Der eingeschlagene Kurs auf Stärkung reaktionärer Geschlechterrollen und das Zurückdrängen der Frauen stellt dabei auch ein Mittel zur Spaltung der Ausgebeuteten und zur Schwächung und Isolierung von Widerstand und Protest dar. Dabei manifestierten sich in den letzten fünf Jahren durchaus Proteste unter der Beteiligung von Frauen und gesellschaftlich unterdrückten Gruppen, die der Linie der KP-Führung im Weg stehen. Dazu zählen Proteste der LGBTIAQ-Bewegung ebenso wie Streiks im Care-Sektor oder „#MeToo“-Ableger in chinesischen „sozialen Medien“ oder der Versuch, in China als Single-Frauen anerkannt und in Ruhe gelassen zu werden. (Siehe Frauenzeitung 2020: „Frauen in China: die Verliererinnen des Aufschwungs?“)

Diese Bewegungen haben auch gezeigt: Frauen stellen eine „Gefahr“ dar. Gleichzeitig sind sie unabdinglich für Reproduktion und Reproduktionsarbeit, zuhause und gesellschaftlich, sowie als Reserve im Kriegsfall. Daher muss ein Weg gefunden werden, um sie in Schach zu halten. Sie aus dem ökonomischen Kreislauf heraus- und zurück nachhause zu drängen, ist ein Mittel, um ihre Unabhängigkeit und Mitbestimmung zu beschneiden. Um die längerfristige Machterhaltung der KP zu ermöglichen und gleichzeitig den Einfluss in der Welt zu stärken, ist die stärkere Unterordnung der Gesellschaft und vor allem der Frauen unabdingbar.

Die Rhetorik Xi Jinpings greift zur Formierung einer kampfbereiten Gesellschaft auf altbewährte Phrasen zurück. Das alte philosophische Konstrukt des „Tianxia“, was so viel wie alle unter einem Himmel bedeutet, ist sein Credo. In diesem Fall ist es nicht nur ein philosophisches Modell, sondern ein Kampfbegriff, unter dem sich imperialistische Politik betreiben lässt und der sich geradezu anbietet. Alte Größe wiederherstellen, indem man auf lange tradierte, funktionierende und stark verankerte Konstrukte zurückgreift, funktioniert. Erstens, weil die Ideen stark in der chinesischen Kultur verankert und daher in der Bevölkerung anschlussfähig sind. Zweitens, weil gerade der Konfuzianismus stark hierarchisch geprägt ist. Die Unterordnung unter den Staat steht an erster Stelle, die Durchsetzung des patriarchalen Systems folgt darauf und stützt wiederum den Staat. Schließlich basieren Kapitalakkumulation und Herausbildung einer Kapitalist_Innenklasse im chinesischen Imperialismus darauf, dass die Staatsbürokratie eine aktive, vorantreibende Rolle spielt.

Gemeinsamer Kampf!

Daran zeigt sich, dass die Forcierung reaktionärer Geschlechterrollen eng mit der Entwicklung des Kapitalismus und Militarismus verknüpft ist. Der Kampf gegen die neuen Formen der Unterdrückung und die Stärkung patriarchaler Strukturen und Ideologien braucht einerseits ökonomische Organisierung, aber auch gemeinsamen Widerstand gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im öffentlichen und privaten Raum.

Ein Kampf gegen die Verhältnisse ist jedoch keiner von Frauen allein. Auch eine Organisierung von LGBTIAQ-Menschen liegt in unserem Interesse, u. a. weil es hier bereits Strukturen gibt und auch Erfahrungen mit der Arbeit im Untergrund. Doch eine sozialistische Antwort ist nicht nur auf ein Geschlecht fokussiert.

Das Vorgehen der chinesischen Regierung richtet sich nicht nur gegen die Stellung von Frauen in der Gesellschaft, sondern birgt auch für Männer eine Gefahr, weil es ein Teil der Formierung des chinesischen Kapitalismus darstellt und eng mit dem Kampf um die Weltmachtrolle Chinas verknüpft ist.

Der Kampf muss dabei unter Bedingungen der Illegalität geführt werden müssen, was auch einschließt, Dynamiken für offene Auseinandersetzungen z. B. in Betrieben zu nutzen, wo sie entstehen. Vor allem aber geht es darum, eine politische Organisation, eine revolutionäre Partei aufzubauen, die den Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen und den Sexismus auf allen Ebenen mit dem gegen Kapitalismus und Imperialismus verbindet. Auch in China steht der Hauptfeind der Arbeiter_Innenklase und der ländlichen Armut im eigenen Land.




Wie kommt die Refugeebewegung aus der Defensive?

Dilara Lorin (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland)

August 2021: Die Aktivistin Napuli Langa sitzt seit zwei Tagen auf einem Ahornbaum auf dem Kreuzberger Oranienplatz. Auf den Plakaten sind Slogans zu lesen wie „Rechte für Geflüchtete sind Menschenrechte“ und „Luftbrücke für afghanische Geflüchtete“. Sie protestiert für deren Rechte. Ebenso will sie mit ihrer Besetzung an die vergangenen Proteste erinnern. Schließlich ist sie sowas wie ein Urgestein der Bewegung. Doch die 30 Unterstützer_Innen, die sich am Fuße des Baumes versammeln, wirken gleichzeitig wie ein schwaches Echo der Vergangenheit und werfen ungewollt die Frage auf: Was ist passiert?

Keine Verbesserung der Lage

Ende 2020 waren laut „Global Trends Report“ des UNHCR (UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge) 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Zahl steigt jedoch kontinuierlich an und es ist keine Besserung in Sicht. So ist im November veröffentlichten „Mid-Year-Trends 2021“ von mehr als 84 Million die Rede. Von diesen sind rund 50 % Frauen und Mädchen. Sie verlassen die Heimat oft mit einer doppelten Bürde auf ihren Schultern. Denn es sind mehrheitlich Frauen, die mit Kindern und älteren Familienmitgliedern fliehen und auf den Fluchtrouten mehr Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. Angekommen in Lagern oder Notunterkünften sieht es nicht besser aus.

All das sind keine Neuigkeiten. Dennoch scheint die Situation an den Außengrenzen der Europäischen Union fast vergessen und in den Medien nicht präsent zu sein. Ausgenommen, es finden größere Katastrophen statt wie der Brand in Moria 2020. Die traurige Realität ist, dass es nicht im Interesse der herrschenden Klasse liegt, diese Menschen vor den Gefahren auf den Fluchtrouten zu schützen. Dafür sprechen die Deals der EU mit der Türkei oder Libyen, die versuchen, die Flüchtenden an deren Außengrenzen aufzuhalten und sie in den Lagern der Länder verrecken zu lassen.

Die Linke in Europa hat es nicht geschafft, in den letzten 10 Jahren eine Perspektive für diese Menschen zu entwerfen und gemeinsam Verbesserungen zu erkämpfen. Das heißt nicht, dass es immer so bleiben muss. Doch bevor wir uns der Frage widmen, wie wir die Situation ändern können, müssen wir einen kurzen Blick auf die Vergangenheit werfen.

Kurzer Rückblick auf die antirassistische Bewegung in Deutschland

Der Suizid eines Flüchtenden 2012 in Würzburg brachte viel ins Rollen wie den Marsch der Geflüchteten nach Würzburg. Es folgten zahlreiche Hungerstreiks wie der von 95 Betroffenen in München 2013 und Besetzungen wie die des DGB-Hauses Berlin-Brandenburg 2014. Am bekanntesten ist wohl heute noch das Camp auf dem Berliner Oranienplatz, welches vom 6. Oktober 2012 bis 8. April 2014 existierte. Im Zuge dessen entwickelten sich viele Supporter_Innenstrukturen. Doch deren lokale Isolation erschwerte eine dauerhafte Arbeit. Es folgten zahlreiche Antifa-Vollversammlungen, Krisenmeetings und letzten Endes bildeten sich nach zwei Jahren bundesweit verschiedene Bündnisse: „Jugend gegen Rassismus“, „Aufstehen gegen Rassismus“, „Nationalismus ist keine Alternative“, „Welcome2Stay“ und „Fluchtursachen bekämpfen“. Dies erfolgte zwischen Ende 2014 und Anfang 2015 als Mittel gegen das Aufkommen der wöchentlichen Pegida-Proteste (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Doch der verhinderbare Aufstieg der AfD ging weiter. Antirassistische Proteste wurden kleiner, kratzten nicht mal an der Zahl von 10.000 Teilnehmer_Innen. Besetzungen wurden geräumt und die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete stieg weiter. Bei den Wahlen hatten SPD und DIE LINKE fast überall Stimmen verloren. Es wurden stetig verschärfte Asylgesetze verabschiedet.

An Aktionen mangelte es nicht. Doch die Strategie der Bewegung hat nicht dazu geführt, den Rechtsruck in Deutschland zu stoppen oder auf europäischer Ebene einen koordinierten Protest zusammen mit Geflüchteten zu initiieren. Vielmehr mündete die Bewegung in einer Niederlage. Es bleiben vereinzelte Seenotretter_Innen, die wagemutig und auf eigene Faust Menschenleben retten, und NGOs, die vor Ort an den Grenzen versuchen, das Leid ein bisschen zu lindern, ab und zu große Aktionen, wenn es brennt, wie in Moria. Sie zeigen, dass Potenzial für eine antirassistische Bewegung existiert und bleiben doch ein Zeichen der Schwäche, da sie so schnell wie sie spontan entflammen, auch wieder verschwinden.

Wie kann sich das ändern?

So muss es nicht bleiben – die wohl einzige, tröstliche Erkenntnis. Doch dazu muss man auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen:

1. Raus aus der Defensive!
Es reicht nicht, nur immer wieder Angriffe abzuwehren. Wenn ein Protest Erfolg haben und nachhaltig die Situation von Geflüchteten verbessern soll, dann müssen auch konkrete Verbesserungen erkämpft werden. Das heißt konkret, dass wir nicht nur dafür kämpfen müssen, dass Seenotrettung kein Verbrechen ist und wir gegen Abschiebungen eintreten, sondern auch für offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle, damit Geflüchtete nicht ewig in Lagern leiden müssen oder als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Dabei muss anerkannt werden, dass es keine gesellschaftliche Polarisierung bezüglich der Antirassismusfrage gibt, sondern einen deutlichen Rechtsruck.

2. Keine Zugeständnisse, Schluss mit dem Opportunismus!

Schluss mit dem Opportunismus der Gewerkschaften! Es ist eines der Schlüsselelemente von Solidarität, dass der DGB Geflüchtete als Mitglieder aufnimmt und nicht wie in der Vergangenheit vor Angst, dass eine klare antirassistische Positionierung Mitglieder kosten kann, davor kneift. Das führt dazu, dass Unterdrückte gegeneinander ausgespielt werden und hängt mit der Ideologie der „Standortsicherung“ zusammen. Dabei sorgt die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften dafür, dass diese in Kämpfe vor Ort eingebunden werden können – auch wenn sie nicht arbeiten dürfen. Der Angst, dass noch mehr Mitglieder abzuspringen, muss man entgegenhalten, dass die aktive Organisierung von Kämpfen um die soziale Frage dem Abhilfe schaffen kann. Dafür müssen der DGB und seine Einzelgewerkschaften Forderungen aufstellen wie nach bezahlbarem Wohnraum oder Mindestlohn für alle. Allerdings darf man auch nicht der Illusion verfallen, dass es nur ausreicht, die „sozialen Fragen“ zu betonen. Diese Forderungen müssen konsequent mit Antirassismus verbunden werden, denn nur in praktischen Kämpfen kann man den sich etablierenden Rassismus anfangen zu beseitigen. Sonst vergisst man, dass Rassismus spaltet, kann ihn also schlechter bekämpfen.

3. Schluss mit „Jeder kämpft für sich allein“!

Wenn wir effektiv antirassistischen Widerstand aufbauen wollen, dann dürfen wir uns nicht spalten lassen. Weder von zunehmendem Rassismus noch Sektierertum der Linken oder der fadenscheinigen Überzeugung, dass Geflüchtete, Jugendliche, Parteien und Autonome jeweils ihr eigenes kleines Bündnissüppchen kochen sollen. Wir brauchen zwischen allen von ihnen und den größeren Organisationen der Arbeiter_Innenklasse zusammen mit denen der Geflüchteten eine Einheit in der Aktion. Dabei reichen nicht nur einzelne, große Mobilisierungen aus. Diese Events gab es bereits in der Vergangenheit und haben wenig gebracht. Deswegen ist es zentral, im Zuge der Proteste Verankerung vor Ort an Schulen, Unis und in Betrieben aufzubauen. Dies kann durch Aktionskomitees entstehen, die mobilisieren, indem sie beispielsweise Rassismus thematisieren und über Forderungen der Bewegung mitentscheiden.

4. Aktuelle Kämpfe verbinden!

Die antirassistische Bewegung hierzulande ist also derzeit geschwächt, fast gar nicht mehr existent. Deswegen dürfen wir nicht einfach auf die nächste Katastrophe warten, sondern müssen in den vorhandenen Kämpfen wie der Umweltbewegung oder dem um Wohnraum (Deutsche Wohnen & Co. enteignen) für klare, antirassistische Positionen auftreten. So ist die Umweltzerstörung einer der häufigsten Fluchtursachen. Bei der Enteignung von Wohnraum ist es zentral, auch für die Abschaffung von Geflüchtetenunterkünften einzustehen und für die dezentrale Unterbringung in eigenen Wohnungen. Wichtig ist v. a. die Forderung nach offenen Grenzen. Dabei ist es wichtig, dass solche Forderungen, falls angenommen, nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, sondern auch praktische Mobilisierungen darum erfolgen.

5. Der Kampf ist international!

Mit Deals zwischen unterschiedlichen Ländern oder gemeinsamen „Initiativen“ wie Frontex versuchen vor allem imperialistische Länder, sich die Probleme der Geflüchteten vom Leib zu halten. Um Festungen wie die Europas erfolgreich einzureißen, bedarf es mehr als einer Bewegung in einem Land. Deswegen müssen wir das Ziel verfolgen, gemeinsame Forderungen und Aktionen über die nationalen Grenzen hinaus aufzustellen. Nicht nur um mehr Druck aufzubauen, sondern auch aus dem Verständnis heraus, dass Flucht ein Problem ist, welches erst durch die Ausbeutung der halbkolonialen durch die imperialistischen Länder so virulent wird.




Femizide, Feminizide und kapitalistische Krise

Martin Suchanek (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland)

50.000 oder mehr Femizide registrieren internationale Organisationen und Forschungsinstitute jährlich – und dies umfasst nur jene Morde, die in Partnerschaften oder durch Verwandte verübt wurden, und auch nur jene Länder, die gesonderte Statistiken überhaupt erstellen. Doch schon diesen Zahlen zufolge werden weltweit täglich mehr als 135 Frauen getötet. In Deutschland fällt jeden dritten Tag eine Frau oder ein Mädchen diesem Verbrechen zum Opfer.

Probleme der Erhebung

Schon diese Zahlen sind erschreckend genug. Sie geben jedoch den Umfang und damit das gesamte Ausmaß dieses extremen Ausdrucks der Unterdrückung aus mehreren Gründen nicht wieder. Erstens umfassen viele Erhebungen keine trans Personen und andere Menschen mit einer nicht-binären Geschlechtsidentität.

Zweitens basiert die Zuordnung zum Femizid oft auf einer relativ engen Definition, d. h. nur ein Teil der intentionalen Morde oder Todschläge an Frauen geht in die Statistik ein. Die Zahlen – so auch die oft genannte von 50.000 Femiziden im Jahr 2017 – beziehen sich in erster Linie auf eine bestimmte, in der Tat sehr bedeutende Form des Frauenmordes, den intimen (innerhalb einer Partnerschaft erfolgenden) und verwandtschaftlichen Femizid (z. B. Ehrenmord). Diese beiden Kategorien machen jedoch selbst nach den Erhebungen aus dem Jahr 2017 nur etwa die Hälfe aller vorsätzlichen Frauentötungen aus, also aller Verbrechen, wo es eine bewusste, intendierte Absicht war, eine Frau, ein Mädchen, eine trans Person wegen ihres Geschlechts oder ihrer Geschlechtsidentität umzubringen.

Intentionale Morde an Frauen oder geschlechtlich Unterdrückten, die außerhalb dieser Sphäre stattfinden und mit der Durchsetzung privatkapitalistischer, neokolonialer oder staatlicher Interessen verbunden sind, gehen in die Statistiken nicht ein. Eine Reihe linker, antikolonialer und antiimperialistischer, feministischer Autor:innen hat für solche Morde an Frauen und LGBTIAQ-Menschen den Begriffe des Feminizides geprägt, um der Verengung des Blicks auf Femizide im privaten und häuslichen Kontext entgegenzuwirken. Wir verwenden daher im folgenden Text die Begriffe Femizid und Feminizid in diesem Sinne, wohl wissend, dass eine eindeutige Zuordnung selbst problematisch ist, wie z. B. das Phänomen der Ehrenmorde verdeutlicht. Schließlich kommt hinzu, dass die Begriffe in der deutschsprachigen Literatur einfach synonym verwendet werden.

Drittens bildet die Kriminalstatistik eine Hauptquelle für länderübergreifende Vergleiche. Doch diese wird von verschiedenen Staaten sehr unterschiedlich geführt und Femizide/Feminizide werden oft erst gar nicht als solche erfasst. Das Ausmaß dieser Form der intentionalen Tötung von Frauen oder LGBTIAQ-Personen lässt sich schon deshalb oft nur schätzen. Somit gehen Verbrechen erst gar nicht ein, weil sie nicht erhoben oder gar verschleiert werden oder z. B. in Kriegen und Bürgerkriegen überhaupt keine Erhebungen mehr möglich sind.

Viertens haben nur wenige Länder formale Abkommen zur Bekämpfung von Femiziden ratifiziert. So wurde z. B. das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (besser bekannt als Istanbuler Konvention) nicht nur von der Türkei spektakulär aufgekündigt. Zahlreiche europäische Länder haben es erst nach Jahren (z. B. Deutschland und die Schweiz erst 2017) ratifiziert. Andere Unterzeichnerstaaten haben dies bis heute nicht getan (Großbritannien, Lettland, Litauen, Tschechien, Ungarn, Ukraine, Moldawien, Armenien), womit das Abkommen keine Rechtsverbindlichkeit besitzt. In Bulgarien wurde es vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt. Polen hat seinen Austritt angekündigt, wenn auch noch nicht vollzogen.

Umfang und Vergleich

Trotz dieser Schwierigkeiten wollen wir im Folgenden etwas näher auf die Zahlen eingehen. Dabei gibt es in Europa noch relativ verlässliche Statistiken, was intime und verwandtschaftliche Femizide betrifft. Diese zeigen ein lang anhaltend hohes Niveau und in einigen Fällen sogar einen Zuwachs in den letzten Jahren. So stieg die Anzahl in Österreich von 18 (2014), 17 (2015) seit 2016 (28) massiv und hält sich seither über 30 pro Jahr (2017: 36, 2018: 41, 2019: 39, 2020: 31) (Quelle: https://www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten).

Weiter unten werden wir uns mit den Ursachen für Femizide und deren Anwachsen beschäftigen. In jedem Fall liegt eine enge Verbindung zum Rechtsruck nahe, der 2017 zur Bildung der ÖVP-FPÖ-Regierung und damit zu Kürzungen in der Sozialpolitik führte, aber auch mit einem staatlich sanktionierten politischen, gesellschaftlichen und ideologischen frauenfeindlichen Rollback einherging.

Für die EU insgesamt lässt sich von 2015 – 2018 ein leichtes Absinken von Morden an Frauen von 0,75 auf 0,69 je 100.000 Einwohnerinnen feststellen, allerdings mit bedeutenden Unterschieden zwischen verschiedenen Ländern (https://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/submitViewTableAction.do). Da es auch in Europa in etlichen Staaten keine gesonderten Statistiken für Femizide gibt, muss die Entwicklung der Frauenmorde insgesamt auch als Indikator für deren Umfang und für einen Vergleich betrachtet werden. Wo Daten vorliegen, wird immer auch deutlich, dass, global betrachtet, Morde durch Partner und Verwandte einen signifikanten Anteil darstellen, oft zwischen der Hälfte und einem Drittel.

In Europa bewegen sich Länder wie Italien, Spanien, Schweden oder die Niederlande über mehrere Jahre bei rund 0,5 Frauenmorden pro 100.000 Einwohnerinnen. Selbst dieser vergleichsweise „niedrige“ Anteil darf aber nicht vergessen lassen, dass wir in beiden Staaten noch immer von weit mehr als 100 Morden pro Jahr sprechen! Länder wie Deutschland, Frankreich oder auch Österreich gehören, betrachten wir den Anteil von Frauenmorden an der Bevölkerung, zum unrühmlichen europäischen Durchschnitt mit Schwankungsbreiten um die 0,6 bis 1 Frau(en) je 100.000 Einwohnerinnen. Besonders hohe Raten weisen über Jahre hinweg Länder wie Russland, Lettland, Litauen, Ukraine auf mit 1,5 bis 4 ermordeten Frauen und Mädchen pro 100.000 Einwohnerinnen auf (siehe: https://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/submitViewTableAction.do und https://dataunodc.un.org/content/homicide-country-data).

Weit weniger statistisches Material steht für Asien und Afrika zur Verfügung. So finden sich z. B. in der UN-Datenbank zur Kriminalität (https://dataunodc.un.org/content/homicide-country-data) keine offiziellen statistischen Berichte aus dem Iran, Pakistan oder der Volksrepublik China, um nur einige bevölkerungsreiche Staaten zu nennen. Außerdem fehlen auch hier häufig Differenzierungen zwischen Morden an Frauen im Allgemeinen und Femiziden durch Partner und Verwandte. Grundsätzlich weisen aber viele Länder hohe bis sehr hohe Zahlen auf. Eine der höchsten weltweit finden wir in Südafrika: 2018 waren es 2.771 oder 9,46 Frauen pro 100.000 Einwohnerinnen. Indien weist z. B. in den Jahren 2015 – 2020 Raten von 2,47 (2020) bis 2,81 Frauen je 100.000 auf, was rund 17.000 Morden pro Jahr entspricht.

Vergleichsweise umfangreiches Datenmaterial und eine reichhaltige Literatur existiert in Lateinamerika. Dies hat zwei Gründe. Zum einen spiegelt es das Ausmaß des Problems wider, zum anderen aber die Existenz großer und politisch dynamischer Frauenbewegungen auf dem Kontinent, die seit Jahren den Kampf gegen Gewalt an Frauen ins Zentrum ihrer Tätigkeit rücken.

Die folgende Statistik gibt die Zahl der Femizide und Feminizide (nicht aller Frauenmorde) in Lateinamerika, der Karibik und Spanien im Jahr 2020 wieder. Darin zeigt sich ein besonders hoher Anteil pro 100.000 Einwohnerinnen in den Staaten Zentralamerikas und der Karibik. In absoluten Zahlen springt das schiere Ausmaß der Verbrechen in Brasilien und Mexiko in Auge.

Lateinamerika, Karibik und Spanien (19 Länder): Feminizide oder Femizide, letztes verfügbares Jahr (in absoluten Zahlen und Werten pro 100.000 Frauen), Quelle: CEPALSTATS, 2020 (aus: Alejandra Santillana Ortíz, Flora Partenio und Corina Rodríguez Enríquez, Feministische Überlegungen zur Gewalt, Buenos Aires 2021, Herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung)

Die Broschüre „Feministische Überlegungen zur Gewalt“, der die Tabelle entnommen wurde, führt darüber hinaus auch an, dass die Zahl der Morde wie generell die Gewalt gegen Frauen in der Pandemie deutlich zugenommen haben: „Zwischen Januar und Juli 2020 wurden in Mexiko 2.240 Frauen ermordet, was im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr 2019 (laut dem Exekutivsekretariat des Nationalen Systems zur öffentlichen Sicherheit Mexikos) einen Anstieg von 7,7 % bedeutet; in Ecuador gab es zwischen dem 1. Januar und dem 16. November 2020 insgesamt 101 Femizide (darunter 5 Transfeminizide); in Argentinien belief sich die Zahl auf 168.“ (Feministische Überlegungen zur Gewalt, S. 46)

Als Ursachen führen die Autorinnen die Isolation der Frauen im privaten Haushalt während der Lockdowns, aber auch die zunehmende Gewalt gegen obdachlose, auf der Straße lebende Frauen, Sexarbeiterinnen und trans Menschen an.

Bemerkenswert an den Zahlen zu Femiziden und Feminziden in Lateinamerika und der Karibik ist schließlich auch ein Vergleich zur Lage in den USA. In den Jahren 2015 – 2020 fielen dort je 100.000 Einwohnerinnen 0,8 bis 0,84 Frauen einem häuslichen oder verwandtschaftlichen Femizid zum Opfer, allein 2020 waren das 1.420. Pro 100.000 Einwohnerinnen lag die Zahl der Frauenmorde in diesem Zeitraum konstant über der Zahl 2, betrug in absoluten Zahlen nie weniger als 3.333 (2015).

Auch wenn Daten bezüglich der Zunahme von Frauenmorden und Femiziden während der Pandemie bisher nur lückenhaft vorliegen, so dürften die signifikanten Zunahmen, wie sie sich in Mexiko zeigen, auch für die meisten anderen Länder und Regionen gelten, vor allem für die halbkoloniale Welt. Das legen andere Untersuchungen oder Belege für die Zunahme von häuslicher Gewalt nahe, die sich auch in der massiven Zunahmen von Notrufen ausdrückt. Zweitens haben wirtschaftliche Krise und Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 generell die Ursachen von Gewalt gegen Frauen und von Femiziden verschärft und erstere zugleich stärker an den Haushalt gefesselt.

Erklärungen und Ursachen

Zu Recht verweisen viele linke Feminist:innen und Aktivist:innen der Frauenbewegung darauf, dass die Beschränkung auf Femizide, partnerschaftliche („intime“) und verwandtschaftliche Morde zwar eine erschreckende und extreme Form häuslicher, patriarchaler Gewalt zum Vorschein bringt. Betrachten wir jedoch nur diese, verengt dies den Blick. Ein beträchtlicher Teil intentionaler Morde findet außerhalb dieser familiären Sphäre statt. Dies betrifft im Besonderen rassistisch, ethnisch oder nationale Unterdrückte und im Allgemeinen Frauen und Mädchen in den halbkolonialen, vom Imperialismus ausgebeuteten Ländern sowie Menschen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität marginalisiert werden.

Familie, Geschlechterrollen, Akkumulation

Doch betrachten wir zunächst den intimen, partnerschaftlichen oder verwandtschaftlichen Femizid. Er findet an einem bestimmten gesellschaftlichen Ort, im Rahmen einer bestimmten Institution statt: der bürgerlichen Familie oder einer ihr ähnlichen Beziehung (z. B. der intimen Partner:innenschaft). Der Femizid bildet dabei häufig den Endpunkt einer langen Reihe von „partnerschaftlicher“ Gewalt und Missbrauch. Gewalt und Unterdrückung sind grundsätzlich der Familie inhärent, sei es als unmittelbares, „privates“ Verhältnis zwischen männlichen Tätern und weiblichen Opfern, sei es als Ort der Vermittlung und Rechtfertigung der Normen, Regeln, moralischen Werte und Geschlechterrollen. Doch das enthebt uns nicht der Notwendigkeit, zwischen der Ausprägung, Form und Ursache zwischen verschiedenen Klassen vor dem Hintergrund verschiedener gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Gesamtlagen zu unterscheiden. Nur so können wir historisch spezifische Veränderungen begreifen und den Kampf gegen Femizide als extremsten Ausdruck von Gewalt gegen Frauen zielgerichtet führen.

Zunächst unterscheiden sich die Familien verschiedener Klassen. Jene der herrschenden genießen natürlich das Privileg, dass für sie kein Arbeitszwang existiert. Alle ihre Mitglieder leben von der Aneignung der Arbeit anderer – und können auch im privaten Haushalt andere für sich arbeiten lassen.

Für die Arbeiter:innenklasse stellt sich das grundlegend anders dar. Der Mann oder Familienvater fungiert, jedenfalls dem Anspruch nach, als Ernährer, der den größten Teil des Haushalts- oder Familieneinkommens verdient. Die Frau gilt als Hausfrau. Auch wenn diese bürgerliche Familienform für das Proletariat erst im Laufe der Entwicklung des Kapitalismus etabliert wurde und nie „rein“ existierte, wurde sie zur prägenden ideellen Form und damit auch zu einem Kern reaktionärer Geschlechterrollen. Die Verallgemeinerung dieser Ideologie basiert auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.

Um relativ friktionsfrei und dauerhaft auch in der Klasse der Lohnabhängigen weltweit etabliert und reproduziert werden zu können, ist sie aber an einen bestimmten Stand der Akkumulation des Kapitals gebunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte diese Familienform in den imperialistischen Metropolen, in den degenerierten Arbeiter:innenstaaten und selbst unter den bessergestellten Schichten der Lohnabhängigen in den Halbkolonien etabliert werden, wenn auch oft nur ansatzweise. Zugleich unterhöhlte die Entwicklung der Kapitalakkumulation auch schon damals die bürgerliche Familie, weil die wirtschaftliche Expansion auch Lohnarbeiterinnen erforderte.

Dies unterminierte objektiv die Rolle des Mannes und bildete eine der Ursachen für die Entstehung der zweiten Welle der Frauenbewegung und für den Kampf um rechtliche Gleichheit sowie für die Thematisierung häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder ab Ende der 1960er Jahre. Allerdings fanden diese Veränderungen vor dem Hintergrund einer expansiven kapitalistischen Akkumulation statt, die während des sog. langen Booms die Ausdehnung des Konsumfonds der Arbeiter:innenklasse und Umverteilungsspielräume ermöglicht hatte. Dies betraf sowohl Lohneinkommen und Kaufkraft als auch die Ausdehnung des Soziallohnes (staatliche Dienstleistungen, Sozialversicherung, sog. Sozialstaat).

Mit der Wende zum Neoliberalismus und der kapitalistischen Globalisierung und erst recht in den letzten Jahrzehnten veränderte sich das Bild grundlegend – und das noch einmal seit der globalen Krise 2008.

Die Arbeiter:innenklasse wuchs zwar auch unter den Bedingungen der strukturellen Krise und der Überakkumulation des Kapitals weiter. Das Wachstum der Lohnabhängigen war und ist jedoch wesentlich eines in „unsicheren“, prekären Verhältnissen oder im informellen Sektor beschäftigten Teils. Das betrifft in besonderem Ausmaß den Zuwachs an lohnarbeitenden weiblichen Arbeitskräften. Zugleich ist für immer größere Teile der Klasse der Lohn so weit gesunken, dass der Mann längst nicht mehr alleine die Familien ernähren kann. Die Lohnarbeit der Frau, oft auch der Kinder wird zur Existenzbedingung der Reproduktion der Klasse – und selbst dies reicht oft nicht einmal aus.

Hierbei handelt es sich um kein konjunkturelles Phänomen, das mit Rezessionen kommt und geht. Vielmehr führten massive Veränderungen und Angriffe zu Deregulierung, Lohnsenkungen, Privatisierungen und zur Zerstörung von sozialen Sicherungssystemen, um so dem Fall der Profitraten entgegenzuwirken und die Profite vor allem des imperialistischen Finanzkapitals zu sichern. Dass immer größere Teile der Arbeiter:innenklasse gezwungen sind, ihre Arbeitskraft unter den Reproduktionskosten zu verkaufen, stellt ein grundlegendes Kennzeichen der aktuellen Periode dar, vor allem für Lohnabhängige im globalen Süden und für rassistisch unterdrückte und migrantische Arbeitskräfte. Diese Entwicklung bedroht jedoch längst auch die Masse der Lohnabhängigen in den Metropolen und selbst Teile der Arbeiter:innenaristokratie.

Vor diesem Hintergrund können wir verstehen, warum häusliche Gewalt und Femizide in der gegenwärtigen Periode zunehmen, warum die strukturelle Krise des Kapitalismus sowie die Ausweitung neokolonialer, imperialistischer Ausbeutung und rassistischer Unterdrückung diese extremen Ausprägungen der Unterdrückung verstärken.

Die Krise unterminiert die Rolle des Familienoberhauptes, des männlichen Ernährers. Sein Rollenversprechen, die Familie zu versorgen, kann er, unabhängig von seinem Willen, nicht länger erfüllen. Anders als in der Periode realer ökonomischer Expansion, in der die Einkommen der Familie über das bisherige Niveau und damit die ökonomische Unabhängigkeit der Frau stiegen, ist mehr und mehr Frauen aus der Arbeiter:innenklasse dieser Weg unter den Bedingungen einer strukturellen Krise verwehrt. Sie sind wirtschaftlich enger an die familiäre Hölle gekettet.

Diese Krise der Familie, aus der es aufgrund sinkender Einkommen und der Zerstörung öffentlicher und sozialer Versorgungseinrichtungen kein Entkommen gibt, bildet die strukturelle Basis für die Zunahme häuslicher Gewalt bis hin zum Femizid in der proletarischen Familie oder Partner:innenschaft. Während der Kapitalismus die ökonomischen Grundlagen der Arbeiter:innenfamilien (und auch jener der armen Bauern und Bäuerinnen und unteren Schichten des Kleinbürger:innentums) und damit auch die damit einhergehenden Geschlechterrollen, die Charaktermasken der Familienmitglieder unterminiert, in die sie hineingeboren und hinein sozialisiert werden, verunmöglicht er eine Auflösung dieses Widerspruchs. Die bürgerliche Gesellschaft selbst erweist er sich als größtes Hindernis, diese unhaltbare Form zu überwinden. Einen fortschrittlichen Ausweg bietet hier nur der Kampf der Lohnabhängigen und vor allem der proletarischen Frauen. Wo diese Perspektive fehlt, dringt der Widerspruch, in dem die Familie gefangen ist, in Form „privater“ Gewalt an die Oberfläche. Der Mord bildet die ultimative, extremste Form, worin der demoralisierte, in seiner eigenen Rolle versagende Ernährer sich selbst und seiner Frau noch einmal seine „Überlegenheit“ beweist.

Hier wird deutlich, wie eng der Kampf gegen Femizide und häusliche Gewalt mit der kapitalistischen Krise zusammenhängt – und warum dies besonders die ärmsten, am stärksten unterdrückten und ausgebeutetsten Teile der Arbeiter:innenklasse betrifft. Die barbarisierenden Tendenzen der gegenwärtigen strukturellen Krise manifestieren sich auch in der Zunahme von Femiziden. Die Krise, die wesentlich auch eine Krise der Reproduktionsbedingungen der Klasse ist, befördert natürlich die Zunahme von Gewalt und ihrer Extremform, von Chauvinismus und Sexismus. Dies stellt jedoch keinen Automatismus dar, der unabhängig von Bewusstsein, vom Organisationsgrad und der Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse vor sich geht. Ob sich die reaktionären Tendenzen durchsetzen, ob sie zur Vertiefung der Spaltung innerhalb der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten führen, hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, die Klasse im Kampf gegen Femizide und ihre tieferen gesellschaftlichen Ursachen zu vereinen.

Liberalismus und Rechtsruck

Der Kapitalismus erzeugt nicht nur die prekären Verhältnisse, er wirkt zugleich als Brandbeschleuniger – und zwar nicht nur beim Abbau sozialer Leistungen und bei der immer weiteren Durchsetzung neoliberaler Angriffe.

Für den „demokratischen“, liberalen Flügel der Bourgeoisie und große Teile des bürgerlichen, westlichen Feminismus’ erscheint die Zunahme von Femiziden und häuslicher Gewalt vor allem als ein Phänomen der Rückständigkeit der Männer. Unbestreitbar lässt sich dies bei den Motiven der einzelnen Täter erkennen. Das Problem des bürgerlichen Feminismus besteht jedoch darin, diese Rückständigkeit bis hin zum offenen Frauenhass nicht als Resultat gesellschaftlicher Verhältnisse zu begreifen, sondern als individuelle Eigenschaft und persönlichen Mangel an Bildung, Aufklärung und „Kultur“. Als Täter und Tatorte erscheinen daher vorzugsweise „verrohte“, proletarische oder subproletarische Männer und angeblich „rückständige“ Länder und Glaubensgemeinschaften.

Daher präsentieret liberaler, bürgerlicher Feminismus westliche Demokratie und Marktwirtschaft als Lösung zur Bekämpfung von Femiziden. Er individualisiert dabei im Grunde das Problem. Der Femizid erscheint als individuelle Gewalttat. Natürlich ist er auch immer eine solche. Dies leugnen weder Marxist:innen noch linke Feminist:innen. Aber der wesentliche Unterschied besteht darin, dass es diesen darum geht, nicht nur den Blick auf die einzelne Tat zu richten, sondern auf den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang.

Dieser wird von bürgerlich-liberalen oder selbst von bürgerlich-reformistischen Kräften allenfalls als zusätzlicher Nebenfaktor in Betracht gezogen, in der Regel ausgeblendet. Und das aus gutem Grund. Würden die gesellschaftlichen Ursachen betrachtet, so müssten auch die Profiteur:innen dieser Verhältnisse, die großen (und auch kleineren) Ausbeuter:innen, vor allem aber die großen kapitalistischen Konzerne, ihre Regierungen und Institutionen, die für die Verelendung der proletarischen Männer und Frauen verantwortlich sind, ins Visier genommen werden. Da der bürgerliche, liberale Feminismus jedoch selbst auf dem Boden dieser Ausbeutungsverhältnisse und imperialistischen Ordnung steht, also den Klassenstandpunkt des Kapitals einnimmt, muss er sich notwendig als unfähig erweisen, die tieferen Ursachen von Femiziden zu begreifen. Im Gegenteil: Er muss letztlich jene gesellschaftlichen Verhältnisse beschönigen und verteidigen, die immer wieder erst systematische Gewalt gegen Frauen und Femizide hervorbringen.

Doch damit nicht genug. Im Zuge der Krise und Unterminierung der Familien und ihrer Rollenbilder tritt auch eine reaktionäre, bürgerliche und kleinbürgerliche Gegenoffensive als Teil eines generellen Rechtsrucks auf den Plan.

Von dieser geht zwar in der Regel niemand so weit, individuelle Femizide offen zu rechtfertigen. Wohl aber verklären Rechte und reaktionäre, antifeministische Kräfte sie zur Reaktion auf die Zerstörung der angeblich natürlichen Rolle des Mannes (und der Frau). „Feminismus“, „Genderwahn“, feministische und Frauenbewegungen sowie der Queer-Aktivismus hätten gewissermaßen die natürliche Ordnung der Dinge zerstört, würden die „normalen“ Männer (und Frauen) unterdrücken und an den Rand drängen, die an ihren tradierten Normen, ihrer Arbeitsteilung, Lebensweise samt einer gewissen Dosis Machismus und Sexismus festhalten wollten.

Diese Ideologie, dieses „Narrativ“ stellt die Realität nicht nur auf den Kopf. Sie blendet zugleich auch die wirklichen Ursachen für die Unterminierung der bürgerlichen Familien durch Kapital, Markt und Konkurrenz aus. Auch das ist kein Zufall. Verschiedenste rechtspopulistische, rechtskonservative und rechtsextreme Kräfte, ob nun Trump oder Bolsonaro, AfD, FPÖ, Identitäre oder reaktionäre Islamisten, vertreten einen aggressiven Antifeminismus. Zugleich verteidigen sie die Marktwirtschaft – und sei es in einer idealisierten, kleinbürgerlichen, nationalistischen oder völkischen Version.

Die durchaus reale Krise der Familie und damit verbundene Unterhöhlung der tradierten Geschlechterrollen werden nicht als Resultat der Entwicklungslogik des Kapitalismus begriffen. Sie erscheinen vielmehr als Ausdruck des Angriffs auf das natürliche, vorgeblich harmonische Verhältnis zwischen Mann und Frau. Der Femizid wird folglich als allenfalls tragisches Resultat des „widernatürlichen“ Angriffs auf eine angeblich natürliche Ordnung verstanden, ja letztlich entschuldigt.

Die reaktionäre Kur ist auch einfach: Rückkehr zur tradierten Ordnung! Würden sich Frauen gemäß ihrer natürlichen Rolle verhalten, gebe es, dieser Sicht zufolge, auch keinen Grund mehr für Männer, auszurasten oder ihre Liebste in Rage zu bringen.

Ergänzt wird dieses Narrativ v. a. im Westen durch einen guten Schuss Rassismus, indem zwischen Femiziden von Männern der eigenen imperialistischen Nation und jenen der „rückständigeren“ Völker unterschieden wird. Unter weißen deutschen oder US-Amerikaner:innen stellt demzufolge der Femizid letztlich die Tat eines Einzeltäters, vorzugsweise aus „zerrütteten“, asozialen Verhältnissen dar. Der gute Deutsche behandelt seine Frau trotz ständigen feministischen Kulturkrieges und Genderwahns gut. Solche moralische Höhe attestiert die politische Rechte freilich nur der herrschenden Nation. Bei migrantischen Männern, Schwarzen oder Muslimen liegt die Sache anders. Sie mordeten, weil sie rückständig und letztlich Menschen 2. Klasse seien. Dieser Rassismus verträgt sich nicht nur gut mit Imperialismus und Sozialchauvinismus. Er bildet zugleich eine ideologische Brücke zu bürgerlich-feministischen Kräften.

Die rechten Strömungen begnügen sich freilich längst nicht damit, reaktionäres Gedankengut zu verbreiten und ebensolche Forderungen zu stellen. Sie verklären und verharmlosen nicht nur die Ursachen von Femiziden. Sie begünstigen diese aktiv, indem sie ein entsprechendes politisch-ideologisches Klima schaffen. Indem sie das patriarchale Familienoberhaupt, dessen reaktionäre, unterdrückerische Rolle durch den Kapitalismus selbst unterminiert wird, zu einem „Opfer“ stilisieren, proklamieren sie zugleich deren Wiederherstellung als zentrales Ziel. Damit nehmen sie nicht nur in Kauf, dass manche Männer dies als zusätzliche Rechtfertigung ansehen, die Wiederherstellung der „Ordnung“ in die eigene Hand zu nehmen. Sie agieren auch als Bewegung, die sich den Rollback von Frauenrechten auf ihre Fahnen schreibt und aggressiv durchzusetzen versucht. Darüber hinaus begünstigen etliche dieser Bewegungen direkt bestimmte Formen von Femiziden, die außerhalb der Sphäre von Partnerschaft, Familie und Verwandtschaftsbeziehungen stattfinden.

Feminizide im Herrschafts- und Kapitalinteresse

Bisher haben wir uns mit partnerschaftlichen, intimen und verwandtschaftlichen Femiziden beschäftigt. Dabei ist der Täter in der Regel männlich, steht zum Opfer in einer persönlichen Beziehung. Der Täter will seine Tat nicht öffentlich zur Schau stellen, sondern hofft vielmehr, der Strafverfolgung zu entkommen. Phänomene wie Ehrenmorde, die in der Regel dieser Form von Femiziden zugerechnet werden, stellen in gewisser Hinsicht ein Übergangsphänomen dar, als die Täter keineswegs Partner des Opfers sein müssen und ein, wenn auch tradierter Zweck verfolgt wird, nämlich die „Ehre“ der Familie auch öffentlich wiederherzustellen. Darüber hinaus verfolgt das aber keinen ökonomischen oder herrschaftlichen Anspruch.

Diese Form der Frauenmorde bildet aber nur einen großen Teil aller Femizide/Feminizide. Einen zweiten, großen Bereich stellen solche dar, die zur Durchsetzung eines Ausbeutungs- und/oder Herrschaftsinteresses außerhalb der Familie, Parter:innenschaft oder Verwandtschaftsbeziehung begangen werden.

Zu Feminiziden, die mit direkt ökonomischen Interessen verbunden sind, gehören beispielsweise Gewalt und Ermordung von Frauen im Zuge von Frauenhandel und Zwangsprostitution. Frauen oder trans Personen wird Gewalt bis zum Feminizid angetan, um ein Zeichen an andere zu senden. Wer sich gegen Verschleppung und Versklavung wehrt, muss damit rechnen, getötet zu werden. Der Mord ist also eine Botschaft an weitere potentielle Opfer, die für einen ökonomischen Zweck gefügig gemacht werden sollen – die Bereicherung des Zuhälters, anderer Krimineller und illegaler Geschäftemacher:innen, die daraus Profit schlagen und die Prostitution und den Frauenhandel kontrollieren. Es gehört damit zum Zweck dieser Feminizide, dass die Täter, wenn schon nicht persönlich, so doch als zuordenbare Gruppe anderen bekannt sind. Die Einschüchterung anderer funktioniert schließlich nur, wenn potentielle Opfer wissen, wer über sie Macht ausübt und durchsetzen kann.

Diese betrifft auch weitere Kapitaloperationen. So dienen Feminizide beispielsweise auch als Mittel zur Aneignung von Land indigener oder agrarischer Gemeinden durch das Agrobusiness oder extraktive Unternehmen in Lateinamerika oder Afrika. Vergewaltigungen oder der Mord an Frauen soll in diesen Fällen der Gemeinde, den zu Vertreibenden vor Augen führen, dass jeder Widerstand mit äußerst brutaler Gewalt niedergeschlagen wird, dies auch allen anderen droht. Die Täter führen so den Unterdrücken ihre Ohnmacht vor, knüpfen an einer patriarchalen Rollenverteilung an, indem sie auch den männlichen Mitgliedern des Dorfes oder der indigenen Gemeinde deutlich machen, dass sie nicht einmal in der Lage sind, „ihre“ Frauen zu schützen. Diese Form des Feminizids weist eine lange, koloniale Geschichte auf, die sich heute immer wieder in neokolonialer und imperialistischer Ausbeutung fortsetzt. Mögen die Täter auch gedungene Mörder sein, so agieren sie nicht auf eigene Rechnung, sondern im Auftrag einer bestimmten Kapital- und Unternehmensgruppe, eines Grundbesitzers, eines multinationalen Konzerns oder von deren Mittelsmännern.

Weniger direkt, aber nichtsdestotrotz auf die Durchsetzung einer sozialen und ökonomischen Stellung bezogen sind Feminizide durch kriminelle Gangs, beispielsweise wenn es um die Kontrolle eines Stadtviertels geht. Diese verfolgen damit einen wirtschaftlichen Zweck. Der öffentliche Mord dient der Abschreckung.

Eine weitere Form des öffentlichen Feminizids stellt die Zunahme von Hexenmorden in einigen Ländern Afrikas und Indien dar. Um sich das Eigentum einer zumeist älteren, verwitweten Frau anzueignen, wird diese – in einigen Ländern Afrikas mit Zutun von evangelikalen Sektenführern – der Hexerei beschuldigt und mit dem Tod bestraft. Das Eigentum der Frau (z. B. Grund und Boden) geht nach der Tat an jüngere Angehörige oder an lokale Unternehmer über, die dieses anderweitig nutzen wollen, für eine Produktion, die weniger auf Selbstversorgung, sondern einen städtischen oder globalen Markt ausgerichtet ist. Auch in diesem Fall erfolgt der Feminizid öffentlich, als Resultat einer (illegalen) Anklage, die von einem reaktionären Mob getragen wird. Er wird in der Regel öffentlich vollzogen.

Bei all diesen Formen ist nicht nur eine enge Verbindung zu Geschäfts- und Kapitalinteressen feststellbar, sondern oft auch zu staatlichen Institutionen wie der Polizei – sei es, indem diese selbst in unterdrückten Gemeinden ihre Stellung durch Mord zu unterstreichen sucht oder Feminizide an Marginalisierten, Sexarbeiter:innen, trans Personen oder schwarzen und migrantischen Menschen nicht oder nur am Rande verfolgt.

Wie beim Mord durch die Bande ist der Feminizid hier eng mit der Etablierung der gewalttätig oder auch ideologisch abgesicherten Vorherrschaft der Täter über eine bestimmte Gemeinschaft verbunden.

Darüber hinaus finden wir indirekte oder direkte Formen staatlich sanktionierter Feminizide. Dazu gehören entweder durch reaktionäre, oft religiöse Institutionen und Kräfte forcierte öffentliche Tötungen von Frauen – z. B. Steinigung durch islamistische Mobs, aber auch Hexenverbrennungen, die von evangelikalen Fundamentalisten oder Hinduchauvinisten ermutigt werden. Anderer Formen bilden Vergewaltigungen und Feminizide an national oder religiös unterdrückten Frauen, z. B. an Muslima in Indien durch rechte und protofaschistische Hindufundamentalisten. In bestimmten Fällen kann die Todesstrafe ein Feminizid sein, z. B. eine öffentliche Steinigung. In all diesen Fällen findet die Tat offen und öffentlich statt. Die Täter bilden eine reaktionäre, aggressive und mörderische Masse oder eine jubelnde Menge bei einer staatlich inszenierten Hinrichtung.

In diesen Fällen bildet der Feminizid ein Element zur Sicherung von Herrschaft, sei es, um durch die Mobilisierung einer kleinbürgerlichen Masse die politischen und gesellschaftlichen Gegner:innen einzuschüchtern und eine erzreaktionäre politisches Kraft an die Macht zu bringen oder ein bestehendes Regime durch ritualisierten Mord zu festigen. Die sicherlich brutalste und extremste Form stellen dabei Vergewaltigung, Folter und Frauenmord als gezielt eingesetztes Mittel im Krieg und Bürger:innenkrieg dar.

Die Verknüpfung von Feminiziden mit Kapitalinteressen und staatlichen Institutionen erklärt auch, warum zu diesen viel weniger verlässliche Zahlen vorliegen. Die Veröffentlichung von Berichten und Zahlen ist selbst oft erst das Resultat von Kämpfen und durch Bewegungen erzwungene/n öffentliche/n Untersuchungen. Das 2021 erschienene Buch „Feminizide and global accumulation“ dokumentiert exemplarisch wichtige Beispiele und Kämpfe, die auf einer internationalen feministischen Konferenz dargestellt und diskutiert wurden. Dass diese Frauenmorde überhaupt erst ins öffentliche Bewusstsein gelangen, als solche „anerkannt“ werden müssen, verdeutlicht, wie hartnäckig gerade der Feminizid im Interesse von Kapital und reaktionären Kräften politisch tabuisiert wird.

Folgerungen und Programm

Der Kampf gegen Femizide, Feminizide und deren Ursachen stellt eindeutig eine zentrale Aufgabe im Kampf gegen Frauenunterdrückung weltweit dar. Zweifellos bildet dabei der Kampf um die Ächtung dieser Morde, was in vielen Ländern schon mit dem um die öffentliche Anerkennung ihrer Existenz beginnt, einen unerlässlichen Ausgangspunkt. Femizide, ihr Ausmaß und ihre Ursachen dürfen nicht nur nicht relativiert oder weggeredet werden, sie müssen vielmehr in ihrer gesamten Dimension oft überhaupt erst ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und das heißt vor allem auch der Arbeiter:innenklasse gerückt werden. Damit verbunden stellt auch der Kampf um die effektive Verfolgung dieser Straftaten einen wichtigen Bezugspunkt dar.

Vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse geht es dabei jedoch nicht um möglichst drakonische Strafsysteme, wohl aber darum, dass Täter nicht straflos davonkommen dürfen oder bei sexistischer und rassistischer Polizei und Gerichten recht milde Behandlung finden. Daher treten wir dafür ein, dass Untersuchungen von Femiziden unter Kontrolle von Frauenorganisation durchgeführt, Richter:innen von Frauen, also potentiellen Opfern, gewählt werden und mindestens die Hälfte aus Frauen besteht. Zugleich muss sichergestellt werden, dass vor allem Frauen aus der Arbeiter:innenklasse, der Bauern-/Bäuerinnenschaft, von rassistisch und national Unterdrückten voll repräsentiert sind.

Nicht weniger wichtig ist der Schutz möglicher Opfer und die Prävention. Dazu gehören dringende Sofortmaßnahmen wie der massive Ausbau von möglichen Schutz- und Rückzugsräumen für Frauen, deren Kinder und für geschlechtlich Unterdrückte, also Bau und Errichtung von Frauenhäusern, die vom Staat finanziert und unter Kontrolle von Frauenorganisationen selbstverwaltet betrieben werden.

Diese Forderungen dienen letztlich den Frauen aller Klassen, vor allem aber natürlich jenen aus der Arbeiter:innenklasse und der Bauern-/Bäuerinnenschaft.

Der Kampf gegen Femizide muss darüber hinaus aber auch mit dem zur Sicherung der Reproduktion der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückter, von Indigenen oder Minderheiten gemeinsam mit letzteren verbunden werden. Die zunehmende Verarmung und Verelendung breiter Schichten, die Ausbreitung von Arbeitsbedingungen und Löhnen, die die Existenz immer weniger sichern, bedeuten, dass der Kampf gegen Femizide wie überhaupt gegen jede Form der häuslichen Gewalt eng verbunden werden muss mit dem gegen Armutslöhne, informelle und Kontraktarbeit, Tagelöhnerei und die Zerschlagung sozialer Sicherungssysteme. Daher fordern wir Mindestlöhne, die die Existenz sichern und an die Inflation angepasst werden; die Abschaffung aller informellen und prekären Beschäftigung und ihre Umwandlung in tariflich gesicherte, von den Gewerkschaften und Arbeiter:innenkomitees kontrollierte; Arbeitslosen-, Krankengeld und Renten in der Höhe des Mindestlohns; ein Programm öffentlicher, gesellschaftlich nützlicher Arbeiten, das den massiven Ausbau von Kitas, Schulen, öffentlichen Betreuungseinrichtungen, Krankenhäusern, der Altenpflege, von Kantinen und anderen Einrichtungen zur Vergesellschaftung der Hausarbeit inkludiert.

Diese Forderungen richten sich gegen das Kapital als Klasse und stehen grundsätzlich im Interesse aller Unterdrückten, unabhängig von ihrem Geschlecht. Dennoch wäre es mechanisch und naiv, dass die proletarischen Männer in ihre Gesamtheit automatisch auf ihre Privilegien verzichten oder sexistische Verhaltens- und Denkweisen, die eng mit ihrer Geschlechterrolle verbunden sind, ablegen würden. Die proletarischen Frauen müssen daher das Recht haben, innerhalb der Arbeiter:innenbewegung eigene Treffen zu organisieren, um den Kampf voranzutreiben und männlichen Chauvinismus zu bekämpfen. Sie müssen eine proletarische Frauenbewegung um diese Kämpfe aufbauen, um so Rückständigkeit und Chauvinismus zu bekämpfen, aber auch die Führung im Kampf um die Befreiung der Frauen aller unterdrückten Schichten einzunehmen.

Diese vier Punkte bezogen sich vor allem auf den Kampf gegen intime und verwandtschaftliche Femizide und ihre gesellschaftlichen Ursachen. Wie wir gerade aus den beiden letzten Kapiteln ersehen, sind sie eng mit dem Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung verbunden. Dies trifft ebenso auf den Kampf gegen Feminizide im Herrschaft- und Kapitalinteresse zu.

Da hier die Auftraggeber der Morde oft auch ökonomische Interessen verfolgen (Ausbeutung bestimmter Arbeitskräfte, gewaltsame Aneignung von Ressourcen wie Grund und Boden) steht der Kampf auch hier im engen Zusammenhang mit der Frage nach Kontrolle ökonomischer Ressourcen und des Eigentums.

Während die Täter beim Frauenmord in familiärem oder partnerschaftlichem Kontext einzelne Individuen oder kleine Gruppen sind, repräsentieren sie bei der zweiten Form der Feminizide eine gesellschaftliche Kraft, in deren Interesse sie agieren – z. B. eine bestimmte Sorte von Unternehmen, eine reaktionäre Bewegung. Um solchen Kräften entgegentreten zu können, bedarf es einer organisierten, von Massen oder Massenorganisationen getragenen Selbstverteidigung, letztlich des Aufbaus von bewaffneten Milizen der Arbeiter:innen und Unterdrückten.

Die Verhinderung des Feminizids erfordert den Aufbau von Organen der Gegenmacht – und wirft somit die Machtfrage selbst auf. Dies betrifft letztlich auch die Frage der Sicherung der Reproduktionsbedingungen der Gesamtklasse wie der Enteignung von Kapital oder großer, illegaler Geschäftemacher, die systematisch in Frauenmorde verwickelt sind. Um die Verelendung der Klasse zu verhindern, können Reformen im Interesse der Arbeiter:innenklasse nur eine vorübergehende Besserung schaffen. Um Banden der Großgrundbesitzer, rechtspopulistischer oder protofaschistischer Kräfte des Handwerk zu legen, müssen wir Mittel des Klassenkampfes einsetzen, die notwendigerweise die Machtfrage aufwerfen. Einmal mehr zeigt sich, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung in all ihren Formen untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.




Frauen und Afghanistan: Widerstand gegen Islamismus und Imperialismus

Martin Suchanek (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland)

Die Niederlage und der schmachvolle Abzug der imperialistischen Besatzungstruppen in Afghanistan haben die Taliban wieder an die Macht gebracht. Die Niederlage der USA, der NATO und ihrer Verbündeten wie der Bundesrepublik offenbarte nicht nur den reaktionären Charakter dieser Herrschaft – sie offenbarten zugleich auch, dass es sich bei deren angeblichen Fortschritten weitgehend um Fiktionen handelte. Das Regime Ghani verfügte im eigenen Land über keine wirkliche Machtbasis. Die imperialistische Besatzung, die weitere 20 Jahre Bürger:innenkrieg brachte und Zehntausenden Menschen durch US- und NATO-Bombardements das Leben kostete, stützte sich im Wesentlichen auf Besatzungstruppen, einen korrupten Staatsapparat und eine Allianz mit reaktionären Eliten und Warlords.

Kein Wunder, dass diese Herrschaft von der Masse der Afghan:innen, insbesondere der ländlichen Bevölkerung immer als das empfunden wurde, war sie war: ein Besatzungsregime.

Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich die Lage jedoch längst nicht stabilisiert. Unter US-Herrschaft wurde die Wirtschaft des Landes im Wesentlichen von westlichen Geldgeber:innen am Leben gehalten. Den einzigen profitablen Exportsektor des Landes stellte der formell illegale, faktisch jedoch immer tolerierte Drogenhandel dar. Dessen Profite eigneten sich natürlich nicht die Bauern/Bäuerinnen und Landarbeiter:innen auf den Mohnfeldern, sondern Mittelsmänner und Warlords an.

Nachdem die westlichen Besatzer:innen zum Abzug gezwungen worden waren, überließen sie das Land den Taliban. Die Geld- und Devisenreserven des Landes beschlagnahmten jedoch die USA, um so ein Milliarden US-Dollar schweres Druckmittel gegenüber dem neuen Regime zu behalten und dieses ökonomisch zu destabilisieren, nachdem sie die Kontrolle über das Land verloren hatten.

Damit trägt der westliche Imperialismus selbst bis heute wesentlich zum faktischen Zusammenbruch der afghanischen Wirtschaft bei und zu einer humanitären Katastrophe, die für Hundertausende, ja Millionen Afghan:innen eine tödliche Gefahr darstellt und sie mit dem Hungertod oder Erfrieren bedroht. Mit der Wirtschaft und der Versorgung lebensnotwendiger Güter brach zugleich das Gesundheitssystem zusammen. Millionen sind zur Flucht in die Nachbarländer gezwungen, vor allem nach Pakistan und in den Iran.

Dabei könnten die USA und ihre Verbündeten, die für die gesamte Katastrophe wesentlich verantwortlich sind, durch die Freigabe von Milliarden US-Dollar die Hungersnot und den Mangel an lebenswichtigen Gütern seit Monaten lindern. Für sie sind Millionen afghanische Arbeiter:innen, Bauern/Bäuerinnen und selbst die Mittelschichten jedoch nur Marionetten, deren Leben nichts zählt, wenn es um geostrategisches Kleingeld geht und darum, den Taliban Zugeständnisse bei der Neuordnung des Landes abzuringen. Auch China und Russland halten sich, wie nicht anders zu erwarten, mit humanitärer Hilfe vornehm zurück. Millionen Afghan:innen werden so in die Flucht getrieben, sei es im eigenen Land, sei es in Nachbarländer wie Pakistan oder den Iran. Der Westen nimmt allenfalls einige Tausend ehemalige Beschäftigte der Besatzungsarmeen auf – und selbst diese werden zumeist im Stich gelassen. Für die Masse der Afghan:innen gibt es keinen Weg nach Europa oder in die USA. Und wer es dennoch schaffen sollte, dem/r droht die Abschiebung.

Die ökonomische Krise bedeutet jedoch, dass die Taliban bis heute ihre Herrschaft im Land nicht vollständig etablieren und durchsetzen konnten. In etlichen Regionen und Provinzen müssen sie sich auf traditionelle Eliten und Strukturen stützen. In manchen wird ihre Macht von noch reaktionäreren islamistischen Kräften herausgefordert, die dem sog. Islamischen Staat politisch-ideologisch nahestehen.

Frauen sind von der ökonomischen Krise besonders hart betroffen, weil sie in der Öffentlichkeit weniger bewegen und bis auf wenige Bereiche faktisch von der Lohnarbeit ausgeschlossen sind.

Unterdrückung und Widerstand

Doch viele Frauen sind selbst unter der Herrschaft der Taliban nicht bereit, sich als Opfer widerstandslos zu fügen. Im Gegenteil. Sie widersetzen sich unter diesen Bedingungen und trotz zügelloser Repression, die das eigene Leben kosten kann. Proteste ohne Genehmigung der Regierung werden verboten und Journalist:innen festgenommen, von denen viele schwer verprügelt wurden, sodass sie ins Krankenhaus mussten. Und dies sind nur einige gut dokumentierte Fälle der Repression.

Die Taliban behaupten zwar, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen, aber alle, mit Ausnahme derjenigen im öffentlichen Gesundheitswesen, wurden aufgefordert, nicht zu arbeiten, bis sich die Sicherheitslage verbessert habe. Die gleiche Ausrede wurde in den 1990er Jahren benutzt, um Frauen von der Teilnahme am öffentlichen Leben fernzuhalten. Außerdem haben die Taliban den Frauen erneut eine strenge reaktionäre Kleiderordnung auferlegt, die das Tragen von Kopfbedeckungen und Gesichtsschleiern wie Hidschab und Niqab vorschreibt. Weiterführende Schulen für Mädchen wurden geschlossen. Längere Wege dürfen nur in männlicher Begleitung zurückgelegt werden.

Als Reaktion auf die zunehmende Zahl von Protesten haben die Taliban erklärt, dass Demonstrantinnen nicht nur eine Genehmigung des Justizministeriums einholen, sondern die Sicherheitsdienste auch Ort und Zeit des Protests und sogar die Verwendung von Transparenten und Slogans genehmigen müssen.

Frauen, die gegen die Talibanherrschaft protestieren, wurden angehalten, mit Peitschen geschlagen und mit Elektrostöcken geprügelt. Mit scharfen Salven, die angeblich über Menschenmengen in die Luft geschossen wurden, sind bereits im September 2021 drei Menschen getötet worden. Die Frauen wurden nicht nur mit Namen beschimpft, deren Wiederholung sie als beschämend empfinden, sondern es wurde ihnen auch gesagt, sie sollten nach Hause gehen, weil dies „ihr Platz“ sei. Dennoch protestieren die Frauen weiter, und zwar nicht nur gegen die Taliban, sondern oft auch gegen ihre Familien.

Bisher wurden die meisten Proteste von jungen Frauen und auch Männern angeführt, die vor allem aus der Mittelschicht stammen und beschäftigt sind/waren. Sie zeigen, wie sich die Urbanisierung unter der imperialistischen Besatzung auf Afghanistan ausgewirkt hat. Die 20 Jahre der Besatzung und des Krieges haben es einem Teil der jungen Afghan:innen ermöglicht, das Leben in den Städten mit gewissen Freiheiten zu erleben. Für sie würde die Herrschaft der Taliban bedeuten, dass sie in eine Gesellschaft gezwungen werden, die sie nie gekannt haben und in der sie die begrenzten „Privilegien“ verlieren, zu arbeiten und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Insbesondere junge Frauen, die in den Städten aufgewachsen sind, sind dazu nicht bereit.

Dies wurde von Mitgliedern der Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA) bei einer Protestaktion in Balkh (Balch; Nordafghanistan) am 6. September mit Plakaten deutlich zum Ausdruck gebracht: „Wir gehen nicht zurück!“ und „Frauen werden nicht zurückgehen!“

Trotz Repression gingen die Proteste in den letzten Monaten weiter. So organisierten Frauen in mehreren Städten öffentliche Proteste am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, und am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte mit Losungen wie: „Fundamentalism + Imperialism = Barbarism!“ Auch gegen die im Dezember beschlossene Einschränkung der Bewegungsfreiheit gingen Frauen in Kabul auf die Straße.

In der Erklärung der RAWA zur Machtübernahme durch die Taliban wurde ihr Standpunkt klar und deutlich dargelegt: „In den letzten 20 Jahren war eine unserer Forderungen ein Ende der US/NATO-Besatzung und noch besser wäre es, wenn sie ihre islamischen Fundamentalisten und Technokrat:innen mitnehmen und unser Volk selbst über sein Schicksal entscheiden lassen würden. Diese Besatzung hat nur zu Blutvergießen, Zerstörung und Chaos geführt. Sie haben unser Land in den korruptesten, unsichersten, von Drogenmafiastrukturen durchsetzten und gefährlichsten Ort verwandelt, vor allem für Frauen.“

Dies unterstreicht den progressiven Charakter der Demonstrationen. Im Moment mag es ihnen an starker, landesweiter Unterstützung fehlen, aber zwei Faktoren könnten das drastisch ändern. Erstens: Die Abwertung der afghanischen Währung und die steigende Inflation führen dazu, dass die meisten AfghanInnen darum kämpfen, überhaupt Brot auf den Tisch bringen können, was die Aufrechterhaltung der Ordnung von Tag zu Tag schwieriger macht. Zweitens nehmen die Angriffe auf die demokratischen Freiheiten in dem Maße zu, in dem die Taliban mehr Kontrolle über das Land erlangen. Das führt dazu, dass immer mehr Schichten der Gesellschaft in den Widerstand gezogen werden, wodurch Raum für den Klassenkampf geschaffen wird, der das derzeitige reaktionäre Regime wirksam stürzen kann.

Kontrolle

Da es unter der Herrschaft der Taliban zu Protesten kommen konnte, zeigt sich auch, dass sie das Land noch nicht vollständig unter Kontrolle haben. Ihre Verbote werden trotz strenger Repressionen weiterhin missachtet. Infolgedessen organisierten die Taliban eigene Gegenproteste, bei denen verschleierte Frauen in Universitäten Talibanfahnen trugen, um deren Herrschaft zu verteidigen. Dies zeigt, dass die neuen Herren zumindest derzeit nicht mehr so regieren können wie in den 1990er Jahren. Diese inszenierten Gegenproteste sind ein Versuch, eine soziale Rechtfertigung für die Durchsetzung der Reaktion zu schaffen, anstatt einfach jede Opposition mit brutaler Gewalt zu unterdrücken.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Loyalität der lokalen Warlords. Sie mögen die Talibanherrschaft vorerst akzeptiert haben, aber solche Loyalitäten werden sich in Zeiten widerstreitender Interessen ändern. Auch die Kämpfe innerhalb der Talibanfraktionen sollten nicht außer Acht gelassen werden. Das Ausmaß, in dem diese Faktoren ihre Herrschaft schwächen und destabilisieren könnten, hängt weitgehend von der Rolle Chinas ab. Der chinesische Imperialismus hegt mit seiner „Neuen Seidenstraße“-Initiative ein eigenes Interesse daran, die Beziehungen zu den Taliban aufrechtzuerhalten. Der Rückzug der USA ermöglicht es ihm, zu einem noch mächtigeren Akteur in der Region zu geraten.

Die Liga für die Fünfte Internationale erklärt sich uneingeschränkt solidarisch mit der entstehenden Frauenbewegung in Afghanistan. Diese aufkeimende Bewegung ist derzeit noch fragmentiert und schwach und trägt einen klassenübergreifenden Charakter mit der unbestreitbaren Präsenz einiger proimperialistischer und Mittel- und Oberschichtelemente. Dennoch bietet sie Hoffnung für die Millionen kriegsgeschüttelter Afghan:innen, die der imperialen Besatzung überdrüssig sind, aber auch die Politik der ehemaligen Ghaniregierung und die Reaktion der Taliban ablehnen. In einem Land, in dem 80 Prozent der Bevölkerung arbeitslos oder unterbeschäftigt sind, ist eine solche Bewegung das Gebot der Stunde.

Revolutionär:innen in Afghanistan müssen diese Bewegung aufbauen und ihre fortgeschrittensten und bewusstesten Schichten für das Programm der permanenten Revolution gewinnen. Im Kampf für demokratische Grundfreiheiten wie das Recht auf Arbeit und Sozialleistungen für Frauen treten wir für den Aufbau von Organisation der Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen ein, die nicht nur die Taliban besiegen, sondern auch diese Rechte garantieren können und um die Macht kämpfen.

Die afghanischen Revolutionär:innen müssen sich auf der Grundlage eines revolutionären Programms organisieren, das keine Illusionen in eine imperialistische Macht, seien es die USA, China oder Russland, schürt. Dies wird entscheidend sein für die Intervention bei den aktuellen Protesten oder bei künftigen Bewegungen in dem Land. Die wirklichen Verbündeten der Arbeiter:innen, der armen Bauern und Bäuerinnen, der Frauen und der nationalen Minderheiten sind nicht die imperialistischen Mächte.

Es sind die Arbeiter:innen Pakistans, Irans, Turkmenistans, Tadschikistans, Usbekistans und Chinas, die in ihren jeweiligen Ländern für die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge kämpfen müssen. Es sind die britischen, amerikanischen, deutschen und französischen Lohnabhängigen, die sich nicht nur für die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge einsetzen müssen, sondern auch dafür, dass ihre Regierungen keine Sanktionen gegen Afghanistan verhängen und Reparationen für den Wiederaufbau des Landes zahlen.

Die Arbeiter:innen in der ganzen Welt müssen ihre Solidarität mit unseren afghanischen Brüdern und Schwestern, die schon viel zu lange unter dem Krieg leiden, in Aktionen organisieren. Es lebe die internationale Solidarität! Lang lebe der Kampf gegen die Taliban und den Imperialismus in Afghanistan!




Vom Frauenstreik zur Internationale?

Leonie Schmidt (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland)

In den letzten Jahren haben die weltweiten Krisen immer mehr zugenommen, seien es Wirtschaftskrise, Pandemie, Umweltzerstörung oder aber (drohende) Kriege. Ursache: der Kapitalismus. Die Kosten und Konsequenzen werden natürlich auf den Rücken der Arbeiter_Innenklasse ausgetragen. Zusätzlich dazu kommen rechtskonservative Kräfte in vielen Ländern an die Regierung oder rechte Bewegungen erlangen mehr Relevanz. Oftmals wollen diese Kräfte traditionelle, reaktionäre Rollenbilder vertreten und das Kapital stärken.

Die Wirtschaftskrise 2007/08 hat bereits für einen Rollback gegen Frauen gesorgt, aber die Corona-Krise hat diesen zusätzlich verstärkt: erstens aufgrund einer neuen Wirtschaftskrise, welche durch die zugespitzte Lage katalysiert wurde; zweitens durch die Lockdowns, welche häusliche Gewalt verstärkten, sowie die Überlastung der Pflege, in welcher ebenfalls mehrheitlich Frauen beschäftigt sind.

Doch dieser Rollback stieß auch auf massenhaften Widerstand. In den letzten Jahren erlebten wir einige große Frauenstreiks am 8. März, dem Frauenkampftag, die sich auch international formierten und Millionen Menschen auf die Straße brachten. Diese begannen 2016 erstmalig in Lateinamerika im Rahmen der ursprünglich argentinischen Bewegung #Ni Una Menos (Nicht eine mehr), welche sich vor allem auf die vielzähligen Femizide bezog, und breiteten sich bis 2019 weltweit aus. So gingen am 8. März 2018 in über 177 Ländern Menschen für die Rechte der Frauen auf die Straße. Allein in Spanien streikten 2018 und 2019 6 Millionen Frauen gegen sexuelle Gewalt, für gleiche Löhne und das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. In der Türkei demonstrierten mehrere Tausende trotz der großen Repression seitens des Erdogan-Regimes. In Pakistan beteiligten sich am Aurat-Marsch in den größeren Städten wie Lahore, Karatschi, Hyderabad und Islamabad ebenfalls Tausende an den Aufmärschen. In der Schweiz waren im Juni 2019 500.000 Personen auf der Straße. Im Dezember 2019 fingen vornehmlich Hausfrauen in Indien an zu streiken. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große Proteste: Ob nun im Rahmen des Women’s March in den USA oder des „schwarzen“ Protests gegen das Verbot von Abtreibungen in Polen – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre Rechte.

In den Pandemiejahren 2020 und 2021 gingen die Proteste vor allem in den imperialistischen Ländern zurück, während sie in den Halbkolonien weiterhin auf die Straße getragen wurden. Ein weiteres Aufkeimen der feministischen Proteste in dieser Zeit konnte vor allem um spezifische Vorfälle und Forderungen beobachtet werden wie bspw. den Mord an Sarah Everard in England im Frühjahr 2021, im Rahmen der Abtreibungsproteste gegen die polnische Regierung und ihre Verbote oder die Anti-Taliban-Proteste und deren frauenfeindliche Politik in Afghanistan. Trotz ihrer enormen Mobilisierungskraft hat es die Frauen*streikbewegung jedoch bisher nicht geschafft, ihre Vernetzung international zu vertiefen und während der Pandemie aufrechtzuerhalten. Sie steht selbst an einem politischen Wendepunkt.

Dennoch ist es natürlich wichtig, dass das Mittel des politischen Streikes wieder etwas in den Vordergrund gerückt, Forderungen verbreitet und Erfahrungen im Kampf gesammelt werden konnten. Die Frauen*streikbewegung hätte allerdings insbesondere im Kampf gegen Pandemie und erneute Finanzkrise eine relevantere Rolle spielen können. Im Rahmen der Rollbacks gegen die körperliche Selbstbestimmung haben sich aber u. a. in Polen größere Bewegungen etabliert, die weiterhin relevant bleiben. Das mangelnde Recht auf Abtreibung stellt nach wie vor ein internationales Problem dar und ist in den USA auch ein Thema, was zurzeit zu Protesten mit tausenden Teilnehmer_Innen und viel Widerstand führt.

Was brauchen wir?

Für eine internationale, erfolgreiche Frauenbewegung müssen wir anerkennen, dass der Kampf um Frauenbefreiung (und die Befreiung anderer geschlechtlich Unterdrückter) eng mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft sein muss, denn die Frauenunterdrückung wurzelt in der Klassengesellschaft und ihre materiellen Ursachen müssen abgeschafft werden, um diese selber vollständig verschwinden zu lassen.

Einen Fokus stellt dabei die Reproduktionsarbeit in der Arbeiter_Innenfamilie dar, in welcher die Ware Arbeitskraft (re)produziert wird, also durch Hausarbeit, Erziehung, Care-Arbeit etc., die wichtig für den Fortbestand des Kapitalismus ist und vornehmlich von Frauen ausgeführt wird. Es ist dabei wesentlich, deren Vergesellschaftung und gleiche Verteilung auf alle selbst als Teil des Klassenkampfes zu begreifen, als Kampf der gesamten Arbeiter_Innenklasse.

Entgegen den bürgerlichen Vorstellungen einer alle Klassen umfassenden Frauenbewegung muss berücksichtigt werden, dass es auch unter Frauen gegensätzliche Klasseninteressen gibt und in dieser Bewegung nicht einfach „ausgeglichen“ werden können. So verfolgen Frauen des (höheren) Kleinbürgertums und der Bourgeoisie andere Interessen, wie bspw. Frauenquoten und Plätze in der Chefetage, während das für proletarische Frauen nicht relevant ist. Während letztere um existenzsichernde und gleiche Löhne kämpfen müssen, wollen bürgerliche „Schwestern“ und jene aus den gehobenen Mittelklassen diese möglichst gering halten, um die Profite und Einkommen ihrer eigenen Klasse zu sichern.

Ähnlich wie kleinbürgerliche Ideologien erkennen sie den engen Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung nicht, von der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ganz zu schweigen. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen (Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus … ) die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen Formen des radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ privilegierte Stellung als Kleineigentümer_Innen oder Akademiker_Innen (Bildungsbürger_Innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen widerspiegelt. Dementsprechend ist eine klare antikapitalistische Ausrichtung relevant sowie die Verknüpfung von Kämpfen der Frauenbewegung und der Arbeiter_Innenklasse.

Angesichts des globalen Rechtsrucks ist es dabei unbedingt notwendig, sich als ersten Schritt auf gemeinsame Forderungen für den koordinierten globalen Kampf zu einigen. Dafür schlagen wir folgende Eckpunkte vor:

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!

Auch wenn gefeiert worden ist, dass nun fast überall auf der Welt Frauen wählen dürfen, haben sie vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische Teilhabe. Ein Verbot, arbeiten zu gehen oder dies nur von zuhause aus tun zu können, bedeutet vollkommene ökonomische Abhängigkeit von Partner oder Familie. Dort, wo diese Frauen nicht organisiert sind, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, sie für unsere Reihen zu gewinnen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, dass auch sie Teil der Arbeiter_Innenklasse sind.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während Reaktionär_Innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zum Mann.

3. Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner_Innen: Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass sie selbstständig entscheiden können, was sie anziehen dürfen oder ob sie schwanger werden oder bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder Femizide: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig!

Dabei ist herauszustellen, dass dies ein internationales Problem verkörpert und nicht auf bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär_Innen behaupten. Es ist vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Basis und politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und Einfluss gewinnen.

Doch essentiell ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees aufzuwerfen, die in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung und den Unterdrückten stehen. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass Frauen nicht passive Opfer bleiben sollen, sondern man ihnen die Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees für Marxist_Innen wichtig, weil wir nicht auf Polizei oder Militär als verlässliche Verbündete setzen können. Diese stehen oft vielmehr auf der Seite der Täter oder sind selbst welche. Außerdem schaffen Selbstverteidigungsstrukturen ein Gegengewicht gegen ihr Gewaltmonopol und das des bürgerlichen Staates allgemein.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Dies ist eine essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung – und mit ihr die Stereotype beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung), nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Diese kann dann beispielsweise in großen Wohneinheiten, Kantinen oder Waschküchen erfolgen.

Vom Frauen*streik zur proletarischen Frauenbewegung!

Diese Frauenbewegung muss multiethnisch und international sein, da das Patriarchat und der Kapitalismus ein weltweites System darstellen und es in den vorherrschenden kleinbürgerlich geprägten Feminismen oftmals nur um „die westliche, weiße cis-Frau“ geht. Es ist wichtig, dass eben auch die Belange von Frauen aus halbkolonialen Ländern oder rassistisch Unterdrücken in imperialistischen Staaten ins Zentrum gerückt werden, weil sie unter besonders heftigen Formen der Ausbeutung leiden und, global betrachtet, den größten Teil der proletarischen Frauen ausmachen.

Des Weiteren darf es sich nicht nur um einen losen Zusammenschluss handeln, da dessen Mobilisierungspotential zeitlich ebenso wie in der Schlagkraft begrenzt ist, wenn es sich nur um unkoordinierte lokale bzw. nationale Aktionen handelt.

Die Frauenbewegung steht dann letzten Endes vor zwei Aufgaben:

Erstens, sich als globale, organisierte Bewegung um gemeinsame Ziele, verbindliche Aktionen und Kampagnen zu koordinieren. Dazu müssen gemeinsame Bezugspunkte wie die obigen Forderungen gefunden, aber auch gemeinsame Kämpfe verschiedener Strömungen geführt werden bspw. mit der Organisierung und den Streiks in der Pflege, der Umweltbewegung oder der gegen Rassismus. Beispielsweise könnte gerade der gemeinsame Kampf mit Pflegekräften und betroffenen Frauen im Rahmen der Abtreibungsproteste relevant werden. Diese Forderungen müssen in die Bereiche unseres alltäglichen Lebens getragen werden wie Schule, Uni und Arbeit. Hier müssen wir uns dafür einsetzen, dass darüber nicht nur geredet wird, sondern auch konkrete Errungenschaften damit einhergehen. Dafür müssen Aktions- und Streikkomitees aufgebaut werden. Mit diesen alltäglichen Forderungen wie bspw. Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist es revolutionäre Frauen möglich, einen gemeinsamen Kampf auch mit Reformist_innen oder kleinbürgerlichen Feminist_innen führen.

Entscheidend ist jedoch, welche Klasse einer solchen Bewegung ihren Stempel aufdrückt. Oben genannte Forderungen können dabei die Grundlage für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung bilden, in der Revolutionär_innen um politische Hegemonie und Führung kämpfen.

Eng damit verbunden damit ist eine zweite Aufgabe, nämlich für eine Internationale zu werben und die Notwendigkeit dieser Organisierungsform aufzuzeigen. Eine Bewegung braucht nicht nur gemeinsame Forderungen, sondern auch eine Führung und klare klassenpolitische Ausrichtung, um erfolgreich zu sein. Wohin lose, wenngleich dynamische Bewegungen führen, können wir an verschiedensten Kämpfen sehen: seien es der Arabische Frühling, Fridays for Future oder auch die Frauen*streikbewegung. Die Dominanz bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder reformistischer Kräfte hat diese Bewegungen selbst in eine Krise oder gar zum Scheitern geführt.

Revolutionäre Frauen stehen daher nicht „nur“ vor der Aufgabe, in den Frauen*streiks und anderen Foren und Kämpfen um eine klassenpolitische Ausrichtung zu ringen. Auch unter jenen Kräften, die die Notwendigkeit einer internationalen, ja selbst einer proletarischen Frauenbewegung anerkennen, müssen wir zu Konferenzen aufrufen, um zu gemeinsamen Forderungen und international koordinierten Aktionen zu kommen. Dazu müssen wir auch reformistische Organisationen wie Linkspartei, DGB-Gewerkschaften oder selbst die SPD sowie feministische Gruppierungen und Kampagnen aufrufen, um so vor allem deren Basis in die Aktion zu ziehen, gemeinsame Kämpfe zu führen und zugleich praktisch die Fehler der reformistischen Führung offenzulegen. So kann nicht nur die aktuelle Schwäche der Frauen*streikbewegung überwunden werden.

Die gemeinsame Aktion und der Kampf für eine internationale Frauenbewegung erfordern auch ein internationales Programm und den Kampf für eine neue Arbeiter_Inneninternationale. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Frauenunterdrückung selbst untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden ist, also nur durch den Sturz dessen wirklich beseitigt werden kann. Daher ist der Kampf für eine proletarische Frauenbewegung untrennbar mit dem für eine revolutionäre, Fünfte Internationale verbunden.




Frauen – Verliererinnen der Pandemie

Lucretia Ramunkel (REVOLUTION, Österreich)/Katharina Wagner (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland)

Seit Beginn der Pandemie hat sich einiges geändert, vor allem für Frauen und zwar nicht zum Besseren.

Die globale Wirtschaftskrise, die sich auch schon vor der Pandemie abzeichnete, wurde durch sie deutlich verstärkt und synchronisiert. Auch wenn in den imperialistischen Nationen deren Auswirkungen teilweise mithilfe von Konjunkturpaketen, Kurzarbeiter:innengeld oder Corona-Hilfen abgefedert werden konnten, so sieht es in halbkolonialen Ländern deutlich anders aus. In allen Ländern führten die Maßnahmen zur massiven Zunahme der Verschuldung. Gleichzeitig ging die Entwicklung mit einer Zuspitzung der innerimperialistischen Konflikte einher.

Die Pandemie hat in vielerlei Hinsicht das Leben für geschlechtlich unterdrückte Personen verschlechtert, etwa durch den Verlust von Verdienstmöglichkeiten, den Anstieg an sexueller Gewalt und die erhöhte Belastung durch die Sorgearbeit, um nur einige zu nennen.

Arbeitslosigkeit und Einkommen

Schon ein Blick auf die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Einkommen verdeutlicht, wie viel stärker Frauen von Krise und Pandemie betroffen sind. Einem UN-Bericht aus dem Jahr 2021 (https://www.un.org/depts/german/millennium/SDG%20Bericht%202021.pdf) zufolge stiegen 2020 die Arbeitslosenzahlen um 33 Millionen auf 220 Millionen. Weitere 81 Millionen schieden aus dem Arbeitsmarkt aus. 5 % aller beschäftigten Frauen verloren ihren Arbeitsplatz (gegenüber 3,9 % der Männer).

Die Einbußen konnten teils in imperialistischen Nationen durch Kurzarbeiter:innengeld abgemildert und somit einige Entlassungen auch verhindert werden. Jedoch sieht das für den globalen Süden anders aus. So verloren in Indien 47 % aller Frauen während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 ihre Jobs (während nur 7 % der männlichen Arbeitskräfte dasselbe Schicksal teilen) (Quelle: https://www.thehindu.com/news/national/tamil-nadu/more-women-lost-jobs-in-the-pandemic-in-india-compared-to-men-says-expert/article38417389.ece).

In vielen Ländern haben die Menschen keinen Zugang zu staatlichen Hilfen. Frauen sind auch überdurchschnittlich häufig von Entlassungen betroffen, da ein großer Teil im sogenannten informellen Sektor tätig ist. Das bedeutet, sie haben keinerlei Anspruch auf Entlohnung im Falle von Krankheit oder dem Verlust ihres Jobs. So arbeiten z. B. im südlichen Afrika rund 92 % aller weiblichen Erwerbstätigen ohne jegliche Absicherungsmaßnahmen wie Kündigungsschutz oder Lohnfortzahlung bei Krankheit.

Ökonomische Folgen

Ungleiche Bezahlung der Geschlechter ist kein Symptom der Pandemie. Jedoch wird der Einkommensunterschied durch diese vergrößert und damit die ökonomische Abhängigkeit in Partnerschaften. Frauen sind vor allem in Sektoren überrepräsentiert, die besonders hart von der Pandemie getroffen wurden und traditionell schlechter bezahlt werden: Gastgewerbe, Einzelhandel, Tourismusbranche. Außerdem sind sie im sogenannten informellen Sektor und in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig. So haben sie in informellen Beschäftigungsverhältnissen während des ersten Monats der Pandemie 70 % ihres Einkommens verloren. Zudem kommt, dass viele Frauen teilzeit- oder in Mini-Jobs beschäftigt sind, da sie sich um den Haushalt und die Kinder kümmern müssen. Selbst wenn man das Glück hat, in einem Land zu leben, das die Einkommensausfälle abmildert, so haben viele Frauen keinen Anspruch auf Gelder oder bekommen sehr viel weniger als Männer. So hat in Deutschland beispielsweise nur jemand Anrecht auf Kurzarbeiter:innengeld, der/die in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, was bei Leuten nicht zutrifft, die im informellen Sektor arbeiten. In Europa sind mehr als 30 % der Frauen teilzeitbeschäftigt, was bedeutet, dass sie weniger Arbeit„nehmer“:innenrechte, Gesundheitsschutz und Zugang zu grundlegenden Leistungen genießen.

Auch Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen wirken sich negativ auf das Einkommen von Frauen aus. Die Gesellschaft, die auf einer traditionellen Rollenverteilung beruht und Politik für die klassische Kernfamilie macht, bringt eine massive Mehrbelastung für die Frau während der Pandemie mit sich. So sind es Frauen, die vor allem die Kinderbetreuung, das Homeschooling und die Haushaltstätigkeiten während der Ausgangsbeschränkungen übernommen haben. Die Mehrbelastung durch die Sorgearbeit führte in vielen Fällen dazu, dass es ihnen nicht mehr möglich war, ihrer Lohnarbeit in vollem Umfang nachzugehen. Auf Grund der geringeren Lohnarbeitszeit und Sozialleistungen, die auf das Kernfamilienmodell ausgelegt sind, sind überdurchschnittlich häufig Frauen von Altersarmut bedroht.

Kein Wunder also, dass die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern während der Pandemie weiter massiv zugenommen haben. Laut WEF (Weltwirtschaftsforum) verdienen Frauen weltweit durchschnittlich nur 68 % dessen, was Männer für dieselbe Arbeit erhalten würden. In Ländern mit der geringsten Kaufkraftparität sind es sogar nur 40 %. Und auch hier hat die Pandemie die Situation für Frauen deutlich verschlechtert. Erste Untersuchungen deuten bereits darauf hin, dass das Lohn- und Gehaltsgefälle sich im Zuge der Pandemie um 5 % vergrößert hat.

Gesundheitsbereich und Care-Arbeit

Auch wenn Frauen ihre Erwerbsarbeit nicht verlieren, ist das ein zweifelhaftes Glück. Bekanntlich stellt der Sozial- und Pflegebereich einen wichtigen Beschäftigungssektor für Frauen dar. Weltweit stellen sie etwa 70 % des Personals in diesen Bereichen. Da sie es meistens sind, die sich bezahlt oder unbezahlt um Kranke und Pflegebedürftige kümmern, sind sie dem Virus stärker ausgesetzt. Die Mängel, die schon vor der Pandemie im Pflegebereich sichtbar waren, haben sich durch ihr Andauern und die unzureichende Zuwendung seitens der Politik massiv verschärft. Die schlechte Bezahlung im Pflegebereich und die fehlende Anerkennung hatte auch schon vor der Pandemie einen Fachkräftemangel nach sich gezogen. Durch die psychische und physische Belastung, der ständigen Angst vor einer Ansteckung und der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben viele Pflegekräfte in den letzten Pandemiejahren gekündigt. Hinzu kommt die Anfeindung durch Coronaleugner:innen und Impfgegner:innen. So denkt in Deutschland mittlerweile jede 3. Person von den 1,8 Millionen Menschen, die in der Pflege beschäftigt sind, über einen Berufswechsel nach.

Da ein großer Teil der Kapazitäten im Gesundheitsbereich mit der Bekämpfung von Covid-19 ausgelastet ist, ist in vielen Teilen der Welt der Zugang zu reproduktiver medizinischer Versorgung für Frauen noch weiter eingeschränkt. Ein Anstieg der Mütter- und Kindersterblichkeit ist klar zu erkennen. Dies sieht man vor allem in halbkolonialen Ländern. In Bangladesch, Nigeria und Südafrika wurde 2021 ein Anstieg von 30 % bei der Sterblichkeit von Müttern und Neugeborenen verzeichnet. Auch die Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen haben sich vielerorts aufgrund mangelnder Ausstattung und personeller Kapazitäten verringert. Durch Lockdowns sind Angebote dafür wie für Familienplanung deutlich eingeschränkt. Seit Beginn der Pandemie und damit einhergehenden Schließungen von Schulen und Anlaufstellen ist der Zugang zu Aufklärung, Verhütungsmitteln und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen deutlich eingeschränkt. In Gauteng beispielsweise, Südafrikas bevölkerungsreichster Provinz, ist seit Beginn der Pandemie die Anzahl der Kinder, die von jugendlichen Müttern geboren wurden, um 60 % gestiegen.

Gewalt gegen Frauen

Verdienstausfälle und dadurch geschaffene existenzielle Sorgen sowie Quarantäne und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit haben einen massiven Anstieg an häuslicher Gewalt mit sich gebracht. Allein in der EU wurde in den ersten Monaten der Pandemie eine Zunahme von Notrufen wegen häuslicher Gewalt um 60 % registriert. Die ökonomische Abhängigkeit und eingeschränkte Bewegungsfreiheit erschwert es davon Betroffenen, dem zu entkommen. Auch die Angebote von Schutzräumen, welche trotz der Istanbul-Konvention schon vor der Pandemie unzureichend waren, wurden in vielen Ländern eingeschränkt oder ganz gestrichen.

Mit dem Anstieg häuslicher und sexistischer Gewalt geht auch einer an Femiziden einher. In Mexiko beispielsweise wurden 2021 922 Morde an Frauen als Femizid eingestuft. 2020 waren es 893 Frauen. Auch Schulschließungen ziehen drastische Folgen mit sich. Denn das Risiko, dadurch geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu , steigt dramatisch. In Somalia beispielsweise nahm durch die Pandemie die Zahl der weiblichen Genitalverstümmelungen um 31 % zu(Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen) erlitten haben.

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Die Ursachen für all diese Verschlechterungen müssen im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung betrachtet werden, bei der die Frau auf die Tätigkeit in der sogenannten Reproduktionsarbeit fixiert ist, auf Aufgaben zur Erhaltung des unmittelbaren Lebens wie Kindererziehung, Pflege von Familienangehörigen oder Hausarbeit im privaten Umfeld. In den allermeisten Fällen handelt es sich hierbei um unbezahlte und aus Sicht des Kapitals unproduktive Arbeit, da sie keinen Mehrwert generiert. Demgegenüber übernimmt der Mann die produktiven Arbeiten. Mit Entstehung der bürgerlichen Familie als Norm, welche sowohl ideologisch als auch repressiv gegenüber anderen modernen Formen durchgesetzt und verteidigt wird, reproduziert sich die eben angesprochene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bis heute weiter.

Der Kapitalismus hat sich diese lange vorher existierende zunutze gemacht, indem der Mann einen sogenannten „Familienlohn“ erhält und die Frau quasi als „Zuverdienerin“ das familiäre Haushaltsvermögen aufstockt. Dies erklärt den weiterhin herrschenden Lohnunterschied (Gender Pay Gap) zwischen Männern und Frauen. Global betrachtet stimmt dieses Modell schon lange nicht mehr mit der Realität überein. In vielen Fällen ist nämlich die Frau mittlerweile Hauptverdienerin und ein Lohn oft nicht ausreichend, um das Überleben der Familie zu sichern. Dennoch trägt auch dieser Umstand weiterhin zur Festigung der bürgerlichen Familie und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bei.

Reserve

Denn Frauen werden von Kapitalist:innen als sogenannte Reservearmee gesehen, was auch ihre stärkere Betroffenheit in Krisenzeiten erklärt. Sie besteht aus Menschen, die in konjunkturell starken Phasen eingestellt und in Krisenzeiten wieder schnell entlassen werden können. Dann wird auch gerne die Reproduktionsarbeit aus Kostengründen zurück ins private Umfeld und somit unentgeltlich verlagert. Dadurch entsteht wiederum eine stärkere Doppelbelastung aus Erwerbs- und Sorgearbeit für Frauen. Einher geht auch eine zunehmende Abhängigkeit vom Partner, was es oftmals unmöglich macht, diesen Rollen zu entkommen. Auch in der Pandemie ist dieser Rollback deutlich zu sehen.

Diese veralteten Rollenbilder reproduzieren und verstärken eine Spaltung zwischen Mann und Frau zugunsten des Kapitals. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Frauen härter von den Folgen der Pandemie betroffen sind. Deshalb darf ihre Lage nicht losgelöst vom kapitalistischen System betrachtet werden, in dem wir uns befinden. Ein System, das von der Ausbeutung profitiert, kann niemals die Lösung für eben jene Problematik liefern. Denn für Marxist:innen handelt es sich beim Kapitalismus nicht nur um ein Produktions-, sondern ein Gesellschaftssystem, welches alle Lebensbereiche durchdringt und unser Denken und Handeln bestimmt. Das ist klar erkennbar in den Geschlechterrollen, die uns zugeschrieben, uns anerzogen werden und sich dadurch weiter reproduzieren.

Wofür kämpfen?

Da in einem System, das auf Ausbeutung beruht, keine Geschlechtergerechtigkeit möglich ist muss der Kampf um Verbesserungen als Teil eines umfassenderen um vollständige Befreiung verstanden werden. Er muss international organisiert sein und mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft werden. Selbst wenn sich die Lage der Frau von Land zu Land deutlich unterscheidet, müssen einige Forderungen international aufgestellt werden.

Wir fordern gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit und einen Mindestlohn, der zum Überleben reicht. Die Abschaffung des informellen Sektors muss auf die Tagesordnung gesetzt werden. Solche und andere prekäre Arbeitsverhältnisse müssen durch Einführung von Tariflöhnen und Kollektivverträgen verschwinden, die Beschäftigten voll in solche „Normalarbeitsverhältnisse“ integriert werden. Die Kontrolle über die Umsetzung dieser Maßnahmen und die Sicherung der Gehälter muss in der Hand der Arbeiter:innenklasse und der Gewerkschaften liegen. In einer Pandemie wie dieser ist es auch wichtig, einen Entlassungsstopp und bei Schließungen ganzer Branchen die Auszahlung voller Löhne zu fordern. Außerdem brauchen wir einen weitläufigen Ausbau des Gesundheitssystems, der Altersvorsorge, von Kitas und Schulen als Teil eines Programms gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Lohnabhängigen, bezahlt aus den Profiten der Unternehmen.

Um Frauen vor psychischer und physischer Gewalt zu schützen, bedarf es dringend des Ausbaus von Schutzräumen und von Selbstverteidigungsstrukturen. Wir fordern ebenso eine rechtliche Gleichheit und ein Recht auf Scheidung sowie auf sichere, durch Krankenkassen bzw. den Staat bezahlte Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung. Auch der kostenlose Zugang zu Verhütungsmitteln, Aufklärung und medizinischer Versorgung muss gewährleistet sein.

Der Kampf gegen die Folgen von Pandemie und Krise, von denen lohnabhängige Frauen besonders hart getroffen werden, hat aber auch zu vielen Abwehrkämpfen und Bewegungen geführt, wo Arbeiterinnen an vorderster Front standen. Diese zeigen, dass Frauen nicht in erster Linie Opfer und Betroffene, sondern vor allem Kämpferinnen sind. Die Frauen*streiks der letzten Jahre, die Bewegungen im Gesundheitssektor und Frauen, die in Afghanistan unter extremen Bedingungen ihre Rechte verteidigen – sie alle zeigen, dass vor unseren Augen auch die Basis für eine neue internationale proletarische Frauenbewegung entsteht.

Lasst uns gemeinsam für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine vollständige Frauenbefreiung kämpfen! Für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung!