Mandelas Erbe – Militanz gegen Rassismus

Am 5.Dezember 2013 verstarb Nelson Mandela im Alter von 95 Jahren. Als Kommunist, politischer Häftling, Kämpfer gegen die Apartheid und erster farbiger Präsident Südafrikas war er eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Geschichte Afrikas. Als wesentlicher Bestandteil der Anti-Apartheid Bewegung gehörte er zu denen, die mit Vehemenz gegen Rassismus und für die Befreiung der farbigen Bevölkerung in Südafrika kämpften.

Sein antirassistischer Kampf traf bei dem Großteil der etablierten Politik Südafrikas und der nach wie vor mächtigen imperialistischen Kolonialmacht Großbritannien auf heftige Ablehnung. Margaret Thatcher bezeichnete Mandela und den ANC als Terroristen. Studentische Anhänger der Tories trugen auf ihren T-Shirts die Aufschrift „Hang Mandela! “.

Plakat den Tories nahestehender Student*innenPlakat von den Tories nahestehenden Student*innen

Umso verwunderlicher sind die Worte die David Cameron, ebenfalls Tory, der an Thatchers Grab bittere Tränen vergaß, in „Trauer“ um Mandela findet. Cameron, Premierminister Großbritanniens, verantwortlich für Flüchtlings- und Migrationsabwehr nennt Mandela einen Helden.

Auch die deutsche Politik zeigt an Mandelas Grab ihre Heuchlerische Fratze. Angela Merkel (Skiunfallopfer und Kanzlerin) sprach davon wie Mandelas gewaltloser Widerstand sie inspiriert habe. Ganz abgesehen davon, dass der Kampf gegen die Apartheid aus der Notwendigkeit heraus nicht der Naivität des Pazifismus aufgesessen war, stellt sich die Frage warum Merkels Regierung dann im eigenen Land widerlichsten Rassismus akzeptiert und ausübt. Franz Josef Strauß warnte sogar vor Abschaffung der Apartheid.

Auch wenn -nicht zuletzt dank Mandela- die Apartheid heute formal abgeschafft ist, sind die Unterschiede zwischen der schwarzen und weißen Bevölkerung Südafrikas immer noch gravierend.33% der Bevölkerung sind erwerbslos, die oberen 10% der Bevölkerung verfügen über deutlich mehr als die Hälfte des Wohlstands, Südafrikas Wirtschaft wurde den globalen Weltwirtschaftsakteuren auf Kosten der schwarzen Arbeiter geöffnet und die bürokratische Elite des ANC stieg in Bourgeoise auf. Obwohl der Kampf gegen die Apartheid auch ein Kampf gegen die miserablen Arbeitsbedingungen, die von weißen Kapitalist*innen diktiert wurden blieb diese alte Elite während und nach der Präsidentschaft Mandelas frei von Konsequenzen, wie z.B. einer umfassenden Enteignung und der Etablierung von Räten und Fabrikausschüssen der farbigen Bevölkerung.

Besonders die Minenarbeiter (beinahe ausnahmslos dunkelhäutig) symbolisieren die Kontinuität des gesellschaftlichen Rassismus in Südafrika. Während Cynthia Caroll, Chef des Angelo American Mining Konzerns 2,2 Mio. Pfund und sein Konkurrent Ian Farmer 1,2 Mio. verdiente, schufteten die schwarzen Arbeiter in Minen unter akuter Gefahr für einen lächerlichen Lohn.

Polizei geht gegen streikende Minenarbeiter*innen vorPolizei geht gegen streikende Minenarbeiter*innen vor

Die Seilschaften zwischen ANC und den Kapitalist*innen wie Farmer und Caroll sorgten dafür, dass die Arbeiterschaft Südafrikas sich im Arbeitskampf nicht auf ihre Gewerkschaften verlassen konnte und kann sondern zu anderen Mitteln greifen musste und muss. Während die Kapitalist*innen immer stärker nach den Edelmetallen in Südafrikas Erde gierten regte sich unter den Arbeitern der Widerstand – Streik! Von der Bürokratie unabhängig organisierten die Kumpel 2012 zahlreiche militante Streiks und Grubenbesetzungen. Die immer noch wegen ihrer rassistischen Übergriffe und Brutalität gefürchtete Polizei ging nun unter einer schwarzen Regierung gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter vor, die schon 20 Jahre zuvor auch mit Gewalt ihre Minen, Familien und Viertel gegen diese rassistischen Schlägertruppen verteidigten. Am Ende sind 48 Arbeiter*innen tot.

Zwei Sachverhalte müssen klar werden:

  • Rassismus und Kapitalismus sind untrennbar mit einander Verbunden. Malcom X, ebenfalls militanter Antirassist, sagte einmal „You can not have Capitalism without Racism“. Das Land von Malcom X, die USA, sind dafür ein weiteres Beispiel – Obwohl die Bürgerechtler*innen um Martin Luther King Bürgerrechte für alle erkämpft hatten bleibt eine extreme der hispanischen und afroamerikanischen Bevölkerungsteile im „Land of the Free“, auch wenn Obama die Selbe Hautfarbe wie die Opfer rassistischer Polizeigewalt hat.
  • Pazifismus ist keine Lösung. Gewaltlosigkeit mag ein hohes und achtenswertes Ideal sein. In der Praxis bietet sich aber für eine pazifistische Bewegung mit dem Ziel Kapitalismus und Rassismus abzuschaffen ein enormes Problem: Die Gegenseite, die Kapitalist*innen und ihre Henker, halten nichts von Gewaltlosigkeit. Zum Erfolg einer sozialen Bewegung gehört es also auch physisch den Gegner, falls nötig, zu attackieren. Ohne Verteidigungsorgane der Arbeiter*innen und Diskriminierten wird jede Bewegung schnell in ihrem eigenen Blut unter gehen.

Daher fordern wir:

  • Keine Illusion in die Instrumente bürgerlicher Herrschaft: Polizei und Armee stehen der Sicherheit im Wege!
  • Organisierte Selbstverteidigung als Schutz vor Angriffen und als politischer Faktor!

Ein Artikel von Flo Wasser, REVO Zülpich




Refugee Protest Camp Vienna: Jetzt oder nie!

Seit vor etwas mehr als einem Jahr das Refugee Protest Camp Vienna (RPCV) nach einem Fußmarsch von Traiskirchen aus im Votivpark Zelte aufschlug waren die Kämpfe der Flüchtlinge das bestimmende Thema für revolutionäre Politik in Wien. Während sich die Flüchtlinge durch den Winter quälten, Rechtsradikale die Votivkirche „gegenbesetzten“ und die Bewegung schließlich erst aus der Kirche und dann aus dem Ausweichquartier Servitenkloster vertrieben wurden warf sich immer wieder die Frage auf: Können wir gemeinsam den Kampf gegen Rassismus und Abschiebungen gewinnen? Und trotz regelmäßigem Versagen der „Linken“ bei der Mobilisierung für Aktionen, einer Innenministerin die die Aktivist_innen als „brutale Schlepperbande“ verleumdete und konstanter Medienhetze aus allen Richtungen kämpft die Bewegung noch. Doch nach einem Jahr, vier Quartieren und mindestens 8 Abschiebungen ist klar: Etwas muss sich ändern, damit hier noch gewonnen werden kann.

logo_kein_Mensch_ist_illegal 2

Wir von REVOLUTION waren seit der Besetzung der Votivkirche aktiv im und um das Refugee Protest Camp Vienna aktiv, haben zu den Aktionen mobilisert, an einigen Plena teilgenommen und uns an der Verteidigung der Votivkirche gegen die rechtsradikalen „Identitären“ beteiligt. Eine der größten Stärken der Bewegung ist es, dass sie es geschafft hat den wichtigen Kampf von Flüchtlingen gegen staatlichen und alltäglichen Rassismus den meisten politischen Aktivst_innen ins Bewusstsein zu rufen. Größere und kleiner Mobiliserungen, gelungene und weniger gelungene taktische Schritte gegen staatliche Repression und rechte Hetze wurden zum Teil auch von linken Organisationen und Aktivst_innen unterstützt und weitergetragen, die Bewegung selbst machte es Betroffenen und Supporter_innen bis zu einem gewissen Grad möglich, gemeinsam politisch zu arbeiten.

Die Strukturen, die sich herausgebildet haben waren jedoch nicht in jeder Situation ideal: Gerade die langwierigen Plenumssitzungen und manche scheinbar unkoordinierten Aktionen machten es neuen Aktivist_innen und interessierten Supporter_innen schwierig, ihren Platz in der Bewegung oder auf den Aktionen zu finden. Eine demokratischere Form mit gewählten und jederzeit abwählbaren Aktivst_innen, die Aktionen vorbereiten und die Ergebnisse der verschiedenen Arbeitsbereiche und Arbeitsgruppen zusammentragen und die Umsetzung koordinieren wären dringend nötig. So könnte auch Verwaltungsarbeit transparent aufgeteilt werden, die sonst immer an denselben Aktivist_innen hängen bleibt. Wir glauben, dass eine demokratische und klarere Struktur die Kämpfe und Mobilisierungen nur stärken können.

Die erfolgreichen Aktionen der Bewegung haben jedoch vor allem von erfolgreichen Mobilisierungen und gelebter Solidarität gelebt. Das es nicht gelungen ist, diese Menschen dazu zu bewegen das RPCV längerfristig zu unterstützen und wichtige Aktionen wie die Kämpfe gegen die Abschiebungen Anfang August oder die Demonstration in Traiskirchen zum Jahrestag mitzutragen, das ist vor allem die Schuld der linken Organisationen. Auch wenn einige sich ihren Möglichkeiten entsprechend im Protest engagiert haben gelang es nicht, die gemeinsame Mobilisierungskraft und Erfahrungen zusammenzuschließen. Es wäre wichtig, Solidaritätsstrukturen an Schulen, Universitäten und im direkten Umfeld von Aktivist_innen zu schaffen die die Bewegung direkt unterstützen können, ohne direkt Teil davon zu sein. Wir schlagen vor, solche Solidaritätskomitees aufzubauen und mit Informations- und Mobilisierungsmaterial zu unterstützen. Die Vorgehensweise der Komitees könnte durch eine gewählte und abwählbare Delegiertengruppe koordiniert werden. Auch wäre es wichtig, andere fortschrittliche Kämpfe mit der Bewegung der Flüchtlinge zu vernetzen. Vor allem die Strukturen gegen den rechten Akademikerball im Januar („Offensive gegen Rechts“ und „noWKR“) sind hier gefragt, den Schritt auf die Bewegung zu zu machen um Antirassismus und Antifaschismus Hand in Hand gehen zu lassen. Auch in anderen Fällen kann und muss der Kampf gegen Ausgrenzung mit den Auseinandersetzungen beispielsweise an den Schulen und rund um das Lehrer_innendienstrecht verknüpft werden.

Nach dem Erfolg der „Rise Together!“ Konferenz im September müssen wir auch eine Aktionskonferenz zur Perspektive und vor allem zum politischen Programm der Bewegung organisieren. Denn wenn ein Jahr offenen Kampfes eines gezeigt hat, dann dass es sich bei den Ungerechtigkeiten im Asylsystem nicht um „Fehler im System“ handelt sondern um kapitalistische Ausgrenzungsmechanismus. Rassismus, also das Überausbeuten einer Gruppen aufgrund ihrer Herkunft ist ein Spaltungsmechanismus im Kapitalismus, der einem gemeinsamen Widerstand auf zwei Arten entgegenwirkt. Auf der einen Seite werden Unterdrückte verschiedener Herkunft gegeneinander aufgehetzt, um den Widerstand zu schwächen. Und auf der anderen Seite werden die „privilegierten“ Staatsbürger_innen an den Extraprofiten aus der Überausbeutung anderer Länder oder ihrer migrantischen Kolleg_innen minimal beteiligt. Viele der Flüchtlinge, die jetzt an den Grenzen der „Festung Europa“ mit Drohnen und Militärschiffen vertrieben werden sollen oder in den europäischen Ländern unter dem täglichen Rassismus leiden kommen außerdem aus Teilen der Welt, in denen Krieg oder Regimes herrschen. Diese Kriege, wie zum Beispiel in Afghanistan werden aber zum größten Teil zum Vorteil der Länder geführt, die die Flüchtlinge jetzt um ihr Recht zu Bleiben betrügen wollen!

Der Kampf gegen Abschiebungen ist also notwendigerweise ein Kampf gegen das kapitalistische System: Gegen ein System von Ausbeutung, Unterdrückung und Ausgrenzung. Gegen imperialistische Kriege und wirtschaftlich kolonialisierte Länder, gegen Stacheldraht an den Grenzen und gegen staatlichen Rassismus. Diese Mechanismen und wie sie angegriffen werden können muss eine solche Konferenz thematisieren, so wie der Aktivismus der RPCV sie seit seinem Bestehen frontal angreift.

We demand equal rights!

Ein Artikel von REVOLUTION Austria www.onesolutionrevolution.at




„Government Shutdown“ wegen „Obamacare“

Das neue Haushaltsjahr begann für die USA mit einigen Schwierigkeiten. Da am Stichtag 1. Oktober die Haushaltsmittel noch nicht vom Kongress bewilligt waren, mussten am nächsten Tag rund 800.000 Staatsbedienstete in unbefristeten, unbezahlten Urlaub geschickt werden. Touristische Ziele wie Nationalparks und die Freiheitsstatue blieben geschlossen, die Zollstellen arbeiteten mit halber Besetzung, Gerichtsverhandlungen und andere Verfahren der US-Bürokratie mussten verschoben werden unangetastet blieben jedoch beispielsweise Polizei, Geheimdienste und Teile des Militärs. Problematisch wurde es außerdem für diverse Rüstungskonzerne wie BAE Systems und United Technologies, welche das US-Militär direkt beliefern, aber auch für andere Unternehmen (z.B. Boeing, Airbus), die aus den USA exportieren. Bei allen gingen tausende Angestellte ohne Gehalt nach Hause und auf Grund fehlender Dokumente und einem verzögerten Zollverfahren wurden hohe Profiteinbußen verzeichnet, was sich auch an der Börse bemerkbar machte. Die Schätzung der Schäden des insgesamt 16 Tage andauernden Shutdowns liegen bei 24 Milliarden Dollar. Die Gehälter der Beamt*innen sollen nun rückwirkend bezahlt werden. Doch wie kam es überhaupt dazu zu einem derartigen Debakel?

Senat, Repräsentantenhaus und Präsident müssen sich über eine neue rechtliche Grundlage für die Bewilligung von Haushaltsmitteln einigen, wenn die bisherige ausläuft. Der Vorschlag der Demokraten sah eine Anhebung der Schuldengrenze, sowie die Krankenversicherungsreform von Präsident Obama vor. Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus jedoch lehnt „Obamacare“ ab. Die Opposition gibt die damit verbundenen erhöhten Gesundheitsausgaben und Steuererhöhungen als Grund an undwollen verhindern, dass sich der Staat vermehrt in das unübersichtliche Versicherungssystem einmischt. Das wäre ja schon fast Kommunismus. Seit Monaten läuft die Kampagne gegen die Reform, welche den Versicherungsmarkt transparenter gestalten soll. Um diese also zumindest zu verzögern verabschiedeten sie einen Gegenvorschlag und blockierten so die Haushaltsbewilligung. Der Regierungsapparat musste herunterfahren. Hinzu kommt noch, dass ohne eine neue Schuldenobergrenze am 17. Oktober das Maximum der Staatsverschuldung von 16,7 Billionen $ erreicht worden wäre. Ohne die Möglichkeit, neue Kredite aufzunehmen, wäre ein Staatsbankrott unumgänglich gewesen, welcher ein Chaos in Finanzsystem und Wirtschaft ausgelöst und die Situation der Bevölkerung noch verschlimmert hätte.

Nach mehr als zwei Wochen einigten sich Demokraten und Republikaner endlich auf einen Übergangshaushalt. Die Schuldenobergrenze wird soweit angehoben, dass die USA mindestens bis zum 7. Februar 2014 liquide bleiben. Alle lahmgelegten Verwaltungen und Einrichtungen haben mittlerweile ihre Arbeit wieder aufgenommen. Die Republikaner haben eine Verschiebung von „Obamacare“ auf nächstes Jahr und die Abschaffung einer Steuer auf medizinische Geräte erreicht. Als Sieg kann man das jedoch nicht bezeichnen, ein großer Teil der Menschen ist mit dem Vorgehen der Republikaner unzufrieden und gibt ihnen die Schuld an den Auswirkungen der Blockade, wie den nicht erhaltenen Gehältern, der Gefährdung ihrer Arbeitsplätze sowie der gesamten Wirtschaft. Besonders die Tea Party ist laut Umfragen in ihrem Ansehen gefallen, immer weniger Amerikaner*innen haben Illusionen in die Politik der Konservativen. Doch der Shutdown ist auch ein Armutszeugnis für die gesamte amerikanische Regierung und den bürgerlichen Staat an sich. Es wurde wieder einmal deutlich gemacht, dass er unfähig ist, die Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung zu vertreten, nur ein Werkzeug der Kapitalistenklasse darstellt und abgeschafft gehört.

 Ein Artikel von Felix Ernst, REVOLUTION




Lampedusa ist Mord!

Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE /* Style Definitions */ table.MsoNormalTable {mso-style-name:"Normale Tabelle"; mso-tstyle-rowband-size:0; mso-tstyle-colband-size:0; mso-style-noshow:yes; mso-style-priority:99; mso-style-parent:""; mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt; mso-para-margin:0cm; mso-para-margin-bottom:.0001pt; mso-pagination:widow-orphan; font-size:10.0pt; font-family:"Times New Roman","serif";}

Vor wenigen Wochen kenterte ein Boot mit über 500 Flüchtlingen aus Afrika, nur 155 konnten gerettet werden, dies war allerdings kein Unglück, sondern die logische Folge der EU-Außen- und Asylpolitik.

Im Mittelmeer ist das seit Jahrzehnten der
Normalfall. Seit Anfang Oktober gab es 4 (bekannte) weitere Kenterungen mit mindestens 50 Toten. Nach Schätzungen der Hilfsorganisation Fortress Europe kamen allein im Jahr 2011 mehr als 2300 Menschen bei ihrer Flucht in den Gewässern rund um Lampedusa ums Leben. Seit 1994 ertranken mehr als 6800 Flüchtlinge auf dem Weg zur Mittelmeerinsel.

Die Toten werden nicht nur billigend in Kauf genommen, es wird sogar aktive Beihilfe zum Ertrinken geleistet. In Italien und Malta gibt es Gesetze, die es z.B. Fischern verbieten Flüchtlingen zu helfen, es droht eine mehrjährige Haftstrafe. Augenzeugenberichte aus Lampedusa prangern vor allem die Küstenwache an, welche Fischer, die Menschen retteten, behinderten. Für eine Rettungsaktion in 500m Entfernung zur Küste, brauchte es schließlich 45 Minuten bis man sie aufs Wasser ließ und sie bei der Unglückstelle eintrafen. Von der EU-Grenzschutzagentur Frontex ganz zu schweigen. Diese sind zwar auf offenem Meer immer in Aktion, wenn es darum geht, Flüchtlingsboote aufzubringen (stoppen und entern) und ihnen Wasser und Hilfe zu verweigern, vor Lampedusa waren sie und ihre Hightech-Ausrüstungen nicht einmal vor Ort. Nach eigenen (! ) Angaben gibt es jedes Jahr 5 bis 10 Fälle, bei denen Boote in internationalen Gewässern illegal zurückgeschickt werden. Die Dunkelziffer ist nur zu erahnen.

 In Deutschland hat Innenminister Friedrich das Problem freilich sofort erkannt: „Fest steht, dass wir noch stärker die Netzwerke organisierter und ausbeuterischer Schleusungskriminalität bekämpfen müssen“, sagte der CSU-Politiker der „Welt am Sonntag“. Dass Tausende Menschen vor Armut, Bürgerkrieg und politischer, ethnischer oder sexueller Verfolgung fliehen, interessiert also nicht. Dass die BRD nur 1,5 % aller Asylanträge zustimmt, fällt genauso unter den Tisch. Sind die Flüchtlinge aber bis nach Deutschland gekommen, erwartet sie so einiges. Seien es rassistische Angriffe, wie in München oder Berlin Marzahn-Hellersdorf, Verweigerung von Notunterkünften, wie in Hamburg und rassistische Gesetze jeglicher Couleur, sei es die Residenzpflicht, die es Asylbewerbern verbietet ihren Landkreis zu verlassen, Polizeirepression durch ständige Kontrollen von Menschen anderer Hautfarbe rund um Asylheime und Quartiere. Viele Menschen- und Bürgerrechte gelten für Geduldete und AsylbewerberInnen erst gar nicht, z.B. das Recht auf Arbeit oder das passive, wie aktive Wahlrecht.

Die Grundlage für die EU-Grenzpolitik ist das Schengener Abkommen, dass 1995 in Kraft trat, damit wurden die inneren Grenzen aufgehoben, gleichzeitig regelt es die Asyl- und Einwanderungspolitik der beigetretenen Länder. Der Auftrag von Frontex lautet, die Mitgliedsstaaten darin zu unterstützen, die Schengen-Außengrenzen vor „illegalen Aktivitäten“ wie Schlepperei, Drogenhandel oder illegaler Migration zu schützen. Dafür stellen Kommission, EU-Parlament und die Mitgliedstaaten der Agentur mehrere Millionen Euro jährlich zur Verfügung, aktuell sind es ca. 88 Millionen Euro. Seither wird der Kampf gegen Flüchtlinge mit immer perverseren Mitteln geführt, Herzschlagdetektoren, LKW- und Schiffs-Röntgengeräte und Atemluftscanner sind in Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien Teil der Standardausrüstung.

Neben dem Schengener Abkommen sorgt vor allem die Dublin II-Verordnung für soziale Ungerechtigkeit. So ist dadurch geregelt, dass sich alle Länder zwar an der Migrationsbekämpfung beteiligen, die Möglichkeit für einen Asylantrag ist aber nur im Einreiseland möglich. Die meisten Abschiebungen in Deutschland gehen daher nicht zurück in das jeweilige Ursprungsland des Flüchtlings, sondern jede 5. Abschiebung geht nach Italien. Dort, und in anderen Grenzländern der EU landen sie dann in völlig menschenunwürdigen Unterkünften, bzw. Zeltstädten, die viel zu klein sind, meist gibt es nicht einmal sauberes Wasser. Es ist kein Einzelfall, dass Lager, die für 200 Menschen ausgelegt sind von 1000 oder mehr bewohnt werden. Die Lage hat sich in den letzten Jahren so dramatisch verschlechtert, dass selbst deutsche Richter die Abschiebung nach Italien, im speziellen Süditalien, vereinzelt verhindert haben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sagte, nach Auswertung aller vorliegender Erkenntnisse ergebe sich das Bild, „dass Italien trotz vorhandener Mängel und einzelner Missstände über ein funktionierendes Asylverfahren gemäß den Standards der Europäischen Union verfügt“. Es gebe daher keinen Grund, die bisherige Rückführungspraxis zu ändern.

 ALL REFUGEES ARE WELCOME!

Bei allem Respekt für die RichterInnen, die sich vereinzelt über geltendes Recht hinweggesetzt haben, verbessert sich so die Situation leider für nicht einmal ein Dutzend Flüchtlinge und für die auch nur marginal. Deutsche Asylbewerberheime sind meist abgelegen von Innenstadt und Nahverkehr oder auch in Schulen, die z.B. aufgrund wegen Asbestverseuchung schließen mussten, aber für Flüchtlinge, so ist sich unser Innenminister Friedrich sicher, reicht das vollkommen aus.

Also ist es mal wieder an uns, an den RevolutionärInnen, den Jugendlichen und allen Menschen, die sich mit Flüchtlingen und Verfolgten solidarisieren, auf die Straße zu gehen, mit ihnen für unsere Rechte zu kämpfen und den staatlichen Rassismus zu bekämpfen, wo es nur geht.

Kampf dem Rassismus!

Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle, die in Deutschland leben!

Weg mit den Beschränkungen durch Schengen und Dublin II, für offene Grenzen!

Volles Asylrecht für alle Flüchtlinge! Für das Recht der Verwendung der Muttersprache v.a. bei Ämtern, Behörden und Verträgen!Für mehrsprachige Kitas und Schulen durch die Einstellung migrantischer LehrerInnen und ErzieherInnen!

Kostenloser Deutschunterricht für alle MigrantInnen! Für den Kampf gegen Diskriminierung, ob bei der Wohnungssuche, in Gewerkschaften und für die Kontrolle des Asylrechts durch MigrantInnenausschüsse und ArbeiterInnenorganisationen!

Hans Peter Friedrich und Co. nach Süditalien abschieben (entspricht ja EU-Standards)!

Ein Artikel von Carl Marks, REVO Freiburg




„Nationaler Dialog“ auf dem Rücken der Revolution

In Tunesien ist immer was los – nach dem Sturz Ben Alis 2011 und den darauffolgenden Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung kam es immer wieder zu großen Streiks und Demonstrationen – die Mehrheit davon richtete sich gegen die islamistische Regierungspartei Ennahda. Sie bekam bei der Wahl 2011 die meisten Stimmen und stellte somit die Leitung der Versammlung. Jedoch ist sie dem Auftrag der Tunesier*innen, eine neue Verfassung zu entwerfen und Neuwahlen zu organisieren bis jetzt nicht nachgekommen. Die wirtschaftliche Lage des Landes wird immer schlechter, besonders für die Armen werden grundlegende Lebensmittel immer schwerer erschwinglich – zudem steigt der islamistische Terror auf Linke und Oppositionelle, was in den vergangenen Monaten die Massen immer wieder spontan auf die Straße brachte, so im Februar, als Chokri Belaid ermordet wurde, aber auch als Mohammed Brahmi im Juli diesen Jahres vor seiner Haustür auf dieselbe Art und Weise umkam – von bewaffneten Männern auf einem Motorrad erschossen. Beide Male wurde Ennahda von der Öffentlichkeit als verantwortlich erklärt. Wohl um massiveren Druck von der Straße und größere Proteste zu verhindern, einigten sich die hohen Herren der Regierung und Opposition nach monatelangen Verhandlungen nun auf einen „nationaler Dialog“ – unter Einbeziehung aller politischen Lager. Der Fahrplan, der ausgehandelt wurde beinhaltet das Einsetzen einer Technokraten-Regierung, die Fertigstellung eines Verfassungsentwurfs nach einer 4-wöchigen Frist, die Ausarbeitung des Wahlrechts und das Einsetzen einer Wahlkommission.

Der nationale Dialog

Am 25. Oktober gab der Gewerkschaftsverband UGTT bekannt, dass der lange angekündigte „nationale Dialog“ unter seiner Vermittlung begonnen habe. Ministerpräsident Ali Larayedh hat versprochen, drei Wochen später zurückzutreten. Was sich für manche nach einer netten, friedlichen Lösung anhört, kann nichts Gutes bringen – zumindest nicht für die tunesischen Arbeiter*innen. Ein „nationaler Dialog“, der alle politischen und wirtschaftlichen Kräfte der „Nation“ einbezieht, bedeutet die Interessen des Proletariats denen der Bourgeoisie unter zu ordnen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass es ein gemeinsames Interesse aller Tunesier*innen gäbe und ein nationaler Dialog für alle Verbesserungen beinhalte – wie sollen denn Kapitalist*innen dasselbe wollen wie Arbeiter*innen? Und wie lässt sich die Politik der islamistischen Reaktionären mit der der Säkularen vereinbaren? Leider sind die tunesischen Massenparteien, die die Mehrheit der Arbeiter*innen organisieren, eben keine Kampfinstrumente dieser – die UGTT, der größte Gewerkschaftsdachverband, der eine tragende Rolle inden Verhandlungen spielt, sowie die „Arbeiterpartei“ sind reformistische Kräfte, die im Großen und Ganzen bürgerliche Politik mit sozialem Anstrich betreiben. Im Quartett, das sich um die Ernennung einer „neutralen Person“ zur Durchführung des Fahrplans kümmert, sitzen die UGTT, der Arbeitgeberverband UTICA, die Menschenrechtsliga und die Anwaltskammer. Ein bunter Haufen voller Klasseninteressen. Doch genauso wenig wie das Proletariat Hoffnungen in diesen nationalen Dialog setzen sollte, darf es auch keine Illusionen in die kommenden Wahlen haben – selbst die bürgerliche Demokratie (nach „europäischem Vorbild“), welche das halbkoloniale Land noch nie erleben durfte, ist immer noch eine Herrschaftsform der Bourgeoisie, jener, die die Produktionsmittel in den Händen halten – eine Diktatur also gegen die Lohnabhängigen, gegen Arbeitslose, Jugendliche, Frauen und die arme Landbevölkerung.

Kurzum: Die Krise in Tunesien rührt aus tiefen sozialen Widersprüchen in einem halbkolonialen und kapitalistischen Land her und kann nicht einfach beendet werden, indem sich einfach alle an einen Tisch setzen und mal miteinander reden. Die ursächlichen Probleme der Revolution sind nicht gelöst – Jugendarbeitslosigkeit, Polizeirepression, Armut, Verelendung der Massen, die hohe Inflation usw. Doch darum soll es in dem Dialog gar nicht gehen. Man muss also kein Hellseher sein, um das Ergebnis des „nationalen Dialogs“ vorwegzunehmen: die Interessen der Massen werden sich unter die „nationalen Interessen“ unterordnen, und das sind die Interessen der nationalen Bourgeoisie, der Staatsbürokratie und der imperialistischen Verbündeten. Es stellt sich nur die Frage, warum sich auch die mächtige UGTT in den Versöhnungskurs mit Ennahda einreiht, die eigentlich niemand mehr haben möchte.

Die UGTT-Gewerkschaften haben insgesamt etwa 700.000 Mitglieder – gemessen an der Einwohnerzahl Tunesiens von etwa 10 Mio. und am niedrigen Industrialisierungsniveau eine sehr hohe Zahl. Sie hat eine lange Tradition als politisch kämpfende Gewerkschaftsbewegung – unter der französischen Besatzungsmacht ebenso wie unter dem Regime von Habib Bourgiba von 1956 bis 1987. Gleichzeitig waren aber Führende Gewerkschafter*innen mit dem bürgerlichen Staatsapparat verbunden, und besonders unter Ben Ali wurde die UGTT für die Regierung zum Instrument, um die Arbeiter*innenklasse politisch zu kontrollieren. Das konnte aber nicht verhindern, dass regionale Gewerkschaften gegen diese Kontrolle rebellierten, wie 2008 die Rebellion in Gafsa zeigte. 2011 hat die UGTT erst sehr spät die Proteste gegen Ben Ali unterstützt, als bereits absehbar war, dass er stürzen wird – und hat selbst dann noch die letzten verzweifelten Versuche unterstützt, das Regime mit einer „Übergangsregierung“ von Ben Alis Anhängern zu retten, in der 3 UGTT-Vertreter u.a. als Arbeitsminister vertreten waren.

Die Führer*innen der UGTT vertreten nicht die Interessen der Arbeiter*innenklasse, zu oft hat sie diese in ihrem Kampf verraten und an die Regierung oder die Bourgeoisie verkauft und obwohl sie Massendemonstrationen organisierte, doch nie konsequent den Kampf weitergeführt, sondern schlussendlich nur die Arbeiter*innen demobilisiert und deren unabhängige Organisation verhindert. Auch jetzt arbeitet sie für eine Klassenkollaboration, die das Proletariat ruhig stellen, verstärkte Proteste verhindern und das „Nationalbewusstsein“ stärken soll.

Kampf gegen Islamismus

Auch wenn Ennahda einen großen Teil ihrer Anhänger*innenschaft mittlerweile verloren hat, ist das noch nicht das „Ende des Islamismus“ in Tunesien. Seit dem Sturz Ben Alis hat der islamistische Terror massiv zugenommen. Anschläge auf Gewerkschaften, Frauenorganisationen, sowie Linke und Oppositionelle wurden besonders durch die „Liga zur Verteidigung der Revolution“ zu einer tagtäglichen Bedrohung. Diese, aus den in der Revolution entstandenen Nachbarschaftsmilizen hervorgegangenen, militärischen Einheiten stehen Ennahda nahe und sind für einige reaktionäre Attacken verantwortlich, viele Tunesier*innen sehen in ihnen auch die Verantwortlichen für die Morde an Chokri und Brahmi. Auch liefern sich seit einiger Zeit islamistische Rebellengruppen besonders an den Grenzen zu Algerien und Libyen Scharmützel mit dem Militär, wobei immer wieder Soldaten ums Leben kommen. Vor Kurzem gab es sogar einen Selbstmordanschlag, vermutlich durch einen Anhänger der Ansar Al-Scharia (eine der Al-Qaida nahen Terrororganisation) in dem Urlaubsort Sousse und kurz darauf einen gerade noch verhinderten Anschlag in Monastir vor dem Mausoleum Bourgibas. Der reaktionäre Terror wird immer mehr zu einer Bedrohung für die Zivilbevölkerung, aber besonders auch für fortschrittliche Kräfte. Der tunesische Staat muss hilflos zusehen, wie die Wut über den mangelnden Schutz der Bevölkerung mit jedem Anschlag steigt.

Doch der bürgerliche Staat war noch nie und wird niemals ein geeignetes Mittel darstellen um den Islamismus zu unterdrücken oder gar zu zerschlagen. Die Geschichte Nordafrikas und des Nahen Ostens hat uns gezeigt, dass auch ein noch so „weltliches“ bzw. “westliches“ oder mit dem Imperialismus kooperierendes Regime, das islamistische Organisationen radikal unterdrückte und ihre Führungsmitglieder massenhaft verhaften ließ, es doch nie schaffte ihren Einfluss zu brechen, sondern zum Teil genau das Gegenteil erreichte: den Widerstand gegen das Regime anzuführen oder zumindest ein wichtiges Element dessen zu sein. Gleichzeitig bedeuteten diese Verbote islamistischer Kräfte auch immer Verbote fortschrittlicher Kräfte, vor allem revolutionärer und linker Parteien. Und genauso kann der bürgerliche Staat einen Kampf gegen den Islamismus auf einen Kampf gegen den Kommunismus umlegen und Demonstrationen der Arbeiter*innen und Revolutionär*innen mit derselben Legitimation niederschlagen. Stattdessen müssen es die Betroffenen sein, die am meisten unter dem Terror der Reaktion zu leiden haben –Arbeiter*innen und fortschrittliche Organisationen von Frauen_ und Homosexuellen. Die bürgerlichen Parteien und der Staat können noch so radikale Worte gegen die Reaktion fallen lassen, sie haben weder die Macht noch das wirtschaftliche Interesse die Organisierung der Rechten und Faschist*innen tatsächlich zu zerschlagen. Der reaktionären Ideologie muss auch der Nährboden in der armen Bevölkerung entzogen werden, denn sie sind nicht die Erlöser ihres Elends, ihr Ziel ist es, einen religiösen Staat zu errichten, in dem ihre Moralvorstellungen Gesetz sind und die herrschende Ordnung zu sichern. Die Befreiung der Arbeiter*innen und Unterdrückten kann nur das Werk ihrer selbst sein. Genauso muss der Kampf gegen Islamismus letztendlich ein proletarischer sein – der Sozialismus ist der größte Feind der Reaktion, weil er der bürgerlichen Ideologie, egal ob reaktionär oder liberal, das Wasser abgräbt und die arme Bevölkerung unter einem Banner vereint, unabhängig von Religion, Geschlecht oder Herkunft.

Keine Neuwahlen und kein nationaler Dialog können also die politische Farce in Tunesien beenden. Die bürgerliche Demokratie hat keine Antworten auf die politische und wirtschaftliche Krise. Das Land wird vom Islamismus und der imperialistischen Ausbeutung immer mehr zugrunde gerichtet und die Betroffenen sind die Arbeiter*innen, die immer weiter wachsende Armee der Arbeitslosen, die Jugend, die Frauen, die gegen politische und soziale Unterdrückung und Polizeigewalt kämpfen. Die Bürgerlichen haben lange genug geredet und falsche Versprechungen gemacht, es ist an der Zeit ihnen eine proletarische Partei entgegen zu stellen, die die Interessen der Arbeiter*innen konsequent vertritt – eine Partei, die die fortschrittlichsten Teile der Arbeiter*innenbewegung vereint. Die Revolution die 2011 begonnen hatte muss vollendet werden, sie muss das System tatsächlich radikal verändern und die Herrschaft des Kapitals stürzen.

Dazu bedarf es einer Organisierung der Arbeiter*innen und der Jugend in den Betrieben und Stadtteilen, sowie der armen Landbevölkerung, in Räten – um geeint agieren zu können, um einen Generalstreik zu organisieren und selbst zu entscheiden wie lange gestreikt wird um Forderungen durch zu setzen. Eine auf diese Massenbasis gestützte Regierung muss die dringendsten Probleme der armen Bevölkerung bekämpfen – ein Programm gegen Armut muss umgesetzt werden – Beschäftigung der Arbeitslosen für einen fairen Lohn, Einführung eines Mindestlohns und Enteignung der Großgrundbesitzer*innen und Kapitalist*innen, Besteuerung der Reichen – jede*r in Tunesien muss sich ein gutes Leben leisten können, Schluss mit der Bereicherung einzelner, Schluss mit Hungerlöhnen! Außerdem muss sich eine Regierung um die Versäumnisse der angebrochenen Revolution von 2011 kümmern: Schluss mit Polizeigewalt und Repression gegen Aktivist*innen und Arbeiter*innen – die Polizei und das Militär des alten Regimes müssen zerschlagen werden und durch demokratische Milizen der Arbeiter*innen und armen Massen ersetzt werden. Nur diese können auch die islamistischen Banden tatsächlich zerschlagen, die genauso konterrevolutionär und antiproletarisch sind! Die Generäle und Folterknechte in den Gefängnissen sowie alle Hintermänner und die islamistischen Terrorist*innen, die Mörder Belaids und Brahmis, die korrupten Richter sollen mit ihren Verbrechen nicht davon kommen, sie müssen vor ein von den Massen gewähltes Tribunal gestellt und demokratisch verurteilt werden! Verstaatlichung aller Unternehmen unter Arbeiter*innenkontrolle, egal ob tunesisch oder US-amerikanisch oder europäisch. Die Fabriken denen, die darin arbeiten und das Land denen, die es bewirtschaften.

Ein Artikel von Ilona Szemethy, REVOLUTION Wien




Kundus Massaker – Das war Mord!

Seit geraumer Zeit führt Deutschland wieder Krieg. Die Reformen der Bundeswehr ermöglichten es eine Interventionsarmee zu schaffen, die weltweit für wirtschaftliche Interessen eingesetzt werden kann.

Einer der Einsatzorte dieser Armee ist Afghanistan, unter dem Deckmantel der „Friedensmission“ führen westliche Mächte hier einen Krieg um Macht und Profit. Vor allem die Zivilbevölkerung wird zum Opfer des imperialistischen Krieges. Ob Folter durch Amerikanische Soldaten oder Fotos auf denen deutsche Soldaten mit abgetrennten Schädeln posieren, unmenschliche Verbrechen sind an der Tagesordnung.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Geschehnisse am 4. September 2009 am Kundus. Im deutschen Hauptquartier heißt es Terroristen haben zwei Tanklaster gekapert und planen nun mit diesen das Feldlager der Bundeswehr anzugreifen. Besagte Laster sind allerdings längst stehen geblieben und Zivilisten scharren sich um diese um an Treibstoff zu kommen.

347844

Oberst Georg Klein sieht immer noch eine Gefahr in den Fahrzeugen und fordert Luftunterstürzung.

Ohne Rücksicht auf Zivile Verluste, befiehlt er ein Bombardement. Mehr noch: Auf die Frage ob er nun die Fahrzeuge oder die Menschenmenge bombardiert werden sollen befiehlt er explizit auf die Menge zu zielen!

134 Menschen wurden an diesem Tag ermordet.

Doch welche Konsequenzen hatte diese nach dem humanitären Völkerrecht als Kriegsverbrechen einzustufende Tat?

Georg Klein wurde befördert. Der Verteidigungsminister verteidigte das Bombardement als angemessen. 2010 wurden die Ermittlungen gegen Klein eingestellt. Die Hinterbliebenen wurden je Familie mit einer zynisch kleinen Summe von 5000€ entschädigt.

Das Massaker war das größte Verbrechen deutscher Truppen seit 1945 und muss auch als solches bewertet werden!

Stellt euch gegen Krieg und Militarismus, kommt am 30. Oktober alle um 10:30 zum Bonner Landgericht in dem das Verteidigungsministerium auf Schadensersatz verklagt wird! Setzt euch ein für:

  • Angemessene finanzielle Unterstürzung der Familien der Opfer!
  • Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan und allen anderen Einsatzorten!
  • Die Behandlung und Verurteilung Brigadegeneral Oberst Kleins als Kriegsverbrecher!

kundus118_v-grossgalerie16x9

Ein Artikel von Flo Wasser, REVOLUTION Zülpich




Reflektion, Neuordnung, Widerstand – Die Türkei nach dem heißen Sommer

Nach den Ereignissen, die eine unglaubliche Massenbewegung auf die Straße brachten und eine Welle weltweiter Solidarität ausgelöst haben, stellt sich die Frage, wie die Situation der Protestbewegung jetzt aussieht. Millionen von Menschen protestierten von Mai bis August auf den Straßen, um gegen die Bebauung des Gezi-Parks und letztendlich gegen die rigorose Politik der  ultrakonservativen AKP und forderten den Rücktritt des Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan. Doch die Medien interessieren sich wenig für die Einschüchterungskampagne, die Erdogan jetzt gegen seine politischen Gegner fährt.

Aktivisten werden mit Prozessen bombardiert und für die Organisierung der Proteste, oder auch der bloßen Teilnahme, abgestraft. Die Anklage erfolgt wegen unerlaubter Teilnahme an Demonstrationen und unter dem Anti-Terrorparagraphen 3713, Verdacht auf Gründung terroristischer Vereinigung zum Sturz der Regierung, und kann lebenslange Haftstrafen nach sich ziehen. Journalisten, die regierungskritische Arbeit leisten, erhalten Todesdrohungen der Erdogan-Anhänger und werden aus dem Beruf gedrängt – trauriger Höhepunkt ist die weltweit größte Anzahl inhaftierter Journalisten in der Türkei. Wohnungen von StudentInnen werden gestürmt und durchsucht, Fußballfanclubs, die sich an den Protesten beteiligt hatten, mit Repression und Schikane überzogen. Festnahmen von AnwältInnen, BürgermeisterInnen, StraßenverkäuferInnen, politisch Organisierte, kurzum jeder, der es wagte, sich der Regierung in den Weg zu stellen, soll die Repression erfahren. Auch MitarbeiterInnen des Staates, wie etwa LehrerInnen, die zu den Protesten aufriefen oder ArchitektInnen, die an der Stadtplanung beteiligt waren und sich den Plänen der AKP widersetzten, bekamen die Macht der Partei zu spüren: Der Architekten- und Ingenieurskammer entzog man das Recht auf zukünftige Mitsprache beim Stadtbau und unliebsame Beamte wurden strafversetzt.

Trotz des rücksichtsloser Gewalt der Polizei ist die Bereitschaft zum Widerstand ungebrochen - Die gemeinsamen Kämpfe schweißten die Bewegung nur noch mehr zusammenTrotz des rücksichtsloser Gewalt der Polizei ist die Bereitschaft zum Widerstand ungebrochen – Die gemeinsamen Kämpfe schweißten die Bewegung nur noch mehr zusammen

Im krassen Widerspruch dazu steht die Aufarbeitung der Gewalttaten seitens der Staatsorgane, wie der Polizei oder den Sondereinsatztruppen. Trotz 6 Toter DemonstrantInnen, 8000 Verletzter, der Versenkung ganzer Straßenviertel in Wolken von Tränengas, dem Einsatz von Chemikalien in Wasserwerfern und dem direkten, öffentlichen Einsatz hemmungsloser Gewalt auf den Straßen, kommt es nicht zu Prozessen oder Aufklärung der Verstöße, der Misshandlungen und Folter im Gewahrsam. Die Methoden der Polizei werden gedeckt, um weiterhin willfährige Marionetten zu haben, sollten die Proteste wieder an Intensität zunehmen.

Die Größenordnung der Bewegung hat mit aller Deutlichkeit gezeigt, wie viel vorher bedeckter Unmut gegen die Regierungspartei AKP besteht und, dass man nicht mehr bereit ist ihre gewerkschaftsfeindliche, rassistische und autoritäre Politik zu tragen. Die Partei hat es bewusst auf eine Spaltung der Bevölkerung abgesehen, treibt die Aufhebung der Säkularisierung voran und führt einen gezielten Kampf gegen Gewerkschaftsrechte und Tarifverträge.

Doch neben der Trennung des Landes in Anhänger Erdogans und dessen Gegner, bewirkte dieser Kurs auch einiges Positives. Den linken Kräften im Land war es nach langer Zeit möglich, sich wieder ihrer Stärke bewusst zu werden und Erfahrungen in der Organisierung einer Massenbewegung zu sammeln. Die direkte Zusammenarbeit zwischen Kurden und Türken schloss eine Lücke, welche für zukünftige Kämpfe entscheidend sein kann. Viele der beteiligten Personen und Gruppen besitzen nun eine stärkere Vernetzung als jemals zuvor. Gerade  auch Jugendliche, welche einen Anteil von 43% der Bevölkerung ausmachen, zogen wertvolles Wissen aus der Organisierung und erfuhren direkt, wie unumgänglich militante Verteidigung einer Bewegung und des Stadtviertels ist und welche Strukturen dazu benötigt werden. Einen auffällig großen Anteil an den Protesten hatten Frauen, die  besonders von den Angriffen der AKP betroffen sind. Sie sollen in die Rolle als Mutter der Familie gedrängt werden und man will ihnen gezielt die politische Mitsprache verweigern. Da diese Rückkehr zu antiquierten Gesellschaftsbildern für den Großteil der Frauen nicht hinnehmbar ist, waren sie in allen Teilen des Landes in den vordersten Reihen der Demonstrationen und Blockaden aktiv.

 

Die Proteste legten jedoch auch einige Schwächen der Bewegung zu Tage. Viel zu wenig setzte man seine Kräfte auf die Organisierung des Streiks als politisches Druckmittel gegen die türkische Regierung und die EU. Zwar beteiligten sich teilweise über 200.000 TeilnehmerInnen an den wenigen durchgeführten, die Ausrufung des unbefristeten Generalstreiks wurde jedoch gescheut. Bei einer gewerkschaftlichen Organisierung von gerade einmal 10% zeigt sich aber, dass der Streik als Kampfmittel einen deutlichen Rückhalt in der Bevölkerung erfährt und gerade dessen Einsatz gezielt voran getrieben werden sollte, um die Proteste von einer reinen Straßenbewegung hin zu einer Bewegung in den Betrieben und Fabriken des Landes auszuweiten. Nur so kann der Protest in die Offensive gehe, gezielt größere Teile der Arbeiterschaft einbinden und den Staat an seiner Achillesferse treffen; sprich: Ihn, mittels Organisierung der eigenen Versorgung und dem Aufbau von Räten in den Betrieben, wirtschaftlich lahmzulegen.

Anfang September nahmen die Ereignisse in der Türkei wieder an Fahrt auf. Trotz der massiven Einschüchterung beteiligten sich erneut Tausende in verschiedenen Großstädten des Landes. Der Protest entzündete sich an den Plänen der Regierung, in Ankara eine Straße durch den Wald des Universitätsgeländes zu bauen und damit verbundenen Abholzungsmaßnahmen. Einen weiteren Grund stellte der Tod eines jungen Aktivisten in Antalya dar, der an den Folgen eines Kopfschusses mit einer Tränengasgranate starb. Die Beteiligung entspricht jedoch bei weitem nicht den Zahlen von Juni oder Juli. Trotz des unveränderten Vorgehens der AKP hat die Beteiligung der Bevölkerung an den Protesten nur noch einen Bruchteil ihrer anfänglichen Größe. Anfang 2014 stehen jedoch Wahlen an, welche die ungelösten Probleme und Konflikte in der Türkei mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder aufwerfen werden. Die Frage ist: wird die Regierung erneut einen derartigen Konfrontationskurs fahren?

Die Reaktion der AKP auf den Widerstand der Bevölkerung macht deutlich, dass von der Partei kein Einlenken zu erwarten ist. Die Presse wird als Mittel verwendet, Propaganda zu verbreiten und die Bevölkerung im Interesse der herrschenden Klasse gegen bestimmte Gruppen aufzuhetzen – als Reaktion auf die Gezi-Proteste ließ die AKP eine Propaganda-Armee von 6000 Mitgliedern aufstellen, welche speziell Einfluss auf die neuen Medien wie Facebook, Twitter, Youtube oder Instagram nehmen soll.

Es muss sich von der Vorstellung verabschiedet werden, durch Reformen oder Forderungen eine Änderung bewirken zu können, sei es in der Türkei wie auch in jedem anderen Land. Die jahrelange Toleranz der repressiven Politik Erdogans, das Anpreisen seiner Fortschrittlichkeit und das Ziel, diese Politik auch auf andere Länder der Region zu übertragen, zeigen, dass die führenden Nationen des Westens kein Interesse an einer demokratischen Entwicklung haben, sondern glasklar ihre Interessen vertreten sehen wollen – die Interessen des Kapitals. Selbst die heuchlerische Verurteilung des Vorgehens der türkischen Repressionsorgane sollte nur darüber hinweg täuschen, dass man sich einzig und allein Sorgen um die Stabilität des Landes als verlässlichen Partner machte. Wenn die Opposition gegen Erdogan wieder zunimmt und sie Erfolg haben will, wird man nicht um die Frage der taktischen Ausrichtung herum kommen. Wer die Regierung herausfordert, muss ein konkretes Alternativprogramm aufstellen können, statt sich in andauernden Demonstrationen und Protesten zu verlieren. Ohne die Ausarbeitung und Anwendung eines Programms, wird man nie über den Status einer bürgerlichen Protestbewegung
hinwegkommen und kann aller besten Falls die Abdankung eines Ministers erreichen, nicht aber an der Macht der Partei und ihrer Günstlinge rütteln.

Die Überwindung der Verhältnisse in der Türkei ist zwangsläufig mit der Überwindung des Kapitalismus verbunden. Mit einem reformistischen Programm ist nichts zu erreichen, es wird die Bewegung in den Mühlen des bürgerlichen Parlamentarismus untergehen lassen – Die Interessen der Arbeiterschaft sind unvereinbar mit den Interessen eines kapitalistischen Systems.

Ein Artikel von Baltasar Luchs, REVOLUTION Karlsruhe




Wie kann man nur hassen, dass Menschen sich lieben ?! – Homophobie in Frankreich und Russland

Überall auf der Welt sind homosexuelle Menschen von gesellschaftlicher Diskriminierung und staatlicher Repression betroffen. In über 70 Ländern sind homosexuelle Handlungen verboten, in sieben steht darauf sogar die Todesstrafe. Zwar sind in bisher 14 Ländern, darunter auch erzkatholische Staaten wie Spanien oder Portugal, gleichgeschlechtliche Eheschließungen möglich, dennoch spüren gerade homosexuelle Jugendliche, ob in der Schule oder auf der Straße, täglich Diskriminierung und Ausgrenzung. So ist es nicht verwunderlich, dass die Selbstmordrate von homosexuellen Jugendlichen allein in Deutschland 7-mal höher ist als die von heterosexuellen.

Aber was ist eigentlich Homophobie? Unter Homophobie oder auch Heterosexismus versteht man im Allgemeinen die Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bi-Sexuellen und Transgendern. Diese Abwertung von homosexuellen Partnerschaften entspringt historisch aus der Idealisierung der patriarchalen bürgerlichen Familie, welche ursprünglich der Sicherung des angehäuften Kapitals diente. Heterosexismus hat sich aber auch für die herrschende Klasse in kapitalistischen Krisen immer wieder als bewehrtes Mittel zur Spaltung der Arbeiter*innenklasse erwiesen.

In den letzten Wochen und Monaten sind, was das Thema Homophobie angeht, zwei Staaten besonders in den Vordergrund gerückt. Die Rede ist von Frankreich und Russland. Interessant dabei sind auf den ersten Blick die Auslöser für diese reaktionäre Welle.

Die Lage in Frankreich

Eine Demonstration für LGBT Rechte in Paris

Eine Demonstration für LGBT Rechte in Paris

Kommen wir zunächst zu der homophoben Massenbewegung in Frankreich. Am 23. April trat das vom Staatschef Hollands vor der Wahl versprochene Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Kraft. Dieses Gesetz erlaubt

gleichgeschlechtlichen Paaren zu heiraten und Kinder zu adoptieren. Die Verabschiedung dieses Gesetzes sorgte schon im Vorhinein für landesweiten Proteste und Gegenkampagnen. Christliche Fundamentalisten, Faschisten, aber auch

„normale“ Bürger gingen zu Hunderttausenden auf die Straßen um gegen die „Mariage pur tos“, die gleichgeschlechtliche Ehe zu protestieren. Während dieser reaktionäre Mob auf die Straße ging wollten viele ihren Worten auch Taten folgen

lassen. Dabei war nicht jede Aktion so begrüßenswert wie der Selbstmord des faschistischen Publizisten Dominique Venner, der sich aus Protest gegen die Homo-Ehe und einer angeblichen Islamisierung Frankreichs in der berühmten Pariser Kathedrale Notre-Dame erschoss. So stiegen beispielsweise die gewalttätigen Übergriffe gegen Schwule und Lesben in der Folgezeit um mehr als 30%. Trauriges Symbol hierfür ist ein Foto, welches der Niederländer Wilfred de Bruijn (siehe Bild) veröffentlicht hatte, nachdem er in Paris von mehreren Männern zusammengeschlagen wurde. Der Grund für den Übergriff war das Händchenhalten mit einem anderen Mann. Es ist nicht verwunderlich, dass die erste offizielle

gleichgeschlechtliche Ehe nur unter einem massiven Polizeiaufgebot und diversen Sicherheitsmaßnahmen geschlossen werden konnte.

Inzwischen sind die Proteste vorläufig etwas abgeklungen. Was bleibt ist ein tiefer Spalt innenhalb der Arbeiter*innenklasse.

Russland – anderes Gesetz, gleiche Wirkung

Russland gilt schon lange als ein nicht gerade homosexuellenfreundliches Land. Noch unter stalinistischer Herrschaft wurden sexuelle Handlungen zwischen Männern mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder Zwangsarbeit bestraft. Zwar ist Homosexualität seit 1993 legal, dennoch werden homosexuelle Paare von staatlicher Seite nicht anerkannt, Händchenhalten oder Küsse in der Öffentlichkeit sind ein absolutes Tabu. Regelmäßig werden die CSD-Paraden und andere

Angriffe auf Homosexuelle sind in Russland alltäglich.

Angriffe auf Homosexuelle sind in Russland alltäglich.

Demonstrationen für die Rechte von Schwulen und Lesben von Faschisten und der Polizei angegriffen. Diese Art der Diskriminierung schien dem Kreml aber noch nicht auszureichen und so verabschiedete die Duma einstimmig mit einer Enthaltung am 11. Juni eine Gesetz zum Verbot von „Homosexueller Propaganda“. Dieses Gesetz sieht vor, dass jede positive Äußerung über Homosexualität in Gegenwart von Minderjährigen unter Strafe gestellt wird. Somit darf auch im

Fernsehen oder Internet nicht mehr positiv über Homosexualität berichtet werden. Bei Verstößen drohen hohe Geldstrafen (bis zu 25000 Euro) und Ausländern sogar die Ausweisung. Durch dieses Gesetz wird LesBiSchwulen Organisationen ihre Arbeit quasi unmöglich gemacht, Journalisten wird es kaum noch möglich sein, über homophobe Übergriffe zu berichten und eine breite Aufklärung für Jugendlich über Sexualität wird gänzlich wegfallen. Der schlimme Nebeneffekt dabei ist außerdem, dass die neue Bestimmung den homophoben Teilen der Bevölkerung weiteren Rückenwind gegeben hat. Tatsächlich sind die Übergriffe auf Homosexuelle und politischen Aktivist*innen gestiegen. Neben der Regierung liefert auch die Christlich-Orthodoxe Kirche mit ihrer homophoben Propaganda immer wieder den Nährboden für solche Taten. Es ist offensichtlich, dass der Kreml mit der Hetze gegen Homosexuelle von dem eigenen Versagen, Korruption Justizwillkür und weiterem Demokratieabbau ablenken will. Dafür ist der Regierung jedes Mittel Recht.

Wir von REVOLUTION sind gegen Homophobie und Heterosexismus, daher treten wir ein für:

–  Für die Legalisierung und gegen die Diskriminierung von Homo- und Transsexualität!

–  Für einen Aufklärungsunterricht, der nicht vom Heterosexismus geprägt ist!

–  Für das Recht von Homo- und Transsexuellen auf organisierte Selbstverteidigung und auf eigene Strukturen innerhalb der Arbeiter*innenbewegung




Aufbruch und Zerfall – 75. Jahrestag der Gründung der Vierten Internationale

Vor einigen Tagen jährte sich die Gründung der vierten Internationale zum 75. mal. WIr veröffentlichen hier einen Artikel aus der „Neuen Internationale“ der Zeitung der „Liga für die 5. Internationale“, einer internationalen kommunistischen Arbeiterorganisation, mit der wir in politischer Solidarität stehen.

1917 brach in Russland der Sturm der proletarischen Revolution in Europa los. Doch der Verrat der Sozialdemokratie und die politische Unreife und Schwäche des Kommunismus führten zur Isolierung der jungen Sowjetunion.

Das Steckenbleiben der internationalen Revolution führte auch zu einer Verschiebung des sozialen und politischen Kräfteverhältnisses in der Sowjetunion. Eine politische Kaste, die Sowjetbürokratie, konnte sich der Errungenschaften der Oktoberrevolution bemächtigen und die politische Macht monopolisieren. Ihr Aufstieg und ihre Machtergreifung sind untrennbar mit der politischen Degeneration der sowjetischen Innen- und Außenpolitik und der Kommunistischen Internationale (Komintern) verbunden.

Der Internationalismus der frühen Komintern und des Bolschewismus wurde durch Stalins reaktionäre und utopische Politik des „Aufbaus des Sozialismus in einem Land“ ersetzt.

Die Politik der Stalin-Bürokratie schwankte über ein Jahrzehnt lang zwischen rechts-opportunistischen Positionen (z.B. in der chinesischen Revolution) und ultra-linken Phasen (Sozialfaschismus-Theorie). Selbst nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland zeigten sich weder die KPD noch die Komintern zu ernsthafter Selbstkritik fähig.

Stattdessen erfolgte ein krasser politischer Schwenk. War der Stalinismus bis Mitte der 1930er Jahre durch das Schwanken zwischen Reform und Revolution im Weltmaßstab gekennzeichnet, so erfolgte ab Mitte der 1930er mit der “Volksfrontpolitik” der endgültige Übergang ins Lager des Reformismus.

Gegen die Degeneration der Komintern hatte sich schon früh Widerstand formiert. Doch nur die Linke Opposition um Trotzki verfolgte von Beginn an ein Programm zur Wiederherstellung der Komintern auf revolutionärer, leninistischer Basis, was ihre Programmatik und ihr inneres Regime anging.

Die Linke Opposition

Trotzki ging es nicht in erster Linie um Kritik an Stalin, sondern v.a. um die Verteidigung und Weiterentwicklung des politisch-programmatischen Erbes der Kommunistischen Internationale, insbesondere deren erster vier Kongresse.

„Die revolutionäre Politik kann nicht ohne revolutionäre Theorie entwickelt werden. Es geht hier keineswegs darum, ganz von vorne anzufangen. Wir stellen uns auf den Boden von Marx und Lenin. Die ersten Kongresse der Kommunistischen Internationale haben uns ein unschätzbares programmatisches Erbe hinterlassen: die Charakterisierung unserer Epoche des Imperialismus, d.h. des Niedergangs des Kapitalismus; die Natur des zeitgenössischen Reformismus und die Methode des Kampfes gegen ihn; das Verhältnis zwischen Demokratie und proletarische Diktatur; die Rolle der Partei in der proletarischen Revolution; das Verhältnis zwischen der Partei und dem Kleinbürgertum, besonders der Bauernschaft (Agrarfrage); die nationale Frage und der Kampf der Kolonialvölker für ihre Befreiung; die Arbeit in den Gewerkschaften; die Politik der Einheitsfront; die Haltung zum Parlamentarismus usw.; alle diese Fragen waren im Laufe der Arbeit der vier Kongresse Gegenstand von Analysen und prinzipiellen Erklärungen, die in keinem Punkt überholt sind.“ (Trotzki, 17.8.33)

Bis 1933 hatte die Internationale Linksopposition noch den Kampf für die Gesundung der Kommunistischen Internationale ins Zentrum gestellt. Der Sieg des Faschismus zeigte dann jedoch, dass sie als Instrument zum Sturz des Weltkapitalismus vollends verloren und nicht reformierbar war.

Nun wurde der Kampf für den Aufbau einer neuen, Vierten Internationale aufgenommen. Bei aller Verschiedenheit der Aufbauphasen und Taktiken zieht sich ein roter Faden durch die Politik Trotzkis: die Verbindung programmatischer und politischer Unnachgiebigkeit mit taktischer Flexibilität (Blöcke mit nach links gehenden Zentristen, Entrismus in reformistische Parteien, Taktik der Arbeiterpartei …).

Für die Vierte Internationale!

„Wie auch immer eine neue Internationale Form annehmen wird, welche Stadien sie durchlaufen wird, welche abschließende Form sie annehmen wird – das können wir heute nicht voraussagen. Ja, es gibt keine Notwendigkeit, das zu wissen. Das wird die Geschichte zeigen. Aber es ist notwendig, damit zu beginnen, ein Programm zu proklamieren, das den Aufgaben der historischen Epoche entspricht. Es ist notwendig, Mitstreiter auf der Basis dieses Programms zu mobilisieren, die Vorkämpfer einer neuen Internationale. Ein anderer Weg ist nicht möglich.“ (Trotzki, Writings 35-36, S. 159)

Das Programm, so Trotzki, ist die Partei. Es ist die wissenschaftlich begründete Zusammenfassung der bisherigen historischen Erfahrungen der Arbeiterklasse. Es ist ein Programm, das von den objektiven Verhältnissen ausgeht und daraus ableitet, welche Aufgaben die Arbeiterklasse hat, welche Taktiken und Methoden die Avantgarde der Klasse anwenden muss, um die Massen zum Sieg zu führen.

„Was ist nun die Partei? Worin besteht ihr Zusammenhalt? Dieser Zusammenhalt ist das gemeinsame Verständnis der Ereignisse, der Aufgaben; und dieses gemeinsame Verständnis – das ist das Programm der Partei“, so Trotzki.

Ein solches Programm muss nach Trotzkis Auffassung von der objektiven Lage ausgehen.

„Überall frage ich, was sollen wir tun? Unser Programm der objektiven Lage oder der Mentalität der Arbeiter anpassen?“ (Diskussion zum Programm, S. 67)

Trotzki Antwort darauf ist eindeutig, ja kategorisch:

„Jetzt treten die Vereinigten Staaten in eine vergleichbare Lage (wie Europa; die Red) ein, mit vergleichbaren Gefahren einer Katastrophe. Die objektive Lage des Landes ist in jeder Hinsicht und sogar mehr als in Europa reif für die sozialistische Revolution und für den Sozialismus, reifer als die jedes anderen Landes der Welt. Die politische Rückständigkeit der amerikanischen Arbeiter ist sehr groß. Diese ist der Ausgangspunkt unserer Aktivität. Das Programm muss die objektiven Aufgaben der Arbeiterklasse eher ausdrücken als die Rückständigkeit der Arbeiter. Es muss die Gesellschaft widerspiegeln so wie sie ist, und nicht die Rückständigkeit der Arbeiter.“ (Diskussion zum Programm, S. 57)

Trotzki folgt damit dem Gebot von Marx und Luxemburg, dass KommunistInnen ihre Ziele offen und klar darlegen müssen. Es geht darum zu sagen, „was ist“ – was notwendig ist, die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen. Dazu muss sich die Avantgarde der Klasse, müssen sich die bewusstesten Teile des Proletariats in einer revolutionären Partei organisieren – auf Basis eines solchen Programms, das sowohl der Partei (der Führung wie den Mitgliedern) als auch der Klasse die Überprüfung ihrer Politik erlaubt (so wie auch die Partei im Lichte der Erfahrung ihr Programm modifizieren wird).

Für Trotzki ist das Programm eine Anleitung zum Handeln, eine Anleitung, die „Tageskämpfe“ der Arbeiterklasse, ja alle Formen des Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung mit dem Kampf um die Eroberung des Macht zu verbinden. Daher knüpft er an der Methode der Übergangsforderungen an, wie sie schon bei Marx im “Kommunistischen Manifest” erscheinen.

Auch die Kommunistische Internationale hatte nach dem Abebben der Revolution nach 1918/19 begonnen, den Defensivkampf und die Abwehrfront gegen Angriffe der Kapitalisten mit Übergangsforderungen zu verbinden, um so eine Brücke zum Kampf für den Sozialismus zu schlagen.

Unter Übergangsforderungen verstehen wir Forderungen wie „Arbeiterkontrolle über die Produktion” usw., die allesamt in Richtung Schaffung von Doppelmachtorganen (Räte, Arbeitermilizen, Streikkomitees) der Klasse weisen und auf Dauer mit dem Fortbestand des Kapitalismus unvereinbar sind.

Die zentrale Bedeutung der Übergangsforderungen ist im Gründungsprogramm der „Vierten Internationale“ klar dargelegt.

Übergangsmethode

Ein „Übergangsprogramm“ muss sowohl aus aktuellen, unmittelbaren ökonomischen und politischen Forderungen, aus Maximalforderungen wie auch aus Übergangsforderungen bestehen, die eine Brücke schlagen zwischen dem aktuellen Bewusstsein der Klasse, das vorwiegend reformistisch oder gewerkschaftlich geprägt ist, und dem Kampf um die Macht.

Dieser neue Typ von Programm macht jedoch nur aus dem Blickwinkel der sozialistischen Revolution Sinn. Für jeden Reformismus ist die Überwindung von Maximal- und Minimalprogramm sinnlos, da die Machtergreifung ohnedies nicht angestrebt wird.

Ebenso wenig macht es für Sektierer Sinn, die meinen, ohne Taktik, ohne die Heranführung und Gewinnung der Massen in der theoretischen und praktischen Konfrontation mit Reformisten und Gewerkschaftsführern nur durch reine „Kritik“ und „Aufklärung“ die ArbeiterInnen gewinnen zu können.

Programm und Partei jedoch sind Kampfinstrumente, um die Führung der Klasse zu erringen. Dazu ist ein taktisches Arsenal nötig, das den Kampf gegen reformistische, kleinbürgerliche etc. Strömungen (einschließlich einer Bündnispolitik gegen Imperialismus und Kapital) überhaupt ermöglicht.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Gründung der Vierten Internationale war Trotzkis Bestehen darauf, dass die revolutionäre Partei von Beginn an international aufgebaut werden muss. Jedes Warten nach dem Motto „Zuerst nationale Parteien – danach internationaler Zusammenschluss” würde von Beginn an die Gefahr der Nationalborniertheit beinhalten – und damit der Wiederholung der nationalen Anpassung von Sozialdemokratie und
Stalinismus.

Die Gründung

Der Aufbau einer revolutionären Internationale ergibt sich also folgerichtig aus dem Charakter des Imperialismus, als Niedergangsstadium, als Übergangsepoche vom Kapitalismus zum Sozialismus. Das Proletariat kann zwar in einem oder einer Reihe von Ländern siegen – der Übergang zum Sozialismus, zur klassenlosen Gesellschaft ist aber nur im internationalen Rahmen möglich. Daher ist auch die internationale Verbindung der revolutionären ArbeiterInnen von Beginn an so wichtig.

Die Vierte Internationale entstand im September 1938 als Organisation von Propagandaorganisationen und kleinen Avantgardeparteien. Ihre Gründung war aber trotz ihrer geringen Größe notwendig und korrekt. Ein weiteres Hinauszögern der Gründung hätte nicht – wie Kritiker meinen – zu einem späteren, besseren Start mit „mehr Masse“ geführt, sondern Isolation, Verwirrung und Schwäche der Avantgarde nur noch verstärkt.

Dass die Vierte Internationale nicht zur Massenkraft wurde, spricht nicht gegen das Projekt, sondern eher für die verstärkte Schlagkraft ihrer politischen Gegner und die Fähigkeit des Kapitalismus, im Verbund mit dem Stalinismus die Weltordnung nach 1945 auf dem Rücken der Arbeiterklasse zu stabilisieren.

Eine spätere Gründung der “Vierten”, ein Warten auf das Anwachsen nationaler Parteien usw. hätte nicht geholfen, sondern bestenfalls zur Wiederholung des Fehlers der sozialistischen Linken vor und während des Ersten Weltkriegs geführt: einer verspäteten fraktionellen und programmatisch fundierten Sammlung.

Die “Vierte” basierte auf einer politischen Perspektive. Der nahende imperialistische Weltkrieg wurde korrekt vorausgesehen. Seine barbarischen Konsequenzen wie der Holocaust wurden von Trotzki schon in den 1930er Jahren erkannt.

Degeneration

Die Vierte Internationale ging davon aus, dass der Krieg auch zu einem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion führen und sich zeigen würde, dass die Stalin-Bürokratie zur Verteidigung des Landes gegen Imperialismus und kapitalistische Restauration unfähig wäre. Entweder, so Trotzki, würde der Arbeiterstaat zerschlagen und der Kapitalismus wieder restauriert oder aber – und dafür kämpfte die “Vierte” – eine politische Revoltion stürzt die Bürokratie und bringt die Arbeiterklasse wieder an die Macht.

Zudem sah man voraus, dass der Krieg mit einer Reihe von Kolonialaufständen gegen den britischen, französischen und japanischen Imperialismus einhergehen würde.

Ähnlich wie die InternationalistInnen im ersten Weltkrieg ging die „Vierte“ davon aus, dass der imperialistische Krieg von einem reaktionären Völkergemetzel zu einem Bürgerkrieg gegen die imperialistische Bourgeoisie transformiert werden könne und müsse.

Die letzte Phase des Weltkriegs und die unmittelbare Nachkriegsperiode verdeutlichen das reale revolutionäre Potential in Europa und in den imperialisierten Ländern.

Doch entgegen Trotzkis Annahme konnte sich der Stalinismus behaupten und sogar ausweiten. Das Überleben das Stalinismus und die Neuordnung der imperialistischen Welt unter Führung der USA sowie die aufgrund der riesigen Kapitalvernichtung und massiven Niederlagen der Arbeiterklasse geschaffenen Voraussetzungen für einen ökonomischen Aufschwung führten Ende der 1940er zu einer konterrevolutionären Stabilisierung der Weltlage.

Auf diese Änderung der Weltlage war die Vierte Internationale nicht vorbereitet. Die wichtigsten ihrer Führer und Sektionen weigerten sich hartnäckig, diese neue Situation ernsthaft zu untersuchen. Aus der Einschätzung von 1938 wurde ein Fetisch gemacht.

 

Konterrevolutionäre Stabilisierung

Deutlich zeigte sich das darin, dass ein weiterer Weltkrieg als unmittelbar bevorstehend betrachtet wurde und die Zeichen für einen Aufschwung der US-Wirtschaft und ihre hegemoniale Rolle negiert wurden (insbesondere von der SWP in den USA).

Das Überleben und umso mehr die Expansion des Stalinismus desorientierten die „Vierte“ komplett. Der Bruch Titos mit Stalin und die unter den jugoslawischen Stalinisten von oben bürokratisch durchgeführte Enteignung der Bourgeoisie und die Errichtung eines von Beginn an degenerierten Arbeiterstaates führte die „Vierte“ 1948 zur Anpassung an den Stalinismus.

Tito hätte aufgehört, ein „Stalinist“ zu sein. Daher wären dort eine politische Revolution und der Aufbau einer revolutionären Partei nicht mehr nötig. In anderen Ländern wurde den Anhängern Titos die Fusion angeboten.

Die Vierte Internationale erklärte Tito zum „unbewussten (!) Revolutionär“, der entgegen seiner eigenen Absicht vom „objektiven Prozess“ (dem Druck der Arbeiterklasse, der Zuspitzung und Krise der Weltlage) dazu gezwungen worden sei (und mit ihm der stalinistische KP-Apparat!), den Weg der proletarischen Revolution einzuschlagen.

Dieser heute sonderlich anmutende Bruch mit der Analyse des Stalinismus wurde in den folgenden Jahren auch von den Abspaltungen der “Vierten” nicht ausreichend analysiert und daher oft genug wiederholt.

Wenn der objektive Prozess Tito in die Arme der Weltrevolution treiben konnte, warum nicht auch solche Figuren wie Mao, Castro, Ben Bella, Nasser oder Daniel Ortega? Warum sollte der “objektive Prozess”, wenn Stalinisten „revolutioniert“ werden konnten, nicht auch an Sozialdemokraten, an (klein)bürgerliche Nationalisten, an der Studentenbewegung, der Ökologiebewegung etc. Wunder vollbringen?!

Der Kampf für ein revolutionäres Programm wurde so folgerichtig zweitrangig. Wichtiger wurde die „Verschmelzung“ mit „Avantgarden“ – bei Verzicht auf den Kampf ums Programm.

1953 zerbrach dann die Vierte Internationale und “existiert” heute nur noch in Form vieler Splitter. Politisch hörte sie schon davor, am 3. Weltkongress 1951, auf, revolutionär zu sein, als die Politik gegenüber Tito kodifiziert wurde.

Die diversen „Vierten Internationalen“ degenerierten zu zentristischen Organisationen, die zwischen Reform und Revolution schwankten und über die Jahrzehnte auch ein ansehnliche Mischung von opportunistischen, aber auch ultra-linken Schwenks hervorbrachten.

Anders als der Zentrismus von Arbeiterparteien wie der deutschen USPD oder der spanischen POUM konnte sich der Zentrismus der Reste der “Vierten” jedoch jahrzehntelang am Leben erhalten. Warum? Weil die “Vierte” (anders als z.B. die USPD) bis auf wenige Ausnahmen von der Arbeiterklasse isoliert blieb und es keine revolutionäre Organisation gab, die den Zentrismus von Links bedrängt hätte.

Im Gegenteil: die revolutionäre Kontinuität – programmatisch, organisatorisch, personell – zerriss nach 1951 – für inzwischen über sechs Jahrzehnte! Der Grund dafür liegt darin, dass die verschiedenen subjektiv-revolutionären Gruppierungen, die sich nicht zuletzt auch in Form von Abspaltungen aus diesem oder jenem Fragment der “Vierten” gebildet hatten, unfähig waren, zu den Wurzeln des politischen und organisatorischen Scheiterns der “Vierten” vorzudringen und sie aufzuarbeiten.

Dahinter steht eine Leugnung des wissenschaftlichen Charakters des Programms und der Notwendigkeit, revolutionäres Klassenbewusstsein “von außen” in die Klasse zu tragen, wie es Marx und Lenin postuliert hatten. Diese Sicht unterstellt, dass die Klasse aufgrund ihres „Arbeiterseins“ revolutionäres Bewusstsein spontan hervorbringen würde.

Schließlich gehen viele von einer Art „trotzkistischer Familie“ aus, die nur wieder gekittet werden müsse, ohne dass ein programmatischer Neuanfang nötig wäre. Inzwischen ist die Geschichte reich an prinzipienlosen Fusionen und Spaltungen, die allesamt keinen Schritt aus dem Dilemma heraus geführt haben.

Lehren

Ohne einen grundsätzlichen Bruch mit der zum Zentrismus degenerierten „Vierten Internationale“ ist das revolutionäre Erbe Trotzkis, ist die Methode des Übergangsprogramms nicht zu retten.

Dieses Prinzip des “programm first” war maßgebend für die Entstehung unserer internationalen Tendenz, der Liga für die Fünfte Internationale (L5I) bzw. ihrer Vorgängerin, der LRKI. Wir bestanden auf einer genauen Analyse des Scheiterns der “Vierten”, der Aufarbeitung der revolutionären programmatischen Errungenschaften und der Neuerarbeitung der Programmatik. Wir bestanden auf dem demokratischen Zentralismus als Organisationsprinzip und der Schaffung einer von Beginn an internationalen Organisation.

Für die 5. Internationale!

Die Finanzkrise von 2008 und die aktuelle Krise Europas, die Revolutionen in den arabischen Ländern und die Massenproteste in Südeuropa zeugen davon, dass wir in einer revolutionären Periode leben, die von tiefen Krisen, großen gesellschaftlichen Erschütterungen, massiven sozialen Angriffen, von vorrevolutionären und offen revolutionären Situationen geprägt ist.

Jeder Mensch, der sich ernsthaft darüber Gedanken macht, wie die Angriffe von Kapitalisten und Regierungen gestoppt werden können; alle, die imperialistische Kriege und Besatzungen beenden wollen; jeder fortschrittliche Mensch, der die großen Probleme unserer Zivilisation – Hunger, Armut, Umweltzerstörung – lösen will, wird feststellen, dass es zwar immer wieder an vielen Orten Widerstand gegen die Herrschenden und ihre Politik gibt, dass aber keine international koordinierte Bewegung existiert.

Dieser aktuellen Lage versuchen wir als kleine internationale Strömung Rechnung zu tragen, indem wir uns unterschiedlichen Neuformierungsprozessen der Arbeiterklasse zuwenden.

Schon vor Krisenausbruch 2008 begannen große Teile der Arbeitervorhut, sich neuen ‚antikapitalistischen‘ Parteien zuzuwenden oder hegten Hoffnungen auf linksreformistische Kräfte als Alternative zu den neoliberalen Parteien. Das zeigt,
dass ArbeiterInnen und Jugendliche nach einer politischen Alternative Ausschau halten, nach antikapitalistischen Parteien und Organisationen.

RevolutionärInnen müssen an der Seite dieser Militanten arbeiten. Das kann Eintreten für die Bildung neuer Arbeitermassenparteien bedeuten, Eintritt in eine bestehende Massenpartei oder Kampf für die Einheit mit antikapitalistischen und sozialistischen Organisationen, die den Aufbau neuer Parteien als Alternative zum Reformismus anstreben.

Aber die Erfahrung lehrt, dass solche Parteien durch die Prüfungen des Klassenkampfes nicht bestehen, sich als ungeeignet für die Herausbildung einer revolutionären Führung erweisen, wenn sie sich nicht auf einem revolutionären Programm, auf revolutionärer Strategie und Taktik gründen. In der augenblicklichen Lage werden linksreformistische Organisationen wie Syriza oder zentristische Organistionen wie die NPA schnell auf den Prüfstand des Klassenkampfs gestellt. Die Krise mit ihren scharfen politischen und wirtschaftlichen Wendungen prüft alle Programme in kurzer Zeit, enthüllt nicht nur den bürgerlichen Charakter des Reformismus, sondern auch die Sackgasse aller Bemühungen um Kompromisse zwischen reformistischen und revolutionären Programmen und Strategien.

Sektionen

Deshalb streiten die Sektionen und Mitglieder der Liga für die 5. Internationale auf solidarische Weise für den Erfolg solcher Konstellationen, z.B. in Pakistan mit der Teilnahme an der Awami Workers Party, in Deutschland am Aufbau einer neuen antikapitalistischen Organisation (NaO), in Britannien durch die Arbeit in „Left Unity“.

Wir schlagen den antikapitalistischen, sozialistischen, kommunistischen u.a. linken Organisationen dringend eine Debatte und eine Zusammenarbeit vor, die gemeinsam für Klassenkampfmethoden in der Arbeiterbewegung und demokratische Koordinationen des Widerstands gegen Kürzungspolitik, Krieg, nationale Unterdrückung, Rassismus und Faschismus vorgeht. Wir schlagen gleichzeitig vor, dass jene Organisationen, die sagen, dass sie sich für eine antikapitalistische Alternative zum Reformismus stark machen wollen, sich auf Diskussionen um das Programm und die Organisation einlassen, die die Arbeiterklasse brauchen, um sich an die Spitze des Kampfes stellen zu können.

Darin, wie in allen anderen Interventionen lassen wir uns von Marx´ Aussage leiten, dass es Kommunisten hassen, ihre Überzeugungen zu verschleiern. Wir stehen offen für ein revolutionäres Programm von Übergangsforderungen. Mit Trotzki erkennen wir die erste Pflicht von RevolutionärInnen an: die Wahrheit auszusprechen, „zu sagen, was ist“ und v.a. zu sagen, was notwendig ist, um die Arbeiterklasse zu gewinnen: Eine neue, 5. Internationale, eine Weltpartei der sozialistischen Revolution!

Ein Artikel von Martin Suchanek, Neue Internationale 182, September 2013




Vom Traum zum Trauma – 40. Jahrestag des Pinochet-Putsches

Am 11. September 1973 ging in Santiago de Chile der Präsidentenpalast, die Moneda, in Flammen auf. Das Militär unter General Pinochet putschte gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende und errichtete eine blutige Militärdiktatur.

Der Putsch beendete die Hoffnung von Millionen ChilenInnen auf die Umgestaltung des Landes und auf die Einführung des Sozialismus. Stattdessen herrschte in Chile nun Friedhofsruhe. Fast alle demokratischen Rechte wurden von der Pinochet-Junta außer Kraft gesetzt und Gewerkschaften und Streiks verboten. Die Löhne wurden halbiert, während sich die Arbeitszeit gleichzeitig erhöhte. Diese Folgen des Putsches verdeutlichen, in wessen Sinn und Auftrag der Mörder Pinochet handelte: in dem der Kapitalisten.

Die Unidad Popular

Im Dezember 1969 verabschiedete die Unidad Popular (UP) ein Programm, das verschiedene Reformen und die Verstaatlichung zentraler Wirtschaftsbereiche vorsah. Letztere betraf auch die US-amerikanischen Anteile von fast 50% am Hauptwirtschaftszweig Chiles, dem Kupferbergbau.

Doch anders, als es viele noch heute glauben, war das Programm der UP kein revolutionär-sozialistisches. Ein solches hätte beinhalten müssen, den bürgerlichen Staat (darunter auch den Gewaltapparat) zu zerschlagen und ihn durch Arbeiterräte und -milizen zu ersetzen. Ein solches Programm hätte auch nicht bei der Verstaatlichung einiger Wirtschaftsbereiche stehen bleiben dürfen; es hätte auf die Enteignung der Bourgeoisie als Ganzes und die Einführung einer demokratischen, auf Räte basierenden Planwirtschaft gerichtet sein müssen.

Das Programm der UP Allendes war, trotz seiner sozialistischen Phraseologie, ein bürgerlich-demokratisches Programm.

Die UP war ein (Wahl)Bündnis aus verschiedenen Parteien und Bewegungen, deren wichtigste Kräfte die Sozialistische Partei (SP) und die stalinistische KP waren. Sie stützte sich sozial v.a. auf die Mehrheit der Arbeiterklasse und die ländliche Armut.

Die Unidad Popular war keine zeitweilige, begrenzte Einheitsfront, sondern ein strategisches (Regierungs)Bündnis zwischen Parteien des Proletariats und offen bürgerlichen Kräften – auch wenn diese wie die „Radikale Partei“ zahlenmäßig relativ bedeutungslos geworden waren.

Damit diese – von MarxistInnen „Volksfront“ genannte – Allianz überhaupt zustande kommen konnte, war ein Programm nötig, das strategische Zugeständnisse an die herrschende Klasse machte: den Erhalt des Privateigentums, soweit es nicht zum ausländischen Großkapital gehörte, und des bürgerlichen Staatsapparats.

Nicht der revolutionäre Sturz des Kapitalismus, sondern der Versuch einer Aussöhnung der unvereinbaren Klasseninteressen von Proletariat und Bourgeoisie lag dem UP-Projekt zugrunde.

Triumph mit Schatten

Im September 1970 wurde die UP mit 36,3 % stärkste Kraft im Parlament und Salvador Allende (SP) zum Präsidenten gewählt. Der Sieg der Unidad Popular beruhte jedoch weniger auf der Originalität ihres Volksfrontprogramms, sondern v.a. daraus, dass ihre sozialistischen Versprechungen den Erwartungen der Massen entsprachen.

Seit Ende der 1960er war Chile in Unruhe. Die Wirtschaftskrise und die Verschlechterung der Lebenslage der Massen hatten Folgen: Proteste, Streiks und spontane Landbesetzungen nahmen zu. Die Arbeiterklasse, die städtische und ländliche Armut waren in Bewegung geraten. Nicht verwunderlich also, dass die Massen ihre Hoffnungen auf eine grundsätzliche Wende in „ihre“ vorhandenen Arbeiterparteien, die SP und die KP, projizierten. Als diese sich dann zur UP zusammenschlossen, schienen sie stark genug zu sein, „alles zu wagen“.

Doch die siegreiche Unidad Popular hatte zwei Gesichter. Das eine stand für Reformen. Die Neuerungen fingen bei einem täglichen Liter Milch für Chiles Kinder an und reichten bis zur Enteignung von US-Unternehmen.

Doch die Kehrseite der Politik der UP und ihres Präsidenten Allende sollte bald alle Verbesserungen der ersten Periode der Volksfront in Gefahr bringen. Der alte bürgerliche Staatsapparat nämlich blieb bestehen, v.a. die Machtpositionen Armee und der Sicherheitskräfte blieben unangetastet – im Gegenzug für ihre „Loyalität“. Trotz aller Verstaatlichungen funktionierte die Wirtschaft immer noch auf kapitalistische Art und große Bereiche der Wirtschaft – v.a. der in Chile große Sektor der Klein- und Mittelbetriebe – blieben, wie sie waren.

Um überhaupt auf parlamentarischem Weg zum Präsidenten gewählt zu werden, war Allende auf die Stimmen nicht nur der Volksfront (einschließlich ihrer bürgerlichen Komponenten) angewiesen, sondern auch auf jene der Christdemokraten, der klassischen Partei der chilenischen „nationalen“ Bourgeoisie. Diese lies sich ihre Zustimmung mit grundlegenden Garantien der bürgerlichen Legalität erkaufen – Unantastbarkeit der bestehenden staatlichen Institutionen (Justiz, Polizei, Armee), Verzicht auf die Bildung von Volksmilizen, Respekt vor den Rechten der bürgerlichen Opposition (Privateigentum an den Medien; Freiheit ihrer Organisationen einschließlich der faschistischen „Patria y Libertad)

Der von der Volksfront angestrebte Klassenkompromiss und die Zusicherungen an die chilenische Klein- und Mittelbourgeoisie schienen Allende und seinen UP- Partnern ein Garant dafür zu sein, dass Wirtschaft, Staatsapparat und Armee sich verfassungskonform verhalten würden. Anfangs, als die Vertreter der alten Ordnung in der Defensive waren, war das auch der Fall. Doch es sollte sich bald ändern.

Volksfront in der Krise

Die Anfangserfolge der UP zogen die Massen ebenso stark an, wie sie die Bourgeoisie abschreckten. Die bürgerlichen Kräfte formierten sich. Die faschistische Bewegung Patria y Libertad (PyL = Vaterland und Freiheit) wurde zum Attraktionspol für alle, die dem Volksfrontprojekt überhaupt den Garaus und alle Reformen und sozialen Errungenschaften rückgängig machen wollten. Die PyL griff mit offenem Terror ArbeiterInnen und Bauern, GewerkschafterInnen und Linke an.

Aufgeschreckt durch die Enteignung des US-Kapitals übten die USA Druck auf den Kupferweltmarktpreis aus. Daraufhin verfiel dieser, wodurch Chile enorme Einnahmen entgingen. Zugleich wurden auf Druck der USA zugesagte Kredite zurückgezogen. Auch die chilenischen Kapitalisten zogen ihr Kapital aus Chile ab.

Die Folge davon waren leere Staatskassen. Dem versuchte die Regierung durch das Anwerfen der Geldpresse zu begegnen, was verstärkte Inflation zur Folge hatte. Die wirtschaftliche Flaute bewirkte, dass sich immer größere Teile der Mittelschichten und des Kleinbürgertums von der UP ab- und der bürgerlichen Opposition zuwandten. Zugleich übten sie auf den Staatsapparat und die Armee immer größeren Druck aus, Allende zu stürzen – ein Militärputsch wurde immer wahrscheinlicher.

Zunächst jedoch gingen nicht Soldaten, sondern (klein)bürgerlichen Frauen auf die Straße und protestierten auf demagogische Weise mit leeren Töpfen gegen den Mangel, den sie selbst allerdings weniger verspürten als die Lohnabhängigen und die Armut auf dem Land. Dann – ab Oktober 1972 – streikten die Kleinkapitalisten, besonders die Fuhrunternehmer und legten das ganze Land lahm.

Begleitet wurden diese dramatischen Ereignisse durch Komplotte und Intrigen hinter den Kulissen. Eine reaktionäre Allianz von CIA, US State Departement, PyL, Generalen und hohen Staatsbeamten plante Mordanschläge gegen Allende, boykottierte die UP-Politik, terrorisierte ArbeiterInnen und Bauern, ermordete linke AktivistInnen und selbst regierungstreue Generäle.

Im Juni 1973 schließlich verhinderten zehntausende ProletarierInnen einen von den Reaktionären geplanten Marsch auf Santiago. Diese Monate der Unruhe vor dem Sturm deuteten unübersehbar auf die nahe Entscheidungsschlacht hin. Allende und die UP jedoch hielten weiter an ihren Illusionen von Klassenkompromiss und Verfassungstreue fest.

Die Volksfront hatte ihr Reform-Pulver bald verschossen und geriet immer stärker unter Druck. Auch die Massen wurden nun mit Allendes Reformen zunehmend unzufriedener, ohne jedoch mit der UP politisch zu brechen.

Die Landreform wurde nicht konsequent umgesetzt, wodurch viele Landlose oder Landarme nicht genügend Fläche bekamen, um davon existieren bzw. mit größeren Betrieben konkurrieren zu können. Die Landbevölkerung griff deshalb zu spontanen Besetzungen und bildete gegen die reaktionär-faschistischen Terrorbanden der Reichen Selbstschutzorgane.

Wirtschaftskrise, Inflation und die von den (Transport)Kapitalisten erzeugte Versorgungskrise rief auch die Arbeiterklasse auf den Plan. Sie verlangte nicht nur energische Maßnahmen gegen die Unternehmerboykotte von der Regierung. Sie organisierte sich auch selbst in betrieblichen und Wohngebietskomitees, sie bildete Milizen (die tw. bewaffnet waren), sie besetzte Betriebe und übte die Kontrolle aus – zum Schluss über fast 1.000 Unternehmen!

Wie reagierte Allendes „Regierung des Volkes“ auf diese Ansätze von Selbstorganisation und -bewaffnung der Massen?

Sie verurteilte die „linksradikalen“ Aktionen und rief zur „Mäßigung“ auf, um die Bürgerlichen nicht aufzuschrecken und zu noch größerem Widerstand zu ermuntern. Dabei tat sich die „kommunistische“ Partei besonders negativ hervor. Die PyL wurde nicht energisch bekämpft. Polizei und Armee wurden gegen ArbeiterInnen und Bauern eingesetzt, die „verfassungswidrig“ Unternehmen oder Land besetzt oder sich bewaffnet hatten.

Trotz aller rhetorischen Aufforderungen Allendes an die Massen, die Unidad Popular zu verteidigen, behinderte er real alles, was gegen die Reaktion nötig gewesen wäre. Gegen die Mobilisierungen der Reaktion und deren Putsch-Vorbereitungen gab es nur ein Mittel: Mobilisierung
der ArbeiterInnen und der Landarmut.

Die besetzten Betriebe und Ländereien hätten zu Organisationszentren von betrieblichen und lokalen Räten und Milizen werden und diese regional und landesweit zentralisiert werden müssen. Anders als in der russischen oder auch in der deutschen Revolution gab es jedoch in Chile nie eine zentralisierte Rätestruktur, die als Gegenmachtzentrum zur Staatsmacht hätte fungieren können.

Diese hätte den Widerstand gegen die Konterrevolution landesweit organisieren, die ArbeiterInnen und Bauern bewaffnen und mittels ihrer bewaffneten Macht den bürgerlichen Staat – v.a. die Armee – zerschlagen oder zumindest eine reale Gegenmacht organisieren können und müssen. Gegen den Wirtschaftsboykott gab es nur einen Weg: Enteignung der gesamten Bourgeoisie und Einführung einer demokratisch geplanten Wirtschaft.

Politik der Linken

Obwohl einige linke Organisationen, besonders die MIR (Bewegung der Revolutionären Linken) Elemente dieser Strategie verfolgten, fehlte es an einer politischen Partei, die bereits vor 1973 ein revolutionäres Programm in die Vorhut der Arbeiterklasse hätte tragen können und deshalb im entscheidenden Moment stark genug gewesen wäre, die Führung in der Revolution zu übernehmen. Die MIR, zu denen auch die „TrotzkistInnen“ des Vereinigten Sekretariats (VS) gehörten, pendelte aber zwischen opportunistischer Anpassung an die UP und revolutionärer Politik.

So charakterisierte die MIR die Volksfront in den ersten Monaten als „revolutionäre Volksregierung“. Das war die UP aber trotz unbestreitbarer materieller Verbesserungen für die Massen nie. Die UP war keine „Arbeiter- und Bauernregierung“, die sich gegen den Kapitalismus wandte und sich auf Machtorgane der Klasse stützte, sondern eine, wenn auch durchaus linke bürgerliche Regierung, die selbst ein Bollwerk gegen die Revolution der Massen bildete.

Die Politik der MIR in den ersten Monaten der Volksfront führte aber dazu, dass die Illusionen der Massen in die Regierung Allende bestärkt und nicht bekämpft wurden. Wenn selbst die „revolutionäre Linke“ die Volksfront als „revolutionäre Regierung“ betrachtete – wozu brauchten die Massen dann Räte und eine Arbeiter- und Bauernregierung? Erst als sich die Volksfront direkt gegen die ArbeiterInnen wandte, ändert der MIR seine Politik – aber auch das nur inkonsequent.

Zudem hinderte sie ihre strategische Ausrichtung am Guevarismus daran, die Arbeiterklasse als historisches Subjekt der Revolution zu begreifen und systematisch in diesem Milieu zu arbeiten. Die MIR war im wesentlichen eine Organisation, die unter StudentInnen und unter der Bauernschaft verankert war, kaum jedoch im chilenischen Proletariat, das von SP und KP dominiert wurde.

Das Ende

Schon im Sommer 1973 war die UP-Regierung fast handlungsunfähig. Es gab eine Doppelmachtsituation. Hier die Massen mit wenigen Machtmitteln, ohne landesweite Gegenmachtorgane und ohne konsequente revolutionäre Führung hinter der Regierung Allende; dort die Reaktion, die den Staatsapparat und die Armee beherrschte und zu allem entschlossen war. Die UP unter Allende war keine Speerspitze der Massen gegen den drohenden Putsch, sie wollte noch vermitteln, als es die Entscheidung zu erzwingen galt!

Es ging nur noch um Wochen oder Tage. Doch Allende schürte weiter die Illusion der Verfassungstreue, er mobilisiert die Massen nicht und lullte sie mit seinen demokratischen Beschwörungen im Angesicht der Gefahr ein.

Als dann am 11. September die Moneda bombardiert wurde, blieb Allende mutig auf seinem Posten und rief das Volk noch einmal zur „Verteidigung der Revolution auf“. Doch trotz des verzweifelten Widerstands vieler ArbeiterInnen, gelang es dem Militär Dank seiner Überlegenheit und des rigorosen Terrors bald, das Land vollständig zu kontrollieren. Die Massen waren von der Volksfront längst demobilisiert und demoralisiert worden, als dass sie den Schlägen des Militärs hätten standhalten können. Zudem fehlte eine einheitliche politische und militärische Führung in Form einer revolutionären Partei.

Das chilenische Proletariat bezahlte einen hohen Blutzoll für die Illusionen ihrer Volksfront-FührerInnen. Nicht nur Präsident Allende kam um. Zehntausende – Linke, GewerkschafterInnen, ArbeiterInnen, Bauern – wurden von der Soldateska getötet, verhaftet oder mussten ins Exil gehen. Auf Allendes „halbe Revolution“ folgte eine ganze Konterrevolution.

Allendes Versuch, die gegensätzlichen Klasseninteressen von Proletariat und Bourgeoisie wie Feuer und Wasser miteinander zu versöhnen endete damit, dass die Volksfront selbst verdampfte.

Die bittere chilenische Erfahrung ist keine Ausnahme. Seit Mitte der 1930er war die Volksfrontstrategie die vorherrschende Strategie aller stalinistischen Parteien. Ihr lag die Idee zugrunde, dass die Revolution auf zwei separate Phasen „verteilt“ sei. In der Praxis hieß das, den Übergang von der bürgerlich-demokratischen Phase zur sozialistischen bewusst zu blockieren, der Bourgeoisie grundsätzliche Zugeständnisse zu machen und die Massen zurückzuhalten – zugunsten der Illusion, dass der Klassengegner sich loyal verhalten würde. Doch dieser politische Königsweg des Stalinismus als „Alternative“ zur Konzeption der Permanenten Revolution, erwies sich ohne Ausnahme immer nur als Sackgasse, als Weg in eine blutige Niederlage.

 Ein Artikel von Hannes Hohn, übernommen von der Gruppe Arbeitermacht (LFI)