Moria Interviews – TEIL 2 / 2: „Es war, als ob sie gar nicht existierten“

Interview mit Karl, der als freiwilliger Helfer auf der griechischen Insel Lesbos von Faschist_innen angegriffen wurde

Die Meldungen über die
Corona-Pandemie überschlagen sich, während sich kaum jemand mehr
für die schreckliche Situation an den europäischen Außengrenzen
interessiert. Auf den griechischen Inseln dicht vor der Türkei
bekommen die dort internierten Geflüchteten die Brutalität der
Festung Europa besonders zu spüren. Insbesondere auf der medial
bekanntgewordenen Hotspot-Insel Lesbos konnten sich im Windschatten
einer rechten Regierung, die von der EU die nötigen Mittel für
ihren grausamen Job als europäischer Türsteher bereitgestellt
bekommt, faschistische Strukturen etablieren.

Wir haben mit dem Opfer eines
faschistischen Angriffes gesprochen und ihm einige Fragen gestellt,
um uns ein genaueres Bild von der Situation zu verschaffen. Unser
Interviewpartner heißt Karl (Name von der Redaktion geändert), ist
norwegischer Staatsbürger und arbeitet als freiwilliger Helfer und
Fotograph auf der Insel.

Revo: Hey Karl, schön, dass du Zeit gefunden hast, um mit uns zu sprechen. Vielleicht kannst du uns erst einmal kurz berichten, wie es zu dem Angriff kam?

Karl: Der Angriff fand an einem
späten Sonntagabend statt. Es war bereits dunkel. Ich war in Moria
(Anmerkung der Redaktion: größtes Geflüchtetencamp auf den
griechischen Inseln mit über 20 000 Bewohner_innen), um dort eine
Fotoserie zu machen. Als ich im Camp hörte, dass alle
Zufahrtsstraßen nach Moria von Faschist_innen blockiert wurden,
sprang ich mit 4 Freund_innen mit Fluchthintergrund ins Auto, um
schnell weg in die 8km entfernte Stadt Mytilini zu gelangen. Wir
nahmen eine weniger befahrene Seitenstraße und hofften so unbemerkt
fortkommen zu können. Doch nahe einer Tankstelle stellten sich uns
ca. 100 schwarzgekleidete und maskierte Menschen in weg und sprangen
vor mein Auto.

Revo: Und dann haben sie euch
angegriffen?

Karl: Genau. Es ging alles ziemlich
schnell und kam mir vor wie in einem Film. Wenn ich mich
zurückerinnere, höre ich vor allem die Geräusche in meinen Ohren:
das Klirren zerschlagener Autoscheiben und laute Schreie. Die
Faschist_innen öffneten die Türen meines Autos, zogen uns heraus
und drückten uns auf die Erde, begleitet von Tritten in die Seite.
Während sie mich festhielten, nahmen sie mir meine Kamera ab und
zerstachen einen Reifen meines Autos. Aufgrund der Maskierungen
konnte ich keine Gesichter sehen aber ich erkannte, dass es sich um
Frauen und Männer, alte und junge Menschen handelte. Mit der Kamera
hatten sie vermutlich, was sie wollten, und ließen mich dann mit
meinem kaputten Auto auf 3 Reifen mit einem lautstarken
Schleifgeräusch von Metall auf Straße weiterfahren.

Revo: Und was passierte mit
deinen Freund_innen?

Karl: Das konnte ich erst im
Nachhinein herausfinden, da wir während des Angriffes sofort
getrennt wurden. Es hat mich total fertig gemacht, nicht zu wissen,
wie es ihnen geht und ich hatte sogar Angst, dass sie nicht mehr
lebten. Ich habe sie dann später in Moria und einem anderen Camp
wiedergetroffen und glücklicherweise konnten alle fliehen, sodass
ihnen nichts Schwerwiegendes passiert ist. Einige hatten trotzdem
Wunden von den Schlägen und Tritten der Faschist_innen und auch
ihnen wurden die Handys gestohlen.

Revo: Bist du dann zur Polizei
gegangen?

Karl: Ja aus
versicherungstechnischen Gründen musste ich das tun. Ganze 6 Mal war
ich auf der Polizeistation. Am Ende erhielt ich einen ziemlich
ausführlichen Bericht vom ganzen Tathergang. Allerdings fehlte etwas
ganz Entscheidendes: Meine nicht-europäischen Freund_innen wurden
mit keiner Silbe erwähnt. Und das, obwohl ich der Polizei
detaillierte Auskünfte über Namen und Ausweisnummern meiner
Mitfahrer_innen gab. Es war, als ob sie gar nicht existierten.

Revo: Hat dich das überrascht?

Karl: Nein eigentlich nicht. Einige
der Beamten schauten mich jedes Mal so an, als ob ich gerade 10
Menschen auf einmal getötet hätte. Sie scheinen alle zu hassen, die
irgendetwas mit Geflüchteten oder NGOs zu tun haben. Ein Freund von
mir, der ebenfalls von Faschist_innen angegriffen wurde, hat mir
erzählt, dass er beobachten konnte, wie ein Polizeibeamter der
ganzen Situation genüsslich zugeschaut hat.

Revo: Du hast also schon von
mehreren solcher Angriffe gehört?

Karl: Ja, das ist mittlerweile zum
Alltag auf der Insel geworden. Das öffentliche Leben für die
Geflüchteten ist dadurch stark eingeschränkt und die Arbeit von
NGOs und Freiwilligen quasi unmöglich. Viele NGOs haben ihre
Mitarbeiter_innen bereits von der Insel abgezogen, was die Situation
in den Camps noch unerträglicher macht. Noch am selben Abend wurden
viele weitere Autos zerstört. Vor einigen Tagen sind Faschist_innen
sogar ins Camp Moria eingedrungen, um dort Leute anzugreifen.

Revo: Hast du davon gehört, dass auch Neonazis aus Deutschland, von der sogenannten „Identitären Bewegung“ auf der Insel waren, um die lokalen Faschist_innen zu unterstützen?

Karl: Ja das ging hier durch alle
Whatsgruppen, somit hatten wir Fotos von den Leuten. Die waren
allerdings nicht lange hier und haben ziemlich schnell von
Antifaschist_innen eins auf den Deckel bekommen. Als ich das zweite
Mal auf der Polizeistation war, habe ich sie sogar dort gesehen,
durch die Fotos wusste ich ja wie sie aussehen.

Revo: Mit dem Bild von weinenden
Faschos finden wir noch einen positiven Abschluss für dieses
ansonsten ziemlich traurige und schockierende Interview. Es scheint
doch noch Widerstand von lokalen Antifaschist_innen, Internationals
und vor allem von Geflüchteten zu geben, die sich gegen die
faschistischen Angriffe organisieren und zu Wehr setzen. Wir wünschen
ihnen viel Kraft und Erfolg in ihrem antifaschistischen Kampf. Dir
Karl vielen Dank für das Interview und bleib gesund!




Moria Interviews – TEIL 1 / 2: „Moria ist auch ohne Pandemie eine Hölle“

Ein Interview mit Ahmad über Corona, Faschist_Innen und das Leben am Rande der Festung Europa

Während zehntausende ausländische Erntehelfer_Innen eingeflogen werden, um den deutschen Spargel zu retten, forderte das Bundesinnenministerium nun die Einstellung der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer, um nicht noch mehr vermeintliche „Corona-Infizierte“ nach Europa zu lassen. Die vielbeschworene Solidarität der Bundesregierung scheint vor allem der deutschen Industrie- und Agrarwirtschaft zu gelten. Verschwindend klein wirkt vor diesem Hintergrund auch das Symbol, dass lediglich 50 geflüchtete Kinder aus den Lagern in der Ägäis von Deutschland aufgenommen werden sollen, während über 10 000 Minderjährige dort weiter unter unmenschlichen Bedingungen ausharren müssen. Ahmad (Name von der Redaktion geändert) ist selbst aus dem Irak geflüchtet und lebt bereits seit über 2 Jahren auf der Insel Lesbos. Wir sprachen mit ihm, um mehr über die dortigen Lebensbedingungen und den Umgang mit dem Coronavirus zu erfahren.

REVO: Hallo Ahmad, wie sind die
Camps auf eine Ausbreitung des Coronavirus vorbereitet?

Ahmad: Sehr schlecht, eigentlich gar nicht. Das Leben im größten Camp „Moria“ ist auch ohne Pandemie eine Hölle. Immer wieder begehen Menschen Selbstmord, da die Lebensbedingungen dort einfach unerträglich sind. Für einige tausend Menschen gibt es einen einzigen Wasserhahn, von Seife ganz zu schweigen. Teilweise fällt die Wasserversorgung sogar komplett aus. Es können also nicht einmal einfache hygienische Schutzmaßnahmen beachtet werden. Das größte Ansteckungsrisiko existiert wahrscheinlich in der Essensschlage, wo tausende Menschen jeden Tag dichtgedrängt stehen und stundenlang gezwungen sind zu warten, wenn sie etwas zu essen bekommen wollen. Mittlerweile gibt es auch kaum noch Ärzt_Innen im Camp, da viele NGOs ihre Mitarbeiter_innen von der Insel abgezogen haben, nachdem diese immer wieder von Faschist_innen bedroht und angegriffen wurden. Aus der Not heraus haben Geflüchtete selber die Situation in die Hand genommen und selbstorganisierte Corona-Awareness-Strukturen gebildet. Sie versuchen Informationen über das Virus weiterzugeben und klären andere Bewohner_innen auf, dass sich zum Beispiel nicht mehr die Hand geben oder sich nach Möglichkeit nicht ins Gesicht fassen sollten.

REVO: In fast allen Ländern
Europas wurden mittlerweile Maßnahmen verhangen, um eine Ausbreitung
der Pandemie einzudämmern bzw. zu verlangsamen. Wie sieht das auf
Lesbos aus?

Ahmad: Für uns ist die Situation eigentlich nur noch schlimmer geworden. „Moria“ wurde komplett von der Polizei abgeriegelt. Kaum jemand darf nun noch das Camp verlassen. Nur für dringende Arzttermine oder in Notfällen dürfen Leute raus. Das heißt auch, dass keine_R der Bewohner_innen mehr Zugang zu Geld hat, da sich die einzigen Bankautomaten in der ca. 8 km entfernten Stadt Mytilini befinden. Die Bearbeitung der Asylanträge wurde nun vollständig eingestellt. Auch außerhalb des Camps gilt eine Ausgangssperre. Wer das Haus verlassen will, muss eine SMS an die Polizei schicken und den Grund angeben. Gerät man ohne Bestätigungs-SMS der Polizei in eine Straßenkontrolle, muss man hohe Strafen zahlen.

REVO: Gibt es denn schon
Corona-Infektionen auf der Insel?

Ahmad: Ja ich habe von 3 bestätigten Fällen gehört. Einer davon hat es bereits überstanden. Es handelt sich jedoch bei allen 3 Fällen, um Griech_Innen und niemand von ihnen arbeitete in irgendeinem Camp. Im Gegensatz dazu verbreiten die Faschist_Innen Geschichten und Lügen, dass wir Geflüchteten und freiwillige Helfer_Innen das Virus verbreiten würden.

REVO: In den letzten Wochen und Monaten haben sich immer stärkere faschistische Strukturen auf der Insel aufgebaut. Es kam zu Angriffen auf Geflüchtete und NGO-Mitarbeiter_Innen und auch aus der Türkei ankommende Schlauchboote wurden beim Anlegen behindert. Hat sich das seit Corona verändert?

Ahmad: Sie greifen immer noch
vereinzelt an, patrouillieren im Hafen oder sind vor einer Woche auch
ins Camp eingedrungen und haben Menschen attackiert.

REVO: Was denkst du über die
kommenden Wochen und Monate? Siehst du irgendwelche Potentiale, dass
sich etwas zum Besseren wenden könnte?

Ich bin sehr pessimistisch. Klar,
ich hoffe, dass sich etwas ändert aber ich glaube es eigentlich
nicht. Unsere ohnehin unklare Zukunft wird mit jedem Tag noch
unklarer. Bereits am Morgen wache ich mit einem Angstgefühl auf, das
sich im Verlauf des Tages dann in Stress, Wut und Verzweiflung
verwandelt. Vor ein paar Tagen sind einige Leute aus Moria in den
Hungerstreik getreten. Als Gefangene in dem extra auf dem Campgelände
erbauten Gefängnis war der Hungerstreik ihre letzte Möglichkeit
gegen diese Lebensbedingungen zu protestieren. Nach drei Tagen wurden
sie jedoch durch den Einsatz massiver Polizeigewalt zum Essen
gezwungen. Die Situation ist schrecklich und was wir jetzt brauchen,
ist die sofortige Evakuierung aller Camps auf den griechischen Inseln
und die Erlaubnis für eine Weiterreise auf das europäische
Festland!

Dieses Interview wurde durch einen Genossen von uns geführt, jedoch zuvor in gekürzter Form in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 16.04.2020 veröffentlicht. Siehe: https://www.jungewelt.de/artikel/376511.sorge-vor-coronavirus-schon-vor-der-pandemie-eine-h%C3%B6lle.html?sstr=Moria%7Cpandemie%7Ch%C3%B6lle




Der Konflikt in Venezuela bleibt heiß: Kopfgeld auf Maduro

Alex Metzger

In einer
Pressekonferenz erhob US-Justizminister William Barr schwere Vorwürfe
gegen Venezuelas Präsident Nicolás Maduro. Dabei wird ihm
vorgeworfen, als Chef eines Internationalen Drogenkartells den
Schmuggel von Rauschgift durch Südamerika in die Vereinigten Staaten
zu koordinieren. Nun setzt die US Regierung ein Kopfgeld in Höhe von
15 Millionen $ auf Hinweise aus, die zur Ergreifung von Maduro
führen.

Kurz zur Faktenlage:
Daten der CCDB(einer Datenbank, die den „Kampf gegen die Drogen“
in Amerika dokumentiert) deuten darauf hin, dass 2018 ca. 7 mal mehr
Kokain durch Guatemala(1400 Tonnen) transportiert wurde als durch
Venezuela(210 Tonnen)! Der guatemalische Regierungschef wird jedoch
nicht behelligt.

Woher diese Anschuldigung?

Im Zuge des
internationalen Rechtsrucks hat es auch in Südamerika
Regierungswechsel und Putsche gegeben, die das Kräfteverhältnis auf
dem Kontinent eindeutig zugunsten der reaktionären Seite verlagern.
Genannt seien hier: Jair Bolsonaro in Brasilien, der Putsch gegen Evo
Morales in Bolivien, die Regierung
Piñera
in Chile.

In Venezuela soll
dies nun auch passieren und es gibt schon länger den Konflikt
zwischen dem venezolanischen Präsidenten Maduro und den USA, die
versuchen, ihn aus dem Amt zu kicken und mit jemanden zu ersetzen,
der sich nicht mehr weigert, den Markt vollends zu öffnen und die
Industrie zu privatisieren. Deswegen versucht die amerikanische
Regierung seit Jahren, der Regierung Venezuelas Verstrickungen ins
internationale Drogenkartell anzuhängen. Dabei ist die Ausschreibung
des Kopfgeldes eine Machtdemonstration Trumps für seinen Einfluss in
Lateinamerika, während er beispielsweise im arabischen Raum(Syrien,
Iran) aber auch im Konflikt mit Nordkorea dem Anspruch des US
Imperialismus als bissige Ordnungsmacht/
Alpha Predator/ Boss der Welt nicht gerecht wird. Die
zunehmende Herausforderung durch den chinesischen Imperialismus immer
im Blick.

Gleichzeitig steht
Trump in den USA relativ kurz vor der Präsidentschaftswahl und
versucht mit der klassischen Anti-Drogen-Law-and-Order-Politik Stärke
zu beweisen und von seiner fatalen Corona-Krisenpolitik abzulenken.

Dass
Handelsbeschränkungen wie Sanktionen auch während der
Corona-Pandemie nicht gelockert werden und diese Politik den Menschen
in Venezuela und sonst wo vor allem schadet, beweist eindeutig, dass
es den amerikanischen Imperialismus selbst in solchen Zeiten einen
feuchten Kehricht schert, welche mörderischen Auswirkungen die
eigene Politik überall auf der Welt hat.

Imperialistische Umtriebe

Seit knapp 3 Jahren
tobt in Venezuela ein Kampf um die Macht, an dem sich verschiedene
imperialistische Staaten aber federführend die USA beteiligen. Auf
einer Seite der geputschte Präsident Nicolás
Maduro, Nachfolger von Hugo Chaves, den wir als linksbonapartistisch
einstufen. Das heißt, dass die Regierung sich dadurch auszeichnet,
dass durch z.B. Öleinnahmen finanzierte Zugeständnisse an die
Bevölkerung gemacht werden, was in ökonomisch guten Zeiten die
Lebenssituation der Bevölkerung verbessern kann. Dies wird dann
populistisch ausgeschlachtet. Gleichzeitig geht sie aber auch hart
gegen linke Oppositionelle, Gewerkschaften und Basisprojekte vor, die
sich beispielsweise gegen die Legalisierung privater Investitionen
aus imperialistischen Ländern und andere Maßnahmen im Sinne des
Kapitals und der Imperialist_Innen zur Wehr setzen. Ein linker
Bonaparte
schafft es dabei, die politische Macht zu zentralisieren, indem er
zwischen den Interessen der Klassen balanciert und die eigene
bürokratische Kaste wie auch das Militär stramm auf Linie hält.
Maduro will sich dabei von den USA weder politisch noch
wirtschaftlich abhängig machen, was auch Teil des eigenen Populismus
ist. Da Trump den US-amerikanischen Einfluss in Südamerika festigen
will, soll Maduro weichen und wenn es durch solche krummen Moves wie
mit dem Vorwurfs des Drogenhandels sein muss.

Auf der anderen
Seite die Person, die ihn ersetzen soll: Juan Guaidó, seines
Zeichens ehemaliger Parlamentspräsident Venezuelas und
wirtschaftsliberaler Politiker. Das bedeutet zum Beispiel, dass er
die Bodenschätze Venezuelas schnellstmöglich für den
imperialistischen Raubbau verfügbar machen möchte. Dabei geht es
vor Ort um Öl, Gold, Silber, seltene Erden… Guaidó ist den USA
treu und erhält wiederum politische und wirtschaftliche
Unterstützung von ihnen. So konnte er sich Ende Januar 2019 zum
Interimspräsidenten erklären und wird dabei international von über
150 Ländern anerkannt (Dabei Weite Teile Südamerikas, außer
Bolivien, und westliche Imperialistische Länder).

Für eine genauere
Einschätzung des Konflikts, checkt einfach unsere Homepage:

Der Weg aus der Krise

Noch ist der Kampf um die Macht in
Venezuela nicht entschieden. Klar ist, dass wir die Errungenschaften
der venezolanischen Revolution gegen jeden imperialistischen Einfluss
verteidigen. Gleichzeitig müssen wir aber auch verstehen, dass
Maduro kein Sozialist, Venezuela kein Sozialismus ist und die
Errungenschaften unzureichend sind.

Die Revolution ist zum Stillstand
gekommen, ohne die Industrie restlos verstaatlicht zu haben. Die
Bourgeoisie darf weiter Profite machen und mit ihren Privilegien
leben. Teile der enteigneten Bourgeoisie wurden sogar großzügig
entschädigt.

Weiterhin fußt Maduros Macht auf der
Unterstützung durch das Heer, welches weder demokratisch organisiert
noch kontrolliert ist. Demokratisch organisierte Milizen sind Teil
eines politischen Programms, welches seine Regierung mit aller Härte
bekämpft.

Diese Milizen wären zentraler
Bestandteil, um die Revolution in Venezuela voranzutreiben und sie zu
einer sozialistischen Revolution zu entwickeln. Dafür muss die
Bourgeoisie entschädigungslos enteignet werden. Die
Arbeiter_Innenklasse muss, gemeinsam mit den Bauern und der Jugend,
die Macht der Bürokratie brechen und eigene, mutige,
basisdemokratische Losungen aufstellen.

Eine solche Revolution könnte als
leuchtendes Beispiel in die gesamte Region strahlen und die
Arbeiter_Innen in Ländern wie Brasilien und Argentinien ermutigen,
den Kampf gegen ihre stockreaktionären Regierungen in eine
sozialistische, internationalistische Richtung zu treiben! Im Zuge
dessen braucht es auch den Kampf für den Aufbau von revolutionären
Parteien der Arbeiter_Innenklasse, die eine solche Richtung überhaupt
weisen können.

  • Nein zum
    erneuten Putschversuch durch den US Imperialismus, entlarven wir die
    haltlosen Anschuldigungen von William Barr!
  • Verteidigen
    wir die Bolivarische Revolution gemeinsam gegen imperialistische
    Aggressionen!

  • Für die
    Permanenz der Bolivarischen Revolution! Nur wenn wir über die
    bisherigen Schritte hinausgehen und die Eigentums- und die
    Herrschaftsfrage gegeüber Kapital und Bürokratie stellen, können
    wir die Revolution zum Erfolg führen.

  • Für internationale Solidarität
    und den gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus sowie seinen
    Unterstützer_Innen in Medien, Staat & Bildungswesen!




China: Auf dem Weg zur Weltherrschaft dank Coronakrise?

Resa Ludvin

Fast die gesamte Welt steht still,
nur in China scheint es eine schrittweise Rückkehr zur Normalität
zu geben. Auch die allgemeine Angst vor einer Rezession sucht man in
China vergeblich. Ganz im Gegenteil. China inszeniert sich als großer
Helfer betroffener Länder, Bezwinger des Virus‘ und scheint schon
jetzt Gewinner der Krise zu sein.

Und das trotz der immensen
Bevölkerungszahl, Zusammenleben auf engstem Raum und einem
Gesundheitssystem, das alles andere als
sozial ist. Waren Krankenhäuser einst staatliche
Institutionen mit Hauptaugenmerk: Gesundheit der Bevölkerung ohne
Wenn und Aber, ist das System heute gerade auf dem Land unterversorgt
und Behandlung gibt es nur mit Vorkasse – wer hier zuerst versorgt
wird, ist offensichtlich, denn auch im angeblich „kommunistischen“
China hat sich in den letzten Jahrzehnten eine
Bourgeoisie herausgebildet.

Genau dieser Ort soll also nicht nur
Ausgangspunkt, sondern auch erfolgreicher Bezwinger des Virus sein?
Im November 2019 trat das Coronavirus
zum ersten Mal bei einem Menschen in China auf. Wurde es da
noch totgeschwiegen und jene, die darüber
sprechen wollten, mundtot gemacht, erfolgten ab Ende Januar
die ersten großflächigen Maßnahmen zur Eindämmung. Für über
eine Milliarde Menschen, die in der
Volksrepublik leben, bedeutete dies Ausgangssperren,
Reisebeschränkungen und Kontaktreduzierungen bis hin zum kompletten
Lockdown der am schwersten
getroffenen Region, die 60-Millionen-Provinz Hubei mit ihrer
Hauptstadt Wuhan. Doch schon ab April 2020 verzeichnet China
offiziell keine neuen Fälle, Hubei wurde wieder zur Ein- und
Ausreise geöffnet und man überlegt sogar, die Schulen demnächst
wieder zu öffnen. Doch ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt:
So kam es im März 2020 in Wuhan zu spontanen Protesten, die in China
aufgrund fehlender Versammlungsfreiheit verboten sind. Grund hierfür
war, dass die Lebensmittelversorgung durch Peking nur schlecht
funktionierte.

Warum kommt China
schneller wieder auf die Beine?

Schauen wir uns an, warum es China
leichter fallen könnte, den kapitalistischen Normalbetrieb
wiederaufzunehmen: Durch das autoritäre Regime kann berechtigter
Widerstand sowie die
Interessen der Bevölkerung aus der Entscheidungsfindung
herausgehalten werden, was zu einem entschlossenen aber auch
rücksichtslosen Vorgehen führt. Doch noch deutlich wichtiger als
die politische Sphäre ist die wirtschaftliche: Auch wenn China seit
der Öffnung in den 70er Jahren weit von der maoistischen Linie
abgewichen ist, so haben sie doch eine spezielle Form der
kapitalistischen Wirtschaft.
Vergleichen wir das chinesische Wirtschaftssystem mit dem
Deutschlands: In Deutschland herrscht bis auf wenige Ausnahmen freie
Markt- und Konkurrenzwirtschaft in der unterschiedliche Firmen in
erster Linie für ihre eigenen Interessen einstehen, getreu dem Motto
„Der Markt regelt sich selbst“.
In China gilt dieses Prinzip nur zum Teil, denn dort sind viele
Schlüsselindustrien nicht in der „freien Hand des Marktes“,
sondern staatlich bzw. teilstaatlich oder zumindest eng mit der
Partei verbunden. Insgesamt ist der Einfluss der Regierung auf die
Produktion wesentlich höher als in anderen imperialistischen
Ländern. Man könnte es also als „Kapitalismus unter der Diktatur
einer Partei“ bezeichnen. So sind
die nationalen Bestrebungen der Regierung eine der treibende Kräfte
der chinesischen Wirtschaft und ihres Aufschwungs. Dies verbindet
sich mit den Interessen der Bourgeoisie, die durch die geöffnete
Kapitalakkumulation entstanden ist und mit enger Verbindung zum
Parteiapparat, neben der Arbeiter_Innenklasse existiert.

Da sich viele jener
Schlüsselindustrien in Staatshand befinden, die nicht nur für die
Versorgung, sondern vor allem im internationalen Wettbewerb wichtig
sind, gab es weniger Blockaden, die Produktion in Zeiten der
Coronakrise bedarfsorientiert umzustellen. Ziehen wir hier wieder den
Vergleich zu Deutschland, so sehen wir, dass eben jene
Schlüsselindustrien einerseits nie in Staatshand waren und
andererseits weitere lebenserhaltende Bereiche, die früher staatlich
waren, in den letzten Jahrzehnten zunehmend privatisiert oder
runtergekürzt wurden, allen voran im Gesundheitssektor. Nur so kann
man verstehen, warum sich China schneller erholt. Zusätzlich dazu
gab es geplante Interventionen der Regierung wie ein riesiges
Krankenhaus, das in Wuhan innerhalb weniger Tage für die
Corona-Infizierten entstanden ist. Allerdings ist es für die
chinesische Regierung gerade wichtig, dass Hubei schnell wieder
einsatzfähig ist, denn dort befinden sich wichtige Standorte der
Automobil- und Elektronikbranche.

Nichtsdestotrotz
ist auch anzuzweifeln, dass die Zahl der Neuansteckungen wirklich auf
0 gesunken ist und diese Nachricht nicht eher dem Propagandaapparat
der Kommunistischen Partei
entspringt. Der Verdacht kommt nicht von ungefähr, wenn man
bedenkt, dass China schon zu Beginn die Krankheitsfälle
verheimlicht hat und es Journalist_Innen in China immer noch schwer
haben über die Situation zu
berichten. Unabhängige Journalist_Innen waren in den letzten
Monaten aus der Krisenregion Wuhan ausgesperrt worden. Laut Reporter
Ohne Grenzen verschwand sogar ein chinesischer Journalist spurlos,
der in Wuhan recherchierte. Weitere Maßnahmen waren die Zensur der
chinesischen Äquivalenten zu Youtube und WhatsApp,
indem Inhalte blockiert wurden, die den Virus betreffen. Das
Interesse, es nun kleinzureden, läge darin, als erster wieder die
Wirtschaft voll anlaufen zu lassen. Alle betroffenen Länder
konkurrieren nämlich gerade darum, wer als erstes die Maßnahmen
lockern kann und damit die freigewordenen Märkte und
Profitmöglichkeiten für sich zu beanspruchen. Dass jetzt China als
erstes wieder zur Normalität zurückkehrt, ob legitimerweise oder
nur durch Beschönigung der Situation, dürfte dazu führen, dass die
chinesische Wirtschaft alle Möglichkeit hat, die Konkurrenz
abzuhängen und damit auf der Gewinnerseite der kommenden Krise zu
stehen.

Resultat: Verstärkte
Abhängigkeit als Kollateralnutzen der Krise

In den letzten Jahren befand sich
China auf dem Weg, ihren Einflussbereich zu vergrößern, nicht
zuletzt mit Projekten wie der neuen Seidenstraße.
Infrastrukturprogramme in Zentralasien, Verlagerung der Produktions-
und Umweltkosten in afrikanische Länder und dem Einkaufen von
chinesischen Investor_Innen in europäische Firmen dabei unter
anderem strategisch nützliche wie der Hafen von Piräus oder
Medienbetriebe. Vor allem in Zeiten der Zerstrittenheit der EU, die
sich darin ausdrückt, dass sich in puncto Corona-Hilfen über ein
lange Zeit jede_R der Nächste war, springt China ein. Warum hatte
China es da so einfach? Man könnte meinen, bei einer Krise diesen
Ausmaßes helfen in der „Werteunion EU“ die, die können, indem
sie Ressourcen in Form von Masken, medizinischer Geräte o.ä.
entbehren können. Weit gefehlt. Deutschland hat lange zugeschaut wie
in Italien und Spanien die Menschen massenhaft sterben und jetzt
kommt verspätet ein kleines Hilfspaket. Doch wir dürfen uns nicht
davon und von den Worten Heiko Maas‘ täuschen lassen, dass es
„gelebte EU-Solidarität“ sei, während der Corona-Krise „Hilfe
ohne Folterwerkzeug, also ohne Troika und harte Sparauflagen“ zu
leisten. Denn das bedeutet mit
anderen Worten:„Die EU ist gerade zu instabil, um Südeuropa
weiterhin dreist ausbluten zu lassen. Machen wir also jetzt erstmal
langsam, damit wir sie nicht als Halbkolonien verlieren und das
„Folterwerkzeug“ vielleicht zu einem anderen Anlass nochmal zum
Einsatz kommen kann!“

Aber auch Chinas Hilfe und
Nichthilfe ist politisch motiviert. In den Ländern, in denen sie
Hilfe leisten, wollen sie das Narrativ des „Anführers der kleinen
Länder“ stärken, was daher kommt, dass sie weiterhin offiziell
als Schwellenland gehandelt werden und das ironischerweise für den
Ausbau ihrer Weltmachtstellung benutzen. So sollen sich die Hilfen in
Europa, Afrika und Zentralasien doch auch irgendwann auszahlen.
Hierbei sind besonders einige afrikanische Länder gefährdet, in
Abhängigkeit zu fallen, da ohnehin schon der Einfluss Chinas immens
ist. Noch deutlicher sieht man die politischen Hintergedanken in den
Fällen, in denen China nicht hilft, allen voran den USA: Schon seit
geraumer Zeit vor Corona gibt es gewaltige Spannungen zwischen den
Weltmächten durch den Handelskrieg, Nordkorea und der allgemeinen
Konkurrenz. Nun wird die USA zum neuen Zentrum der weltweiten Krise.
Naiverweise könnte man meinen, dass dennoch die Leben der Menschen
in den USA vor allem der besonders bedrohten Arbeiter_Innen und
Minderheiten gerade mehr zählen als die Worte eines Präsidenten,
der China die Schuld an der Pandemie gibt. Dennoch weigert sich
Peking, fehlendes Material wie Schutzmasken in die USA zu schicken.
Corona mutiert zum Mittel der Erpressung und wieder einmal zeigt
sich, dass die wahre Pandemie der Kapitalismus ist.

Reaktionen auf chinesische
Maßnahmen

Schaut man sich die Reaktionen in
puncto chinesischer Coronamaßnahmen an, so finden sich auch hier die
stets wiederholende Erklärungsmuster und gut verinnerlichte
Reaktionen gegenüber China wieder. Von Rassist_Innen, die
irrationale Ängste und gezielte politische Hetze auf asiatisch
aussehende Menschen projizieren bis hin zu China-Verehrer_Innen.
Schauen wir uns drei Reaktionen an.

Typ1: „Schaut wie effektiv der
Sozialismus sein kann“

Man könnte ganz platt antworten:
Wenn das der Sozialismus ist, ist das nicht unser Sozialismus. Jedoch
sollte man sich vor Augen führen was China ist: eine aufstrebende
kapitalistische Macht mit imperialistischen Interessen, die ihren
Ansatz gänzlich aufgegeben hat, auch wenn das Land immer noch von
der KP regiert wird. Die wachsende Macht der Bourgeoise, das Halten
von Halbkolonien, Diskriminierung von Arbeiter_Innen, Minderheiten,
Frauen und die sonstige Liste der Dinge, die nicht mit dem
Sozialismus vereinbar sind, ist lang.

Typ2: „Wie effektiv doch
Zentralisierung ist“

Ja, gerade in Deutschland zeigt sich
in Zeiten der Krise die Schwäche des bürgerlich-„liberalen“
Staates. Lange Abwägungen zwischen der Gefährdung der Bevölkerung
und der Gefährdung der Wirtschaft und dadurch verspätete und
halbherzige Entscheidungen, die
für die Arbeiter_Innenklasse nicht zufriedenstellend sein können.
Doch liegt der „zentralstaatsliebende Typ mit Hang zum
Autoritarismus“ (denn nichts anderes steckt dahinter) falsch. Es
sind eben nicht straffe bürgerliche Staaten mit starker Führung,
die „uns“ aus der Krise navigieren, sondern höchstens die eigene
Wirtschaft. Auch in China stecken hinter dem entschlossen wirkenden
Handeln ständige Überlegungen, wie man die Wirtschaft möglichst
schnell wieder zum laufen bringen kann und dabei ist es bloß Glück
für uns, dass man dafür gewissermaßen auch Menschenleben retten
muss. In einer
sozialistischen Gesellschaft hingegen, also jene mit dem höchsten
Maß der Demokratie, wären die Voraussetzungen endlich gegeben,
wirklich zielstrebig solche Gefahren einzudämmen, da es
keinen Druck gibt, weiter Profiten hinterherzujagen, wodurch zum
Beispiel alle nicht-lebenswichtigen Arbeiten tatsächlich eingestellt
werden könnten. Außerdem kann die Produktion nach Bedarf umgestellt
werden. Und das ganz ohne autoritären Zentralstaat, sondern unter
der Kontrolle der Arbeiter_Innenklasse.

Typ3: „Ja ok, aber ich will meine
Freiheit trotzdem nicht einschränken lassen“

Manchmal müssen für
außergewöhnliche Situationen außergewöhnliche Maßnahmen her und
dazu gehören auch solche wie jetzt. So könnte es sein, dass einige
der Einschränkungen tatsächlich sinnvoll sind. Doch an welchem
Punkt der „freiheitsliebende Typ“ sehr wohl Recht hat, ist, ob
wir uns „einschränken“ oder uns „einschränken lassen“. Mit
anderen Worten: Die Frage sollte nicht sein, inwiefern es
Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte zur Bekämpfung
einer Krise in diesem Ausmaß gibt, sondern wer diese, aber auch die
Rückkehr zur Normalität kontrolliert und organisiert. Wir haben
gesehen, dass es die Regierungen und Kapitalist_Innen der freien
Wirtschaft nicht stört, Arbeiter_Innen in nicht-lebenswichtigen
Fabriken weiterarbeiten zu lassen wie in Spanien oder selbst dem
beschränkten bürgerlichen Staat weitere Freiheitsrechte zu
entnehmen wie in Ungarn. Doch wäre es falsch, zu sagen, dass es hier
allein um bürgerliche Freiheitsrechte der_des Einzelnen geht, hier
geht es um die Systemfrage. Im Kapitalismus ist Freiheit nur ein
Trugbild, das auch nur wenige zu Gesicht bekommen.

Stoppt das imperialistische
Taktieren – Gesundheit ist keine Druckmittel!

Auch wenn Corona als Virus
ungreifbar erscheint, darf man trotzdem bei Corona als Krise weder
ihre Wurzeln, die im Kapitalismus selbst liegen, noch ihre Auswirkung
auf die Neuaufteilung der Welt, die ebenfalls systembedingt ist,
verkennen. China macht sich die finanzielle Schwäche von Ländern zu
Nutze, nachdem sie jahrelang große Investitionen vor allem auf dem
afrikanischen und asiatischen Kontinent, aber auch in Europa getätigt
haben. Unsere Antwort als Sozialist_Innen muss daher sein:
Bedingungslose Hilfe über nationale Grenzen hinaus statt zu Nutze
machen der Krise für Profitinteressen. Die Krise ist global und
trifft vor allem die Arbeiter_Innenklasse hart. Wir fordern daher,
Kurzarbeit, sprich Kürzungen der Bezüge und Entlassungen, zu
stoppen. Für eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich –
lasst die Kapitalist_Innen zahlen!

Doch in einem System, dass auf
internationale Konkurrenz und somit Ausnutzen von Vorteilen basiert,
ist das illusorisch. Die Pandemie namens Kapitalismus bleibt. Derzeit
sehen wir auf wessen Händen die Gesellschaft tatsächlich steht,
wenn im Krankenhaus oder im Einzelhandel Menschen für das Überleben
schuften und es dennoch weiterhin Firmen gibt, die die Arbeiter_Innen
weiter in der Fabrik arbeiten lassen, weil sie nicht auf ihre Profite
verzichten wollen. So kam es in vielen Ländern zu spontanen Streiks
wie im März in einem norditalienischen Werk von Fiat-Chrysler. Genau
diese Kräfte müssen wir bündeln. Eine Arbeiter_Innenkontrolle muss
her, die nach Bedarf und nicht nach Profit produziert – in der
jetzigen Situation heißt das bspw. Produktion von
Desinfektionsmitteln statt Parfüm,
Beatmungsmaschinen statt Autos und die Verstaatlichung des
Gesundheitssystems unter Kontrolle der Arbeiter_Innenklasse als
notwendige Maßnahme!




Jugend und Corona – Keine Risikogruppe aber trotzdem am Arsch!

Paul Meyer

Bei
der Corona-Krise wird häufig über Risikogruppen und die Gefährdung
dieser geredet. Wir, die Jugend, werden in den Nachrichten häufig
als die dargestellt, die die Corona-Parties feiern und das Virus
verbreiten. Es wird dabei leider außer Acht gelassen, dass auch wir
unter dieser Krise zu leiden haben. Wir haben häufig keine Folgen
durch das Virus an sich, aber sehr wohl aus der daraus folgenden
Quarantäne. Vor allem durch die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen,
die uns quasi zu Hause einsperren. Diese treffen aber besonders
ärmere Menschen, die es sich nicht leisten können, ein Netflix-
oder Spotify-Abo zu haben und kein Rückzugsort besteht, in dem sie
ihre Schulaufgaben in Ruhe machen und sich entspannen können. Dieses
Fehlen des Rückzugsortes beinhaltet häufig auch das Fehlen eines
eigenen PCs oder der Hilfe der Eltern. Wenn die Schule wieder
anfängt, ist das ein großer Nachteil, weil die anderen
Schüler_Innen viel weiter im Lernstoff sind, als die ohne Endgerät
und Ruhe. Wir können auch nicht mehr unsere Rückzugsorte besuchen,
wie zum Beispiel Jugendclubs, in welchen wir Raum für
Selbstbestimmung haben, eigene Erfahrungen sammeln und aus den Augen
unserer Eltern sind. Zu Hause müssen wir dann häufig Hausarbeit
übernehmen, also einkaufen gehen, putzen, kochen und Care-Arbeit,
also uns z.B. um Verwandte kümmern, die krank sind. Der Anstieg an
häuslicher Gewalt trifft nicht nur Frauen, sondern auch Kinder. Das
kommt unter anderem daher, dass wir unseren Familienmitgliedern nicht
mehr aus dem Weg gehen können. Diese sind vielleicht frustriert,
weil sie ihren Job verloren haben durch die Krise oder
durch Kurzarbeit nur noch 60% ihres Gehaltes bekommen. Die
Kinder der Gewaltopfer können sich dann auch häufig nicht bei einer
Stelle melden, die dafür zuständig ist, weil sie unter dauerhafter
Kontrolle ihrer Eltern stehen. Es fallen nicht nur Jugendclubs weg,
wo wir uns mit unseren Freund_Innen treffen, sondern auch der Ort, wo
wir sie tagtäglich sehen würden, die Schule. Es gibt aber auch
einige unter uns, die schon arbeiten oder eine Ausbildung machen.
Dort sind wir die ersten, die entlassen werden, weil wir häufig nur
Zeit- oder Honorarverträge, nur als Minijob angestellt sind, oder
gar keinen offiziellen Arbeitsvertrag haben. Das macht es den
Arbeitgeber_Innen leichter, uns zu kündigen. In anderen Fällen, zum
Beispiel im Supermarkt, Essenslieferanten, Landwirtschaft, sind wir
die, die noch zur Arbeit geschickt werden, weil wir zu jenen gehören,
die nicht in der Risikogruppe sind. Höhere Löhne will uns unser_E
Chef_In trotzdem nicht zahlen. Wir sind aber essentiell wichtig zum
Fortbestand vieler Firmen. Die AfD-Bundestagsfraktion schlägt vor,
dass Schüler_Innen zur Zwangsarbeit in die Landwirtschaft geschickt
werden, um „dem Vaterland unter die Arme zu greifen“ und
„Disziplin zu lernen“. Die AfD benutzt hier Rhetorik, die
an den Faschismus erinnert.

Warum
ist das alles so? Der Grund liegt im Kapitalismus, also der Form
unserer Gesellschaft und des Wirtschaftens. Dieser ist darum
aufgebaut, den Besitz einiger weniger krass zu vergrößern, die
restliche Gesellschaft von diesem Reichtum fernzuhalten und trotzdem
alles stabil laufen zu lassen, indem zum Beispiel gesagt wird, dass
einem Sachen nur zustehen, wenn man sie sich „verdient“ hat und
nicht bloß, weil man sie braucht oder es gerecht wäre. So werden
einige der verschiedenen Unterdrückungsformen erklärt, die der
Kapitalismus braucht, um zu funktionieren. Auch wir Jugendlichen
werden unterdrückt, da uns nicht zugestanden wird, selbstbestimmt zu
sein. So haben wir weder das Recht, frei über unseren eigenen Körper
zu entscheiden noch das Recht auf Eigentum, da jeder Besitz, der
eigentlich uns gehören müsste, im Zweifelsfall gesetzlich noch
unseren Eltern gehört und wir von ihnen abhängig sind, weil wir
eigenes Geld und darauf folgenden Möglichkeiten noch nicht
„verdient“ haben. Falls wir schon arbeiten, werden wir deutlich
schlechter bezahlt, weil wir es vor oder während der Ausbildung noch
nicht „verdient“ haben, genauso viel (oder eher wenig) wie die
anderen Arbeiter_Innen zu verdienen. Und Menschen wählen, die unsere
Interessen vertreten, dürfen wir auch erst viel zu spät, weil wir
es uns vorher noch nicht „verdient“ haben, mitzusprechen. Die
Bevormundung und Prekarisierung wird uns immer wieder eingehämmert,
sodass sich viele von uns schon damit abgegeben haben und keinen
Widerstand leisten wollen. Wir aber schon! Wir bestehen trotzdem auf
unsere Rechte und Freiheiten und fordern deshalb:

  • Für
    das Recht statt bei der Familie in selbstorganisierten Jugendzentren
    in Quarantäne zu gehen. Natürlich müssen auch hier Betreuung und
    alle nötigen Infektionsschutzmaßnahmen gewährleistet werden.
  • Für
    den Ausbau von Schutzhäusern für Betroffene von häuslicher
    Gewalt!
  • Abschaffung
    aller Lizenzen für Streamingplattformen und Musik! Kultur darf kein
    Privileg der Reichen sein!
  • Lernmittel,
    wie Softwarepakete oder auch technische Grundausstattung wie
    Computer und Drucker müssen allen Schüler_Innen kostenlos zur
    Verfügung gestellt werden! Keine Benotung von E-Learning-Aufgaben!
  • Für
    die gleichwertig bezahlte Freistellung von nicht lebensnotwendigen
    Berufen und eine Garantie der Übernahme, wenn es medizinisch wieder
    zu verantworten ist, arbeiten zu gehen!
  • Für
    ein bedingungsloses Mindesteinkommen für Jugendliche, das uns ein
    unabhängigeres Leben ermöglicht. Bezahlt durch die höhere
    Besteuerung der Reichen!



Corona und die kommende Wirtschaftskrise – eine Analyse

REVOLUTION Österreich

Die Corona-Gesundheitskrise bedroht nicht nur den Alltag, sondern das Leben von Millionen Menschen weltweit. Die weitgehenden Quarantänemaßnahmen bedeuten auch einen Zusammenbruch der weltweiten Produktion. Wir stehen am Beginn einer Wirtschaftskrise, die höchstwahrscheinlich noch schlimmer sein wird als die nach 2008. Wenn es nach den Politiker_Innen und Bossen geht, werden die Kosten auf uns Arbeiter_Innen, Unterdrückte und Jugendliche abgewälzt werden. Das müssen wir verhindern!

In den vergangenen zwei Wochen haben in Österreich 200.000 Menschen ihren Job verloren, nochmal 250.000 sind in Kurzarbeit. In den USA haben sich in der Zeit sogar 10 Millionen arbeitslos gemeldet. In beiden Ländern sind prekär Beschäftigte und Scheinselbstständige (zum Beispiel Uber-Fahrer_Innen oder 24-Stunden-Pfleger_Innen) gar nicht mitgerechnet. Das kapitalistische Wirtschaftssystem lebt davon, dass Arbeiter_Innen produzieren und für Profit ausgebeutet werden. Wenn sie zuhause bleiben, wackelt das ganze System.

Krisen zeigen, wie das System läuft

Es ist offensichtlich, dass die Corona-Pandemie in vielen Ländern eine schwere Gesundheitskrise ausgelöst hat. Nicht nur verbreitet sich das Virus sehr schnell und stellt eine echte Lebensgefahr dar, die Auswirkungen drohen auch die Gesundheitssysteme an ihre Kapazitätsgrenzen zu bringen. In Norditalien ist das beispielweise schon passiert – viele Patient_Innen konnten nicht mehr versorgt werden. Diese Krise zeigt schmerzhaft klar auf, was im Gesundheitssystem schon seit Jahren schiefläuft, Einsparungen, Privatisierungen und zu wenige Pfleger_Innen und Ärzt_Innen.

Eine Krise ist immer ein Moment, wo die Entscheidungsträger_Innen nicht mehr so weiter machen können wie bisher. Wenn sie sich weiter an die bisherigen Regeln, Strukturen, und so weiter halten, produziert das System nicht die Ergebnisse, die man eigentlich möchte. Zum Beispiel, dass Menschen an heilbaren Krankheiten sterben, weil keine Betten frei sind. In einer Krise ist es deshalb besonders einfach zu verstehen, wie ein System wirklich funktioniert. Unter anderem, weil die blödsinnigen Versprechen von ewigem Wachstum oder gerechter Verteilung wegfallen. Aber auch, weil wir sehen können was für Auswirkungen es hat, wenn ein „Rädchen“ sich nicht mehr weiterdreht.

Die Wirtschaftskrise, die jetzt schon begonnen hat, ist von den Auswirkungen der Gesundheitskrise ausgelöst worden. Die Gründe sind
aber vielfältig, haben ursprünglich nichts mit Corona zu tun und hatten
sich schon länger angekündigt. Im Grund genommen kann man sagen, dass
(1) ein kurzfristiger Zusammenbruch von Produktion und Nachfrage auf (2)
seit längerem eskalierende internationale Spannungen und Handelskriege,
(3) eine seit Jahren fallende Profitrate bei Güterproduktion und
Dienstleistungen und (4) zwei riesige „Blasen“ auf den Finanzmärkten
trifft.

Produktion, Reproduktion und Verteilung im Kapitalismus

Eine kapitalistische Krise bedeutet immer einen zeitweisen Zusammenbruch des Kapitalkreislaufs. Die kapitalistische Warenproduktion funktioniert so, dass Arbeiter_Innen in der Produktion bereits bestehende Waren (zum Beispiel Rohmaterialien oder Zwischenprodukte) physisch verändern, also andere Waren daraus machen – „weiterverarbeiten“. Dazu verwenden sie Werkzeuge und Maschinen, so genanntes fixes Kapital, das von den Kapitalist_Innen zur Verfügung gestellt wird.

Das Produkt ihrer Arbeit gehört aber den Kapitalist_Innen, die sie dann auf dem Markt verkaufen und den Erlös behalten. Der Unterschied zwischen Erlös und Fixkosten ist der in Geld ausgedrückte Unterschied zwischen Materialien und Produkt. Also wird zum Beispiel für die Produktion von Schrauben ein gewisser Betrag an Fixkosten (Maschinen, Rohstoffe, etc.) benötigt und nach dem Verkauf der Schrauben wird hoffentlich ein höherer Betrag, der Erlös, eingenommen. Dieser Unterschied entspricht dem Ausmaß an menschlicher Arbeit im Produktionsprozess, und teilt sich auf in Löhne und Profite. Profite entsprechen also dem Anteil unbezahlter, vom Lohn nicht abgedeckter Arbeit – mit anderen Worten ist der von den Arbeiter_Innen unbezahlt produzierte Mehrwert essentielle Grundlage des Profits. Dieselbe Logik gilt bei Dienstleistungen. Auch hier fußt der Profit darauf, dass die vollbrachte Arbeit mehr Wert schafft als der ausbezahlte Lohn ausdrückt. Der Unterschied zur Warenproduktion ist im Wesentlichen nur ein zeitlicher. Während bei Waren der Verkauf und die Realisierung des Kaufpreises erst nach der Produktion stattfindet, passiert dies bei Dienstleistungen zeitgleich. Ich konsumiere die Taxifahrt, den Haarschnitt und ähnliches während sie „produziert“ werden.

Am Anfang des Kapitalkreislauf wird also Geld in Waren, nämlich fixes Kapital und Arbeitskraft, verwandelt. Waren sind eben nicht nur Dinge, die man im Supermarktregal kaufen kann, sondern auch abstraktere Dinge, wie die menschliche Arbeitskraft. Im Produktionsprozess werden Kapital und Arbeitskraft verbraucht, am Ende stehen andere Waren, das Produkt (in unserem Beispiel: Arbeiter_Innen verwenden Maschinen und Rohstoffe, um Schrauben herzustellen). Diese werden dann auf dem Markt wieder in Geld verwandelt, den Erlös. Marxistische Ökonom_Innen beschreiben diesen Prozess als G – W – W‘ –  G‘, Geld – Ware – andere Waren – Mehr Geld.

Das
„Mehr Geld“ wird dann wieder in fixes Kapital und Arbeitskraft
investiert, ein neuer Produktionsprozess begonnen. Die Höhe des Profits
bestimmt, wie schnell der Kapitalismus wachsen kann, je höher das „Mehr
Geld“ am Ende ist, desto mehr kann man in der nächsten „Runde“
produzieren und investieren. Man kann auch sagen, dass der Verwertungsprozess im Kapitalismus gleichzeitig der Reproduktionsprozess ist – das System reproduziert sich ständig selbst über diesen Ablauf, wie eine größer werdende Spirale der Kapitalanhäufung.

Wettbewerb und Krise

Die grundlegende Funktion des Kapitalkreislauf ist auf jeder Ebene, von der einzelnen Firma, über regionale Wirtschaftskreisläufe bis zum globalen Kapitalismus, dieselbe. Wie der Prozess genau gestaltet wird, ist aber die Entscheidung der einzelnen Kapitalist_Innen. Die stehen aber miteinander in ziemlich brutalem Wettbewerb: Wem es nicht gelingt, die Konkurrenz zu auszuschalten, der oder die wird wahrscheinlich selbst bankrottgehen.

Die wichtigsten Waffen in diesem Krieg sind neue Maschinen und Preispolitik. Wenn man es sich leisten kann, in neue Maschinen zu investieren, kann man die eingesetzte Arbeitskraft produktiver machen, also mehr Profit aus jeder_M Arbeiter_In herausbekommen. Wer niedrigere Produktionskosten hat, kann auch einen Preis festsetzen, der unter den Kosten der Konkurrent_Innen liegen. Die machen dann Verluste und nach einiger Zeit gehen sie pleite, so dass ihr Marktanteil erobert werden kann.

Diesen Prozess nennt man auch Kapitalisierung: Es wird mehr Geld für fixes Kapital ausgegeben, damit die Arbeitskosten gesenkt werden können, das Kapital-Arbeitsverhältnis steigt (von Marx auch „organische Zusammensetzung des Kapitals“ genannt). Weil aber nur menschliche Arbeit Wert und Profit schafft, untergräbt das auf lange Sicht das Verhältnis Profit zu Kapital, die Profitrate. So führt das Streben der Kapitalist_Innen nach mehr Profit immer zu einer sinkenden Profitrate, also auch weniger Wachstum, und größeren Schwierigkeiten den Kapitalkreislauf zu reproduzieren.

Der Verfall der
Profitrate im Kapitalkreislauf ist der Grund für regelmäßige Krisen. Ausgelöst
werden diese aber meistens durch die Reaktion auf die Schwierigkeiten im
Kapitalkreislauf.

Zum Beispiel investieren Kapitalist_Innen gerne in Finanzprodukte (z.B. Wertpapiere, Aktien, u.ä.), wenn die Profite in ihren „eigenen“ Produktionsprozessen zu wünschen übriglassen. Der kurzfristige Gewinn auf den Finanzmärkten hängt vor allem davon ab, dass die Nachfrage weiter steigt und man die eigenen Aktien und Wertpapiere über dem Kaufpreis verkaufen kann. Das führt in einer Situation von fallenden Profitraten auch tatsächlich zu mehr Nachfrage nach Finanzprodukten, die Investitionen scheinen ein gutes Geschäft zu sein. Der Preis der Wertpapiere, egal ob es Aktien, Hauskredite oder Derivate sind, steigt dann immer höher über den tatsächlich erwarteten Ertrag des Papiers selbst (den nennt man auch je nach Wertpapier Dividenden, Zinszahlungen oder Ausschüttungen). Der erwartete Profit beruht also nicht nur auf der Investition, sondern zu einem immer größeren Teil auf Spekulation.

Investitionen im Kapitalismus sind meistens durch Kredite finanziert, sowohl in der Produktion als auch auf den Finanzmärkten. Auch an Arbeiter_Innen werden Kredite für Konsum oder Hausbau angeboten, damit sie ihren Lebensstandard trotz eventuell fallender Löhne halten können. Diese finanziellen Blasen sollen die Krisenauswirkungen der fallenden Profitrate aufhalten, aber wenn sie platzen stellt sich heraus, dass diese nur verzögert wurde.

Börsencrash im März 2020

Tatsächlich sind im
März die wichtigsten amerikanischen, europäischen und asiatischen Börsen zusammengebrochen,
noch bevor die Pandemie in den meisten Ländern zu strengen Isolationsmaßnahmen geführt
hatten. Der Dow Jones (ein wichtiger amerikanischer Börsenindex) ist in den
ersten drei Märzwochen um 30 % gefallen, der schnellste Kurssturz seit Beginn
der Aufzeichnungen.

Hier waren zwei Faktoren zusammengekommen. Auf der einen Seite hatten Saudi-Arabien und Russland einen Preiskrieg auf dem Ölmarkt begonnen, also Öl bewusst günstig verkauft, um der Gegenseite die Profitgrundlage zu entziehen. Investitionen am Energiemarkt hatten daraufhin eine schlagartig niedrigere Profiterwartung und Anleger_Innen versuchten ihre Wertpapiere in bares Geld zu verwandeln.

Außerdem wurden die Folge des umfassenden „Lockdown“ in China spürbar, die viele Zwischenprodukte für weltweite Produktionsketten liefern. Auch hier mussten sich Kapitalist_Innen nach Krediten umsehen, um den erwarteten Umsatzverlust zu überstehen, und verkauften andere Anlagen.

Das Ergebnis ist eine klassische Finanzkrise, in der die Nachfrage nach Wertpapieren und daher die Kurse zusammenbrechen, Kreditnehmer_Innen nicht mehr in der Lage sind zurückzuzahlen, und viele Firmen Überbrückungskredite anfordern, die aber nur teuer zu bekommen sind, weil die Rückzahlung unsicher ist.

Die Nachwirkungen der Krise 2008

Ähnlich hatte auch die
Krise 2008 begonnen, wo eine massive Blase auf den Hypotheken- und Hausmärkten
geplatzt war als die Rückzahlungsausfälle sich häuften. Das hatte die
Profitkrise in der europäischen und US-amerikanischen Produktion offengelegt
und zur größten globalen Krise seit 1929 geführt.

Üblicherweise führen
Krisen zu einer Reihe von Firmenpleiten und damit zu einer Vernichtung (also
Außerdienststellung) von deren fixem Kapital. In der Folge ist eine Erholung
möglich, weil der Anteil der menschlichen Arbeitskraft wieder steigt und in der
Tendenz die produktiveren Kapitale überleben.

Die Antwort 2008 bestand aber aus einer Kombination aus Niedrigzinspolitik, internationaler Koordination, und der kaum beschädigten Produktivität in China und Lateinamerika (vor allem Brasilien), die den Weltwirtschaftsmotor wieder ankurbelte. Außerdem wurden viele sozialstaatliche Errungenschaften der Arbeiter_Innenklasse mit massiven Austeritätsprogrammen angegriffen und beseitigt. Die Kosten, die nicht verhindert werden konnten wurden also auf die Bevölkerung abgewälzt.

Mit der Niedrigzinspolitik wurde das Reproduktionsproblem des Kapitalismus nach ersten Geburtsschwierigkeiten teilweise gelöst, aber nicht die Verwertung angekurbelt. Die Kapitalist_Innen blieben auf ihren Produkten und dem fixen Kapital der Vorkrisenperiode sitzen, ein neuer Zusammenbruch war vorprogrammiert.

Auch internationale Koordination hat bestimmte Grenzen, die durch den globalen und brutalen Wettbewerb im Kapitalismus gegeben sind. Dass dieses Instrument überstrapaziert war konnte man an den Handelskriegen, vor allem zwischen den USA und China, und der EU und Russland, sehen. Die nationalen Kapitale verlangten hier von ihren Regierungen sie bei der Durchsetzung gegen die internationale Konkurrenz tatkräftig zu unterstützen.

Und China, wo die
Produktivität sich schon vor 2020 verlangsamt hatte, ist besonders hart von der
Pandemie getroffen. Zumindest in den nächsten Monaten wird es nicht in der Lage
sein, die Weltwirtschaft mit Investitionsmöglichkeiten und Nachfrage
auszuhelfen.

Politische Spielräume und internationale Spannungen

Die unmittelbaren Auswirkungen der Coronakrise sind vor allem ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, ein Zusammenbrechen der kapitalistischen Investitionen, für die im Moment kein hoher Ertrag zu erwarten ist. Weder Arbeiter_Innen noch Kapitalist_Innen haben im Moment die Mittel oder die Lust, groß einzukaufen, was zu einem Zusammenbruch der globalen Nachfrage (außer für Medizinprodukte) führt. Das bedeutet, um den Begriff von vorhin zu verwenden, eine Realisierungskrise.

Gleichzeitig stehen auch viele bereits bezahlte Investitionen still, weil Arbeiter_Innen und Zwischenprodukte fehlen, es kommt also eine weltweite Produktionskrise dazu. Nachdem die Verwendung menschlicher Arbeitskraft in der Produktion die Grundlage des kapitalistischen Profits ist, bricht der Kapitalkreislauf auch an diesem Punkt zusammen.

Der Zusammenbruch der Finanzmärkte ist eine Folge der Krisentendenz der fallenden Profitrate, die im Kapitalismus immer auftreten wird. Sie wird noch verschärft durch die internationalen Spannungen und deren Auswirkungen auf die Energiemärkte (Preiskrieg) und die Produktionsketten (Handels- und Zollkrieg). Das führt dazu, dass Kapitalist_Innen nicht an die Mittel kommen um sich über die Krise zu retten, oder neue Investitionen zu finanzieren, also einer tiefen Kreditklemme.

Die Kombination dieser
drei Krisendynamiken und die Kosten der Gesundheitskrise lassen erahnen, dass
uns eine Rezession bevorsteht, die sehr wahrscheinlich noch schlimmer sein wird
als 2008 oder sogar 1929. Auf der einen Seite ist das so, weil die Auswirkungen
der drei Faktoren sich aufsummieren. Aber auch der Weg aus der Krise heraus ist
schwieriger, weil nicht nur ein Problem (vorübergehend) gelöst werden muss.
Außerdem sind die Lösungsstrategien, die 2008 halbwegs funktioniert haben, fast
restlos ausgeschöpft.

Darauf können sich auch die ökonomischen Vertreter_Innen der Kapitalist_Innen, in den großen Banken und Universitäten, einigen. Die Bank of America erwartet bis zu 20 Millionen mehr Arbeitslose und einen Einbruch des Wirtschaftswachstums um 10 Prozentpunkte. Das würde die tiefste Krise seit dem zweiten Weltkrieg bedeuten. Und selbst dieses Szenario geht optimistisch davon aus, dass die Weltwirtschaft schon im Oktober wieder normal läuft und kräftig wächst.

Auch die Washington
Post titelt „Die Coronakrise zeigt, dass unsere Wirtschaft nicht so stark
ist wie gedacht
“. Nouriel Roubini, der das Buch „Crisis Economics
geschrieben hat und unter bürgerlichen Ökonom*innen als Experte gilt, schreibt,
dass die Krise tiefer als 2008 und die Erholung weniger erfolgreich sein wird.

Wer leidet unter, wer bezahlt für die Krise?

Sowohl die Pandemie als auch die ersten Auswirkungen der Krise treffen die unterdrücktesten Teile der Arbeiter_Innenklasse am härtesten. In New York City, wo diese Daten bezirksweise veröffentlicht werden, liegen die Infektionen in den ärmsten Bezirken teilweise um das Fünffache über denen in den besten Gegenden von Manhattan. Besonders junge und migrantische Arbeiter_Innen sind von Entlassungen, besonders Frauen von der gefährlichen Arbeit mit mangelhafter Schutzausrüstung betroffen. Und die UN warnt davor, dass der Virus in afrikanischen Ländern zu Millionen Toten führen könnte. Gleichzeitig nimmt die Gewalt gegen Frauen und rassistische Hetze, vor allem gegen Menschen aus asiatischen Ländern und Geflüchtete, massiv zu.

Im Moment verschlechtert sich die Lage in Österreich sowohl für Arbeiter_Innen, die mit Arbeitslosengeld oder Kurarbeit zwischen 10 % und 40 % ihres Gehalts verlieren, aber auch für die Kapitalist_Innen und Unternehmer_Innen die ganz ohne Einkommen dastehen. So eine Unsicherheit lässt sich in der eigenen Villa und mit dickem Sparkonto aber besser überstehen als für die 20 % der Bevölkerung deren Gesamtvermögen unter 10.000 Euro liegt.

Ein großes Problem ist, dass unsere politische und gewerkschaftliche Aktivität im Moment fast stillsteht, während Regierung und Kapitalist_Innen ihre politischen Vorstellungen direkt in Gesetze gießen können, und das auch tun. Dass die Überbrückungshilfen vor allem an große Unternehmen ausbezahlt werden, oder dass Arbeiter_Innen im „Home-Office“ den Jahresurlaub aufbrauchen sollen, zeigen das ganz klar.

Wir müssen sicherstellen, dass die Kosten der kommenden Krise nicht auf die Arbeiter_Innen, Jugendlichen und Unterdrückten abgewälzt werden. Das bedeutet auf der einen Seite schon jetzt Bündnisse zu schmieden, mit Bekannten, Kolleg_Innen und politischen Aktivist_Innen zu reden und uns vorzubereiten. Es würde wohl Sinn machen, am „Tag X“ nach der Quarantäne eine Großdemonstration gegen alle Entlassungen, Lohnkürzungen und geplanten Sparpakete zu organisieren, aus der eine kämpferische Bewegung entstehen kann.

Bis dahin müssen wir uns um ein politisches Aktionsprogramm sammeln. Eckpunkte müssen ein (1) Verbot aller Entlassungen und Wohnungskündigungen, (2) Weiterbezahlung der vollen Löhne, (3) ausreichende Bereitstellung von Schutzmaterial in den Berufen die weiterarbeiten müssen, festgelegt von den Arbeiter_Innen selber, (4) die Öffnung der Grenzen für Geflüchtete die jetzt besonders gefährdet sind, (5) Ausbau der Schutzeinrichtung für Betroffene von häuslicher Gewalt, und (6) Bereitstellen von Wohnmöglichkeiten in leerstehenden Häusern und Hotels für Geflüchtete, Obdachlose und andere die es brauchen, sein.

KURZ ERKLÄRT I: Krise ist immer dann, wenn einer dieser Übergänge nicht mehr gelingt. Wenn die Produkte nicht mehr verkauft, also in Geld umgewandelt werden können, heißt das Realisierungskrise, wenn man gerne investieren möchte aber nicht an die notwendigen Mittel kommt sagt man Kreditklemme, und wenn der Produktionsprozess zusammenbricht (zum Beispiel, weil die Arbeiter_Innen in Quarantäne müssen) kann man das Produktionskrise nennen.

KURZ ERKLÄRT II: Niedrigzinspolitik ist eine Strategie mit den Zentralbanken versuchen mit sehr geringen bis 0%-Zinsen Investitionen anzukurbeln. Da der der (Nominal-) Leitzinssatz jedoch nicht weiter als auf null fallen kann hat diese Strategie gegenwärtig eine begrenzte Effektivität.




Was können Antikapitalist_Innen in FFF jetzt noch tun?

Marvin Schutt + Jakob Wendehals

Auch bei Fridays for
Future hat die Corona-Pandemie eine Atempause ausgelöst, zumindest
was Aktivismus außerhalb des Internets angeht. Manche Zyniker_Innen
behaupten zwar, das Virus, das Fabriken schließt und
Fluggesellschaften in den Abgrund reißt, sei die lang ersehnte
Lösung der Umweltkrise. Wir denken aber immer noch, wir können dem
Kapitalismus auch nach vorne entkommen und sind nicht darauf
angewiesen, in ein Zeitalter von Seuchen und Subsistenzwirtschaft
zurückzufallen. Da sich aktuell auch viele Andere nicht damit
zufriedengeben wollen, wird die Bewegung wohl früher oder später
weitergehen. Was sind dann aber die Aufgaben von
Antikapitalist_Innen, denen Warten auf das nächste Klimapäckchen
und ein paar Appelle an die Regierung nicht ausreichen?

Die aktuelle Situation in FFF

Schon
vor Corona befand sich die FFF-Bewegung in einer Phase der
Stagnation: Kaum in einer Stadt ist noch regelmäßig und massenhaft
gestreikt worden, auch die Teilnehmer_Innenzahlen der
Großveranstaltungen und Aktionstage sanken und führende
Aktivist_Innen sind frustriert, überarbeitet und ziehen sich ins
Private zurück. Der Hauptgrund dafür ist das Ausbleiben politischer
Erfolge. Millionen von Aktivist_Innen haben sich der Bewegung
angeschlossen, um den Klimawandel zu stoppen, haben viel Gegenwind
und Repression für ihren Aktivismus geerntet und viel Kraft, Energie
und Arbeit in die Bewegung gesteckt. Und was haben wir dafür
bekommen? Lausige Klimapakete, folgenlose internationale Konferenzen
und eine Menge heißer Luft.

Die
Klimakrise kann jedoch nicht beendet werden, wenn wir sie nicht an
ihren Wurzeln in der kapitalistischen Profitlogik, dem Privateigentum
an Produktionsmitteln und der schonungslosen Ausbeutung von Mensch
und Natur anpacken. Die Forderungen von FFF sind weit davon entfernt.
Sie verbinden die sozioökonomischen Interessen der Millionen von
Lohnabhängigen in diesem Land nicht mit der Klimafrage. Die Bewegung
hat es auch deshalb nicht geschafft, sich zu verbreitern und neue
Teile der Gesellschaft außerhalb von ökologisch bewussten
Schüler_Innen und Studierende zu mobilisieren. So konnte die
Bewegung zwar viel Aufmerksamkeit für die Klimakrise schaffen, hat
jedoch inhaltlich einen Green New Deal vorgeschlagen und sich damit
in Deutschland eher zur Wahlkampfhelferin der Grünen qualifiziert,
anstatt eine systemverändernde Kraft darzustellen. Obwohl FFF in
seinem ganzen Erscheinungsbild irgendwie links wirkt, ist es wichtig,
dass wir nicht vergessen, dass es sich um eine pro-kapitalistische
Bewegung handelt, da es vor allem zum Ziel hat, bloß den
Kapitalismus „grüner“ zu machen. Doch das ist nicht in Stein
gemeißelt und wenn das jemand ändern kann, dann wir
Antikapitalist_Innen!

Was können wir also tun?

Zuerst
einmal ist es wichtig, dass wir offen als Antikapitalist_Innen in der
Bewegung auftreten. Wenn wir Verstecken spielen, tun wir Luisa und
Co. nur den Gefallen, dass sie sich nicht öffentlich positionieren
müssen und machen es ihnen leicht, uns als Unterwanderer und
Spalter_Innen darzustellen. Stattdessen sollten wir offen und
deutlich aber solidarisch unsere Kritik an der Führung und dem
aktuellen Kurs der Bewegung äußern.

Daneben
sollten wir uns darauf konzentrieren, selbst Aktionen zu machen.
Ausschließlich Debatten über Strukturvorschläge helfen uns gerade
nicht weiter und lenken unsere Aktivität nach innen statt nach
außen, wo sie die frustrierten Aktivist_Innen gerade eigentlich
brauchen. Und wenn wir die ganze Zeit nur am Rand stehen und meckern,
wird uns auch eh niemand ernst nehmen.

In
der Praxis können wir zeigen, was wir mit antikapitalistischer
Politik meinen. Eine hervorragende Gelegenheit dafür bietet eine
Kampagne für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, denn der Verkehr
stellt
die drittgrößte Quelle für CO2-Emissionen in Deutschland dar.
Dazu mehr im Artikel „Vom
kostenlosen Nahverkehr bis zum Sozialismus – Wie geht das?“.
Da eine Tarifrunde für die Beschäftigten im Nahverkehr Ende Juni
vor der Tür steht, liegt hier eine Zusammenarbeit mit den
Arbeiter_Innen und Gewerkschaften auf der Hand. Sollte die Kampagne
Erfolg haben, kann sie der Basis von FFF eindrucksvoll vor Augen
führen, dass die organisierte Arbeiter_Innenklasse eine wesentlich
bessere Kampfpartnerin als die „Entrepreneurs for Future“ oder
die Grünen ist.

Gleichzeitig
kann die Kampagne ein Beispiel dafür sein, wie wir nicht nur das Was
sondern auch das Wie der Arbeit von FFF verändern können. Anstatt
die thematischen Schwerpunkte und die Arbeitsweise offen und
gemeinsam zu diskutieren, werden nämlich aktuell unzählige
Kleingruppen gebildet, die still vor sich hinarbeiten und nur von der
Führung wahrgenommen, priorisiert und kontrolliert werden. Dies
müssen wir durchbrechen und stattdessen für
anlassbezogene Aktionskonferenzen eintreten, die Beschlüsse für die
ganze Bewegung demokratisch fassen können. Die Konferenzen sollten
die gesamte Bewegung repräsentieren und aus demokratisch gewählten
und abwählbaren Delegierten aus Schulen, Unis und Ortsgruppen
bestehen. So können wir nicht nur die undemokratische Führung
loswerden, sondern zugleich auch die vielen überlasteten
Aktivist_Innen entlasten, indem neue Menschen Zugang in die
Organisationsarbeit bekommen und die Arbeit auf mehrere Schultern
verteilt wird.

Um
neue Aktivist_innen in die Bewegung zu integrieren, müssen wir
darüber hinaus im Zuge der Nahverkehrskampagne anfangen, aktive
Basisarbeit zu machen. Wir müssen anfangen,
uns auch dort zu organisieren, wo wir uns tagtäglich aufhalten: in
unseren Schulen, Unis und Betrieben. Vor Ort müssen wir
Basiskomitees aufbauen, die kontinuierlich Arbeit machen. Anstelle
sich nur unter Gleichgesinnten zu bewegen, lohnt es sich durch
Mobilisierungen, Vollversammlungen und kleineren Aktionen vor Ort die
Debatte zu anderen Leuten zu bringen und unsere Themen sichtbarer zu
machen. Das sorgt für eine stetige Auseinandersetzung und befähigt
gleichzeitig viele von uns, sich mehr einzubinden. Vor allem, ist die
Hemmschwelle, sich einzubringen, für viele dort wesentlich geringer.
Lasst
uns Vollversammlungen und Veranstaltungen an unseren Schulen
organisieren, auf denen wir gemeinsam mit den Belegschaften aus dem
öffentlichen Nahverkehr diskutieren, wie eine ökologische
Verkehrswende aussehen kann. Gleichzeitig sollten wir als
Schüler_Innen und Aktivist_Innen die Streikversammlungen und
Streikposten der Beschäftigten besuchen, um unsere Solidarität
auszudrücken. Was wir brauchen ist ein bundesweiter Aktionstag von
FFF zum Thema Verkehrswende in Solidarität mit den Streiks und den
Beginn einer aktiven Arbeit an unseren Schulen. Wenn
ihr dabei Unterstützung haben wollt, meldet euch gerne bei uns.




Bernie Sanders – Warum ist er so populär?

Jan Hektik

Als linker Kandidat tritt Bernie Sanders in den US-amerikanischen Vorwahlen der Demokrat_Innen an, in denen entschieden wird, wer als demokratischer Präsidentschaftskandidat antreten darf. Dabei ist er nur noch zu zweit im Rennen gegen seinen Kontrahenten Joe Biden. Dieser ist der Kandidat des Establishements (also der bürgerlichen Führungsriege) und hat vor allem aufgrund der Unterstützung des Parteiapparats inklusive einiger Medienhäuser einigermaßen Vorsprung. Sanders kann sich auf diese nicht verlassen. Er wird von der Parteiführung und der Presse gleichermaßen gehasst. Und das aus den selben Gründen, wieso er große Unterstützung vor allem bei jüngeren Menschen genießt: Seine politischen Positionen, welche aktuelle schwerwiegende Probleme in den USA ansprechen. Er bezeichnet sich selbst als democratic Socialist (demokratischer Sozialist), was heißt, dass er sich in seinem Wahlkampf auf Reformen im Interesse der arbeitenden Klasse1 fokussiert und diese gezielt anspricht. Sein Hauptslogan ist „not me, us“ (nicht ich, sondern wir) und unterstreicht damit die aufkommende linke Massenbewegung, die ihn unterstützt und dafür gesorgt hat, dass er die meisten Einzelspenden für eine_N Präsidentschaftskandidat_In in der Geschichte der USA erhalten hat. Er nimmt keine Spenden von Konzernen an und verweigert eine Zusammenarbeit mit ihnen. Er fordert höhere Steuern für Reiche, Investitionen in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Umweltschutz sowie die Schwächung der Macht der großen Konzerne in den USA. Speziell aber feiern ihn seine Unterstützer_Innen für seinen Plan, ein einheitliches Krankenversicherungssystem zu schaffen, in dem jeder Mensch je nach Einkommen einzahlt und die gleichen (weitreichenden) Leistungen bekommt (Single-Payer-Health-Care-System). Dies würde sogar gegenüber europäische Staaten einen Fortschritt darstellen, da auch hierzulande private Krankenversicherungen bestehen und sich die Reichen von den Kosten der Gesundheitsversorgung der Armen befreien. Für die USA ist es ein umso krasserer Wandel, da es praktisch keine flächendeckende, staatliche Krankenversicherung gibt. Ein bedeutender Teil der US-amerikanischen Bevölkerung ist überhaupt nicht versichert, ein noch größerer Teil ist unterversichert, sodass sie für die meisten Leistungen draufzahlen müssen und das bei massiv höhere Ausgaben für die Gesundheitsversorgung als in Europa. Dieses System ist gut für die Reichen, die sich eine umfassende Gesundheitsversorgung leisten können oder sogar im Gesundheitssektor daran verdienen, und lässt die Armen ohne Möglichkeit zurück, sich um ihre Versorgung anständig zu kümmern, ohne gleichzeitig unter einem Schuldenberg begraben zu werden. Es wird geschätzt, dass mehrere Zehntausende Menschen jedes Jahr sterben, weil sie sich weder die Versicherung noch die Behandlung leisten konnten. Aktuell zeigt sich das Problem der fehlenden Versicherung an der Ausbreitung des Corona-Virus, weil viele Menschen sich weder einen Test, noch die Behandlung leisten können und oftmals wird der Lohn nicht weitergezahlt, wenn man krank daheim bleibt. Deshalb ist insbesondere diese Forderung unfassbar beliebt und zwar in mehr oder weniger allen Wahlgruppen, inklusive der Unterstützer_Innen des Establishments der Demokraten und den Unterstützer_Innen der republikanischen Partei.

Chancen und Schwächen

Neben den offensichtlichen Vorteilen, die eine Umsetzung dieser Politik bedeuten würde, gibt es sogar noch bedeutendere Chancen, die allein schon durch seinen Wahlkampf und Medienpräsenz erreicht werden. Zunächst einmal erleichtert es die Arbeit von Kommunist_Innen extrem, dass er einen vollständig neuen Fokus in der US-amerikanischen Politik setzt und zwar in mehrerer Hinsicht: Erstens wird durch seine Popularität der Begriff „Sozialismus“, der in den USA für gewöhnlich mit „Unfreiheit“ gleichgesetzt wird, neu und dabei deutlich positiver belegt. Zwar ist Sanders politisch eher als linker Sozialdemokrat einzuordnen, jedoch bezeichnet er sich selbst als demokratischer Sozialist und ein großer Teil der Jugend verbindet mit dem Begriff Sozialismus nun soziale Politik wie eine allgemeine Gesundheitsversorgung. Zweitens ist er gezwungen, seinen Wahlkampf weg von identitätspolitischen Schwerpunkten hin zu programmatischen Fragen auszurichten. Als weißer heterosexueller Mann über 70 kann man halt schlecht sagen, dass man deswegen gewählt werden sollte, weil man weiblich (Hillary Clinton), Person of Colour (Barack Obama), jung und/oder LGBTIA ist (Pete Buttigieg). Dieser Fokus auf die Person ist aber absolut üblich in der US-amerikanischen Politik („Wählt mich, denn ich bin toll“ anstatt „Wählt mich, denn ich möchte tolle Politik machen“). Und drittens spricht er die Frage der Klasse an und stellt klar heraus, dass die Interessen der Reichen und die Interessen der arbeitenden Klasse entgegengesetzt sind und dass momentan eine Politik gegen die Interessen der arbeitenden Klassen gemacht wird. Dies sind alles Punkte, die im Programm von Sanders liegen und dafür sorgen, dass sich die Situation in den USA für linke Kräfte massiv verbessert.

Schließlich führt das Establishment der Demokrat_Innen einen schmutzigen Kampf gegen Sanders und versucht mit aller Kraft zu verhindern, dass er Kandidat wird. Verleumdungen, undemokratische Tricksereien beim Wahlvorgang (z.B. Behinderung der Wahlen in Gegenden, wo demographisch viele Sanders-Supporter wohnen) und Hinterzimmerdeals zwischen den restlichen Kontrahent_Innen sind da nur einige der Manöver. Dies macht allen Unterstützer_Innen dieser Politik klar, dass die demokratische Partei eine Partei der herrschenden Klasse ist und ihnen die Interessen der arbeitenden Klasse und der unterdrückten Gruppen scheiß egal sind. Dieser Konflikt wird Sanders zwar aufgezwungen, bietet jedoch die größte Chance einer Arbeiter_Innenpartei in den USA seit Jahrzehnten, da es dadurch immer leichter wird, klar zu machen, auf welcher Seite die Demokrat_Innen wirklich stehen. Viele in der Bewegung radikalisieren sich dadurch zunehmend und verlangen nach einer Politik, die sich nicht nur weg von der Demokratischen Partei sondern auch weg vom bloßen Parlamentarismus hin zu einem Kampf auf der Straße und in den Betrieben wendet.

Genau hier liegen aber auch die Schwächen von Sanders. Seine Politik hat Grenzen und falsche Grundannahmen, indem er zwar durch die Reformen eine massive Verbesserung erkämpfen könnte, diese Veränderungen jedoch nur durch Wahlen und Parlamente bewirkt werden und nicht das kapitalistische System als solches überwunden werden soll. Dazu sind folgende weitere Punkte hierbei relevant. Wie oben bereits angedeutet, scheut er den Kampf mit den Demokrat_Innen. In den USA ist die Vorstellung vorherrschend, dass wer als linker Kandidat unabhängig als Präsidentschaftskandidat_In antritt, den Rechten zum Sieg verhilft, weil die Person die Stimmen spalte. Hauptschuldig ist daran zwar das undemokratische Wahlmenschen-System2, trotzdem werden auch Sanders Spaltungsabsichten vorgeworfen. Leider dreht er diesen Vorwurf nicht um, indem er die Führung der Demokrat_Innen angreift und entlarvt, dass sie undemokratisch handelt und gegen die Interessen der arbeitenden Klasse Politik macht und somit eine Einheit mit diesen Kräften den Interessen unserer Klasse nicht hilft. Stattdessen ordnet er sich diesem Vorwurf unter. 2016 hat er Hillary Clinton nach seiner Niederlage unterstützt und in dem aktuellem Vorwahlkampf sagt er, Biden könne Trump schlagen. Generell stellt er die Einheit der demokratischen Partei hoch und schürt somit auch weiter Illusionen in diese bürgerliche Partei.

Notwendigkeit
einer unabhängigen Arbeiter_Innenpartei

Das Problem an klassenübergreifenden Bündnissen ist, dass die Arbeiter_Innenklasse und die Unternehmer_Innen entgegengesetzte Interessen haben und deshalb faktisch immer ein Interesse dem anderen untergeordnet wird. Bei der demokratischen Partei handelt es sich nun aber nichtmal um ein solches Bündnis, sondern eine offen bürgerliche Partei, welche durch winzige Reformen, Rhetorik und Alternativlosigkeit auch Unterstützer_Innen in der Arbeiter_Innenklasse hat. Viele Sanders-Unterstützer_Innen glauben, diese Partei reformieren zu können, jedoch wird dies nicht möglich sein. Die komplette Partei ist von Strukturen durchzogen, welche sicherstellen, dass der Einfluss des Kapitals bestehen bleibt und dominiert. Was wir in den USA benötigen, ist eine neue, eine Arbeiter_Innenpartei, welche sich auf die Gewerkschaften und die arbeitende Klasse sowie andere unterdrückte Gruppen stützt und deren Kämpfe zum Zwecke einer Massenbewegung verbindet. So könnten auch die Unruhen, die im Rahmen der Me Too, der Black-Lives- Matter-Bewegungen und dem „March for our lives“ aufkamen, mit den Kämpfen der LehrerInnen und anderer Arbeiter_Innen zu Streiks, Besetzungen und einem Erstarken des Klassenkampfes zusammengeführt werden. Und somit gäbe es die Chance, nicht nur eine Wahl zu gewinnen, sondern eine bleibende Grundlage für eine sozialistische Revolution in den USA zu legen. Hierfür ist die Bewegung um Sanders der beste Ansatz der letzten Jahrzehnte. Durch die Konfrontation mit der Führung der Demokrat_Innen ist dort ein Bewusstsein für die Notwendigkeit des Konfliktes größer als bei Sanders selbst. Die Bewegung hat viel Einfluss in Gewerkschaften, den Communitys der People of Colour und vor allem der Jugend und sieht die Notwendigkeit starker Angriffe auf die herrschende Klasse. Dort fällt die Losung einer Unabhängigen Partei auf fruchtbaren Boden. Umso mehr, je stärker sich der Konflikt mit den Demokrat_Innen zuspitzt. Momentan sieht es zahlenmäßig eher schlecht für Sanders aus, sollte es aber zum Beispiel durch die wirtschaftliche und medizinische Corona-Krise doch zu dem Fall kommen, dass Bernie Sanders zwar eine Mehrheit bei den Vorwahlen erhält, jedoch auf dem Kongress der Demokrat_Innen durch die Stimmen der Superdeligierten3 nicht zum Kandidat bestimmt wird, könnte der Konflikt zwischen Bewegung und Partei auf die Spitze getrieben werden. Dann sind große Proteste zu erwarten und der Unmut wird weiter ansteigen. Deswegen bietet Sanders eine solch große Chance. Deswegen ist es essentiell in der Bewegung um Sanders zu arbeiten. Nicht um Sanders bedingungslos zu unterstützen, sondern um klar zu machen, dass die Vorraussetzung für den Erfolg der Politik, die Sanders äußert, die Politik der arbeitenden Klasse, nur durch eine neue Partei möglich ist, eine Arbeiter_Innenpartei.

1Er
spricht von „working class“, was nicht nur
„Arbeiter_Innenklasse“ im marxistischen Sinne, sondern
auch „Unterschicht“ heißen kann.

2In
jedem Bundesstaat bekommt die Person alle stimmen, die die Mehrheit
errungen hat. Bei einer knappen Mehrheit könnte also fast die
Hälfte der Stimmen wertlos werden.

3Dies
sind Deligierte, die nicht an die Ergebnisse der Vorwahlen gebunden
sind, jedoch bestimmen, wer gewinnt, wenn keine_R eine absolute
Mehrheit erringt. Da diese zum Großteil aus Establishment-treuen
Politiker_Innen bestehen, entscheiden sie sich höchstwahrscheinlich
gegen Sanders.




Defender 2020 abgesagt, aber der Kampf gegen Militarismus geht weiter!

Florian Schwerdtfeger

Ein
Gutes hat die Corona-Pandemie doch: Der größte Truppenübung gegen
Russland seit 25 Jahren musste abgesagt werden. „Defender 2020“
hieß die militärische Giga-Übung der NATO. Gar nichts davon
mitbekommen? Kein Wunder, während die Bundesregierung versucht hat,
keinen großen Wirbel um das Thema aufkommen zu lassen, haben
antimilitaristische Linke und Friedensbewegungen es nicht geschafft,
eine größere gesellschaftliche Protestdynamik um das Thema herum zu
entwickeln. Die Linkspartei hat es zu einem Lippenbekenntnis gebracht
und das Manöver kritisiert. In einigen Städten gab es
Demonstrationen. Aber eine groß angelegte Mobilisierung gegen
Defender gab es nicht. Was die Kriegsgegner_innen nicht geschafft
haben, hat nun ein Virus erledigt: „Defender 2020“ wurde
abgesagt.

Doch
was war eigentlich geplant? Das NATO-Manöver sollte nicht nur die
letzten großen Übungen der NATO übertrumpfen, wie z.B. das
Kampfmanöver in Norwegen 2018, sondern sollte auch das größte seit
dem Kalten Krieg werden. Dabei sollte trainiert werden, wie schnell
Truppen und Material aus den USA in das Baltikum und Polen verlegt
werden können, was zufälligerweise strategisch wichtige Orte in
einem Krieg gegen den traditionellen Erzfeind Russland wären. Auch
wenn Generalleutnant Martin Schelleis erklärte, dass Russland nicht
Anlass der Übung sein solle, ist es mehr als deutlich, dass es sich
um ein Abschreckungs- und Vorbereitungsmanöver handelt.In
Militärkreisen wurde von ungefähr 37.000 Soldat_Innen vorrangig aus
den USA und rund 20.000 Stück an Materialien wie Waffen und
Fahrzeugen gesprochen. 5500 US-amerikanische Streitkräfte sind
aufgrund der Absage der Militärübung letztlich nur gekommen und
sollen nun wieder rückgeführt werden.

Auch die deutsche Verteidigungsministerin AKK hatte sich schon darauf gefreut, kräftig mitzumischen. Neben der Beteiligung einiger tausend Bundeswehrsoldat_Innen wollte Deutschland seine geostrategische Position vor allem zur zentralen Verkehrsdrehschreibe und zum militärischen Logistikzentrum ausbauen. Dieses Vorgehen beruht ganz auf der neuen Doktrin, die in den letzten Jahren von Bundespräsident und Verteidigungsministerium ausgegeben wurden: Schluss mit der „Kultur der militärischen Zurückhaltung“, Deutschland müsse „mehr Verantwortung auf der Weltbühne übernehmen“. Nach der letzten Wirtschaftskrise hat sich der Kampf unter den führenden imperialistischen Mächten um das größte Stück eines kleiner werdenden Kuchens verschärft. Der Ton ist rauer geworden, multilaterale Abkommen wurden aufgekündigt. Zwischen den USA und China entbrennt ein Handelskrieg, der auch die EU in die Auseinandersetzung hineingezogen hat. Im syrischen Bürger_Innenkrieg, schon lange ein Stellvertreter_Innenkrieg, kommt es zu direkten militärischen Konfrontationen zwischen Russland und der NATO-Partnerin Türkei. Auch das deutsche Kapital bangt nun um seinen Platz an der Sonne und greift zu zunehmend aggressiveren Methoden.

Über
2,5 Millionen Euro hat die Bundesregierung allein für die deutsche
Beteiligung klar gemacht. Wie viele Corona-Test-Kits, Beatmungsgeräte
oder Lohnerhöhungen für schwer arbeitende Pflegekräfte auf den
Intensivstationen hätte man damit wohl finanzieren können? Der
Bundesregierung scheint die militärische Absicherung deutscher
Profitinteressen wohl wichtiger zu sein als die Rettung von
Menschenleben. Mal abgesehen von der massiven Klimabelastung, die
entsteht, wenn zehntausende Soldat_Innen und tausende Tonnen von
Panzern und Kriegsgerät über den halben Erdball transportiert
werden. Wie viele Steuergelder werden allgemein verbrannt, zuerst um
überhaupt ein Militär auf die Beine zu stellen, es zu unterhalten
und dann auch noch um die Infrastruktur der Länder wieder Instand zu
setzen, weil die Transporte die Straßen und Schienen, mehr belasten
als der übliche Verkehr?

Als
kommunistische Jugendorganisation treten wir für die Entwaffnung und
Abschaffung aller Armeen und Heere von kapitalistischen Staaten ein.
Ihre Funktion ist es, die wirtschaftlichen und geostrategischen
Interessen von kapitalistischen Nationalstaaten auf brutale und
mörderische Art und Weise zu verteidigen. Diese Interessen sind
nicht die unseren, da nicht Volk und Vaterland, sondern allein die
internationale Solidarität der Unterdrückten und Ausgebeuteten uns
befreien kann. Die Arbeiter_Innenklasse und besonders die Jugend sind
die ersten, die im Kriegsfall hungern müssen und die an die Front
zum Sterben geschickt werden. Dadurch liegt es aber auch in ihrer
Macht den Krieg zu beenden, so wie es die Kieler Matrosen im 1.
Weltkrieg getan haben.

Obwohl
die NATO-Manöver eine Aggression gegenüber Russland darstellen,
dürfen wir nicht in die Falle tappen, in Putin den großen
antiimperialistischen Helden zu sehen. Stalinistische Organisationen
wie die SDAJ oder DKP vertreten eine solche Position. Für uns stellt
das Russland von heute jedoch eine ebenso imperialistische Macht dar,
wie es die USA, Deutschland oder Großbritannien sind. Wir vertreten
in Kriegen eine Position, welche darauf abzielt, jene Handlungen zu
unterstützen und zu fordern, welche die Welt näher an das Ziel der
sozialistischen Revolution bringen. Das heißt, dass wir im Falle
eines Krieges zwischen NATO und Russland für die Niederlage beider
imperialistischer Mächte (bzw. Militärbündnisse) eintreten, um den
Kampf der Nationen in einen Kampf der Klassen umzuformen. Dies tun
wir, weil bei einer Niederlage die Klassenwidersprüche in der
entsprechenden Nation zugespitzt werden und die Illusion der
nationalen Einheit von Unternehmer_Innen und Arbeiter_Innen
zerbricht. Denn keine imperialistische Macht soll Siegerin über die
andere sein, sondern die unterdrückten Massen müssen die Schwäche
der Kapitalist_Innen im Kriegsfall ausnutzen, um sich von der
Unterdrückung zu befreien und eine sozialistische Rätedemokratie
aufzubauen.

Praktisch
heißt das für uns, jegliche Militarisierung in Deutschland immer
und überall zu bekämpfen. Das kann heißen, Großdemos zu
organisieren, wenn ein neuer Militäretat anstelle eines Ausbaus der
Krankenhäuser beschlossen wird. Das muss aber auch heißen, dort wo
wir uns tagtäglich bewegen, also in unseren Schulen, Unis und
Betrieben, für Antimilitarismus einzutreten. Wenn der
Geschichtslehrer mal wieder von der einstigen Stärke der deutschen
Wehrmacht schwärmt, sollten wir unseren Mund aufmachen und Kontra
geben! Kommt das nächste Mal ein Bundeswehroffizier in den
Ethikunterricht, um fürs Sterben zu werben, könnten wir
Blockadeaktionen oder Flashmobs organisieren. Antimilitarismus hat
viele Gesichter aber ein Motto: Nie wieder Krieg!




Crash, Kürzung und Corona

Christian Mayer & Felix Ruga

Nachdem die
Kursverläufe an der Börse in den letzten Jahren vergleichsweise
stabil verlaufen sind, brechen sie seit ca. einem Monat weltweit
rapide ein. Und spätestens mit der Ausbreitung des Corona-Virus‘ zur
Pandemie wird die globale Krise immer greifbarer. Doch betrachtet man
zentrale Wirtschaftszweige in Deutschland wie Autos oder Chemie, war
es nur eine Frage der Zeit, denn der Niedergang war dort schon in
vollem Gange.

Was zuvor geschah:
Die deutsche Industrie baut auch ohne Virus ab.

In den letzten sechs
Monaten wurden von verschiedenen mittelgroßen bis großen
Unternehmen Stellenabbau und Sparprogramme angekündigt, nachdem
ständig das Wirtschaftswachstum nach unten korrigiert wurde und sich
überall die Sorge um eine kränkelnde Industrie breit machte.
Hauptsächlich kündigten die großen Autobauer diese Sparprogramme
an, die sehr harte Einschnitte bei der Belegschaft darstellen. Egal
ob nun VW, Daimler, Audi oder auch Zulieferer wie Bosch, Continental,
Mahle, Brose; ja sogar der Chemiekonzern BASF hat Personalabbau von
insgesamt mehreren 10.000 Beschäftigten angekündigt.

Die offiziellen
Begründungen seitens der Kapitalist_Innen waren damals zumindest in
der Automobilindustrie immer dieselben: Neben den Altlasten des
„Abgasskandals“ müsse man auf die aktuellen Entwicklungen des
Weltmarktes reagieren, bzw. Geld für die bevorstehende
„Transformation“ beiseitelegen. Mit „Transformation“ ist hier
die Umstellung auf E-Mobilität gemeint, wie auch die Einführung von
Industrie 4.0 im Zuge einer weiter voranschreitenden Digitalisierung
der Produktionsprozesse. Laut Studien werden mehrere 100.000
Arbeitsplätze allein durch die Einführung vollständig
automatisierter Fertigungsprozesse überflüssig, die ohne
menschliches Zutun auf Basis der Nutzung von künstlicher Intelligenz
ablaufen und bei der die Maschinen mittels Datennetzen miteinander
kommunizieren. Nichts anderes bedeutet die Einführung von Industrie
4.0: Es wird ein riesiges Heer an Arbeitskräften freigesetzt, die
alle auf den Arbeitsmarkt drängen und nach Ersatzbeschäftigungen
suchen. Diese kann aber das bestehende System nicht anbieten, da
mögliche Umschulungsprogramme aus Kostengründen abgelehnt werden.

In den letzten 10
Jahren, also seit der letzten großen Finanzkrise, hat sich die
Weltwirtschaft sehr unterschiedlich entwickelt.
Zwar konnten sich große Binnenwirtschaften wie die der USA
wieder erholen und Länder wie China verzeichnen seit Jahren ein
permanent hohes Wirtschaftswachstum. Allerdings konnten andere
Wirtschaftsräume wie die EU kaum bis gar kein Wachstum erzielen, die
gegenteilige Entwicklung ist der Fall. Auch Lateinamerika, das eine
Zeit lang der Hoffnungsträger für die positive Entwicklung der
Weltwirtschaft war, steckt seit Jahren in einer zunehmenden Krise
fest. Allein Staaten wie Venezuela oder auch Argentinien stehen am
Rande des Staatsbankrotts mit noch nicht absehbaren Folgen für die
lokale wie auch die Weltwirtschaft und das trotz eines
Freihandelsabkommens zwischen den Staaten des Mercosur-Raumes und der
EU. Dies wurde noch mit einem beschleunigenden Niedergang an den
Rohstoffmärkten verstärkt. Vor allem der Ölpreis fiel schon seit
letztem September im Zuge fehlgeschlagener Verhandlungen zwischen den
ölfördernden Ländern rapide und man sprach schon von einer neuen
Ölkrise. Dies stellt eine existentielle Bedrohung für die Länder
dar, die von dessen Förderung abhängig sind. Hinzu kommen auch die
nach wie vor unklaren Auswirkungen des Brexits, bei dem die
Feinarbeiten an der Entflechtung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen
den EU-Staaten und Großbritannien erst begonnen haben.

Die
Corona-Pandemie ist also letztlich nur ein Auslöser aber nicht die
Ursache der Wirtschaftskrise. Diese liegt weitaus tiefer in der
kapitalistischen Produktionsweise selber. 2007/2008 ist sie in eine
tiefe Absatzkrise geraten, sodass die Produktivität und die
Investitionen massiv gesunken sind. Diese Krisenursachen wurden
jedoch nicht behoben, sondern nur durch Niedrigzinspolitik und
riesige Bankenrettungspakete abgefedert und das hat bis heute
destabilisierende Auswirkungen auf die Wirtschaft, indem sich zum
Beispiel durch Spekulation in einigen Sektoren große Blasen bilden.

Und dann auch noch
Corona

In diese Schwächelage
hat nun Anfang diesen Jahres ein weiterer Faktor die Karten neu
gemischt: das Corona-Virus. Die Auswirkungen und dabei vor allem die
notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung sorgen seitdem
dafür, dass die so empfindliche globalisierte Marktwirtschaft
vollends crasht. Wir sollten
uns jedoch nichts vormachen: Die Quarantänemaßnahmen, die in vielen
kapitalistischen Staaten beschlossen wurde, sind nicht aus
Menschenliebe passiert. Vielmehr drücken sie Kalkulationen des
Kapitals aus, dass eine ungehemmte Ausbreitung der Pandemie die
Wirtschaft mehr kosten würde, als es aktuellen Schutzmaßnahmen tun.
Das ewige Hinundher und das lange Zögern der bürgerlichen
Regierungen widerspiegeln diesen Abwägungsprozess, der darüber
hinaus auch schnell zu anderen Resultaten kommen kann.

Die Rezession hat sich
jedoch schon vor der Pandemie abgezeichnet: China als Lokomotive des
Weltmarktes wurde als erstes in der Millionenstadt Wuhan getroffen
und hat Ende Januar begonnen, riesige Gebiete vom Verkehr abzuriegeln
und mit Essen und medizinisch zu versorgen, was sowohl Kapital als
auch Arbeitskraft band. Das öffentliche Leben vor Ort kam durch
Ausgangssperren zum erliegen und in ganz China wurden
Wirtschaftsabläufe gestört und teilweise heruntergefahren, wenn
deren Produktion mit den abgeriegelten Gebieten zusammenhing. Dadurch
sank zunächst der Ausstoß und bald auch die Nachfrage des
chinesischen Marktes und damit kamen auch weltweite Produktions- und
Lieferketten zum Erliegen. Ironischer Weise kann etwa das
Organisieren von Nachschub für Atemschutzmasken schwieriger sein, da
diese überwiegend in China produziert werden. Auch Apple spürte die
ersten Auswirkungen schon damals, da z.B. der Elektronik-Riese
Foxconn ebenfalls überwiegend in China produzieren lässt und Apple
mit massenhaft Teilen beliefert. Daher wurde auch der
Produktionsbeginn für ein neues Smartphone um Monate verschoben.
Gerade anhand der Ausfälle in der Produktion kann man sehr gut
sehen, wie stark die Abhängigkeit von China als Produktionsstandort
weltweit geworden ist.

Diese Belastung wurde
selbstverständlich ungleich verstärkt, indem sich Covid-19 von
einer lokalen Massenerkrankung zur Pandemie entwickelt hat und nun
vor allem Europa und die USA betrifft. Dadurch bricht nun Panik aus,
jedes Land fährt einen nationalen Alleingang und die Grenzen werden
dicht gemacht. Dies blockiert nun auch hier die Produktions- und
Lieferketten. Dazu werden wie auch in China heftige und sehr
autoritäre Einschränkungen des öffentlichen Lebens wie
Ausgangssperren und Zwangsschließungen öffentlicher Treffpunkte
verordnet. Zwar werden die meisten Industriestandorte nicht
zwangsgeschlossen, doch aus Gewinneinbrüchen fahren Stück für
Stück alle großen Betriebe runter: Zunächst die Flug- und
Reiseunternehmen, nun auch die Autoindustrie, Zulieferer,
Chemieunternehmen und weite Teile der restlichen Industrie. Wenige
schaffen es, dann doch noch mit der Krise ihre Profite zu machen:
Trigema macht jetzt Atemschutzmasken, BASF Desinfektionsmittel,
Maschinenbauunternehmen wechseln zu Beatmungsgeräten.
Selbstverständlich ist das bloß ein Tropfen auf den heißen Stein,
die deutsche Industrie hat momentan nichts zu lachen und die Börsen
befinden sich auch im freien Fall. Wie tief der Fall wird, kann
natürlich niemand voraussehen.

Wie
die Staaten reagieren und was wir machen müssen!

Die staatlichen Hilfsmaßnahmen für das nationale Kapital sind dabei weitestgehend ausgereizt: Der Leitzins kann nicht mehr gedrückt, die Steuern für’s Kapital kaum noch herabgesenkt werden. Klar ist, dass die Unternehmen versuchen werden, die Kosten der Krise auf die Arbeiter_Innenklasse abzuladen. Wenn wir keinen Widerstand organisieren, warten also massive Entlassungswellen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Sozialkürzungen und der weitere Abbau öffentlicher Dienstleistungen auf uns.

Ebenso
werden die kapitalistischen Staaten, die zur Eindämmung der Pandemie
dringend nötigen Einschränkungen von Produktion und öffentlichem
Leben nicht solange aufrechterhalten können, wie es aus
medizinischer Sicht notwendig wäre. Kein kapitalistischer Staat kann
über mehrere Monate oder gar Jahre hinweg mit einem so niedrigen
Produktionsniveau überleben. Da im Kapitalismus Profite mehr als
Menschenleben zählen, werden die Infektionsschutzmaßnahmen
spätestens dann zurückgefahren, wenn sie für die Kapitale zu teuer
werden. Und, wenn ein Staat beginnt die Wirtschaft wieder
hochzufahren, müssen die anderen nachziehen, da ein derartiger
Konkurrenznachteil ihr volkswirtschaftliches Todesurteil bedeuten
könnte. Es warten also nicht nur massive soziale Angriffe, sondern
auch ein tausendfaches Sterben auf uns.

Eine
internationale sozialistische Planwirtschaft könnte dagegen über
längere Zeit hinweg mit dem rein gesellschaftserhaltenden
Produktionsniveau überleben, da es in ihr ja keinen
konkurrenzbedingten Zwang zur Profitmaximierung gibt. Ebenso wäre
sie weitaus schneller und effektiver in der Lage, die Produktion auf
die dringend notwendigen Güter wie Beatmungsgeräte,
Desinfektionsmittel, Atemschutzmasken etc. umzustellen. Es gäbe
genug Intensivbetten für alle, da das Gesundheitssystem als
gesellschaftliche Aufgabe verstanden wird, in der Sparmaßnahmen,
Privatisierungen, Pflegemangel oder Fallpauschalen keinen Sinn
ergeben. Auch die ökonomische Existenz eines jeden Menschen wäre
gesichert, da niemand um seinen_ihren Arbeitsplatz oder seine_ihre
Miete fürchten müsste. Da es auch keine nationale Abschottung und
Konkurrenz um das Patent für Impfstoffe gäbe, wäre auch (im
Gegensatz zu den aktuellen nationalen Alleingängen) ein
koordiniertes internationales Vorgehen gegen die Pandemie möglich.

Der Kampf für ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem beginnt damit, dass wir uns den geplanten Angriffen auf unsere Klasse entgegenstellen. Die Gewerkschaften und Arbeiter_Innenparteien sind dagegen aktuell eher auf nationalistischen Kuschelkurs mit dem Kapital aus. Aus den Reihen der Linkspartei wurde geäußert, dass es aktuell „nicht die Zeit für Oppositionspolitik“ sei. Wir Arbeiter_innen, Jugendliche und Migrant_innen müssen unsere Interessenvertretungen durch eigene Forderungen unter Druck setzen und selber die Initiative ergreifen, wenn wir das Schlimmste verhindern wollen. Wir fordern:

  • Keine Entlassungen während der Pandemie! Volle Lohnfortzahlung aus den Profiten der Kapitalist_Innen!
  • In Berufen, die die gesellschaftliche Grundversorgung garantieren, müssen die Arbeiter_Innen ausreichenden Arbeitsschutz, Arbeitszeitverkürzungen und massive Lohnerhöhungen erhalten!
  • In allen Berufen 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich!
  • Kostenlose Test-Kits, Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel, Seife und Handschuhe für alle! Die dafür notwendigen Fabriken müssen sofort entschädigungslos enteignet und unter Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden, um die Produktion auf die notwendigen Güter umzustellen. Für Beatmungsgeräte statt SUVs!
  • Verstaatlichung aller Kliniken, Pharmakonzerne, Forschungsinstitute und Labore!
  • Für offene Grenzen, um auch Menschen aus anderen Ländern vor Corona retten zu können!
  • Corona war nur Auslöser der Krise, nicht die Ursache! Das Problem liegt im kapitalistischen System!