Was ist Antisemitismus und wie kann er bekämpft werden?

1. Gibt es heute überhaupt noch Antisemitismus?

AfD, FPÖ, andere Rechtspopulist_innen und auch viele große Zeitungen sprechen oft davon, dass es einen neuen Antisemitismus in Deutschland gäbe, der durch die vielen Geflüchteten wieder ins Land gekommen sei. Abschiebungsforderungen und antimuslimischer Rassismus sollen getarnt als ein angeblicher Kampf gegen „zugewanderten Antisemitismus“ (Wolfgang Schäuble) salonfähig gemacht und legitimiert werden. Tatsächlich beweisen neuere Studien, dass es einen Anstieg antisemitischer Straftaten gibt. Die Täter waren jedoch in den meisten Fällen nicht Migrant_innen sondern vorwiegend rechte Deutsche. Erinnert sei hierbei 2019 auf den Anschlag in Halle, 2018 an die Angriffe auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz, an die „Wer Deutschland liebt ist Antisemit“-Rufe in Dortmund, als auch an wiederholte Grabschändungen in jüdischen Friedhöfen oder Beleidigungen und Bedrohungen auf offener Straße oder im Internet. Anstatt sich diesen schrecklichen Vorfällen ernsthaft entgegenzustellen, wird Antisemitismus zum Kampfbegriff, um „Integrationsprobleme“ zu beschwören, Entsolidarisierung mit Geflüchteten zu bewirken, Repressionsmaßnahmen wie Abschiebungen zu rechtfertigen und linke Organisationen zu diffamieren. Opfer von rechter Gewalt werden so zu vermeintlichen Täter_innen gemacht. Dadurch wird suggeriert, dass es keinen Antisemitismus mehr gäbe, wenn man sich nur dem Islam, den Geflüchteten und der Palästina-Solidaritäts-Bewegung entledigen würde. In welchem Land der Antisemitismus zum millionenfachen Massenmord an Jüdinnen und Juden führte, dass es in Deutschland niemals ein Ende des Antisemitismus gab und welche ideologischen Kontinuitäten rechte Parteien bis heute davon mittragen, wird somit systematisch verwischt. Keine Rede ist von rechter Esoterik und antisemitischen Verschwörungstheorien, wie der von der „geheimen internationalen Macht jüdischer Großunternehmer wie Soros, den Rothschilds oder Facebook-Gründer Zuckerberg“ oder den angeblichen mächtigen jüdischen Bankiers in den USA, die heimlich das Weltgeschehen steuern. Keine Rede ist von Forderungen aus den Reihen der AfD nach einem „Schlussstrich mit dem Schuldkult“, dem „Denkmal der Schande“, der Forderung wieder „stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ (Gauland 2018) oder der Bezeichnung der Nazi-Zeit als einen „Fliegenschiss“ (Gauland 2018) gegenüber der ansonsten so großartigen deutschen Geschichte (die im Übrigen voll von antisemitischen Pogromen ist). Um wieder „stolz auf Deutschland“ sein zu dürfen, wird die historische Schuld abgewehrt, auf andere geschoben (häufig sogar auf die Jüdinnen und Juden selbst) oder die Grausamkeiten des Holocausts verharmlost. Im Fahrwasser eines internationalen Rechtsrucks konnten sich antisemitische Theorien an vielen Orten auf der Welt wieder aus der Mottenkiste befreien. Während die polnische PiS-Partei einen fundamentalistisch-religiös argumentierenden Antisemitismus vertritt, bedient Victor Orbans Fidesz-Partei klassische antisemitische Verschwörungstheorien. Die ukrainische Swoboda-Partei kämpfte im „Euromaidan“ gegen eine von ihnen ausgemachte „jüdisch-russische Mafia“ und verehrt den Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher Stephan Bandera. Wo solche Ideologien hinführen, mussten wir im Oktober 2018 in den USA beobachten als ein faschistischer Terrorist in einem schrecklichen Blutbad in einer Synagoge elf Menschen erschoss. Indem der Antisemitismusbegriff jedoch immer weiter allein auf Kritik an der Politik der israelischen Regierung verengt und zum Kampf gegen den Islam und die Palästinasolidarität instrumentalisiert wird, geraten die Lebensrealitäten von in Europa lebenden Jüdinnen und Juden, von Shoa-Überlebenden weltweit und auch antisemitische Übergriffe in der Gesellschaft immer weiter aus dem Fokus. Die eigentliche Gefahr hinter der neuen Welle von Antisemitismus im Zuge des Rechtsruckes und auch der Zusammenhang zwischen deutschem Nationalismus und Antisemitismus werden somit verschleiert. Um dieser Gefahr ins Auge zu sehen und Antisemitismus heute erkennen, erklären und bekämpfen zu können, wollen wir uns im Folgenden erst einmal angucken, was Antisemitismus überhaupt ist, wie er entstanden ist und wie er funktioniert. Ferner wollen wir diskutieren, inwiefern der Staat Israel ein Schutzraum gegenüber Antisemitismus sein kann und was andere Strömungen innerhalb der Linken für Konzepte im Kampf gegen Antisemitismus anzubieten haben. Abschließend zeigen wir auf, wie wir Antisemitismus tatsächlich und nachhaltig bekämpfen können.

2. Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus verstehen wir nicht als ein mystisches Schreckgespenst, das durch die Köpfe dummer* Menschen wabert, sondern als eine konkret erklärbare besondere Form des Rassismus, die zu einer historisch singulären Katastrophe führte. Nachdem mit den überseeischen Expansionsbestrebungen des europäischen Kapitalismus eine Legitimation für die Verbrechen der Kolonialist_innen geschaffen werden musste, wurde der moderne Rassismus geboren: Während im Zuge der Aufklärung das Konzept von allgemeinen Menschenrechten in Europa populär wurde, wurden Herrschaftsansprüche über andere Kontinente durch die Idee gerechtfertigt, zu einem „biologisch“ überlegenen „Herrenvolk“ zu gehören. Auf dieser Grundlage wurde eine pseudowissenschaftliche Rassentheorie konstruiert, aus der die europäischen Koloniasor_innen ein natürliches Recht ableiteten, Menschen mit anderer Hautfarbe auszubeuten, zu versklaven und zu ermorden. Rassismus diente und dient auch heute noch also als ideologische Verkleidung für die Ziele imperialistischer Politik: Wo früher das „deutsche Volk“ für „Lebensraum“ oder einen „Platz an der Sonne“ kämpfte, werden heute „westliche Werte“ gegen „andere Kulturkreise“ verteidigt. Antisemitismus diente zwar nicht der Beherrschung und Kolonisation eines Gebietes aber fußt als eine Form des Rassismus auch auf derselben Konstruktion des „weißen Herrenvolkes“. Dessen innere „Gesundheit“ werde durch die Jüdinnen und Juden als „Parasitenvolk“ gefährdet, indem eine „internationale jüdische Finanzmacht“ die „gesunden Nationalstaaten“ unterwandere. Da dies ein heimlich stattfindender geheimer Prozess sei, der nicht aufzuhalten ist und der „Natur des Judentums“ entspreche, fordert der Antisemitismus in letzter Konsequenz immer die „Befreiung der vergifteten Völker“ durch Auslöschung des Judentums. Während beispielsweise der Rassismus gegenüber People of Color von einer Art kulturellen Überlegenheit der „weißen Herrenrasse“ ausgeht, um Überausbeutung und Versklavung zu rechtfertigen, wird im Antisemitismus von einer Bedrohung der „weißen Herrenrasse“ durch angebliche „Weltherrschaftspläne der Jüdinnen und Juden“ ausgegangen. Anti-jüdische Pogrome, Massenmord, Vernichtungsphantasien und Verschwörungstheorien waren und sind die traurigen Konsequenzen dieser Ideologie. Wie jedem Rassismus geht es auch dem Antisemitismus um die Betonung der Differenz zwischen vermeintlichen „Rassen“ (oder „Ethnien“, wie sie nach 1945 bezeichnet wurden). Jüdinnen und Juden werden dabei zu „Fremden“ oder den „Anderen“. So wie es häufig in rassistischen Weltbildern der Fall ist, wurden den Jüdinnen und Juden Eigenschaften angedichtet, die immer genau das Gegenteil von dem darstellen, wie sich „das weiße Herrenvolk“ gerne gesehen hätte. Wenn die Jüdinnen und Juden – also „die Anderen“ – als gierig, hinterlistig, böse, feige, verweiblicht, heimatlos und schwach dargestellt wurden, wollte man damit eigentlich sagen, dass man selber gerecht, ehrlich, gut, männlich, „heimattreu“, loyal und stark sei. Diese Gegenüberstellung ist im Antisemitismus sehr zentral, obwohl sich im Laufe der Zeit und verschiedenen Epochen und Ausprägungen der Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden verschiedene Formen von Antisemitismus herausgebildet haben. Besonders wichtig ist es hierbei zwischen dem religiös begründeten mittelalterlichen Antisemitismus und dem rassistisch begründeten modernen Antisemitismus, wie er in kapitalistischen Gesellschaften, wie auch dem Faschismus, aufzufinden ist, zu unterscheiden. Im Folgenden werden wir noch viel auf die Entstehung, Ausprägung und Funktionsweise des modernen Antisemitismus eingehen. Kurz und knapp kann man aber an dieser Stelle bereits sagen, dass beim Antisemitismus durch die ökonomische Krisenhaftigkeit des Kapitalismus erzeugte soziale Ängste verschiedener Bevölkerungsgruppen auf Jüdinnen und Juden als Feindbilder projeziert und mit universalistischen Verschwörungs- und Unterwanderungstheorien verknüpft werden. Hass auf Jüdinnen und Juden entsteht also meistens dann, wenn der Kapitalismus das Bedürfnis nach Aufstand und sozialer Veränderung in Teilen des Bürgertums und den verarmten Massen hervorruft und antisemitische Stereotype diesen Wunsch nach kollektivem Aufbegehren auf Jüdinnen und Juden, als die „eigentlichen Strippenzieher hinter dem System“, ablenkt. „Die Juden“ fungieren dabei als ein einheitliches homogenes Kollektiv, was sämtlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen zuwider läuft. Denn da die jüdische Geschichte vor allem eine Geschichte von Vertreibungen, Flucht und Umsiedlungen ist, haben sich in unterschiedlichsten Räumen auf der Welt verschiedene Ausprägungen der jüdischen Religion und jüdischer Identität gebildet. Ob Ashkenazim aus Europa, Sephardim aus Spanien, Mizrachim aus dem muslimischen Raum, Jüdinnen und Juden aus den USA oder kleinere Gemeinden aus Äthiopien und Indien, alle besitzen verschiedene Konzepte ihrer jüdischen Identität, eigene Sprachen, eigene Kultur und eigene Bräuche. Nur eine Minderheit der Jüdinnen und Juden auf der Welt lebt in Israel. Jegliche Theorien von einer gemeinsamen Abstammung, ähnlichen Genen oder einem über alle Grenzen und Zeiten hinweg zusammenhaltenden „Weltjudentum“ sind eine mythische und zugleich rassistische Konstruktion.

3. Wie ist Antisemitismus entstanden?

Natürlich können wir in der über Jahrhunderte hinweg reichenden Geschichte des Antisemitismus hier nicht auf jedes historische Detail eingehen, weshalb die folgende Schilderung vielleicht ein wenig schematisch wirkt. Es geht uns jedoch darum, mit der Methode des historischen Materialismus die allgemeinen sozio-ökonomischen Entwicklungen und geschichtlichen Triebkräfte zu verstehen. Somit wollen wir Antisemitismus als ein gesellschaftliches Produkt mitsamt seiner Produktions- und Reproduktionsbedingungen erfassen. In diesem Sinne hat der jüdische Trotzkist Abraham Leon, welcher 1944 in Auschwitz ermordet wurde, eine sehr gute Studie verfasst, an deren Erkenntnissen wir uns stark orientiert haben: Trotz vielfachen Vertreibungen und Umsiedlungen verhalfen verhältnismäßig (!) sichere Lebensbedingungen dem Judentum der Antike zu kultureller Blüte. Im europäischen Mittelalter wurden die Jüdinnen und Juden jedoch zunehmend in Berufszweige wie Handel, Geldverleih und spezialisiertes Handwerk gedrängt. Durch die Verbote wichtige Ämter auszuüben, Waffen zu tragen, Land zu besitzen und Zünften anzugehören, war der den Christ_innen als sündig geltende Geldverleih eine von wenigen Tätigkeiten, die die Jüdinnen und Juden überhaupt ausführen durften. Der sogenannte mittelalterliche Antisemitismus wurde im Zuge dessen als religiöse Ideologie gebraucht, um den sozialen Ausschluss der Jüdinnen und Juden zu legitimieren. Hier entstanden erste Bilder von Jüdinnen und Juden als den „Christusmördern“, den „Brunnenvergiftern“, „Kindermörder“, „den geizigen Wucherern“, „Ritualmördern“ und sonstige bullshit-Verschwörungstheorien – soviel zum Thema „jüdisch-christliches Abendland“. Diese sozio-ökonomische Sonderstellung, in die die Jüdinnen und Juden im feudalen Mittelalter gedrängt wurden, hat ihre Integration in die bestehende Klassengesellschaft verhindert und gleichzeitig bewirkt, dass die jüdischen Communities relativ isoliert ihre eigene Sprache, Kultur, Religion und Siedlungsgebiete behielten. Gerade in wirtschaftlichen Krisenperioden wurden blutige Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in Europa angestiftet. Zu massenhaften Vertreibungen oder Massenmorden kam es jedoch eher selten, da das feudale Wirtschaftssystem auf die ökonomische Funktion der jüdischen Bevölkerung angewiesen war. Die große Katastrophe begann mit der schleichenden Auflösung des Feudalismus und seiner Ablösung durch ein neues Wirtschaftssystem, den Kapitalismus. Denn indem der Kapitalismus durch seine technologisch-industriellen Entwicklungen eine neue Klasse, das Bürgertum, an die Macht hievte, lösten sich feudale Strukturen wie der Ständestaat, die Herrschaft des Adels oder die Leibeigenschaft nach und nach auf. Auch die sozio-ökonomische Sonderstellung der jüdischen Communities wurde somit nach und nach untergraben. Während sich in Westeuropa der Kapitalismus blühend entwickelte und die jüdische Bevölkerung mehrheitlich Teil der Arbeiter_innenklasse oder des Bürgertums werden konnte, verlief die Entwicklung des Kapitalismus in Osteuropa eher stockend. Die vielen Krisen und die hohe Arbeitslosigkeit behinderten die Jüdinnen und Juden dabei, hier einen neuen Platz im kapitalistischen System zu finden. Dieser Prozess ging mit einer dramatischen Verarmung der jüdischen Communities und wachsendem Antisemitismus in Osteuropa einher. Infolgedessen flohen viele Jüdinnen und Juden nach Westeuropa. Doch auch hier geriet der Kapitalismus insbesondere in den 30ern Jahren in eine tiefe Krise. Die neu entstandene faschistische Bewegung in Deutschland knüpfte am mittelalterlichen Stereotyp der „jüdischen Wucherer“ an und konstruierte die Legende vom „jüdischen Finanzkapital“. Dieses „böse raffende Kapital“ wurde dem „guten deutschen schaffenden Kapital“ gegenüber gestellt. So war es den Faschist_innen möglich, den Frust und die sozialen Abstiegsängste, die kleine Unternehmen, Handwerker_innen, Selbstständige und Arbeiter_innen im Zuge der Wirtschaftskrise erlebten, von den Herrschenden abzulenken und auf die jüdische Bevölkerung zu richten. Die konsequenteste Gegnerin des Faschismus – die internationale Arbeiter_innenbewegung – wurde ebenfalls in das Konstrukt des „jüdischen Feinds“ integriert. Antisemitismus und Antikommunismus eint dabei die Vorstellung, das Judentum und die revolutionäre Arbeiter_innenbewegung seien eine gegen die „gesunden Völker“ gerichtete „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“, die die als natürlich gewachsen verstandene Ordnung der Nationalstaaten auflösen und die „Volksgemeinschaften“ mit ihrem „Gift“ zersetzen will. Dem herrschenden Bürgertum kam dieses Feindbild im Zuge der Verschärfung der Wirtschaftskrise und einer wachsenden revolutionären Arbeiter_innenbewegung, die ihre Macht zu bedrohen schien, ziemlich gelegen. Der Antisemitismus diente somit seit jeher auch als wirksame Waffe gegen den Marxismus. So wie die internen Probleme, dem „jüdischen inneren Feind“ angelastet wurden, wurde dieser auch auf eine äußere Bedrohung, den „jüdischen Bolschewismus“ projiziert. Nach Hitlers Machtübernahme hatte der Antisemitismus nun die Funktion, verschiedene Klassen ideologisch in einer Rasse aufgehen zu lassen und somit eine „deutsche Volksgemeinschaft“ zu konstruieren, die sich gegen den inneren und äußeren „jüdischen Feind“ verteidigen müsse. Die schreckliche Konsequenz dessen war der industrielle Massenmord an über 6 Millionen Jüdinnen und Juden. Doch auch tausende Jüdinnen und Juden setzten sich gegen den Antisemitismus auf verschiedenste Weisen zur Wehr. Viele erkannten den Zusammenhang von Antisemitismus und Kapitalismus und schlossen sich der kommunistischen Arbeiter_innenbewegung an, um diesen zu überwinden. In der Oktoberrevolution in Russland kämpften zum Beispiel tausende Jüdinnen und Juden siegreich gegen das brutale und antisemitische Regime des Zaren. Dies zeigt uns wie jüdische Arbeiter_innen in den Reihen der Bolschewiki für die Befreiung von Antisemitismus, Ausbeutung und Krieg gegen den Kapitalismus kämpfen konnten. Die darauffolgende stalinistische Degeneration der Sowjetunion hat jedoch den Antisemitismus wieder auf die Tagesordnung geholt, um von inneren Widersprüchen abzulenken und gezielt politische Gegner_innen auszuschalten. Auch zur Verfolgung von Trotzkist_innen wurden antisemitische Stereotype neu aufgewärmt. Die lange Geschichte des europäischen Antisemitismus ist leider auch heute trotz der historischen Katastrophe der Shoa nicht beendet. Wenn gleich nicht mehr offen mit dem Antisemitismus hausiert werden darf, tritt er heute eher verdeckt auf. Vor allem dort, wo nach verkürzten Lösungen für die kapitalistische Krise gesucht wird, ohne den Kapitalismus als Ganzes infrage stellen zu wollen. Besonders anfällig für verkürzte Kapitalismuskritiken sind meistens die Teile der Gesellschaft, die im Allgemeinen vom Kapitalismus profitieren aber in Wirtschaftskrisen vom großen Monopol- und Bankenkapital bedroht werden – also kleine Unternehmen, Selbstständige, Handwerker_innen und Kleinbürger. Doch auch in Teilen der Arbeiter_innenbewegung kann der Antisemitismus durch Niederlagen ihrer Führung fußfassen. Auch heute sind wieder Begriffe wie die „jüdische Zinslobby“ und die „dunkle jüdische Macht im internationalen Bankenwesen“ im Kontext der Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 2008 von der Neuen Rechten zu hören. So fordert Marie Le Pens „Ressemblement National“ einen autoritäreren Staaten, der sich gegen den „gierigen Finanzmarkt“ verteidigen könne, damit die „kosmopolitische Wirtschafselite“ nicht die „natürliche Staatenordnung zersetze“. Auch in Deutschland gibt es Stimmen die verlauten, dass die „jüdische Weltverschwörung“ die „internationalen Eliten“ kontrolliere und somit eine „Fremdbestimmung Deutschlands“ anstreben. Auch der völkische Nationalismus der AfD mit seinem Bestreben einen „ethnisch einheitlichen Volkskörper wiederherzustellen“ und seinem Hass auf alles vermeintlich „Fremde“ wird sich in letzter Konsequenz auch gegen Jüdinnen und Juden richten. Getarnt hinter ihrer Solidarität mit Israel gehen bekannte Neonazis und Holocaustleugner in ihren Parteibüros ein und aus.

4. Ist also jede verkürzte Kapitalismuskritik automatisch antisemitisch?

Nein, ist sie nicht. Richtig ist jedoch, dass der moderne Antisemitismus meistens als eine verkürzte Kapitalismuskritik auftritt. Das haben wir bereits historisch an der nationalsozialistischen Legende vom „guten deutschen schaffenden Kapital“ versus „böses jüdisches raffendes Kapital“ oder auch aktuell an den neu-rechten Verschwörungstheorien um den Unternehmer Georges Soros aufgezeigt. Jüdinnen und Juden werden hier mit der abstrakten Seite des Kapitalismus identifiziert und für seine negativen Folgen, wie Finanzkrisen und Kriege, verantwortlich gemacht. Der Kapitalismus wird dabei nicht in seiner Gänze als krisenproduzierendes Ausbeutungsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Klassen betrachtet, sondern als ein grundsätzlich funktionierendes und gutes System. Obwohl im aktuellen Entwicklungsstadium des globalisierten Kapitalismus (Imperialismus genannt) die tatsächliche Warenproduktion und die Finanzsphäre untrennbar miteinander verflochten sind, versuchen Antisemit_innen die „Zins- und Finanzwirtschaft“ analytisch abzukoppeln. Der Kapitalismus sei also ein funktionierendes System, wenn da nicht die „gierigen jüdischen Banker_innen“ wären. Dabei projizieren sie geläufige Ansichten gegenüber der Finanzwelt, wie dass sie international, universal, undurchschaubar sowie gierig sei und hinter jedem weltpolitischen Ereignis die Strippen ziehe, auf die Jüdinnen und Juden. Jedoch ist nicht jede Kritik und jedes Aufbegehren gegen das kapitalistische System, automatisch antisemitisch. Einige selbsternannte „Linke“, wie die sogenannten „Antideutschen“, vertreten jedoch diese Ansicht. Ihrer Meinung nach sei jede Form von sozialer Organisierung und Protest auf der Straße etwas Gefährliches, da der Großteil der Bevölkerung nicht die Komplexität der kapitalistischen Warengesellschaft durchschaue und deshalb immer zu einer verkürzten Kapitalismuskritik (synonym dazu auch regressive Kapitalismuskritik, personalisierte Kapitalismuskritik oder struktureller Antisemitismus) neige. Diese verkürzte Kapitalismuskritik richte sich ihrer Meinung nach automatisch in letzter Konsequenz gegen Jüdinnen und Juden und führe zu antisemitischen Vernichtungsphantasien. Organisierter Widerstand auf der Straße ist in ihren Augen kein Instrument zur Befreiung sondern eine Gefahr. Leider macht es das kapitalistische System den Massen tatsächlich schwer, seine Funktionsweise zu durchschauen, deshalb richten spontane Proteste ihre Kritik meistens erst einmal gegen ein bestimmtes Symptom, eine Person oder eine Institution des kapitalistischen Systems ohne bereits das gesamte Kapitalverhältnis verstanden zu haben. Wenn man die Analyse der „Antideutschen“ teilt, dann wären zum Beispiel solche Bewegungen wie kollektive Aktion gegen Massenentlassungen oder Lohnkürzungen in Betrieben, Proteste gegen den Kohlekonzern RWE, Anti-Gipfelproteste, Antigentrifizierungsbewegungen wie „Deutsche Wohnen &Co. enteignen“ oder auch Proteste gegen die europäischen Spardiktate der Trioka wie zum Beispiel „Blockupy“ der pure Antisemitismus. Es stimmt natürlich, dass nicht einzelne Konzerne oder Regierungsvertreter_innen alleine für die Auswirkungen des Kapitalismus verantwortlich gemacht werden können, denn auch sie sind vom strukturellen Zwang des Kapitalismus (= Profit erwirtschaften, um nicht von der Konkurrenz plattgemacht zu werden) betroffen. Und es stimmt auch, dass diese Bewegungen ihre Ziele letztlich nur umsetzen können, wenn sie die Wurzeln der Probleme, gegen die sie protestieren, richtig analysieren und im kapitalistischen Ausbeutungszusammenhang suchen. Es ist aber total falsch zu glauben, dass nur Menschen, die meinen die kapitalistische Produktionsweise verstanden zu haben, ein Recht haben, auf die Straße zu gehen! Wir als Revolutionär_innen müssen uns deshalb in solche Bewegungen einmischen, intervenieren, damit sie nicht bei einer verkürzten Kritik stehen bleiben, und eine antikapitalistische Perspektive aufzeigen (Antisemitismus ist dabei, sollt er auftreten, auf das Schärfste zu bekämpfen), anstatt uns wie die „Antideutschen“ in der Unibibliothek zu verschanzen und nur zu rumzukritisieren.

5. Wenn es heute noch viel Antisemitismus auf der Welt gibt, sind dann der Staat Israel und seine nationale Ideologie des Zionismus die Lösung des Problems?

Der Zionismus ist als eine politische Idee und Nationalbewegung entstanden, um das Problem des modernen Antisemitismus zu lösen. Er greift das antisemitische Paradigma auf, dass die Jüdinnen und Juden in allen bestehenden Staaten ein Fremdkörper seien. Daraus schlussfolgert er, dass die Jüdinnen und Juden einen eigenen jüdischen Nationalstaat errichten müssten. Der Zionismus akzeptiert somit eine antisemitische Welt als Normalzustand und konnte deshalb zwar auf den Antisemitismus reagieren, ihn aber nicht bekämpfen. Den Jüdinnen und Juden versprach er, sie von der ewigen Vertreibung und Verfolgung zu erlösen und ihnen ein sicheres Zuhause zu bieten, das die Jüdinnen und Juden wieder selbst zum Subjekt ihrer Geschichte werden lässt. Der Kapitalismus, der den modernen Antisemitismus selbst erst hervorgebracht hat, sorgte durch seine internationale Entwicklung gleichzeitig dafür, dass der Zionismus seine Versprechen als Reaktion auf den Antisemitismus nie einlösen konnte. Denn in einer Welt, welche Mitte des 20. Jahrhunderts durch den globalisierten Kapitalismus bereits in Nationalstaaten eingeteilt war, können keine wirklich unabhängigen neuen Nationalstaaten mehr entstehen. Ähnliches haben wir auch in den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, Asien und Südamerika gesehen. Sie können zwar formal politisch unabhängig sein, eine eigene Regierung haben etc. aber werden immer wirtschaftlich von einem stärkeren Staat abhängig sein. Auch die israelische Geschichte hat gezeigt, dass die Entwicklung dieses Staates nur durch die abwechselnde Unterstützung verschiedener Großmächte wie der Sowjetunion, Frankreich oder den USA möglich war. Unabhängigkeit und Sicherheit sehen anders aus, denn die Unterstützung durch eine wirtschaftliche und militärische Großmacht ist dem israelischen Staat auch nur solange gesichert, bis kein profitablerer Partner in der Region auftaucht. Erst recht in der aktuellen Phase in der wir eine Verschärfung um den Kampf um die Neuaufteilung der Welt erleben und sich neue Bündnisse bilden, kann ein heute noch israelfreundlicher Staat schnell bei veränderten internationalen Kräfteverhältnissen antisemitische Züge annehmen, dafür gibt es im Kapitalismus keine Garantie. Ferner ist es eine Illusion zu glauben, dass die Gründung eines neuen Nationalstaates, der auf der Vertreibung der dort ansässigen Bevölkerung – den Palästinenser_innen – beruht, seinen Bewohner_innen ein friedliches Leben garantieren könne. Natürlich haben sich die Palästinenser_innen gegen ihre Vertreibung gewehrt und tun dies auch heute noch, und zwar nicht weil sie so antisemitisch drauf sind und das Leiden der geflohenen Jüdinnen und Juden nicht anerkennen, sondern weil sich niemand gerne vertreiben lässt. Der israelische Staat muss sich also immer bis an die Zähne bewaffnen, um weiter existieren zu können, weshalb die israelische Gesellschaft selbst immer unter Militarismus und Unsicherheit leidet. Auch deshalb wird sie immer von der militärischen Rückendeckung einer anderen Großmacht abhängig sein, welche wiederum dabei ihre eigenen Interessen verfolgt. Immer mehr Israelis haben keinen Bock mehr auf Krieg, Militarisierung und ethno-nationalistischen Rechtsruck in ihrem Geburtsland und zeihen dem ein Leben außerhalb ihres „Schutzraumes“ vor. Seit einigen Jahren bereits wandern mehr Jüdinnen und Juden aus Israel aus, als neue einwandern. Viele davon tun dies aus ökonomischen Gründen. Für Israelis, die sich aus politischen Gründen nicht dem staatlich verordneten Nationalismus unterordnen wollen, war eh schon lange klar, dass sie nicht in einem „jüdischen Schutzraum“ leben. Linke Jüdinnen und Juden (wie von Breaking the Silence, Peace Now, Anarchists against the wall, Militärdienstverweiger_innen, linke Akademiker_innen, Kommunist_innen usw.), die sich gegen diese Zustände wehren, werden in Israel immer stärker gesellschaftlich gebrandmarkt, geächtet und als „Vaterlandsverräter“ und „innere Feinde“ beschimpft. Während also immer mehr Israelis ihrer „nationalen Heimstelle“ den Rücken zukehren, werden in Deutschland aber auch international immer mehr Stimmen laut, die Kritik an der israelischen Politik durch den Vorwurf des Antisemitismus zu delegitimieren versuchen. Wir finden es ziemlich verleumderisch zu behaupten, dass jede Kritik am rassistischen Charakter der israelischen Politik, antisemitisch wäre und „dem jüdischen Volk“ (was auch immer das sein soll; gemeint sind vermutlich alle Jüdinnen und Juden auf der Welt) das Recht auf Selbstbestimmung nehmen würde. Einerseits werden hier alle Jüdinnen und Juden der Welt für die Interessen des israelischen Staates instrumentalisiert und andererseits jüdische Selbstbestimmung auf die Solidarität mit Israel begrenzt. Dementgegen sollte vielmehr die Achtung vor der Vielfalt jüdischer Identitäten und die analytische Trennschärfe von Judentum und israelischem Staat die Grundlage für den Kampf gegen Antisemitismus darstellen. Dabei heißt die kommunistische Kritik am Zionismus, nicht das Selbstbestimmungsrecht der israelischen Arbeiter_innenklasse zu leugnen, sondern es in Verbindung mit der freien und gleichberechtigten Entwicklung der Palästinenser_innen einzufordern! Denn wie Marx schon einmal geschrieben hat: „Ein Volk, das ein anderes unterdrückt, schmiedet sich selbst die Ketten“. Und das sieht man in Israel zum Beispiel daran, dass Armut, Wohnungsmangel, Militarismus, Lebenshaltungskosten und Arbeitsbelastung massiv steigen, da der Staat etliche Millionen in die Besatzung der palästinensischen Gebiete stecken muss. Sozialleistungen werden gekürzt, um den Preis der Besatzung zahlen zu können. Israel ist genauso wie jeder andere kapitalistische Nationalstaat eine Klassengesellschaft, in der die Mehrheit die Arbeiter_innenklasse darstellt. Auch diese wird von den nationalen Kapitalist_innen unterdrückt und ausgebeutet. Die Unterdrückung der Palästinenser_innen dient den Kapitalist_innen als Absatzmarkt, als Reservoir billiger Arbeitskraft und als ideologisches Band, das die Klassengegensätze in Israel durch eine ausländische Bedrohung verwischen soll. Zudem vollzieht die israelische Regierung einen immer stärker werdenden Rechtruck, der sich in einer immer rassistischeren und aggressiveren Besatzungspolitik äußert. Israels rechts-nationalistischer Premierminister Netanjahu scheut in seinem Kampf gegen den „islamischen Terror“ dabei auch nicht davor zurück, sich mit offenen Antisemiten wie Victor Orban oder anderen Rechtspopulist_innen wie Le Pen oder Trump zu verbünden. Netanjahu verzeiht den Neuen Rechten bereitwillig ihren Antisemitismus, solange sie wenigstens überzeugte Zionist_innen sind. Gleichzeitig geht er immer schärfer gegen die kritischen Stimmen innerhalb und außerhalb Israels vor und forderte aus diesem Grund zuletzt sogar die deutsche Regierung auf, ihre finanzielle Unterstützung an das jüdische Museum in Berlin zu beenden. Die deutschen Bundesregierungen spielen sich seit Israels Staatsgründung 1948 als enge Vertraute und Beschützer_innen jüdischen Lebens auf. Um sich nicht mit den Problemen der Jüdinnen und Juden in Deutschland und historischen Kontinuitäten aus dem Faschismus auseinandersetzen zu müssen, konnten deutsche Politiker_innen immer brav auf Israel zeigen. Was uns dabei ideologisch als „Wahrnehmung einer historischen Verantwortung“ verkauft wird, diente letztlich dazu, Deutschlands schlechtes Nazi-Image aufzupolieren und einen ökonomisch und militärisch bedeutsamen Verbündeten in einer geostrategisch wichtigen Region zu haben. Dass Geldzahlungen und Waffenlieferungen als „Wiedergutmachung“ für über 6 millionenfachen Mord bezeichnet werden, ist für uns blanker Hohn! Wer das eigentliche Versprechen des Zionismus nach einem sicheren Zuhause für Jüdinnen und Juden einlösen will, muss eine kommunistische Alternative aufbauen – ob in der Diaspora oder im Nahen Osten! Für die Jüdinnen und Juden in Israel heißt das, gegen die Besatzung, gegen den kapitalistischen Staat und für die Perspektive eines säkularen multi-ethnischen Arbeiter_innenstaates zu kämpfen, in dem jeder Mensch unabhängig von seiner Religion und Hautfarbe in Frieden leben kann. Dafür müssen die israelische und die palästinensische Arbeiter_innenklasse erkennen, dass sie eigentlich dieselben Interessen und Ziele haben und dass sie nur die Ketten des Kapitalismus und Nationalismus davon trennen. Die Geschichte hat schon oft gezeigt, dass nationale Gegensätze im gemeinsamen Kampf für gleiche Ziele verschwinden können. Es wäre sogar rassistisch anzunehmen, dass dies in Israel nicht funktionieren sollte.

6. Aber gibt es nicht auch Kritik am israelischen Staat, die antisemitisch ist?

Es stimmt, dass sich hinter Kritik am israelischen Staat manchmal eine antisemitische Motivation verbirgt. Da nach der Shoa und der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg offene Hetze gegen Jüdinnen und Juden zum gesellschaftlichen Tabu geworden ist, versuchen einige Antisemit_innen ihre rassistischen Einstellungen in primitiver Kritik am israelischen Staat zu „tarnen“. Die israelische Besatzungspolitik gegenüber den Palästinenser_innen kommt ihnen da gerade recht, denn so versuchen sie deren Brutalität als etwas explizit „Jüdisches“ darstellen. Dies sehen wir bei faschistischen Neonazi-Organisationen und Parteien wie der NPD oder dem „Dritten Weg“, die in Israel das „Zentrum der zionistischen Netzwerke“ erkennen wollen, von wo aus eine „jüdische Lobby“ ihre dunklen Machenschaften verübe. Israel tritt hier synonym an die Stelle „des Juden“ in den klassischen antisemitischen Verschwörungstheorien. Auch im Islamismus (und teilweise auch im arabischen Nationalismus) taucht häufig ein auf Israel bezogener Weltverschwörungs-Antisemitismus auf, der wie zum Beispiel beim IS auch faschistische Tendenzen annimmt und dringend bekämpft werden muss. In vielen arabischen Ländern hat sich der Antisemitismus heute zur Massenideologie entwickelt, die interne Widersprüche im Interesse der herrschenden Klasse auf Israel als einen „äußeren Feind“ lenkt. Der Islamismus ist in der Region jedoch auch erst als Folge von Kolonialismus und imperialistischen Interventionen (siehe Afghanistan, Irak, Iran, Libanon, …) und Niederlagen der lokalen linken Bewegungen entstanden. Auch die Niederlagen der internationalen linken Kräfte trägt eine Mitschuld daran, da sie es nicht geschafft haben, ihre Antikriegspositionen durchzusetzen. Für die regionale Bevölkerung, die keinen Bock mehr auf ausländische Militärinterventionen hatte, erschien der Islamismus als glaubhaftester und konsequentester Widerstand dagegen. Der Islamismus ist also ein Produkt der imperialistischen Interventionen in der Region und des Fehlens einer kommunistischen emanzipatorischen Perspektive. Wer den Islamismus und den damit einhergehenden Antisemitismus bekämpfen will, muss also den berechtigten Widerstand gegen Besatzung und Fremdherrschaft im Nahen Osten unterstützen, eine kommunistische Perspektive aufzeigen und antisemitische Lügen entlarven. Antisemitische Ideen können unter Menschen, die in arabischen Staaten wohnen oder aus ihnen geflohen sind, verbreitet sein, sind aber nichts genuin Arabisches oder Muslimisches sondern kommen eigentlich aus Europa. Auch eine häufig biographisch begründete Gegnerschaft zur israelischen Politik ist nicht per se antisemitisch. Ob Kritik am israelischen Staat oder auch antizionistische Positionen antisemitisch sind oder nicht, lässt sich häufig an der Stoßrichtung der Kritik erkennen. Wird der Staat Israel mit den Jüdinnen und Juden im Allgemeinen gleichgesetzt sprechen wir von Antisemitismus. Er herrscht dann vor, wenn der Staat Israel als ein Ausdruck des verborgenen Interesses der „jüdischen Macht“ gesehen wird oder mit der „Finanzlobby“ in Verbindung gebracht wird. Antisemitisch ist auch die abstruse Vorstellung, die US-amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten werde von einer jüdischen Lobby gesteuert. Es handelt sich ebenfalls um Antisemitismus, wenn die Verbrechen der Nazis mit der Behauptung verharmlost werden, dass der israelische Staat dieselben Methoden verwende. Der aktuell bei „Antideutschen“ und Rechtspopulisten im Trend liegende „3-D-Test“ erklärt jedoch nahezu jede Kritik an israelischer Politik für Antisemitismus. Der von einem rechts-konservativen israelischen Likud-Abgeordneten entwickelte Test definiert den antisemitischen Gehalt von Kritik an israelischer Politik anhand der 3 Kategorien Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung (vgl. Natan Scharanski 2003). Demnach sei die auch in der israelischen Linken gängige Bezeichnung Israels als Apartheitsstaat, seine Entstehung als Kolonialismus und auch die Infragestellung seiner Form als Nationalstaat zutiefst antisemitisch. Ebenfalls gilt es als antisemitischer Doppelstandard, wenn sich Kritik allein auf Israel bezieht, ohne die zehntausend Verbrechen anderer Staaten auf der Welt mit einzubeziehen. Dass diese Antisemitismusdefinition von einem rechten israelischen Politiker entwickelt wurde, ist kein Zufall. Immer aggressiver verwendet die israelische Rechte dieses Antisemitismuskonzept als Kampfbegriff, mit dem alle Gegner_innen ihrer Politik (ob Israeli, Palästinenser_in, die BDS-Bewegung, „Jewish Voice for Peace“, Menschenrechtsorganisationen oder linke Parteien und Organisationen) als Antisemit_innen gebrandmarkt werden. Anklang findet sie bei allen, die sich Vorteile von der aggressiven Politik der israelischen Rechten und einer Bekämpfung ihrer Gegner_innen versprechen, von Trump über die britischen Conservatives bis zur AfD. Ein solcher Antisemitismusbegriff, der sich allein auf Kritik an Israel beschränkt und dabei auch noch jede berechtigte Kritik als antisemitisch definiert, verkommt zur ideologischen Waffe einer geopolitischen Neuordnung des „Nahen Ostens“ und macht sich für die neue Rechte anschlussfähig. Tatsächliche Antisemit_innen werden nur zu einem Puzzleteil des „antisemitischen Konsens“ und dadurch unsichtbar gemacht. Ebenso legt die Behauptung, wer den israelischen Staat kritisiere meine eigentlich „die Juden“ eine Gleichsetzung von Israel und Judentum nahe. Dies war und ist wiederum das klassische Futter für antisemitische Verschwörungstheorien. Ferner scheinen die Diskriminierungserfahrungen von Jüdinnen und Juden, die nicht in Israel leben, sowieso kaum jemanden zu interessieren.

7. Wie analysieren andere Strömungen der Linken das Problem Antisemitismus und wie wollen sie ihn bekämpfen?

Bei unserer Recherche ist uns erst einmal aufgefallen, dass die meisten Strömungen innerhalb der deutschsprachigen Linken kein systematisches, wissenschaftliches und historisches Konzept davon haben, was Antisemitismus ist, wie er entstanden ist und wie man ihn bekämpfen kann. Stalinistische und maoistische Organisationen zum Beispiel verstehen Antisemitismus (insofern sie ihn überhaupt thematisieren) als einen sogenannten „Nebenwiderspruch“. Sie erkennen nicht seine dem Kapitalismus inhärenten materiellen Grundlagen sondern betrachten ihn lediglich als eine Manipulationsideologie der Herrschenden. Ihrer Ansicht nach gibt es im Kapitalismus lediglich einen Hauptwiderspruch, nämlich die Unversöhnlichkeit der Interessen von Kapitalist_innen und Arbeiter_innen. Alle anderen Unterdrückungsformen wie Sexismus, LGBTIA-Feindlichkeit und Rassismus stellen untergeordnete Nebenwidersprüche dar und müssten demnach nicht gesondert erwähnt oder gar bekämpft werden. Stalinist_innen gehen folglich davon aus, dass sich das mit dem Antisemitismus schon von selber erledigt, wenn wir nur den Hauptwiderspruch aufgelöst und den Kapitalismus abgeschafft haben. Das Beispiel vom ansteigenden Antisemitismus in der Sowjetunion unter Stalin zeigt uns, wie gefährlich diese falsche Analyse ist. Wer sich hingegen ernsthafter mit dem Thema Antisemitismus beschäftigt, sind die in diesem Text schon häufiger erwähnten „Antideutschen“. An dieser Stelle wollen wir jedoch klar machen, dass wir sogenannte „Antideutsche“, die die AfD als „einzige Stimme der Restvernunft im deutschen Bundestag“ (Thomas Maul, Autor der Zeitungen Jungle World und Bahamas) betrachten und imperialistische Kriegseinsätze befürworten, nicht als Teil der Linken ansehen. Dennoch konnte sich der Antisemitismusbegriff der „Antideutschen“ in Teilen des antinationalen Spektrums, in Teilen der Linkspartei und in einigen Antifa-Gruppen etablieren. Der grundliegende Fehler in der Analyse der „Antideutschen“ ist, dass sie kein historisch-materialistisches Verständnis davon haben, wie Antisemitismus entstanden ist und wie er funktioniert. Es ist ihnen demzufolge auch nicht ganz klar, was sie dem Antisemitismus eigentlich entgegnen können. Diese Hunde bellen zwar laut aber sie beißen nicht. Im vorangegangenen Text haben wir versucht wissenschaftlich aufzuzeigen, wie sich Kapitalismus und Antisemitismus gegenseitig bedingen und werden im Folgenden Wege zu seiner Bekämpfung vorschlagen. Für die „Antideutschen“ ist der Antisemitismus jedoch bloß ein böses Schreckgespenst, ein dunkler irrationaler Judenhass, der um den Globus wabert und die Menschen willkürlich mit seinem Vernichtungswillen infiziert. Insbesondere Deutsche und Menschen mit muslimischen Glauben seien dabei quasi biologisch anfällig dafür, antisemitisch zu sein. Anstatt seine sozio-ökonomischen Grundlagen zu analysieren, mystifizieren und naturalisieren „Antideutsche“ den Antisemitismus. In Anlehnung an Theodor W .Adornos Theorie des „autoritären Charakters“ haben ihrer Meinung nach Antisemitismus und der gesamte Faschismus kaum etwas mit materiellen Verhältnissen und sozialen Strukturen zu tun sondern sind eine bloße Folge eines falschen Bewusstseins, von Verblendung und mangelnder Bildung. Ihre Antwort ist demzufolge Kritik und Aufklärung. Wir sind uns da nicht ganz sicher, ob alle Antisemit_innen ihrer Einladung ins Uniseminar folgen werden. Neben der Tatsache, dass „Antideutsche“ mit ihrer sogenannten „Ideologiekritik“ Antisemitismus nie werden aufhalten können, führt ihre falsche Analyse dazu, dass sie sich sogar freiwillig auf die Seite des Kapitalismus schlagen. Sie verteidigen ein Ausbeutungssystem, das selbst die eigentliche Ursache für Antisemitismus darstellt. Nachdem der Faschismus in Europa gewütet hat und die Sowjetunion degeneriert und dann zerfallen ist, war für diese Strömung klar, dass die Arbeiter_innenklasse keine Befreiung mehr bringen könne und der Traum von einer besseren Welt zerplatzt sei. Aus diesem Gefühl der Ohnmacht und der Angst eigene Privilegien zu verlieren schlussfolgern sie, dass das Maximum an gesellschaftlicher Entwicklung bereits erreicht sei: Wenigstens sind wir Hitler los, die Unibibliothek ist beheizt und der Nebenjob bei der Bildzeitung ist sicher. Ihre Hingabe an den Kapitalismus führt auch dazu, dass sie jeden organisierten Protest gegen dieses System verachten und als verkürzte und damit antisemitische Kapitalismuskritik diffamieren. Sie gehen dabei von der falschen Annahme aus, zwischen Faschismus und Kapitalismus existiere ein Bruch, der es erfordere, die als „normal“ verstandene „demokratische kapitalistische Zivilisation“ gegen die „Barbarei“ zu verteidigen. Dabei erkennen sie nicht, dass die Barbarei ihre Ursachen letztlich im Kapitalismus hat. Faschismus ist für sie eine Meinung und nicht die totalitärste und brutalste Form kapitalistischer Herrschaft, die nur verhindert werden kann, wenn man den Kapitalismus gänzlich abschafft. In der Konsequenz führt ihre Sympathie für den Kapitalismus dazu, dass sie imperialistische Kriege wie die US-amerikanische Invasion des Iraks oder Buschs „war on terror“ füreine super Sachen halten. Einige forderten vor kurzem sogar, man solle den Iran bombardieren. Den israelischen Staat betrachten sie gemäß dieses Weltbildes als Schutzraum für Jüdinnen und Juden vor dem globalisierten antisemitischen Vernichtungswillen und als Bastion des kapitalistischen Fortschritts inmitten der „muslimischen Barbarei“. Hierzulande geht es den „Antideutschen“ darum, sich bedingungslos und unkritisch mit diesem Staat zu solidarisieren und ihn gegen die geheime Weltverschwörung der Islamisten im Schulterschluss mit der BDS-Bewegung und der antiimperialistischen Linken in den Kommentarspalten von Facebook zu verteidigen. Durch ihre Absage an Klassentheorie und marxistische Geschichtsphilosophie erkennen sie auch keine internen Klassenwidersprüche im israelischen Staat und demzufolge auch keine Perspektive für Emanzipation. Linke und antizionistische Jüdinnen und Juden betrachten sie demzufolge als „Marionetten der Antisemiten“ und als „selbsthassende Juden“. Wir empfinden dies als einen sehr fragwürdigen Paternalismus und finden es sehr bedenklich, wenn Deutsche wieder anfangen zu definieren, wer hier die „wahren Juden“ sind. Indem sich die meistens männlichen, weißen und aus gutverdienen Familien stammenden „Antideutschen“ mit ihren „wahren Juden“ identifizieren, versuchen sie die potentielle Schuld ihrer Nazi-Großeltern abzuwehren. Ähnlich wie es Antisemit_innen in umgedrehter Weise tun, abstrahieren auch die „Antideutschen“ vom konkreten Dasein „realer“ Jüdinnen und Juden und machen sie Projektionsfläche für ihre eigenen Widersprüche. Ihrem Unwillen und ihrer Unkenntnis darüber, wie die materiellen Verhältnisse denen der Antisemitismus entspringt bekämpft werden können, tun sie damit genüge, dass es tausende Kilometer entfernt ja einen israelischen Staat gibt, der für sie den „Kampf gegen Antisemitismus“ mit deutschen Waffen ausfechtet. Ihre deutschen Blitzkriegphantasieen projizieren sie so auf israelische Merkava-Panzer und deutsche Atom-U-Boote. Ihr nicht enden wollender Eifer in der Bekämpfung von pro-palästinensischer Solidarität und israelischen Linken, ihre grundlegend positive Haltung gegenüber dem Kapitalismus und ihre Unterstützung der militärischen und ökonomischen Interventionen der Bundesregierung und der Trump-Administration in „Nahost“ lassen die sogenannten „Antideutschen“ als letztlich ziemlich deutsch erscheinen. Auch in ihrem Engagement gegen die „Islamisierung“ und ihrem antimuslimischen Rassismus stehen sie der AfD wenig nach. Die grundlegend notwendige Absicht, ein zweites Auschwitz für immer verhindern zu wollen, gerät durch einen vollkommen ahistorischen, mystifizierten und auf Solidarität mit einem kapitalistischen Nationalstaat verengten Antisemitismusbegriff weit in den Hintergrund.

8. Wie können wir Antisemitismus bekämpfen?

Mit Analysen wie dieser hier, mit Aufklärungsprogrammen, kritischen Blogs, persönlichen Diskussionen und Bildungsarbeit ist schon einiges getan, um mehr Bewusstsein, Wissen und Awareness gegenüber Antisemitismus in unserer Gesellschaft zu schaffen. Wie dieser Text aber gezeigt hat, ist Antisemitismus nicht ausschließlich ein Problem des falschen Weltbildes oder mangelnder Reflexion. Wir haben erläutert, wie Antisemitismus immer ein Produkt von sozialen Strukturen, die sich aus Veränderungen in der ökonomischen Grundbeschaffenheit einer Gesellschaft ergeben, ist. Der moderne Antisemitismus ist ein Produkt der kapitalistischen Produktionsweise. Radikal gegen Antisemitismus zu sein, bedeutet auch radikal antikapitalistisch zu sein, denn radikal heißt, das Problem an der Wurzel anzupacken. Während in Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums Antisemitismus eher selten offen zu Tage tritt, zeigt er seine wahre Fratze in Krisenperioden. Denn wenn die Profite global einbrechen, steigt die Konkurrenz zwischen den einzelnen nationalen Kapitalfraktionen untereinander. Doch wenn kapitalistische Nationalstaaten nach außen hin aggressiver agieren wollen, müssen sie nach innen härter durchgreifen und die Bevölkerung auf einen Feind einschwören. In diesen Situationen können dann Rechte mit ihrer rassistischen Hetze, antikommunistischen Drohungen und antisemitischen Verschwörungstheorien aus ihren Löchern kriechen und sich im politischen Diskurs breit machen. Das Kleinbürgertum und desillusionierte Arbeiter_innen werden von den kapitalistischen Krisen am härtesten getroffen und werden von sozialen Ängsten angetrieben. Wenn es dann kein Programm gibt, das diesen Menschen eine radikale, antikapitalistische, kommunistische Alternative aufzeigt, werden sie zu verkürzten und mitunter antisemitischen Erklärungen für ihre eigene beschissene Lebenssituation greifen und einen Sündenbock suchen. Die aktuelle Zunahme von antisemitischen Gewalttaten und verschwörungstheoretischem Blödsinn ist auch eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise 2007/2008 und den damit einhergehenden Rechtsruck in vielen Ländern auf der Welt. Wichtigster Punkt auf der Agenda der neuen Rechten ist der Hass auf Geflüchtete und den Islam. Parteien wie die AfD haben deshalb große Sympathien für den israelischen Staat, den sie als westliche Bastion gegen den Islamismus betrachten. In diesem Sinne versuchen sie sich nun als „einzige Schutzmacht jüdischen Lebens“ (Weidel 2017) öffentlich darzustellen. Doch Antisemitismus interessiert die Rechtspopulist_innen nur, wenn er von Muslimen kommt und die vielen Antisemit_innen und Holocaust-Relativierungen in ihren eigenen Reihen werden gekonnt ignoriert. Wie sich der Hass auf Migrant_innen und Antisemitismus in einem nächsten Schritt verbinden können zeigen die Verschwörungstheorien über Goerge Soros, dem als Unternehmer jüdischer Herkunft die Steuerung und Finanzierung der Migrationsströme nach Europa vorgeworfen wird. Unterstützung findet diese antisemitische Theorie nicht nur in der ungarischen Regierung sondern auch in Teilen der österreichischen FPÖ, der britischen UKIP, der italienischen Lega Nord, der deutschen AfD und der US-amerikanischen Republikaner. Wenn wir heute gegen Antisemitismus kämpfen, müssen wir uns deshalb zu aller erst dem Rechtsruck entgegenstellen. Und damit sind nicht nur die AfD und die Identitären gemeint sondern auch die staatliche Abschiebepolitik und Aufrüstungsrhetorik (Merkel: „Deutschland muss wieder mehr Verantwortung übernehmen.“) steht für einen wachsenden deutschen Nationalismus. Antisemitismus zu bekämpfen bedeutet hier vor Ort also auch dem Nationalismus seine Grundlage zu entziehen und das deutsche Kapital als unseren größten Feind zu betrachten. Dafür brauchen wir ein antikapitalistisches Programm, das uns Jugendlichen einen Weg aufzeigt, wie wir unseren Kampf gegen Rassismus, Rechtsruck und Nationalismus zu einem Kampf für eine befreite Gesellschaft ausweiten können. Um die kapitalistische Produktionsweise durch eine neue ersetzen zu können, gilt es dabei die Arbeiter_innenklasse für unsere Ziele zu gewinnen, denn diese sitzt durch ihre ökonomische Stellung dort, wo es den Kapitalist_innen am meisten weh tut. Antisemitischen Vorurteilen und Stereotypen müssen wir dabei, wo immer sie uns begegnen, auf schärfste entgegenarbeiten. Denn der Kampf gegen Antisemitismus ist wie der Kampf gegen jegliche andere Unterdrückungsformen wie Sexismus, Rassismus und LGBTIA-Feindlichkeit ein notwendiger und integraler Bestandteil des Kampfes gegen den Kapitalismus als Ganzes. Wenn wir uns nicht gegen Antisemitismus organisieren, werden wir den Kapitalismus nicht abschaffen können und andersherum wird Antisemitismus immer weiter existieren, solange ihn die kapitalistische Produktionsweise anfeuert. Im Rahmen dessen müssen wir im Hier und Jetzt Forderungen aufstellen, die Antisemitismus entgegenwirken und die Widersprüche mit dem Kapitalismus zuspitzen. Dazu gehört die Verteidigung des Rechts auf die freie Ausübung von Religion und Kultur. Ebenso müssen wir das Recht auf Schutz gegenüber Angriffen auf jüdische Einrichtungen und Privatpersonen einfordern und antirassistische Selbstverteidigungsstrukturen organisieren. Trotzdem müssen wir dafür sorgen, dass auch Fluchtwege stets offen bleiben, damit Menschen, die flüchten müssen, woanders Schutz finden können. Die Forderung nach offenen Grenzen ist deshalb zentral im Kampf gegen Antisemitismus und eine wichtige Antwort auf die Fragen, die globale Migrationsströme heute aufwerfen. Wie wir schon gezeigt haben, kann jedoch auch kein kapitalistischer Nationalstaat vollständigen Schutz gegenüber Antisemitismus gewähren (auch nicht der Nationalstaat Israel), weshalb wir diese Forderung immer mit der Perspektive der Aufhebung von Kapitalismus und Nationalstaatlichkeit verbinden müssen. In Israel müssen wir deshalb für die Beendigung der Besatzung, das Rückkehrrecht aller Geflüchteter und eine kommunistische Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes eintreten, damit die dort ansässige Bevölkerung Ruhe und Frieden finden kann. Lasst uns den rechten Pseudokämpfen gegen Antisemitismus – ob von AfD oder „Antideutschen“ – eine revolutionäre antikapitalistische Perspektive auf der Grundlage einer marxistischen Analyse entgegensetzen, damit sich die Shoa niemals wiederholt!




Trumps Deal gegen Palästina

Warum wir Trumps Deal ablehnen und wir stattdessen fordern.

Die Veröffentlichung von Trumps “Deal of the Century” am 28.1. in
Washington war eine Party für ihn und Netanyahu, und die erlesene Auswahl von
Vertreter_Innen der evangelikalen Rechten, der Siedler_Innenbewegung und erzkonservativen
Republikaner_innen, die eingeladen waren. In den ersten Reihen saßen jedoch
auch die Botschafter der ölreichen sunnitischen Golfmonarchien. Ganz im Sinne
der geostrategischen Interessen des US-Imperialismus soll hier eine Anti-Iran
Allianz im Bündnis mit Israel zusammengezimmert werden. Trumps Pläne stießen
dabei auf freudestrahlende Gesichter. Nicht eingeladen waren die
Palästinenser_Innen. Um die geht es offensichtlich nicht, und diverse absurd
anmutende Forderungen stellen sicher, dass Trumps Deal niemals tatsächlich zu
Verhandlungen mit den Vertreter_Innen der Palästinenser_Innen führen wird. So
schickte er auch die Drohung vorweg, sein “Friedensplan” könnte die letzte
Möglichkeit für die Palästinenser_Innen sein, Frieden mit Israel zu schließen. Form
und Zeitpunkt der Veröffentlichung des Plans sind dabei kein Zufall sondern
haben innenpolitische Gründe: Während sich Trump in Washington gerade gegen ein
Amtsenthebungsverfahren wehrt, wurde Netanjahu nur wenige Stunden vor
Veröffentlichung des Plans wegen Korruptionsvorwürfen angeklagt. Ganz praktisch
ist dieser “Plan” jedoch eine Ermächtigung für den Staat Israel, seine
strategischen Ziele ohne weitere Konsultationen durchzusetzen, und folgt Trumps
bisheriger Politik: der Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt, der
Anerkennung der Annexion der Golanhöhen und seiner Entscheidung, die
israelischen Siedlungen nicht mehr als Verletzung internationalen Rechts zu
betrachten

Der „Staat Palästina“ würde nach dem Trump-Plan gerade
9% des britischen Mandatsgebiets Palästina von 1947 ausmachen. Fast alle
israelischen Siedlungen in der Westbank und das Jordantal würden zu
israelischem Staatsgebiet, Jerusalem wäre allein israelische Hauptstadt. Trumps
Plan geht sogar darüber hinaus, nur den Status Quo der faktischen Souveränität
Israels über die Westbank anzuerkennen, und schlägt die Abtrennung des sog.
„Triangle“ (Muthallath), einer Gegend mit hohem palästinensischem
Bevölkerungsanteil, von Israel vor, d.h. die Ausbürgerung eines Teils der
Palästinenser_Innen mit israelischem Pass – wie es auch seit Langem von
Rechtsextremen wie Avigdor Lieberman gefordert wird.

Apartheid in Staatsform gegossen

Trumps „Deal of the Century“ beinhaltet die vollständige
Anerkennung der von der zionistischen Rechten geplanten Annexionen in der
Westbank. Dagegen spricht der Plan einem zukünftigen palästinensischen Staat
das Recht auf Kontrolle seiner Grenzen und seines Luftraums ab. Er verweigert
dem „Staat Palästina“ das Recht, militärische Kräfte aufzustellen und
behält dem Staat Israel ein militärisches Interventionsrecht in
palästinensischen Gebieten vor. Der Staat Palästina würde noch nicht einmal das
Recht haben, seine Beziehungen zu anderen Staaten eigenständig zu gestalten,
sofern israelische Interessen davon betroffen sein sollten. Diesem “Staat”
würde es an allem fehlen, was einen unabhängigen Staat ausmacht.

Die Niederlage der ersten Intifada mündete Anfang der 1990er-Jahre
in die Verhandlungen um die Osloer Verträge. Für das vage Versprechen,
irgendwann eine begrenzte Souveränität zugestanden zu bekommen, sollten die
Palästinenser_Innen den Kampf gegen die rassistischen Verhältnisse, die ihnen
Tag für Tag auferlegt werden, einstellen. Damals erlaubte die politische
Kapitulation der PLO und die Demobilisierung der Intifada dem Staat Israel, mit
dem massiven Ausbau der Siedlungen in der Westbank das Ziel eines unabhängigen
palästinensischen Staates zu verunmöglichen. Mit der Gründung der palästinensischen
Autonomiebehörde wurde darüber hinaus ein autoritärer Bürokratenapparat
geschaffen, der als verlängerter Arm der Besatzungsmacht in der Westbank
agiert.

Der Trump-Plan folgt zunächst der gleichen Methode, die Anfang der
1990er-Jahre in den Oslo-Verhandlungen angewendet wurde, mit einem Unterschied:
in den 30 Jahren des Oslo-Prozesses waren die Palästinenser_Innen als
Verhandlungspartner_Innen geachtet, um der fortschreitenden Kolonisierung des
Westbank eine Scheinlegitimation zu geben. Trumps Schwiegersohn Kushner
hingegen hat mit den Palästinenser_Innen noch nicht einmal gesprochen, sie
waren bei der Veröffentlichung des „Plans“ nicht eingeladen, und sie
werden nicht gefragt, ob sie dem Plan zustimmen werden. Dessen Umsetzung, d.h.
die Annexion weiter Teile der Westbank, ist für die zionistische Rechte ohnehin
beschlossene Sache. Während der Oslo-Prozess also der Besatzungspolitik Israels eine „Legitimation“ durch Einbindung der
palästinensischen Institutionen in aussichtslosen Verhandlungsrunden verschaffen
sollte, beschränkt sich die Legitimation nun auf die „Anerkennung der
Wirklichkeit“, d.h. die tatsächliche Gewalt des israelischen Staates über
die besetzten Gebiete. Trumps „Lösung“ für die illegalen Siedlungen
besteht einfach darin, diese zu legalisieren. Seine „Lösung“ für die
tausenden Geflüchteten ist es, ihnen das Rückkehrrecht zu verweigern, und die
„Lösung“ für Jerusalem ist, dass er die gesamte Stadt (ausgenommen
einem kleinen Vorort im Osten) Israel alleine zuspricht.

Sozialismus statt Nationalismus

Die aggressive Politik der US-Regierung gegen die Rechte der
Palästinenser_Innen und die (bestenfalls) schweigende Zustimmung vieler anderer
Regierungen, wie der deutschen und französischen, macht es dringend notwendig,
dass linke Aktivist_Innen und kämpferische Gewerkschafter_Innen weltweit dieser
Politik den Kampf ansagen. Das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser_Innen
wird nicht von der Vernunft der “Weltgemeinschaft”, also bürgerlichen
Regierungen, abhängen. Sondern davon, ob die Bewegung in in Palästina und
Israel es schafft, Massen gegen die Pläne der israelischen Rechten und ihrer Verbündeten
in Amerika, Europa und den Golfstaaten zu mobilisieren. Sowohl in Ramallah und
Gaza als auch in Tel Aviv gab es bereits große Proteste. Linke Kräfte haben nun
die Aufgabe eine unabhängige Organisation der Arbeiter_Innenklasse
voranzutreiben und ihr eine Perspektive zu geben. Dabei können sie wenig auf
die etablierten Kräfte vertrauen: Während die zionistische Linke bestenfalls
zurück zu Oslo möchte, können ebenso Fatah und Hamas keine politische
Alternative aufwerfen. Die palästinensische Führung hat es sich auf ihre alten
Tage im Status Quo bequem gemacht, genießt große Privilegien und hat kein
Konzept, wie effektiv Widerstand aufgebaut werden kann. Ein viel wichtigerer
Partner sind stattdessen die Massenproteste in der Region: Ob im Libanon, in
Rojava, im Irak, in Algerien, in Ägypten oder im Iran: Nicht nur in Palästina
sondern überall lehnen sich die Massen gegen die imperialistische Neuordnung
der Region und die bereitwillige Unterstützung der lokalen Machthaber auf. Die
Arbeiter_Innenbewegung in Europa hat deshalb die Aufgabe, die kolonialen und
geostrategischen Pläne ihrer Regierungen zu durchkreuzen. Im Zuge der
Niederlage in Antikrisenprotesten und im Taumel der neuaufkommenden Welle des
Nationalismus sind jedoch regierungsnahe nationalistische Positionen in der
Arbeiter_Innenbewegung hier mehr und mehr zur Normalität geworden sind. Im
Falle des Trump-Plans müssen wir hier also auch den profitorientierten und
geostrategischen Interessen Deutschlands eine Absage erteilen und für die
Einstellung jeglicher finanzieller, wirtschaftlicher und militärischer
Unterstützung für den israelischen Staat einzutreten.

Außerdem müssen wir anerkennen, dass die Politik der
Zweistaatenlösung, wie sie von der Palästinensischen Autonomiebehörde und den
traditionellen Organisationen der PLO vertreten wird, zur Unterordnung dieser
Institutionen unter die Bedürfnisse der Besatzungsmacht und zum Verrat am
Befreiungskampf geführt hat. Trotz der Empörung von Vertreter_Innen der
Palästinensischen Autonomiebehörde wie Mahmoud Abbas über die gezielte Provokation,
die der “Friedensplan” darstellt, haben diese Kräfte nicht verstanden, dass
ihre Politik, die auf einen Interessensausgleich mit dem Staat Israel abzielt,
utopisch ist und die palästinensische Bewegung entscheidend geschwächt hat.
Selbst wenn die “Zweistaatenlösung” realisierbar wäre, würde sie nur die
bestehende Unterdrückung in eine neue institutionelle
Form gießen. Daher treten wir innerhalb der Solidaritätsbewegung für die
Perspektive einer sozialistischen Einstaatenlösung ein. Das ist nur realistisch,
wenn der Kampf verbunden wird mit den sozialen und demokratischen Kämpfen im
ganzen Nahen Osten, wie in Ägypten, im Libanon und im Irak. Ein sozialistischer
Staat Palästina würde allen Geflüchteten die Rückkehr erlauben und würde allen
Einwohner_Innen, egal welcher Religion, die gleichen Rechte garantieren. Dieses
Ziel kann nicht in Verhandlungen mit imperialistischen Regierungen erreicht
werden, sondern nur mit Methoden des Klassenkampfes.




Petitionen gegen Buschfeuer!?

Was gerade eigentlich in Australien abgeht und was Fridays for Future dagegen tun kann.

Von Christian Mayer

Das derzeit verheerendste Buschfeuer in der Geschichte
Australiens bewegt weltweit die Menschen. Allein seit Ausbruch der Brände im
Oktober letzten Jahres ist in den Bundesstaaten New South Wales (NSW) und
Victoria eine Fläche etwa so groß wie die Schweiz verbrannt. Die Folgen sind
katastrophal.

Folgen der Brände

So sind in vier Monaten nicht nur ca. 24 Menschen in den
Flammen verbrannt. Auch über 480.000.000 Tiere kamen dabei ums Leben. Die
Feuerwehr der betroffenen Bundesstaaten ist dabei machtlos: Durch ständige neue
Hitzerekorde und wechselnd starke Winde aus unterschiedlichen Richtungen sowie
seit Monaten ausbleibenden Regen sind die Brände völlig außer Kontrolle
geraten. Unzählige Ortschaften mussten bereits evakuiert werden. Längst haben
die Brände aber auch die Nähe zu den großen Metropolen erreicht. In Australiens
Hauptstadt Canberra wurde die Bevölkerung bereits dazu aufgerufen, sich durch
das Tragen von Atemmasken vor dem lebensgefährlichen Rauch zu schützen. Die
Feuerwehrleute, die versuchen, sich den Brandherden zu nähern, begeben sich in akute
Lebensgefahr. Innerhalb kürzester Zeit breiten sich die Flammen auf dem meist
flachen Land und in den Wäldern aus und überrollen alles, was sich ihnen in den
Weg stellt. Insbesondere Tiere wie Kängurus oder Koalabären gehören zu den
Opfern: da diese aufgrund ihrer Anatomie nicht so schnell fliehen können oder
in Zäunen stecken bleiben verbrennen sie qualvoll bei lebendigem Leib.

Ursachen

Nun mag man vielleicht etwas irritiert sein wenn man von
Hitzerekorden jenseits der 45-Gradmarke liest, schließlich gibt es
Weltregionen, da ist dies die „normale“ Tagestemperatur. Das mag sein,
allerdings handelt es sich dabei in der Regel um Wüsten und nicht um Grasland
oder Waldgebiete wie in Australien. Durch die anhaltende Trockenheit, die durch
diese Temperaturen entsteht, erhöht sich die Wald- und Buschbrandgefahr automatisch
(das kennen wir in Deutschland auch vom letzten Sommer). Es reicht schon
minimalster Funkenflug aus, um eine verheerende Katastrophe auszulösen. Das
liegt an der Vegetation in Australien: Dort wachsen vorwiegend Eukalyptusbäume
und diese haben die Eigenschaft zu brennen wie ein nordamerikanischer oder
europäischer Nadelbaum. Auch die großen Flächen an Grasland sind ein natürlicher
Brandbeschleuniger.

Doch die Vegetation ist nicht Hauptursache für die
Buschbrände: Die derzeitige Hitzewelle im australischen Sommer ist eine direkte
Folge des Klimawandels und die akute Bedrohung ein Produkt der neoliberalen
Politik der australischen Regierung. Bereits im Jahre 2007 warnten
Wissenschaftler_Innen davor, dass die Anzahl der Brände sich verdoppeln und die
Folgen verheerend sein könnten, wenn die CO2-Emissionen, welche vorwiegend
durch die Kohleverstromung erzeugt werden, nicht drastisch reduziert werden.

Kohleland

Australien ist weltweit einer der größten Kohleproduzent_Innen.
Die dort abgebaute Kohle wird zum Großteil nach Indien und China exportiert und
dort zur Energiegewinnung genutzt. Aber auch für die eigene Stromerzeugung wird
Kohle benutzt. Eine Abgasnachbehandlung, wie sie für europäische Kohlekraftwerke
zum Betrieb vorgeschrieben ist, gibt es in Australien fast nicht. Somit wird
ungehindert eine noch größere Menge an CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. Durch
die damit einhergehende Erwärmung vertrocknet die Vegetation und die
Brandgefahr steigt. Unzählige Studien und Warnungen von Wissenschaftler_Innen
haben die konservative Regierung von Australiens Premierminister Scott Morrison
heruntergespielt und einen Zusammenhang zwischen Kohleabbau und Klimaerwärmung
geleugnet. Noch während die ersten großen Brände ausbrachen ist Scott in den
Urlaub nach Hawaii geflogen. Als ob diese Dreistigkeit angesichts der tödlichen
Katastrophenbrände noch nicht genug ist, ist er weiterhin der Meinung, dass der
Kohleabbau in Australien sogar noch weiter ausgebaut werden sollte! Doch auch die
oppositionelle Labour-Partei steht ihm im in ihrer pro-Kohle-Politik in nichts
nach.

Die aktuelle Katastrophe in Australien zeigt ganz eindeutig
auf, dass sich Klimaschutz und Kapitalismus nicht miteinander vereinbaren
lassen. Und die bürgerlichen Regierungen lassen mal wieder erkennen, auf wessen
Seite sie stehen: Die Profitinteressen der Wirtschaft scheinen ihnen wichtiger
zu sein als die Interessen der gesamten Gesellschaft und der Natur. Hinzu
kommt, dass durch die jahrelange neoliberale Sparpolitik in Australien
öffentliche Infrastruktur, wie beispielsweise die Feuerwehr, immer weiter
abgebaut wurden. Obwohl sich die Feuerwehr seit Jahren immer wieder mit
Protestbriefen an die Regierung gewendet hat, dass sie den wachsenden
Anforderungen mit zu geringem Personal und zu schlechter Ausrüstung nicht
gewachsen sind, hat die australische Regierung munter weiter gespart, um das
Geld den Kohlekonzernen in Form von Subventionen zukommen zu lassen.

Petitionen und Entertainmentprogramm im Berliner
Olympiastadion

Als Fridays for Future können wir eine solche Katastrophe
natürlich nicht unkommentiert lassen. Im Gegenteil: Wir müssen hier vor Ort die
verfehlte Politik von Morrison angreifen und aktiv werden. Das heißt natürlich
vor allem gegen die Kohlekonzerne vor unserer eigenen Haustür zu protestieren.
Aber auch andere exportorientierte deutsche Unternehmen verdienen auch im
Ausland mit den Klimakillern. So will beispielsweise der Großkonzern Siemens
die Bahninfrastruktur für den Bau der größten australischen Kohlemiene stellen.
Dabei hat der Siemensvorstand noch vor kurzem ganz stolz verkündet eine
Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz einnehmen und bis 2030 „klimaneutral“
werden zu wollen. Die Strategie von Siemens entspricht der gängigen
„Greenwashing“-Strategie deutscher Konzerne. Hierzulande werden die
Umweltbilanzen geschönt, indem die umweltschädliche Produktion einfach im
Ausland stattfindet.

Für viele in Fridays for Future ist das ein Skandal, weshalb
nun eine Petition gestartet wurde, die Siemenschef Kaeser dazu auffordert,
seine Investitionen noch einmal neu zu überdenken. Mit großen Protestaktionen
am Freitag haben wir den Druck noch einmal verstärkt. Kaeser sah sich deshalb
gezwungen (die selbsternannte Führungsfigur von Fridays for Future) Luisa
Neubauer zu einem Gespräch einzuladen. Währenddessen bot er ihr dann einen
Platz im Aufsichtsrat von Siemens an.

Auch diese Taktik kennen wir schon. So versuchen viele
Institutionen oder Unternehmen unserer Klimabewegung den oppositionellen
Charakter zu nehmen, in dem sie uns versuchen in ihr System zu integrieren.
Eine ähnliche Entwicklung hat auch die Partei die Grünen hingelegt, die sich auf
ihrer Geburtstagspartei zum Vierzigsten am Wochenende auch noch dafür gefeiert
hat.

Auch denken wir, dass eine Petition kaum Einfluss auf einen
Großkonzern wie Siemens haben kann, denn dieser untersteht in erster Linie
immer noch der Profitlogik. Der Kapitalismus kann nur funktionieren, solange
sich alles dem Profit unterordnet, egal ob es nun die Umwelt, das Klima oder
Menschenleben sind. Und wer wüsste das besser als Siemens. Es gibt einige
Beispiele für Petitionen aus den letzten Jahren, die von den amtierenden
Regierungen einfach ignoriert wurden, sobald sie die Profitinteressen der
jeweiligen Großkonzerne antasteten. Zum Beispiel die europäischen
Großpetitionen gegen TTIP oder Artikel 13. Bei der Petition gegen Artikel 13
haben EU-weit zwar fast 4 Millionen Menschen unterschrieben, aber das war dem
EU-Parlament ziemlich egal: Artikel 13 und die Uploadfilter kamen trotzdem.

Ähnliche Folgenlosigkeit erwarten wir vom geplanten Bespaßungsevent
am 12.06.im Berliner Olymbiastadion. Es ist zwar bestimmt ganz unterhaltsam,
wenn man sich mit 60.000 anderen zusammen trifft, sich Vorträge von angeblichen
„Expert_Innen“ anhört, um anschließend eine bereits ausgearbeitete Petition zu
unterschrieben – allerdings ist dann noch nicht gesagt, dass das auch ein
verbindliches Ergebnis nach sich zieht. Ja, es mag sein, dass sich der
Petitionsausschuss des Bundestags damit befassen muss bei 50.000
Unterschriften. Ob dann tatsächlich ein Gesetz daraus wird, was verbindlich
ist, steht auf einem anderen Blatt Papier. Es besteht durchaus die Gefahr, dass
das Thema zwar im Petitionsausschuss angesprochen wird, aber es kann genauso
gut in den Untiefen der Bundestagsbürokratie versumpfen oder es wird abgelehnt,
das Thema überhaupt weiter zu verfolgen. Statt passivem Konsumieren von
„Exerpert_Innenmeinungen“ und dem stumpfen Unterschreiben eines vorgefertigten
Textes hätten wir außerdem lieber selber über die Zukunft und Perspektive von
Fridays for Future diskutiert.Hinzukommt, dass man sich vorher noch
eine Eintrittskarte zu diesem Event kaufen muss. 29,95€ sind für viele von uns
eine große Summe Geld. Wir sind entschieden dagegen, dass nur privilegierte
Aktivist_innen an den Aktionen von FFF teilnehmen können.

Alternative: #Klassenkampf

Auch wenn es nicht schaden kann eine solche Petition zu
starten, können wir es nicht dabei belassen. Gerade jetzt in einer Situation,
in der die Teilnehmer_Innenzahlen von Fridays for Future kleiner werden und
Aktivist_Innen zunehmend demoralisiert sind, können wir uns keinen weiteren
Misserfolg leisten. Solange eine Petition alles ist, was wir dieser Politik
entgegenstellen, werden wir verlieren und das wird erneut für Frustration in
der Bewegung sorgen. Wenn wir tatsächlich Siemens stoppen wollen, müssen wir
die dortigen Beschäftigten für unsere Ideen gewinnen. Mit gemeinsamen Streiks
von uns Schüler_innen/Studis und Beschäftigten können wir den Konzern dort
treffen, wo es ihm wirklich weh tut: nämlich bei seinen Profiten. Es ist die kapitalistische
Profitlogik, die zum immer weiteren Ausbau der klimaschädlichen Kohleproduktion
in Australien führt, die Anlass für die Kürzungsmaßnahmen bei der australischen
Feuerwehr gegeben hat und die auch im nächsten Jahr zu Massenentlassungen bei
Siemens führen könnte. Als Klimabewegung haben wir mit den Arbeiter_Innen
gleiche Interessen und einen gemeinsamen Feind. Dafür müssen wir Awareness in Fridays
for Future schaffen und das in unseren Aktionen zum Ausdruck bringen. Der FFF-Nordkongress
letzte Woche in Hamburg hat bereits vor gemacht, wie das geht und sich
Mehrheitlich für einen Schulterschluss von Fridays for Future mit den
Gewerkschaften ausgesprochen. Das ein richtiges Zeichen, auf dem wir aufbauen
müssen! Ohne die soziale Frage hat Fridays for Future keine Future.




Nein zum Krieg!

08.01.2020

Warum der Iran und die USA kurz vor einem Krieg stehen und was wir dagegen tun können.

Was ist da in der letzten Woche passiert?

Letzte Woche wurde
der iranische Generalmajors Qasem Soleimani bei einem
US-Drohnenangriff getötet als er gerade sein Flugzeug auf dem
Flughafen von Bagdad (Hauptstadt des Iraks) verlassen wollte. Die USA
haben dabei nicht irgendeinen Statisten erwischt sondern eine der
wichtigsten Führungsfiguren des iranischen Regimes. Als
Oberbefehlshaber der Quds-Einheiten fuhr er in Interventionen im
Libanon oder Syrien einige militärische Siege ein und genießt ein
hohes Ansehen im Iran. Seine Beerdigung wurde dementsprechend als ein
spektakuläres Massenevent inszeniert. Im Gemenge kam es dabei
zwischen tausenden Menschen zu einer Massenpanik, die laut iranischen
Agenturen über 50 Menschen das Leben kostete. Die Spitzen des
iranischen Regimes kündigten in ihren Beerdigungsreden blutige
Racheaktionen an und auch Trump twittert fleißig von seinen
Kriegsfantasien. Schon einen Tag nach der Beerdigung griff der Iran
Militärbasen mit US-Streitkräften im Irak an. Die Lage ist also
sehr ernst und die Gefahr eines Krieges in der Region ist groß.
Sowohl die USA als auch der Iran stehen unter innenpolitischem Druck.
Das heißt, dass in beiden Ländern große Spannungen zwischen den
Herrschenden, Mittelschichten und den lohnabhängigen Massen
existieren, die durch einen Krieg zeitweilig auf einen äußeren
Feind abgelenkt werden könnten. Der Iran hat in einem Schnellgesetz
bereits eine Erhöhung des Militärbudgets um 200 Millionen Euro
beschlossen und erklärten die US-Truppen offiziell zur
Terrorist_Innen. Die USA wollen dagegen größere Truppenkontingente
im Irak stationieren.

Warum riskiert Trump eine Eskalation?

Die Ermordung
Soleimanis stellt aktuell die Spitze einer sich zuspitzenden
Konfrontation zwischen den USA und seinen regionalen Verbündeten
(Saudi Arabien und Israel) auf der einen und dem Iran auf der anderen
Seite dar. Zuvor wurde bereits ein US-Militär durch Raketen der
pro-iranischen Miliz Kata’ib-Hisbollah (Hisbollah-Brigaden)
getötet, woraufhin die USA Luftangriffe auf die Miliz flog, was
wiederum eine Belagerung der US-Botschaft im Irak durch pro-iranische
Demonstrant_Innen nach sich zog. Die Ermordung des ranghohen Generals
Soleimani stellt jedoch eine neue Eskalationsstufe in dieser Spirale
der Vergeltungsschläge dar. Ihren Ausgangspunkt nahm die wachsende
Konfrontation in der einseitigen Kündigung des Atomabkommens durch
US-Präsident Trump. Er verfolgte damit eine neue und aggressivere
strategische Linie gegenüber dem Iran, die sich „maximaler Druck“
nannte. Durch harte Sanktionen sollte der Iran am Ausbau seiner
regionalen Machtbasis gehindert werden. Doch warum gerade der Iran?
Ähnlich wie im ausgehenden 19.Jahrhundert sind der afrikanische
Kontinent und der sogenannte „Nahe Osten“ auch heute eine Arena
für die stärker werdende Auseinandersetzung zwischen den
Großmächten. Es geht vor allem um die Sicherung von Rohstoffen,
aber auch um Absatzmärkte und geostrategische Stützpunkte. Gerade
der Iran ist hierbei ein wichtiges Land, da es große Vorkommen an
wichtigen Ressourcen wie Erdöl und Erdgas besitzt. Der Iran selber
hat dagegen in den letzten Jahren die instabile Lage in der Region
genutzt, um seine Einflusssphäre weiter auszubauen. In Kriegen wie
in Syrien oder dem Jemen, aber auch in Ländern wie dem Libanon oder
dem Irak kontrolliert er (oder von ihm unterstützte Milizen) bereits
große Territorien. Das passt den USA natürlich gar nicht, denn sie
sind selber darauf bedacht, die Kontrolle über die wirtschaftlich so
wichtige Region zu behalten. Saudi Arabien und Israel dienen ihnen
dabei als Wachhunde. Hinzu kommt, dass der Iran als Verbündeter
Chinas gilt, also dem erklärten Hauptfeind der USA. Insgesamt gehen
30% der Exporte des Irans nach China. Daneben noch 16,8% nach Indien,
was aufgrund der Bestrebungen Chinas eine neue Handelsstraße in
Asien („neue Seidenstraße“) zu etablieren, zu der auch der Iran
und Indien gehören sollen, nicht uninteressant ist. Die Feindschaft
der USA gegenüber dem Iran sind also auch vor dem Hintergrund zu
verstehen, dass die USA ein ihnen wirtschaftlich gefährlich
werdendes China eindämmen und isolieren wollen. Die Aggression gegen
den Iran richtet sich aber nicht nur gegen China, sondern auch gegen
Russland, welches in den vergangenen Jahren ebenfalls seinen Einfluss
im Nahen und Mittleren Osten ausbauen konnte, in dem es zum Beispiel
den brutalen Diktator Assad in Syrien unterstützt. Soleimani hat als
Kommandant der Quds-Brigaden persönlich blutige Verbrechen in Syrien
an der Seite des dortigen Assads zu verantworten.Wenn die USA nun
einfach einen ranghohen iranischen General abknallen, ist das nicht
einfach ein plötzlicher Wutanfall von Trump gewesen. Vielmehr geht
es dabei um eine zunehmend aggressiver werdende Strategie einer
Großmacht, die Angst um ihren Spitzenplatz auf der Welt hat.

Kann Europa eine deeskalierende Rolle in diesem Konflikt spielen?

Merkel, Macron oder
der frisch gewählte Johnson rufen aktuell zur Deeskalation auf.
Dabei stellt sich Europa als rationaler Akteur dar, der doch nur an
Frieden und Stabilität interessiert sei. Kein_E europäische_R
Regierungschef_In konnte sich jedoch dazu durchringen, den
völkerrechtswidrigen Mord an Soleimani zu verurteilen. Stattdessen
sicherten sie alle den USA ihre Loyalität dazu. Wenn Merkel oder
Außenminister Heiko Maas nun zu „Deeskalation“ und
„Zurückhaltung“ aufrufen, ist es nicht die Angst um einen
blutigen Krieg, der tausende Menschen in den Tod reißen wird. Nein,
es ist die Angst vor steigenden Ölpreisen, vor Verlusten von bereits
im Iran getätigten Investitionen, vor neuen Geflüchtetenströmen
nach Europa und vor Anti-Kriegs-Massendemonstrationen wie damals
gegen den Irak-Krieg.

Was können wir dann tun, um einen Krieg zu vermeiden?

Wichtig ist nun,
dass wir die Ermordung Soleimanis scharf verurteilen und uns klar
gegen jegliche militärische Intervention seitens der USA
aussprechen. Sollte Trump wirklich einen Krieg vom Zaun brechen,
müssen wir uns wohl oder übel auf die Seite des Irans stellen, um
Katastrophen wie den Irakkrieg oder den Afghanistankrieg zu
verhindern. Gleichzeitig sollten Linke dem Generalmajor Soleimanis
nicht hinterher trauern, genauso wenig wie wir die Interventionen
Chinas und Russlands in der Region unterstützen dürfen. Auch das
reaktionäre Mullah-Regime im Iran als Ganzes ist nicht unser Partner
sondern vielmehr die dortigen Massen, die in riesigen Demonstrationen
für einen Sturz des Regimes eintraten. Die Arbeiter_Innenklasse dort
darf nun nicht ihren Kampf gegen die Herrschenden angesichts der
Kriegsgefahr aufgeben. Doch dafür brauchen sie auch unsere
Solidarität. Große Antikriegsdemonstrationen in USA haben bereits
vorgemacht wie es geht. Als Jugendliche sollten wir dabei, wie im
Iran, ganz vorne mit dabei sein. Momentan zeigen hunderttausende
junge Menschen innerhalb der Fridays-for-Futures-Bewegung, dass sie
bereit sind, sich für eine bessere Welt zu organisieren. Für eine
bessere Welt kämpfen heißt aber auch sich gegen Krieg stark zu
machen! Außerdem zählen militärische Konflikte global zu den
größten CO²-Verursachern. Unsere Stimmen gegen den Krieg müssen
wir an unsere FFF-Ortsgruppen, Schulen, Unis, Betriebe und natürlich
auf die Straßen tragen. Nur so können wir der US-Aggression im Iran
die Stirn bieten.




Polizei tötet Studierende – Solidarität mit der indischen Studierendenbewegung!

Revolution unterstützt die Solidaritätserklärung der
Liga für die Fünfte Internationale vom 17.12.2019

Am Sonntag, den 15. Dezember, griff die Polizei von Delhi brutal StudentInnen der Jamia Millia Islamia (Nationale Islamische Universität) und BewohnerInnen von Jamia Nagar an, die gegen das Citizenship (Amendment) Act (CAA) protestierten.

Der Angriff war kein isolierter Gewaltakt der BJP-Regierung
von Narendra Modi. In vielen Teilen Indiens erhoben sich die Menschen,
insbesondere MuslimInnen, gegen das neue Gesetz, das am 11. Dezember 2019 vom
BJP-dominierten Parlament verabschiedet wurde. Die Änderung des
Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1955 berechtigt illegale MigrantInnen, die
Hindus, Sikhs, BuddhistInnen, Jains, ParsInnen und ChristInnen aus Afghanistan,
Bangladesch und Pakistan sind und am oder vor dem 31. Dezember 2014 nach Indien
eingereist sind, zur indischen Staatsbürgerschaft. Aber sie schließt die
muslimische Bevölkerung von der Verordnung aus. Diese Diskriminierung der
größten Minderheit des Landes ist integraler Bestandteil der
menschenverachtenden hindu-chauvinistischen Kampagne der Hindutva-Regierung
gegen MuslimInnen.

Im gleichen Zusammenhang führte die indische Regierung auch
ein neues nationales Melderegister (National Register of Citizens; NRC) ein.
Zunächst galt dies nur für den Bundesstaat Assam, aber am 20. November erklärte
Innenminister Amit Shah, dass es auf das ganze Land ausgedehnt werden sollte.
Diese neue Verordnung würde von den BürgerInnen verlangen, dass sie Unterlagen
vorlegen, um ihre StaatsbürgerInnenschaft und damit ihre BürgerInnenrechte
nachzuweisen. Dies kann nicht nur gegen so genannte illegale MigrantInnen
eingesetzt werden, sondern auch, um Staatsangehörigkeitsrechte von Nicht-Hindus
und insbesondere muslimischen Minderheiten zu entziehen, die ihren Status
möglicherweise nicht dokumentieren können. Eine solche Forderung würde sich auf
viele der am stärksten ausgebeuteten Teile der ArbeiterInnenklasse auswirken,
die in extremer Armut auf schlecht bezahlten Arbeitsplätzen überleben, die
einfach keine solchen Unterlagen haben, selbst wenn ihre Familien seit
Jahrhunderten in Indien leben.

Diese rassistischen Verfassungsänderungen und neuen
Meldegesetze wecken Wut und Massenproteste von StudentInnen und MuslimInnen im
ganzen Land.

Massive polizeiliche Repressionen

Die Polizei unterdrückt die Protestbewegung mit äußerster
Brutalität. Videos auf Social Media zeigen, wie die Polizei StudentInnen in der
Universitätsbibliothek der Jamia Millia Islamia angreift. Die Polizei benutzte
Tränengas, Sprengstoff und sogar scharfe Munition. Medien haben berichtet, dass
drei Studierende an den Folgen des Angriffs gestorben sind, und etwa 50 andere
haben Schussverletzungen. Die Polizei hat auch auf die Aligarh Muslim University
geschossen. Diese Universitäten wurden angegriffen, weil dort muslimische
StudentInnen gegen das CAA und NRC protestieren.

Es gibt auch Berichte, dass viele Studierende von der
Polizei in Delhi entführt wurden. Sie tut dies, um die indische Bevölkerung zu terrorisieren
und zu spalten. Dies ist ein regelrechter Rassismus gegen die muslimischen
StudentInnen und Menschen, aber in der Jamia helfen nicht-muslimische
StudentInnen ihren KommilitonInnen und wehren sich gegen die Polizeibrutalität.
Vor allem Frauen haben viel Mut gezeigt.

Tausende haben sich dem Protest vor dem Polizeipräsidium
Delhi angeschlossen, nachdem die StudentInnen der Jawaharlal Nehru University
dazu aufgerufen hatten. In vielen anderen Teilen des Landes gingen auch ihre
KommilitonInnen auf die Straße. Sie fordern, dass die Repressionskräfte für
ihre Brutalität an der Jamia und der Aligarh Muslim University zur
Verantwortung gezogen werden. Alle Inhaftierten sollten unverzüglich und
bedingungslos freigelassen werden.

In Delhi führten die Demonstrationen von Tausenden zur
Freilassung von inhaftierten Studierenden. Im ganzen Land sind Anzeichen einer
mächtigen StudentInnenbewegung gegen die Modi-Regierung zu erkennen. Sie
fordern den sofortigen Rückzug der Polizei vom Campus Jamia und der Aligarh
Muslim University sowie aus Jamia Nagar.

Wir stehen in voller Solidarität mit den StudentInnen in
Indien und allen anderen, die gegen CAA und NRC protestieren. Ihr Widerstand
und ihr Mut, sich zu wehren, stellen eine Quelle der Inspiration dar. Gemeinsam
können wir gegen die Hindutva-Regierung und den Staat kämpfen, der die Menschen
entlang sektiererisch-religiöser Linien spaltet. Wir fordern die indische
ArbeiterInnenklasse auf, die Studierenden im Kampf gegen die Hindutva-Regierung
zu unterstützen. Die internationale ArbeiterInnenklasse und die
StudentInnenbewegungen müssen aktiv werden und Solidarität mit der Bewegung
gegen CAA und NRC aufbauen sowie Proteste, Kundgebungen und Demonstrationen
gegen die rassistischen Gesetze, Repressionen und die Ermordung von
DemonstrantInnen organisieren!




Rezession, Angriffe, Revolutionen: Warum wir eine Jugendinternationale brauchen!

Lars Keller

Wenn wir die aktuellen
Geschehnisse in der Welt betrachten, wird eines sofort klar: nichts
ist sicher, nichts bleibt wie es ist. In Lateinamerika finden
fortschrittlich sowie rückschrittlich geprägte Proteste statt, in
Chile kam es zu einer Revolution, welche das gesamte Volk umfasst. In
den USA leiten die Demokraten ein Amtsenthebungsverfahren gegen
Donald Trump ein.

Die EU befindet sich
weiter in einer schweren Krise: der Brexit ist nach wie vor
Dauerthema, die Allianz Berlin – Paris bröckelt, die Festung
Europa lässt Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken. In
Frankreich findet seit Anfang Dezember ein Generalstreik gegen
Macrons Rentenreform statt. Nicht zu vergessen ist Europa das Zentrum
der globalen Klimabewegung geworden, mehrere Klimastreiks
mobilisierten Millionen von Menschen.

Im Nahen und Mittleren
Osten erheben sich ebenfalls die Volksmassen: der Libanon, der Iran
und der Irak werden von Massenprotesten erschüttert. Auch in Ägypten
gehen wieder Menschen gegen das diktatorische al-Sisi Regime auf die
Straße. Vor einigen Monaten konnten wir eine erfolglose Revolution
im Sudan sehen. Gleichzeitig sind fortschrittliche Errungenschaften
des arabischen Frühlings bedroht: Die Türkei startete vor einigen
Wochen einen militärischen Angriff auf das fortschrittliche Projekt
Rojava.

Reisen wir weiter
Richtung Asien, so kommen wir an vielen Pulverfässern vorbei:
Afghanistan und der Irak befinden sich seit über 15 Jahren im
Kriegszustand. Dem Iran droht weiterhin ein militärischer Überfall
durch die USA. Zwischen Pakistan und Indien gibt es einen
fortwährenden Konflikt um die Region Kashmir und Jammu. Und dann
bleibt noch Hongkong als Ort, wo Menschen seit Monaten auf die Straße
gehen um sich gegen die Unterdrückung durch die chinatreue Regierung
zu wehren.

Krise

Im Hintergrund all
dieser Kämpfe und Krisen steht, dass die globale Wirtschaft in eine
Rezession * rutscht und auf die nächste große Krise zusteuert.
Diese Krise ist eine Verschärfung der tieferen Krise im
Kapitalismus, welche 2008 zuletzt heftig ausbrach und die
Weltwirtschaft an den Rande des Abgrunds brachte. Die
Kapitalist_Innen stehen vor dem Problem, dass sie kaum noch
Möglichkeiten haben, ihr Kapital so zu investieren, dass ein
ausreichend großer Profit erzeugt wird. Daher geht es den
mächtigsten Ländern und Staatsverbünden um eine Neuaufteilung
dieser Welt. Sie streiten sich darum, wer Platz machen muss, damit
die anderen kapitalistischen Mächte weitermachen können, mit der
Jagd nach Profit und ewigem Wachstum. Wir nennen diese starken Mächte
imperialistisch – sie sind in der Lage bei allen möglichen
Weltfragen mitzureden und üben im gesamten Weltgeschehen Einfluss
aus. Zu diesen Ländern zählen wir hauptsächlich die USA, China,
Russland, Japan, Kanada, Australien sowie viele Staaten Europas,
allen voran Deutschland, Frankreich und Großbritannien, aber auch
Länder wie Italien oder Spanien, als schwächere Mächte.

Bei diesem Kampf um
Einflusssphären, Rohstoffe, Produktionsstandorte und Märkte wollen
dann auch Regierungen mit regionalem Einfluss mitspielen, die aber in
globalen Fragen weniger zu melden haben. Für den arabischen Raum
sind das Saudi-Arabien, die Türkei, der Iran und Israel. Sie
lavieren teilweise zwischen Großmächten und sind auf deren
Unterstützung angewiesen, während die Großmächte gleichzeitig um
diese Regionalmächte kämpfen.

Soziale Angriffe und Revolution

Die kapitalistische
Krise ist aber nicht nur mit dem Aufteilungskampf um die Welt
verbunden. Für die Kapitalisten ist klar: die Kosten der Krise
sollen einerseits ihre Konkurrenten, aber vor allem die
Lohnabhängigen, die breite Masse der Bevölkerung tragen. Daher
folgen schwere Angriffe auf soziale und demokratische
Errungenschaften. Sie bereiten einerseits die Grundlage für
Aufstände und Revolutionen, die sich gegen Regierungen und Kapitale
zur Wehr setzen, andererseits kann sich auf der Grundlage von
sozialem Abstieg auch der Rechtspopulismus bis hin zum Faschismus
breit machen.

In der ersten Reihe von
fortschrittlichen politischen Kämpfen stehen oft Jugendliche. Sie
sind weniger demoralisiert von Niederlagen und haben noch einen
längeren Lebenszeitraum vor sich, für den es zu kämpfen gilt.
Außerdem spielt immer auch der Kampf gegen Jugendunterdrückung –
sei es durch Familie oder den Staat – eine Rolle. Die Jugend ist
dabei allerdings keine eigenständige Klasse. Sie kommt aus der
Arbeiter_Innenklasse, Mittelschichten, Kleinbürger_Innentum oder
eben der Kapitalist_Innenklasse, ökonomisch ist sie meist abhängig
vom Elternhaus und zusätzlich oft auf besonders prekäre Jobs
angewiesen.

Ob ein
fortschrittlicher Aufstand oder eine Revolution erfolgreich ist,
misst sich daran, welche Kräfte die Situation zu nutzen wissen, um
dem Großteil der Bevölkerung einen Ausweg aus der Misere zu weisen
– wir würden sagen hin zu einem sozialistischen Umsturz und dem
Aufbau einer Rätedemokratie mit demokratischer Planwirtschaft. Wenn
dieses Ziel erreicht werden soll, braucht es wen des es vorschlägt
und taktische Schwachstellen des Gegners ausnutzen kann. Es braucht
also eine politische Führung für den Kampf. Dafür schlagen wir
allen militanten und fortschrittlichen Jugendlichen den Aufbau einer
Jugendinternationale vor!

Was ist das und wieso
brauchen wir das? Wie oben bereits beschrieben sind wir einem
international agierendem Gegner ausgesetzt. Die Bosse und Herrscher
sind trotz aller Konkurrenz gut gegenüber der Arbeiter_Innenklasse
organisiert und verfügen mit Geheimdiensten, Militär und
Institutionen wie Weltbank oder internationalem Währungsfonds über
mächtige Mittel Volksaufstände zu unterdrücken. Daher müssen auch
wir uns international aufstellen und organisieren. Doch wir als
Jugend können alleine nicht gewinnen. Wir besitzen nicht die Macht
die Produktion zu stoppen oder diese gar selbst zu übernehmen, auch
wenn viele von uns für wenig Geld arbeiten gehen. Daher muss eine
Jugendinternationale die Verbindung zur Arbeiter_Innenklasse suchen.
Diese braucht aus denselben Gründen wie die Jugend eine
internationale Organisation – eine Weltpartei, eine neue, fünfte
Internationale. Diese muss Kämpfe international zusammenführen und
in den jeweiligen Ländern in Aufstände intervenieren um ihnen eine
sozialistische Perspektive zu weisen.

Wir wollen das anhand
des Beispiels der chilenischen Revolution veranschaulichen.

Das Beispiel Chile

Seit Oktober befindet
sich Chile in Aufruhr. Die Proteste entzündeten sich an der
Ticketpreiserhöhung von U-Bahnen und entwickelten sich rapide weiter
bis zu den Forderungen nach einem Sturz der rechten Regierung von
Sebastian Pinera, einer Verfassungsänderung durch eine
konstituierenden Versammlung sowie umfangreichen Reformen in
Sozialversorgungssystem wie Renten und Gesundheitsversorgung.

Teile der Opposition
haben sich durch einen faulen Kompromiss mit der Regierung Mitte
November kaufen lassen: Eine Verfassungsreform soll kommen, aber erst
im April 2020. Die verfassungsgebende Versammlung soll zur Hälfte
aus Delegierten der Bevölkerung und zur anderen Hälfte aus
Parlamentsmitgliedern bestehen und mit einer 2/3 Mehrheit in einem
Volksentscheid angenommen oder abgelehnt werden. Zu Recht kritisiert
der Vorsitzende der Chilenischen Kommunistischen Partei (PC),
Guillermo Teillier, dass dieser Schlüssel den Rechten Kräften ein
Veto über die Verfassung ermöglicht.

Die breite Masse ließ
sich durch den verräterischen Kompromiss nicht blenden und geht nach
wie vor auf die Straße. Zwar haben Gewerkschaften, PC und Frente
Ampilo (linke Sammelbewegung „Breite Front“) dem Kompromiss nicht
zugestimmt – von dessen Verhandlungen sie ohnedies ausgeschlossen
waren – dennoch machen sie politische Fehler und bremsen den Kampf
aus. Sie beschränken sich letztlich auf umfassende politische und
soziale Reformen und richten sich nicht auf eine Revolution der
Arbeiter_Innenklasse aus.

Was sollte stattdessen
eine kommunistische Jugendorganisation und Partei tun? Die Lage in
Chile stellt die Machtfrage: Behalten die chilenischen
Kapitalist_Innen, Militärs und damit verbunden das Finanzkapital
imperialistischer Staaten wie den USA die Macht wie bisher, oder
übernimmt die Arbeiter_Innenklasse die Macht? Dazwischen gibt es
nichts. Solange das Kapital über die ökonomischen Mittel der
Gesellschaft bestimmen kann und den nicht wählbaren Teil des Staates
(Militär, Polizei, Geheimdienst, Justiz) kontrolliert, wird die
Bevölkerung früher oder später niedergeworfen, werden die Reformen
angegriffen. Derzeit versucht sich Pinera noch auf dem Wege fauler
Kompromisse zu halten, doch wenn der Protest seine Energie verlieren
sollte, kann schnell der entscheidende Schlag gegen ihn erfolgen.

Daher müssten sich
Kommunist_Innen auf die Mobilisierung der Arbeiter_Innenklasse
fokussieren und folgendes Programm vorschlagen:

Für
einen unbefristeten Generalstreik, der die Regierung stürzt, durch
eine Arbeiter_Innenregierung ersetzt und sich auf Räte und Milizen
der Arbeiter_Innen, einfachen Soldat_Innen und armen Bäuer_Innen
selbst stützt!

Enteignung
des Großgrundbesitzes, der Schlüsselindustrien, Banken, Bergwerke
und ausländischen Kapitale unter ArbeiterInnenkontrolle!

Für
einen massiven Ausbau von Sozialem und Infrastruktur: Kostenloser
ÖPNV, massive Erhöhung von Löhnen und Renten und der Aufbau einer
staatlichen Gesundheitsversorgung sind nur Teile dessen! – Für einen
demokratischen Plan gesellschaftlich notwendiger Arbeiten!

Für
eine verfassungsgebende Versammlung, die unter Kontrolle der
Arbeiter_Innenklasse steht! Nein zu jedem Kompromiss mit bürgerlichen
Kräften!

Zerschlagung
des bürgerlichen Staatsapparates und Ersetzung durch einen Staat,
der die Macht der Arbeiter_Innen sichert!

Sollten diese
Forderungen von der breiten Masse aufgegriffen und umgesetzt werden,
wären natürlich sofort internationale Angriffe auf die chilenische
Revolution zu erwarten. Hier kommt die Jugendinternationale und eine
kommunistische Internationale der Arbeiter_Innenklasse ins Spiel:
Ihre chilenische Sektion müsste die oben aufgeführten Punkte
aufwerfen, doch letztlich ginge es darum die Perspektive in alle
Länder, insbesondere Lateinamerikas zu tragen und die Angriffe auf
Chile in ihren eigenen Ländern mit Generalstreiks und
Massenprotesten bis hin zu weiteren sozialistischen Revolutionen zu
beantworten. Daher lautet unser Gesamtslogan für Lateinamerika:

Für die vereinigten
sozialistischen Staaten Lateinamerikas!

*Einfach gesagt ist
eine Rezession ein wirtschaftlicher „Abschwung“. Während dieser
Phase stagniert, oder schrumpft die Wirtschaftsleistung eines
Landes/Kontinents o.ä. Damit einher geht der Anstieg der
Arbeitslosenquote. Die Nachfrage (vornehmlich in der Industrie)
sinkt….




Faust in die Luft, Tolhildan – der Widerstand der Kurd_Innen in Rojava

Lorin Dilara

Seit dem 9. Oktober greift die
Türkei die Nord- östliche Region Rojava in Syrien an. Hier haben
die Kurd_Innen im Machtvakuum des syrischen Bürgerkrieges eine
selbstverwaltete Region mit den Ansprüchen: direkte Demokratie,
Befreiung der Frau und Ökologie aufgebaut. Die Volks- und
Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) der Kurd_Innen besiegten
den sogenannten IS, aber verloren während des Kampfes Tausende
Kämpfer_Innen.

Jetzt
sind die Kurd_Innen, die in einer Region des Elends und Krieges
selbstverwaltete Strukturen und Mitspracherecht durchsetzten und
einen kleinen Frieden erreichten, ein direktes Angriffsziel für die
Türkei. Der türkische Staat führt seit der Gründung im Jahr 1923
einen erbitterter Krieg gegen die Kurd_Innen – die größte Nation
der Welt ohne Staat – welche für Mitspracherecht und
Selbstbestimmung kämpfen. Durch Verbote der Sprache und Kultur,
durch große Assimilationen und Unterdrückung, Inhaftierungen und
Tötung wurde bereits in der Vergangenheit versucht, die kurdische
Selbstbestimmung in Schach zu halten.

Der Angriff der Türkei

Seit dem 17. Oktober wurden 88
Dörfer von der Türkei besetzt und 200 türkische Luft- und
Bombenangriffe durchgeführt, es starben bis zu 68 ZivilistInnen und
150.000 bis 200.000 Menschen sind auf der Flucht. Am 2. Dezember,
haben türkische Verbände die Stadt Tal-Riffat bombardierte
(nördlich von Aleppo) und 10 Menschen, darunter 8 Kinder getötet.

Die
Türkei hat mit dem Bau einer Mauer entlang der jüngst eroberten
rund 120 km langen und 30 Kilometer tiefen Zone zwischen der
Grenzstadt Gire Spi (Tel Abyad) und Serekaniye (Ras al-Ain) begonnen.
Somit grenzt es jene Gebiete vom restlichen Syrien ab und annektiert
diese faktisch in das türkische Staatsgebiet. Der
AKP Gouverneur von Sanliurfa hat 4000 Polizeistellen für die
besetzten syrisch-kurdischen Städte Ras al Ayn und Tel Abyad
ausgeschrieben. Die Familien die
ursprünglich in dieser Region wohnten, werden vertrieben,
bombardiert und angegriffen und dadurch zur Flucht gezwungen. An
ihrer Stelle werden Erdogan-nahe Familien angesiedelt, auch
dschihadistische Familien sollen Unterkünfte ehemaliger Einwohner
bewohnen.

Weiterhin
schiebt die Türkei illegalerweise abertausende Geflüchtete in in
diese Region ab. Es sind Geflüchtete, die vor dem syrischen
Bürgerkrieg, Mord, Tod und Folter durch Assad oder dem IS geflüchtet
sind, meist aus anderen Region Syriens kommen.

Eines der
geographischen Hauptziele Erdogans ist die internationale Straße M4
(syrischer Mittelmeerhafen Latakia – Aleppo – syrisch-türkischen
Grenze – Mosul (Irak)). Mit der Einnahme über diese Straße werden
wichtige Verkehrsknotenpunkte unter Kontrolle des türkischen Staates
gebracht.

Trotz
diverser Waffenstillstandsabkommen greift der türkische Staat nach
wie vor Nord- und Ostsyrien an. Der
Beschuss von Til Temor und Ain Issa zeigt, dass die Türkei auch über
die ihr schon im Deal mit Russland zugesprochene „Sicherheitszone“
hinausgehen will.

Das
Regime bewaffnet Dschihadistische Milizen, welche an vorderster Front
als Bodentruppen eingesetzt werden. Mehrere Hinrichtungen von Frauen,
Männern und Kindern, Plünderungen, Vergewaltigung und Mord wurden
dokumentiert.

Der IS
wird in dieser Situation wieder stärker. Durch den Angriffskrieg der
Türkei können die kurdischen Kräfte nicht mehr vollständig die
Gefängnisse der IS Kämpfer_Innen kontrollieren. Viele von ihnen
kämpfen jetzt Seite an Seite mit der türkischen Armee gegen die
Kurd_Innen.

Es ist klar: Die Türkei kämpft
in Nord- Ostsyrien nicht, so wie in ihren Medien propagiert, für
Sicherheit und Schutz!

Ziele der Türkei

Die
Türkei verfolgt mit dem Angriff ihr eigenes Ziel als Regionalmacht
an der Neuordnung des Nahen Osten mitzuwirken, aber auch
innenpolitische Ziele werden vom Regime in Ankara verfolgt.

Die
Türkei steckt seit Jahren in einer Wirtschaftskrise. Diese wird
einerseits auf Arbeiter_Innen und Jugendliche abgewälzt. Der Krieg
in Syrien schafft eine äußere Ablenkung von den sozialen Angriffen,
aber bedient auch ganz unmittelbar ökonomische Interessen:

Die „Toki“ Häuser, die von
staatlichen Bauunternehmen gebaut werden, sollen da, wo zerstört
wird, aufgebaut werden und die Baubranche ankurbeln.

Außerdem gibt es Pläne
Fakultäten der Gaziantep Universität in den von Kurd_Innen
besiedelten Gebiet in Rojava zu errichten.

Außerdem will Erdogan in
diesem Gebiet bis zu 2 Millionen Geflüchtete zwangsansiedeln und das
passt wiederum super in den Kram der EU. Erst letzten Monat trafen
sich Seehofer, der Außenminister der Türkei und Griechenland, um
den „Flüchtlingsdeal“ auszubauen und weiter Gelder in die Türkei
zu stecken, damit ja keine Geflüchteten nach Europa gelangen.
Mehrere Milliarden Euro sollen weiterhin in die Türkei fließen auch
die Waffenexporte von Deutschland in Türkei haben sich massiv
erhöht.

Der Hauptgrund des Krieges
bleibt aber, dass Erdogan die kurdische Autonomie und
fortschrittliche Proteste fürchtet. Sie gefährden die Ambitionen
der Türkei, selbst in der Region als Ordnungsmacht zu agieren, mit
der Perspektive ein Neo Osmanisches Reich aufzubauen. Das gilt auch
für die Imperialist_Innen der USA, EU und Russland, die die
grundsätzlichen Grenzen der Region derzeit nicht antasten wollen und
somit keinen unabhängigen kurdischen Staat dulden.

Auch
die pro kurdischen Teile der Bevölkerung, oder Gegner_Innen der AKP
werden mit allen Mitteln bekämpft. So wurden seit den Kommunalwahlen
im letzten März, 28 Ko-Bürgermeister_Innen von den 65 Gemeinden und
Städten die von der pro Kurdischen HDP (Halklarin Demokratik
Partisie / Partei der demokratische Völker) gewählt wurden,
inhaftiert und durch AKP Nähe BürgermeisterInnen zwangsersetzt.

Demonstrations-
sowie Versammlungsverbote bestimmen die Straßen der
östlichen/kurdischen Teile und der Großstädte in der Türkei. Kaum
eine Demonstration findet ohne Knüppelgeschosse, Pfefferspray
Angriffe und Inhaftierungen statt. Fast alle Kader und Mitglieder
linker Gewerkschaften, Parteien, Organisationen sitzen hinter Gittern
oder sind ins Exil geflüchtet.

Die
Repressionsmaschinerie der Türkei greift bis nach Deutschland und in
die Europäische Union. So wurde öffentlich, dass die türkische
Botschaft von den Dekanen an der Uni in Frankfurt, die Namen der
kurdischen Studierenden erfragt hatte. Und die Vorstände der
Universität wiederum im Asta nach den Namen gefragt hatte. Auch
Deutschland, welches weiterhin Waffen liefert und auch vom
Flüchtlingsdeal mit der Türkei nicht absieht, unterdrückt
kurdische Proteste und Aktivist_Innen, ganz im Interesse des
türkischen Geheimdienstes MIT. Auch in Deutschland steht die PKK auf
der Liste verbotener Terrororganisationen.

„The Kurds have no Friends – But the Mountains“

Nach dem vermeintlichen Sieg
über den IS und dem Rückzug der USA, konnte Erdogan die Kurd_Innen
wieder bombardieren. Dabei waren es die Kurd_Innen die den IS am
Boden unter massiven Verlusten zurückgedrängt haben. Es ist niemals
im ernsthaften Interesse Amerikas, der Europäischen Union oder
Russlands gewesen, dauerhaft eine fortschrittliche, kurdische
Autonomie in der Region zuzulassen, vielmehr wollen die USA Ihre
Machtposition in der Region behalten und sorgten für den Schutz der
Ölraffinerien in Rojava. Außerdem befinden sich die
Operationszentren der USA und Russland in unmittelbarer Nähe von Til
Temer und Ain Issa.

Hier, in Rojava, tobt gerade
ein blutiger Stellvertreter_Innenkrieg. Während Russland als
„2.Sieger“ aus dem Bürgerkrieg in Syrien hervorgegangen ist und
die USA, die „traditionelle Ordnungsmacht“, neben einigen
Bombardements wenig erreicht haben, kann Erdogan dieses Machtvakuum
nutzen um seine eigenen Interessen zu verfolgen.

Gleichzeitig mussten sich die
Kurd_Innen auf die Unterstützung der USA verlassen. Nicht zuletzt,
weil Ihre Perspektive von einem unabhängigen kurdischen Staat in der
Region im momentanen imperialistischen Gefüge undenkbar ist. Eine
Revolution oder ein anderes Gesellschaftssystem wie in Rojava kann
niemals auf dem Schutz von imperialistischen Staaten basieren! Für
einen Erfolg dürfen die Kurd_Innen keine Hoffnungen in
imperialistische Länder setzen – die Verbündeten sind die
Lohnabhängigen und Jugendlichen der Region und in den
imperialistischen Ländern!

Der Krieg
wird auf den Schultern der ArbeiterInnenklasse und Jugendlichen
ausgetragen, wir werden einberufen, wir werden zur Kasse gebeten und
ausgebeutet. Darum muss es auch Hauptaufgabe eine_r/s jeden
Revolutionär_in/en sein, die Arbeiter_Innenklasse der Türkei und
der imperialistischen Länder, die diesen Krieg direkt oder indirekt
unterstützen, zu organisieren und auf die Straße zu bringen. Ebenso
müssen die fortschrittlichen Organisationen der Kurd_Innen gemeinsam
mit internationalistischen Organisationen weltweit für die globale
Revolution kämpfen, nicht zuletzt zum Schutz der eigenen Erfolge.
Sie dürfen bei den eigenen Erfolgen nicht stehen bleiben, besonders
nicht dabei Kapitalist_Innen im eigenen Staat zu dulden. Der
Sozialismus kann nicht gemeinsam mit dem Kapital erkämpft werden, es
gehört enteignet.

Mit
einem Generalstreik, können wir die Produktion des Landes lahm
legen, und unsere Macht zum Ausdruck bringen. Ebenso muss eine
fortschrittliche Bewegung auf Soldat_Innen zugehen, sie davon
überzeugen, dass sie auf der falschen Seite kämpfen.

Wir
sollten nicht nur unsere Solidarität zeigen, sondern müssen
gemeinsam kämpfen und die Arbeiter_Innen und Jugendliche gegen die
Kriegsmaschinerie der imperialistischen Staaten mobilisieren.

Hier
in Deutschland müssen wir gegen das Verbot der PKK auf die Straße
gehen. Fortschrittliche Kräfte dürfen nicht im Interesse
imperialistischer Nationen oder ihrer regionale Partner_Innen
kriminalisiert werden.

Wir
müssen die Fabriken, die militärische Güter an die Türkei liefern
blockieren. Dabei müssen wir versuchen, die Arbeiter_Innen vor Ort
für unsere Ziele zu begeistern, sie dazu bringen, sich Ihrer
Position bewusst zu werden und entsprechend zu handeln. Von Spionage
Software bis zum Leopard Panzer*, welche immer wieder gegen die
Kurd_Innen eingesetzt werden.

Egal
ob in Deutschland oder Rojava! Hoch die
internationale Solidarität! Für einen Abzug aller Armeen! Gegen die
Hoffnung auf imperialistische Armeen! Für eine breite, massenhafte
Arbeiter_Innen- und Jugendbewegung, die gegen den Krieg und in
Solidarität mit den Kurd_Innen steht!

Gegen
das Verbot der PKK, getroffen sind die Kurd_Innen gemeint sind wir
alle.

Sofortiger
Stopp von allen Rüstungsexporten, unmittelbare Enteignung großer
Rüstungsunternehmen wie KMW, Heckler und Koch und Co.

Für
einen türkei-, und europaweiten Generalstreik gegen den Krieg gegen
die Kurd_Innen, gegen alle Kriege an denen „Wir“ beteiligt sind,
oder von denen hier profitiert wird.

*Gebaut
werden die übrigens von der Kraus Maffei Wegmann GMBH, mit Hauptsitz
in München, unter der Leitung von Frank
Haun, Horst
Rieder und Ralf Ketzel




Der Fail von Madrid

Warum die Weltklimakonferenz gescheitet ist und was wir daraus lernen können:

Die Weltklimakonferenz in Madrid ist auf ganzer Linie
gescheitert. Das Abschlussdokument ist dementsprechend mehr als lächerlich.
Nahezu alle wichtigen Fragen, wie der Umgang mit den Emissionszertifikaten oder
die Entschädigung der ärmeren, vom Klimawandel umso stärker betroffenen Länder,
wurden auf die nächste Konferenz im November 2020 in Glasgow verschoben. Was
übrig bleibt sind wage nationale Klimaschutz-„Zusagen“. Da findet selbst die
Bundesregierung kaum noch etwas, was man schönreden könnte. Eine zeitliche
Verlängerung der Verhandlungsdauer um ganze 40 Stunden hat da auch nicht mehr
viel gebracht.

Und wenn eine solche Konferenz um noch so viele Stunden mehr
verlängert werden würde: das Problem ist nicht zu wenig Zeit oder zu wenig
Engagement, sondern die im Zuge der Krise des Kapitalismus sich international
zuspitzende Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten. Seit der großen
Weltwirtschaftskrise 2007/2008 gibt es auf dem Weltmarkt weniger zu holen,
sodass sich der Kampf um den verbliebenen Rest vom Kuchen zwischen den
einzelnen Akteuren massiv verstärkt hat. Da sich Klimaschutz und
wirtschaftliche Profite entgegenstehen, traut sich keiner der global player
einen Schritt „zu weit“ in Richtung Nachhaltigkeit zu machen, da man dann in der
internationalen Konkurrenz einen Nachteil fürchtet. Aus diesem Grund sind die
USA bereits vor einiger Zeit aus dem Pariser Abkommen ausgetreten und ihre
Hauptkonkurrentin China, traute sich nun auf der Weltklimakonkurrenz kaum noch
Zugeständnisse zu machen. Die EU hat noch einmal versucht ihren politischen
Anspruch, ebenfalls eine globale Führungsmacht zu sein, deutlich zu machen,
indem sie sich (allen voran Ursula von der Leyen) als „Zugpferd für mehr
Klimaschutz“ inszenierte. Wirklich was geliefert hat sie jedoch nicht.

Madrid ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie die nette
Idee von der „Weltdemokratie“ der UNO und anderen ähnlichen Institutionen
radikal in Frage gestellt werden, sobald der Ton in der Weltwirtschaft rauer
wird und die Wachstumsraten sinken. Madrid steht dabei auch im Schatten des
Scheiterns des internationalen Atomabkommens oder dem aktuellen Handelskrieg.
Wir schließen daraus, dass es keine Weltdemokratie geben kann, solange die Welt
aus Nationalstaaten besteht, die in Konkurrenz zueinander stehen. Vielmehr
handelt es sich bei der UNO ebenso wie beim IWF und ähnlichen Agenturen, um
Organe zur Durchsetzung imperialistischer Machtinteressen, die in Zeiten
zugespitzter Konkurrenz zum Stillstand kommen. Dass diese nie Arenen freier
Aushandlung waren, zeigen allein schon die fünf Veto-Mächte. Da aber das
kapitalistische System den Motor der Konkurrenz und die Säule der
nationalstaatlichen Form darstellt, müssen wir eine internationale
antikapitalistische Klimabewegung aufbauen, um diesen Widerspruch auflösen und
den Planeten noch irgendwie retten zu können. Zulange haben wir den
kapitalistischen Institutionen und den bürgerlichen Politiker_innen vertraut,
dass sie schon eine gute Lösung fürs Klima finden werden. Der letzte Aktionstag
von Fridays for Future war zwar immer noch groß aber hat auch eher auf die UN
gehofft als selber etwas gemacht. Die (nicht vorhandenen) Ergebnisse aus Madrid
sollten deshalb in Fridyas for Future neue Diskussionen anstoßen, wo wir
eigentlich hinwollen und wer diese Veränderung umsetzen kann. Spätestens nach
diesem Wochenende sollte nämlich allen klar sein: Klimaschutz bleibt
Handarbeit. Was wir brauchen sind Basisstrukturen in Schulen, Unis und
Betrieben, die demokratisch diskutieren und Konzepte erarbeiten, begleitet von
großen internationalen Aktionskonferenzen, auf denen wir gemeinsame Forderungen
erarbeiten und deren Umsetzung kontrollieren können. Wir haben kein Vertrauen
mehr in die kapitalistischen Institutionen, Verbände und Parteien.

Das Gerede von „neuer umweltfreundlicher Technologie“ und
dem „Green Deal“ können wir nicht mehr hören, denn klar ist: Wenn sich Natur
und Profit sowie Nationalstaatlichkeit und internationaler Klimawandel
widersprechen, kann es auch keinen „grünen Kapitalismus“ geben. Der Klimawandel
ist für uns in erster Linie keine Frage der Technologie sondern des
gesellschaftlichen Umgangs mit Natur. Es ist also nicht die Natur die gestört
ist, sondern das Verhältnis, das unser Wirtschaftssystem zu ihr hat. Genau
deshalb bedeutet Kampf fürs Klima auch Kampf für eine andere Gesellschaft.
Ansätze für diesen Kampf kommen auf der ganze Welt gerade nicht nur aus der
Klimabewegung sondern auch in Chile, Irak und Libanon gegen den
Neoliberalismus, in Rojava und Chile gegen das Patriarchat oder in sehr vielen
Ländern gegen den internationalen Rechtsruck. Dass insbesondere die
Rechtspopulisten Trump und Bolsonaro die größte Blockadehaltung auf der
Weltklimakonferenz eingenommen haben, zeigt uns nur wieder einmal deutlich,
dass sich unsere Klimabewegung klar gegen Rechts positionieren muss. Lasst uns
also aus Madrid lernen und ausgehend von Fridays for Future und allen anderen
fortschrittlichen Bewegungen auf der Welt eine internationale
antikapitalistische Bewegung zur Rettung dieses Planeten aufbauen. Spätestens
jetzt heißt es: Handeln statt Hoffen!




A la juventud revolucionaria de Chile!

Desde
hace varias semanas, ustedes están luchando decididamente contra la
desigualdad social y la política neoliberal del gobierno de Piñera.
Comenzando con las protestas de los estudiantes contra los aumentos
de las tarifas del metro, su oposición se ha extendido por todo el
país a un levantamiento masivo de la clase obrera y jóvenes contra
el gobierno. Vuestros llamamientos a la reversión de las reformas
neoliberales de los últimos años, al fin de la austeridad y al
derrocamiento del gobierno no sólo están justificados, sino que son
un paso necesario en el camino hacia una sociedad liberada.

El
gobierno respondió imponiendo un estado de emergencia y desplegando
las fuerzas armadas. Hemos oído que decenas de personas ya han sido
asesinadas o secuestradas, cientos han resultado heridas y miles han
sido detenidas. A pesar de esta brutal represión por parte del
Estado, vuestra resistencia es ininterrumpida, lo admiramos
profundamente. Los jóvenes siguen estando a la vanguardia de este
movimiento. Ustedes no han retrocedido ni un centímetro, y esto ya
ha dado sus frutos: Piñera se vio obligado a levantar el estado de
emergencia y anunciar reformas sociales. Incluso si no se puede
confiar en estos anuncios, demuestran que se siente acorralado.
Esperamos que puedan sacar un nuevo valor de esto para continuar la
lucha con mayor determinación.

Los
ataques neoliberales y la pobreza que
en consecuencia se agudiza
han sido una tradición en Chile desde los
años setenta.
Se les impone una política de austeridad severa,
sin tener
en cuenta las
pérdidas.
Las actuales medidas de austeridad están relacionadas con la crisis
económica mundial de 2008, cuando los capitalistas trataron de
externalizar los costos de la crisis, pero no pudieron resolver el
problema real y ahora están tratando de escapar de una amenazante
recesión
global. Una vez más, tratando de trasladar la carga a las espaldas
de la clase obrera y la juventud. Los intentos de otros países
latinoamericanos, como Venezuela, de resolver la crisis mediante una
intervención estatal más fuerte en lugar de reformas neoliberales,
se construyeron sobre arena, ya que representan un intento de
reconciliar a las clases dentro del capitalismo en
vez de
organizar a la clase obrera y a la juventud para aplastarlo.

Pero
su lucha, como nuestro movimiento climático en Alemania, es parte de
una nueva ola de luchas de clases y levantamientos de
masas
en América
Latina y en todo el mundo. Ya sea Chile, Ecuador, Cataluña, Hong
Kong, Irak o Líbano. En todas partes la clase obrera se levanta
contra los gobiernos neoliberales y de derecha. Oponemos
resistencia internacional contra las consecuencias de la crisis y los
planes de los capitalistas de hacer pagar
nuestra clase por la crisis.

Así
como el capitalismo está en crisis a nivel mundial, también lo
están los oprimidos en todo el mundo. Incluso si todavía es
demasiado pronto para las clasificaciones generales, las luchas
actuales representan un punto de inflexión y la posibilidad de un
vuelco del equilibrio de poder, contra el avance de los gobiernos de
derecha y neoliberales.

No
sólo en Chile, sino también en todos los demás países, los
jóvenes están a la vanguardia de estas luchas y están más
decididos a promover un futuro mejor. Consideramos que es una tarea
central reunir las luchas de los jóvenes y obreras y obreros en todo
el mundo. Por lo tanto, como organización juvenil, estamos
comprometidos con el desarrollo de un internacional juvenil. Aunque
los jóvenes por sí solos no puedan aplastar el capitalismo, es
importante que se organicen de forma independiente. Los jóvenes
necesitan una organización independiente, su propio programa
político y deben poder tener su propia experiencia. Junto con
ustedes y los jóvenes de todo el mundo, queremos construir una
organización juvenil revolucionaria internacional.

El
futuro pertenece a los jóvenes. Juntos
podemos ganar un mundo. ¡Alta
solidaridad internacional! ¡Por la revolución mundial y el
comunismo!




Libanon, Irak – blüht der Arabische Frühling wieder auf?

An vielen Orten in Nordafrika und Westasien kam es in den vergangenen Wochen und Monaten zu Massenprotesten.
Die Gründe dafür sind überall ähnlich: Massenarbeitslosigkeit, steigende
Preise, schlechte öffentliche Infrastruktur. Schuld daran sind staatliche
Sparprogramme, die die lokalen Regierungen durch den
Druck ihrer imperialistischen Geldgeber_innen auferlegen mussten. Das Bild der „korrupten und unfähigen Politiker_innen“, das
die Medien im Westen gerne zeichnen, verschleiert nur zu gut, die eigene
Mitschuld an der aktuellen Misere. Noch während der Protestwelle des sogenannten „Arabischen
Frühlings“ haben viele arabische Regierungen die Staatsausgaben erhöht, um die
Demonstrierenden durch öffentliche Investitionen zu befrieden. Angesichts ausbleibenden
Wirtschaftswachstums und erhöhtem Druck der
internationalen Gläubiger, sahen sie sich nun jedoch gezwungen, mit
neoliberalen Sparmaßnahmen die Staatsausgaben zu verringern. Der Funken, der
die Proteste entzündete sah vielerorts anders aus. Im
Libanon entflammte zum Beispiel die Einführung einer
Steuer auf Whatsapp-Anrufe die lange angestaute Wut über Jahrzehnte
neoliberaler Wirtschaftspolitik. Unzählige Videos und
Bilder dokumentieren, wie die großen Plätze überfüllt wurden. Selbst in den
Seitenstraßen beteiligten sich die Einwohner_Innen, so dass zeitweise ganze
Städte oder Wohngebiete vollzählig an den Protesten teilnahmen. Dabei werden
die Rufe nach mehr Freiheit, mehr Mitbestimmung und Demokratie immer lauter.
Gleichzeitig sind die Massen wütend auf die Korruption und die Aufteilung der Ämter
nach religiösen/sektiererischen Linien unter den wirtschaftlichen und
politischen Eliten des Landes. Während sich die Taschen der Reichen füllen,
werden jene der Armen noch leerer gemacht.

Ähnlich auch im Irak. Die Worte eines Demonstranten zeigen
deutlich, wie groß der Hass auf die Bourgeoisie und
ihre Parteien ist: „Diese Männer repräsentieren uns nicht. Wir wollen keine
Parteien mehr. Wir möchten nicht, dass jemand in
unserem Namen spricht!“. Die Demonstrant_Innen bestritten jegliche
Verbindungen zu Parteien und Milizengruppen, denn
diese sehen sie auch als Teil der zahlreichen Probleme an. In der südlichen
Stadt im Irak Nasiriya haben Demonstrant_Innen Büros von 6 politischen Parteien angezündet. Diese
hatten versucht, die Situation auszunutzen.

Irak – die militantesten Demonstrationen seit Jahren

Der Irak ist der fünftgrößte Ölproduzent der Welt, aber die
Bevölkerung bekommt von diesem „Reichtum“ nichts ab. Die riesigen Gewinne aus den Bodenschätzen behalten sich
stattdessen die Unternehmer_innen ein oder versickern
in einem korrupten Staatsapparat. 22 % der Bevölkerung leben laut den Vereinten Nationen in absoluter Armut und 25 %
der Jugendlichen sind laut der Weltbank arbeitslos, die Dunkelziffer liegt noch
viel höher. Nachdem das Land von einer US-Invasion zerstört wurde kam eine
politische Elite an die Macht, die abseits ihrer eigenen Bereicherung relativ
wenig auf die Kette bekommen hat. Die Folge waren die Ausbreitung des IS,
Einflussgewinne durch den Iran sowie eine sich stetig verschlechternde
Lebenssituation der Iraker_innen auf allen Ebenen.

Die Massenarbeitslosigkeit, das Fehlen der wichtigsten
öffentlichen Dienstleistungen und die brutale Gewalt des Staates gegen die
Demonstrant_Innen bewegte Tausende auf die Straße. Unteranderem im Bezirk Sadr City von Bagdad, wo 3,5 Millionen Menschen leben, wurde die
Demonstration brutal niedergeschlagen. Insgesamt wurden während der Proteste im ganzen Land bis zu 300
Menschen getötet und bis zu 6.000 verletzt.

Die Protestierenden verlangen den Sturz von Premierminister Adil Abd al-Mahdi. Die irakischen Regierungen sind
seit 2003 im Grunde in Koalitionen rivalisierender Parteien, um die Ressourcen
des Landes zu plündern. Und die Forderungen der Massen gehen noch weiter, sie verlangen mehr Mitbestimmung und sie
sprechen sich gegen das iranische
Mullah- Regime aus, welches bis heute viele wichtige
Teile der irakischen Politik koordiniert. Im Zuge
dessen wurden Rufe laut wie: „Iran raus raus, Bagdad
bleibt frei.“

Vor allem die Jugend, die seit zwei Jahrzehnten nichts gesehen und erlebt hat außer Krieg, Terror, Verelendung,
Arbeitslosigkeit und Armut findet sich in den ersten Reihen der
Demonstrationen, Streiks und Besetzungen.

So entstanden auf dem Tahrir-Platz in Bagdad nach einer
Woche der Proteste Formen der Selbstorganisation. Es
gibt freies Essen und Strom. Street Art zeigt den Geist der Massen. Eines der
höchsten Gebäude am Tahrir-Platz, in welchem sich ein türkisches Restaurant
befand, wurde besetzt und ist zum Symbol der andauernden Proteste im Land
geworden.

Am vergangenen Wochenende haben
die Arbeiter_Innen von
Basra den Hafen der Stadt und die Ölfelder bestreikt. Die irakischen Behörden wussten was ihnen blüht, wenn aus
den Streiks ein Lauffeuer des Klassenkampfes entflammen würde und gingen mit
aller Härte gegen die Streiks vor. Mehrere Tote und
hunderte Verletzte waren die Folge. Schuld an der Ermordung dieser
Arbeiter_innen sind nicht allein die irakischen Machthaber_Innen sondern auch
die europäischen und nordamerikanischen Kapitale, deren viel an ihrem Zugang zu billigen Öl gelegen ist.

Mit allen Mitteln versucht der Staat deshalb, die Proteste
zum Schweigen zu bringen. Mit Tränengas und
Scharfschützen der Polizei versuchen sie, die Menschen auf den Straßen zu
zerstreuen. Die Regierung
schaltete bereits mehrmals das Internet ab, um eine
Ausbreitung von Informationen und die Koordination weiterer Proteste zu
verhindern.

Bis jetzt hat die Regierung zwei verzweifelte Pakete von
sozialen Reformen versprochen. Aber wenn einmal die Massen entschlossen sind, die korrupte Bande von Politiker_Innen, Geistlichen und Gelehrten loszuwerden, ist es
unwahrscheinlich, dass solche schwachen Abhilfemaßnahmen die Dinge für lange
Zeit zum Schweigen bringen. Die nächste Konfrontation und weitere Zuspitzung
sind vorprogrammiert.

Libanon

Auch hier finden Massenproteste gegen Korruption einerseits, sowie gegen die vetternwirtschaftliche Aufteilung
des Landes und den politischen Einfluss entlang konfessioneller Linien
andererseits statt. Auf den Straßen von Beirut hört man sogar den Slogan „Klasse gegen Klasse“, auch wenn die Bewegung
insgesamt nicht nur von den proletarischen und bäuerlichen, sondern auch den
kleinbürgerlichen Schichten der Bevölkerung getragen wird.

Und auch im Libanon sehen wir,
dass wie im „Arabischen Frühling“ die Straßen und Plätze besetzt
wurden. Das Land an der
Mittelmeerküste ist tief verschuldet. Die Staatsverschuldung
erreicht 150 % der Wirtschaftsleistung. Aber auch im
Libanon sind wichtige Dienstleistungen nicht bis kaum
vorhanden. Es gibt keine Züge oder öffentlichen Nahverkehr. Für Stunden fällt
auch die Stromversorgung immer wieder aus. Die Menschen in Beirut bekommen ihr
Wasser per Lastwagen und aufgrund der seit 2015 nicht
mehr funktionierenden Müllentsorgung verschmutzen die Küsten und Straßen. Vor allem die sehr
hohe Armuts- und Arbeitslosenrate brachte die Massen zu Hunderttausenden auf die Straße: 37 %
der Jugendlichen sind arbeitslos. Auf die gesamte Bevölkerung bezogen beträgt die Arbeitslosenrate
25 %. Außerdem leben rund 28,5 % der Menschen
unterhalb der Armutsgrenze und am stärksten sind die Geflüchteten im Libanon
betroffen. Dabei ist anzumerken, dass im Land bis zu 1,5 Millionen Geflüchtete leben. 65 %
der Geflüchteten aus Syrien fristen ihr Dasein in absoluter Armut. Ebenso 65 %
der palästinensischen Flüchtlinge und 89 % der palästinensischen Flüchtlinge, die aus Syrien kamen.

Als weitere Steuern auf die Nutzung von WhatsApp kommen und
die Arbeiter_Innen und Jugendlichen für die
Misswirtschaft der Regierung wieder zur Kasse gebeten werden sollten, reichte es der Bevölkerung. An
vorderster Front stehen oft Jugendliche und Frauen aus der Arbeiter_Innenklasse, die kaum noch eine Perspektive in ihrem Land sehen. Sie haben es satt, sich für den
verschwenderischen Lifestyle der herrschenden Klasse ausbeuten zu lassen, die dann in riesigen Villen mit Swimmingpool wohnen, währenddessen mehr
als 3,2 Millionen Menschen in vollkommener Armut leben (Bevölkerungsanzahl insgesamt 5,9 Millionen).

Der Präsident das Landes, Michel Aoun, kündigte an, den
Libanon mit einem 3-Punkte-Plan aus der wirtschaftlichen und sozialen Krise zu
führen. Zuvor hatte schon Hariri, der Premierminister, Reformen angekündigt.
Aber alle diese vorgeschobenen Maßnahmen konnten die
Massen bislang nicht täuschen. Saad Hariri trat schließlich am 29. Oktober nach
massenhaften Protesten zurück.

Er hatte seinen Rücktritt angekündigt, nachdem die
schiitische Hisbollahmiliz und die Amal-Bewegung (eine konservative und
populistische Partei der SchiitInnen im Libanon) ein Protestcamp zerstört und die Demonstrant_Innen auf dem Märtyrerplatz im
Zentrum von Beirut verprügelt hatten. Die Hisbollah präsentierte sich in der
Vergangenheit zwar oft als „soziale Kraft“ und
Vertreterin der Armen, aber sie ist selbst eine wichtige Stütze des
herrschenden Systems. Während ihr Vorsitzender Nasrallah verbal zu Beginn
„Verständnis“ für die Proteste bekundete, so lehnte er doch den Rücktritt
Hariris ab. Die Hisbollah stellt nicht nur eine
wichtige Verbündete des Iran und des Assad-Regimes in Syrien dar, sie ist auch
eine der einflussreichsten
politischen Kräfte im Land, verfügt über eigene militärische Stärke und
kontrolliert wichtige Transportknotenpunkte wie
Flughäfen und Häfen. Die
schiitische Miliz rief ihre Anhänger_Innen dazu auf, an den Protesten nicht teilzunehmen,
nachdem in den von ihr beherrschten Stadtteilen Beiruts und in den Hochburgen
im Süden des Landes Menschen ebenfalls gegen Korruption und Misswirtschaft auf
die Straße gingen.

Vor allem Generalstreiks legten und legen weiterhin viele
Produktionsstätten des Landes lahm. IM Gegensatz zu
früheren Massenprotesten im Libanon sind die Gewerkschaften aktuell mit an der vordersten Front dabei.
Teilweise zeigten die Aktionen auch antikapitalistischen Charakter:
So wurde die Losung „Nieder mit dem Kapital“ von den Demonstrationen durch die
Straßen von Beirut getragen, bis es die Bankiers und politischen Führer_Innen hören konnten.

Seit Wochen sieht man, wie Beirut und Tripoli brennen und es auf den Hauptstraßen keinen Platz mehr
gibt, da sie von Menschen überfüllt sind. Am 13. November wandte sich Präsident
Aoun an die Demonstrant_Innen
und erklärte, dass er eine Technokrat_Innen-Regierung gründen werde. Wer damit nicht einverstanden sei, solle in ein anderes Land auswandern. Dies
zeigt das zynische Gesicht dieses Staates und den Unwillen der Herrschenden,
einen Schritt auf die demonstrierenden Massen zuzugehen. Am gleichen Tag starb
Alaa Abou Fakher, ein Mitglied der progressiven
Sozialistischen Partei, bei einer Straßenblockade in Beirut. Er ist der erste
Märtyrer der aufkommenden Rebellion im Libanon.

Über
konfessionelle Grenzen hinaus

In beiden Ländern installierten die ehemaligen Kolonialmächte (Frankreich im
Libanon, und Großbritannien im Irak) ein
Herrschaftssystem, das sich darauf stützte, die Bevölkerungen anhand
konfessioneller Linien zu spalten, indem sie diese mit unterschiedlichen
Machtpositionen und Privilegien ausstatteten. Auch nach dem Abzug der
kolonialen Besatzer wurde diese Politik von den
Nachfolgerregimes und gewählten Regierungen fortgesetzt, um die eigene
Herrschaft abzusichern. Umso
beeindruckender ist es nun,
dass heute die Menschen unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit Seite an
Seite gegen die aktuellen
Missstände kämpfen. Trotz aller Gewalt, mit der man
gegen die Demonstrierenden vorgeht, lassen sich die Menschen nicht unterdrücken
und mundtot machen.

Eins wird in diesen Protesten deutlich: Die Menschen sind
bereit, mit ihrem Leben dafür zu kämpfen, dass es
Veränderungen gibt, die ihren Interessen entsprechen
und nicht derjenigen, die Alles besitzen und die
Arbeiter_Innenklasse
ausbeuten und verelenden lassen.

Perspektive

Im Irak wie im Libanon
erheben die Massen politisch-demokratische (wie zum Beispiel Rücktritt der Regierung, freie Wahlen,
Verfassungsreform, Stopp der Korruption) und soziale
Forderungen (wie zum Beispiel Ende der Massenarbeitslosigkeit, Ausbau der
öffentlichen Infrastruktur, Rücknahme von Steuererhöhungen) – es kommt darauf an, diese zu verbinden und zu bündeln. Revolutionär_Innen
müssen Forderungen, wie zB. die Einberufung einer verfassungsgebenden
Versammlung, aufgreifen und mit der Errichtung von Kampforganen der
Arbeiter_Innenklasse und Unterdrückten – Aktionsräten, Selbstverteidigungsorganen – verbinden. Auf diesem Weg könnte
die Massenbewegung zu einer revolutionären Bewegung werden, wo der Kampf für
demokratische und soziale Rechte mit dem für eine sozialistische Umwälzung
verbunden wird.

Der „Arabische Frühling“
und der darauffolgende Herbst der Konterrevolutionen
haben uns gezeigt, dass die Forderungen der Proteste nur umgesetzt werden
können, wenn sie mit einer sozialistischen Perspektive verbunden werden. Ohne ein klares Programm der sozialen Befreiung werden die
Proteste nur von neuen Herrschaftscliquen als
Sprungbrett zur Macht missbraucht werden. Damit stellt sich auch die Frage,
welche soziale Kraft die Bewegungen zum Sieg führen kann. In unseren Augen kann
das nur Arbeiter_innenklasse sein, denn sie allein hat nichts zu verlieren außer ihre Fesseln. Nur sie hat die Kraft, den kapitalistischen
Verwertungsprozess und die Macht der Militärs, Politiker_innen und
Unternehmer_innen aus den Angeln zu heben.

Während es in Europa von der Bourgeoisie angeführte bürgerlich-demokratische Revolutionen gegeben hat, die vergleichsweise
stabile parlamentarische Demokratien hervorbrachten, wurden solche Prozesse
durch die Kolonialisierung, Ausbeutung und Erzeugung einer künstlichen
Abhängigkeit in vielen Teilen der Welt verhindert. Die ehemaligen Kolonien wurden somit in die internationale
kapitalistische Arbeitsteilung eingegliedert, ohne dass sich entsprechende
politische Überbauten ausbildeten. Maßgebliche demokratische Reformen im
Libanon oder im Irak sind deshalb heute nur noch
möglich, wenn sie mit dem sozialistischen Kampf gegen die bestehende Aufteilung
der Welt unter den führenden imperialistischen Mächten verbunden werden. Erste Schritte dahin sind es, sich jeglichen Versuchen der
Einflussnahme durch andere Mächte (ob Iran, USA oder
Deutschland) zu widersetzen und den Abzug aller Truppen und Konzerne zu
fordern.

Auch in Rojava sehen wir
gerade wie die dort lebenden Kurd_innen versuchen sich mit aller Macht gegen
die türkische Invasion zu verteidigen. Die Zukunft der Region ist abhängig davon, ob es die Arbeiter_Innen und Bauern vor
Ort schaffen, nationale Spaltungen zu überwinden und sich gemeinsam gegen jede
Form der Fremdbestimmung zu wehren. Die Proteste im Libanon und im Irak haben aktuell jedoch noch einen national beschränkten Charakter, obwohl sie
Teil einer internationalen Welle des Klassenkampfes
sind. Was wir brauchen ist eine Verknüpfung der Kämpfe des Proletariats der
Region, von Rojava bis Palästina, von Libanon bis Irak. Dafür müssen sich multinationale Arbeiter_innenparteien auf einer
gemeinsamen programmatischen Grundlage gründen, die die Proteste in den
jeweiligen Ländern mit der Perspektive der Schaffung einer Föderation
sozialistischer Staaten in Westasien verbinden!