Hausarbeit und Frauenstreik

Stefan Katzer, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Wenn feministische Organisationen am 8. März, dem internationalen Frauenkampftag, auch in Deutschland zum „Frauenstreik“ aufrufen, folgen sie damit dem Vorbild von Millionen Frauen weltweit. Diese legten bereits letztes Jahr unter anderem in Argentinien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Indien, Iran, Italien, Kolumbien, auf den Philippineninseln, in der Republik (Süd-)Korea, im mehrheitlich kurdisch bevölkerten nordsyrischen Kanton Afrin sowie in der Türkei und in Uruguay die Arbeit nieder und gingen aus Protest gegen ihre gesellschaftliche Unterdrückung auf die Straße. Sie forderten dabei unter anderem ein Ende der Gewalt gegen Frauen, das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse sowie eine faire Aufteilung der Haus- und Betreuungsarbeit. Die aufrufenden Gruppen konnten dabei zum Teil enorme Mobilisierungserfolge erzielen wie etwa in Spanien, wo zeitweise ca. sechs Millionen Frauen und Männer für einige Stunden in den Ausstand gingen.

Der „Frauenstreik“, der als politische Kampfform in den letzten Jahren vermehrt wiederentdeckt wurde, ist jedoch bedeutend älter. Er kann als eine Erfindung der zweiten Welle der Frauenbewegung betrachtet werden, die Ende der 1960er Jahre vor allem in den USA und (West-)Europa entstand. Der „autonome Frauenkampf“, den Teile dieser Bewegung propagierten und theoretisch zu legitimieren versuchten, kann dabei auch als politische Reaktion auf die Ignoranz der reformistisch geführten Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, aber auch der meisten Gruppen aus der „radikalen Linken“ für die Probleme der (Haus-)Frauen verstanden werden. Der Einfluss kleinbürgerlicher Ideologien auf den neu aufkommenden Feminismus soll nicht geleugnet werden. Die Trennung von Frauen- und Klassenkampf ist jedoch ebenso Folge der Unfähigkeit der Organisationen der ArbeiterInnenklasse, eine politische Kampfperspektive zu vermitteln, welche den Kampf gegen patriarchalische Unterdrückung und kapitalistische Ausbeutung als gemeinsamen versteht. Wenn wir uns im Folgenden mit diesen Theorien auseinandersetzen, so in der Absicht, dessen Notwendigkeit und seine politischen Perspektiven aufzuzeigen. Inwiefern hierfür der Bezug auf das Proletariat nach wie vor zentral ist, soll auch in Auseinandersetzung mit der „Wert-Abspaltungskritik“ von Roswitha Scholz geklärt werden.

 (Haus-)Frauenstreik

Theoretisch begründet wurde die Idee des Frauenstreiks von Mariarosa Dalla Costa und Selma James, die mit ihrer Schrift „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“ die Debatte um das Thema Hausarbeit in den 1970er Jahren entscheidend prägten. Dalla Costa und James, die sich anschickten, die marxsche Theorie von ihren „blinden Flecken“ zu befreien und durch die Einbeziehung der Reproduktionsarbeit in die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise die Ausbeutung der Frau in der Familie sichtbar zu machen, diskutierten in diesem Zusammenhang auch die Frage des „Frauenkampfes“. Dabei sahen sie in der kollektiven Verweigerung der Hausarbeit eine geeignete politische Kampfform, um die Isolation der Frauen im Haushalt zu durchbrechen und ihren Kampf um die Befreiung von patriarchalischer Unterdrückung mit dem gegen die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse zu verbinden. Sie betrachteten den Frauenkampf somit als ein geeignetes Mittel im Kampf der (Haus-)Frauen gegen die Ausbeutung in der Familie, konzipierten ihn aber von Anfang an zugleich als „Teil des Kampfes, den die Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Arbeit führt“ (Dalla Costa/James, S. 42).

Ihr Vorwurf lautete, Marx sei für wesentliche Formen der Unterdrückung und ökonomischen Ausbeutung blind gewesen. Für sie war die in der Familie geleistete Hausarbeit eine Form produktiver Arbeit wie die in der Industrieproduktion, die Mehrwert für den/die Kapitalistin schafft. Zugleich bildete diese Tatsache nach ihrer Ansicht die ausschlaggebende materielle Grundlage für die Möglichkeit eines „autonomen Frauenkampfes:“ „Diese Möglichkeit des Kampfes auf gesellschaftlicher Ebene entsteht eben aus dem gesellschaftlich produktiven Charakter der Tätigkeit der Frau im Haus.“ (S. 43) Oberflächlich betrachtet erscheine die Hausarbeit zwar als eine persönliche Dienstleistung für den Ehemann, tatsächlich aber gehe sie direkt in die Mehrwertproduktion des Kapitals ein, indem nämlich die Hausarbeit die Ware Arbeitskraft des männlichen Arbeiters hinter dem Rücken der industriellen Produktion, also in verschleierter Form, ohne Lohn reproduziere. Dadurch sorge sie für die Vergrößerung der Mehrwertproduktion, sei also produktive, Mehrwert erzeugende Arbeit. Da die kapitalistische Produktionsweise ohne die Reproduktion der Ware Arbeitskraft nicht funktionieren könne, sei zudem die Familie als die hauptsächliche Stütze der kapitalistischen Organisation der Arbeit zu betrachten (S. 42). Ebenso sei die Konsumtion, die in der Familie stattfinde, produktive Konsumtion und auch dadurch die Hausarbeit Moment der kapitalistischen Mehrwertproduktion. Halten wir zunächst fest, dass „produktive“ Hausarbeit im o. a. Sinne nur in der LohnarbeiterInnenfamilie geleistet werden und somit nicht die Arbeit aller Hausfrauen umfassen kann.

Zwei wesentliche Konzepte bilden somit die Grundlage für diese Theorie im Fall der proletarischen Hausfrauen: ihre Produktion von Arbeitern/Arbeitskraft (d. h. Kindererziehung, Dienstleistung am Ehemann/Arbeiter) und ihre Rolle bei der „Konsumtion als Teil der Produktion“, also Einkaufen, Kochen, Putzen, Pflegen usw. Die Behauptung, diese beiden Aspekte der Hausarbeit brächten Mehrwert hervor, ignoriert allerdings zwei wesentliche Unterschiede, nämlich 1) den zwischen industrieller und privater Konsumtion (d. h. Verbrauch von Lebensmitteln in der Familie) und 2) den Unterschied zwischen produktiver Arbeit unter dem Kapitalismus, d. h. Lohnarbeit für eine/n KapitalistIn zur Erzeugung von Mehrwert, und einfacher Arbeit, die „nur” einen Gebrauchswert erzeugt.

Zum Unterschied zwischen industrieller und privater Konsumtion schreibt Marx:

„Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Dies ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel: dies ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen außerhalb des Produktionsprozesses.“ (Marx: Das Kapital, Bd. 1, 21. Kapitel, S. 596f.; Hervorhebung durch d. Red.)

Zwar wird auch der private Verbrauch, von den KapitalistInnen berücksichtigt, da er zur Aufrechterhaltung und Reproduktion der Arbeitskraft notwendig ist, somit ein notwendiges Moment des Produktionsprozesses darstellt. Aber da der/die ArbeiterIn außerhalb des Produktionsprozesses nicht dem/r KapitalistIn, sondern sich selbst gehört, kann er/sie dies getrost dem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der ArbeiterIn überlassen. Die Tatsache, dass es notwendig ist zu essen, zu leben und sich fortzupflanzen, macht die (ArbeiterInnen-)Familien somit nicht zu einem „Zentrum gesellschaftlicher Produktion”. Diese Dinge finden vielmehr ungeachtet der gesellschaftlichen Produktionsform statt. Individuelle Konsumtion zu Hause ist keine kapitalistische Produktion, da dem/r KapitalistIn die Familie nicht gehört. Der/die ArbeiterIn gehört vielmehr weiterhin sich selbst und verkauft dem/r KapitalistIn lediglich stundenweise seine/ihre Arbeitskraft. Die Ware Arbeitskraft wird also in der ArbeiterInnenfamilie nicht als Ware produziert, sondern als solche im kapitalistischen Produktionsprozess verkauft. Somit ist auch der „Produktionsprozess“ der Ware Arbeitskraft im Haushalt selbst nicht kapitalistisch. Er steht vielmehr außerhalb des Lohnarbeit-Kapital-Verhältnisses, welches die systematische Grundlage der Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse darstellt. Auch geht die (notwendige Reproduktions-)Arbeit nur dann als wertbildende Arbeit in diese besondere Ware ein, wenn diese in Form von bezahlten Dienstleistungen erbracht wird. Die Arbeitskraft wird durch Verbrauch materieller Dinge (Essen, Kleidung) und Dienstleistungen (medizinische Versorgung, Ausbildung) geschaffen. Der Gesamtwert dieser Mittel zum Lebensunterhalt ist der Wert der Arbeitskraft. Die zur Aufbereitung dieser Verbrauchsgüter von den Hausfrauen geleistete Hausarbeit wird bei dieser Summe nicht berücksichtigt. Hausarbeit fügt der Ware Arbeitskraft somit auch keinen Wert hinzu, sie schafft „lediglich“ Gebrauchswert für die individuelle Konsumtion. Ihr Gebrauchswert für den/die KapitalistIn besteht dagegen erst in ihrem industriellen Konsumtionsprozess, der Erzeugung von Mehrwert.

Das bedeutet umgekehrt aber nicht, dass Frauen zu Hause nicht arbeiten oder ihre Arbeit – im normativen Sinne – „nichts wert“ sei. Es bedeutet lediglich, dass diese häusliche Schufterei keine kapitalistische Produktion ist und sie genau aus diesem Grund bei der Analyse kapitalistischer Produktionsverhältnisse von Marx nicht berücksichtigt wird. Dass Marx die im Haushalt geleistete Arbeit nicht als „produktive Arbeit“ fasste, hat also nichts mit seiner Blindheit gegenüber sexistischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen zu tun. Es liegt vielmehr daran, dass diese Arbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen vom Produktionsprozess wirklich ausgeklammert ist und „privat“ stattfindet – obwohl sie als notwendige Arbeit für die Reproduktion der Gesellschaft zugleich unerlässlich ist. Wenn Dalla Costa und James also behaupten, dass Frauen Menschen „produzierten“, dann ist das im biologischen Sinne sicherlich richtig, bedeutet aber nicht, dass man deshalb schon von produktiver Arbeit – für eine/n KapitalistIn – sprechen kann. Genau dies war der theoretische Fehlschluss, der letztlich auch zu falschen politischen Forderungen führte.

„Lohn für Hausarbeit!“ – eine Forderung, viele Probleme

Eine, die mit der Kampfform des (Haus-)Frauenstreiks erkämpft werden sollte, lautete: „Lohn für Hausarbeit“. Sie begegnet uns heute zum Teil in der etwas schwammigeren Forderung nach einer „Wertschätzung der Hausarbeit“ wieder und wird auch vom Bündnis „Frauen*streik“ vertreten. Im „Aufruf zum Streik“ erklärt es dazu u. a. Folgendes: „Wir wollen streiken, … weil wir in einer Welt leben wollen, in der jede Arbeit wertgeschätzt wird. … weil wir uns nicht länger ausbeuten lassen, weder zu Hause, noch auf der Lohnarbeit. … weil unsere Zeit uns gehört und wir selbst bestimmen wollen, wann und wie wir arbeiten. […].“ (Aufruf Frauenstreik 2019) Die Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“ ist nicht alleine deshalb problematisch, weil sie auf einer falschen Analyse beruht (eine solche kann sinnvoll und unterstützenwert sein), sondern vielmehr, weil sie auch politisch-strategisch einige Probleme aufwirft. Dalla Costa und James haben eines selbst diskutiert. Sie erkannten, dass die Forderung Gefahr läuft, „so ausgelegt zu werden, als ob wir die Situation der Hausfrau institutionalisierten und damit verfestigten wollten“ (Dalla Costa/James, S. 42), während ihr eigentliches Ziel darin bestehe, „die gesamte Hausfrauenrolle zu zerstören“ (S. 43). Wenn es auch keinen Grund dafür gibt, die Aufrichtigkeit der Autorinnen bezüglich ihrer revolutionären Intention zu bezweifeln, ist es doch so, dass die soziale Logik einer Forderung und deren materielle Auswirkungen nicht automatisch dem entsprechen, was sich der/die Fordernde dabei subjektiv „eigentlich“ denkt oder wünscht. Denn diese Forderung zielt gerade nicht auf die Überwindung der Trennung von produktiver und reproduktiver/Gebrauchswert bildender Arbeit ab. Sie schreibt sie und die ihr zugrunde liegende sexistische Arbeitsteilung vielmehr fest. Darüber hinaus zeugt sie von einem falschen Verständnis des (bürgerlichen) Staates. Dieser ist Staat des Kapitals und steht nur scheinbar über den Klassengegensätzen. Er sichert zugleich die Voraussetzungen der kapitalistischen Ausbeutung und schützt diese auch mithilfe seines Gewaltmonopols, dient somit in erster Linie der herrschenden Klasse als Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft. Ein revolutionäres Programm, das die Aufhebung aller Formen der Ausbeutung und Unterdrückung zum Ziel hat, muss dementsprechend auf die Zerschlagung des bürgerlichen und auf die Errichtung eines proletarischen Halbstaates abzielen, um die notwendigen gesellschaftlichen Umwälzungen vollziehen und absichern zu können.

Die Neuaufteilung der Hausarbeit, d. h. die Aufhebung der sexistischen Arbeitsteilung, erfordert deshalb eine umfassende revolutionäre Strategie und ein ihr entsprechendes Programm, welches unter anderem die Forderung nach einem Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten enthält und die gesamte ArbeiterInnenklasse als Subjekt der revolutionären Umwälzung benennt. Denn nur diese ist objektiv dazu in der Lage, eine bewusste Vergesellschaftung des Arbeits- und individuellen Reproduktionsprozesses und der darauf aufbauenden Verkehrsformen vorzunehmen.

Entlohnung? Vergesellschaftung!

Die Forderung nach einem/r „Lohn/Wertschätzung für Hausarbeit“ sollte deshalb ersetzt werden durch die nach deren Vergesellschaftung. Diese muss entsprechend ihrer Bedeutung und ihrem Zusammenhang mit anderen Bereichen der Produktion in ein umfassendes Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten integriert werden. So kann die Frage nach der demokratischen Planung der gesamten gesellschaftlichen (Re-)Produktion und der Verteilung der hierfür notwendigen Gesamtarbeit auf alle arbeitsfähigen Hände und Köpfe gelöst werden. Es geht dabei um die bewusste Organisation des gesellschaftlichen Zusammenhangs von Produktion und den darauf aufbauenden gesellschaftlichen Verkehrsformen durch die in Räten organisierten ProduzentInnen selbst. Die Verbindung mit den Kämpfen der ArbeiterInnenklasse und die Integration einzelner Forderungen in ein revolutionäres Übergangsprogramm sind  auch deshalb notwendig, weil die Hausfrauen in keinem direkten Verhältnis zum Kapital stehen und dementsprechend auch kein direktes ökonomisches Druckmittel haben, das sie nutzen könnten, um ihre Forderungen durchzusetzen. So waren auch bisher jene „(Haus-)Frauenstreiks“ am erfolgreichsten, welche die Lohnabhängigen integrierten und dazu brachten, ihre Arbeit ebenfalls niederzulegen. Dass dies auch vom Bündnis „Frauen*streik“ angestrebt wird, ist deshalb zu begrüßen. Allerdings ist die Klärung der hierfür notwendigen Strategie und der jeweils konkret anzuwendenden Taktiken etwa gegenüber den reformistischen geführten ArbeiterInnenorganisationen damit noch nicht sehr weit gediehen. (Siehe Artikel zum Frauenstreik 2019 in dieser Ausgabe!)

Roswitha Scholz und die Theorie der Wert-Abspaltung

War es noch das erklärte Ziel der „sozialistischen FeministInnen“, die Kämpfe der Frauen mit dem Klassenkampf des Proletariats zu verbinden, haben Teile der sich auf Marx beziehenden feministischen TheoretikerInnen danach eine explizite Abkehr vom Proletariat vollzogen. Eine davon, deren Einfluss auf Teile der (post-)autonomen Linken nicht zu unterschätzen ist, ist Roswitha Scholz. Scholz rechnet zum Kreis der WertkritikerInnen um die „EXIT!“-Gruppe („EXIT“ ist der Name ihrer Theoriezeitschrift), deren bekanntester Vertreter der verstorbene Robert Kurz war. Ihre Theorie der Wert-Abspaltung zielt laut eignem Bekunden auf die Analyse des Zusammenhangs von „Rasse“, Klasse, Geschlecht und postmoderner Individualisierung, ihre hauptsächliche Kritik auf den von ihr so genannten „Arbeiterbewegungsmarxismus“. Sie versteht ihre Theorie als Weiterentwicklung der „fundamentalen Wertkritik“, deren blinde Flecken in Bezug auf Fragen sexistischer und rassistischer Diskriminierung sie mit ihrer Theorie der „Wert-Abspaltung“ zu überwinden trachtet. Ihr geht es dabei aber nicht darum, mittels revolutionärer Theorie und Praxis das Proletariat von kapitalistischer Klassenherrschaft zu befreien. Scholz’ Anstrengungen zielen vielmehr darauf, die marxistische Theorie vom Proletariat zu „befreien“. Hierfür bedarf es grundlegender theoretischer Revisionen – welche sie auch tatsächlich vornimmt.

Die grundlegende unter ihnen in Bezug auf die Kritik der politischen Ökonomie besteht in der Bekämpfung der so genannten „Ontologie der Arbeit“. Arbeit ist etwa für den „Vater“ der Wertkritik, Moishe Postone, lediglich eine für den Kapitalismus gültige Kategorie:

„Den Kern aller Varianten des traditionellen Marxismus bildet der transhistorisch gefasste Arbeitsbegriff. Die Marxsche Kategorie Arbeit wird dabei als zielgerichtete gesellschaftliche Tätigkeit verstanden, die zwischen Mensch und Natur vermittelt und dabei spezifische Güter produziert, um bestimmte menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Arbeit, so verstanden, ist der ,Urgrund‘ allen gesellschaftlichen Lebens. Sie konstituiert die soziale Welt und ist Quelle allen gesellschaftlichen Reichtums. Doch diese Auffassung schreibt der Arbeit als transhistorisch zu, was Marx als historisch spezifische Eigenschaft der Arbeit im Kapitalismus verstanden hat“. (Postone, S. 28)

Lassen wir beiseite, dass Marx 1875 in der Kritik am Gothaer Programm der deutschen Sozialdemokratie ebenso sehr die Natur als Quelle allen menschlichen Reichtums betrachtete wie die Arbeit. Ungeachtet der Tatsache, dass einige der von Postone aufgeführten Bestimmungen des angeblich vom traditionellen Marxismus verwendeten Arbeitsbegriffs tatsächlich unzutreffend sind, ist die Stoßrichtung seiner Kritik doch eindeutig: Arbeit ist für ihn eine auf die kapitalistische Produktionsweise beschränkte Kategorie.

Scholz’ Aussagen in dieser Richtung sind ambivalenter. Mit dem Allgemeinplatz, dass „Gesellschaft ein historischer und dynamischer Prozess ist“ (Scholz 2005, S. 13), der sich „definitorischen (und ontologisierenden) Zugriffen“ (ebd.) verweigere, scheint sie sich der Sichtweise Postones, auf den sie sich auch ansonsten positiv bezieht, anzuschließen. Ihr scheint aber auch klar zu sein, dass die Menschen doch immer irgendwie irgendetwas tun müssen, um nicht zu verhungern. So spricht sie in ein und demselben Satz davon, dass es sich bei der Arbeit „in anderer Hinsicht“ nicht um eine „überhistorische Angelegenheit“ handle, sie aber dennoch, „wenngleich vielleicht auch in unterschiedlicher Weise, alle Gesellschaftsformationen durchzieht“ (S. 21). In welcher Hinsicht Arbeit keine „überhistorische“ Kategorie darstellt und ob sich dies lediglich auf die Form der Arbeit bezieht, wird nicht klar. Eindeutiger hingegen ist ihr „negativer“ Bezug auf den Wertbegriff, den sie nur für den Kapitalismus gelten lässt.

Um dies zu begründen, muss Scholz die Aufmerksamkeit vom Begriff des Kapitals, das bei Marx letztlich als ein gesellschaftliches Verhältnis gedacht war und im Zentrum seiner Kritik der politischen Ökonomie stand, auf den Wertbegriff umlenken und sich diesen dabei zugleich zurechtbiegen. Dieser erscheint nicht mehr als reflexives Verhältnis der einzelnen Arbeit zur Gesamtarbeit, sondern gewissermaßen als „Substanz“ der „abstrakten Herrschaft“ im Kapitalismus und damit als das eigentliche Übel dieser Produktionsweise. Dies alles „leistet“ die Wertkritik, indem sie sowohl vom grundlegenden Doppelcharakter der Arbeit sowie von deren Naturbedingtheit abstrahiert und diese letztlich auf die Verausgabung von abstrakter Arbeit reduziert. Diese Verkürzungen ergeben sich aus dem Unverständnis der Bedeutung der abstrakten Arbeit im Allgemeinen und ihrer Funktion im Kapitalismus im Besonderen. Damit schaffen sich die WertkritikerInnen jene Theorie, die ihre kleinbürgerliche politische Praxis und ihre Abkehr vom Proletariat rechtfertigt.

Doppelcharakter der Arbeit

Marx hat ihn als den „Springpunkt“ seiner Analyse der Ware im Kapitalismus bezeichnet: den Doppelcharakter der Arbeit. Die abstrakte Arbeit ist neben der konkreten Arbeit nach Marx ein Moment des Doppelcharakters aller Arbeit, unabhängig von ihrer konkreten gesellschaftlichen Form. Der Begriff „abstrakte Arbeit“ bezieht sich dabei auf die Gesellschaftlichkeit der Arbeit, d. h. auf die gemeinsame, gesellschaftlich gleiche Verausgabung von menschlicher Arbeitskraft und die dadurch erzeugte Beziehung aller Arbeitsprodukte untereinander und zur gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Abstrakte Arbeit spielt qua dem „Gesetz der Ökonomie der Zeit“ in allen Gesellschaftsformationen eine wichtige Rolle, und zwar bei der proportionalen Verteilung der Gesamtarbeit auf einzelne Zweige. Insofern von jeder konkreten Eigenschaft der besonderen Arbeitsprodukte und der sie produzierenden Einzelarbeiten real abstrahiert wird, gelten sie als gleiche menschliche Arbeit. Die abstrakte Arbeit ist somit eine allgemeine Eigenschaft aller konkret-nützlichen Arbeiten und in allen Gemeinwesen werden diese zugleich als abstrakt-menschliche Arbeiten aufeinander bezogen. Abstrakte Arbeit, als Verausgabung menschlichen Arbeitsvermögens im Verhältnis zur gesellschaftlichen Gesamtarbeitskraft, existiert dem Prinzip nach also unter allen Gesellschaftsformationen.

„Nicht ,abstrakte Arbeit‘ an sich ist also ein gesellschaftliches ,Konstrukt‘, das nur dem Kapitalismus eigen ist, … sondern die spezifisch kapitalistische, gesellschaftliche Konstruktion ist es, dass Arbeit, reduziert auf abstrakte Arbeit, schon als solche zu gesellschaftlicher Arbeit wird. […] Die spezifisch-historische gesellschaftliche Kategorie, die abstrakte Arbeit in der Wertform zur Erscheinung bringt, besteht […] in der Auflösung der naturwüchsigen gesellschaftlichen Zusammenhänge von Arbeit und Bedürfnisbefriedigung, in der unmittelbaren Gesellschaftlichkeit von ,bloß verausgabter Arbeit‘, deren gegenständliches Resultat sich im Nachhinein seinen Bedarf zu suchen hat. Hinter dem Rücken der Akteure entsteht dabei eine ,zweite Natur‘: eine scheinbar ,naturwüchsige Beziehung‘ zwischen Arbeit und vergegenständlichten Wertformen, die zum eigentlichen Zweck und gesellschaftlichen Akteur des ökonomischen Prozesses zu werden scheinen. Diese zweite Naturwüchsigkeit macht die Gewalt der Fetischcharaktere der verschiedenen Wertformgestalten aus.“ (Lehner 2008, S. 133)

Moishe Postone geht hingegen davon aus, dass die abstrakte Arbeit spezifisch kapitalistisch sei und in anderen Gesellschaftsformationen keine Rolle spiele (vgl. Postone 2003, S. 233). Zudem sei die „Objektivierung“ der abstrakten Arbeit in einer den Individuen gegenüber verselbstständigten Sphäre die spezifisch kapitalistische Form „abstrakter Herrschaft“ und diese vom Proletariat und durch dessen Verausgabung abstrakter Arbeit letztlich selbst erzeugt und aufrechterhalten. Die der Entfremdung und Subsumtion (Unterordnung) der lebendigen unter die tote (vergangene, im Kapitalvorschuss enthaltene) Arbeit zugrundeliegende Klassenherrschaft der – äußerst lebendigen – Bourgeoisie wird von den WertkritikerInnen hingegen ausgeklammert. Die Kontrolle der besitzenden Klassen über die von ihnen bewegte Arbeit erscheint aber an der Oberfläche der Gesellschaft lediglich als die Herrschaft von „objektiven“, „naturhaften“ Gewalten der „Markt- und Kapitalbewegungen“:

„Durch die Ablösung des Fetischs und des ,automatischen Subjekts‘ von dieser gesellschaftlichen Basis wird dem Fetisch sein eigentlicher gesellschaftlicher Zweck genommen – er wird quasi wörtlich genommen. Tatsächlich verschleiert er jedoch als sachliches Verhältnis, das doch eigentlich ein ganz handgreiflich gesellschaftliches ist, die Herrschaft einer Klasse über eine andere.“ (Lehner 2003, S. 116; Fehler stillschweigend korrigiert, d. Red.)

Die WertkritikerInnen sind somit nicht in der Lage zu erkennen, dass die gesellschaftliche Form der Arbeit von den gegenständlichen Bedingungen der Arbeit und der Distribution der Produktionsmittel abhängt. Doch nur dann, wenn vom Arbeitsprozess als Einheit seiner subjektiven und objektiven Bedingungen ausgegangen wird, wenn also von der Naturbedingtheit der Arbeit nicht abstrahiert und wenn sie nicht auf die Verausgabung von abstrakter Arbeit reduziert wird, kann überhaupt wahrgenommen werden, dass das Eigentum an den gegenständlichen Arbeitsbedingungen eine Bedingung der Arbeit ist und dass die gesellschaftliche Form der Arbeit von dieser Bedingung abhängt. Eine Theorie hingegen, die diesen Zusammenhang unterschlägt, muss letztlich zu allerhand Mystizismus führen – wie die Texte der Wertkritik verdeutlichen.

Auch Roswitha Scholz behauptet, die abstrakte Arbeit sei überhaupt erst im Kapitalismus „entstanden“ (Scholz 2005, S. 19). Sie spricht gar vom „System der ‚abstrakten Arbeit‘“, bei dem es gar nicht um eine „subjektiv-private Aneignung von etwas Positivem qua Privateigentum an den Produktionsmitteln“ (S. 17) gehe, sondern das „Privateigentum nur eine sekundäre Erscheinungsform des Mehrwerts als eines negativen gesellschaftlichen Selbstzwecks“ darstelle (S. 17f.). Was immer man unter einem „negativen Selbstzweck“ zu verstehen hat, Mehrwert und Verausgabung abstrakter Arbeit sind gegenüber dem Privateigentum an Produktionsmitteln für sie das bestimmende Moment.

Die gesellschaftliche Form der Arbeit wird von ihr von deren gegenständlichen Bedingungen getrennt. Statt ihren inneren Zusammenhang zu analysieren, wird „der Wert“ bzw. die „Wert-Abspaltung“ als „zentrales gesellschaftliches Basisprinzip“ (S. 21) und zugleich als „Metastruktur“ (S. 23) konzipiert, die nirgends in der empirischen Realität mehr begründet scheint. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Vermittlungen der „Selbstverwertung des Werts“ in der Produktionssphäre werden ausgeklammert. Die Verselbstständigung der Wertform ist aber abhängig von der Einverleibung der „freien Arbeitskraft“ in die Warenwelt – und das nicht nur historisch, sondern auch logisch. Erst dadurch – das heißt durch das Privateigentum an Produktionsmitteln, welches die Eigentumslosigkeit der ArbeiterInnen und somit deren Abhängigkeit begründet – entsteht überhaupt die Möglichkeit dafür. Doch auch Scholz kann die historische Genese des Kapitalismus und dessen Voraussetzungen nicht völlig ausblenden. Dementsprechend benennt sie die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware als eine seiner Voraussetzungen (vgl. S. 18). Sie erklärt aber Klassengegensätze für die sich auf den eigenen Grundlagen reproduzierende kapitalistische Produktionsweise als zweitrangig bzw. vollkommen obsolet. Die Verselbstständigung der Wertform ist für sie vielmehr eine Frage des Charakters – und zwar des „Selbstzweckcharakters des Werts“ (ebd.). Damit verdinglicht sie ein gesellschaftliches Verhältnis zwischen Individuen und Klassen zu einem Ding mit quasi-menschlichen Eigenschaften. Das Subjekt der gesellschaftlichen Reproduktion wird von den empirischen Individuen und den materiellen Verhältnissen abgelöst und die Wert-Abspaltung entsprechend zu einer „Metastruktur“ stilisiert, welche sich auf die „Metalogik“ (S. 182) der sozialen Reproduktion beziehe, deren Widerspiegelung in der Theorie der Wert-Abspaltung „auf einem hohen Abstraktionsniveau angesiedelt“ (S. 22) sei. Das „hohe Abstraktionsniveau“ gründet dabei aber nicht in einem über den gesellschaftlichen Verhältnissen schwebenden „Formprinzip“, sondern in der Abstraktion von den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen seitens der Theoretikerin.

Zwischenfazit: Alle menschlichen Gesellschaften kennzeichnet der doppelte Charakter Ihrer Arbeit. Einerseits ist diese als konkrete Art der Tätigkeit zweckgerichtet, erfüllt ein bestimmtes Bedürfnis, andererseits ist sie stets ohne deren Unterschied abstrakte Verausgabung von Nerven, Hirn und Muskeln sowie auch in dem Sinne abstrakt, dass sie stets Teil eines gesellschaftlichen Ganzen bleiben muss, da die Menschen nur in Gesellschaft leben können.

Was den Kapitalismus dagegen als einzigartig kennzeichnet, ist, dass er abstrakte Arbeit als Wert darstellt und sie in ihm misst, weil er eine universelle Warenproduktionsweise ist. Die Lohnarbeit ist die einzige „freie“ Arbeitsform der Menschheitsgeschichte, in der den ProduzentInnen die Verfügung über die gegenständlichen Bedingungen ihrer Arbeit (Produktionsmittel) abhanden gekommen ist, sie nur über ihr subjektives Arbeitsvermögen verfügen, das sie als Ware Arbeitskraft verkaufen, genauer: stundenweise vermieten müssen.

Das Klassenverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital ist also entscheidend dafür, dass Arbeitskraft (subjektives Arbeitsvermögen) und Kapital (objektive Arbeitsbedingungen, abstrakter Reichtum zum Zwecke seiner stetigen Vermehrung) in deren Werten eine scheinbar dingliche Gestalt annehmen. Die „Wertkritik“ dagegen entfernt Ausbeutung, Klassen und Menschen aus der Geschichte und verwandelt den Kapitalismus in ein Reich der Herrschaft von Sachen, abstrakter Arbeit. Sie sitzt damit selbst dem von ihr falsch kritisierten Wertfetischismus als Motor der Produktionsweise auf. Die Produktionsweise verwandelt sich in ein Perpetuum mobile von Sachzwängen, das von der ArbeiterInnenklasse nicht mehr angehalten werden kann.

Der ohnehin schon falschen Vorstellung der WertkritikerInnen, wonach sich „die gesellschaftliche Totalität in der Moderne aus der fetischistischen Selbstbewegung des Geldes und der ‚abstrakten Arbeit‘ als tautologischem Selbstzweck [konstituiert]“ (S. 19), fügt Scholz die Vorstellung einer „geschlechtsspezifischen Abspaltung“ hinzu. Diesen Begriff zieht sie in der Folge heran, um die verschiedenen Formen gesellschaftlicher Unterdrückung auf das kapitalistische „Basisprinzip“ der Wert-Abspaltung zurückzuführen. Alles, was nicht in der Wertform „aufgehe“, werde von dieser abgespalten und gesellschaftlich abgewertet. Die Idee dabei ist, dass der Wert die Gleichsetzung der verschiedenen (konkreten) Arbeiten zur Voraussetzung habe. Alles, was sich dieser Gleichsetzung nicht füge, darin „nicht aufgehe“, werde abgespalten. Dieses „Formprinzip“ strukturiere die gesamte gesellschaftliche Ordnung und reproduziere sich auch auf symbolischer und sozialpsychologischer Ebene – unter anderem in der Abwertung des „Weiblichen“, des „Anderen“ und allem damit Assoziierten. Nachdem sich Scholz eine solche, über allen konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen schwebende „Metalogik“ konstruiert hat, geht es ihr in der Auseinandersetzung mit anderen TheoretikerInnen nur noch darum, die Bestimmtheit der vielfältigen Diskriminierungs- und Unterdrückungserscheinungen durch dieses „Basisprinzip“ zu behaupten. Solchermaßen bastelt sich Scholz eine scheinbar umfassende Theorie der kapitalistischen Totalität, indem sie das übergreifende Moment auf eine von den materiellen Verhältnissen und dem Handeln der Subjekte scheinbar unabhängige und sich selbst begründende „Metastruktur“ zurückführt.

Da Ausbeutung für Scholz nur eine sekundäre Erscheinungsform darstellt und es den KapitalistInnen gar nicht um die „subjektiv-private Aneignung von etwas Positivem qua Privateigentum an den Produktionsmitteln“ (sprich: Ausbeutung) gehe, kann sie sich scheinbar auch nicht vorstellen, dass Sexismus und andere Formen der Unterdrückung durchaus eine gesellschaftliche Funktion im Interesse einer Klasse erfüllen – und etwa dazu dienen, die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft, den Wert der weiblichen Ware Arbeitskraft und dadurch auch das Lohnniveau im Allgemeinen zu senken – Stichwort: sexistisch delegierte und ins Private abgedrängte Hausarbeit.

Zur Bewertung der Hausarbeit durch die Wert-Abspaltungstheorie

Während MarxistInnen argumentieren, Hausarbeit im Kapitalismus sei keine produktive, aber gesellschaftlich notwendige, Gebrauchswert bildende Arbeit, möchte Scholz mit Bezug auf Haushaltstätigkeiten wie Kinder erziehen und Pflegetätigkeiten ausführen überhaupt nicht von „Arbeit“ sprechen (vgl. Scholz 2005, S. 19f.). Da diese Tätigkeiten „nicht der politökonomischen Rationalität gehorchen wie die ‚abstrakte Arbeit‘“ (ebd.), könnten „die weiblichen Reproduktionstätigkeiten auch nicht mit der Arbeitskategorie belegt werden.“ (S. 20) Die im Haushalt ausgeführten „Tätigkeiten“ stellten vielmehr die Kehrseite der sich im Wert ausdrückenden „abstrakten Arbeit“ dar. Ebendeshalb sei auch dem Versuch zu widerstehen, diese Tätigkeiten „auch noch in Arbeit umzudefinieren“ (Scholz 1992), da die (abstrakte) Arbeit ja „gewissermaßen selbst die ,Wurzel allen Übels‘“ (ebd.) sei. Deshalb müsse „ein dritter Begriff gesucht werden, mit dem die traditionelle Tätigkeit der Frau im Reproduktionsbereich genauer theoretisch bestimmt werden kann, da auch der Terminus ,Tätigkeit‘ zu diffus ist und einen zu großen Allgemeinheitscharakter besitzt […]. Diese – keineswegs irrelevante – Problematik kann hier jedoch nicht weiter verfolgt werden. Solange eine derartige Klärung nicht erfolgt ist, bediene ich mich deshalb weiterhin des unbefriedigenden Begriffs ,Tätigkeit‘, wenn von der ,Arbeit‘ im Reproduktionsbereich die Rede ist.“ (ebd.)

Es bleibt die Frage, von welchem höheren Wesen sich Scholz diese Klärung verspricht, wenn sie auch nach mehr als zehn Jahren noch immer den zuvor von ihr selbst als zu diffus bezeichneten Begriff der „Tätigkeit“ verwendet. Hier präsentiert sie scheinbar ungewollt die Grenze ihrer eignen Theorie – als „Unmöglichkeit“, diese „Problematik hier weiter zu verfolgen“ und einen präzisen Begriff der Hausarbeit zu entwickeln. Es scheint sich bei diesem Problem – das Scholz in späteren Texten schon gar nicht mehr als solches benennt, wo sie ohne weitere Kommentare den Begriff der („Haushalts‘- bzw. „Reproduktions“-) Tätigkeiten verwendet (Scholz 2005, S. 20; Scholz 2017a und b) –, um ein theorieimmanent-begriffliches Problem zu behandeln, welches bedingt ist durch die „fundamentale“ und „radikale“ Verwirrung der Wert-Abspaltungskritik bezüglich der Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie.

Da das Proletariat als potentielles revolutionäres Subjekt bei den WertkritikerInnen nicht mehr vorkommt, bleibt ihre gesamte politische Strategie notwendigerweise diffus und abstrakt.

So soll sich die „praktische Gesellschaftskritik“ ganz direkt gegen die „Grundform der Wert-Abspaltung als solche“ (Scholz 2005, S. 265) richten. Dieses Basisprinzip gelte es „in Frage zu stellen“ und zu „überwinden“ (ebd.). Gegenüber der Notwendigkeit, Bündnisse mit nicht näher definierten anderen Gruppen einzugehen, beharrt die Wertkritik zugleich darauf, „dass heute ein radikal kritischer Neubezug auf ein gesellschaftliches (fragmentarisches) Ganzes, auf ein negatives Wesen stattfinden muss; gerade auch in der unmittelbar praktischen gesellschaftskritischen Aktion“. (S. 12) Was immer man sich unter einem „Bezug auf ein negatives Wesen“ vorzustellen hat – es klingt jedenfalls mehr nach Okkultismus als nach revolutionärer politischer Praxis.  Da dieses „negative Wesen“ als „abstrakte Metalogik“ zugleich nirgendwo zu fassen ist, bezieht sich Scholz dann auch unvermittelt auf den „inhaltlich-spezifischen Kontext vor Ort“, auf „vortheoretisch erfahrene Lebens- und Gesellschaftsprobleme“ (ebd.) als Bezugspunkte politischer Praxis.

Politische Perspektiven

Aufgrund ihres falschen Verständnisses des Kapitalverhältnisses entsorgen Scholz und die „Wertkritik“ nicht nur die ArbeiterInnenklasse als Subjekt gesellschaftlicher Veränderung, sondern natürlich auch die organisierte proletarische Frauenbewegung. Zum Schluss möchten wir noch kurz auf die politischen Perspektiven zu sprechen kommen, die sich aus der Analyse des Kapitalismus ergeben.

Das Proletariat, auf welches sich der revolutionäre Marxismus nach wie vor bezieht, wird von diesem nicht (nur) als eine gegebene Objektivität begriffen, sondern muss „vom Endpunkt seiner revolutionären Klassenbildung her, von den weltgeschichtlichen Perspektiven der proletarischen Bewegung, gefasst werden“ (Lehner 2010, S. 13). Es ist diejenige ProduzentInnenklasse, die alle gesellschaftlich notwendigen Arbeiten auf entfremdete Weise in sich zusammenfasst und deshalb als einzige objektiv dazu in der Lage ist, die notwendigen gesellschaftlichen Umwälzungen –  die rationale Aneignung der totalen gesellschaftlichen Produktion, (von welcher die derzeit ins „Private“ abgeschobene Hausarbeit einen Teil darstellt) –, bewusst gesellschaftlich vorzunehmen. Um den Prozess der Herausbildung des Proletariats zum revolutionären Subjekt aktiv zu befördern, sind deshalb sowohl die Ausarbeitung einer revolutionären Klassentheorie, der Aufbau einer revolutionären Organisation nötig wie auch der Kampf um besondere Formen der Organisierung der Unterdrückten, darunter der für eine proletarische Frauenbewegung.

Dies soll der Tatsache Rechnung tragen, dass Lohnarbeit und Kapital als Widerspruchsverhältnis nicht nur die Negation der beiden Seiten umfasst, sondern zu seiner Reproduktion auch das Moment der Identität. Diese stellt selbst eine materielle Grundlage für reformistisches Bewusstsein in der ArbeiterInnenklasse dar und bedeutet auch, dass revolutionäres Bewusstsein nicht spontan entstehen kann. Es bedarf hierfür einer revolutionär-kommunistischen Organisation, die um dieses Bewusstsein in der gesamten Klasse kämpft. Der Bezug auf den Begriff des Proletariats entspricht dabei nicht nur der tatsächlich vor sich gehenden Vereinheitlichung der besonderen Arbeits- und Lebensbedingungen, die durch den kapitalistischen Akkumulationsprozess selbst zunehmend dem allgemeinen Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital subsumiert werden, sondern erfüllt auch eine wichtige Funktion im revolutionären Kampf gegen die alte Ordnung, indem es das Lager der objektiv Lohnabhängigen über all seine Streitungen hinweg ausgehend von der Basis einer differenzierten, realistischen Klassenanalyse funktional polarisiert.

 

 

Literatur:

Aufruf Frauenstreik 2019: < https://frauenstreik.org/aufruf/>

Dalla Costa, Mariarosa/ James, Selma: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, (Internationale Marxistische Diskussion, Heft 36), Berlin/W. 1973, Merve-Verlag

Lehner, Markus (2003): Die „Kritik der Arbeit“ und das Rätsel der Systemüberwindung, in: Revolutionärer Marxismus 33, Berlin 2003, global red, S. 89–122

Ders. (2008): Finanzkapital, Imperialismus und die langfristigen Tendenzen der Kapitalakkumulation, in: Revolutionärer Marxismus 39, Berlin 2008, global red, S. 129–208

Ders. (2010): Arbeiterklasse und Revolution. Thesen zum
marxistischen Klassenbegriff, in: Revolutionärer Marxismus 42, Berlin 2010, global red, S. 7–99

Marx, Karl: Das Kapital. Erster Band, Berlin/O. 1971

Postone, Moishe: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx, Freiburg/Breisgau 2003, ça ira Verlag

Scholz, Roswitha (1992): Der Wert ist der Mann. Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis, in: Krisis. Kritik der Warengesellschaft, Erlangen 1992, Selbstverlag; https://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=30&posnr=25&backtext1=text1.php

Dies. (2005): Differenzen der Krise – Krise der Differenzen. Die neue Gesellschaftskritik im globalen Zeitalter und der Zusammenhang von „Rasse“, Klasse, Geschlecht und postmoderner Individualisierung, Unkel 2005, Horlemann B.

Dies. (2017 a): FEMINISMUS – KAPITALISMUS – ÖKONOMIE – KRISE. Wert-Abspaltungs-kritische Einwände gegenüber einigen Ansätzen feministischer Ökonomiekritik heute, 2017. Online (07.02.2019): https://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=30&posnr=517&backtext1=text1.php

Dies. (2017 b): Wert-Abspaltung, Geschlecht und Krise des Kapitalismus. Interview von Clara Navarro Ruiz mit Roswitha Scholz (Constelaciones. Revista de Teoria Critica, 2017), 18.12.2017: http://www.palim-psao.fr/2017/12/wert-abspaltung-geschlecht-und-krise-des-kapitalismus.interview-von-clara-navarro-ruiz-mit-roswitha-scholz.html




Abtreibungsparagraphen wegstreiken!

Svea Hualidu, Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Kaum ein Thema sorgt für mehr Diskussionsstoff als dieses. Gerade Abtreibungsgegner_Innen instrumentalisieren dieses Thema emotional, während Befürworter_Innen versuchen, die Thematik rational zu betrachten. In der Debatte steht dabei immer die Frage der Legalisierung im Vordergrund. Denn in vielen Ländern sind Abtreibungen, geschweige denn die Aufklärung darüber, noch verboten. In Ländern wie Chile, Malta oder der Dominikanischen Republik dürfen unter keinen Umständen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Deshalb sind viele Frauen dazu gezwungen, kilometerweit in andere Städte oder sogar Länder zu fahren, um dort abzutreiben.

Insgesamt finden schätzungsweise jährlich 56 Millionen statt. Knapp die Hälfte davon ist aufgrund von Gesetzeslage oder finanzieller Situation illegal.

Deutschland

Selbst in Deutschland, welches immer als das Paradebeispiel für legale Abtreibungen hingestellt wird, haben wir noch einen weiten Weg vor uns, bis Frauen wirklich ohne jegliche Hürden selbst über ihren Körper entscheiden können.

Denn ob eine Frau sich hier gegen ein Kind entscheidet, muss bis zur 12. Schwangerschaftswoche feststehen – danach ist eine Abtreibung illegal (sog. Fristenlösung).

Direkt mit der Empfängnis geht der eigentliche Stress für die Frau jedoch bereits los, da laut Paragraph 219a Ärzt_Innen keine „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche machen dürfen. Werbung bedeutet jedoch schon, dass sie auf ihrer Homepage nicht angeben dürfen, selbst Abtreibungen durchzuführen, wie sich im Fall Kristina Hänel zeigte. Die Gießener Ärztin tat nämlich genau das und wurde dafür zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro (noch nicht rechtskräftig) verurteilt. In Bayern werden beispielsweise von der Landesregierung öffentliche Beratungsstellen darauf hingewiesen, keine Adressen von Abtreibungsärzt_Innen weiterzugeben. Im Medizinstudium wird der praktische Abbruchprozess gar nicht erst behandelt. Wieviele Ärzt_Innen in Deutschland Abtreibungen genau ermöglichen, ist aufgrund der Gesetzeslage nicht ermittelbar. Aber eines lässt sich konstatieren: Die Zahl ist sehr gering. Gerade in ländlichen Regionen müssen Frauen rund 100 km fahren, um zu einem/r entspr. Arzt/Ärztin zu kommen. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen bieten viele kirchliche Kliniken Abtreibungen nicht an, zum anderen sinkt aufgrund von Privatisierungen die Zahl der Kliniken allgemein. Ein häufiges Argument ist dann, dass sich Abtreibungen häufen würden, wenn der Zugang dazu zu leicht ist. Die Niederlande beweisen jedoch das Gegenteil: Dort kommen Frauen leicht an Informationen, dürfen legal abtreiben und haben einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln.

Wem bringt das Verbot etwas?

Wie immer im Kapitalismus müssen wir uns fragen: Wozu das alles, wer hat etwas von diesen Verboten? Die Behinderung des Rechtes auf Abtreibung bedeutet die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts über den weiblichen Körper. Diese nutzt in erster Linie der herrschenden, besitzenden Klasse. Denn die bürgerliche Familie, die Monogamie und geschlechtliche Arbeitsteilung mit sich bringt, hat für sie die Aufgabe, Eigentum zu vererben. Dass sich Frauen dieser Aufgabe verweigern, soll unterbunden werden. Das hat aber auch Auswirkungen auf die Arbeiter_Innenklasse. In der Regel haben diese wenig zu vererben, aber gleichzeitig haben die Kapitalist_Innen Interesse an immer mehr Nachwuchsarbeitskräften, die für sie arbeiten. Nicht zufällig stammt der Artikel 219a aus dem Jahr 1933. Vor allem aber geht es darum, dass die auf geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung basierende Unterdrückung der Frau in der Familie durch  repressive Sexualmoral, Geschlechternormen, Einschränkungen der Kontrolle über den eigenen Körper, Fixierung der weiblichen Sexualität auf das Gebären von Kindern usw., kurz gesagt, die repressiven, frauenfeindlichen Strukturen auch in der ArbeiterInnenklasse reproduziert werden.

Es gibt einen weiteren Klassenunterschied in der Abtreibungsfrage: Während Frauen der herrschenden Klasse es sich leisten können, in andere Länder zu fahren, um den Eingriff durchführen zu lassen, müssen die Arbeiter_Innen diesen in der Illegalität über sich ergehen lassen. Besonders hart trifft die repressive Abtreibungsgesetzgebung jugendliche und junge Frauen, da diese nicht nur ökonomisch und sozial abhängig, sondern als Jugendliche auch noch rechtlich benachteiligt sind.

Gegenwehr

Doch es gibt auch Gegenwind. Im September gingen mehr als 5.000 Menschen in der Republik Irland zum sogenannten „March of Choice“ für die Aufhebung des Artikels 40.3.3 (8. Zusatzartikel zur Verfassung) auf die Straße. Dieser besagt, dass das Leben eines ungeborenen Kindes genauso viel wert ist wie das der Mutter. Das irische Parlament sah sich nach einem Volksentscheid am 25.5.2018 gezwungen, am 13.12.2018 ein Gesetz zu verabschieden, welches Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche und bei bestimmten medizinischen Gründen darüber hinaus erlaubt. In Spanien wurde das Land am 8. März 2018 durch Frauenstreiks lahmgelegt. Knapp 6 Millionen demonstrierten für ihre Rechte, denn auch dort gibt es immer wieder Gesetzesvorlagen für Verschärfungen des Abtreibungsrechts. Im Februar 2018 wurden im Bundestag 3 Gesetzesentwürfe zur ersatzlosen Streichung bzw. Abschwächung vorgestellt – auch auf Druck aus der Gesellschaft. Aber dieses Gesetz wurde von der Großen Koalition blockiert. Die SPD wollte mit dem Koalitionspartner CDU/CSU keinen weiteren Konflikt riskieren – und stimmte daher trotz gegenteiliger Versprechungen gegen Millionen Frauen. Somit zeigt sich mal wieder, dass wir uns auch in dieser Frage nicht auf bürgerliche Vertreter_Innen oder reformistische Parliamentarier_Innen verlassen können, sondern selbst Proteste organisieren müssen. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung organisiert zwar wichtige Kampagnen und stellt in dieser Hinsicht einen Schritt in die richtige Richtung dar. Wir müssen hierbei jedoch kritisch sehen, dass es ihm mehr um das „Überzeugen“ der Herrschenden denn um eine Mobilisierung auf der Straße und in den Betrieben geht. Aber wir als Arbeiter_Innen müssen uns selbst Strukturen schaffen, die über die Zusammenhänge zwischen Abtreibungsverboten und dem kapitalistischen System aufklären, und dafür kämpfen, dass auch ArbeiterInnen und Armen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen und ohne Zwangsberatung möglich sind.

  • Hände weg von unseren Körpern! Raus mit der Kirche und anderen Religionen aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Für Abschaffung der Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Vollständige Übernahme der Kosten für eine Abtreibung, egal in welchem Monat, und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!
  • Für die Abschaffung von Fristen, bis zu denen abgetrieben werden darf! Für die ärztliche Entscheidungsfreiheit, lebensfähige Kinder zu entbinden!
  • Gegen Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern! Adoptionsvorrang für Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!



Sri Lanka und die Lage der Frauen

Jonathan Frühling, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Sri Lanka ist eine Insel mit rund 20 Millionen Einwohner_Innen vor der Südostküste Indiens mit einem nominalen Bruttoinlandsprodukt von gut 80 Mrd. US-Dollar. Nur 1,9 % der Bevölkerung lebt in extremer Armut. Sri Lanka gehört angesichts dieser wirtschaftlichen Kennziffern nicht zu den ärmsten Ländern der Welt, gerade wenn man die Lage der Bevölkerung mit Ländern wie Indien, Pakistan oder Bangladesch vergleicht. Problematisch ist allerdings die Jugendarbeitslosigkeit von ca. 20 %. Mit 18,4 % Stadtbevölkerung ist das Land nach wie vor sehr agrarisch geprägt. Sri Lanka ist ein multiethnischer Staat, in dem alle großen Weltreligionen aufeinandertreffen. Der Buddhismus kann mit über 70 % am meisten Gläubige zählen, gefolgt vom Hinduismus (12,6 %), dem Islam (9,7 %) und dem Christentum (7,4 %). Die Lebenserwartung ist in den letzten 68 Jahren von 55 auf 75 Lebensjahre gestiegen.

Regierungskrise in Sri Lanka 2018/19

 Zuletzt war das Land in den Schlagzeilen, weil es eine wochenlange Regierungskrise gab. Der Präsident Sirisena hatte den von USA und Indien unterstützten Premierminister Wickremesinghe von der UNP (United National Party; Vereinte Nationalpartei) entlassen und stattdessen den china-freundlichen und rechten Politiker Rajapaksa von der SLPP (Sri Lanka Podujana Peramuna; Sri-Lankische Volksfront) eingesetzt und das Parlament suspendiert. Diese Regierungskrise machte deshalb die Rivalität, die zwischen China und USA in Bezug auf die Einflussnahme in Sri Lanka herrscht, deutlich. China weitet seinen Einfluss auf Sri Lanka aus. Seit 2007 macht es Rahmen seiner „Neuen Seidenstraße“ zu einem wichtigen Handelsstützpunkt. Z. B. hat es einen großen Hafen auf Sri Lanka finanziert. Später wurde ihm dieser auf 99 Jahre verpachtet, weil Sri Lanka den gewaltigen Kredit nicht abbezahlen konnte.

Die Regierungskrise wurde vorerst gelöst, indem der Präsident den alten Premierminister auf Druck des Parlaments hin wieder eingesetzt hat. Trotz dieser Lösung der Krise wurde verständlicherweise dem Glauben an die Berechtigung des politischen Systems in der Bevölkerung nachhaltig geschadet, z. B. wurde das Amt des Präsidenten diskreditiert. Außerdem wurde die Wirtschaft durch die Krise erschüttert, da die Währung an Wert verlor, die Zinssätze angehoben wurden und der Tourismus zurückging.

Trotz der undemokratischen Absetzung Wickremesinghes, die wir angreifen müssen, darf er von uns nicht politisch unterstützt werden. Er ist ein bürgerlicher Politiker unter dem sich seit seiner Einsetzung als Regierungschef 2015 die wirtschaftliche Lage beispielsweise durch Privatisierungen immer weiter verschlechtert hat. Rajapaksa dagegen stellt eine starke reaktionäre Kraft dar, die sich auch auf bewaffnete faschistische Banden stützt. Übernimmt er die Macht, sind vermehrte Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse, die zum Teil gegen Wickremesinghes Sparmaßnahmen kämpft, sehr wahrscheinlich. Auch die ethnischen und religiösen Minderheiten haben von seiner nationalistischen Politik nichts zu erwarten. Beide repräsentieren Spielarten bürgerlicher Politik, die ein halbkoloniales Land wie Sri Lanka nicht voranbringen kann.

Wirtschaftliche Lage von Frauen

Insgesamt ist der Anteil an Frauen, die keiner bezahlten Beschäftigung nachgehen, mit 69 % recht hoch. Dabei sind 25 % der erwerbstätigen Frauen im formellen, 57 % im informellen Sektor tätig, was zeigt, wie unsicher ihre wirtschaftliche Situation ist. Außerdem verdienen sie meistens sehr viel schlechter und müssen zudem oft deutlich länger arbeiten als ihre männlichen Kollegen, weil ihre Arbeit weniger entlohnt wird. An den Universitäten machen sie etwa die Hälfte der Studierenden aus. Allerdings gehen sie selten in die Politik und müssen ihre Jobs aufgeben, sobald sie Kinder bekommen. Auch müssen sie Missbrauch und Belästigungen ertragen, wenn sie in ihrem Beruf weiter kommen wollen, sehr ähnlich, wie es die #MeToo-Kampagne in der westlichen Welt offenbarte.

Frauen stellen in der Tee-, der Textilproduktion und unter den im Ausland arbeitenden Sri Lanker_Innen die meisten Beschäftigten. Obwohl dies die wichtigsten Wirtschaftszweige sind, sind Bezahlung und Arbeitsbedingungen in allen dreien sehr schlecht. Außerdem sind sie oftmals als Haushälterinnen auf der arabischen Halbinsel besonderer Unterdrückung ausgesetzt. Auf den Teeplantagen gab es sogar 2018 einen Generalstreik für eine 100%ige Lohnerhöhung. Allerdings fokussieren sich die Gewerkschaften leider nicht auf die Branchen mit hohem Frauenanteil.

Gewalt gegen Frauen

Häusliche Gewalt ist seit 2005 (!) verboten und trotzdem kommt es häufig zu physischen Übergriffen von Männern gegen ihre Frauen. Diese Verbrechen werden in der Gesellschaft toleriert bzw. akzeptiert. Die Vergewaltigung in der Ehe ist nicht verboten und wird als „eheliches Recht des Mannes“ verstanden. Der staatliche Schutz ist mangelhaft. Oft sind die Frauen bei einer Anzeige weiteren Belästigungen durch die Polizei ausgesetzt. Mehr noch: Im von 1983 bis 2009 andauernden Bürger_Innenkrieg im Norden des Landes war das Militär oft selbst in Gewaltverbrechen gegen Frauen verwickelt und ist es bis heute, da dort immer noch eine erhöhte militärische Präsenz zu verzeichnen ist. Auch die Prostitution hat in und seit dem Bürger_Innenkrieg dadurch und durch die katastrophale Situation der Bevölkerung zugenommen. Traumatisierung und übermäßiger Alkoholkonsum infolge des Bürger_Innenkriegs hat auch zu einer Zunahme der häuslichen Gewalt beigetragen. Zudem sind Frauen in Haft von Vergewaltigung, Erniedrigung und Missbrauch bedroht. Es sind Fälle belegt, in denen Aktivist_Innen entführt und gefoltert worden sind und erst nach Lösegeldzahlungen wieder freikamen.

Welche Perspektive?

Das alles zeigt uns, dass Gewalt gegen Frauen in Sri Lanka weit verbreitet ist und die Täter fast immer straflos davonkommen. Der Staat ist bei der Aufklärung und Bekämpfung keine Hilfe, sondern durch Militär, Polizei und Gerichte oft selbst in Misshandlung, Menschenhandel, Prostitution und Vergewaltigung verwickelt und deckt sie. Nur wenn die fortschrittliche Bevölkerung sich erhebt und durch Solidarität mit den Betroffenen Druck auf die Regierung ausübt, kann man sie dazu zwingen zu handeln. Das beweist der Fall einer 18-jährigen Schülerin, die vergewaltigt und ermordet wurde. Erst aufgrund großer Proteste wurde ein Prozess gegen die Täter geführt. Eine revolutionäre Politik in Sri Lanka müsste sich die Ausweitung und Durchsetzung der Rechte der Frau auf die Fahne schreiben.

Die Bewegung müsste sich aber auch für die Erhaltung und Ausweitung der beschränkten demokratischen Möglichkeiten einsetzen, wie die letzte Regierungskrise gezeigt hat. Außerdem muss die Macht von Militär und Polizei gebrochen und müssen die ethnischen und religiösen Konflikte überwunden werden. Das kann nur einer sozialistische Arbeiter_Innen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung in Kombination mit einer revolutionären Partei tun. Sie muss den Bauern und Bäuerinnen zu Land und den Arbeiter_Innen zur Kontrolle über die und letztlich Aneignung der Produktionsmittel verhelfen. Diese Politik muss aber auch einen internationalistischen und antiimperialistischen Charakter tragen und sich gegen die imperialistische Einflussnahme z. B. Chinas und der USA richten.

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/asien-pazifik/sri-lanka/sri-lanka-situation-der-frauen.pdf




Frauenvolksbegehren: Ein Weg zur Emanzipation?

von Aventina Holzer, Revolution Österreich, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Das Frauenvolksbegehren wurde in Österreich zur Abstimmung vorgebracht und sammelte letztes Jahr 481.959 Stimmen. Es beinhaltet viele positive Forderungen: von der schrittweisen Einführung einer 30-Stundenwoche über den Ausbau von Kinderbetreuung und Abtreibung mit vollständiger Kostenübernahme durch die Krankenkasse bis zur Anerkennung von frauenspezifischen Fluchtgründen. Wir befürworten daher die Unterstützung dieses Volksbegehrens. Gleichzeitig haben wir auch Kritik an dem Verfahren, denn aktuell sieht es so aus, dass die Initiative im Nichts zu verpuffen droht. Die Frage ist deshalb für Kommunist*innen, wie man sich in diesem Spannungsverhältnis zwischen (großteils) fortschrittlichen Forderungen und gleichzeitig sehr gemäßigter Politik verhalten soll. Kann ein Volksbegehren überhaupt etwas bezwecken? Wir möchten an dieser Stelle eine seiner kontroversen Forderungen und die nötigen Perspektiven zur Frauenbefreiung diskutieren.

Quoten als Lösung?

Gerade Kommunist*innen stehen für die Gleichberechtigung von Frauen ein, aber unsere konkreten Forderungen unterscheiden sich dennoch vom Frauenvolksbegehren. Hier wird gefordert, dass die Hälfte aller Wahllisten und Vertretungsgremien der politischen Interessensvertretungen und der Sozialpartnerschaftsinstitutionen von Frauen besetzt wird. Zusätzlich sollen innerhalb der Kontroll- und Leitungsgremien von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften dieselben Kriterien erfüllt werden. Die Begründung ist, dass Frauen einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen, dieser aber wenig in den Institutionen widergespiegelt wird. In einer repräsentativen Demokratie wäre das aber dringend notwendig. Deswegen müssten also Quoten sich dieser Aufgabe der gleichberechtigten Vertretung annehmen.

Es ist in den allermeisten Fällen egal, ob die Person, die uns ausbeutet, ein Mann oder eine Frau ist. Die Frauenbewegung sollte sich nicht an der Verwaltung des Kapitalismus beteiligen. Deshalb fordern wir die Verstaatlichung der Betriebe unter Kontrolle der Arbeiter*innen. Wir wollen nicht „politisch korrekt“ unterdrückt werden, sondern die Unterdrückung ganz abschaffen.

Aber natürlich ist das nicht die alleinige Antwort auf die Forderung nach Quoten. Speziell in den Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse, also Gewerkschaften oder politischen Organisationen, ist Quotierung wichtig. Denn auch die fortschrittlichste Bewegung ist nicht frei von Sexismus und anderen Unterdrückungsmechanismen. Um das tatsächliche Potenzial der Gruppen auszuschöpfen, müssen Frauen (und auch andere unterdrückte Gruppen) gemessen an ihrem Mitgliederanteil in Gremien vertreten sein. Eine Quote, kann dabei ein Mittel sein, um die Repräsentation von Frauen zu erhöhen. Daneben müssen wir aber auch, um die Beteiligung von gesellschaftlich Unterdrückten zu fördern, diese gezielter schulen und fördern, von technischen Aufgaben befreien, ihnen das Recht auf einen selbstbestimmten Schutzraum (Caucus) geben. Zudem müssen auch Menschen, die nicht unterdrückt werden wie Männer, in die Verantwortung gebracht werden, über ihre Sozialisierung zu reflektieren.

Insofern sehen wir den Anspruch des Frauenvolksbegehrens in dieser Frage als berechtigt an, halten aber die Lösung nicht für ideal. Die Frage von Quotierung muss mit einem klaren Klassenstandpunkt verbunden werden. Sonst dient diese im Endeffekt nicht mehr den arbeitenden Frauen, sondern einem (weiblichen besetzten) Teil des Kapitals. Es wird nämlich der tatsächliche Ursprung (oder zumindest Reproduktionsmechanismus) für Ungleichheit verschleiert: das kapitalistische Wirtschaftssystem. Deshalb muss man für tatsächliche Gleichberechtigung auch erstmal eine neue ökonomische Basis schaffen und das jetzige Wirtschaftssystem hinter sich lassen.

Aber es muss auch klar sein, dass – egal wie sehr wir kämpfen – uns unsere Rechte jederzeit wieder weggenommen werden können. Der Kapitalismus als Ursache der Frauenunterdrückung muss überwunden werden. Und das geht nur als kämpfende Bewegung der Arbeiter*innenklasse. Viele der Punkte im Frauenvolksbegehren müssen essentielle Forderungen einer solchen Bewegung sein, die auf ihre eigene Stärke vertraut statt auf den bürgerlichen Staat. Aber leider bricht der kleinbürgerliche Charakter des Frauenvolksbegehrens doch immer wieder mit den Interessen der Arbeiter*innenklasse. Deshalb müssen wir die Menschen überzeugen, einen Schritt weiterzugehen. Denn echte Frauenbefreiung wird es erst geben, wenn die Dystopie des „freien Marktes“ endlich auf dem Müllhaufen der Geschichte landet.

Was bezwecken Volksbegehren?

Ein erfolgreiches Volksbegehren hat als solches genommen nicht viel mehr Konsequenzen, als dass im Nationalrat darüber diskutiert werden muss. Dies ist auch passiert, mit äußerst geringer Beteiligung und keinem Interesse daran, irgendwelche der Forderungen umzusetzen – nicht verwunderlich, schließlich ist die Regierung blau-schwarz. Der wesentlichere Output kann eben deswegen nur sein, eine gesellschaftliche Diskussion über die Themen zu eröffnen und dadurch eine Bewegung auf der Straße, in den Gewerkschaften und Betrieben anzustoßen, die den gesellschaftlichen Druck erzeugen kann, damit die Forderungen auch wirklich erzwungen werden können. Denn was der Kampf für Gleichberechtigung im letzten Jahrhundert gezeigt hat ist, dass diese nicht einfach vom Himmel fällt, sondern hart erkämpft werden muss.

Deshalb müssen wir auch klar machen, dass dieses Frauenvolksbegehren zu keinen positiven Verbesserungen führt, wenn es sich nicht seiner selbstgesetzten Einschränkungen entledigt. Aktuell ist es rein auf ein formales Mittel der „direkten“ Demokratie im österreichischen Staat ausgelegt. Dabei ist sehr einfach zu durchschauen, dass eine strategische Ausrichtung alleine darauf vollkommen verheerend sein kann. Die vielen Unterstützer*innen, die sich in den letzten Monaten engagiert haben, müssen erkennen, dass ihr Engagement nicht einfach nur für eine gute Medienaktion draufgehen sollte. Vielmehr muss das Frauenvolksbegehren mit realer Mobilisierung auf der Straße verbunden werden sowie eine Auseinandersetzung in den Organisationen der Arbeiter*innenbewegung bewirken. Die Mehrheit im Nationalrat wir nicht im Traum daran denken, die Inhalte des Volksbegehrens durchzusetzen. Wir müssen sie dazu zwingen. Das geht letztlich nur durch eine Bewegung auf der Straße, die ihre Wurzeln in Streikkomittees in Schulen, Universitäten und Betrieben hat!




Österreich: ein Jahr Schwarz-Blau

von Arbeiter*innenstandpunkt, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Vor einem Jahr, am 15. Dezember 2017, wurde die aktuelle ÖVP-FPÖ-Regierung angelobt. Kanzler und Vizekanzler nahmen das und ihre bisherigen Reformen vor kurzem zum Anlass für einträchtiges Eigenlob. Doch Reformen sind nicht immer gut – immer und überall lautet die Frage: „Wem nützt das?“

Dass die schwarz-blaue Politik zugunsten der Reichen und der Kapitalist*innen und auf Kosten der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und sozial Schwächeren betrieben wird, haben wir in unseren Analysen zum Regierungsprogramm ausreichend dargelegt (zuletzt in der jüngsten Ausgabe unseres Theoriejournals „Revolutionärer Marxismus“ Nr. 50). So ist das zentrale Vorhaben der Senkung der Abgabenquote in letzter Konsequenz eine große Umverteilung von unten nach oben, wie eines der zentralen Projekte, der Familienbonus, zeigt. Das wird natürlich begleitet von Einsparungen, die vor allem jene treffen, die sich schlechter dagegen wehren können: die Arbeitslosen (AMS-Budgets, Haushalte des Arbeitsmarktservices), die Frauen (Förderungen von Frauenvereinen), die Geflüchteten (Integrationsmaßnahmen, Mindestsicherung), die Lehrlinge (Ausbildungsbeihilfe) etc. Zusätzliche Maßnahmen zur „Stärkung des Wirtschaftsstandorts“ treffen direkt die Kernschichten der Arbeiter*innenklasse, hier besonders die Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf täglich 12 (wöchentlich 60) Stunden. Auch muss man festhalten, dass diese Politik unter kontinuierlichen rassistischen Vorstößen gegen Geflüchtete betrieben wird und die Möglichkeiten staatlicher Repression, insbesondere der Überwachung, ausgebaut werden.

„Der rot-weiß-rote Reformzug wird 2019 mit demselben Tempo unterwegs sein“, verkündet Bundeskanzler Sebastian Kurz feierlich. Dabei rückt er natürlich vor allem eines seiner „Prestigeprojekte“ in den Vordergrund – die Steuerreform. Dazu soll es Mitte Jänner eine Regierungsklausur geben. Im April soll ein passender Budgetrahmen geschaffen und im Oktober das entsprechende Doppelbudget beschlossen werden. Diese Steuerreform, geplant für 2020, muss als wesentlicher Teil der Abgabenquotensenkung verstanden werden. Auch wenn Kurz hier die Entlastung für kleinere und mittlere Einkommen ankündigt, sollte man sich keine Illusionen darüber machen, wem diese Reform tatsächlich nützen soll. Vermutlich wird sich innerhalb eines Gesamtpakets die schon angekündigte Halbierung der Körperschaftssteuer (Steuer auf Unternehmensgewinne) auf nicht entnommene Gewinne finden. Nicht unwahrscheinlich wäre auch eine Senkung des Höchststeuersatzes oder eine Reduktion der Steuerprogression.

Auf eine endgültige Umsetzung wartet auch das „Arbeitslosengeld neu“, das die Arbeitslosenversicherung auf ein Hartz-IV-Modell umstellen soll. Dispute zwischen ÖVP und FPÖ über das Ausmaß des Angriffs haben das Projekt bisher verzögert. Wird die Notstandshilfe tatsächlich abgeschafft, um Arbeitslose nach einiger Zeit mit Vermögenszugriff in die Mindestsicherung zu schicken, dann wäre das ein bedeutender Angriff nicht nur auf die Arbeitslosen, sondern auch auf die Arbeiter*innenklasse. Auf sie würde dadurch ein stärkerer Druck zur Hinnahme schlechterer Arbeitsbedingungen ausgeübt.

Es stehen also durchaus noch bedeutende politische Auseinandersetzungen bevor und weitere sind zu erwarten. Immerhin stellt sich die Frage, wie die Regierung ihr Ziel eines anhaltenden Nulldefizits garantieren möchte. Für das Budget 2018/19 war es vor allem die gute Konjunktur, die trotz Einsparungen mehr Einnahmen brachte. Aber die Spielräume für 2020/21 werden sich deutlich verengen. In ihrer gesamtwirtschaftlichen Prognose 2018 hatte die Österreichische Nationalbank schon ein Abflauen des Wachstums von + 3,1 % (2018) auf + 2,1 % (2019) und + 1,7 % (2020) konstatiert. Nun wurde aufgrund einiger Revisionen innerhalb der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung jenes für 2018 auf + 2,8 % korrigiert. Im kommenden Doppelbudget wird die Regierung also wohl auch zu zusätzlichen relevanten Sparmaßnahmen greifen, noch dazu da für Ende 2019 eine Pflegereform zur langfristigen Finanzierung angekündigt wurde – und die wird vermutlich nicht billig. Womöglich wird deshalb, obwohl noch nicht angekündigt, das Pensionssystem zur neuen Zielscheibe erklärt.

Trotz der offen unsozialen, neoliberalen, rassistischen und autoritären Regierungspolitik scheint das politische Kräfteverhältnis in Österreich seit Anfang der Legislaturperiode zwar nicht gänzlich unverändert, aber auf jeden Fall unerschüttert. In den regelmäßigen Wahlumfragen zeigt sich, dass die Stimmenverhältnisse von ÖVP, SPÖ und FPÖ seit den Wahlen ungefähr gleich geblieben sind. Der rechtskonservative Block ist also durchaus in der Lage, einen großen Anteil der österreichischen Bevölkerung ideologisch für seine politische Agenda zu gewinnen. Das bedeutet auch, dass der Widerstand einen langen Atem haben muss. Vor allem braucht er aber ein politisches Programm, mit dessen Hilfe der Charakter dieser Regierung entlarvt werden, das die Spaltungsmechanismen unter den Arbeitenden überwinden kann und eine Alternative zum scheinbar alternativlosen Kapitalismus aufzeigt. Nur durch ein solches entschlossenes Handeln können wir den gesellschaftlichen Rechtsruck an seinen Wurzeln bekämpfen!




Wir werden weiter für unsere Rechte kämpfen! – Interview mit Raquel Silva (Liga Socialista Brasilen)

Rachel Silva ist Gründungsmitglied der „Liga Socialista“ (LS, https://www.ligasocialista.com/), der brasilianischen Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, und langjährige Aktivistin der LehrerInnengewerkschaft in Juiz de Fora. Sie beteiligt sich gemeinsam mit den GenossInnen der LS an der Vorbereitung der Demonstration zum 8. März und am Aufbau eines Komitees gegen die sog. „Rentenreform“ der Regierung Bolsonaro.

Frage: Wie hat sich der Putsch gegen Dilma auf die Lage der Frauen und sexuell Unterdrückten ausgewirkt?

Seit dem Staatsstreich 2016 haben die Angriffe auf Frauen und LGBTs zugenommen, als die Anti-PT-Welle zum Sturz von Präsidentin Dilma einsetzte. Dilma Rousseff selbst hat während ihrer Amtszeit viele machistische Angriffe erlitten, von einschlägigen Schmährufen im Maracanã-Stadion zur Eröffnung der FIFA-Weltmeisterschaft 2014 bis hin zu den berüchtigten pornografischen Aufklebern für Autos, die allgemein die Frauenwürde trafen.

Nach dem Putsch nahm die konservative, Anti-PT-Welle (PT: Arbeiterinnenpartei, Ex-Regierungspartei) zu. Der moralische Konservatismus gewann viel an Bedeutung, vor allem, als das Magazin „Veja”, eine der größten Zeitschriften des Landes, Vertreterin der Bourgeoisie und Organisatorin des Putsches, einen Artikel mit der neuen First Lady Marcela Temer (Ehefrau des damaligen Präsidenten Michel Temer) veröffentlichte, in dem die Eigenschaften von „schön, bescheiden und häuslich“ hervorgehoben wurden.

Während seiner Regierung wurde das Nationale Sekretariat für Frauenpolitik in das Ministerium für Menschenrechte übertragen und aus der Gruppe der Regierungsstellen entfernt. Dies war bereits ein Angriff, da es eine Errungenschaft auflöste, die eine Eroberung des Frauenkampfes vor dem Putsch 2016 darstellte.

Frage: Welche Rolle spielen dabei die konservative Rechte und Kirchen? Welche Rolle spielte Sexismus im Wahlkampf und welchen Widerstand gab es?

Diese konservative Welle, die von den evangelikalen Kirchen sehr stark angenommen und verbreitet wurde, gewann während des Wahlkampfes um den Präsidenten der Republik mehr Raum. Die Angriffe richteten sich gegen öffentliche Schulen und LehrerInnen, denen „Ideologentum“, Linkssein und sogar Pädophilie vorgeworfen wurden. Um die PT zu schlagen, wurden gefälschte Nachrichten über ideologische Indoktrination erstellt und verbreitet, wobei der Begriff „Gender-Ideologie“ entstand, und man die Bildungspolitik der PT-Regierung als einen Versuch denunzierte, die Kinder zu lehren, „schwul“ zu sein. Lügen über Schwulenkostüme in Schulen wurden durch soziale Netzwerke und WhatsApp verbreitet. Der Konservatismus hat einen heftigen homophoben Diskurs begonnen.

Im Kampf gegen diesen Angriff, gegen die Kandidatur von Bolsonaro brachte die auf einer Facebook-Seite gestartete Bewegung #elenão („er nicht“) feministische Kämpferinnen, Unabhängige, Hausfrauen, Männer in Brasilien und in der Welt zusammen. Millionen von Menschen sind auf die Straße gegangen, um #elenão zu sagen! Es war die größte Frauenbewegung in der Geschichte Brasiliens. Die Reaktion auf die Bewegung war eine Reihe von neuen Angriffen auf FeministInnen. Gewalttaten gegen Militante, Frauen und Schwule nahmen während der Wahlperiode zu, insbesondere zwischen den Wahlgängen.

Frage: Welche Verschlechterungen, welche Angriffe drohen unter Bolsonaro auf die Frauen und LGBT+-Menschen gegenüber der bisherigen Situation?

 Nach seinem Amtsantritt im Januar 2019 ernannte Jair Bolsonaro in der Mehrheit Männer zu Ministern. Von den 22 Ministerien stehen nur zwei unter der Leitung von Frauen: die Landwirtschaft, angeführt von einer rechtsextremen Vertreterin des Agrobusiness, aus der DEM-Partei (Democratas, Demokratinnen), und das neu gegründete Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte, dessen evangelikale Ministerin einen fundamentalistischen Diskurs gegen Abtreibung führt und in der politischen Szene mit absurden Aussagen, vor allem gegen Schulen und LehrerInnen, für große Kontroversen sorgt.

Mit einem Diskurs, der an Wahnsinn grenzt, setzt sie reaktionäre und ultra-konservative Ausrufezeichen, akzeptiert keine Geschlechterfragen und will Sara Winter dem Frauensekretariat voranstellen. Sara Winter, die sagt, sie sei ex-feministisch, brach mit dem Feminismus und gründete die Gruppe FEMEN in Brasilien, die von der sonstigen Frauenbewegung abgesondert agierte. Sie führte harte Angriffe auf feministische Bewegungen mit haltlosen Beschuldigungen und verteidigt ultrakonservative Positionen in der Frauenpolitik.

Wir leben in einem Moment der Angriffe an mehreren Fronten. Im Kongress werden wir durch Versuche, Rechte wie die seit 1945 garantierte Abtreibung in Fällen von Anenzephalie, Vergewaltigung und unsicheren Schwangerschaften zu beseitigen, attackiert. Schon früher wurden wir immer wieder in Alarmbereitschaft versetzt wie im Falle eines Gesetzentwurfs des ehemaligen Abgeordneten Eduardo Cunha (PdMDB, Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens).

Anfang Februar dieses Jahres präsentierte der Kongressabgeordnete Marcio Lambre von der PSL (Sozialliberale Partei Bolsonaros) zwei Gesetze, die unsere Rechte direkt angreifen. Ein Gesetzentwurf sieht ein Abtreibungsverbot unter allen Umständen und während der gesamten Schwangerschaft vor, außer wenn ein hohes Risiko für die schwangere Frau besteht, wobei die Bestrafung von ÄrztInnen einschließlich der Aberkennung ihrer Approbation vorgesehen ist. Das andere Projekt sieht das Verbot der Vermarktung und des Vertriebs von Verhütungsmitteln, der Pille am nächsten Tag, der Spirale mit Strafe für AnwenderInnen und Herstellerfirmen vor. Nach harter Kritik zog der Abgeordnete das Verhütungsprojekt zurück und wurde darüber informiert, dass Abtreibung wegen Vergewaltigung, Todesgefahr und Anenzephalie im Strafgesetzbuch durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vorgesehen ist. Er werde den Vorschlag entsprechend ändern, es bliebe aber sein Ziel, das Voranschreiten der Möglichkeiten der Abtreibung in Brasilien zurückzudrehen.

Die Regierung Bolsonaro hat außerdem gerade dem Kongress den Vorschlag zur „Reform der sozialen Sicherheit“ (des Versicherungssystems der Sozialrenten) übermittelt. Dieser Vorschlag ist nicht nur ein harter Angriff auf die Arbeit„nehmer“Innen im Allgemeinen, sondern bedeutet auch größere Verluste für Frauen, insbesondere für Landarbeiterinnen.

Frage: Hat Gewalt gegen Frauen weiter zugenommen?

Die Gewalt gegen Frauen in Brasilien erreicht absurd hohe Zahlen: 606 Überfälle, 135 Vergewaltigungen und 12 Morde pro Tag. Alle 2 Minuten werden in Brasilien 5 Frauen geschlagen. Das sind aktuelle Zahlen, aber sie zeigen nicht die Realität, weil viele Frauen Gewalt nicht anprangern.

In Brasilien, einem Land mit hohem Macho-Anteil, haben wir jetzt einen semifaschistischen Präsidenten, der immer gewalttätige Reden gegen Frauen gehalten, sie als minderwertig eingestuft hat und argumentiert, dass Frauen weniger verdienen sollten als Männer, weil er sagt, „sie werden schwanger“. Bolsonaro wurde verurteilt, um Entschädigung an die Kongressabgeordnete Maria do Rosário Nunes der PT zu zahlen, weil er sie in den Gängen des Repräsentantenhauses verbal angegriffen hat. Er sagte dort, er würde sie nicht vergewaltigen, weil sie es nicht verdient hätte, da sie zu hässlich sei.

Frage: Wie entwickelte sich die Frauenbewegung in den letzten Jahren?

Die Frauenbewegung wuchs während der PT-Regierungen. Kollektive im Zusammenhang mit dem „Weltweiten Marsch der Frauen“, dem Marsch der Margeriten – Bewegung der Bäuerinnen (Landfrauen der Felder, Wälder und Gewässer) –, Kollektive linker Parteien wie PSTU (Vereinigte Sozialistische Arbeiterinnenpartei), PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit), PCB (Brasilianische Kommunistische Partei; moskautreu auch nach 1956).  Dies erweiterte auch die Diskussion und Organisation von Frauen in CUT und PT. Kampagnen zur Verteidigung der Legalisierung von Abtreibungen haben Unterstützung von männlichen Sektoren erhalten. Der Feminismus gewann an Stärke und wuchs auf den Straßen. Mit der Wahl von Trump folgte die feministische Bewegung in Brasilien dem weltweiten Aufruf, der im Marsch gegen Trump gestartet wurde. Gewerkschaftliche Agenden wurden in die 8.-März-Tage aufgenommen. Die Frauenbewegung und -organisation ist zu einem Hindernis für Konservative geworden und belästigt die Macho-Gesellschaft.

Die Frauenbewegung begann mit dem Putsch, der Dilma Rousseff stürzte, unsicherer zu werden. Die Angriffe wuchsen, der Diskurs gegen den Feminismus gewann die sozialen Netzwerke und die evangelikalen Gruppen zusammen mit den Kirchen trugen noch mehr zu diesem Angriff bei.

Frage: Wie kann Widerstand erfolgreich sein? Welche Politik ist dazu nötig?

Was die Kämpfe der Frauen gegen diese Angriffe betrifft, so haben wir seit den Wahlen noch nicht viel Mobilisierung erlebt. Die Erwartung ist, dass nach dem Karneval die Bewegung wächst. Der Internationale Frauenstreik, der hier von mehreren Gruppen gegen die Reform des Sozialversicherungssystems gewendet wurde, wird für den 8. März vorbereitet. Die Mobilisierung in unserer Region ist allerdings schwach. Der 8. März fällt mit der Karnevalswoche zusammen, was es sehr schwierig macht, zu handeln.  Hier in Juiz de Fora kamen die Kollektive zusammen, um die 8M-Kämpfe zu organisieren, aber es gab einen Bruch. PCB, PSOL und PSTU brachen mit den Kollektiven, die mit dem „Weltweiten Marsch der Frauen“ und der PT verbunden waren. Sie machen getrennte Aktionen.

In diesem Moment schwerer Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse, insbesondere auf Frauen, müssen wir uns mit einer antisexistischen und klassenorientierten Agenda organisieren, um die Aktionen gegen die Reform der sozialen Sicherheit zu verstärken und dieser illegitimen und semifaschistischen Regierung zu begegnen.

Wir werden weiterhin für unsere Rechte kämpfen, gegen die Reform der sozialen Sicherheit, für die Entkriminalisierung der Abtreibung, für ein Ende von Gewalt und Frauenmord!




Ni Una Menos –Perspektiven einer Bewegung

Nina Awarie, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Die lateinamerikanische Frauenbewegung „Ni Una Menos“ (deutsch: nicht eine weniger) stellt derzeit wohl eine der weltweit größten und bekanntesten Bewegungen gegen Frauenunterdrückung dar. Ausgelöst durch eine massive Gewaltwelle und eine unfassbar hohe Mordrate an Frauen, wurden bisher Millionen von Menschen vor allem in Argentinien gegen häusliche Gewalt, Femizide, aber auch strukturelle, staatliche Gewalt gegen Frauen auf die Straßen gebracht.

Ursprung der Bewegung

Femizid, ein Wort, das in Lateinamerika, insbesondere in Argentinien inzwischen fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses ist, war ursprünglich Hauptthema der AktivistInnen. Unter Femizid versteht man einen Mord, dessen Hauptmotiv darin besteht, dass das Opfer eine Frau ist. Solche Morde gehören in Argentinien zum traurigen Alltag und wurden in der Vergangenheit in den meisten Fällen von Politik, Justiz und Medien ignoriert und verharmlost. Von „Verbrechen aus Leidenschaft“, aus einem „Zustand gewaltsamer Erregung“ war stattdessen die Rede, sodass die Täter nicht nur mit einer milden Strafe rechnen durften, nein, die Tat wurde mit einer solchen Umschreibung auch in gewisser Weise gerechtfertigt.

Laut „La Casa del Encuentro“ (deutsch: Haus der Begegnung), einer argentinischen NGO und Anlaufstelle für weibliche Gewaltopfer, wird in Argentinien alle 32 Stunden eine Frau rechnerisch Opfer eines Femizides (von Juni 2015–Juni 2016 275, davon 162 von ihrem Freund, Ehemann oder Partner mit oder ohne Vorsilbe „Ex-“; <http://www.taz.de/!5310042/>). In der Dominikanischen Republik, Spitzenreiterin im regionalen Vergleich, erfuhren laut einem Bericht von Ende 2017 30 % der Frauen Gewalt durch ihren (Ex-)Partner, davon 10,7 % sexuelle Gewalt. 2017 gab es hier 102 Femizide. (https://amerika21.de/2018/01/193821/femizide-dominikanische-republik)

In Lateinamerika gibt es täglich mehr als 17 Femizide, die meist durch Partner oder Ex-Partner begangen werden. Von den 25 Ländern mit den höchsten Femizidraten weltweit befinden sich 14 in Lateinamerika und der Karibik. Jährlich sind es über 2000 Frauen, die dort ermordet werden. Und: Die Zahl der Femizide in Lateinamerika hat in den letzten Jahren sogar zugenommen – das ergab eine Studie der Frauenorganisation der Vereinten Nationen UN Women. (https://www.deutschlandfunk.de/lateinamerika-niunamenos-im-kampf-gegen-frauenmorde.1773.de.html?dram:article_id=389206)

Aber nicht nur die entsetzlich hohe Mordrate, auch andere Faktoren wie eine hohe Müttersterblichkeit, ein fast komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, der große Einfluss der katholischen Kirche, niedrige Bezahlung für Lohnarbeit und schlechte Arbeitsbedingungen prägen die sehr prekäre Situation der (lohnabhängigen) Frauen in diesem wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern.

Erste Proteste

Aus diesem Grund gab es dort im Juni 2015 den ersten landesweiten Protesttag unter dem besagten Motto „Ni Una Menos“ gegen Femizide, sexualisierte Gewalt und den tatenlos zusehenden Staat. Auslöser war ein Mord eines Jugendlichen an seiner 14-Jährigen, schwangeren Freundin. Eine Gruppe von Journalistinnen hatte damals die Proteste organisiert, an denen in Buenos Aires und 80 anderen argentinischen Städten bis zu 500.000 Menschen teilnahmen. Die Bewegung „Ni Una Menos“ war geboren und verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Lateinamerika. So gab es beispielweise auch in Mexiko, Peru oder Uruguay Solidaritätsdemonstrationen, an denen sich zehntausende Menschen beteiligten. Die Forderungen, welche sie auf die Straße trugen, lauteten u. a.: eine wirkliche Anwendung des Gesetzes um Gewalt gegen Frauen vorzubeugen, zu bestrafen und zu beseitigen; kostenlosen Rechtsbeistand während des gesamten Prozesses und die Eröffnung von Frauenhäusern. Aber auch andere Themen wie beispielsweise die ökonomische Benachteiligung von Frauen und vor allem das Recht auf Schwangerschaftsabbruch werden inzwischen vermehrt von den AktivistInnen thematisiert.

Des Weiteren kam es neben den zahlreichen Massendemonstrationen auch zu Streikaktionen. Der erste politische Streik der „Ni Una Menos“-Bewegung wurde im Oktober 2016 durchgeführt. Wieder mal war der Auslöser ein grausamer Mord an einer Jugendlichen. In Buenos Aires gingen daraufhin 200.000 ArbeiterInnen aus ihren Betrieben, Universitäten, Schulen, Krankenhäusern und Fabriken auf die Straße, um symbolisch für eine Stunde ihre Arbeit niederzulegen.

Recht auf körperliche Selbstbestimmung

In Argentinien sowie auch in zahlreichen anderen lateinamerikanischen Ländern herrscht quasi ein komplettes Abtreibungsverbot. Nur in wenigen Ausnahmefällen wie einer Schwangerschaft als Resultat einer Vergewaltigung darf die Frau legal abtreiben lassen. Dieser Umstand hat zur Folge, dass es laut argentinischem Gesundheitsministerium jährlich zu über 350.000 illegalen Schwangerschaftsabbrüchen kommt. Bis zu 50.000 Frauen müssen nach einem solch riskanten Eingriff ins Krankenhaus eingeliefert werden. Amnesty International geht davon aus, dass 23 % aller Todesfälle unter schwangeren Frauen die Folge von illegalisierten Abtreibungen sind – Todesfälle, die durch professionelle medizinische Versorgung verhindert werden könnten. Daher stellen die AktivistInnen von „Ni Una Menos“ auch korrekterweise die Forderung nach legalen, kostenlosen Abtreibungsmöglichkeiten auf und setzen die derzeitige Gesetzeslage in den Kontext eines staatlichen Femizides, der vor allem Frauen aus den ärmeren Schichten betrifft. Diese Frauen können sich nicht mal eben eine Auslandsreise leisten, um ihren Schwangerschaftsabbruch unter professionellen Bedingungen durchführen zu lassen. Auch in naher Zukunft wird der argentinische Staat diese strukturellen Femizide durch unterlassene medizinische Versorgung nicht beenden. Denn obwohl das argentinische Abgeordnetenhaus zwei Monate zuvor einen Gesetzesentwurf für einen legalen Schwangerschsftsabbruch bis zur 14. Woche genehmigte, scheiterte ebendieser nach einer 16-stündigen Sitzung an einer Abstimmung im argentinischen Senat am 13. Juni 2018. Am Tag der Abstimmung fanden in Argentinien ebenfalls Massendemonstrationen für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung mit fast 1,5 Millionen TeilnehmerInnen statt. Ungeachtet dessen stimmte der Senat mit 38 zu 31 Stimmen bei zwei Enthaltungen gegen eine Legalisierung. Dieses Ergebnis wurde sicherlich auch durch den Einfluss der katholischen Kirche begünstigt, die im Vorfeld der Abstimmung keine Kosten und Mühen scheute, um eine reaktionäre, frauenfeindliche Gegenkampagne zum Erhalt des patriarchalen Status quo zu organisieren.

Perspektiven

Die zahlreichen Massenmobilisierungen und Streiks haben eines deutlich gezeigt: die Frauen in Lateinamerika haben ihre Unterdrückung satt. Sie sind nicht nur in der Lage, sich basisdemokratisch zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen, sondern haben es auch geschafft, die Partikularbewegung um Themenfelder wie Sozialabbau, staatliche Repression oder die Rechte der indigenen Bevölkerung zu erweitern. Jedoch zeigen vor allem die Proteste gegen das Abtreibungsverbot in Argentinien deutlich, dass eine auch noch so große Massenbewegung auf der Straße die reaktionären BerufspolitikerInnen in den Parlamenten nicht davon abhält, weiterhin eine patriarchale Politik gegen die Interessen der Mehrheit aller Lohnabhängigen durchzudrücken. Die herrschende Klasse, vor allem vertreten durch die Regierung unter Mauricio Macri, hat kein Interesse daran, die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen aufzuheben. Ganz im Gegenteil: Prekäre Lohnarbeitsverhältnisse und individualisierte Reproduktionsarbeit sichern der Bourgeoisie durch die besondere Ausbeutung von Frauen Extraprofite und liefern gleichzeitig die Strukturen, welche häusliche Gewalt gegen Frauen begünstigen. Auch wenn Macri nach außen die „Ni Una Menos“-Bewegung unterstützt, so ist dies angesichts seiner neoliberalen Kürzungspolitik, die vor allem lohnarbeitende Frauen betrifft, doch mehr als heuchlerisch. Das wird auch daran sichtbar, dass er sich nicht gegen den Senat gestellt hat, als dieser gegen die Legalisierung von Abtreibungen stimmte.

Das ist ein Beispiel, das aufzeigt, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung also nicht mit, sondern nur gegen den bürgerlichen Staat geführt werden kann.

Das heißt nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, Forderungen an die Regierung zu stellen. Es muss aber klar sein, dass ohne Druck von der Straße und vor allem ökonomischen Druck in Form von politischen Streiks Frauen keine Zugeständnisse seitens des bürgerlichen Staates zu erwarten haben. Damit ein solcher Streik möglichst effektiv geführt werden kann, müssen alle Schichten der ArbeiterInnenklasse, also auch die lohnabhängigen Männer mobilisiert werden. Außerdem sollte er sich nicht nur auf symbolische Aktionen beschränken, sondern im besten Fall zu einem unbefristeten Generalstreik ausgeweitet werden, bis die Regierung endlich auf die Forderungen der Massen eingeht. Hierfür ist es unbedingt notwendig, dass die Basismitglieder der großen Gewerkschaften Druck auf diese ausüben, damit sie eben auch endlich die Streikaktionen unterstützen. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung muss als Teil des Klassenkampfes und des Kampfes gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Perspektive gesehen werden. Das bedeutet ebenfalls, dass es unsere Aufgabe als InternationalistInnen ist, die Kämpfe der Frauen in Lateinamerika aufzugreifen und mit unseren hierzulande zu verbinden und uns zu solidarisieren. Denn nur wenn wir gemeinsam für unsere Rechte einstehen, können wir gewinnen!




Bolsonaro an der Macht

Max Fleischer, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung, März 2019

Letztes Jahr hat Brasilien gewählt. Im Januar wurde Jair Bolsonaro als Präsident Brasiliens vereidigt. Damit steht fest, dass Brasilien die nächsten Jahre von Sexismus, Rassismus, Homophobie und Neoliberalismus regiert werden wird. Bolsonaro, seines Zeichens Ex-Militär und vehementer Kämpfer für die Militärdiktatur, steht wie kein Zweiter für Neoliberalismus und Unterdrückung. Darüber hinaus sind seine Reden durchsetzt von widerlichem, hasserfülltem Vokabular. Er hetzt gegen alles, was nicht dem normativen Familienbild entspricht: „Ich hätte lieber, dass mein Sohn bei einem Autounfall stirbt, als dass er sich als homosexuell outet“, sagte er 2011 in einem Interview des brasilianischen „Playboy“. Auch von Gewerkschafter_Innen und linken Aktivist_Innen hat er keine hohe Meinung. So sagte er 2018: „Wenn diese Leute hier bleiben wollen, müssen sie sich unserem Recht beugen. Oder sie verlassen das Land oder gehen ins Gefängnis. Diese roten Typen werden aus unserem Vaterland verbannt.“

Wie konnte das passieren?

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2007/08 wurden durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) extreme Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse gefahren. Alle Brasilianer_Innen mussten Kürzungen der sozialstaatlichen Mechanismen wie Kranken- und Rentenversicherungen über sich ergehen lassen sowie Erhöhungen von Sozialbeiträgen.

Doch das konnte nicht helfen: Brasilien, ehemals aufstrebende Halbkolonie, ist krisengeschüttelt und hoch verschuldet. Die Politik der Partido dos Trabalhadores (Arbeiter_Innenpartei; im Folgenden: PT) wurde 2006 von der Bevölkerung gewählt in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Diese wurde jedoch enttäuscht. Als regierende Partei schloss sie sich dem neoliberalen Kurs an, der durch den Internationalen Währungsfonds, kapitalgeile Investor_Innen und die Bourgeoisie vorangetrieben wurde. So war sie dafür verantwortlich, dass die Anti-Terror-Gesetze eingeführt wurden, dass mehr und mehr Menschen verarmen und, vor allem in den Favelas (Slums), die Leute ein Gefühl der Unsicherheit verspüren.

Doch das reichte nicht, um Brasilien aus der Krise zu holen. Die brasilianische Bourgeoisie brauchte jemanden, der härtere Maßnahmen gegen die Arbeiter_Innenklasse durchsetzte. Denn diese ließ die Kürzungen nicht unkommentiert stehen. Mit Protesten, massiven Mobilisierungen, Generalstreiks und Besetzungen von beispielsweise Schulen sowie Universitäten versuchten Arbeiter_Innenklasse, Jugendliche und Landlosenbewegung, sich zu wehren. Als Antwort auf die Unfähigkeit der PT-Regierung die Proteste niederzuschlagen, wurde nach einem Korruptionsskandal, der vielmehr Vorwand für einen verfassungsmäßigen Putsch lieferte, Temer als Übergangspräsident eingesetzt. Bei den letzten Wahlen konnte sich dann Bolsonaro durchsetzen, der sich nicht nur positiv auf die Militärdiktatur bezieht, sondern sich auch von Schlägertupps auf den Straßen unterstützen lässt.

Das lag daran, dass in dieser Zeit ein Rechtsruck durch die brasilianische Gesellschaft gegangen ist. So wurden die Mittelschichten durch die andauernd schlechte wirtschaftliche Situation von Bolsonaros populistischer Hetze angezogen, während die PT nicht mit ihrem Spitzenkandidaten Lula antreten konnte und bereits durch ihre vorherige Politik an der Regierung Wähler_Innen aus der Arbeiter_Innenklasse verloren hatte.

Bolsonaros Programm

Auf seiner Agenda für die kommende Zeit stehen zahlreiche arbeiter_Innenfeindliche Punkte und seine Aufgabe besteht darin, die Interessen der brasilianischen Bourgeoisie und ausländischen Investor_Innen durchzusetzen. So hat er als eine seiner ersten Amtshandlungen den Mindestlohn gekürzt und plant, den Regenwald für Agrarflächen freizugeben ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung oder Umwelt. Neben der Schließung des Kultusministeriums sind zahlreiche Entlassungen in Ministerien geplant, besonders wenn die Angestellten nicht auf seiner politischen Linie stehen. Auch die Stärkung der Befugnisse der Polizei, beispielsweise bis hin zu direkten Exekutionen bei Kriminellen ohne vorheriges Gerichtsverfahren, gehört zu seinen Vorhaben.

Zusätzlich sind seine Pläne für ganz Brasilien durchsetzt von Hass auf alle Andersdenkenden, ein Rückschritt für den Kampf um Gleichberechtigung, eine Katastrophe für die Umwelt und die letzten Indigenen in Brasilien und ein Schlag ins Gesicht für alle emanzipatorischen Kräfte.

Situation von Frauen

Diese Angriffe werden nun alle Arbeiter_Innen zu spüren bekommen. Am stärksten davon betroffen werden jedoch die sozial unterdrückten Gruppen sein. Dabei war die Situation für Frauen in Brasilien schon vor Bolsonaro schwierig. So erhalten nach einer Studie des Bundesarbeitsministeriums von 2006 Frauen 19 % weniger Lohn bei gleicher Arbeit und Qualifizierung. Daneben wird die Erwerbstätigkeit der Frauen immer noch als zweitrangig gegenüber Männern betrachtet. Trotz des gleichen Arbeitsvolumens leisten Frauen im Schnitt zusätzlich 28 Stunden häusliche Arbeit pro Woche im Gegensatz zu nur 10 Stunden bei Männern laut Ipea (Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung). Die geschlechterspezifische Arbeitsteilung ist nach wie vor stark verankert: So müssen Frauen nach wie vor einen Hauptteil in der Kinderbetreuung oder der Pflege von kranken Familienmitgliedern übernehmen. Hinzu kommt, dass Kindergartenplätze Mangelware sind und Ganztagsschulen nur für Reiche existieren.

Diese Problematik wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Denn hier kommen gerade Bolsonaros Verbündete ins Spiel. Obwohl Brasilien immer als Bastion des Katholizismus galt, ist bald ein Drittel der brasilianischen Gesellschaft evangelikal. Diese Kirche hat eine riesige Geldmenge zur Verfügung, welche sie im eigenen Interesse nutzt. Nicht nur dass sie über ein riesiges Medienimperium herrscht mit einem eigenen Fernsehsender sowie zahlreichen TV-Prediger_Innen, auch unterstützt sie Bolsonaro argumentativ und sitzen ihre Anhänger_Innen im neu gewählten Parlament. So fordern sie beispielsweise rigorose Abtreibungsverbote, selbst bei Vergewaltigungen. Bolsonaro unterstützen die christlichen, evangelikalen Fundamentalist_Innen ebenso wie Trump, da beide die bürgerlich normative Familienvorstellung wieder in den Vordergrund rücken wollen.

Doch das ist nicht alles. Besonders Gewalt gegenüber Frauen ist in Brasilien ein großes Problem. Laut Statistik wird alle 15 Sekunden in Brasilien eine Frau im eigenen Familienkreis misshandelt. Ipea geht davon aus, dass jährlich mehr als 527.000 versuchte Vergewaltigungen geschehen. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen. So wurde erst 2009 Vergewaltigung als Straftatbestand gesetzlich eingeführt. Davor wurde sie lediglich als eine „Missachtung der Familienehre“ bewertet. Auch die gezielte Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechtes, auch Femizid genannt, ist ein großes Problem. 2013 wurden knapp 13 Frauen am Tag getötet, großteils von Familienangehörigen oder Ex-Partnern. Zwar wurde 2015 dann ein Gesetz zu Femiziden verabschiedet, welches eine starke Erhöhung des Strafmaßes bei häuslicher Gewalt beinhaltet. Es ist aber unter Bolsonaro damit zu rechnen, dass sich die Gewalt gegenüber Frauen verschärft und die bestehenden Reglungen aufgeweicht werden.

Angriffe auf LGBTIAs

Ein großer Dorn im Auge sind dem Staatspräsidenten alle Menschen, die nicht den bürgerlichen, heterosexuellen Idealen entsprechen. LGBTIA-Menschen sind seit einiger Zeit wieder stärker von Aggressionen und Gewalt, verbal sowie körperlich, betroffen. Seit den Wahlen hat sich die Unsicherheit weiter verschärft. Die 2010 gesetzlich verankerte Gleichstellung von homosexuellen Partner_Innenschaften wird aktuell von Bolsonaro und seinen Evangelikal_Innen permanent bombardiert. Daneben läuft eine Hetzkampagne gegen das Adoptionsrecht von Paaren, die eben nicht dem bürgerlich normativen Idealbild entsprechen. Als die Regierung und Rousseff Pläne vorstellten, in denen sexuelle Orientierungen sowie Genderfragen als Teil des Unterrichts eingeführt werden sollten, warf Bolsonaro der Regierung vor, die Gesellschaft „homosexualisieren“ zu wollen. Auf der Agenda der neuen Regierung steht eine Umarbeitung der Lehrpläne. Es sollen jegliche Genderthemen sowie Sexualkunde gestrichen werden, um die Schule vermeintlich als „neutralen Ort des Lernens“ darzustellen. Im vergangenen Jahr wurden laut Schätzungen 300 LGBTIA-Menschen in Brasilien getötet, wobei auch hier eine höhere Dunkelziffer angesetzt werden dürfte. Kurz nach dem ersten Wahlgang wurde die LGBTIA-Kämpferin und brasilienweit bekannte Transgenderkünstlerin Aretha Sadick verbal angegriffen. Nur zwei Tage später, wenige Straßen weiter wurde eine 25-jährige Transfrau brutal ermordet. Augenzeugen berichteten von Männern, die laut schwulenfeindliche Parolen brüllten und „Bolsonaro“ riefen. Die Angst innerhalb der LGBTIA-Community wächst ständig und die Gewalt hat, seitdem Bolsonaro zur Wahl angetreten ist, dramatisch zugenommen. 2017 gab es sogar einen richterlichen Beschluss, welcher Homosexualität als Krankheit darstellt und es Psycholog_Innen erlaubt, Homosexuelle zu therapieren.

Wie gegen Bolsonaro kämpfen?

Nur eine kämpferische Linke kann die Angriffe Bolsonaros und seiner Regierung abwenden. Die fortschrittlichen Teile der Klasse sind jetzt dazu angehalten, sich gemeinsam zu organisieren und dem ekelhaften Bolsonaro einen Riegel vorzuschieben. Dazu brauchen wir eine kämpferische Einheitsfront aller linken Kräfte, die sich auf die Arbeiter_Innenbewegung stützen. Das bedeutet, dass man auch die PT und die CUT (Arbeiter_Inneneinheitskongress), den brasilianischen Dachverband der Gewerkschaften, klar auffordern und zwingen muss, sich zu beteiligen. Denn nur wenn alle linken Kräfte zusammenarbeiten, kann die Arbeiter_Innenklasse die kommende Katastrophe abwenden.

Alle linken Gruppen, Gewerkschaften und Organisationen der Klasse sind dazu angehalten, ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam zu streiken bis hin zum Generalstreik, der die gesamte Wirtschaft des Landes lahmlegt. Dazu braucht es koordinierte Organe, die die Selbstverteidigung organisieren und die Bevölkerung bewaffnen. Das ist die einzige Möglichkeit, um wirklich alle Unterdrückten zu befreien, um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herzustellen und das tradierte, auf ekligen Vorstellungen basierende Ausbeutersystem zu stürzen. Darüber hinaus muss klar sein: Der Kampf um Befreiung ist international! Auch bei uns müssen die Leute solidarisch auf die Straßen gehen. Arbeiter_Innen multinationaler Konzerne, die die brasilianische Regierung stützen, müssen ihre Arbeit niederlegen. Der Rechtsruck ist international und kann auch nur so bekämpft werden. Wenn die weltweite Linke das nicht tut, werden bald nicht nur in Brasilien die Anschläge auf LGBTIA-Menschen massiv zunehmen, werden Frauen immer stärker in ihre alte Rolle zurückgedrängt und alle Andersfarbigen widerlicher Hetze ausgesetzt sein. Nur wir können das Erstarken der Rechten verhindern!

Solidarität mit allen Brasilianer_Innen, nieder mit Bolsonaro! Nur eine geeinte Arbeiter_Innenbewegung hat die Macht, sich und die sozial Unterdrückten zu befreien und wahre Gleichberechtigung herzustellen.

 

Beschäftigungssituation:

http://www.arbeitermacht.de/ni/ni171/brasilien.htm




Lage der Frauen seit der großen Wirtschaftskrise

Katharina Wagner, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Erwerbstätigkeit

1. Die Weltwirtschaftskrise hat den Bereich von Leih- und Zeitarbeit ausgebaut sowie den Beschäftigungsanteil im prekären Sektor. Dies diente dazu, die Kosten, die durch die Finanzkrise entstanden sind, auf die ArbeiterInnenklasse abzuwälzen. Frauen sind davon besonders betroffen. Im Folgenden betrachten wir die Beschäftigungsverhältnisse im globalen Vergleich, um die Stellung von Frauen im Produktionsprozess zu belegen. Diese Betrachtung ist notwendig, um auf etwaige Unterschiede, die die ArbeiterInnenklasse als gesamte spalten, aufmerksam zu machen.

Glaubt man der International Labour Organisation (ILO), so hat sich die weltweite Lage von Frauen in den letzten Jahren leicht verbessert. Noch nie waren so viele weltweit erwerbstätig. Auch die Bildungschancen für Frauen und Mädchen sind gestiegen. Vergleicht man die derzeitige weltweite Erwerbsquote von Frauen von ca. 48,5 % mit dem Anteil von männlichen Lohnabhängigen – dieser betrug 2018 etwa 75 % –, so bleibt weiterhin eine deutliche Differenz bestehen. Dieser Unterschied fällt in Industrieländern wie etwa Deutschland noch relativ gering aus, ist aber in sog. Schwellenländern (entwickelten Halbkolonien wie z. B. Brasilien, Indien) ausgeprägt. In Entwicklungsländern hingegen ist die Differenz in der Erwerbstätigkeitsquote zwischen Männern und Frauen am geringsten. In diesem Fall ist dies aber eher als Indikator für fehlende soziale Absicherung und Armut zu interpretieren – vergleichbar der Situation im Frühkapitalismus in westlichen Ländern. Das heißt konkret, dass der Lohn des Mannes allein nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren, und alle, also Frauen und teilweise auch Kinder, gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen wie beispielsweise in Pakistan.

Ein generelles Problem, welches weiterhin besteht, ist die größere Bedrohung durch Arbeitslosigkeit für Frauen. Die globale Arbeitslosenquote für Frauen beträgt laut ILO derzeit etwa 6 % und liegt damit um 0,8 % höher als bei Männern. Allerdings liegen die Arbeitslosenquoten für beide Geschlechter in Entwicklungsländern deutlich unter denen der Industriestaaten. Die Prognosen für sog. Schwellenländer wie etwa die arabischen Staaten oder auch Nordafrika gehen von einer zukünftigen Verschlechterung im Bereich der Frauenerwerbstätigkeit in den nächsten Jahren aus [1].

Ein Blick auf die Quoten der Erwerbstätigkeit reicht aber nicht aus. Vielmehr müssen wir uns genauer die jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse ansehen, mit denen Frauen konfrontiert sind.

Seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 hat sich der Anteil der Zeitarbeit in Deutschland von 13,7 % im Jahre 2009 wieder auf das Niveau von vor der Krise (14,5 %) eingependelt. In einigen anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Griechenland ist er dagegen exponentiell angestiegen. Demgegenüber ist der Bereich der Teilzeitbeschäftigung faktisch überall in Europa um 3–5 % angewachsen. In Deutschland beträgt er im Moment rund 29 %. Sind von Zeitarbeit eher die männlichen Lohnabhängigen betroffen, konzentriert sich die Teilzeitarbeit vor allem in Bereichen mit hohem Frauenanteil wie etwa dem Dienstleistungs- oder Pflegesektor.

Zusätzlich sind Frauen weltweit deutlich häufiger unter prekären Bedingungen beschäftigt als Männer. Besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern sind sie mit 46 % bzw. 76 % besonders hoch. Zusätzlich findet die prekäre Beschäftigung, vor allem in Entwicklungsländern, im informellen Sektor statt. Diese beinhaltet das komplette Fehlen von Sozialleistungen oder genereller Absicherung bei Krankheit oder Schwangerschaft [1].

Als wäre das nicht schon mehr als genug, findet man auch doppelt so häufig Frauen wie Männer in der Rolle von HilfsarbeiterInnen im eigenen Familienbetrieb, hier meist ohne schriftliche Verträge und teilweise sogar komplett unentgeltlich. Zwar ist der Anteil der Frauen, die als mithelfende Familienangehörige im Eigenbetrieb arbeiten, in Schwellenländern in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurückgegangen. In Entwicklungsländern jedoch macht er noch immer 42 % der Gesamtbeschäftigung von Frauen aus. Im Vergleich dazu beträgt er bei Männern lediglich rund 20 % [2].

2. Migrantische Frauen verdienen in der Regel schlechter. (Anmerkung: Das gilt in der Regel nicht für weiße Frauen aus imperialistischen Ländern aufgrund der Stellung dieser Länder auf dem Weltmarkt.) Sie haben darüber hinaus mit zusätzlichen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegt Deutschland einen der vorderen Plätze, wenn es um die Integration von MigrantInnen geht. So hat sich beispielsweise die Beschäftigung von im Ausland geborenen Lohnabhängigen zwischen 2006 und 2017 um 7,9 % erhöht und beträgt demnach nun ca. 67 %. Auch die Erwerbslosigkeit von MigrantInnen hat sich in den letzten 10 Jahren auf 6,9 % halbiert [3]. Dennoch liegt sie deutlich über der durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 5,2 % im Jahre 2018 [4]. Auch die Gefahr, in Armut zu leben, ist für MigrantInnen deutlich höher als für „Einheimische“. Derzeit leben rund 21,7 % von ihnen unter der Armutsgrenze, bei den „Einheimischen“ dagegen nur ca. 16,7 %. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen ist die Quote von lohnabhängigen MigrantInnen ohne Berufsabschluss mit 35 % mehr als dreimal so hoch, zum anderen sind rund 40 % für ihren ausgeübten Beruf überqualifiziert und damit deutlich schlechter gestellt als die übrigen Lohnabhängigen. Unter ihnen trifft dies nur bei 20 % zu. Dieser Umstand liegt vor allem an im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen und der mangelnden Anerkennung durch deutsche Behörden. Vor allem Frauen sind davon massiv betroffen, denn bei ihnen ist der „Beschäftigungsabstand“ zur hier geborenen Bevölkerung weit höher als im Durchschnitt aller ZuwanderInnen. Vergleicht man ihre Situation mit in Deutschland geborenen Frauen, wird deutlich, dass sie stärker in Teilzeit und in Bereichen außerhalb ihrer beruflichen Qualifikation angestellt sind [3].

Rolle der Gewerkschaften

3. Weltweit lässt sich feststellen dass es eine Zunahme an Lohnabhängigen gib, sowohl in absoluten Zahlen, als auch im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Gerade im asiatischen Raum ist der Anteil der ArbeiterInnen aufgrund der industriellen Entwicklung rasant gewachsen. (Verglichen mit den 1970er und sogar 1980er Jahren kann man z. B. in Pakistan einen deutlichen Rückgang des Organisationsgrads feststellen. Zwar ist die Zahl der insgesamt gewerkschaftlich Organisierten in einigen Sektoren gestiegen, diese muss jedoch in Relation zu einer bedeutend größeren GesamtarbeiterInnenklasse als in den 1960er und 1970er Jahren gesetzt werden. 2007 waren 1,3 Millionen organisiert, nur rund 2 % aller Lohnabhängigen. In bedeutenden Zweigen hingegen ist der Organisationsgrad aufgrund von Privatisierung und Verkleinerung der Belegschaften in solchen Firmen zurückgegangen.) Das heißt, dass die ArbeiterInnenklasse global wächst, aber ihr Organisationsgrad niedrig ist.

So ist auch in Europa der Anteil der gewerkschaftlich Organisierten generell von rund 40 % in den 1990er Jahren auf ca. 20 % gesunken. In Schweden betrug er 2014 nur noch rund 70 % (Ausgangspunkt 80 % in den 80er Jahren). In Großbritannien ging der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder seit den 80er Jahren auf unter 20 % zurück. Auch Österreich hat einen starken Mitgliederschwund auf knapp 30 % zu verzeichnen. Einzig allein Italien konnte diesen Anteil nahezu konstant bei 40 % halten [5].

Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf die gesamte Mitgliedschaft, sagen daher wenig über die Lage der Frauen in den Gewerkschaften aus. Tatsächlich ist ihr Anteil seit 2005 zwar nur leicht, dafür aber kontinuierlich gestiegen. Er beträgt aber leider mit 33,7 % (Stand 2017) weiterhin nur rund 1/3 aller Mitglieder. Den höchsten Frauenanteil von fast 72 % finden wir bei der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft). Bei ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) ist über die Hälfte der Mitglieder weiblich (52 %) und bei der NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) beträgt er immerhin noch 42 %. Demgegenüber gibt es deutlich geringere Frauenanteile in den anderen Gewerkschaften. Den geringsten finden wir bei der IG Metall mit 18 % [6]. Die oben erwähnten Zahlen beziehen sich aber allein auf die Mitgliedschaft. Betrachtet man dagegen die oberen Hierarchieebenen innerhalb der Gewerkschaften, sind dort immer noch sehr wenig Frauen anzutreffen. Sie sind hier zumeist in Dienstleistungs-, Sekretariats- sowie in politischen ReferentInnentätigkeiten beschäftigt. Sollten sie doch einmal in die entscheidenden Organisationsebenen vordringen, dann eher als Repräsentantinnen für Frauen und Jugendliche oder im Bereich Soziales. Bereiche wie beispielsweise Wirtschafts- oder Tarifpolitik ebenso wie die Betriebsratsarbeit oder die Ortsverwaltungsstellen werden nach wie vor meist von Männern dominiert [7]. Was sagen uns diese Fakten? Sie sind ein Zeichen dafür, dass Frauen in Gewerkschaften immer noch stark unterrepräsentiert sind und dementsprechend ihre Interessen zu wenig berücksichtigt werden. Die Gewerkschaften unternehmen leider immer noch viel zu wenig, um diesen Umstand zu verändern. Nach wie vor verweigern sich Gewerkschaften auch der Aufnahme von Flüchtlingen, worunter auch viele Frauen fallen.

Existierende Lohndiskriminierung

Ein weiterer wichtiger Faktor in Bezug auf Frauenunterdrückung ist die weltweit existierende geschlechtsspezifische Lohnlücke und zwar unabhängig vom Entwicklungsstand eines jeweiligen Landes. In Deutschland beträgt diese im Moment rund 21 %. Als Gründe werden häufig zum einen der hohe Beschäftigungsanteil im Niedriglohnsektor, zum anderen aber auch fehlende Tarifverhandlungen und Mindestlöhne genannt. Und Mutterschaft ist nicht nur ein Nachteil in der Karriereplanung, sondern häufig auch ein Argument von Arbeit„geber“Innen für geringere Bezahlung. Als direkte Folge daraus herrschen eine mangelnde Absicherung und die größere Gefahr von Altersarmut für Frauen [8].

Für die Durchsetzung des Zieles „gleiches Entgelt für Männer und Frauen“ trat am 6. Juli 2017 das Entgelttransparenzgesetz in Kraft. Darin ist verankert, dass Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 MitarbeiterInnen alle 2 Jahre einen individuellen Auskunftsanspruch zu den geltenden Entgeltstrukturen des jeweiligen Betriebes geltend machen können, erstmals seit 6. Januar 2018. Allerdings muss der Anspruch in Textform erfolgen und gilt nur für Beschäftigte des jeweils anderen Geschlechts, welche eine gleiche/gleichwertige Tätigkeit im Betrieb ausüben. Damit soll insgesamt die Durchsetzung eines Anspruchs auf gleichen Lohn unabhängig vom Geschlecht erleichtert werden [9].

Die Kritik am Gesetz kam prompt. So wurde es beispielsweise von der Direktorin des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen, Ute Klammer, als ein „zahnloser Tiger“ bezeichnet. Auch befürchten viele, es verkomme zu einem Bürokratiemonster. Tatsächlich stellt sich aber die Frage, was mit der gewonnenen Transparenz erreicht werden kann. Traut sich „Frau“, gegen einen geringeren Lohn zu protestieren und damit womöglich ihren Job zu riskieren? In einem Interview der Tageszeitung „Neues Deutschland“ bezeichnete die Finanzexpertin Henrike von Platen die Unternehmenskultur als traditionell männlich geprägt. Eine Entgelttransparenz sei von vielen Unternehmungsleitungen schlicht nicht gewollt und werde darum nicht gefördert. In der Tat nahmen bisher recht wenige Beschäftigte dieses Recht in Anspruch. Vor allem Frauen scheuen demnach oft aus Angst vor Nachteilen davor zurück [8].

 Weitere Beispiele für Frauenunterdrückung

4. Der internationale Rechtsruck weltweit bringt einen gesellschaftlichen Rollback mit sich, der die Rechte von Frauen und LGBTIAs angreift. Dieser Rechtsruck ist ebenfalls Resultat der Wirtschaftskrise 2008/2009. Sie hat den Konkurrenzdruck zwischen den imperialistischen Staaten sowie die Konzentration und Zentralisation des Kapitals verschärft. Anders gesagt: Kriegerische Auseinandersetzungen wie in Syrien oder der Ukraine nehmen zu ebenso wie größere Fusionen von Monopolkonzernen. Das hat zur Folge, dass ein Teil der herrschenden Klasse im Wettbewerb untergeht oder zumindest Abstiegsängste hat. Dieser Teil, der sich nicht mehr im internationalen Wettbewerb messen kann, fängt an, eine nationalprotektionistische Politik zu fahren mit dem Interesse, dass der bürgerliche Staat seine Stellung verteidigt. Er will also das Rad der Zeit zurückdrehen und internationalen Produktionsketten nationale Abschottung entgegensetzen. Um dies ideologisch zu rechtfertigen, greift er zur rassistischen, populistischen Hetze. Gleichzeitig ist die nationalprotektionistische Politik auch Ursache für den Rollback, denn die Fokussierung auf den Nationalstaat bedeutet gleichzeitig, dass das Ideal der bürgerlichen Familie stärker wiederbelebt werden muss. Diese dient allgemein im Kapitalismus für die ArbeiterInnkenklasse als Ort ihrer Reproduktion, der größtenteils von Frauen getragen wird. Da die Rechten den Sozialstaat abbauen, muss diese gestärkt werden und mit ihr die geschlechtliche/n Arbeitsteilung und Stereotype. Das hat weitreichende Folgen: Mit dem Erstarken der Rechten steigt auch die Gewalt an Frauen, die Zahl der Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Das liegt daran, dass die Abstiegsängste nicht nur die KapitalistInnen, sondern auch Teile der ArbeiterInnenklasse treffen. Wie oben schon erwähnt, werden, um Unternehmen Kosten der Krise zu ersparen, auch die Arbeitsbedingungen schlechter sowie die Erwerbslosigkeitszahl größer. Das verschärft die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wenn die Rechten dann mit ihrer Hetze erfolgreich sind, werden ihre reaktionären Vorstellungen populärer, die zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse führen und Frauen oder auch MigrantInnen im Produktionsprozess abwerten. Dabei sehen die Zahlen schon jetzt nicht gut aus:

Nach wie vor ist Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung, sei es im häuslichen, beruflichen oder privaten Umfeld. Laut einer repräsentativen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ aus dem Jahre 2004 haben 40 % der Frauen in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Unterschiedliche Formen der sexuellen Belästigung erlebten sogar 58 % der befragten Frauen. Psychische Gewalt in Form von Einschüchterung, Drohungen, Demütigungen oder gar Psychoterror erlitten 42 %. Die Gewalt gegen Frauen wird dabei überwiegend durch (Ex-)Partner der Frauen im häuslichen Umfeld ausgeübt. Vor allem Trennungs- und Scheidungssituationen sind demnach besonders riskant. Besonders gefährdet in Bezug auf Gewalterfahrungen sind laut der Studie Prostituierte, Frauen in Haft, geflüchtete Frauen sowie Migrantinnen, die deutlich häufiger Opfer von körperlicher/sexueller Gewalt werden [10].

Ein Blick auf die Welt offenbart, dass dies ein globales Problem ist. Die WHO hat 2005 eine Studie veröffentlicht, nach der 40–70 % der Morde an Frauen durch deren männliche Partner verübt wurden. Zusätzlich sind Frauen in einigen Regionen von sogenannten Ehren- oder auch Mitgiftmorden bedroht. Schätzungen der UNO gehen davon aus, dass jährlich circa 5.000 Frauen in 14 Ländern zu Opfern werden [11]. Eine weitere Gewaltform gegen Frauen oder in diesem Fall jungen Mädchen stellt die weibliche Genitalverstümmelung dar. Diese betrifft weltweit ca. 130 Mio. Mädchen/junge Frauen. Schätzungen für das Jahr 2017 gingen in Deutschland von rund 58.000 betroffenen und 13.000 bedrohten Mädchen aus [12].

Ein weiterer Bereich der Frauenunterdrückung und der Einschränkung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung stellt die Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch dar. Dieses Recht erfährt immer stärkere Angriffe vor allem aufgrund des stärker werdenden Rechtsrucks und des Erstarkens rechtspopulistischer/nationalistischer Parteien wie der AfD in Deutschland oder der PiS (rechtskonservative Partei) in Polen. In ihnen gibt es eine starke Rückbesinnung auf die Rolle der Frau als treusorgende Mutter und Hausfrau, die auch lieber zugunsten der Reproduktionsarbeit die Erwerbstätigkeit aufgibt. Die logische Konsequenz dieser Politik liegt in der immer stärkeren Einschränkung von nationalen Abtreibungsgesetzen und dem erschwerten Zugang zu Abtreibungen. Nicht nur Spanien hat im Jahre 2013 das Abtreibungsgesetz verschärft. Auch in Polen laufen seit langem Versuche, das schon jetzt sehr strikte Abtreibungsgesetz nochmals zu verschärfen und Frauen damit die Möglichkeit zu nehmen, auf legalem Wege eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Bisher scheiterte dies aber an massenhaften Protesten. Aber auch in Deutschland hat die Debatte um Abtreibungsgesetze neuen Aufwind bekommen, nicht zuletzt durch den prominenten Fall der Gießener Ärztin Kristina Hänel und die Diskussion über den § 219a. Sie bemängelt vor allem den schwindenden Zugang zu Abtreibungskliniken oder entsprechenden ÄrztInnen, aber auch die fehlende Möglichkeit, Betroffene im Vorfeld ausführlich aufzuklären. Denn der obige Paragraph verbietet doch die „Werbung“ für Abtreibungen durch behandelnde ÄrztInnen.

Zum Schluss sei noch kurz auf die Doppelbelastung von Frauen eingegangen, die neben der Erwerbstätigkeit oft die komplette Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen und sich häufig, quasi nebenbei, um kranke und pflegebedürftige Familienangehörige kümmern. Dies erschwert ihnen oftmals auch die politische und organisatorische Teilhabe. Ganz besonders Alleinerziehende kämpfen oft mit fehlenden und teilweise sehr teuren Betreuungsangeboten und unflexiblen Arbeitszeiten.

Kampf für Frauenbefreiung

Wir sehen also, dass Frauen weltweit in vielfältiger Weise diskriminiert, benachteiligt und unterdrückt werden – und dass die kapitalistische Krise, die globale Konkurrenz und der Aufstieg rechter und rassistischer Kräfte dies weiter verschärfen. Aber wie dagegen vorgehen und eine Reproduktion der bestehenden Verhältnisse verhindern? Aus marxistischer Sicht ist die Frauenunterdrückung eng mit dem Patriarchat und dem Bestehen einer kapitalistischen Produktionsweise verknüpft. Genauer gesagt fördert die kapitalistische Entwicklung Frauenunterdrückung und Patriarchat. Daher kann eine vollständige Frauenbefreiung nur in einer sozialistischen Gesellschaft, also nach dem Sturz des Kapitalismus, erreicht werden. Die Frauenbefreiung muss daher mit dem Klassenkampf gebündelt werden. Ein erfolgreicher Kampf gegen den Kapitalismus kann aber nur mit der Gesamtheit der ArbeiterInnenklasse geführt werden, damit ein möglichst hoher ökonomischer und politischer Druck aufgebaut werden kann. Daher ist es wichtig, auch die Männer für den Kampf zur vollständigen Frauenbefreiung zu gewinnen.

Dabei ist es unerlässlich, den Frauen das Bewusstsein zu vermitteln, dass sie einer spezifischen Unterdrückung unterliegen und das Recht auf eigenständige Strukturen und Treffen in Organisationen, Parteien, aber auch Gewerkschaften haben. Zum einen ermöglicht dies ihnen, eigenständig ihre Interessen vorzubringen und entsprechende Forderungen zu stellen. Zum anderen wird dadurch eine Vereinnahmung durch andere Teile der ArbeiterInnenklasse verhindert. Denn auch die fortschrittlichsten Teile der Lohnabhängigen und Gewerkschaftsmitglieder unterliegen doch dem Einfluss einer sexistischen, kapitalistischen Gesellschaft. Gesonderte Treffen ermöglichen es zusätzlich, offen über bestehende Diskriminierungen oder aktuelle Probleme zu sprechen und Lösungen gemeinsam zu erarbeiten. Frauen sollten neben eigenen Organisationsstrukturen auch eigene Propaganda und Agitation betreiben, mit dem Ziel weitere Mitstreiterinnen für einen gemeinsamen internationalen Kampf gegen den Kapitalismus und für die vollständige Frauenbefreiung zu gewinnen!

Wir als MarxistInnen treten daher für eine internationale multi-ethnische, proletarische Frauenbewegung ein mit dem Recht auf gesonderte Treffen in ArbeiterInnenorganisationen und Gewerkschaften.

Dieser Kampf muss sich auch auf ein Aktionsprogramm stützen, um die laufenden Angriffe abzuwehren und eine internationale Bewegung aufzubauen. An dieser Stelle können wir nur einige Aspekte skizzieren und zur Diskussion stellen:

 

  • Gleiche Rechte für alle! Die formale rechtliche Gleichheit wurde zwar in vielen Ländern erkämpft, längst jedoch nicht in allen. Weltweit wird MigrantInnen und Flüchtlingen diese verwehrt, was Frauen und LGBTIA-Menschen besonders hart trifft. Wir fordern die Abschaffung aller diskriminierenden Gesetze, die volle rechtliche Gleichstellung der Frauen und LGBTIA-Menschen!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn für alle Frauen, um ein Mindesteinkommen zu sichern, das die Reproduktionskosten deckt und ein Leben ohne Abhängigkeit vom (männlichen) Partner erlaubt. Die Höhe soll von der ArbeiterInnenbewegung festgelegt und automatisch der Erhöhung der Lebenshaltungskosten angepasst werden. 
  • Kostenloser Zugang zu Gesundheitsversorgung, Pflegeeinrichtungen, Krankenvorsorge und gesicherte Renten für alle Frauen! Wir fordern kostenlose und bedarfsorientierte Kinderbetreuung, öffentliche Kantinen und Wäschereien – um eine gesellschaftliche Gleichverteilung der Reproduktionsarbeiten auf alle Geschlechter sicherzustellen. 
  • Recht auf Scheidung auf Wunsch! Ausbau und Sicherstellung von Schutzräumen für Frauen (wie z. B. Frauenhäuser). Des Weiteren stellen wir die Forderungen nach Abschaffung aller Abtreibungsgesetze auf sowie für kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und das vollständige Recht auf körperliche Selbstbestimmung. 
  • Kostenlose, kollektive Selbstverteidigungsstrukturen, um es Frauen zu ermöglichen, sich selbst vor Übergriffen zu schützen.
  • Um Frauen aufgrund ihrer Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit eine politische Teilnahme zu erleichtern, treten wir zudem für eine Vergesellschaftung sämtlicher Haushalts-, Sorge- und Reproduktionsarbeiten ein.

 

Quellen:

 

[1] https://www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_619785/lang–de/index.htm

[2]   https://www.ilo.org/berlin/arbeitsfelder/frauen-in-der-arbeitswelt/WCMS_619734/lang–de/index.htm

[3]   Tageszeitung Neues Deutschland, Ausgabe 17. Januar 2019

[4]   https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1224/umfrage/

        arbeitslosenquote-in-deutschland-seit-1995/

[5]   https://www.zeit.de/karriere/2014-10/gewerkschaften-mitglieder-weltweit

[6]   https://www.boeckler.de/107622.htm

[7]   http://agf.blogsport.de/images/MaterialFraueninGewerkschaften.pdf

[8]   Tageszeitung Neues Deutschland, Ausgabe 19./20. Januar 2019

[9]   https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/lohngleichheit-neues-zum-entgelttransparenzgesetz_76_398490.html

[10] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/lebenssituation–sicherheit-und-gesundheit-von-frauen-in-deutschland/80596

[11] http://www.bpb.de/izpb/8344/situation-der-frauen-und-kinder?p=all

[12] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/weibliche-beschneidung-genitalverstuemmelung-muenchen-hilfe-1.4188021




Hände Weg von Venezuela!

von Christian Mayer

Am 23. Januar 2019 erklärte sich der Parlamentspräsident Juan Guaido zum Präsidenten von Venezuela. Dies geschah allerdings ohne demokratische Legitimierung wie etwa durch Wahlen. Warum wir dies als Putschversuch ansehen, soll der folgende Artikel klären.

Vorgeschichte

Nachdem im Jahre 2013 der langjährige Präsident Venezuelas, Hugo Chavez, an Krebs verstorben war kam es zu Neuwahlen, wie es die venezuelanische Verfassung vorsieht. Aus diesen Wahlen ging Nicolas Maduro als Sieger hervor. Beide Präsidenten, sowohl Chavez als auch Maduro, waren bzw. sind Mitglieder der Partido Socialista Unidad de Venezuela (PSUV). Diese Partei hat seit dem Wahlsieges 1998 immer die Regierung gestellt und ist eine der größten Parteien in Venezuela.

Im Jahre 2000 wurde Chavez bei erneuten Parlamentswahlen dann im Amt bestätigt und in dieser Zeit startete er seine „bolivarische Revolution“, welche zum Ziel hatte, Venezuela zu einer Art „Musterstaat für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu machen.

Nach zwei weiteren Jahren versuchten Militärs und rechte Kräfte, Chavez von der Staatsspitze weg zu putschen und durch eine Regierung der nationalen Einheit zu ersetzen. Im Vorfeld dieses Putschversuches kam es zu „Streiks“ der höheren Angestellten und des Managements des venezuelanischen Erdölkonzerns Petrolos de Venezuela (PDVSA) sowie zu einem „Steuerstreik“ der Bourgeosie. Da aber weder die höheren Angestellten als auch die Bourgeoisie für diese Aktionen keinen Rückhalt in der Bevölkerung sowie den Gewerkschaften fanden, scheiterte dieser Putschversuch. Ebenso hatten die Militärs wie auch die rechten Kräfte keine Chance gegen die Bevölkerung, da sich diese hinter Chavez und die PSUV stellte.

Die „bolivarische Revolution“ und ihre Folgen

Aufgrund dieser Ereignisse sah es Chavez als Notwendigkeit an, den Staat nach seinen Vorstellungen umzubauen. Der Erdölkonzern PDVSA wurde kurzerhand verstaatlicht und die Besitzer enteignet, allerdings bekamen sie eine Entschädigung gezahlt. Jedoch beging Chavez während seiner gesamten Amtszeit, die immerhin 15 Jahre betrug, mehrere schwere Fehler.

Der erste Fehler war, dass er sich zwar durch regelmäßige Wahlen im Amt bestätigen ließ, diese aber nur alle vier Jahre stattfanden. Damit war klar, dass er zwar nach den Prinzipien bürgerlicher Demokratie herrschte. Hierbei kann aber keine Rede von tatsächlicher Arbeiter_Innendemokratie sein. Zwar gab und gibt es unterschiedliche Komitees innerhalb der PSUV, die über die letzten knapp 21 Jahre mehr oder weniger die Staatspartei geworden ist, und auch der Gewerkschaften, allerdings sind ihre Mitbestimmungs- und Kontrollmöglichkeiten sehr begrenzt. Regelmäßige wähl,- und abwählbarkeit, welche zwei der zentralen Voraussetzungen für tatsächliche Arbeiter_innendemokratie sind, sind nicht vorgesehen. Dies gilt sowohl für die Komitees als auch für die Regierung selbst.

Der zweite entscheidende Fehler war, die gesamte nationale Wirtschaft mehr oder weniger auf das Geschäft mit Erdöl auszurichten. Es mag in der Anfangszeit des Chavismus durchaus richtig gewesen sein, die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft in Bildung, Infrastruktur und soziale Einrichtungen fließen zu lassen. Das bedeutet aber noch längst nicht, dass man dadurch automatisch den Sozialismus erreicht. Zudem wurde das Szenario eines möglichen, massiven Einbruchs des Ölpreises und die daraus entstehenden wirtschaftlichen und vor allem sozialen Folgen, außer acht gelassen. Wie sich seit nunmehr fast fünf Jahren herausstellt, ist dies ein fataler Fehler und könnte am Ende tatsächlich den Genickbruch für die Maduro-Regierung bedeuten. Dazu später mehr.

Der dritte entscheidende Fehler war die Tatsache, dass die Bourgeoisie nicht enteignet wurde. Wie bereits erwähnt wurde mit PDVSA der größte Konzern und die Haupteinnahmequelle des Landes verstaatlicht wie auch einige andere Betriebe, allerdings gibt es nach wie vor eine Bourgeoisie und somit eine herrschende Klasse innerhalb Venezuelas. Neben der direkten Arbeiter_Innenkontrolle durch Komitees, Räte und Milizen und deren jederzeitige wähl- und abwählbarkeit zeichnet einen nicht bürgerlichen Staat aus, dass die Bourgeosie enteignet und vertrieben ist. Deshalb ist nach unserer Ansicht Venezuela absolut kein Sozialismus (anders als sie es selbst oder manche Linke hier in Deutschland behaupten).

Die Krise

Wie bereits zuvor erwähnt war die venezolanische Wirtschaft hauptsächlich auf den Export des eigenen Erdöls ausgerichtet. Vor der Küste Venezuelas werden die weltweit größten Erdölvorkommen der Welt vermutet, welche sogar größer sein sollen als jene auf der arabischen Halbinsel. Was auf den ersten Blick nach einer verlockenden Aussicht klingt stellt sich allerdings in der jetzigen Situation in der sich Venezuela befindet eher als Fluch denn als Segen heraus. In den Jahren 2014/2015 erlebte der Ölpreis einen massiven Verfall, was mehrere Gründe hatte.

a) begannen die USA im großen Stile ihre Erdölförderung auf dem Festland durch Fracking auszuweiten. Dadurch war es den USA möglich, neben dem Erdöl, welches im Golf von Mexiko vor der südöstlichen US-Küste sowie jenem Erdöl, was in Alaska gefördert wird, eine dritte große Förderquelle aufzutun. Dadurch wurde der weltweite Ölmarkt mit billigem Erdöl „geflutet“, was zu einem Überangebot und einem Preisverfall führte.

b) gab es nach langen und zähen Verhandlungen im Jahr 2015 den Durchbruch für einen Deal mit dem iranischen Mullah-Regime. Dieses durfte sein Atomprogramm offiziell durchführen, allerdings nur zu zivilen Zwecken (Deckung des eigenen Energiebedarfs, Export von Stromüberschüssen, Einsatz in der Nuklearmedizin). Ein weiterer Bestandteil dieses „Atom-Deals“ war die Vereinbarung, dass der Iran zukünftig wieder Erdöl auf den Weltmarkt exportieren darf. Daraufhin verkündete der zuständige Ölminister, dass man damit beginnen würde, die Erdölförderung hochzufahren und als Ziel die tägliche Förderung von 1 Million Barrel Erdöl (entspricht 159 Millionen Litern Erdöl) ausgab. Dies führte wiederum zu Protesten anderer OPEC-Staaten (Saudi-Arabien, Venezuela), welche ihr eigenes Fördergeschäft langfristig in Gefahr sahen.

Daraus ergab sich, dass die weiteren OPEC-Staaten und auch andere Erdölförder- und Exportstaaten ihre Förderung hochfuhren was den Preisverfall beschleunigte. Zwischenzeitlich stürzte der Ölpreis auf knapp 20 US$ pro Barrel ab und der Erdölmarkt war vollkommen übersättigt.

Aufgrund dieser Tatsachen geriet die venezolanische Wirtschaft in eine massive Schieflage. Nicht nur, dass die Haupteinnahmequelle plötzlich vor dem kompletten Verschwinden stand, sondern auch die dringend für den Import benötigten Devisen. Lebensmittel, Medikamente usw. wurden in Folge extrem teuer. Dazu kam, dass die venezolanische Währung in den letzten Jahren ebenfalls massiv an Wert einbüßte was die Situation noch zusätzlich verschärfte. Die Hyperinflation beträgt inzwischen nach Schätzungen des IWF mehrere tausend Prozent; die Armutsquote hatte 2016 bereits einen Stand von fast 80% erreicht.

Widerstand gegen Maduro

Aus dem obigen Szenario entwickelte sich seit 2014 eine massive Widerstandsbewegung gegen den seit 2013 amtierenden Präsidenten Maduro. Zeitweise gingen die Proteste schon in Richtung eines reaktionären Bürgerkrieges, da die staatlichen Repressionsorgane, allen voran Polizei und Armee, massiv gegen diese Bewegung vorgingen.

Es wäre allerdings ein fataler Fehler der Linken weltweit, sich mit dieser Bewegung solidarisch zu erklären. Diese Bewegung wird zwar von der venezolanischen Opposition angeführt, besteht aber im Großteil aus Vertreter_Innen der Bourgeoisie und rechten Kräften. Als sich nun am 23. Januar, dem Jahrestag des großen Aufstandes gegen die Militärdiktatur, der Parlamentspräsident Juan Guaido zum Interimspräsidenten erklärte, kam es zu massiven Auseinandersetzungen.

Dieses Vorgehens des Parlamentspräsidenten ist ein eindeutiger Putschversuch, dem es an jeglicher demokratischer Legitimierung fehlt und der entschieden zurückgewiesen werden muss. Jener Putschversuch hat auch internationale Auswirkungen, da sich die rechten Regierungen des südamerikanischen Kontinents, allen voran der Halbfaschist Bolsonaro (siehe hierzu http://onesolutionrevolution.de/was-ist-halbfaschismus/) aus Brasilien, mit Guaido solidarisch erklärten und seine „Präsidentschaft“ anerkennen.

Natürlich lassen in solchen Momenten, wenn es gegen eine, wenn auch sehr verkümmerte, linke Regierung geht, die imperialistischen Kräfte nicht lange auf sich warten. Allen voran Donald Trump und mit ihm stellte sich die US-Bourgeoisie hinter den Putschversuch. Logisch, schließlich will der US-Imperialismus in seinem lateinamerikanischen „Hinterhof“ Ruhe und Ordnung haben, um ungestört weiter Profite abgreifen und die Bevölkerung terrorisieren zu können. Nicht umsonst drohte Trump mehrfach wiederholt mit einer direkten militärischen Intervention in Venezuela.

Und wo schon ein Imperialist sein Unwesen treibt, da lassen andere auch nicht lange auf sich warten. So erklärte das Imperialistenpack der EU unter Federführung des deutschen Imperialismus dann auch gleich seine Unterstützung für den Putschversuch. Zu was so eine Unterstützung führen kann sehen wir, wenn wir mal einen Blick in Richtung Ukraine werfen, wo sich 2014 ebenfalls ein proimperialistischer Oligarch mit Hilfe von Faschistenbanden und der versteckten Unterstützung durch den US-Imperialismus an die Macht putschte. Deswegen fordern wir: Hände weg von Venezuela!

Gleichzeitig ist es aber nicht ausreichend, nur seine Solidarität mit dem venezuelanischen Volk zu bekunden und sich auf die illegitimität des Putschversuches zu beschränken wie es manche linke Gruppe nun tut. Auch eine „Regierung der revolutionären Volkseinheit“ kann nicht Erfolgreich sein, wenn sie sich nur auf den nationalen Kampf und Appelle an die Staatspartei beschränkt.

Vielmehr muss in Venezuela der Prozess der Gründung einer revolutionären Partein vorangetrieben werden, diese muss sich als reine Arbeiter_Innenpartei ausrichten und alle bürgerlichen Elemente aus sich verdrängen. Mit der linkspupulistischen PCV( der kommunistischen Partei Venezuelas), eine Front von Arbeiter_Innen, Bauern und liknsnationalen Teilen der Bourgeoisie ist, ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Nur so kann ein erfolgreicher Kampf gegen die bonapartistische Regierung Maduros geführt werden.

Dabei ist es wichtig, den Kampf international zu führen. Das bedeutet für Linke und Revolutionär_Innen vor allem folgendes:

  • Kampf gegen jegliche imperialistische Intervention! Falls es zu einer militärischen Intervention kommt, muss umgehend zum Streik und zu anderen militanten Aktionen gegen diese Intervention sowie für die Niederlage des intervenierenden Imperialismus offensiv eingetreten werden. Selbiges gilt natürlich auch, wenn mit Imperialisten verbündete Regionalmächte intervenieren wollen.
  • Internationale Solidarität praktisch werden lassen! Organisierung von Solikomitees und Soliaktionen, überall auf der Welt. Zeigt der venezuelanischen Bevölkerung, dass sie mit ihrem Kampf gegen imperialistische Aggressionen nicht alleine dasteht!

Die oben genannten Punkte sollten eigentlich selbstverständlich für Linke und Revolutionär_Innen sein, wie uns die Geschichte schon oft genug gelehrt hat. Wer sich als Revolutionär_In auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bezieht, für den sollte praktische internationale Solidarität sowie eine klare Ablehnung imperialistischer Interventionen eigentlich zu den politischen Basics gehören ebenso wie eine notwendige, fundierte Kritik an der verfehlten Politik der PSUV.

Nicht zuletzt sollten solche Revolutionär_Innen, wie die der DKP und der SDAJ, sich nicht bloß auf Appelle beschränken, sondern einen klaren Weg zur sozialistischen Revolution aufzeigen. Dazu gehört es auch, immer wieder darauf hinzuweisen, dass eine Bourgeoisie entschädigungslos enteignet und zum Teufel gejagt werden muss. Genauso gehört es zum 1×1 einer jeden Revolutionärin/eines jeden Revolutionärs, dass direkte Arbeiter_Innendemokratie immer das oberste Prinzip sein muss, mit anderen Worten, das Eintreten für jederzeitige Wähl-und Abwählbarkeit von verschiedenen Strukturen, sowie eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Basis. Das sind die Lehren, die uns Lenin und Trotzki aus der Oktoberrevolution sowie Luxemburg und Liebknecht aus der Novemberrevolution mit auf den Weg gegeben haben und nicht die verkorkste Bürokratisierung der Strukturen a la Stalin, der immer noch völlig unverständlich innerhalb der hiesigen wie auch der internationalen Linken für derartigen und ähnlichen Schwachsinn abgefeiert wird.