Welches Programm für den KI-Kapitalismus?

Von Felix Ruga, April 2023

Künstliche Intelligenz gab es in primitiverer Form schon lange. Doch mit dem Projekt „ChatGPT“ ist eine Welle von Verblüfftheit bis Begeisterung durch die digitale Welt gegangen: Krass, was auf einmal geht! Dinge, die noch vor wenigen Jahren wie Science-Fiction gewirkt haben, sind jetzt öffentlich zugänglich. Weniger bekannt ist die neuere Version „ChatGPT-4“: Im Gegensatz zu ChatGPT-3, welches eigentlich nur bekannte Informationen gezielt und clever remixen und ausgeben kann, wird bei der neuen Version argumentiert, dass diese Formen tatsächlicher Intelligenz aufweist. Das heißt: Probleme lösen, deren Antwort oder Antworten zu äquivalenten Problemen nicht eingespeist wurden. Dieser Fortschritt ist innerhalb weniger Jahre geschehen und vor Allem viel früher, als alle erwartet haben. Daneben stehen auch einige andere Bereiche, die ebenfalls auf maschinelles Lernen zurückgreifen, in den Startlöchern: Künstliche Produktion von Bildern und Videos, autonomes Fahren und die Verwendung von „Big Data“ in den Naturwissenschaften.

Als Reaktion darauf kam schon von selbsternannten Expert_Innen wie Elon Musk, dass die Technologie so fieberhafte Fortschritte macht, dass man für eine Weile die Notbremse in den Entwicklungsstudios ziehen müsse, um rechtliche, ethische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen herzustellen. Zum einen kann das wieder ein cleverer Werbetrick sein und ist letztendlich wahrscheinlich nur schwer umsetzbar, zum anderen macht das aber schon einen richtigen Punkt: Für den Kapitalismus kann die ganze Angelegenheit tatsächlich weiterreichende Änderungen mit sich bringen. Die Rahmensetzung sollten wir aber nicht allein der herrschende Klasse überlassen. Es muss die Aufgabe der Arbeiter_Innenbewegung sein, darauf programmatische Antworten zu liefern! Diese würden wir an der Stelle grob in zwei Teile unterteilen: Die staatlichen und die wirtschaftlichen Änderungen.

Social Credits und Drohnen

Aus Filmen und Videospielen kennen wir die dystopischen Zukunftsszenarien, in denen sich künstliche Intelligenz mit autoritären Staaten mischt: Ein allmächtiger Staat, der mittels automatisierter Überwachung und Bestrafung die Bevölkerung kontrolliert, ohne dass dafür echte Menschen ihre Moral dazwischenschalten können. Erhebungen können mit Drohnen und bewaffneten Robotern zerschlagen werden. Kriege werden nicht durch Menschenhand geführt, aber dennoch sind es die Menschen, die darunter leiden.
Das sind natürlich arg einseitige und künstlerische Darstellungen, aber dennoch muss uns klar sein, dass im Zweifelsfall und in zugespitzten gesellschaftlichen Situationen alle Technologien gegen die Arbeiter_Innen verwendet werden können. Das ist sicherlich auch eine Angst, die viele momentan mit künstlicher Intelligenz verbinden und das ist auch eine Angst, die Kommunist_Innen unbedingt ernst nehmen sollten und eine Antwort darauf formulieren müssen, ohne in fortschrittsgläubigen Spott zu verfallen.

Die zentrale Losung sollte dabei sein, dass die Entwicklung und Verwendung vor Allem von fortgeschrittener künstlicher Intelligenz unter Arbeiter_Innenkontrolle gestellt werden und dafür die jeweiligen Tech-Unternehmen enteignet werden. Das ist die einzige Möglichkeit, um wirklich zuverlässig zu erreichen, dass diese nicht dazu eingesetzt wird, um automatisierte Unterdrückung und massenhaftes Leid zu produzieren, sondern um die progressiven Elemente wirklich herauszuschälen: Entlastung und Befreiung von Teilen der entfremdeten Arbeit. Außerdem hätte künstliche Intelligenz in einer demokratischen Planwirtschaft ein besonderes Potential, wenn es um die Erhebung von Bedürfnissen und Verteilung von Gütern geht. Dazu wollen wir demnächst noch einen Artikel am Beispiel von „Cybersyn“ in Chile veröffentlichen.
Klar sollte sein: Halten wir diese Technologie nicht auf, sondern greifen sie auf in ein Programm für mehr Freizeit und Freiheit! Doch wie sieht hier die wirtschaftliche Ebene aus?

Roboterarme und schmutzige Hände

Die kapitalistische Epoche wird begleitet von vielen „technologischen Revolutionen“. Und sei es nun die Dampfmaschine, die Elektrizität oder die Digitaltechnik: Jedes Mal war die Befürchtung groß, dass diese dazu führen, dass die Menschen nun ein für alle Mal überflüssig gemacht werden und die Arbeitslosigkeit riesig sein wird. Doch letztendlich ist es doch alles etwas anders gekommen, indem zwar viele Arbeitsstellen überflüssig geworden sind, aber die Arbeitskraft selbst nicht. Wird das bei der künstlichen Intelligenz genauso laufen?

Ein entscheidender Unterschied könnte sein, dass vorherige Technologien nicht so leicht vervielfältigbar sind, sondern immer an „Materie“ geknüpft sind. Für Maschinen und Elektrizität braucht man eben Rohstoffe und Arbeit, um mehr Menschen damit zu versorgen. Dadurch kommt es vor Allem in Halbkolonien dazu, dass selbst bei vorhandenem Know-How keine Technisierung durchgeführt wird, weil selbst der ineffizienteste Einsatz von Arbeitskraft immer noch günstiger ist, als eine Maschine anzuschaffen.

Je weiter nun die Technisierung fortschreitet, desto mehr Arbeitskraft wird frei und damit die Arbeitskraft insgesamt billiger, was wiederum die Technisierung ausbremst. Deswegen werden bis heute so viele Tätigkeiten weiterhin per Hand und unter scheußlichsten Bedingungen durchgeführt. Das ist eins der vielen Argumente dafür, dass der Kapitalismus in Wirklichkeit technologischen Fortschritt aufhält, statt ihn zu beschleunigen.
Doch dieses Mal könnte es anders sein: Künstliche Intelligenz kann, wenn sie erstmal entwickelt ist, relativ leicht skaliert werden und damit einen großen Teil der Kopfarbeit ersetzen. Selbstverständlich steckt dahinter immer auch ein materieller Rechner, der irgendwo stehen muss, und eine Internetverbindung dorthin. Das ist aber selbst jetzt schon sehr weit verbreitet. Und die Effizienz von künstlicher Intelligenz wird in den nächsten Jahren schnell anwachsen. Die Vermutung liegt also nahe, dass sich in Zukunft Informatiker_Innen, Designer_Innen, Ingenieur_Innen und Berater_Innen aller Art darauf gefasst machen müssen, einer künstlichen Intelligenz Aufträge zu erteilen, anstatt selbst die Arbeit des Programmierens, Designens, Entwickelns oder Beratens auszuführen.

Das würde aber viele Berufe doch wieder überflüssig machen, wenn das nicht durch kräftiges Wirtschaftswachstum abgefangen wird. Leider droht auch das Szenario, dass das deren Arbeitskraft entwerten könnte und sie wieder in technisierbare Handarbeit oder in nutzlose Bullshit-Jobs treibt. Aber wie bereits gesagt wurde: Künstliche Intelligenz hat genauso wie alle anderen technologischen Fortschritte das Potenzial, Menschen von unnötiger und ermüdender Arbeit zu befreien.
Um das zu erkämpfen, müssen Gewerkschaften und Arbeiter_Innenparteien die alte, aber ungeahnt aktuelle Forderung ergreifen: Verteilung der Arbeit auf alle Hände! Das bedeutet konkret: Wir verkürzen die Arbeitszeit radikal, während der ausgezahlte Lohn erhalten bleibt. Arbeiter_Innen sollen sich kostenlos umschulen dürfen, während der Staat die Löhne weiterzahlt. Das wird finanziert durch massive Besteuerung der Reichen, die durch diesen technologischen Fortschritt sicherlich profitieren werden.

Falls wir diesen Kampf nicht aufnehmen, wird es dazu führen, dass wieder vor Allem die Kapitalist_Innen davon profitieren und die bürgerliche Staaten ihre Macht aufbauen. Wir müssen der herrschenden Klasse die schillernde Zukunft abringen, die uns der technische Fortschritt verspricht!

Wir fordern also:

  • Enteignet die Tech-Unternehmen und stellt sie unter Arbeiter_Innenkontrolle!
  • Offenlegung aller Codes & Algorithmen, auf deren Basis KI arbeitet und Entscheidungen trifft, um rassistische und andere unterdrückerische Muster zu erkennen und zu bekämpfen!
  • Sensibilisierung und Schulung von Entwickler_Innen für die ethischen Herausforderungen dieser neuen Technologie, z.B. in der Einspeisung diskriminierender Datensätze!
  • Flächendeckende Bildungsangebote im Bereich des Codings und digitaler Kompetenz in allen Schulen!
  • Deckung des enormen Energiebedarfs der Server durch erneuerbare Energien!
  • Arbeitszeitverkürzung und kostenlose Umschulung bei gleichem Lohn!
  • Massive Besteuerung der Reichen!



1 Jahr Ukrainekrieg: Wie geht’s jetzt weiter?

Von Emilia Sommer, April 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Vor kurzem jährte sich der Ukrainekrieg zum ersten Mal. Resultat dessen sind mehrere 100.000 Tote und eine massive Fluchtbewegung aus der Ukraine in andere europäische Staaten. Damit einhergehend findet eine massive Annäherung der Ukraine an den Westen statt. Waffenlieferungen und Kredite lassen ihn als Gegenpol Russlands nicht nur für die Ukraine extrem attraktiv wirken. Auch Finnland und Schweden, die bislang keine Mitglieder des Militärbündnis NATO sind, welches mit den USA, Deutschland und 28 weiteren Mitgliedsstaaten schon seit Jahren der größte globale Gegenspieler Russlands ist, haben am 18. Mai 2022 gemeinsam ihre Anträge zum NATO-Beitritt offiziell eingereicht. Gleichzeitig treffen die Sanktionen gegen Russland vor Ort besonders die Arbeiter_Innenklasse und nicht die Machthabenden, während die Folgen im globalen Süden Hungersnöte, Lebensmittelknappheit und eine Hyperinflation sind. Besonders interessant verhält sich hierbei China. Nachdem sie zu Beginn des Kriegs auf Seiten Russlands standen, haben sie nun ihre Neutralität verkündet, rufen zu einer friedlichen Lösung des Konflikts auf und versuchen als Vermittler zu fungieren, obwohl sie weiterhin Hauptgegenspieler der USA sind.

Was wollen die einzelnen Beteiligten?

Die aktuelle Entwicklung rund um den Ukrainekrieg ist ein Symptom der sich immer weiter verschärfenden imperialistischen Krise. Wir befinden uns inmitten der Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Mächten, welche sich durch die geschwächte Wirtschaft immer weiter zuspitzt. Diese Zuspitzung zeigt sich unter anderem im Konflikt zwischen den USA und China. Die amerikanische Vormachtstellung in der globalen Wirtschaft wird durch China ins Wanken gebracht. Erst kürzlich waren die Medien voll mit Meldungen von dem vermeintlichen Spionageballon Chinas, der von Alaska bis zum Atlantik flog, bevor er vom USA-Militär abgeschossen wurde. China wies diese Vorwürfe zwar als Teil eines Informationskriegs ausgehend von den Vereinigten Staaten ab- dennoch ist der Konflikt damit nicht gelöst. So begannen die USA, die NATO massiv zu stärken und so zum Beispiel rund 300.000 schnelle Einsatzkräfte aufstockte. Auch zeigt sich in dieser Auseinandersetzung eine weitere Annäherung der EU, und damit auch Deutschlands, an die USA, die sich z.B. in europäisch-amerikanisch-koordinierten Exportkontrollen gegenüber China ausdrückt.

Auch der Anspruch Chinas auf Taiwan, welches seit der Teilung Chinas 1949 faktisch als unabhängiger Staat gilt, aber formell noch nicht als unabhängig gilt, sorgt für Spannungen. China droht, sollte Taiwan formell ein unabhängiger Staat werden wollen, militärisch einzugreifen um dies zu verhindern. Die USA pflegen zwar keine formellen Beziehungen zu Taiwan als unabhängigem Staat, jedoch unterstützen sie diesen durch Verkäufe von Waffen, informellen diplomatischen Austausch und durch das Aufstocken US-amerikanischer Kräfte in der Region.

Zu diesen ohnehin gefährlichen Spannungen kommt nun der Versuch Russlands durch den Angriff auf die Ukraine wieder an Bedeutung und Einfluss zu gewinnen. Das Aufgeben von wessen Seite auch immer würde automatisch Schwäche bedeuten und damit die jeweilige imperialistische Kraft im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zurückwerfen, weshalb nicht zu erwarten ist, dass einer der Beteiligten zurückrudert. Resultat dessen sind nun Auswirkungen auf die ganze Welt und vor allem natürlich auf die ärmeren Teile, auf die Arbeiter_Innen und auf die Jugend. Wir stehen aktuell einer realen Gefahr eines nuklearen Weltkriegs gegenüber. An jeder Ecke wird das Militär massiv aufgerüstet, Deutschland exportiert Waffen in die Ukraine und natürlich sind die 100 Milliarden für die Bundeswehr der Ampel-Regierung noch nicht vergessen. Aber auch unser aller Leben ist aktuell schon von dem Wettringen der imperialistischen Mächte betroffen: Unsere Lebenserhaltungskosten steigen in die Höhe, Gemüse und Obst sind kaum noch bezahlbar und ob die Heizung angeschaltet wird, muss man sich genau überlegen. Von den Profiten, die gerade Deutschland aus dem Aufrüsten macht, spüren Arbeiter_Innen und Jugendliche absolut nichts, sie werden mit den weiter steigenden Preisen weitestgehend allein gelassen.

Auf welcher Seite sollten wir als Revolutionär_Innen also stehen?

Keiner der imperialistischen Staaten steht wirklich für die Unabhängigkeit der Ukraine ein. Russland natürlich nicht. Für diese war die Ukraine in Vergangenheit nur Rohstofflieferant. Es galt bei der immer schwächer werdenden russischen Wirtschaft wenigstens mit der militärischen Stärke bestehende Partner zu erhalten und jetzt soll die Eroberung ein Sprungbrett zurück in den Kampf um die Neuaufteilung der Welt sein. Aber auch Deutschland und die USA und damit die NATO, haben keinerlei ernsthaftes Interesse an der Unabhängigkeit der Ukraine, geschweige denn wirklich an Frieden. Zwar propagieren sie das und die NATO nennt sich selbst Friedensbündnis, doch die Realität sieht anders aus. Ziel des amerikanischen und europäischen Imperialismus ist es, die Ukraine möglichst abhängig von westlichen Krediten zu machen, um weitere Geldflüsse an die Durchsetzung von günstigen Investitionsbedingungen für westliche Konzerne zu knüpfen. Diese Perspektive verkörpert die pro-westlich-neoliberale Ausrichtung der Selenskyj-Regierung. Unter dieser Regierung kämpft die Ukraine also nicht gegen die russische Invasion für ihre Unabhängigkeit. Vielmehr kämpft sie dank massiver Militärhilfen aus Europa und den USA dafür, verlängerte Werkbank, Getreidelieferant und Absatzmarkt des Westens sein zu dürfen. Der osteuropäische Raum ist schon länger ein potentiell interessanter Raum für Kapital- und Waffenexporte. Durch die Sanktionen soll die russische Wirtschaft endgültig geschwächt werden und den USA waren die europäisch-russischen Beziehungen (z.B. Bau der Erdgaspipeline Nord-Stream-2) ohnehin ein Dorn im Auge. Ebenso darf nicht vergessen werden, wie massiv vor allem der deutsche Staat und deutsche Rüstungsunternehmen an kriegerischen Auseinandersetzungen profitieren. Der Ukraine-Krieg ist also eindeutig eine Konfrontation zwischen zwei imperialistischen Blöcken. Und genau da liegt das Problem: Es kann keinen friedlichen Imperialismus geben, denn Imperialist_Innen geht es immer um das Ausdehnen des eigenen Einflusses, um wirtschaftliche und politische Macht. Um dies zu erlangen, sind kriegerische Auseinandersetzungen im Kapitalismus unausweichlich.

Wir können uns also nicht darauf verlassen, dass die Staaten gemeinsam eine friedliche und faire Lösung finden, denn das ist nicht in ihrem Interesse. Die, die wirklich Interesse an einem sofortigen Frieden haben, sind vor allem die Arbeiter_Innenklassen, sowohl in der Ukraine, als auch in Russland, denn sie sind die, die am meisten unter der imperialistischen Konfrontation leiden. Deswegen ist es wichtig, gemeinsam mit der russischen und der ukrainischen Arbeiter_Innenklasse eine internationale Antikriegsbewegung aufzubauen, welche sich auf keine Seite stellt, sondern sich gemeinsam gegen alle imperialistischen Mächte auflehnt und die Waffen gegen diese wendet. Denn es gibt in diesem Konflikt keine gute Seite geben und selbst wenn der Ukrainekrieg endet, wird es keinen endgültigen Gewinner geben. Die Konfrontationen der unterschiedlichen Blöcke werden an anderer Stelle weiter gehen und es gibt immer die gleichen eindeutigen Verlierer: Die Arbeiter_Innenklasse und die Jugend.

Deshalb fordern wir:

  • Sofortiger Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine! Anerkennung der ukrainischen Unabhängigkeit und Staatlichkeit durch Moskau!
  • Solidarität mit der Arbeiter_Innenklasse in Russland und der Ukraine und allen, die sich gegen Krieg stellen!
  • Keine Unterstützung für westliche Wirtschaftssanktionen gegen Russland! Für Arbeiter_Innenaktionen, um die Lieferungen von Waffen und Munition an alle Kriegstreiber_Innen zu stoppen, solange die Aggression andauert!
  • Abzug aller NATO-Berater_Innen aus der Ukraine und der Seestreitkräfte der Westmächte aus dem Schwarzen Meer!
  • Für das Recht der Regionen Donezk, Luhansk und Krim auf demokratische Selbstbestimmung, einschließlich der Optionen der Autonomie innerhalb der Ukraine, der Unabhängigkeit oder des Beitritts zu Russland!
  • Auflösung von NATO und Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit!
  • Für eine neue globale Bewegung gegen imperialistische Kriege und Aufrüstung und für die Umleitung der enormen technischen und wissenschaftlichen Ressourcen, die dafür aufgewendet werden, um die brennenden Probleme der Klimakatastrophe, der Armut, des Hungers und der Krankheiten zu lösen!
  • StaatsbürgerInnenrechte für alle! Damit niemand, egal ob europäisch oder nicht, im Krieg leben muss.



Warum muss die Umweltbewegung international sein?

Von Felix Ruga, aus der REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Die Klimakrise betrifft uns zwar alle, aber manche Menschen leiden stärker unter ihren Folgen als andere. Schon das durch das Pariser Klimaabkommen gesetzte Klimaziel von höchstens 1,5° Erderwärmung wird die verletzlichen Bevölkerungen überproportional stark treffen. Die Hauptsymptome dessen dürften sein: Unsichere Nahrungsmittelversorgung, höhere Lebensmittelpreise, Einkommensverluste, negative Auswirkungen auf die Gesundheit und Vertreibung von ihrem Zuhause, zum Beispiel durch Wetterextreme oder sich ausbreitende Wüsten.

Das kommt nicht nur durch die klimatischen und geographischen Verhältnisse am Wohnort selbst, wodurch zum Beispiel in einigen afrikanischen Ländern der Ertrag von Mais, Weizen und Hirse jetzt schon sinkt, während der Großteil des „globalen Nordens“ weniger betroffen ist. Sondern es geht auch darum, wie viel Einkommen man innerhalb der Länder hat: Arme Menschen sind besonders verletzlich, da diese einen Großteil ihres Geldes für Essen ausgeben und bei Ernteausfällen nicht die steigenden Preise mittragen können.

Außerdem fehlt ein finanzieller Puffer, um nach Naturkatastrophen wie Überschwemmungen die zerstörte Lebensgrundlage zu erneuern. Sowieso hat dann wohl auch schon vorher das Geld gefehlt, um wie reichere Menschen ihr Haus abzusichern, zum Beispiel durch eine stabile Bauart oder Wasserablaufsystemen.

Gleichzeitig haben wir aber den Punkt, dass die Menschen, die am stärksten unter dem Klimawandel leiden, ihn nicht verursacht haben. Eine sehr beeindruckende Zahl: Die gesamten CO2-Emissionen seit der Industrialisierung. Im Zeitraum von 1751 bis 2018 haben die USA und die EU zusammen etwa die Hälfte der globalen CO2-Emissionen verursacht – China etwa 13 Prozent, Afrika und Südamerika je rund 3 Prozent.

Solche Statistiken zum CO2-Ausstoß sind zwar heftig, aber letztendlich auch nicht so unendlich aussagestark: Wir leben nämlich in einer international verbundenen Welt. Wo das CO2 emittiert wird, sagt nur indirekt, welche Konzerne letztendlich von diesem CO2 profitieren und wohin das Geld fließt. Hierfür könnte ein Begriff nützlich sein: Der Umweltimperialismus.

Was heißt Umweltimperialismus?

Im marxistischen Sinne spricht man beim Begriff „Imperialismus“ von einem kapitalistischen Stadium, in dem sich das Weltsystem befindet. Es geht dabei nicht um eine bestimmte ausbeuterische Politik, sondern muss wirklich als weltweites System begriffen werden. Dieses zeichnet vor allem aus, dass in wichtigen Sektoren keine wirklich freie Konkurrenz mehr herrscht, sondern die früher kleinen Betriebe immer weitergewachsen sind und immer mehr ihre Konkurrenz aufgefressen haben, sodass jetzt große multinationale Konzerne wie Google, Nestle oder Volkswagen ihre Märkte kontrollieren können. Diese sind beheimatet in den sogenannten „imperialistischen Zentren“, zu denen Deutschland gehört, aber auch die USA, China, Russland und so weiter. Die Welt ist mehr oder weniger unter diesen Ländern und Konzernen aufgeteilt und wird von diesen ausgebeutet. Es gibt heute kein Land mehr, was nicht in dieses System aus Ausbeutung und Ausgebeutetsein eingebunden ist. Wie diese Ausbeutung konkret aussieht?

Zum einen besteht die moderne Abhängigkeit zwischen Ländern vor allem in einer Schuldknechtschaft. Arme Länder sind wirtschaftlich so abhängig von Krediten, dass diese sich den Wünschen der Imperialist_Innen, oder vermittelt über den IWF, nicht entgegenstellen können. Außerdem werden sie auch durch die billigen Produkte und das patentierte Wissen aus der Industrie in den Zentren abhängig gemacht. Man bezeichnet diese Länder als Halbkolonien, weil sie wirtschaftlich abhängig, aber politisch-formal unabhängig sind.

Zum anderen findet die Ausbeutung im sogenannten „Ungleichen Tausch“ statt: Die Einführung von technologischen Fortschritten führt dazu, dass Arbeitskraft „effizienter“ eingesetzt wird, sodass Massenprodukte deutlich billiger werden müssten. Die abhängigen Länder werden jedoch auf einem technologischen Stand gehalten, in dem die Arbeitskraft nicht so effizient eingesetzt wird, wie es in den Zentren möglich ist. Deswegen kommt es zum ungleichen Tausch: Die abhängigen Länder zahlen höhere Preise und bekommen weniger Einkommen, müssen also viel mehr Arbeitskraft aufwenden. Dies manifestiert wiederum die technologische Rückschrittlichkeit.

Der ungleiche Tausch führt dazu, dass eine internationale Arbeitsteilung entsteht, nämlich dass die automatisierbaren und lukrativen Tätigkeiten in den imperialistischen Zentren bleiben, während die arbeitsintensiven und unlukrativen Tätigkeiten in die abhängigen Länder ausgelagert werden. Und diese Tätigkeiten sind meist auch jene, die besonders großen ökologischen Schaden anrichten. So braucht die Produktion von Rohstoffen, wie im Bergbau oder in der Agrarwirtschaft, viel Platz und vergiftet die Umwelt.

Außerdem kann in den imperialistischen Ländern das politische System durch die Extraprofite stabilisiert werden. So können negative ökologische Folgen in andere Länder verlagert werden, also auch besonders dreckige Industrie. Anstatt hier werden in den Halbkolonien werden dann Rohstoffe geplündert, Landstriche und Wasserressourcen zerstört, Bevölkerungen entwurzelt, Wälder gerodet. Dies dann als grüne Errungenschaften zu verkaufen, ist mittlerweile das grüne Hauptgeschäft der herrschenden Politik. Dass dann im Ausland im Interesse von deutschen Konzernen die Umwelt zerstört wird, sei dann weder Verantwortung noch Problem der deutschen Regierung.

Ein recht bekanntes Beispiel dafür ist die Herstellung von E-Fahrzeugen. In Südamerika wird Lithium abgebaut, indem die Vorkommen unter der Erde mit dem ohnehin knappen Wasser unterspült werden und danach in riesigen Salinen verdampfen. Hierfür wird haufenweise Wasser gestohlen und die dortigen Indigenen verjagt, wenn sie wegen des Wassermangels nicht ohnehin schon ihren Lebensunterhalt verloren haben. Mit diesem Lithium werden die Lithium-Ionen-Akkus für E-Autos und Co. hergestellt. Gleichzeitig werden in Deutschland die sauberen, angenehmen und lukrativen Tätigkeiten ausgeführt: Der Entwurf, der Zusammenbau aus den Einzelteilen und der Verkauf. Und der geringere CO2-Ausstoß wird dabei durch andere ökologische Zerstörung erkauft.

Und die Arbeitsteilung hat ein weiteres Problem: Rohstoffe und halbfertige Produkte werden ständig über die ganze Welt transportiert, um die vorteilhaften Arbeits- und Steuerverhältnisse der einzelnen Länder auszunutzen. Sinnvolle Produktionsketten sehen anders aus.

Der Kampf muss international sein!

Was man am besten versteht, wenn man es umdreht: Was würde also passieren, wenn wir unseren Kampf auf Deutschland oder zumindest die EU isolieren? Zum einen würden wir dabei den Kontakt zu den Betroffenen verlieren, die jetzt schon davon gebeutelt sind. Also die Armen in den Slums der großen Städte, die geknechteten Kleinbäuer_Innen, die geschundenen Arbeiter_Innen in den Rohstoffunternehmen, die Massen an Klimaflüchtlingen. In ihnen steckt ein sehr großes Potenzial, militanten Widerstand gegen den Umweltimperialismus zu leisten.

Diese brauchen wiederum auch uns, denn in den Zentren sitzen ja die großen Unternehmen, die diese Abhängigkeiten ausnutzen und aus den betroffenen Ländern viel schwerer zur Rechenschaft gezogen werden können. Zum anderen würden wir unserer herrschenden Klasse die Möglichkeit lassen, sich der Verantwortung zu entziehen. Wir hätten nichts gewonnen, wenn beispielsweise Deutschland klimaneutral wäre, weil alle CO2-Schleudern ins Ausland verlegt wurden. Dem Klimawandel und vielen anderen Umweltzerstörungen ist es ja gerade eigen, dass die ganze Welt davon betroffen ist.

Und deswegen müssen wir eben auch eine weltweite Antwort darauf finden und eine Alternative zum Kapitalismus eröffnen:

  • Entschädigungslose Enteignung unter Arbeiter_Innenkontrolle aller Unternehmen, die sich weigern auf umweltschonende Technologie umzusteigen, sowohl „daheim“ als auch in ihren Liefer- und Produktionsketten! Diese müssen offengelegt werden!
  • Internationale patent- und konkurrenzfreie Forschung! Zugang zu Erkenntnissen für alle!
  • Ende der Patente auf Saatgut und Technologien!
  • Schuldenschnitt für den globalen Süden!
  • Für eine klassenkämpferische und internationale Umweltbewegung!



Frankreich: Generalstreik gegen die „Rentenreform“! Nieder mit Macron und der antidemokratischen Fünften Republik!

Von Marc Lasalle, ein französischer Genosse der Liga für die 5. Internationale.

Seit zwei Monaten wird Frankreich von Streiks und Protesten gegen den Versuch, das Rentenalter zu erhöhen, erschüttert. Doch nun ist die Krise in eine neue Phase eingetreten.

Nach monatelangen Verhandlungen, in denen versucht wurde, die Stimmen der Abgeordneten des rechten Flügels der Republikaner_Innen zu kaufen, konnte die Regierung immer noch keine Mehrheit erlangen – ein Zeichen für den Druck, den die Massen auf alle Abgeordneten ausübten.

Präsident Emmanuel Macron berief sich daraufhin auf Artikel 49.3 der Verfassung, der es ihm erlaubt, das Parlament zu übergehen und Gesetze zu verabschieden, ohne dass es eine Mehrheit unter den Abgeordneten gibt, geschweige denn ein Mandat des Volkes.

Unsere Antwort: Widerstand!

Dieser ungeheuerliche Eingriff in die Demokratie löste mehr als eine Woche lang eine neue Serie nächtlicher Proteste aus. In diesen Kämpfen mit den Sicherheitskräften stehen immer mehr junge Menschen an vorderster Front: Sie lassen sich nicht ihrer demokratischen Rechte berauben!

An den Arbeitsplätzen fällt das Tempo des Kampfes uneinheitlich aus. Einige Sektoren wie die Eisenbahnen, die Energiewirtschaft, die Docks und die Müllabfuhr werden seit Wochen bestreikt. Auf den Straßen von Paris türmen sich 10.000 Tonnen Müll. Die Häfen von Marseille und Rouen sind blockiert, ebenso wie mehrere Raffinerien. Die Benzinknappheit ist im Süden des Landes sehr groß und weitet sich unaufhaltsam auf das ganze Land aus.

Der gestrige Aktionstag am 23. März brachte 3,5 Millionen Arbeiter_Innen mit hunderten Demonstrationen auf die Straße. Die Erfahrung der letzten Wochen zeigt jedoch, dass selbst eine Mobilisierung dieses Ausmaßes nicht ausreicht, um die Regierung zum Rückzug zu zwingen, geschweige denn, um sie vollständig abzusetzen, was die notwendige Voraussetzung für die Aufhebung des Gesetzes und eine angemessene Bestrafung für ihre Missachtung der Demokratie wäre.

Alle Gewerkschaftsverbände erklärten, sie würden das Land im März zum Stillstand bringen. Die Realität sieht jedoch bislang anders aus. Einige gut organisierte Sektoren führen zwar beharrliche Streiks durch, die jeden Morgen in Betriebsversammlungen abgestimmt werden, aber es gibt keine generelle Arbeitsniederlegung. An den Aktionstagen (9 seit Januar) werden Millionen auf die Straße gebracht, aber die Zahl der Streikenden außerhalb dieser Tage ist eher gering.

Misere der Gewerkschaftsbürokratie

Was ist hier los? Die Gewerkschaftsführer_Innen haben ihre Glaubwürdigkeit in diesem Kampf aufs Spiel gesetzt – sie können heute nicht einfach nachgeben oder sich zurückziehen. Aber sie wollen auch nicht über die aktuelle Strategie hinausgehen. Da die Rentenreform nach allgemeiner und richtiger Auffassung den Lohnabhängigen zwei Jahre ihres Ruhestands vorenthält, würde eine Niederlage bedeuten, dass sie zugeben müssten, dass sie nicht in der Lage sind, die bestehenden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter_Innen zu verteidigen, geschweige denn für Verbesserungen zu kämpfen.

Doch trotz des hohen Einsatzes weigern sich die Gewerkschaften, zu einem Generalstreik aufzurufen. Sie bestehen auf Blockaden, auf Verallgemeinerungen, aber sie haben nicht dazu aufgerufen, dass alle organisiert und gemeinsam das Land in einem unbefristeten politischen Streik lahmlegen. Der Grund dafür ist einfach: Die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten in Frankreich ist gering, weniger als 10 Prozent. Die Führungen ziehen es daher vor, gut kontrollierte Streiks in einigen strategischen Sektoren mit „Aktionstagen“ für alle anderen zu kombinieren. Sie ziehen diese konkreten Aktionen einem unbefristeten Generalstreik vor, der zwangsläufig die Organisation alternativer lokaler, regionaler und nationaler Führungen zur Koordinierung erfordern würde. Angesichts eines politischen Kampfes, der eine politische Aktion in gleichem Umfang erfordert, sind die Gewerkschaftsspitzen unschlüssig und verhalten sich zu dieser Aufgabe passiv. Doch dies ist eine Strategie der Niederlage.

Viele Arbeiter_Innen betrachten die Gewerkschaftsführer_Innen immer noch als die legitime Führung, auch weil die Gewerkschaftsfront (die Intersyndicale) bislang geschlossen bleibt und die Reden der Führer_Innen einen radikalen Ton anschlagen. Doch bevor Macron ein Misstrauensvotum knapp überstand, war die Zahl der Streikenden rückläufig. Das hat sich nach dem 16. März zwar wieder geändert. Aber ohne einen ernsthaften Tempo- und Richtungswechsel wird sich nach einiger Zeit wieder dasselbe Problem stellen.

Wie muss es jetzt weitergehen?

Deshalb müssen wir den Schwung des aktuellen Kampfes nutzen. Dieser ist noch nicht vorbei, er ist vielmehr in eine entscheidende Phase getreten. Die nächsten Tage und Wochen werden von größter Bedeutung sein. Die Entschlossenheit der Streikenden, kombiniert mit der noch zu entfesselnden Kampfbereitschaft der Massen, ist unermesslich stärker als die Regierung und ihre Polizei. Die Jugend nimmt den Kampf auf: Universitäten in Paris und Toulouse sind besetzt. Überall versuchen Aktivist_Innen, die Betriebe zu vernetzen, Streikkomitees zu bilden und für einen Generalstreik zu werben.

Das jüngste Interview von Macron, das von einer ungezügelten Verachtung für die Lohnabhängigen geprägt war, hat die Situation noch zugespitzt. Die Gewalt der Polizei und die Forderungen der Minister_Innen nach einem harten Durchgreifen gegen die Demonstrant_Innen verstärken den Hass der Bevölkerung auf die Regierung nur noch. Millionen von Menschen fühlen, dass Demokratie und Gerechtigkeit auf ihrer Seite sind.

Der Generalstreik ist der einzig mögliche Schritt. In jedem Betrieb sollten die Aktivist_Innen die Führung übernehmen und ihre Kolleg_Innen davon überzeugen, die Streiks auszuweiten, die Profitmaschine zu stoppen und die öffentlichen Dienste zu schließen. Generalversammlungen und Streikkomitees in den Betrieben sollten die Führung übernehmen und Aktionsräte bilden, die regional und national vernetzt sind, um die Verallgemeinerung von Streiks zu organisieren.

Dieser Kampf geht über die Renten hinaus. Auf Macrons Umgehung des Parlaments kann es nur eine Antwort geben: einen Generalstreik, um die Rentenreform zu stoppen, um Macron zu stürzen und vor allem, um die 5. Republik und ihre bonapartistische Verfassung zu Fall zu bringen.

Macron wird nicht der erste Tyrann sein, der von den französischen Arbeiter_Innen auf der Straße besiegt wird. Aber er könnte der letzte sein, wenn die französische Arbeiter_Innenklasse sich auf eine Endabrechnung mit dem Kapitalismus vorbereitet.




Antiregierungsproteste in Israel: Gegenmacht oder Ohnmacht?

Von Jona Everdeen

Seit Wochen finden in Israel Massenproteste gegen die Politik der neuen rechten Regierung statt. Hunderttausende Menschen sind wöchentlich auf der Straße. Ihren Aufhänger fanden die Proteste in einer angestrebten Justizreform, die Befürchtungen hervorruft, sie könnte Israel in eine Diktatur verwandeln. Doch was beinhaltet die Justizreform und wer ist diese Regierung überhaupt, die allgemeinhin als rechteste in der Geschichte des Landes gilt? Welche reaktionäre Politik betreibt sie? Was sind die Folgen für die Menschen in Israel? Und wie wirkt sich die Regierungspolitik auf die eh schon massiv unterdrückten Palästinenser_Innen aus? Welchen Charakter haben die Proteste und was ist nötig, um Netanjahu, Ben-Gvir und Co. zu stürzen?

Rechtsradikale mit Ministerposten

Das Regierungsbündnis aus Netanjahus nationalreligiösem Likud, rechten Siedlerparteien und religiös-fundamentalistischen Kleinstparteien eröffnete einigen stramm rechten Hardliner_Innen den Weg zu wichtigen Regierungsposten. Viele von ihnen machten in der Vergangenheit mit extremem Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, religiösem Fundamentalismus und der Unterstützung zionistischer Terrorist_Innen von sich reden.

So zum Beispiel Itamar Ben-Gvir, der keinen Hehl aus seiner Verehrung für den Terroristen Baruch Goldstein macht, der bei einem Terroranschlag 29 Palästinenser_Innen ermordete. Außerdem wolle er „illoyale“ Palästinenser_Innen ausweisen und habe auch schon persönlich angesichts palästinensischer Proteste die Pistole gezückt. Er ist jetzt israelischer Polizeiminister.

Mit Bezalel Smotrich hat ein weiterer rechter Hardliner als Finanzminister einen zentralen Posten in der neuen Regierung. Das ideale Israel sieht er in Form einer fundamentalistischen Theokratie, in der das oberste Gesetz die Thora ist. Auch schockierte er erst kürzlich mit der Aussage, dass seiner Ansicht nach Jüdinnen und Araberinnen auf getrennten Geburtsstationen Kinder zur Welt bringen sollten. Ben-Gvir und Smotrich sind dabei nur die Spitze des Eisbergs einer Regierung voller extremer Rechter. Doch für den langjährigen rechtskonservativen Ministerpräsidenten Netanjahu schien das kein allzu großes Problem zu sein, immerhin brachten ihm diese Kräfte die nötige Mehrheit, um wieder an die Regierung zu gelangen.

Die Justizreform – Weg in die Diktatur?

Während die Übergabe wichtiger Ministerien an Rechtspopulist_Innen bereits teilweise für Unmut sorgte, brachte die von Netanjahu und seinen Verbündeten geplante Justizreform das Fass zum Überlaufen. Nachdem große Teile der israelischen Gesellschaft seit mehreren Jahren eine Anklage Netanjahus wegen eines Korruptionsskandals fordern, könnte der neue-alte Ministerpräsident durch seine Justizreform einer Anklage entgehen. Diese Dreistigkeit und Verhöhnung des bürgerlichen Rechtsstaates bildete die Grundlage für die folgenden Massenproteste.

Die geplante Reform sieht vor, dass Entscheidungen des obersten Gerichts in Zukunft mit einfacher Mehrheit des Parlaments revidiert werden können, ergo die Rechtsprechung quasi entmachtet wird. Zusätzlich dazu sieht die „Reform“ auch vor, dass die Regierung im Alleingang Richter_Innen ernennen kann, die dann (ähnlich wie die von Trump ernannten Richter_Innen des Supreme Courts) die reaktionäre Ideologie der aktuellen Regierung in ihre „Rechtsprechung“ fließen lassen. Die Justizreform ist also ein klarer Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz, die für eine bürgerliche Demokratie zentral ist.

Die besondere Stellung des Obersten Gerichtshof war schon häufiger Ziel von Angriffen rechter Regierungen. Er gilt unter linksliberalen und sozialdemokratischen Israelis als Hort der Menschenrechte und der Demokratie. Dementsprechend groß ist die Empörung über die geplante Reform nun in diesen Kreisen. Diese Empörung ist berechtigt und als Revolutionär_Innen verteidigen auch wir Angriffe gegen bürgerlich-demokratische Rechte, auch wenn sie Institutionen von kapitalistischen Nationalstaaten sind. Dennoch haben wir keine Illusionen in diesen Gerichtshof. Auch bevor die rechte Regierung ihre Reform angekündigt hat, hat der Gerichtshof die israelische Gesellschaft nicht davor bewahrt, den Charakter eines Besatzungsregimes und eines Apartheidstaates anzunehmen. Die aktuellen Angriffe verdeutlichen nur einmal mehr, wie schnell die Bourgeoisie bereit ist, ihre zuvor hoch gelobte Demokratie zu entmachten, sobald sie ihren Interessen im Wege steht. Ähnliche Beispiele haben wir zuletzt in Brasilien unter Bolsonaro, in Ungarn unter Orban, in Polen unter der PiS oder in den USA unter Trump gesehen.

Reaktionäre Innenpolitik

Während sich die religiösen Splitterparteien und die rechtsextremen Siedler_Innen vor allem an ihrem Rassismus gegenüber Palästinenser_Innen abarbeiten, vertritt der Likud zudem eine zutiefst neoliberale Wirtschaftspolitik. Der bis auf eine kleine Unterbrechung seit 14 Jahren regierende Netanjahu hat große Leistungen für das israelische Kapital vollbracht, indem er es schaffte, Arbeitsrechte und Sozialstaat und auf ein Minimum herunterzufahren. Ein Resultat dieser Politik ist, dass in vielen israelischen Städten die Immobilienpreise so hoch sind, dass dagegen München und Frankfurt am Main geradezu günstig wirken. Auch andere Lebenshaltungskosten stiegen im Laufe seiner Amtszeiten massiv an. Viele Israelis benötigen 2 bis 3 Jobs, um überhaupt über die Runden zu kommen. Öffentliche Schulen und Krankenhäuser sind in einem desaströsen Zustand, während es sich reiche Israelis leisten können, auf Privatschulen und private medizinische Einrichtungen auszuweichen. Jede_r Shekel, der in Checkpoints, Mauern, Drohnen und Panzer fließt, fehlt in den israelischen Schulen, Sozialkassen und Krankenhäusern. Ein Ende dieser Entwicklung ist sicher nicht in Sicht mit der neuen Koalition, eher ist davon auszugehen, dass auch weiterhin die Folgen der allgemeinen Krise, die auch Israel betrifft, auf dem Rücken der Arbeiter_Innen ausgetragen werden.

Noch dramatischer steht es um die Rechte von LGBTIQ-Personen und ethnischen oder religiösen Minderheiten. So ist die religiös-zionistische Partei offen queerfeindlich und macht daraus auch keinen Hehl. Ihr zufolge sollen medizinische Einrichtungen mit religiösem Träger sich weigern dürfen, queere Menschen zu behandeln.

Generell wird voraussichtlich der Rassismus gegen nicht-jüdische Israelis aber auch gegen nicht-weiße Juden:Jüdinnen, die zum Beispiel aus Äthiopien oder dem Jemen nach Israel geflohen und häufig massiven rassistischen Anfeindungen bis hin zu brutalen Angriffen ausgesetzt sind, noch weiter zunehmen.

Mit der sich verschärfenden Wirtschaftskrise geht auch eine verstärkte Verelendung der Arbeiter_Innenklasse in Israel und ihrer besonders marginalisierten, sexistisch oder rassistisch unterdrückten Teile einher. Die israelische Regierung versucht jetzt durch nationalistische Propaganda und der Erweiterung des israelischen Staatsgebiets dieser Krise durch kurzfristige Scheinlösungen zu begegnen und die israelische Arbeiter_Innenklasse mittels Nationalismus an die herrschende Klasse zu binden und damit ihre Schlagkraft zu verringern. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch das Wiederaufkommen einer entschiedenen Kriegsrhetorik gegenüber dem Iran.

Was bedeutet das für Palästinenser_Innen?

Dementsprechend hat sich die Lage der Palästinenser_Innen massiv verschlechtert und zu einer neuen Welle von Gewalt und Gegengewalt geführt. Bei Operationen des israelischen Militärs in Städten wie Jenin oder Nablus sind seit Anfang des Jahres mehrere Dutzend Palästinenser_Innen ermordet worden, im Schnitt mehr als ein Mensch pro Tag!

Dazu kam es im palästinensischen Dorf Hawara zu einem Pogrom durch rechtsradikale Siedler_Innen, die mehrere Dutzend Häuser und Geschäfte anzündeten, mindestens einen Menschen töteten und zahlreiche weitere Verletzten. Die israelische Armee hat ihnen dabei zugesehen und Rückendeckung gegeben.

Polizeiminister Ben-Gvir sorgte mit einem Besuch auf dem Tempelberg – Standort der Al-Aqsa Moschee- ebenfalls für eine krasse Provokation. Als Ariel Sharon im Jahre 2000 den Tempelberg betrat, war das der Auslöser für die 2. Intifada. Ben-Gvir kündigte darüber hinaus noch an, dass er es Muslima_en nicht den gesamten Ramadan über erlauben wolle, in der Al-Aqsa Moschee zu beten.

Zu allem Übel will die neue Regierung auch noch die Todesstrafe wiedereinführen. Diese soll gegen Palästinenser_Innen, die Israelis ermordet haben, angewendet werden können, nicht aber gegen Israelis, die Palästinenser_Innen ermordet haben. Zwar müssen Palästinenser_Innen ohnehin damit rechnen, vom israelischen Militär getötet zu werden, wenn sie sich der Besatzungspolitik widersetzen. Allerdings unterstreicht die Wiedereinführung der Todesstrafe – allein für Palästinenser_Innen – noch einmal bildlich die Geringschätzung palästinensischen Lebens.

Weniger offensichtlich aber doch extrem relevant ist auch die Übertragung der Kontrolle über die Westbank von einer militärischen zu einer zivilen Behörde. Während die Militäradministration den jahrzehntelangen Besatzungsstatus des Gebietes aufrecht erhielt, ist dies nun als endgültiges Zeichen zu verstehen, dass für die aktuelle israelische Regierung ein Verlassen dieser, und somit eine zwei Staaten Lösung, keine Option mehr ist und sie die gesamte Westbank als Teil israelischen Staatsgebiets betrachtet.

Welche Perspektive hat der Protest?

Der Protest, der sich in erstes Linie als Widerstand gegen die Justizreform aufstellt und an dem bis zu 250.000 Menschen im ganzen Land teilnahmen, wird getragen von einer sehr breiten israelischen „Zivilgesellschaft“ und ist geprägt von liberal-zionistischen Kräften. Am Meer aus israelischen Flaggen, das auf den Großdemonstrationen in Tel Aviv/Jaffa zu sehen war, wird deutlich, wie nationalistisch dieser eigentlich ist. Dennoch scheint die neue Regierung vor den Protesten zu zittern, wenn sie mit allen Mitteln versucht, die eigentlich sehr zahmen Proteste als „Gesetzesbrecher“ zu verunglimpfen und ihnen vorwerfen, sie würden „Anarchie“ verbreiten.

Der von der neuen Rechtsregierung abgelöste ehemalige Ministerpräsident Lapid versucht, sich dabei als liberaler Gegenspieler von Netanjahu und Hüter der israelischen Demokratie zu inszenieren. Dabei war er es, der zuvor auch keinerlei Probleme damit hatte, mit Naftali Bennets kaum weniger rechtsextremen Siedlerpartei gemeinsam zu regieren. Die Massenproteste werden weiterhin ohnmächtig gegenüber den rechten Angriffen auf demokratische Rechte sein, solange sie sich von liberal-zionistischen Kräften anführen lassen. Ihre Alternative gegenüber Netanjahu sieht vielleicht so aus, dass der Oberste Gerichtshof unangetastet bleibt und die Siedlungen weniger stark ausgebaut werden. An der Realität des Besatzungsregimes, des Abbaus des israelischen Sozialstaates, der massiven Inflation, der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Krise des Wohnungs-, Bildungs- und Gesundheitssektors werden sie nichts verändern.

Dennoch können die Massenproteste einen Ausgangspunkt für den Aufbau von Gegenmacht bieten. Zentral dabei ist es, ob fortschrittliche Organisationen es verstehen, in diese Proteste eine unabhängige Position der israelischen und der palästinischen Arbeiter_Innenklasse zu tragen und die Führung zu übernehmen. Es muss dabei darum gehen, die soziale Frage mit der Beendigung der Besatzung zu verknüpfen. Sozialdemokratisch-stalinistische Gruppen wie „Hadash“ und autonome Antifa-Gruppen haben auf den Großdemonstrationen mit ihrem „radical bloc“ ein starkes Zeichen gesetzt. Darin fanden sich viele palästinensische Fahnen, „Palestinen Lives Matter“-Schilder als auch Banner mit der Aufschrift „There’s no democracy with apartheid,” oder “A nation that occupies another nation will never be free“. Dabei ist das Zeigen der palästinensischen Flagge seit Neustem eine durchaus heikle Angelegenheit. So hatte Ben-Gvir zuvor das Zeigen von Palästina-Flaggen auf öffentlichen Plätzen verboten, weil diese angeblich für „Terrorismus“ stünden.

Dieser Block wurde damals von anderen Demonstrant_Innen aktiv angegangen und versucht von der Demo zu drängen, jedoch konnte sich der pro-palästinensiche Block mit der Zeit etablieren und deutlich anwachsen.

Die Proteste setzen Netanjahus Regierung real unter Druck, gerade deshalb weil die Protestierenden sich überdurchschnittlich stark aus Beschäftigten zentraler Bereiche, zum Beispiel IT-Spezialist_Innen, zusammensetzen. Auch zahlreiche Kulturschaffende sowie Klein- und Mittelunternehmer_Innen unterstützen die Proteste und lehnen die Justizreform ab. Auch der israelische Gewerkschaftsbund Histadrut, der aufgrund seiner historisch stark ausgeprägten Staatstreue bisher nicht zu den Demonstrationen aufrief, droht nun damit, sich anzuschließen und seine 800.000 Mitglieder zum Protest, und eventuell zum Streik, aufzufordern.

Was braucht es um Netanjahu, Ben-Gvir und Co. Zu schlagen?

Für uns als Sozialist_Innen ist klar, dass eine Demokratie unter den Bedingungen kapitalistischer Profitmaximierung sowie ethnischer Segregation und rassistischer Ungleichbehandlung nur Heuchelei ist. Israel kann nur dann wirklich demokratisch sein, wenn es auch Palästinenser_Innen dieselben Rechte zugesteht wie jüdischen Israelis und die Produktionsmittel gemeinsam demokratisch kontrolliert werden.

Revolutionär_Innen müssen sich den Massenprotesten gegen Netanjahu anschließen und gemeinsam mit den antizionistischen Kräften vor Ort für eine unabhängige Position der Arbeiter_Innenklasse kämpfen. Ein zentraler Punkt dabei ist die Anerkennung des Rechts der Palästinenser_Innen auf nationale Unabhängigkeit. Ebenso steht ihnen auch das Recht zu, sich gegen Angriffe zu verteidigen und gegen die fortwährende Besatzung zu wehren. Wir verteidigen dieses Recht, auch wenn wir Angriffe auf Zivilpersonen, insbesondere den brutalen Anschlag auf die betenden Menschen in der Synagoge in Ost-Jerusalem, entschieden ablehnen. Die sinnlosen Angriffe von Palästinenser_Innen auf Zivilpersonen sind ein Ausdruck der Führungskrise im palästinensischen Widerstand, der den verschärften Angriffen kaum eine glaubhafte Perspektive entgegenzusetzen hat. Dies liegt an der Schwäche der palästinensischen Linken und dem historischen Verrat der Stalinist_Innen in ihren Reihen, aber auch an der verräterischen Politik der palästinensischen Autonomiebehörde, der Abwesenheit von legalen Protestmöglichkeiten und dem Siegeszug des politischen Islams in der gesamten Region. So konnten sich Hamas und Islamischer Jihad als die „entschlossenere Alternative“ präsentieren, obwohl sie beide reaktionäre Organisationen sind, die nicht im Interesse der palästinensischen Arbeiter_Innenklasse handeln.

Netanjahu, Ben-Gvir und ihre reaktionäre Bande können nur geschlagen werden, wenn sich die israelischen Arbeiter_Innen, Jugendlichen und Unterdrückten mit den palästinensischen Massen zusammenschließen. Wenn sie gemeinsam kämpfen gegen Justizreform, Besatzung und Neoliberalismus aber auch gegen die reaktionäre Politik palästinensischer Kräfte wie Hamas und Fatah. Dies würde bedeuten anzuerkennen, dass israelische und palästinensische Arbeiter_innen objektiv dieselben Interessen und Ziele haben und dass sie nur die subjektiven Ketten des Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus davon trennen. Die Geschichte hat schon oft gezeigt, dass nationale Gegensätze im gemeinsamen Kampf für gleiche Ziele verschwinden können. Unsere Perspektive ist die eines säkularen multi-ethnischen Arbeiter_Innenstaates zu kämpfen, in dem jeder Mensch unabhängig von seiner Religion und Hautfarbe in Frieden leben kann.




Pakistan: Rechte versucht, minimalen Schutz für trans Personen rückgängig zu machen

Vom Revolutionary Socialist Movement (Pakistan), Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Während im Iran die Arbeiter:innenklasse gegen das diktatorische, patriarchale Regime auf die Straße geht, wird über die Attacke der fundamentalistischen Rechten auf trans Personen in Pakistan, die ohnehin schon massiv unterdrückt werden, geschwiegen.

Ebenso wie die Mullahs im Iran versuchen, Frauen daran zu hindern, selbst zu entscheiden, was sie tragen, will das pakistanische Äquivalent mit seiner protofaschistischen Basis die kleinen Erfolge des Gesetzes zum Schutz von trans Personen aus dem Jahr 2018 zurücknehmen. Es war zwar kein großer Wurf, kann jedoch als kleiner Fortschritt angesehen werden. Es gewährt trans Personen zum Beispiel nicht das Recht, sich entgegen ihrem eingetragenen Geschlecht als Mann oder Frau zu identifizieren. Dennoch erlaubt es ihnen, sich selbst dem dritten Geschlecht im Unterschied zu ihrem bei Geburt zugeschriebenen zuzuordnen. Dies gilt auch für Ausweisdokumente.

Die religiöse Rechte begehrt, wie zu erwarten war, bewaffnet gegen dieses Gesetz auf und verbreitet eine Deutung, die wie gewöhnlich in Betrug und Verderbtheit wurzelt, die typisch für ihresgleichen ist. Als Begründung gibt sie an, dass die amtliche Änderung des Geschlechts als Möglichkeit genutzt werden könne, das Verbot von Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare zu umgehen, indem sie vorgeben, ein anderes Geschlecht zu repräsentieren. Doch das ist unwahr.

Die Kräfte, die gegen dieses Gesetz mobilisieren, welches im Jahr 2018 verabschiedet wurde, sind dafür bekannt, seit langem protofaschistische Tendenzen zu umfassen. Sie sind ebenfalls dafür bekannt, ein extrem patriarchales und rückschrittliches Frauenbild zu vertreten. Die Partei Jamaat-e-Islami (Islamische Gemeinschaft; JI) spielte eine zentrale Rolle für die drakonischen Gesetze, die der Diktator Zia-ul-Haq (1978 – 1988) während der Militärdiktatur eingeführt hat. Die Jamiat Ulema-e-Islam (Fazl) (JUI-F; Versammlung Islamischer Kleriker), deren Führer Maulana Fazal-ur-Rehman ist, wurde vor kurzem, als die PDM (Pakistan Democratic Movement; Pakistanische Demokratische Bewegung; Parteienkoalition gegen Expremierminister Imran Khan, 2020 gegründet) in Opposition zu Imran Khan gegründet wurde, als  Held:in der reformorientierten und liberalen Linken Pakistans gefeiert. Doch sie pflegt die hässliche Tradition, die Gesichter von Frauen, die in öffentlichen Anzeigen zu sehen sind, mit schwarzer Farbe zu beschmieren. In der Zwischenzeit hat sich noch eine weitere Partei, die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI; Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) der widerwärtigen Hasskampagne angeschlossen. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der Vorsitzende und ehemalige Premierminister Imran Khan ein Frauenhasser vom selben Schlag ist.

Senator Mushtaq Ahmad Khan von der Partei Jamaat-e-Islami steht an der Spitze der derzeitigen Hasskampagne gegen die Rechte von trans Menschen, die zumindest auf dem Papier bestehen. Er hat vorgeschlagen die Gesetzeslage dahingehend zu ändern, dass Gremien von Ärzt:innen geschaffen werden sollen, die dann wiederum die Entscheidungsmacht darüber hätten, ob eine Person „komplett“ männlich oder weiblich sei. Dies solle mit einer invasiven körperlichen Untersuchung einhergehen. In seiner Vorstellung sollten nur die, bei denen das Geschlecht auf Basis der Fortpflanzungsanatomie bei Geburt „unklar“ sei, das Recht dazu haben, über ihr Geschlecht zu entscheiden. Kurz gesagt sollten lediglich Menschen mit mehrdeutigen Genitalien (Anm.: in der Regel sog. Intersexuelle) wählen dürfen und auch nur, wenn sie sich vorher der Tortur einer Leibesuntersuchung durch eine ärztliche Instanz unterzögen. In einem Land, wo die meisten Ärzt:innen (Anm: in der Regel Männer) bereits massiv in die Privatsphäre ihrer Patient:innen durch wertende Kommentare eingreifen, bspw. wenn es um Themen rund um Sex geht, kann man sich ausdenken, was das für Leben und Gesundheit von trans Personen an Belastung mit sich bringt.

Die Begründung Mushtaq Ahmad Khans hat gezeigt, dass sowohl Frauenunterdrückung als auch die Geschlechterungleichheit und die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten eine Klassenfrage darstellen. So gab er bei Voice of America zu, dass die eigenständige Wahl des Geschlechtes „eine Gefahr für die Familie und das Erbschaftssystem darstellt“ und es „die Tür dafür öffnet, dass 220 Millionen Menschen auswählen zu können, irgendwas zu sein“. Die Familie ist in der bürgerlichen Gesellschaft der Garant für das Überleben des kapitalistischen Systems, denn sie dient in erster Linie dazu, das Privateigentum dort zu halten. Für Pakistan ist wichtig anzumerken, dass insbesondere in islamischen Gesellschaften Frauen den halben Anteil des Mannes am Erbe erhalten. Die mickrige Hälfte, die ihnen zusteht, wird dennoch als Teil angesehen, der der Familie des Mannes zustünde. Die Ängste, dass Privatbesitz anders verteilt würde, und die Bedrohung, die das Gesetz offensichtlich für das „Familiensystem“ darstellt, zeigen, wie die Institutionen der Familie, des Klerus und des Gesetzes zusammenwirken, um die Existenz und den Fortbestand des Systems des Privateigentums zu sichern. Dieses System sorgt dafür, dass die Reichen reich und die Armen arm bleiben. Es sorgt dafür, dass der Sohn eines Kapitalisten auch nach dem Tod des Vaters Eigentümer des Familienunternehmens bleibt und der Sohn eines Arbeiters auch nach dem Tod seines Vaters zu einem Hungerlohn arbeiten muss. Die regressive Anhäufung von Reichtum in wenigen Händen kann ohne Familiensystem nicht fortbestehen. Das derzeitige Gesetz zum Schutz von trans Personen sieht vor, dass eine Person, die sich als trans Mann identifiziert, auch doppelt so viel Erbe erhält wie eine trans Frau. In einem Land, in dem es üblich ist, dass Brüder ihre Schwestern emotional so manipulieren, dass sie auf ihren ohnehin schon geringen Anteil am Erbe verzichten, oder es sich einfach ohne ihre Zustimmung aneignen, kann man sich vorstellen, welche Ängste das Gesetz bei reaktionären Männern auslöst, die nun mit der Bedrohung konfrontiert sind, dass ihre leiblichen Schwestern sich möglicherweise in Männer „verwandeln“. Auch wenn es keine Zahlen gibt, die solche lächerlichen Befürchtungen untermauern, ist die Klassenbasis dieser Ängste mehr als deutlich.

Obwohl sie unbegründet sind, bedeuten sie in der Realität eine Bedrohung für das Leben und die Sicherheit von trans Personen. Im Jahr 2021 wurden nachweislich mindestens 20 trans Personen in Pakistan umgebracht. Das pakistanische Religionsgericht sowie der ständige Ausschuss für die Überprüfung im Senat prüfen die Argumente zum Gesetz. Der Rat für Islamische Ideologie (ein weiteres Verfassungsorgan Pakistans), dessen Aufgabe es ist, die pakistanischen Gesetze im Lichte des Islam zu überprüfen, hat das Gesetz aus dem Jahr 2018 für unislamisch erklärt. Wenn das Gesetz geändert wird, um die religiöse Rechte und ihre frauenfeindlichen Verbündeten in fast allen etablierten Parteien Pakistans zu besänftigen, käme das einer großen Niederlage für die Arbeiter:innenklasse und die unterdrückten Menschen in Pakistan gleich. Heute haben sie es auf trans Personen abgesehen. Morgen könnten sie versuchen, den Hidschab (Verschleierung oder Kopfbedeckung nach islamischem Gesetz) im Namen des Islam durchzusetzen wie ihre benachbarten Kleriker im Iran. Es ist ein Teufelskreis, in dem die imperialistischen Mächte diese Beispiele nutzen werden, um zu Hause weiter mit der Islamophobie hausieren zu gehen, während die arbeitenden Massen sowohl in den imperialistischen Kernländern als auch in den Halbkolonien weiter leiden.

Daher rufen wir Arbeiter:innen, Bauern/Bäuerinnen, Gewerkschaften und alle fortschrittlichen Kräfte in Pakistan auf, sich gegen diese dogmatischen Kräfte zu stellen. Wir können nur selbst etwas bewirken, denn die Bourgeoisie wird keinen Finger rühren. Mushtaq Khan hatte bereits 2021 versucht, seine unsägliche Agenda durchzusetzen. Doch es schlug damals dank des Einsatzes von Shireen Mazari (pakistanische Politikerin und Menschenrechtsaktivistin, Vorsitzende der Parlamentskommission für die Ernennung der/s Chef:in der Wahlkommission und ihrer Mitglieder) fehl. Gegenwärtig braucht die pakistanische Bourgeoisie eine Angst, die sie über ihre Medien und Kleriker in den Köpfen der Massen hervorrufen kann, um von den wirklichen Problemen der Wirtschaftskrise, den verheerenden Überschwemmungen und der ständig wachsenden Auslandsverschuldung abzulenken. Jamaat-e-Islami spielt langjährig die Rolle der Schutzmacht eines sich auflösenden kapitalistischen Systems. Ohne selbst je an die Macht kommen zu können, besteht darin ihr einziger Job, um sich ihren Anteil an den Pfründen zu sichern. Denn die Gruppe, auf die sie sich in der Gesellschaft stützt, ist überschaubar. Es sind vor allem kleine Geschäftsleute und Händler:innen, also Kleinbürger:innen. Historisch gesehen sind das genau diejenigen, die dazu mobilisiert werden können, auch mit Gewalt gegen die Arbeiter:innenklasse und ihre Organisationen vorzugehen. Genau deswegen ist es unsere Aufgabe, sie nicht gewähren zu lassen und uns mit all unserer Kraft gegen diese Attacken (auf Rechte von trans Personen) als Ausdruck patriarchaler Gewalt durch reaktionäre Kräfte zu stellen. Unsere Brüder und Schwestern im Iran weisen uns den Weg!




USA: Anstieg von Femiziden nach Verschärfung von Abtreibungsgesetzen

von Veronika Schulz, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Die Angriffe auf hart erkämpfte Errungenschaften, Grund- und Bürgerrechte im Zuge des Aufstiegs von Rechtspopulist:innen weltweit gehen weiter – und erste Folgen sind jetzt schon spürbar. Trotz der Abwahl von Donald Trump und der neuen Bundesregierung unter Joe Biden erleben wir in den USA einen enormen Angriff auf Frauenrechte.

Insbesondere reproduktive und Selbstbestimmungsrechte von Frauen werden immer häufiger infrage gestellt. Damit wird Frauen der Zugang zu Beratung sowie Abtreibung im Falle ungewollter Schwangerschaften bewusst erschwert oder gleich gänzlich kriminalisiert, was neben finanziellen Belastungen und gesundheitlichen Risiken im Falle nun illegal durchgeführter Abbrüche weitere Auswirkungen mit sich führt: In den USA lässt sich bereits ein deutlicher Anstieg von Femiziden feststellen, insbesondere an schwangeren Frauen.

Hintergründe

Der Begriff Femizid (engl. femicide) wird seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Abgrenzung zum englischen Begriff „homicide“ (Mord, Totschlag) benutzt. Die feministische Soziologin Diana Russell definiert Femizid als einen Mord an einer weiblichen Person durch einen Mann auf Grund der Tatsache, dass sie weiblich ist. Diese Definition schließt auch die Tötung von Kindern mit ein. Dadurch wird die geschlechtsspezifische Motivation der Morde verdeutlicht, die Frauen durch Männer erleiden. Der Femizid stellt, noch vor der Vergewaltigung, die höchste Manifestation der Unterdrückung der Frau und eine extreme Form patriarchaler Gewalt dar.

Auch wenn Boulevardmedien mit reißerischen Schlagzeilen das Gegenteil suggerieren, so sind Femizide keine rein individuellen Tragödien. Während die Täter beim Frauenmord in familiärem oder partnerschaftlichem Kontext zwar einzelne Individuen oder kleine Gruppen sind, repräsentieren sie [beim Feminizid, dem organisierten, massenhaften Femizid] eine gesellschaftliche Kraft, in deren Interesse sie agieren – z. B. eine bestimmte Sorte von Unternehmen, eine reaktionäre Bewegung.

Die gesellschaftliche Dimension von Femiziden, also Morden an Frauen, weil sie Frauen sind, erfordert eine Betrachtung der Ursachen für die Zunahme dieser Gewalttaten.

Der von konservativen Richter:innen dominierte Supreme Court (Oberster Gerichtshof) der USA hatte im Juni 2022 das fast 50 Jahre geltende Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ aufgehoben. Dieses garantierte bisher das landesweite Grundrecht auf Abtreibung. Durch die Entscheidung des Supreme Court können Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche nun einschränken oder gänzlich verbieten, was mehrere konservativ regierte bereits getan haben. Das Urteil wurde deshalb nicht nur in den USA von Abtreibungsgegner:innen als Sieg gefeiert.

Betroffen sind rund 40 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter, die in US-Bundesstaaten leben, in denen Abtreibungen entweder bereits verboten oder nur in eng gefassten Ausnahmefällen möglich sind bzw. in absehbarer Zeit verboten oder stark eingeschränkt werden.

Zunahme von Femizide an Schwangeren

Bereits Ende 2021, noch vor dem Urteil des Supreme Court und den darauffolgenden Restriktionen, gab es Bedenken bezüglich einer Zunahme von partnerschaftlicher Gewalt und Femiziden als mögliche Folgen: „Einige Experten befürchten, dass die Einschränkung des Zugangs zum Schwangerschaftsabbruch gefährdete Frauen noch mehr in Gefahr bringen könnte.“ So hatten Studien ohnehin belegt, dass partnerschaftliche Gewalt durch bzw. während Schwangerschaften zunimmt. Frauen war es oft nicht möglich, ihre Schwangerschaft fortzusetzen, und sie entschieden sich aufgrund häuslicher Gewalt zur Abtreibung. Die USA hatten demnach bereits eine sehr hohe Rate an Müttersterblichkeit: „Im Jahr 2018 kamen in den USA auf 100.000 Lebendgeburten 17 Müttersterblichkeitsfälle – mehr als doppelt so viele wie in den meisten anderen Ländern mit hohem Einkommen.“

Forscher:innen der Harvard School of Public Health kommen zu dem Ergebnis, dass es in den USA für Schwangere oder Frauen, die vor kurzem entbunden haben, wahrscheinlicher ist, ermordet zu werden, als durch schwangerschafts- oder geburtsbedingte Komplikationen zu sterben. Tötungsdelikte an Schwangeren sind somit häufiger als solche Todesfälle durch Bluthochdruck, Blutungen oder Sepsis, wie die Forscher:innen in einem Leitartikel beschreiben.

Die Verbreitung von Gewalt in der Partnerschaft ist in den USA ohnehin höher als in vergleichbaren Ländern. Die Gewalt endet oft tödlich und häufig sind Schusswaffen im Spiel. Eine weitere Studie der Tulane University bestätigt diesen Trend, wonach Tötungsdelikte eine der häufigsten Todesursachen bei Schwangeren und Wöchnerinnen in den USA sind.

Die genannten Studien können durch Zahlen belegen, dass neben schwangeren Jugendlichen insbesondere schwarze Schwangere ein wesentlich höheres Risiko hatten, getötet zu werden, als weiße oder hispanische. Dies verwundert nicht, da schwarze Arbeiter:innen in den USA auch heute noch strukturell benachteiligt sind, schlechter bezahlte Jobs haben, oft in beengten Wohnsituationen leben und seltener krankenversichert sind. Die ökonomischen Bedingungen wirken sich daher für diese Bevölkerungsgruppe besonders negativ aus.

Ähnliche Entwicklungen konnten auch in Deutschland im Zuge der Lockdowns der Coronapandemie beobachtet werden, wo aufgrund der schlechteren wirtschaftlichen Lage und der erzwungenen Nähe auf engstem Raum partnerschaftliche Gewalt um ein Vielfaches zugenommen hat.

Somit war bereits vor den Verschärfungen und Verboten, die auf das Grundsatzurteil des Supreme Court in einigen US-Bundesstaaten folgten, die Ausgangslage für Schwangere alles andere als sicher. Gesetze, die den Zugang von Frauen zu Abtreibung einschränken, können sie weiter gefährden, da die Kontrolle über die reproduktiven Entscheidungen einer Frau oft eine Rolle bei Gewalt in der Partnerschaft spielt. Die Autor:innen der Studie der Harvard School of Public Health weisen explizit darauf hin, dass schwangerschaftsbedingte Tötungsdelikte vermeidbar sind, z. B. indem im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen von Schwangeren gewaltgefährdete Frauen identifiziert und Hilfestellungen angeboten werden können.

Arbeiter:inneneinheitsfront für freie Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung

Doch wie kann, gemessen an diesen permanenten Angriffen und vielfältigen Problemen, eine erfolgreiche Pro-Choice-Bewegung aufgebaut werden? Statt nur auf Verschlechterungen zu reagieren, müssen wir selbst Verbesserungen erkämpfen. Wir dürfen nicht auf den Staat vertrauen oder Illusionen in die Demokratische Partei hegen. Diese konnte bzw. wollte die derzeitigen Angriffe auf bestehende Frauenrechte nicht verhindern. Daher müssen wir unabhängig von ihr gegen den Abbau von Frauenrechten kämpfen. Dabei kommt es auf den Kampf als Klasse an, was bedeutet, dass er durch die Arbeiter:innenklasse geführt und von ihren Organisationen unterstützt werden muss.

Wir fordern daher die Gewerkschaften auf, für eine gemeinsame Kampagne zu mobilisieren. Betriebsräte könnten beispielsweise Betriebsversammlungen einberufen, wo diese Themen und Fragen diskutiert werden. Darüber hinaus können Gewerkschaften mit Streik als Kampfmittel, anders als Einzelpersonen oder andere Gruppen, ökonomischen und politischen Druck auf Kapital und Regierung aufbauen.

Im Rahmen von Aktionstagen und für die Durchführung eines politischen Streiks wäre es außerdem wichtig, Streik- und Aktionskomitees zu gründen, die vor Ort mobilisieren, kollektive Erfahrungen ermöglichen und auf diese Weise auch zur Stärkung und Demokratisierung des gemeinsamen Kampfes beitragen. Ebenso sind Gewerkschaften personell und finanziell in der Lage, internationale Kooperation und Koordination zu gewährleisten, z. B. durch die Organisation zentraler, internationaler Aktionstage zum Thema Abtreibungsrechte und Selbstbestimmung. Dies ist wichtig, da die Unterdrückung nicht nur in einem Land existiert und zusammen mehr Druck aufgebaut werden kann.

Das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einbindung von Gewerkschaften auch einige Probleme mit sich bringt. Gerade im Dienstleistungsbereich, in dem hauptsächlich Frauen arbeiten, organisieren sich nur wenige Arbeiter:innen in ihnen. Ebenso agieren Gewerkschaften häufig reformistisch und beschränken sich auf die Besitzstandswahrung im eigenen Interesse, anstatt Fortschritte für die gesamte Klasse zu erkämpfen. Es existiert eine Gewerkschaftsbürokratie, die ihren Frieden mit dem jetzigen System geschlossen und ihre Rolle selbst auf das Feilschen um Lohn und Arbeitsbedingungen reduziert hat. Revolutionäre Kommunist:innen müssen sich deshalb für eine klassenkämpferische, antibürokratische Basisbewegung einsetzen, die sich der bürokratischen Spitze entgegenstellt, um die Gewerkschaften zu einem Glied in den Reihen des Kampfes für den Sozialismus umzugestalten.

Des Weiteren rufen wir alle bestehenden Pro-Choice-Bündnisse und -Bewegungen aktiv dazu auf, auch weiterhin gegen den bestehenden Abbau von Frauenrechten zu kämpfen und den Protest erneut auf die Straße zu tragen. Lasst uns die bisher bestehenden Bündnisse und Mobilisierungen bündeln und einen gemeinsamen Aktionstag für den Kampf für Frauenrechte ausrufen!

Gegenwehr

Zur Verhinderung von Femiziden ist der Aufbau von Organen der Gegenmacht erforderlich. Um die Verelendung der Klasse zu verhindern und rechtspopulistischen oder protofaschistischen Kräften das Handwerk zu legen, müssen wir Mittel des Klassenkampfes einsetzen, die notwendigerweise die Machtfrage selbst aufwerfen. Einmal mehr zeigt sich, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung in all ihren Formen untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.

Zur Abwehr weiterer Angriffe auf Abtreibungsrechte, aber auch zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper, welches selbst in Staaten mit liberaler Gesetzgebung bisher eingeschränkt ist, haben wir einige Forderungen aufgestellt, die es zu erkämpfen gilt – national und international:

  • Für die Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung! Abtreibungen müssen sicher und von den Krankenkassen/öffentlichen Gesundheitsdiensten finanziert werden!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Für uneingeschränkten und transparenten Zugang zu Informationen, Ärzt:innen und Kliniken!
  • Schluss mit der internationalen Stigmatisierung von abtreibenden Frauen! Raus mit jedweder Religion und „Moral“ aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Das Leben einer Frau muss immer über dem eines ungeborenen Fötus stehen!
  • Vollständige Übernahme aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat bzw. die Krankenversicherung!
  • Ausbau von Kitas und Kinder-/Jugendbetreuungsangeboten, um Eltern zu entlasten!
  • Für viel mehr finanzielle und gesellschaftliche Unterstützung von insbesondere (jungen) Frauen und Alleinerziehenden und dafür, dass minderjährige Frauen mit einer Schwangerschaft nicht alle Chancen auf eine gute Zukunft verlieren!
  • Langfristig: Für die Kollektivierung der Kindererziehung in der Gesellschaft!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!

Ärzt:innen dürfen die Entscheidung zur Geburtshilfe (Entbindung) bei überlebensfähigen Föten treffen. Gegen leibliche Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern bzw. zur Adoption freigeben! Adoptionsvorrang für leibliche/n Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen und dieses zustimmt!

Quellen:

Baumgarten, Reinhard (2022): Weitere Rechte auf der Kippe?, online unter https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/abtreibung-usa-supremecourt-101.html

Chang, Leila (2020): Pro Choice: Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper!, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2020/03/05/pro-choice-selbstbestimmung/

Chang, Leila (2022): Our bodies, our choice, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/14/our-bodies-our-choice/

Der Standard (2005): USA: Mord als eine der häufigsten Todesursachen für Schwangere, online unter https://www.derstandard.at/story/1962393/usa-mord-als-eine-der-haeufigsten-todesursachen-fuer-schwangere

Frühling, Jonathan (2020): Femizide – Frauenmorde international, Widerstand international, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2020/03/05/femizide-frauenmorde-international/

Harvard School of Public Health (2022): Homicide leading cause of death for pregnant women in U.S., online unter https://www.hsph.harvard.edu/news/hsph-in-the-news/homicide-leading-cause-of-death-for-pregnant-women-in-u-s/

Insider (2021): Homicide is the leading cause of death for pregnant women in the United States, a new study found, online unter https://www.insider.com/pregnant-women-in-the-us-homicide-leading-cause-of-death-report-says-2021-12

National Institute of Child Health and Human Development (2022): Science Update: Pregnancy-associated homicides on the rise in the United States, suggests NICHD-funded study, online unter https://www.nichd.nih.gov/newsroom/news/091622-pregnancy-associated-homicide

Sanctuary for Families (2022): The Silent Epidemic of Femicide in the United States, online unter https://sanctuaryforfamilies.org/femicide-epidemic/

Suchanek, Martin (2022): Femizide, Feminizide und kapitalistische Krise, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/17/femizide-feminizide-und-kapitalistische-krise/

The Guardian (2022): Estimated 45,000 women and girls killed by family member in 2021, UN says, online unter https://www.theguardian.com/global-development/2022/nov/23/un-femicide-report-women-girls-data




Indiens reaktionäres Regime und die Lage von Frauen

Jonathan Frühling, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

1,4 Milliarden Menschen zählt die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Laut Prognosen des IWF könnte Indien bereits im Jahr 2027 auf Rang vier aufzurücken – und damit Deutschland überholen. Doch Größe allein bedeutet nicht Reichtum. Indien ist ein Land voller Widersprüche, ein extremes Beispiel für die kombinierte und ungleichzeitige Entwicklung im Rahmen des imperialistischen Weltsystems. So entsteht das Bild einer aufstrebenden Macht, die zwischen Hightechindustrie und massiver Armut der Bevölkerung hin- und herpendelt. Im Folgenden wollen wir uns dabei die Lage von Frauen genauer anschauen. Doch bevor wir dazu kommen, wollen wir eine kurze Skizze der aktuellen Regierung und ihres Regimes geben.

Das Regime der BJP

Seit 2014 wird das Land von der Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei; BJP), einer der rechtesten Regierungsparteien der Welt, regiert. Die BJP hängt einer Ideologie an, die als Hindutva (hinduistischer Nationalismus, kurz Hindunationalismus) bezeichnet wird. Der Hinduismus wird als einzig legitime Kultur im indischen Staat angesehen. Alle anderen Kulturen, Religionen, Nationalitäten, Indigene und untere Kasten gelten als feindliche und schädliche oder jedenfalls als untergeordnete Elemente, die oder deren Widerstand bekämpft werden müssen. Das betrifft vor allem Muslim:innen, Kashmiri, Sikhs, Dalits (unterste Kaste) und Adivasi (Indigene).

Sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik werden als Kulturkampf inszeniert. Nach außen werden die Kulturen anderer Staaten als Gefahr angesehen, im Inneren werden die anderen Religionen, d. h. vor allem der Islam, Ziel der Hetze des Hindunationalismus. Die Funktion dieser Ideologie besteht darin, Feindbilder zu schaffen, um gleiche Hindu verschiedener Klassen bzw. Kasten an den Staat und seine kapitalistische und neoliberale Politik zu binden.

Denn es ist gerade die neoliberale Politik, die den Premierminister Narendra Modi Zustimmung unter den Kapitalist:innen einbringt. Während wichtige Teile des indischen Großkapitals lange in der Kongresspartei ihre politische Vertretung sahen, schwenkten in den letzten 10 – 15 Jahren fast alle Großkonzerne zur BJP um. Und diese agiert ganz in deren Interesse.

So erfolgten während der ersten Amtszeit Modis massive Angriffe auf die Gewerkschaften und Arbeitsschutzgesetze wie die Aufhebung des Rechtsschutzes für Festanstellungen und von Arbeitszeitbeschränkungen. Doch das ist nicht alles. Im Zuge von Modis Amtszeit hat sich das politisch-gesellschaftliche Klima extrem nach rechts verschoben.

Aufrufe zum Mord an Menschen muslimischen Glaubens durch hohe hinduistische Kleriker waren nur die Spitze des Eisberges an Volksverhetzung. Diese politische Stimmung hat auch bereits schon zu Pogromen geführt, wie z. B. 2020 in Delhi. Damals griff ein hinduistischer Mob muslimische Viertel an, um Protest gegen ein antimuslimisches Gesetz zu verhindern. Es starben dabei 26 Muslim:innen und 15 Hindus.

Bei der BJP handelt es sich zwar nicht um eine genuin faschistische Organisation, aber sie stützt sich sehr wohl auf rechte faschistoide Milizen wie die Bajrang Dal (Brigade Hanuman; Jugendflügel der Vishva Hindu Parishad; VHP. Diese ist wiederum auf dem rechten Flügel der Sammlungsbewegung Sangh Parivar angesiedelt) und die Rashtriya Swayamsevak Sangh (Nationale Freiwilligenorganisation; RSS). Die RSS ist eine paramilitärische, rechtsgerichtete hindunationalistische Gruppe, die über 50.000 Zweigstellen und Waffenausbildungslager besitzt. Sie wurde in den 1920er Jahren als antibritische, aber auch streng hinduistische und antimuslimische Organisation gegründet. Stark von Mussolini und Hitler beeinflusst, soll sie heute zwischen 5 bis 6 Millionen Mitglieder zählen. Sangh Parivar (Familie der Verbände) ist der Oberbegriff für eine Vielzahl von Hinduorganisationen, die von der RSS hervorgebracht wurden, wobei die Regierungspartei BJP eng mit ihr verbunden ist, sich auf sie stützt und ihre Agenda bedient.

Anders als ein faschistisches Regime kamen Modi und die BJP nicht infolge der Machteroberung einer kleinbürgerlich-reaktionären Massenbewegung an die Regierung. Sie zerschlugen auch nicht die organisierte Arbeiter:innenbewegung. Aber unter Modi etablierten sie einen parlamentarisch-demokratisch legitimierten Bonapartismus. Die rechten Verbände wie die RSS stellen zwar nicht den Kern der Regierungsmacht und des Staatsapparates dar, wohl aber organisierte kleinbürgerliche Hilfstruppen, vor allem gegen religiöse und nationale Minderheiten.

Während Modis Regime den großen Kapitalen enorme Zugewinne brachte und versucht, Indien in deren Interesse als Machtfaktor zu etablieren, so ist seine Regierung auch für die Masse der Frauen in Indien eine Kampfansage.

Die Lage von Frauen

Die widersprüchliche Situation innerhalb Indiens wird deutlich, wenn man die Lage von Frauen betrachtet. Aus dem Artikel „Why Indian women may lead the tech world of tomorrow“, von  Times of India am 4. Mai 2020 veröffentlicht, geht hervor, dass Frauen fast 50 % aller Studierenden im MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik)-Bereich umfassen und Indien mit 42 % den höchsten Anteil an weiblichen MINT-Absolvent:innen auf der ganzen Welt hat.

Ihr Anteil an den Beschäftigten in Wissenschaft, Technik und technologischen Forschungsinstituten liegt aber bei nur 14 % und zeigt damit ein zentrales Problem des Landes auf. Denn sieben Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit ist die Erwerbsbeteiligung der Frauen in Indien noch immer gering, teilweise sogar rückläufig.

1990 waren noch 35 % aller Frauen beschäftigt. Heute sind es nur noch 25 %, womit Indien auf Platz 145 von 153 Ländern liegt. Hierbei ist anzumerken, dass diese Zahl vor allem so gering ist, da Frauen wesentlich häufiger im informellen Sektor arbeiten, also keine offiziellen Verträge (und damit einhergehenden Arbeitsschutz) haben. Interessant ist jedoch, dass der Anteil der Frauen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, in den Städten geringer ist als in den ländlichen Gebieten, obwohl es dort eigentlich mehr Beschäftigungsmöglichkeiten und höhere Löhne gibt. Der entscheidende Grund dafür ist aber, dass die Familien von Kleinbauern/-bäuerinnen und Arbeiter:innen in diesen Regionen ohne weibliche Erwerbsarbeit nicht überleben könnten.

Ein ähnliches Szenario ist auch bei den alphabetisierten Frauen zu beobachten. 35,5 % aller Frauen sind Analphabetinnen (und nur 19,1 % aller Männer). Obwohl die Alphabetisierung die Erwerbstätigkeit von Frauen fördert, ist in den meisten Bundesstaaten nur ein geringer Anteil der gebildeten Frauen in der Stadt erwerbstätig. Auf der anderen Seite ist der Anteil der alphabetisierten Frauen auf dem Lande in verschiedenen Bereichen der bezahlten Arbeit viel höher als in den Städten.

Auch wenn keine offiziellen Zahlen verfügbar sind, so ist davon auszugehen, dass die Coronapandemie die Situation nochmal drastisch verschlechtert hat. Mit einem Minus von 7,7 % hat die Wirtschaft in Indien deutlichere Einbußen hinnehmen müssen als in anderen Ländern. Allein der Tourismusbereich ist um rund 58 % eingebrochen. Die Arbeitslosenquote stieg von 5,3 auf 8,0 %. Die Inflationsrate ist von zuvor 3,7 auf nun 6,6 % angestiegen und extrem viele Jobs im informellen Sektor sind weggefallen.

Das zeigt schon mal eines: Frauen in Indien sind keine homogene Masse, sondern ihre Situation ist stark von ihrer Herkunft geprägt, von ihrer Klassen- und Kastenzugehörigkeit, ihrer Nationalität oder Religion. Dies kann man auch an der Frage der häuslichen Gewalt nachvollziehen. Laut Regierungsumfragen ist jede dritte Frau häuslicher Gewalt ausgesetzt. Besonders betroffen sind dabei Dalitfrauen, die ungefähr 16 % aller Frauen ausmachen. Sie haben beispielsweise einen sehr eingeschränkten Zugang zur Justiz und in Fällen, in denen der Täter einer dominanten Kaste angehört, herrscht für diesen weitgehende Straffreiheit. Dalitfrauen gelten daher als leichte Zielscheibe für sexuelle Gewalt und andere Verbrechen, da die Täter fast immer ungestraft davonkommen. So zeigen beispielsweise Studien, dass in Indien die Verurteilungsquote bei Vergewaltigungen von Dalitfrauen unter 2 % liegt, während sie bei Vergewaltigungen aller Frauen in Indien 25 % beträgt.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Probleme: Frauen und besonders Mädchen leiden auch deutlich öfter an Mangelernährung, da es üblich ist, dass Frauen erst nach den männlichen Teilen der Familie essen und für diese oft nicht mehr genug übrig bleibt. Frauen werden massiv für ihre Menstruation diskriminiert, die als unrein angesehen wird und zum Teil sogar dazu führt, Tempel nicht mehr betreten zu können. Die Folge dieses Tabus und natürlich der Armut ist eine katastrophale Menstruationshygiene, auf die 70 % aller Unterleibserkrankungen bei Frauen zurückzuführen sind. Nur ca. 18 % aller Menstruierenden haben ausreichend Zugang zu Hygieneprodukten.

Arrangierte Ehen sind bis heute die Regel in Indien. Manche Quellen gehen von bis zu 90 % aus. Arrangiert werden die Heiraten traditionell von den Familien und Angehörigen, in den letzten Jahren aber auch zunehmend von Daitingseiten (im Auftrag beider Partner:innen), um so eine standes- und statusgemäße Heirat zu erzielen. So sind Hochzeiten von Angehörigen verschiedener Kasten bis heute mit nur rund 5 % eine Rarität, Heiraten über religiöse Grenzen hinaus sind mit nur 2 % noch seltener.

Die Lage unter der BJP

Trotz gesetzlicher Verbote wird die Gabe einer Mitgift (Geld und/oder teure Geschenke, die die Familie der Braut an die Familie des Bräutigams zahlen muss) bei der Verheiratung einer Frau gesellschaftlich erwartet. Wird die Mitgift als zu niedrig angesehen, läuft die Braut Gefahr, ermordet zu werden. Ca. 25.000 Mädchen und Frauen erleiden jedes Jahr dieses Schicksal. Die Geburt vieler Mädchen kann deshalb eine Familie finanziell ruinieren. Zum Teil müssen die Frauen auch selbst jahrelang arbeiten, um die Mitgift an die Familie des Mannes selbst bezahlen zu können.

Die Folge dieses Umstandes ist, dass Mädchen häufig abgetrieben oder geborene getötet werden. 52,1 % aller Kinder zwischen 0 und 6 Jahren sind Jungen. Dieses Problem versuchte die Modi-Regierung, seit 2015 mit der Kampagne „Beti Bachao, Beti Padhao“ (Rettet die Tochter, erzieht die Tochter) zu adressieren. Dass dies jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, zeigen die Daten der Regierung selber. Mehr als 56 % der Gelder wurden von 2014/15 bis 2018/19 für „medienbezogene Aktivitäten“ ausgegeben. Im Gegensatz dazu wurden weniger als 25 % der Mittel an die Bezirke und Staaten ausgezahlt und über 19 % von der Regierung gar nicht erst freigegeben.

Dies fasst die Politik der BJP recht gut zusammen. Auf den ersten Blick wirkt es so, als ob in Modis Regime Frauen einen Platz haben. So wurden in seiner Amtszeit auch teilweise Gesetze verabschiedet, die ihre Situation punktuell verbessern. 2021 wurde das Gesetz über den medizinischen Schwangerschaftsabbruch (MTP) abgeändert. Zwar sind Abtreibungen in Indien seit 1971 legal, allerdings nur unter bestimmten Vorraussetzungen. Diese wurden im Rahmen der Reform abgeändert. Beispielsweise ist es nun auch für unverheiratete Frauen möglich, legal abzutreiben. Ebenso wurden die Beratungsbedingungen angepasst, sodass es nun möglich wäre, dass Frauen statt nur bis zur 20. bis zur 24. Schwangerschaftswoche abtreiben können. 2017 hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den bezahlten Mutterschaftsurlaub von 12 auf 26 Wochen für Beschäftigte aller Unternehmen, die mehr als 10 Mitarbeiter:innen beschäftigen, verlängert. Dies gilt jedoch nur für die ersten beiden Kinder, danach verkürzt sich die Elternzeit wieder auf 12 Wochen.

Doch fundamental verbessern diese Gesetze die Situation von Frauen nicht. Anrecht auf Kinderbetreuung haben beispielsweise nur Frauen, die in Betrieben mit 50 oder mehr Beschäftigten arbeiten. In einem Land, in dem ein großer Teil der weiblichen Erwerbstätigen entweder selbstständig ist oder im informellen Sektor arbeitet, führen diese Bedingungen zwangsläufig dazu, dass viele Frauen von den Leistungen (wie auch bei MBAA, der Reform zum Mutterschaftsurlaub) ausgeschlossen werden.

In der Praxis führt das jedoch dazu, dass laut einer Umfrage von India Today-Axis My India (das Meinungsforschungsinstitut, das die Ergebnisse der nationalen Wahlen im Mai 2019 am genauesten vorhersagte) 46 % der Frauen für die BJP und ihre Verbündeten stimmten, 27 % für den Kongress und seine Verbündeten und 27 % für andere Parteien. Im Vergleich dazu stimmten 44 % der Männer für die BJP und ihre Verbündeten. Bei der letzten Wahl stimmten also mehr Frauen als Männer für die BJP, auch wenn es nur 2 % waren.

Die BJP inszeniert sich also bewusst als „frauenfreundliche“ Kraft, macht Zugeständnisse, wo sie kann, und schafft es so, Wählerinnen zu mobilisieren. Gleichzeitig macht sie aber nicht Politik im Interesse „aller“ Frauen, sondern konzentriert sich überwiegend (nicht ausschließlich) auf wachsende Mittelschichten und agiert im Interesse der herrschenden Klasse.

Vor allem aber wendet sich das Modi-Regime an die Frau als Hindu. Ideologisch bezieht sie sich auf das tradierte Bild der Hindufrau als Mutter, Fürsorgerin und Göttin. So forderte beispielsweise der BJP-Abgeordnete Sakshi Maharaj im Jahr 2015 alle Hindufrauen auf, mindestens vier Kinder zu gebären, um die hinduistische Religion zu schützen (India Today, 2015). Mehrere Bundesstaaten haben auch Antikonversionsgesetze verabschiedet, die auf den so genannten „Liebesdschihad“ abzielen und die Angst schüren, dass muslimische Männer die Ehe nutzen, um Hindufrauen zum Islam zu bekehren, wodurch interreligiöse Ehen kriminalisiert werden. Darüber hinaus sind Parteiführer häufig wegen frauenfeindlicher Äußerungen in den Schlagzeilen und einige ihrer Landesregierungen haben wegen der schlechten Behandlung von Vergewaltigungsfällen weltweit Schlagzeilen gemacht.

Veränderung ist möglich

Trotz aller Hindernisse sind Frauen in Indien eine wesentliche Kraft bei Protesten. 2019 wurde bei einem symbolischen Protest eine 620 km lange Menschenkette gebildet, an der mehrere Millionen Frauen teilnahmen oder beispielsweise beim Kampf um sauberes Trinkwasser oder bei den Protesten gegen das CAA (neues Staatsbürgerschaftsgesetz), bei dem vor allem muslimische Frauen präsent waren.

Dabei muss klar sein: Gesetze und Urteile von Gerichten können Aufmerksamkeit schaffen, ändern werden sie die Situation von Frauen aber nur marginal, wenn der bürgerliche Staat sich weigert, die Gesetze umzusetzen oder schlichtweg nicht das Interesse hat, die Wurzel der Frauenunterdrückung anzugreifen. Frauen schützen, patriarchale Strukturen vernichten und eine reale Verbesserung erzwingen können wir nur, wenn wir uns gemeinsam organisieren: auf der Straße, in den Betrieben, an den Schulen, Unis und auch im Haushalt! Gegen die massive Gewalt gegen Frauen bedarf es des Aufbaus einer Bewegung, die beispielsweise auch für demokratisch-organisierte Selbstverteidigungskomitees eintritt. Sie muss in den Betrieben und Stadtteilen verankert sein und auch die Gewerkschaften zur Organisierung und Unterstützung auffordern.

Eine erfolgreiche Bewegung muss auf den Interessen der Arbeiter:innenklasse basieren und darf sich nicht der herrschende Klasse und deren Parteien unterordnen – natürlich nicht der BJP, aber auch nicht der Kongresspartei.

Das bedeutet auch, offen für die Rechte von Unterdrückten wie Muslim:innen, Dalits, Kaschmiris oder LGBTIA-Personen einzustehen und gemeinsame Kämpfe zu organisieren. Besonders braucht es aber auch einen gewerkschaftlichen Kampf gegen die miserablen Arbeitsbedingungen im informellen Sektor. Frauen können hier eine wichtige Rolle spielen und so ihre Situation verbessern und außerdem Mut und Motivation für weitere Kämpfe erlangen.

All dies erfordert nicht nur den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung, sondern auch eine politischen Alternative zum Reformismus der Communist Party of India (CPI): eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei.




Widerstand: Aber wie?

Leonie Schmidt / Katharina Wagner, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

In den letzten Jahren haben die weltweiten Krisen immer mehr zugenommen. Seien es zum einen die Auswirkungen der Coronapandemie, Umweltzerstörung und zunehmender Klimawandel oder zum anderen der derzeit stattfindende Ukrainekrieg mit einhergehender Inflation und Energiekrise. Ursache von alle dem: der Kapitalismus. Die Kosten und Konsequenzen werden natürlich auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse ausgetragen. Zusätzlich kommen rechtskonservative Kräfte  in vielen Ländern an die Regierung oder rechte Bewegungen erlangen mehr Relevanz. Oftmals wollen diese Kräfte traditionelle, reaktionäre Rollenbilder vertreten und das Kapital stärken.

Die Wirtschaftskrise 2007/08 hatte bereits für einen starken Rollback gegen Frauen gesorgt und die Coronapandemie diesen zusätzlich verstärkt: erstens aufgrund einer neuen Wirtschaftskrise, welche durch die zugespitzte Lage katalysiert wurde; zweitens durch die Lockdowns, welche häusliche Gewalt verstärkten, sowie die Überlastung der Pflege, in welcher ebenfalls mehrheitlich Frauen beschäftigt sind. Hinzu kommen nun noch der seit Februar 2022 geführte Ukrainekrieg und die damit einhergehende Energiekrise, was zusammen genommen zu weltweiter Inflation und enormen Preissteigerungen geführt hat.

Auch diesmal leisten Frauen weltweit massiven Widerstand dagegen. So zum Beispiel im Iran, wo sie seit dem gewaltsamen Tod von Mahsa (kurdischer Name Jina) Amini nach ihrer Verhaftung durch die „Sittenpolizei“ im September 2022 weiterhin ihren Protest unter dem Motto „Jin, Jiyan, Azadi“ (kurdisch für „Frauen, Leben, Freiheit“) gegen das religiöse, unterdrückerische Regime und die herrschende Diktatur auf die Straße tragen. Und das trotz enormer Repression, zahlreicher Verhaftungen, Folter und bereits vollstreckter Todesurteile. Mittlerweile konnten sie eine breite gesellschaftliche Unterstützung quer durch alle Altersgruppen und Geschlechter für ihren Kampf erreichen und damit enormen Druck auf das Regime ausüben.

Anlässlich des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November gingen ebenfalls weltweit Frauen auf die Straße, um gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen. Eine weiterer großer Aktionstag unter dem Slogan „One Billion Rising“ fand am Valentinstag statt, an dem sich weltweit rund 1 Milliarde Frauen an dem Flashmob beteiligten, um gegen Gewalt an Frauen und für Gleichberechtigung einzutreten.

Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große Proteste: Ob nun im Rahmen der letzten Sommer stattfindenden Verschärfungen des Abtreibungsrechts in den USA oder anlässlich des Austritts der Türkei aus der Istanbuler Konvention zum Schutz von Frauen im Juli 2021  – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre Rechte.

Des Weiteren spielen Frauen auch im Kampf gegen den derzeitigen Ukrainekrieg eine zentrale Rolle. So organisieren sie in Russland beispielsweise innerhalb der Bewegung „feministischer Widerstand gegen den Krieg“ (Feminist Anti-War Resistance; FAR) vielfältige Proteste gegen Putins Angriffskrieg in der Ukraine.

Was all diese feministischen Proteste eint, ist, dass sie meist (spontan) um aktuelle  Vorfälle entstehen und spezifische Forderungen aufstellen. Sie werden allerdings meist nicht mit anderen bestehenden Bewegungen wie z. B. der Klimabewegung oder Kämpfen gegen Preissteigerungen und Inflation koordiniert. Daher bleiben sie häufig national isoliert und stark hinter ihren Mobilisierungsmöglichkeiten zurück.

Was brauchen wir?

Für eine internationale, erfolgreiche Frauenbewegung müssen wir anerkennen, dass der Kampf um Frauenbefreiung (und die Befreiung anderer geschlechtlich Unterdrückter) eng mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft sein muss, denn die Frauenunterdrückung wurzelt in der Klassengesellschaft und ihre materiellen Ursachen müssen abgeschafft werden, um diese selber vollständig verschwinden zu lassen.

Einen Fokus stellt dabei die Reproduktionsarbeit in der Arbeiter:innenfamilie dar, in welcher die Ware Arbeitskraft (re)produziert wird, also durch Hausarbeit, Erziehung, Carearbeit etc. Diese ist  wichtig für den Fortbestand des Kapitalismus und wird vornehmlich von Frauen ausgeführt. Es ist dabei wesentlich, deren Vergesellschaftung und gleiche Verteilung auf alle selbst als Teil des Klassenkampfes zu begreifen, als Kampf der gesamten Arbeiter:innenklasse.

Entgegen den bürgerlichen Vorstellungen einer alle Klassen umfassenden Frauenbewegung muss berücksichtigt werden, dass es auch unter Frauen gegensätzliche Klasseninteressen gibt und diese in einer solchen Bewegung nicht einfach „ausgeglichen“ werden können. So verfolgen Frauen des (höheren) Kleinbürgertums und der Bourgeoisie andere Interessen, wie bspw. Frauenquoten und Plätze in der Chefetage, während das für proletarische Frauen nicht relevant ist. Während letztere um existenzsichernde und gleiche Löhne kämpfen müssen, wollen bürgerliche „Schwestern“ und jene aus den gehobenen Mittelklassen diese möglichst gering halten, um die Profite und Einkommen ihrer eigenen Klasse zu sichern.

Ähnlich wie kleinbürgerliche Ideologien erkennen sie den engen Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung nicht, von der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ganz zu schweigen. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen (Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus … ) die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen Formen des liberalen, radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ privilegierte Stellung als Kleineigentümer:innen oder Akademiker:innen (Bildungsbürger:innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen widerspiegelt. Dementsprechend ist eine klare antikapitalistische Ausrichtung relevant sowie die Verknüpfung von Kämpfen der Frauenbewegung und der Arbeiter:innenklasse.

Angesichts des globalen Rechtsrucks ist es dabei unbedingt notwendig, sich als ersten Schritt auf gemeinsame Forderungen für den koordinierten globalen Kampf zu einigen. Dafür schlagen wir folgende Eckpunkte vor:

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!

Auch wenn gefeiert worden ist, dass nun fast überall auf der Welt Frauen wählen dürfen, haben sie vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische Teilhabe. Ein Verbot, arbeiten zu gehen oder dies nur von zuhause aus tun zu können, bedeutet vollkommene ökonomische Abhängigkeit von Partner oder Familie. Dort, wo diese Frauen nicht organisiert sind, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, sie für unsere Reihen zu gewinnen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, dass auch sie Teil der Arbeiter:innenklasse sind.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während Reaktionär:innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zu dem des Mannes.

3. Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner:innen: Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass sie selbstständig entscheiden können, was sie anziehen dürfen oder ob sie schwanger werden oder bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder Femizide: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig!

Dabei ist herauszustellen, dass dies ein internationales Problem verkörpert und nicht auf bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär:innen behaupten. Es ist vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Basis und der politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und Einfluss gewinnen.

Essentiell ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees aufzuwerfen, die in Verbindung mit der Arbeiter:innenbewegung und den Unterdrückten stehen. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass Frauen nicht passive Opfer bleiben sollen, sondern man ihnen die Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist diese Forderung für Marxist:innen wichtig, weil wir nicht auf Polizei oder Militär als verlässliche Verbündete setzen können. Diese stehen oft vielmehr auf der Seite der Täter oder sind selbst welche. Außerdem schaffen Selbstverteidigungsstrukturen ein Gegengewicht gegen ihr Gewaltmonopol und das des bürgerlichen Staates allgemein.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Dies ist eine essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung – und mit ihr die Stereotype – beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung), nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Dies kann dann beispielsweise in großen Wohneinheiten, Kantinen oder Waschküchen erfolgen.

Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung!

Diese Frauenbewegung muss multiethnisch und international sein, da das Patriarchat und der Kapitalismus ein weltweites System darstellen und es in den vorherrschenden kleinbürgerlich geprägten Feminismen oftmals nur um „die westliche, weiße Cisfrau“ geht. Es ist wichtig, dass eben auch die Belange von Frauen aus halbkolonialen Ländern oder rassistisch Unterdrückten in imperialistischen Staaten ins Zentrum gerückt werden, weil sie unter besonders heftigen Formen der Ausbeutung leiden und, global betrachtet, den größten Teil der proletarischen Frauen ausmachen.

Des Weiteren darf es sich nicht nur um einen losen Zusammenschluss handeln, da dessen Mobilisierungspotential zeitlich ebenso wie in der Schlagkraft begrenzt ist, wenn es sich nur um unkoordinierte lokale bzw. nationale Aktionen handelt. Die Frauenbewegung steht dann letzten Endes vor zwei Aufgaben:

Erstens, sich als globale, organisierte Bewegung um gemeinsame Ziele, verbindliche Aktionen und Kampagnen zu koordinieren. Dazu müssen gemeinsame Bezugspunkte wie die obigen Forderungen gefunden, aber auch gemeinsame Kämpfe verschiedener Strömungen geführt werden. So bspw. mit der Organisierung von Streiks im öffentlichen Dienst, der Umweltbewegung oder der Bewegung gegen Rassismus. Beispielsweise könnte auch der gemeinsame Kampf gegen Inflation und Preissteigerungen oder den Ukrainekrieg relevant werden. Diese Forderungen müssen in die Bereiche unseres alltäglichen Lebens getragen werden wie Schule, Uni und Arbeit. Hier müssen wir uns dafür einsetzen, dass darüber nicht nur geredet wird, sondern auch konkrete Errungenschaften damit einhergehen. Dafür müssen Aktions- und Streikkomitees aufgebaut werden. Mit diesen alltäglichen Forderungen wie bspw. Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist es revolutionären Frauen möglich, einen gemeinsamen Kampf auch mit Reformist:innen oder kleinbürgerlichen Feminist:innen führen.

Entscheidend ist jedoch, welche Klasse einer solchen Bewegung ihren Stempel aufdrückt. Oben genannte Forderungen können dabei die Grundlage für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung bilden, in der Revolutionär:innen um politische Hegemonie und Führung kämpfen.

Eng damit verbunden damit ist eine zweite Aufgabe, nämlich für eine Internationale zu werben und die Notwendigkeit dieser Organisierungsform aufzuzeigen. Eine Bewegung braucht nicht nur gemeinsame Forderungen, sondern auch eine Führung und klare klassenpolitische Ausrichtung, um erfolgreich zu sein. Wohin lose, wenngleich dynamische Bewegungen führen, können wir an verschiedensten Kämpfen sehen: seien es der Arabische Frühling, Fridays for Future oder auch die Frauen*streikbewegung. Die Dominanz bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder reformistischer Kräfte hat diese Bewegungen selbst in eine Krise oder gar zum Scheitern geführt.

Revolutionäre Frauen stehen daher nicht „nur“ vor der Aufgabe, in aktuellen feministischen Bewegungen und anderen Foren und Kämpfen um eine klassenpolitische Ausrichtung zu ringen.  Wir müssen uns auch in aktuelle Tarifauseinandersetzungen beispielsweise im öffentlichen Dienst einschalten. Auch die Unterstützung von Klimaaktivist:innen oder Aktionen zum Kampf gegen Inflation und Preissteigerungen sind eine wichtige Aufgabe von Revolutionärinnen. Zudem müssen wir unter jenen Kräften, die die Notwendigkeit einer internationalen, ja selbst einer proletarischen Frauenbewegung anerkennen, zu Konferenzen aufrufen, um zu gemeinsamen Forderungen und international koordinierten Aktionen zu kommen. Dazu müssen wir auch reformistische Organisationen wie Linkspartei, DGB-Gewerkschaften oder selbst die SPD sowie feministische Gruppierungen und Kampagnen ansprechen, um so vor allem deren Basis in die Aktion zu ziehen, gemeinsame Kämpfe zu führen und zugleich praktisch die Fehler der reformistischen Führung offenzulegen.

Die gemeinsame Aktion und der Kampf für eine internationale Frauenbewegung erfordern auch ein internationales Programm und den Kampf für eine neue Arbeiter:inneninternationale. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Frauenunterdrückung selbst untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden ist, also nur durch den Sturz dessen wirklich beseitigt werden kann. Daher ist der Kampf für eine proletarische Frauenbewegung untrennbar mit dem für eine revolutionäre, Fünfte Internationale verbunden.




Skizze der Weltlage

Emilia Sommer, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Nach der Pandemie Luft holen? Kaum möglich. Das letzte Jahr bot ein breites Repertoire an kapitalistischen Krisensymptomen. Angefangen mit dem noch immer anhaltenden Krieg in der Ukraine über große Aufstände wie im Iran oder in Sri Lanka, die mit massiver und gewaltsamer Repression bekämpft wurden und immer noch werden, bis hin zur Inflation und damit einhergehenden massiven Preissteigerungen. Als ob das nicht genug wäre, so merken wir schon jetzt sehr deutlich die Auswirkungen des Klimawandels wie beispielsweise bei der Flut in Pakistan, die im Spätsommer 2022 ein Drittel der Landesfläche überflutete. Es scheint, als würde eine Krise die nächste jagen, und dazwischen gibt es keine Zeit zum Aufatmen. Doch warum ist das so? Woher kommt das und wie wirkt es sich auf die ohnehin prekäre Lage von Frauen aus?

Es herrscht Krise – aber warum?

Ökonomische betrachtet, besteht der zentrale Grund für die gegenwärtige Krisenperiode darin, dass die Ursachen der Finanzkrise 2007/08 nie gelöst wurden. Die Regierungen haben nur deren Auswirkungen im Zaum gehalten. Im Kapitalismus erfordern Krisen eigentlich die Vernichtung von überschüssigem Kapital, um einen neuen Wachstums- und Expansionszyklus einzuleiten. Doch das hätte auch die Vernichtung von industriellem und Finanzkapital aus den imperialistischen Metropolen in großem Stil erfordert.

Stattdessen wurden sie mit der Politik des „billigen Geldes“ und massiven Schulden gerettet. Die Krisenkosten wurden durch soziale Kürzungen, steigende Preise und die Ausdehnung prekärer Arbeit (wie zum Beispiel Leiharbeit, Zeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse) auf den Rücken der Arbeiter:innenklasse abgewälzt – und natürlich auch auf die bäuerlichen Massen im globalen Süden.

Die Niedrigzinspolitik, die zunehmende Privatisierung von öffentlichen Unternehmen, eine massive globale Verschuldung und viele weitere „Maßnahmen gegen die Krise“ schafften es nicht, eine neue ökonomische Dynamik zu entfachen, und die Wirtschaft stagnierte. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass nun der Spielraum, die aktuelle Situation abzufedern, wesentlich geringer ist.

Durch die Coronapandemie wurde die sich vorher schon anbahnende erneute Wirtschaftskrise ausgelöst und massiv verschärft. Denn durch das Virus haben sich die Finanz- und die Gesundheitskrise synchronisiert. Im Zuge dessen stieg die Verschuldung auf das Dreifache des Welt-BIP (Bruttoinlandsprodukt aller Länder). Die Verwertung des Kapitals stagniert und es kommt zu einer zunehmenden Blasenbildung (Ausdehnung des spekulativen und fiktiven Kapitals).

Das Ergebnis: massiv steigende Konkurrenz zwischen imperialistischen Kräften im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Denn niemand verfolgt das Interesse, als „Krisenopfer“ von anderen übertrumpft zu werden. In diesem Zusammenhang muss auch die reaktionäre russische Invasion in der Ukraine betrachtet werden. Die Karten der internationalen Beziehungen werden neu gemischt und zugleich haben sie erhebliche Auswirkungen auf die globale Wirtschaftsordnung.

Dabei konnte die NATO unter Führung der USA ihre eigenen Interessen stärken und beispielsweise den Block der EU dazu bringen, die Wirtschaftsbeziehungen gegenüber dem russischen Imperialismus auf Eis zu legen. Durch den Krieg sowie die Sanktionen der G7 sind die Folgen der Unterbrechung der Getreide-, Gas- und Ölversorgung weit über Europa spürbar. Insbesondere die Inflation befeuert die aktuelle Lage.

Derzeit befinden wir uns bereits in einer globalen Hochinflationsphase, die laut einer Studie von Economic Experts Survey (EES), internationalen Wirtschaftsexpert:innen, bis 2026 anhalten könnte. Allerdings gibt es hier sehr große Unterschiede. Die höchsten Inflationsraten weltweit mit deutlich über 20 % werden in diesem Jahr in Nord- und Ostafrika, Teilen Asiens und Südamerika erwartet. Europa und Nordamerika haben durchschnittlich mit rund 10 % Inflationsrate zu kämpfen. In 50 asiatischen und afrikanischen Ländern ist die Ernährungssicherheit gefährdet. Infolge der erneut gestiegenen Lebensmittelpreise sind Hungersnöte und Hungerkrisen neben Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse weltweit zu erwarten, was wiederum Regierungskrisen wie in Sri Lanka befeuert.

Konkrete Verschlechterung

Wie bereits geschrieben, hat die Coronapandemie  eine weltweite Krise ausgelöst, die die Situation der Frauen massiv verschlechterte. Dabei haben sie beispielsweise in  informellen Beschäftigungsverhältnissen schon während des ersten Monats der Pandemie 70 % ihres Einkommens verloren. Weltweit ging die Beschäftigung von Frauen zwischen 2019 und 2020 um 4,2 % zurück, während sie bei Männern um „nur“ 3 % sank, so ein Kurzbericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aus dem Jahr 2021. Darüber hinaus haben die Doppelbelastung durch Carearbeit und die Gewalt gegen Frauen massiv zugenommen.

Das Problem an der aktuellen Lage besteht darin, dass vielerorts der Stand vor der Pandemie nicht wieder erreicht worden ist. Der Krieg in der Ukraine, der die Preissteigerungen befeuert, verschärft also die Situation erneut. Der Zustand einzelner Bereiche wie die Belastung in der häuslichen Carearbeit hat sich zwar gebessert, dennoch gibt es viele, in denen es zu einer Überlappung der Krisenfolgen kommt oder die Auswirkungen sich erst später bemerkbar machen wie beispielsweise bei der Frage der Altersarmut.

Beschäftigung und Armut

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gibt in ihren Trends für 2023 an, dass Frauen und junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt deutlich schlechter dastehen als der Durchschnitt der Lohnabhängigen. Weltweit lag die Erwerbsquote der Frauen im Jahr 2022 bei 47,4 Prozent, während sie bei den Männern 72,3 Prozent betrug. Dieser Unterschied von 24,9 Prozentpunkten bedeutet, dass auf einen nicht erwerbstätigen Mann zwei nicht erwerbstätige Frauen kommen. Konkret bedeutet das, dass mehr Frauen aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen wurden und nun einen schwereren Einstieg haben.

Längerfristig verstärkt dies die kaum verwunderliche Tendenz, dass weltweit Frauen  häufiger von Armut betroffen sind als Männer. Hinzu kommt eine generelle verstärkte Altersarmut bei Frauen, die dadurch begünstigt wird, dass sie weniger im gleichen Beruf verdienen, durch Schwangerschaften teilweise aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und danach meist für weniger Geld wieder integriert werden und generell häufiger in Teilzeitbeschäftigung gedrängt werden und somit weniger verdienen, um die Reproduktionsarbeit im Haushalt verrichten zu können.

Inflation und Energiepreise

Die aktuelle Lage mit der Teuerung von Lebensmitteln sowie Energiepreisen bedeutet, dass Frauen zum einen verstärkter in Armut leben. Im April 2022 publizierten die Vereinten Nationen den Bericht „Global Gendered Impacts of the Ukraine Crisis on Energy Access and Food Security and Nutrition“. Hieraus geht eindeutig hervor, dass der Ukrainekrieg global die Versorgung mit Lebensmitteln und Energie massiv verschlechtert hat. Dies liegt an der Schlüsselrolle Russlands und der Ukraine auf den globalen Märkten für Energie und Grundnahrungsmittel.

So sind die Lebensmittelpreise seit Januar 2022 um über 50 Prozent gestiegen, während Rohöl um über 33 Prozent teurer geworden ist. Über 90 Prozent des Weizens in Armenien, Aserbaidschan, Eritrea, Georgien, der Mongolei und Somalia wurden aus Russland und der Ukraine importiert. Dadurch sind diese Länder in hohem Maße von Ernährungsunsicherheit bedroht. Außerdem bildet die Ukraine eine wichtige Weizenquelle für das Welternährungsprogramm (WFP), das 115,5 Millionen Menschen in mehr als 120 Ländern unterstützt. Dabei ist zu betonen, dass dieser Engpass langfristig auftreten wird. Schätzungen gehen davon aus, dass 30 Prozent der ukrainischen landwirtschaftlichen Flächen aufgrund des Krieges nicht mehr nutzbar sind. Hinzu kommen schlechtere Ernten durch fehlende Kapazitäten, Felder instand zu halten, was die Situation perspektivisch verschärfen könnte.

Carearbeit – bezahlt und unbezahlt

Bekanntlich stellt der Sozial- und Pflegesektor ein wichtiges Beschäftigungsfeld für Frauen dar. Das wird auch deutlich, wenn man sich die Studie der ILO „The gender pay gap in the health and care sector: A global analysis in the time of COVID-19” aus dem Jahr 2022 genauer ansieht. Ihr zufolge liegt der Anteil der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Pflegesektor an der weltweiten Gesamtbeschäftigung bei 3,4 % und ca. 67 % aller Beschäftigten in diesem Bereich sind weiblich. Herauszustreichen ist dabei, dass der Durchschnittsverdienst in diesem Sektor niedriger ausfällt als in anderen Segmenten des Arbeitsmarktes. Hinzu kommt, dass das geschlechtsspezifische Lohngefälle mit 24 % im Durchschnitt höher ist als in anderen Sektoren, was darin begründet liegt, dass auch hier Frauen wesentlich stärker in den schlecht bezahlten Bereichen arbeiten sowie miesere Bedingungen für den Wiedereinstieg nach einer Schwangerschaft vorfinden. Betont sei, dass die Pandemie die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert hat. Insbesondere die Situation in Krankenhäusern spitzt sich weiter zu.

Ebenso angespannt war sie bezüglich der unbezahlten Reproduktionsarbeit. Besonders betroffen waren hierbei Eltern sowie jene, die Angehörige zu Hause pflegen, durch den Wegfall von Schulen, Kitas und weiteren Unterstützungsangeboten. Dabei gaben  Mütter fast dreimal so häufig wie Väter an, dass sie den Großteil oder die gesamte zusätzliche unbezahlte Betreuungsarbeit aufgrund Schließung von Schulen oder Kinderbetreuungseinrichtungen übernommen haben: 61,5 % der Mütter von Kindern unter 12 Jahren geben an, dass sie den größten Teil oder die gesamte zusätzliche Betreuungsarbeit übernommen haben, während nur 22,4 % der Väter tun. So ist es kaum verwunderlich, dass besonders diese Mütter die Gruppe verkörpern, die zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem dritten Quartal 2020 im Durchschnitt der OECD-Länder am ehesten von der Erwerbstätigkeit in die Nichterwerbstätigkeit wechselten. Zwar hat sich die Situation unmittelbar durch die Öffnung der Betreuungsangebote wieder erholt. Doch die Pandemie hat die bereits existierende Kluft in der unbezahlten Reproduktionsarbeit verstärkt und durch die schlechtere Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig verschlechtert.

Warum eigentlich?

Wie wir an diesen Beispielen sehen, trifft es Frauen in Krisensituation wesentlich stärker. Denn gerade in solchen Perioden wird die Reproduktionsarbeit im Kapitalismus systematisch ins Private gedrängt. Kosten für v. a. öffentliche Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege erscheinen als unnütze, unproduktive Arbeit, da sie oft keinen Mehrwert für ein Kapital schaffen. Diese Arbeiten sind zwar gesellschaftlich notwendig und letztlich auch für die Reproduktion des Gesamtkapitals erforderlich, aber sie werfen meistens keinen Profit für Einzelkapitale ab. Daher drängen diese darauf, dass die staatlichen Kosten dafür als erste gekürzt oder Leistungen ausgelagert und privatisiert werden. Diese werden also „eingespart“ oder teurer und somit für die ärmeren Schichten unerschwinglich.

Statistisch trifft dies daher Frauen besonders, da sie häufiger prekäre Arbeitsplätze wie Leiharbeits- und Teilzeitstellen besetzen oder im informellen Sektor arbeiten und so Schwankungen des Arbeitsmarkts stärker ausgesetzt sind. Dies findet häufig unter dem Deckmantel von mehr Zeit für die Familie statt. In Wirklichkeit nehmen Frauen aber häufiger diese Angebote an, da sie weniger Geld als ihr Partner verdienen. und wenn es dann darum geht, wer zu Hause bleibt und Reproduktionsarbeit verrichten soll, ist das praktische Ergebnis, dass es den Part trifft, der weniger verdient. So wird die geschlechtliche Arbeitsteilung weiter reproduziert, bedeutet aber auch, dass Frauen stärker von Krisen getroffen werden.

Die Ursache des Problems liegt also in der unbezahlten Reproduktionsarbeit, die versucht wird, ins Private hineinzudrängen, sowie in der geschlechtlichen Arbeitsteilung an sich. Das Sinnbild der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihren Stereotypen verkörpern der Mann, als Hauptverdiener und Versorger; die Frau, die sich um die Kinder kümmert.

Perspektiven

Die aktuelle Weltlage spitzt sich immer weiter zu, die Krise breitet sich aus, die Fronten der imperialistischen Mächteblöcke verhärten sich und das offene Aufrüsten derer lässt vermuten, dass sich auch in Zukunft kriegerische Auseinandersetzungen häufen könnten. Die Ausbeutung und Unterdrückung halbkolonialer Länder nimmt stetig zu und die Klimakrise scheint mit aktuellen Taktiken der Regierungen unabwendbar. Damit einhergehend verstärken sich die Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse und damit auch allen voran auf Frauen. Die Auswirkungen der Krise, die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückung der Frau, stehen also in einem engen Verhältnis zueinander und bedingen sich teils gegenseitig. Um gegen kommende Krisen kämpfen zu können, braucht es ein Antikrisenprogramm, mit welchem in aktuelle ökonomische und soziale Kämpfe interveniert werden muss. Doch der Kampf gegen Frauenunterdrückung, Krisen und für die Umwelt kann nur Hand in Hand mit dem gegen den Kapitalismus erfolgen.