Wenn das Paket nicht kommt, ist der Konzern schuld!

Zu den aktuellen Streiks bei der Deutschen Post AG

Von Lia Malinovski, Januar 2023

In der Deutschen Post AG läuft seit einigen Wochen die neue Tarifrunde 2023 inklusive Verhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di. Die Beschäftigten fordern 15 Prozent Gehaltserhöhung bei einer Laufzeit von zwölf Monaten und eine Erhöhung der Ausbilungsvergütungen sowie Entgelte der Studierenden um 200 Euro monatlich. Für diese Forderungen haben zwischen dem 18. und dem 20. Januar über 33 Tausend Beschäftigte in Verteilungszentren, sowie Zusteller_Innen selbst, die Arbeit niedergelegt und gestreikt. Die Post selber hat dabei keinen Schritt auf die Beschäftigten zu gemacht. Die Folge ist nun ein dritter Verhandlungstag und weitere Warnstreiks.

Warum die Forderungen?

Die Forderungen nach 15 Prozent mehr Lohn für alle Tarifbeschäftigten soll den Reallohnverlust durch die Inflation und gesteigerte Lebenshaltungskosten angehen und damit der Verschlechterung der Lage der Angestellten entgegenwirken.

Wenn wir an die Post denken, denken wir meistens an die nette Postbotin oder den netten Postboten, die uns unsere Briefe oder Pakete zustellen oder ärgern uns, wenn mal wieder ein lang ersehntes Päckchen später ankommt als gedacht. In den seltensten Fällen ist uns bewusst, unter welcher Belastung die Beschäftigten stehen – mit einem Monatsgehalt von 2.108 bis 3.090 Euro brutto verdienen die meisten Beschäftigten gerade genug, um in einer kleinen Wohnung zu wohnen und gerade genug zu heizen, um am Ende des Monats noch Geld über zu haben. Seit der Privatisierung der Post haben sich Arbeitsbedingungen ohnehin permanent verschlechtert mit längeren Routen, Zusammenlegung von Briefen und Paketen, der wachsende Onlinehandel und Unmengen an Werbung. Dennoch ist ihre Arbeitsbelastung in den letzten zwei Jahren durch die Pandemie besonders stark gestiegen. Das sieht man besonders gut daran, dass die Post in den letzten zwei Jahren Rekordgewinne im Milliardenbereich erzielen konnte, da mehr bestellt wurde als vor der Pandemie. „Erwirtschaftet wird der Erfolg der Deutschen Post AG von den Kolleg*innen, die uns Tag für Tag Briefe und Pakete bringen und angesichts des hohen Sendungsvolumens vielfach einer hohen körperlichen und psychischen Belastung ausgesetzt sind“, schreibt ver.di zu der aktuellen Tarifrunde. Auch die Lage der Jugend in der Post ist prekär: Viele Jugendliche machen einen Nebenjob als Zeitungsausträger_In. Dabei verdient man im Schnitt gerade mal ein paar Cent pro ausgetragene Zeitung. Einen Stundenlohn gibt es nicht und damit kann auch mal der Mindestlohn wegfallen, der bei Jugendlichen eh kaum Bedeutung hat. Die Ausbildungsgehälter sind mit 900 Euro Monatlich bestenfalls durchschnittlich und schon ohne Inflation nicht genug, durch die Inflation aber deutlich zu wenig. Freie Entfaltung oder Unabhängigkeit von Eltern ist damit nicht zu schaffen. Egal, was Springerpresse und der Post-Konzern sagen: Die Forderungen der Beschäftigten sind notwendig und müssen umgesetzt werden!

Streiken, streiken, streiken…

Aber wie können diese Forderungen umgesetzt werden? Die Konzernbosse sind nicht gerade überzeugt davon, die Forderungen umzusetzen. Für die Beschäftigten bedeutet das, dass der Kampf weitergehen wird und muss. Es muss weitere Streiks geben, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dabei darf die Gewerkschaft aber nicht bei Warnstreiks bleiben: Der Konzern wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Forderungen nicht umsetzen, wenn es nur bei Warnstreiks bleibt. Warnstreiks kann ein Konzern noch verkraften, da sie zeitlich begrenzt und an Verhandlungen gebunden sind. Was gebraucht wird, sind sogenannte Erzwingungsstreiks – also Streiks, die unbefristet sind und bleiben, bis die Forderungen erfüllt sind und die Mehrheit der Beschäftigten für die Beendigung des Streiks abgestimmt hat. Die Beschäftigten müssen sich in Streikkomitees organisieren und die Gewerkschaftsführung unter Druck setzen, eine Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik zu starten! Denn von alleine wird sie das wahrscheinlich nicht, dafür ist der Vorstand zu eng verwoben mit „Arbeitgeberverbänden“ und den Konzernbossen. Schon bei den vergangenen Arbeitskämpfen bei der Post hat ver.di immer wieder Verrat begangen, indem sie Streiks abgewürgt oder erfolgreiche Streiks mit einem schlechten Tarifvertrag ausverkauft haben.

Sollte es tatsächlich zu Erzwingungsstreiks kommen, müssen wir uns solidarisch mit den Beschäftigten zeigen. Denn wenn unser Paket nicht kommt, ist das die Schuld des Konzerns, der die notwendigen Forderungen der Beschäftigten nicht umsetzt. Auch dürfen die Streiks nicht isoliert bleiben, sondern müssen eine Verbindung zu den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die ebenfalls in die Tarifrunden starten, aufbauen. Letzten Endes muss der Kampf sich für eine basisdemokratische Kontrolle der Beschäftigten einsetzen, mit der die Beschäftigten selbst entscheiden können, wann gestreikt wird, wann nicht und welchen Tarifvertrag man annimmt!

  • Für die Anpassung der Löhne an die Inflation, unter Kontrolle der Beschäftigten selbst! Nicht Konzernbosse, sondern diejenigen, die einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten müssen bestimmen, was sie dafür erhalten!
  • Für zufriedenstellende Ausbildungsgehälter! Wir müssen die Möglichkeit haben, uns unabhängig zu machen und selbst zu entfalten! Wir wollen nicht unsere ganze Jugend bei unseren Eltern verbringen!
  • Für die Einführung eines Stundenlohnes mindestens in Höhe des Mindestlohns für Zeitungsausträger_Innen und die Ausweitung der Tarifverträge auf sämtliche Beschäftigte im Logistiksektor!
  • Für die gemeinsame Organisierung der Beschäftigten bei der Deutschen Post AG und der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst und gemeinsame, unbefristete Streiks, solange die Forderungen nicht erfüllt sind! Gemeinsam sind wir stärker (als die Konzerne)!



Abschlusserklärung der Konferenz für einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und [’solid]

Bis 150 Menschen diskutierten auf der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ über die Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs mit der Linkspartei und dem Reformismus. Im Folgenden veröffentlichen wir die Abschlusserklärung der Konferenz, die von einer Mehrheit von zwei Dritteln der Anwesenden angenommen wurde, und die Minderheitsresolution. Die Mehrheitsresolution basiert auf einem Entwurf der Revolutionären Internationalistischen Organisation / Klasse Gegen Klasse. Die Minderheitsposition wurde von vier Genoss:innen einbracht wurde und von der Gruppe Arbeiter:innenmacht und von REVOLUTION unterstützt.

Gegen die Logik des geringeren Übels: Für den Aufbau einer von Staat und Kapital unabhängigen revolutionären sozialistischen Kraft der Arbeiter:innen, der Jugend, der Frauen, LGBTQIA+ und Migrant:innen!

1. Die Partei DIE LINKE und ihre Jugendorganisationen, die Linksjugend [’solid] und Die Linke.SDS, sind gescheitert. Seit 15 Jahren vertiefen sie stetig ihre Perspektive der Mitverwaltung des kapitalistischen Elends. In 13 Regierungsbeteiligungen haben sie Abschiebungen, Zwangsräumungen, Privatisierungen, Polizeigewalt und vieles mehr mitverantwortet. Die Partei, all ihre Hauptströmungen – egal ob der “Reformer”-Flügel um Dietmar Bartsch, die Bewegungslinke oder der Wagenknecht-Flügel – und ihr gesamter Apparat sind fest in den deutschen Staat verankert. Angesichts der Verschärfung der Klimakatastrophe, angesichts von Krieg und Aufrüstung, angesichts von fortgesetzter Inflation und Wirtschaftskrise, angesichts der Stärkung der AfD und der extremen Rechten sagen wir: Nur eine sozialistische Perspektive, die die Interessen des Kapitals wirksam angreift, kann eine Antwort auf die Probleme der Ausgebeuteten und Unterdrückten geben. Deshalb brechen wir mit der Strategie der Linkspartei und ihrer Jugendorganisationen und erklären unseren Austritt.

2. Das Scheitern der Linkspartei ist kein Zufall oder Produkt widriger Umstände, sondern eine Konsequenz ihrer gesamten Strategie. Sie ist eine strategisch auf Wahlen und Parlamentssitze ausgerichtete Partei, um auf diesem Weg an die Regierung des bürgerlichen Staates zu gelangen. Jegliche Veränderung geht laut dieser Strategie von Regierungs- und Parlamentsposten aus. Daran ändert auch nichts, dass eine kleine Minderheit der Partei Regierungsbeteiligungen “kritisch” sieht, ebenso wenig einzelne “linkere” Ortsgruppen ihres Jugendverbands. “Rebellisch regieren”, wie es die Bewegungslinke immer wieder vorschlägt, ist nur eine linkere Rhetorik für denselben Vorschlag. Die Mobilisierung und Organisierung auf der Straße oder in den Betrieben, Schulen und Universitäten ist in dieser Sichtweise nur ein Druckmittel, um parlamentarische Mehrheiten zu erlangen. Unsere Perspektive ist dem radikal entgegengesetzt: Das strategische Zentrum für die Veränderung der Gesellschaft – d. h. für die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer Arbeiter:innenregierung in der Perspektive einer weltweiten sozialistischen Revolution – ist der Klassenkampf; parlamentarische Positionen können diesen lediglich unterstützen, nicht ersetzen. Gegen die Unterordnung unter die Interessen des Kapitals setzen wir die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse vom Kapital, von der Regierung und von den Bürokratien der Gewerkschaften und der NGOs, die sie stützen.

3. Wir stellen uns gegen den deutschen Imperialismus und gegen die Ampelregierung, die die größte militärische Aufrüstung seit Jahrzehnten vorantreibt. Sie erkauft im Bündnis mit den Gewerkschaftsbürokratien und den Bossen mit kleinen Zugeständnissen das Stillhalten der Massen angesichts der Krise – in der Perspektive werden aber die Ausgebeuteten und Unterdrückten nicht nur hierzulande, sondern auch international für die militärische “Zeitenwende” zahlen müssen. Die Militarisierung nach außen geht auch einher mit einer Stärkung des Repressionsapparats nach innen, wie nicht zuletzt die Razzien und Präventivhaft gegen die “Letzte Generation” zeigen. In diesem Kontext lässt die Regierung auch den letzten Anschein von Klimaschutz fallen, wie die anstehende Räumung von Lützerath im Interesse des Energiekonzerns RWE zeigt – ein weiterer Beweis dafür, dass der “grüne Kapitalismus” unmöglich ist.

4. Während­dessen stärkt sich die extreme Rechte, insbe­sondere im Innern der staatlichen Institutionen (Militär, Polizei, Justiz usw.). Der rechte Terror im Inneren ist ein Widerhall des erstarkenden Imperialismus nach außen. Die Ampel-Regierung verstärkt den staatlichen Rassismus, baut die Polizei weiter aus, schiebt Menschen in Kriegsgebiete ab und ist für den Massenmord an Außengrenzen der EU verantwortlich – und setzt somit die Politik um, die von der AfD und der extremen Rechten gefordert werden. Daher kann der Auf­stieg der Rechten nicht mit einer Logik des “ge­ringeren Übels” der Unterstützung von “linken” oder “fortschrittlichen” Regierungen bekämpft werden. Die herrschende Klasse und rechte Kräfte machen durch die bürgerlichen Medien die migrantischen Teile unserer Klasse für die Wirtschaftskrise verantwortlich. Nicht zuletzt bei der rassistischen Hetzkampagne um Silvester haben wir gesehen, dass die Medien die Abschiebung von vermeintlich “nicht-integrierbaren” migrantischen Kindern und Jugendlichen forderten.Die Reihen der multiethnischen Arbeiter:innenklasse in Deutschland sollen durch den anti-muslimischen Rassismus gespaltn werden. Es ist eine dringlichere Aufgabe denn je zuvor, sich dagegen zur Wehr zu setzen – unter anderem auch gegen die Politik der Rot-Rot-Grünen Regierung in Berlin, an der die LINKE beteiligt ist, die aus Razzien in Schischa-Bars, Racial Profiling in migrantischen Kiezen sowie Hexenjagden auf Jugendliche besteht. Wir müssen für die Abschaffung der Geflüchtetenlager und das Recht auf eine eigene und bezahlbare Wohnung kämpfen. Abschiebungen müssen gestoppt und Asylanträge anerkannt werden.Schluss mit unterschiedlichen Behandlung von Geflüchteten je nach Herkunftsland. Gegen die Logik der Spaltung von Geflüchteten durch besonders qualifizierten oder unqualifizierten Teile. Arbeitsrechte und volle Staatsbürger:innenrechte für alle Menschen, die hier leben. Auch wenn wir bei den Abgeordnetenwahlen keine unterstützenswerte Partei erkennen, kämpfen wir für das Wahlrecht aller Menschen, die hier leben. Es braucht Kampagnen in Gewerkschaften für antirassistische Forderungen und für den Ausschluss der GdP aus dem DGB, was wir als eine der Aufgaben der antibürokratischen und klassenkämpferischen Strömung sehen, die wir in den Gewerkschaften aufbauen wollen.

5. Die Kapitalist:innen und ihre Regierungen haben der Jugend nur eine Perspektive des Verzichts, des Militarismus und der Klimakatastrophe anzubieten. Wir schulden ihnen nichts! Anstelle der Logik des geringeren Übels oder der politischen Resignation wollen wir eine Jugend aufbauen, die für eine ganz andere Zukunft kämpft: Eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, die die Ressourcen dieses Planeten nachhaltig nutzt und statt hirnloser und gesundheitsschädigender Lohnarbeit die freie Entfaltung all unserer schöpferischen und kreativen Potenziale ermöglicht. Wenn deshalb die Regierenden von einer „Zeitenwende“ sprechen und uns auf künftige Kriege im Dienste des Kapitals vorbereiten wollen, sagen wir: Kein Cent, kein Mensch dem Militarismus! Gerade im imperialistischen Deutschland ist es unsere Aufgabe, eine revolutionäre, antiimperialistische Jugend an der Seite der Arbeiter:innen und aller Unterdrückten aufzubauen, die sich weder dem imperialistischen Kriegsgetrommel der „Heimatfront“ und der NATO anpasst noch reaktionäre Führungen wie Putin unterstützt oder entschuldigt.

6. Wir sind der Meinung, dass die einzige Kraft, die nicht nur einen Kampf gegen die imperialistische Politik der Regierung führen, sondern tatsächlich ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung erkämpfen kann, die Arbeiter:innenklasse ist. Aber nicht als gesichtslose Masse ohne Ansehen von Sexismus-, Homophobie- und Rassismuserfahrung(en), sondern im Gegenteil als Klasse, die insbesondere in einem Land wie Deutschland auch sehr migrantisch ist und immer weiblicher und offen queerer wird. Sie kann aufgrund ihrer Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess nicht nur die zentralen Hebel der Wirtschaft lahmlegen. Sondern sie kann die Gesamtheit aller unterdrückten Teile der Bevölkerung im Kampf gegen Staat und Kapital anführen. Dafür muss sie sich deren Forderungen zu eigen machen und sich selbst an die Spitze der Kämpfe gegen Sexismus, Rassismus und jegliche Form von Unterdrückung stellen, anstatt nur eine von vielen gleichrangig getrennt voneinander agierenden Bewegungen zu bilden, wie es beispielsweise die Bewegungslinke propagiert.

7. Die Trennung von Fragen der Unterdrückung (Sexismus, Rassismus, LGBTQIA+-Feindlichkeit usw.) vom Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung zementiert die Spaltung der Arbeiter:innenklasse. Diese ist für das Kapital funktional und wird vom Staat und den Bürokratien in der Arbeiter:innenbewegung aufrecht erhalten, die stets versuchen, ökonomische von sozialen und politischen Kämpfen zu trennen. Sie steht auch der Perspektive des Kampfes für eine Gesellschaft, die frei von jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung ist, unmittelbar entgegen. Deshalb haben wir nichts gemeinsam mit der populistischen Perspektive von Sahra Wagenknecht, die unter dem Vorwand einer Rückkehr zu mehr “Klassenpolitik” die Fragen der Unterdrückung herunterspielt. Die Strategie von Wagenknecht, ebenso wie die ihres französischen Pendants Jean-Luc Mélenchon und La France Insoumise ist darauf ausgelegt, die Interessen der “weißen Arbeiterklasse” mit den Interessen der imperialistischen Bourgeoisie zu vereinen. Ihre links klingenden Phrasen sind in Wahrheit nichts anderes als die Verteidigung des Standortnationalismus der Konzerne. Anstatt den Rechten das Wasser abzugraben, überlässt sie ihnen mit dieser Strategie das Feld.

8. Ihre Perspektive teilt die Linkspartei auch mit „neo-reformistischen“ oder linkspopulistischen Projekten der vergangenen Jahre wie Syriza in Griechenland, Podemos im Spanischen Staat oder La France Insoumise in Frankreich. Sie sind keine Ausdrücke des Klassenkampfes. Im Gegenteil: Sie lenken den Klassenkampf in staatstragende Bahnen um. Podemos hat ihre Opposition zur Monarchie abgelegt und setzt als Teil der spanischen Regierung derzeit die Aufrüstung und die Abschottungspolitik gegen Migrant:innen und die Zusammenarbeit mit Marokko zur kolonialen Unterdrückung der Westsahara fort. Die linksreformistische Wahlfront Syriza setzte 2015 an der griechischen Regierung die Spardiktate von IWF, EZB und EU um, obwohl sie sich vorher ausdrücklich dagegen positioniert hatte. In Griechenland zeigte sich auch, dass die EU ein imperialistischer Block ist, der den Interessen vor allem des deutschen Kapitals dient. Sozialist:innen müssen die EU als imperialistisches Projekt ablehnen, aber ohne die Perspektive der Rückkehr zum Nationalstaat – wie es beispielsweise Sahra Wagenknecht oder Jean-Luc Mélenchon vorschlagen –, sondern in der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

9. Der Stalinismus hat die revolutionäre Tradition weltweit, aber gerade auch in Deutschland zutiefst beschädigt. Denjenigen, die heute aus der Krise der Linkspartei Schlussfolgerungen ziehen wollen, raten wir dringend, auch aus dem Erbe des Stalinismus die nötigen Lehren zu ziehen. Die Bürokratisierung der Arbeiter:innenstaaten – nicht zuletzt der DDR –, die Unterordnung von Fragen der Unterdrückung, die Unterstützung für bürgerliche Parteien im Namen der nationalen Befreiung (sowohl linkerer Varianten wie die des frühen Chavismus als auch die Unterstützung für reaktionäre Anführer wie Assad in Syrien im Namen des „Antiimperialismus“), die offene oder verdeckte Sabotage unzähliger revolutionärer Prozesse, und die absolute Geringschätzung der selbstorganisierten Demokratie der Arbeiter:innen sind nur einige Elemente, die uns dazu veranlassen zu sagen: Das ist nicht unser Sozialismus. Im Gegenteil: Eine revolutionäre Kraft in Deutschland kann nur entstehen, wenn sie dieses Erbe hinter sich lässt.

10. Angesichts der Verschärfung der Klimakatastrophe, angesichts von Krieg und Aufrüstung, angesichts von fortgesetzter Inflation und Wirtschaftskrise braucht es eine konsequente Opposition in den Betrieben, Schulen und Universitäten und auf der Straße. Sie muss für ein soziales Notfallprogramm kämpfen, das die kapitalistischen Profitinteressen angreift und angesichts von Krise, Krieg und Klimakatastrophe eine sozialistische Perspektive aufwirft. Für sofortige Preisstopps, für die automatische Angleichung von Löhnen, Renten, Sozialleistungen, Bafög etc. an die Inflation, für hohe Gewinn- und Vermögenssteuern, für die Enteignung von Immobilien- und Energiekonzernen in der Perspektive der entschädigungslosen Enteignung aller Großunternehmen unter Kontrolle der Arbeiter:innen, für einen sozialen und ökologischen Umbau des Energiesystems und der gesamten Wirtschaft, gegen den Krieg, Sanktionen und Waffenlieferungen, gegen die 100-Milliarden-Aufrüstung. Weder Putin noch die NATO, und gegen den Militarismus des deutschen Imperialismus.

11. Um ein solches Programm umzusetzen, müssen wir in den Betrieben, Schulen und Universitäten und auf der Straße eine Einheitsfront für den Kampf gegen die Regierung und das Kapital aufbauen. Dazu ist es notwendig, die bremsende Rolle der Bürokratien der SPD, der Gewerkschaften und NGOs zu überwinden und ihr eine Perspektive der Selbstorganisation und der Koordinierung der Kämpfe gegenüberzustellen –  für klassenkämpferische Gewerkschaften und für die Selbstorganisation der Arbeiter:innen. Nicht nur in vereinzelten Kämpfen, sondern auch als Perspektive einer politischen Alternative jenseits kapitalistischer Regierungen. Denn die Führungen unserer Gewerkschaften zeigen aktuell wieder mit der Konzertierten Aktion (regelmäßige Treffen, bei denen sie sich mit Politik, Unternehmensverbänden und der Deutschen Bank abstimmen), dass sie lieber mit der Regierung und den Kapitalist:innen schlechte Kompromisse aushandeln. Den Preis dafür zahlen wir heute als Arbeiter:innen und als Jugendliche. Aber auch die Ausweitung befristeter Verträge wurde von unseren Gewerkschaftsführungen mit unterschrieben. Gegen diese sozialpartnerschaftliche Politik versuchen wir in Streiks, Kämpfe und Bewegungen Instanzen der Selbstorganisation und der breitestmöglichen Demokratie der Kämpfenden zu entwickeln, wie beispielsweise Streikversammlungen, imperative Mandate und die jederzeitige Abwählbarkeit von Vertreter:innen. Wir wollen schon heute durch ein Bewusstsein erzeugen, dass Leute zu dem Schluss kommen: “Die Bosse und die Herrschenden brauchen wir nicht, wir nehmen die Wirtschaft selbst in die Hand und wollen den Staat stürzen.”

12. Dies kann nur der erste Schritt hin zum Aufbau einer unabhängigen revolutionären Partei der Arbeiter:innenklasse sein. Denn mit dem Bruch mit der Linkspartei fängt unsere Aufgabe erst an: eine Organisation aufzubauen, die die fortschrittlichsten Teile der Arbeiter:innenklasse, der Jugend, der Frauen und LGBTQIA+, der Migrant:innen im Kampf für den Sturz des Kapitalismus und für die sozialistische Revolution anführen kann. Zu diesem Zweck haben wir bei dieser Konferenz begonnen, Debatten über strategische Lehren aus dem Scheitern der Linkspartei und über die Strategie für die Revolution zu führen. Diese Debatten wollen wir fortführen:

a. Als Alternative zur Anpassung an den Reformismus hat sich vor über zehn Jahren in Frankreich die Neue Antikapitalistische Partei gebildet, als Prototyp einer „breiten antikapitalistischen Partei“, die alle Strömungen links vom Reformismus, die sich als antikapitalistisch verstanden, sammeln wollte. Im Dezember 2022 hat sich die NPA infolge der Anpassung der Leitungsmehrheit an den Reformismus/Linkspopulismus gespalten. So hat sich gezeigt, dass die „breite antikapitalistische Partei“ ohne klare strategische Abgrenzung und ohne strategisches Zentrum im Klassenkampf problematisch ist. Für den Aufbau einer revolutionären Organisation ist es wichtig, daraus die korrekten Lehren zu ziehen. Das wollen wir in weiteren Diskussionen vertiefen.

b. Die Anwesenden sind sich einig, dass eine gemeinsame Intervention auf der Grundlage der in dieser Erklärung vorgelegten Eckpunkte in kommende Kämpfe möglich und nötig ist. Wir wollen:

  • in die kommende Tarifrunde des öffentlichen Dienstes (TVöD) mit einem Programm intervenieren, das die Forderung nach einem realen Inflationsausgleich erhebt und mit einem weitergehenden Programm gegen Krise, Krieg und Klimakatastrophe verbindet; die ver.di Kampagne um die TVöD-Runde mitaufbauen, gemeinsam mit der VKG in die Betriebsgruppen intervenieren und auf das Organisieren von politischen Demonstrationen an Streiktagen hinarbeiten, die ein solches Programm erheben:
  • Inflationsausgleich für alle, Anpassung aller Sozialleistungen an die Inflation, Erlass eines Mietenstopps, DWE durchsetzen.
  • Milliarden Investitionen in Gesundheit, Bildung und Klima statt 100 Milliarden in Aufrüstung, Einführung von Vermögenssteuern und Abgaben,
  • Vergesellschaftung der Energieversorgung unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und der Bevölkerung etc.,
  • Gegen die rassistische Hetze gegen unsere Kolleg:innen mit Flucht und Migrationserfahrungen und für Arbeits-und Studienerlaubnis für alle, Stopp aller Abschiebungen.
  • Solidarität mit Gewerkschaften und Arbeiter:innen anderer Länder, die unter Krise und Krieg leiden. Internationale Solidarität zwischen Arbeiter:innen, die unter gegenseitigen Sanktionen leiden.
  • in allen Kämpfen die Selbstorganisation der Arbeiter:innen unterstützen, wie bspw. aktuell in Kampf der Hebammen in Neuperlach gegen die Schließung ihres Kreißsaals.
  • angefangen mit dem Widerstand in Lützerath, mit einem sozialistischem Programm in die Klimabewegung intervenieren und Initiativen aus der Arbeiter:innenbewegung vorbereiten, um die Arbeiter:innenklasse als politisches Subjekt im Kampf gegen die Klimakatastrophe und eine demokratisch-ökologische Planwirtschaft aufzuzeigen.
  • uns an allen Mobilisierungen gegen den staatlichen Rassismus, Polizeigewalt, Abschiebungen und extremen/faschistischen Rechten beteiligen. An allen Orten besonders gegen die aktuelle rassistische Stigmatisierung von migrantischen Jugendlichen stellen.
  • uns an den Mobilisierungen um den 8.März beteiligen, darauf hinarbeiten, dass bundesweite Streikaktionen unterschiedlicher Bewegungen an diesem Tag mit einem feministischen Programm stattfinden.
  • uns an allen weiteren Mobilisierungen gegen Militarisierung und Krieg beteiligen, mit einer Perspektive der internationalen Solidarität der Arbeiter:innenklasse gegen die Agression der kapitalistischen Regierungen, für die Notwendigkeit des Kampfes der Arbeiter:innenklasse in Deutschland gegen ihre imperialistische Regierung.
  • Uns an Mobilisierungen gegen Kolonialismus zu beteiligen, mit einer bedingungslosen Solidarität mit dem Kampf der kolonisierten Völker wie in Kurdistan und Palästina für ihre Befreiung, die vom deutschen Staat insbesondere bekämpft werden. Wir treten für die Entkriminalisierung ihrer Widerstandsorganisationen und für den Stopp aller deutschen Waffenlieferungen an die Türkei, Israel, sowie anderer Länder ein.
  • angesichts des Verrats der Linkspartei am Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen, tausenden Abschiebungen, Ausbau des rassistischen Polizeiapparates, weiterer Kürzungspolitik in Gesundheit und Bildung usw. lehnen wir eine Wahlunterstützung für die Linkspartei bei der Wiederho­lung der Abgeordnetenhauswahl ab. Dagegen betonen wir die Notwendigkeit der revolutionär-sozialistischen Kandidaturen abseits der reformistischen Parteien, organisieren gemeinsam mit allen Interessierten eine Kampagne gegen die erneuten Regierungsbeteiligungen der LINKEN an RRG und setzen uns für erneute Mobilisierungen für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne durchführen.

c. Über die konkrete Intervention in Streiks und Kämpfe hinaus wollen wir eine politische Kraft aufbauen, die den Reformismus auf allen Ebenen – auch auf der Ebene der Wahlen – konfrontieren kann. Wir wollen dabei keine prinzipienlose Fusion verschiedener Organisationen mit unterschiedlichen Strategien oder eine breite Sammlung von antikapitalistischen Aktivist:innen ohne strategische Klarheit. Der Weg zu einer größeren programmatischen und strategischen Klarheit besteht darin, in gemeinsamen Kämpfen Positionen auszutesten und Übereinkünften weiterzuentwickeln – aber auch darin, beispielsweise gemeinsame Antritte bei Wahlen mit einem Programm der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse anzustreben. Deshalb rufen die Unterzeichner:innen alle Organisationen, die dem Inhalt dieser Erklärung zustimmen, dazu auf, Schritte für den Aufbau einer gemeinsamen revolutionären Front zu gehen. Diese Front muss basieren auf gemeinsamen Erfahrungen im Klassenkampf und der politischen Intervention in Streiks, sozialen Kämpfen sowie perspektivisch Wahlen auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene. Mit den Lehren der Erfahrungen von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sind wir der Meinung, dass ein Bruch der Revolutionär:innen mit den sozialdemokratischen Verwalter:innen des Kapitalismus nicht nur notwendig, sondern unumgänglich ist.




„Bist du Commie oder Anarcho?“

von Jona Everdeen

…wahrscheinlich eine der am häufigsten gestellten Fragen unter jugendlichen Linken in Deutschland. Was sind also unsere Differenzen und Gemeinsamkeiten zum Anarchismus und wie kann es zusammen funktionieren?

Wie alles begann

Der Anarchismus ist eine Strömung der Arbeiter_Innen-Bewegung, die sich innerhalb der Ersten Internationale von den Sozialist_Innen trennte, da die politischen Differenzen beider Strömungen zu gravierend waren. Berühmt sind die heftigen und teils polemischen Debatten zwischen Karl Marx mit anarchistischen Vordenker_Innen wie Michail Bakunin. Dabei treibt bis heute dieser Konflikt folgende Frage um: „Was ist unsere Position zum Staat und zur Autorität? Und wie verbinden wir unsere Ideale mit unserem Kampf?“, bei der Anarchist_Innen auf der Stelle jegliche Form von Herrschaft abschaffen wollen, während Kommunist_Innen eine parteiförmige Organisierung und rätedemokratische Herrschaft als Zwischenstadium für notwendig halten.

Denn eine Sache teilen sich Kommunist_Innen und Anarchist_Innen damals wie heute: Eine gemeinsame Utopie. Das, was wir Kommunismus nennen und das, was Anarchist_Innen Anarchie nennen, ist im Grunde derselbe Zustand einer klassenlosen Gesellschaft, in der die gesellschaftlich notwendige Arbeit ohne einen äußeren Zwang vollrichtet werden kann und es somit auch keine Staaten mehr benötigt. 

Die Unterschiede beginnen im Weg, wie wir es schaffen, zu dieser Gesellschaft zu gelangen. Dabei differenzieren sich sowohl Kommunist_Innen als auch Anarchist_Innen auch untereinander wieder auseinander. Aber das grundsätzliche Verständnis von Kommies dürfte sein: Zunächst Organisierung in Parteien als Kampforgane für die Revolution, dann planwirtschaftliche Verwaltung der Produktionsmittel durch das Proletariat, das rätedemokratisch herrscht. Diese sozialistische Gesellschaft entwickelt sich mit der Zeit in die wirklich freie Gesellschaft. Dieser Weg folgt aus der Erkenntnis, dass es nicht möglich ist, aus dem Kapitalismus ohne weiteres in den Kommunismus überzugehen und dass es eben notwendig ist, die Produktivkräfte und das gesellschaftliche Bewusstsein für diesen Zustand der absoluten Klassenlosigkeit reifen zu lassen, was voraussichtlich Generationen brauchen wird.

Typische Anarchismen

Anarchist_Innen hingegen erkennen diese Notwendigkeit zum Sozialismus nicht an, wobei sich der genaue alternative Lösungsweg von Strömung zu Strömung unterscheidet und wir natürlich nicht auf alle eingehen können. Klassische Anarchist_Innen denken, dass es sehr wohl möglich ist, das Bewusstsein der Gesellschaft im hier und jetzt auf das Niveau zu heben, dass die Menschen für die Herrschaftslosigkeit reif sind und man einfach alle Staaten und alles Geld abschaffen kann und dann schon die klassenlose Gesellschaft kommt. Dabei bezieht man sich eher nicht auf das Proletariat als revolutionäres Subjekt, sondern der Kampf entfaltet sich zwischen Staat und Bevölkerung. Dabei kann man grundlegend zwischen jenen unterscheiden, die in offener und militanter Opposition zum Staat stehen, und jenen, die innerhalb des Kapitalismus‘ „herrschaftslose Inseln“ bilden, die sich linear und möglicherweise sogar gewaltlos ausweiten, bis die gesamte Gesellschaft frei ist. Solche Ideen sind sowohl in der Hausbesetzer_Innenszene vertreten als auch bei Graswurzel-Anarchist_Innen. In aller Regeln versuchen Anarchist_Innen, bereits innerhalb ihrer politischen Praxis ihre freiheitlichen Ideale zu leben. Auch wenn wir diese Ideale teilen, sehen wir ein, dass das innerhalb des Kapitalismus nur Schwächung und Illusion bedeutet und wir sagen: „Die Befreiung erfolgt nicht im Kampf, sondern ist dessen Ergebnis und alles muss auf dessen Erreichung ausgelegt sein! Politische Organisierung befreit uns nicht, sondern nur eine andere Gesellschaftsform kann uns befreien!“

Den Sozialist_Innen am ähnlichsten sind die Anarcho-Syndikalist_Innen, da sich diese klar auf das Proletariat beziehen und ebenfalls Arbeitskämpfe als Hauptwerkzeug verwenden. Allerdings setzen sie dabei ihren Fokus auf Organisierung revolutionärer Gewerkschaften, die das Ziel haben, Stück für Stück Betriebe in die Hand der angestellten Arbeiter_Innen zu überführen. Es gibt dabei aber weder eine klare Vermittlung zwischen Betrieben durch Planung, noch eine Vermittlung zwischen Arbeits- und politischen Kampf durch eine Partei.

Sehr anders gehen hingegen Anarchos vor, die die „Propaganda der Tat“ vertreten, also die Annahme, dass punktuelle durch einzelne Individuen oder kleine Gruppen ausgeführte militante Aktionen dafür sorgen, dass die Massen ein revolutionäres Bewusstsein entwickeln und sich den vereinzelten Aktionen gegen Bourgeoise und bürgerlichen Staat massenhaft anschließen.

Doch tatsächlich passiert meist das Gegenteil: Die Aktionen haben häufig eher eine stärkere Isolation der revolutionären Kräfte zur Folge, da die Hürde für den Einstieg und gleichzeitig die Möglichkeit des bürgerlichen Staates, mittels Propaganda das Proletariat gegen die Aktionen der revolutionären Kleingruppen aufzubringen, extrem hoch sind.

Den klandestinen, individuellen und punktuellen Aktionen gegen bestimmte Elemente der kapitalistischen Herrschaft stellen wir ein Programm des kollektiven Kampfes möglichst großer Teile des Proletariats gegenüber, dass vor allem mittels von Streiks in der Lage ist, die ökonomische Grundlage der Macht der Bourgeoise aus den Angeln zu heben und Konzernen wie Rheinmetall oder Vonovia somit viel effektiver zu schaden, als es ein abgebrannter Firmenwagen oder eine zerbrochene Scheibe tun.

Freund_Innen in der Revolution

Doch wie verhalten wir uns in Folge dieser Widersprüche gegenüber Anarchist_Innen?

Hier kommt wie so oft das Prinzip der Einheitsfront zum Tragen. So streben wir eine Zusammenarbeit aller Kräfte des Proletariats an, also auch anarchistischer, in gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus.

Die Basis dafür bilden gemeinsame Ziele sowie die Propagandafreiheit sämtlicher Beteiligter.

Gleichzeitig regen wir in diesem Rahmen auch zu einer Wideraufnahme eines solidarischen Diskurses zwischen Anarchist_Innen, Kommunist_Innen und anderen Kräften der Arbeiter_Innen-Bewegung an, in der Differenzen angesprochen und diskutiert werden können, ohne dass es gleich zu Stigmatisierungen von der „Autoritären Kommisekte“ oder den „planlosen Anarchos“ kommt!

Auch sind wir solidarisch mit Anarchist_Innen, die aufgrund von militanten Aktionen gegen Repräsentant_Innen von Staat und Kapital Repressionen erfahren, auch dann, wenn wir diese Aktionen in ihrer Form kritisch sehen.

  • Freiheit für alle politischen Gefangenen!
  • Für eine Einheitsfront aller Kräfte der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend im Kampf gegen Bourgeoisie und bürgerlichen Staat!
  • Für Propagandafreiheit in gemeinsamen Aktionen! Wer als Organisationen eine politische Aktion mitträgt, muss auch das Recht haben, ihre Symbole zu zeigen und Materialien zu verteilen!
  • Für politische Streiks in Schulen, Unis und Betrieben als zentrales Mittel des Klassenkampfes!



Der ewige Pflegenotstand – Was tun außer Applaus?

Der Begriff des Pflegenotstands ist nun schon so lange im Umlauf, dass er effektiv zum Pflegenormalfall geworden ist – wieder und wieder gibt es Trostpflaster von der deutschen Politik für einen Patienten, der eigentlich auf den OP-Tisch müsste. Tatsächlich sieht die Situation düster aus: Der deutsche Berufsverband für Pflegeberufe beklagt 200.000 fehlende Vollzeitbeschäftigte und die höchste Krankheitsquote aller Berufsgruppen. Dazu kommen ein gewaltiger Arbeitsaufwand und eine kärgliche Bezahlung, die dazu in keinem Vergleich steht – es ist nicht wirklich rätselhaft, woher der Personalmangel kommen mag.

Doch wie kommt es dazu? Krankenhäuser befinden sich zunehmend in privater Hand, und diese Entwicklung hat sich mit der Einführung der Fallpauschale im Jahre 2004 noch beschleunigt. Diese legt je nach behandelter Erkrankung einen Fixbetrag fest, der an die Krankenhäuser geht – Stationäre Pflege ist in diesem System schlicht nicht besonders profitabel. Auch die Kommunen sind gezwungen, Abteilungen zu reduzieren, zu schließen, oder Krankenhäuser gleich komplett in private Hand zu geben. Die Folgen sind Lohndumping und Erhöhung der Arbeitszeit, mit denen eine gewaltige Verschlechterung der Situation für Pflegebedürftige einhergeht. Noch übler ist es oft auf dem Land, wo Krankenhäuser gleich ganz geschlossen werden, weil eine profitable Führung unmöglich scheint. Besser sieht die Situation auch in anderen Pflegeeinrichtungen wie Senior_Innen-Heimen nicht aus.

Gleichzeitig sind die durch die Pflegeversicherung gefüllten Töpfe eher halbvoll, und in aller Regel müssen die Leute für einen Anteil der Kosten ihrer Pflege selbst aufkommen. Hier fehlen schmerzlich Gelder, die stattdessen in private Kranken- oder Rentenversicherungen fließen, die durch Beitragsermessungsgrenzen „weggedeckelt“ werden, oder unangetastet auf den Konten großer Unternehmen liegen.

Diese Zustände haben regelmäßig Streiks zur Folge, wie noch zuletzt öffentlichkeitswirksam in der Charité in Berlin. „Aber die armen Patienten, die armen Alten!“, rufen dann oft diejenigen am lautesten, die zuvor noch durch die Auslastung der Pfleger_Innen bis aufs Äußerste das Wohlergehen genau dieser Menschen aufs Spiel gesetzt haben. Naja…

Die Forderungen besagter Streiks dürfen jedoch nicht bei Lohnerhöhungen oder einer Reduzierung der Arbeitszeit aufhören, denn auch, wenn es sich um wichtige Punkte handelt, stellen sie letztlich dennoch nur Symptombekämpfung dar. Das eigentliche Pathogen heißt Kapitalismus, und er zwingt das Gesundheitssystem in Betriebsform, ob es nun darum geht, in Privatbesitz den Profit zu maximieren, oder in Staatshand „nur“ um Kostendeckung. Es geht also darum, nicht nur die Produktion, sondern auch die Reproduktion, und darunter fällt die Pflege, zu vergesellschaften und in Arbeiter_Innenkontrolle zu stellen. Das beinhaltet ein Mitspracherecht für Pfleger_Innen und Gepflegte gleichermaßen.

Nun findet aber die Pflege insbesondere von älteren Menschen, sofern keine medizinische Notwendigkeit stattfindet, oft zu Hause statt. Auch diese Arbeit fällt als Hausarbeit unter den Schirm der Reproduktionsarbeit, und gehört ebenso vergesellschaftet. Das heißt nicht, dass plötzlich Männer in Uniform vor der Tür stehen und Opa aus dem Wohnzimmer ins nächste Altersheim verschleppen, sondern in erster Linie, dass die Aufgaben, die heute in den Händen einzelner liegen – und oft aus finanziellen Gründen in die Hände einzelner gezwungen sind – von vielen übernommen werden können. Besonders Entlastung wird das für Frauen und andere von Sexismus Betroffene bringen, von denen die patriarchalen Ordnung in Form der bürgerlichen Familie erwartet dass sie die unbezahlte Carearbeit zu tun haben, also auch bedürftige Verwandte pflegen.

Ganz generell wird in einer sozialistischen Gesellschaft der Mensch im Mittelpunkt stehen und nicht der Profit, weshalb es selbstverständlich sein wird, dass Ärzt_Innen wie Pfleger_Innen die Behandlung kranker oder pflegebedürftiger Menschen einzig und alleine danach ausrichten was diese Menschen benötigen und nicht was die günstigste und nach kapitalistischer Logik effizienteste Lösung ist. Gleichzeitig wird im Sozialismus natürlich auch klar sein, dass sowohl Ärzt_Innen als auch Pfleger_Innen einen ihrer Arbeit entsprechenden Lohn erhalten, was den Teufelskreis aus Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege durchbrechen wird.

Wir fordern:

  • Inflationsangepassten Mindestlohn und Stunden- statt Gehaltsreduzierung! Bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege lieber gestern als heute!
  • Massiver Ausbau des Gesundheitswesens! Der Schließungstrend muss sich umkehren, besonders auf dem Land!
  • Abschaffung der Fallpauschalen! Für eine Behandlung, die an der Gesundheit und den Bedürfnissen der Patient_Innen ausgerichtet ist und nicht am Profit privater Konzerne!
  • Vollständige Vergesellschaftung des Gesundheitssystems! Schluss mit privaten Krankenhäusern, Versicherungen und Altenpflegeketten!



Inflation und politische Krise in der Türkei

Von Jonathan Frühling

Die Türkei ist ein Land mit 85 Millionen Einwohner_Innen und einem BIP von 850 Mrd. (ca. ein Drittel von Deutschland). Durch seine Lage zwischen dem Nahen Osten und Europa hat es neben seinem wirtschaftlichen Gewicht auch geopolitische Bedeutung. Außerdem ist das Land Teil der NATO und hat sogar die zweitgrößte Nato-Armee. Zuletzt hat die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte jedoch mit einer offiziellen Inflation von 80 % ein vorläufiges Ende gefunden. Wie kam es zur Krise in der Türkei und wie kann sie gestoppt werden?

Politische Entwicklung

Mit der AKP und Recip Tayyip Erdogan kam 2003 eine rechte, muslimische Partei an die Macht. Die nächsten Jahre waren von einer liberalen wirtschaftlichen Entwicklung geprägt, die sogar das Entstehen einer großen Mittelschicht ermöglichte. Allerdings erfolgten auch Privatisierungen und insgesamt eine Verschlechterung der Lage der Lohnabhängigen. 2013 hat das zu den großen Gezi-Protesten geführt, die sich gegen Verdrängung und die Regierung insgesamt richteten. Diese wurden jedoch blutig niedergeschlagen.

Die Türkei ist zwar nicht faschistisch, hat sich innenpolitisch jedoch immer mehr zu einer neoliberalen Diktatur entwickelt. Seit 2016 wurde ein brutaler Krieg gegen das kurdische Volk im Südosten des Landes geführt, um deren Autonomiebestrebungen zu zerstören. Schon seit der Gründung der kapitalistischen Türkei wurden die Kurd_Innen, die größte Minderheit im Land, massiv unterdrückt. Diese Politik, die sie zu Bürger_Innen zweiter Klasse machte, führte erst zum Kampf gegen den türkischen Staat und schließlich um Autonomiegebiete. Erdogan unterdrückte diesen Kampf mit besonderer Härte. Die Pressefreiheit ist mittlerweile eine der niedrigsten der Welt. Trotzdem hatte Erdogan in der Mehrheitsgesellschaft immer ein recht gutes Ansehen, was er aber nun zu verlieren scheint: In den Umfragewerten steht die AKP bei 30 %, was einen Verlust von über 13 % darstellt. Sie hat also bereits einen Teil ihrer früheren Basis verloren und schafft es immer weniger die Interessen der verschiedenen Kapitalfraktionen zu vereinen. Ihr Koalitionspartner, die faschistische MHP, liegt bei 7 Prozent und würde damit sogar den Einzug ins Parlament verpassen. Am 18. Juni 2023 werden die nächsten Parlamentswahlen in der Türkei abgehalten. Die aussichtsreichste Oppositionspartei ist allerdings die bürgerliche CHP, die die Kriege im Aus- und Inland, sowie jegliche neoliberale Reform im Inneren unterstützt hat.

Die Wirtschaft der Türkei

Die Türkei war lange Zeit eines der Länder mit einem großen Wirtschaftswachstum. Zum Teil nutzlose Infrastrukturprojekte haben zwar kurzfristig die Wirtschaft angekurbelt, jedoch auch Staatkassen belastet, sodass die Verschuldung von 2005 bis 2021 von 175 Mrd. auf 435 Mrd. (41,6 % des BIP) gestiegen ist. Die wichtigsten Industriesektoren sind die Textilindustrie, die Automobilindustrie, sowie die chemische Industrie, der Maschinenbau und die Elektronikbranche. Im Dienstleistungssektor, der ca. 50% der Wirtschaft ausmacht, ist vor allem die Tourismusbranche zu nennen. Weitreichende Privatisierungen im öffentlichen Sektor (z.B. im Gesundheitsbereich) haben in den letzten Jahren zu einer Verschlechterung der Leistungen und der Arbeitsbedingungen in diesem Sektor geführt. Das Wachstum des BIP wird für die nächsten Jahre nur noch auf ca. 3 % geschätzt.

Inflation

Im August 2021 begann die Inflation in die Höhe zu schnellen. Da Erdogan eine Rezession befürchtete, hatte er den Leitzins (Zinssatz bei dem sich Banken bei der Zentralbank Geld leihen können) nicht gehoben. Das Kalkül ging allerdings nicht auf und die Inflation stieg in der Folge bis zum August 2022 auf offiziell 80%. Grund dafür ist u.a. auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Der Hauptgrund der Inflation ist allerdings die schwache Landeswährung Lira, die dafür sorgt, dass Importe (z.B. von Nahrungsmitteln und Energie) deutlich teuer werden.

Die Erhöhung des Mindestlohns auf umgerechnet ca. 300 € kann die Verarmung der Bevölkerung nicht aufhalten. Über 20 % leben heute unter der Armutsgrenze und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 50 %.

Außenpolitik

Die Außenpolitik der Türkei ist davon geprägt, pro-kurdische Kräfte zu bekämpfen. Z.B. bereitet die Türkei gerade einen fünften (!) Krieg gegen die kurdischen Autonomiegebiete Rojava in Nordsyrien vor. Auch im Irak ist die Türkei einmarschiert und bombardiert regelmäßig kurdische Dörfer, um die pro-kurdische Partei PKK zu bekämpfen.

Zwar ist die Türkei in der NATO, hat aber Konflikte mit einzelnen Staaten, wie z.B. den USA, die die Kurd_Innen in Syrien gegen den IS unterstützen. Außerdem besteht eine lange Feindschaft mit Griechenland über die Herrschaft über diverse Inseln, aber auch um das Recht auf Gasbohrungen im Mittelmeerraum. Dies führte bereits in diesem Jahr fast zum Krieg zwischen den beiden NATO-Staaten. Mit Russlands Unterstützung des Assad-Regimes besteht zwar in Syrien ein Interessenkonflikt, allerdings ist es auch ein wichtiger Handelspartner, weshalb die Türkei stets um einen Ausgleich bemüht ist. Insgesamt versucht die Türkei ihre wirtschaftlichen Probleme militärisch mit einer aggressiven Außenpolitik in Syrien, Libyen oder als „Türsteher“ Europas auszugleichen. Gleichzeitig mit dem Hass auf das kurdische Volk, und angeblichem innerem „Terror“ den sie der PKK zu schieben. Das hilft Angst in der Bevölkerung vor den äußeren und inneren „Feinden“ zu schüren, um vor den tatsächlichen Problemen und ihren Ursachen abzulenken.

Widerstand

Gewerkschaftlicher Widerstand gegen die Politik der Regierung fiel abgesehen von den Gezi-Protesten 2013 leider eher schwach aus, da die Gewerkschaften traditionell sehr mitgliederschwach sind. Nur 9,2% der arbeitenden Menschen sind überhaupt organisiert und kaum 3 % arbeiten unter Tarifbedingungen. Anfang 2022 gab es allerdings Streiks in der Metall- und Elektroindustrie von drei Gewerkschaften. Auch Essenslieferant_Innen, Textilarbeiter_Innen und Angestellte im Gesundheitssektor haben 2022 gestreikt (teilweise mehrfach) und somit den Lohnabhängigen den Weg in den Kampf gewiesen. Dieser rasante Anstieg von Streiks 2022 hat auch zu massenhaften Eintritten in die Gewerkschaften geführt.

Die Schwäche der Regierung und die anstehenden Wahlen sind eine gute Möglichkeit, die Belange der Arbeiter_Innenklasse in den Fokus der Politik zu rücken und den Kampf gegen die kapitalistische Grundlage der Regierung populär zu machen. Dafür müssen die Gewerkschaften jedoch koordiniert auftreten. Sie müssen sich zu einem Aktionsbündnis gegen die Preissteigerungen zusammenschließen. Nur so kann die Arbeiter_Innenklasse zu einem politischen Machtfaktor werden, der Unentschlossene anzieht und der Regierung die Stirn bieten kann.  

Sie muss auch Forderungen, wie die Verstaatlichung des Gesundheitssektors aufstellen, um die Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern.

Aus einer solchen Bewegung müsste aber auch eine revolutionäre Partei entstehen. Die HDP kann als eine reformistische Partei eine solche Rolle nicht einnehmen. Mit ihre Forderungen nach einer teilweisen Integration der kurdischen Bewegung in den türkischen Staat und begrenzten sozialen Reformen können die Probleme der Wirtschaft und Gesellschaft nicht behoben werden. Nur eine antikapitalistische Revolution kann den wirtschaftlichen Verfall der Türkei noch aufhalten.

  • Für einen Generalstreik gegen Krieg und Inflation, angeleitet von den Gewerkschaften und Arbeiter_Innenkommitees in den Betrieben!
  • Gegen das Verbot von PKK, HDP und gegen jegliche Diskriminierung des kurdischen Volkes, für ein Recht auf autonome kurdische Gebiete!
  • Für die Enteignung aller Betriebe und hohen Vermögen unter Kontrolle von Arbeiter_Innenkommitees, Stopp sinnloser und verschwenderischer Infrastrukturprojekte!
  • Für eine gleitende Lohnskala angepasst an die Inflation und eine Erhöhung von Mindestlohn und Arbeitslosengeld unter Kontrolle der türkischen und kurdischen Arbeiter_Innen!
  • Für die Streichung aller Schulden der Türkei an das Ausland!
  • Für den Austritt der Türkei aus der NATO, gegen jede Militärunterstützung im Kampf gegen Rojava von Deutschland (insbesondere Waffen- und Panzerlieferungen)!
  • Für eine revolutionären Aufstand der Arbeiter_Innen und Bäuer_Innen der Türkei und Kurdistans und den Sturz des reaktionären Erdogan-Regimes!






Grundlagen des Marxismus: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Wert und Preis?

Durch die Inflation steigen momentan die Preise für viele Gebrauchsgegenstände des alltäglichen Lebens, vor allem aber für Heizkosten und Sprit. Wir möchten in diesem Artikel die Grundlagen der Marx’schen Werttheorie erklären, und damit aufdecken, wo der Wert einer Ware herkommt und wie Wert und Preis zusammenhängen. Dazu fangen wir damit an zu klären, was eine Ware überhaupt ist.

Eine Ware entsteht nicht einfach aus dem Nichts. Zuerst muss ein Produkt durch Arbeit gefertigt werden. Aber ein Produkt ist nicht automatisch eine Ware, denn dafür muss es zwei Voraussetzungen erfüllen: Es muss einen Gebrauchswert für andere haben, das heißt, seine Funktion muss die Bedürfnisse eines anderen Menschen erfüllen und einen Nutzen haben. Der Gebrauchswert hängt stark von den physischen Eigenschaften des Produkts ab. So ist der Gebrauchswert eines Stuhles beispielsweise, dass man sich daraufsetzen kann, oder die eines Tisches, dass man darauf Dinge abstellen kann. Der Gebrauchswert kann jedoch von Individuum zu Individuum unterschiedlich sein. So hat beispielsweise eine Zigarette einen Gebrauchswert für Raucher:innen, für Nicht-Raucher:innen hingegen keinen. Die zweite Voraussetzung, die ein Produkt erfüllen muss, um als Ware zu gelten ist, dass das es anderen im Austausch übertragen werden muss. Damit ein Gebrauchswert eine Ware werden kann, muss er Gebrauchswert für einen anderen sein. Dafür muss ein Markt existieren, auf dem das Produkt im Austausch gegen andere Güter gehandelt wird.

Tausch von Produkten oder Wissen erfolgte zwar schon sehr früh in der Geschichte der Menschheit, aber lange nur zufällig, und ohne in die Arbeitsteilung der Gemeinschaft einzugehen. Erst als diese begann, mehr zu produzieren, als sie selbst verbrauchte, wurde die Produktion von Waren wichtiger, auch wenn sie noch lange einen untergeordneten Aspekt darstellte. Doch nur so konnte sich überhaupt erst der Tausch entwickeln, in dem das Mehrprodukt als Waren gehandelt werden konnte.

Für den Tausch braucht die Ware einen Maßstab, damit eine Person weiß, in welchem Verhältnis die Waren zueinander getauscht werden können. Paradoxerweise hängt dieser Tauschwert nicht quantitativ von dem Gebrauchswert ab. So hat zum Beispiel Brot einen hohen Gebrauchswert, jedoch häufig einen niedrigen Tauschwert, während beispielsweise ein Diamant nicht sehr nützlich ist, aber oft einen hohen Tauschwert besitzt. Marx vertritt die Arbeitswerttheorie, laut derer der Tauschwert einer Ware die Erscheinungsform ihres Werts ist. Letzterer entsteht durch die in sie investierte Arbeitszeit: Je mehr Arbeit die Herstellung einer Ware braucht, desto höher ist ihr Wert. Dabei muss aber der gesamtgesellschaftliche Durchschnitt beachtet werden, nicht die Herstellungszeit individueller Personen. Wenn Person A einen Stuhl derselben Qualität und aus dem gleichen Material in einer Stunde herstellt, Person B jedoch 3 Stunden dafür benötigt, bedeutet das nicht, dass der Stuhl von Person B wertvoller ist, nur weil sie länger gebraucht hat, um dasselbe Ergebnis zu erzielen.

Der Wert einer Ware wird also durch die zur ihrer Herstellung notwendige Menge an gesellschaftlich durchschnittlicher Arbeit bestimmt. Dies schließt auch die für die Arbeit nötigen Materialien und Werkzeuge ein. Die Werkzeuge wurden ja vorher selbst durch Arbeit geschaffen, auch wenn nicht zwingend durch dieselbe arbeitende Person. Genauso wurden die für die Produktion der Ware notwendigen Rohmaterialien vorher durch Menschen gefördert, vorverarbeitet und transportiert. Das bedeutet, dass in den Werkzeugen und Materialien schon Arbeit vergegenständlicht ist, sie also schon einen Wert besitzen müssen. Dieser Wert geht im Produktionsprozess anteilig auf die neue Ware über.

Wenn wir heutzutage eine Ware erwerben möchten, tun wir dies aber meistens nicht durch den Austausch mit anderen Waren, sondern nutzen dafür Geld. Wenn der Tauschwert einer Ware in Geld ausgedrückt wird, so stellt das den Preis da.

Jedoch sind Wert und Preis nicht dasselbe. Letzterer kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. So ist er auch abhängig von Angebot und Nachfrage. Das ist das Problem, das wir momentan mit den Energiepreisen haben. Durch den Krieg und ausbleibende Gaslieferung erhöht sich der Preis, da weniger Gas zur Verfügung steht, aber die Nachfrage in etwa gleichbleibend. Das treibt den Preis in die Höhe. Da jede Produktion dadurch höhere Kosten hat, erhöht sich der Kostpreis der Kapitalist:innen, die dadurch niedrigere Profite einfahren. Deswegen steigern Sie den Preis, den wir letzten Endes im Laden bezahlen. Viele Kapitalist:innen nutzen diesen Vorwand aber auch aus, indem sie die Preise nicht nur um die Differenz zu Ihrem neuen Kostpreis erhöhen, sondern um ein Vielfaches dessen, um zusätzlichen Profit zu machen („Übergewinn“). Der Wert der Waren ist aber, solange es sich bei den veränderten Weltmarktpreisen nur um vorübergehende Schwankungen handelt, die ganze Zeit gleich geblieben, da die Arbeiter:Innen, die die Waren produziert haben, ja immer noch genau so lange brauchen wie vorher. Würden jedoch wichtige Rohstoffe für die Energieerzeugung dauerhaft teurer werden, würde sich letztlich auch der Wert der Waren erhöhen, weil Erdgas zum Beispiel sehr aufwändig aus Katar oder den USA nach Europa geschifft wird, anstatt durch die Pipeline aus Russland zu kommen.




Warum der Ukrainekrieg in Afrika eine Hungerkrise auslöst

Von Jona Everdeen

Wir alle haben schon mitbekommen, dass die Preise für Lebensmittel in Folge der aktuellen Krise immer weiter angestiegen sind und dass ein Ende aufgrund der zunehmenden Inflation noch nicht in Sicht ist. Für uns als Arbeiter_Innen und als Jugendliche ist das ein großes Problem, da wir uns vieles, was früher zu unseren Grundnahrungsmitteln gehörte, so zum Beispiel den Döner in der Mittagspause, nicht mehr leisten können und für viele Familien besteht die reale Gefahr, in diesem Winter teilweise hungern zu müssen. Doch auch wenn die Lage hier in Europa ernst ist, sind diese Probleme im Vergleich zu den katastrophalen Folgen der Krise für die Ernährung im globalen Süden noch relativ überschaubar. Ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine und verstärkt durch die Klimakrise, die auch in Afrika für eine Dürreperiode sorgte, droht vielen Menschen eine katastrophale Hungerkrise. Doch wie konnte es soweit kommen?

Was ist eine Hungerkrise?

Von einer Hungerkrise kann man dann sprechen, wenn signifikante Teile der Bevölkerung eines Landes oder einer Region nicht mehr in der Lage sind, ausreichend Nahrung zu sich zu nehmen, weil diese entweder nicht verfügbar oder nicht bezahlbar ist. Menschen sind dann akut von Unterernährung betroffen und vom Hungertod bedroht. Traditionell waren und sind Hungerkrisen meist das Resultat von Kriegen oder schweren Naturkatastrophen vor Ort, doch in der Welt des globalisierten Imperialismus können auch externe Einflüsse für Länder im globalen Süden katastrophale Folgen haben, so wie in diesem Fall die russische Invasion auf die Ukraine und der daraus resultierende Krieg.

Was hat der Ukrainekrieg damit zu tun?

Russland und die Ukraine sind weltweit die beiden größten Exporteure für Getreide. Zusammen stellen sie ein Drittel der Weizen- und Gerstenproduktion, also von Grundnahrungsmitteln, die vor allem für Länder ohne eigene Produktion unverzichtbar sind. Gleichzeitig ist Russland auch noch der weltweit größte Exporteur für in der Landwirtschaft benötigte Düngemittel.

Nun konnten jedoch große Teile der ukrainischen Ernte durch die Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen nicht exportiert werden, während gleichzeitig die Ausfuhr russischer Lebens- und Düngemittel von westlichen Sanktionen erschwert wird. Durch diese verfahrene Situation entsteht eine Verknappung, wodurch die Preise für Lebensmittel massiv in die Höhe geschnellt sind. Und auch wenn sich die Situation der ukrainischen Getreideexporte inzwischen etwas entspannt hat, bleibt die Lage extrem kritisch.

Doch dabei stellt sich vor allem eine Frage: Warum sind Länder im globalen Süden, vor allem in Afrika, von Lebensmittelexporten aus Russland und der Ukraine abhängig, obwohl es dort doch auch jahrhundertelang gut funktionierende Landwirtschaft gab? Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie bitter: Imperialismus.

Was war nochmal Imperialismus?

Imperialismus bedeutet, in sehr verkürzter Darstellung, die wirtschaftliche Unterwerfung eines Landes durch das Kapital eines (oder mehrerer) anderer Länder. Man spricht dann davon, dass das wirtschaftlich abhängige Land eine Halbkolonie des anderen Landes ist.

Viele Länder des globalen Südens sind in irgendeiner Form von eben dieser imperialistischen Ausbeutung durch Länder des globalen Nordens betroffen. Konzerne aus imperialistischen Ländern wie den USA, der EU, China auch Russland kontrollieren de facto die Wirtschaft des jeweiligen Landes und passen sie mittels ökonomischer Zwänge, vor allem Verschuldung und Handelsabkommen, ihren Bedürfnissen an.

Die beiden wohl wichtigsten Arten imperialistischer Ausbeutung sind einmal die Schaffung eines billigen Absatzmarktes für Produkte aus der Produktion des imperialistischen Staates und andererseits die Ausbeutung der Ressourcen des halbkolonialen Staates.

Und genau das sind die Gründe warum viele Staaten des globalen Südens so stark von Lebensmittelimporten abhängig sind: Einerseits wurde in vielen Regionen des globalen Südens bereits zur Kolonialzeit die lokale Landwirtschaft durch Monokulturen von im globalen Norden nicht verfügbaren pflanzlichen Ressourcen ersetzt, so zum Beispiel Zuckerrohr, Kaffee oder Ölpalmen. Andererseits werden die Lebensmittelmärkte der betroffenen Länder von wesentlich günstigeren Produkten aus der Produktion von Konzernen des globalen Nordens überschwemmt. Durch Handelsabkommen mit entsprechenden Knebelverträgen sichern sich imperialistische Länder die optimalen Bedingungen für den Export und Verkauf ihrer Produkte in der halbkolonialen Welt und verhindern deren eigenständige und profitable Produktion.

Konsequenzen:

Das Resultat dieser Praxis ist dann unter anderem, dass in den fruchtbarsten Regionen Kenias zu großen Teilen keine Lebensmittel für die Bevölkerung vor Ort angebaut werden, sondern hier stattdessen Zierpflanzen für den westlichen Blumenmarkt wachsen, da die Klima- und Lohnbedingungen den Blumenkonzernen besonders hohe Profite versprechen.

Und selbst wenn doch Lebensmittel von westlichen Großkonzernen in Afrika produziert werden, werden diese nur selten auf dem lokalen Markt verkauft, sondern meist nach Europa, Nordamerika oder China verschifft und auf den dortigen Märkten profitabel verkauft. Dadurch, dass sie großenteils für internationale und nicht für den eigenen Markt produzieren, sind Länder im globalen Süden und vor allem in Afrika, unglaublich stark abhängig vom Weltmarkt. Ist die ökonomische Lage gerade schlecht, bricht einerseits der Absatzmarkt für viele Produkte, wie eben Blumen, Kaffee und ähnliches, ein, andererseits werden die notwendigen Importe von Grundnahrungsmitteln und anderen essentiellen Gütern teurer.

Manche Länder des globalen Südens versuchen, um der Ausbeutung durch die imperialistischen Westmächte zu umgehen, neue Bündnisse mit China oder Russland zu schmieden, so zum Beispiel Sambia mit China oder die Zentralafrikanische Republik mit Russland, jedoch ist auch dies keine Lösung. Zwar gelingt es den Ländern dadurch die Beherrschung durch die westlichen Imperialisten abzuschütteln oder zumindest zu verringern, dafür werden sie nun zu Halbkolonien der nicht weniger ausbeuterischen östlichen Imperialisten.

Zusätzliche Faktoren für die Krise sind auch noch einerseits die Klimakrise, an deren Entstehung die Länder des globalen Südens kaum beteiligt waren, von der sie jedoch bereits jetzt extrem stark in Form von Dürreperioden betroffen sind. Andererseits aber auch die extreme Abhängigkeit der noch existierenden regionalen Landwirtschaft von Großkonzernen, die ein Monopol auf Saatgut und Düngemittel besitzen (so zum Beispiel Bayer/Monsanto). Besonders schwer trifft diese Abhängigkeit zum Beispiel indische Bäuerinnen und Bauern, die sich von Bayer die Kaufpreise für das benötigte Saatgut diktieren lassen müssen, um weiter Landwirtschaft führen zu können. Dies führte in jüngerer Vergangenheit zum Bankrott zigtausender Höfe und einer massiv überproportionalen Suizidrate unter indischen Bäuerinnen und Bauern.

Für eine eigenständige Lebensmittelproduktion unter Arbeiter_Innenkontrolle!

Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Probleme zu lösen und die aktuelle Hungerkrise nachhaltig zu bekämpfen: Die Arbeiter_Innen in halbkolonialen Ländern müssen die Kontrolle über ihre Produktion zurückerkämpfen und diese planwirtschaftlich gestalten, nach dem Prinzip der Bedürfnisbefriedigung und nicht der Profitmaximierung.

Um dies zu erreichen, muss die Macht der imperialistischen Staaten, ihrer Banken und ihrer kapitalistischen Großkonzerne gebrochen werden. Bayer, Monsanto, Nestle und Co. müssen international vertrieben und enteignet werden. Bäuerinnen und Bauern, Arbeiter_Innen, Jugendliche und alle Ausgebeuteten müssen sich zusammenschließen und die meist autokratischen Kollaborationsregierungen zu Fall bringen und durch sozialistische Räteregierungen ersetzen. Diesen Bewegungen müssen wir uns mit unseren lokalen Antikrisenbewegungen anschließen und unsere Kämpfe zusammenführen!

Im Moment werden genug Nahrungsmittel produziert, um damit 10 Milliarden Menschen zu versorgen. Dass es zu Hunger kommt, dass immer noch Millionen Menschen unterernährt und vom Hungertod bedroht sind, und dass sich diese Zahl bald massiv erhöhen könnte, ist keine Folge von realem Ressourcenmangel, es ist eine Folge der kapitalistischen Eigentumsordnung, eine Folge des Systems, in dem tonnenweise essbare Lebensmittel eher vernichtet werden, als sie unter dem Marktpreis zu verkaufen. Wenn wir wirklich den Welthunger ein für alle mal beseitigen wollen, dann ist es unsere einzige Möglichkeit dieses System, den Kapitalismus, ein für alle mal zu beseitigen!

Wir sind solidarisch mit den möglichen und teilweise bereits stattfindenden Hungerrevolten, sowie mit allen progressiven antiimperialistischen und sozialistischen Kräften des globalen Südens und fordern deshalb:

  • die Einführung eines Mindestlohns gemessen an den Lebenserhaltungskosten und mit Inflationsbindung für alle Arbeiter_Innen weltweit!
  • die Enteignung der Großkonzerne und die Überführung der Produktionsmittel, sowohl in Landwirtschaft als auch in Bergbau, Industrie und Dienstleistung, in Arbeiter_Innen-Kontrolle!
  • Internationale Handelsabkommen zur Ausbeutung halbkolonialer Länder müssen sofort aufgekündigt werden und imperialistische Länder sich aus deren Märkten zurückziehen!
  • Schluss mit Patenten auf Saatgut und Düngemittel!
  • die sofortige Streichung aller Schulden, die Länder des globalen Südens an westliche, russische oder chinesische Banken binden, sowie die Bereitstellung von Soforthilfen finanziert durch Besteuerung und Enteignung der Profiteure imperialistischer Ausbeutung!



4 Fragen und 4 Antworten zur aktuellen Inflation: Woher sie kommt und was wir dagegen tun müssen

Von Romina Summ

Unser Alltag ist seit den letzten Monaten von andauernden Preissteigerungen geprägt. Früher konnte man sich in der Mittagspause mal einen Döner für 3,50 € holen, mittlerweile bekommt man für unter 5 € kaum noch ein Mittagessen am Imbiss nebenan. Genauso sieht es mit den meisten Lebensmittelkosten und sonstigen Lebensunterhaltungskosten aus. Alles wird teurer. Das stellt für fast alle lohnabhängigen Menschen, aber besonders auch für uns junge Menschen ohne festes Einkommen ein riesiges Problem dar.

Welche Ursachen hat die aktuelle Inflation?

Preisschwankungen können verschiedene Ursachen haben. Die Preise auf kapitalistischen Märkten sind im Grund immer und zu jeder Zeit gewissen Preisschwankungen ausgesetzt. Oft sind zum Beispiel Preise gerade am Anfang des Monats höher als am Ende des Monats. Das liegt daran, dass am Anfang des Monats nach Gehaltszahlungen mehr Geld bei den arbeitenden Menschen vorhanden ist und mehr konsumiert werden kann. Gegen Ende des Monats sinkt dann die Nachfrage, womit ein Überschuss an Waren auf dem Markt ist. Um diese Waren überhaupt noch loszuwerden, muss der Preis sinken. Schließlich ist es für das Kapital besser eine Ware etwas billiger zu verkaufen als gar nicht.

Preisschwankungen können jedoch auch auf eine Veränderung von Angebot oder Nachfrage zurückgehen. Wenn zum Beispiel die Menge an angebotenen Produkten auf dem Markt zurückgeht (z.B. wegen Lieferengpässen), kann dieses Angebot die gleichbleibende Nachfrage nicht bedienen. Es kommt zu einer Steigerung des Preises, wodurch sich nun weniger Leute die Produkte leisten können und die Nachfrage zurückgeht und sich so dem Angebot angepasst hat. Die derzeitige Inflation hat ihre Ursachen genau in einem solchen Rückgang des Angebotes. Wenn also weniger Waren angeboten werden, steigen die Preise, da das Weniger an Waren stärker nachgefragt wird. Die Ursachen für die aktuelle Inflation liegen in den globalen Krisen, die gerade unser Leben bestimmen. Angefangen hat es damit, dass durch pandemiebedingte Lockdowns globale Lieferketten unterbrochen wurden, was zu einer mangelnden Auslastung der Produktionskapazitäten führte. Viele Rohstoffe oder Vorprodukte konnten nicht geliefert werden oder nur mit starken Verzögerungen. Die Auswirkungen zeigen sich bis heute noch und haben zu einem Angebotsschock geführt. Die gleichbleibende Nachfrage ist auf ein extrem sinkendes Angebot gestoßen. Das hat die Preise zunächst in die Höhe getrieben.

Als im Februar der Angriffskrieg auf die Ukraine von russischer Seite begann, antworten die Regierungen der NATO-Staaten mit historisch unvergleichbar harten Sanktionen, welche das Angebot weiter reduzierten. Diesmal beim Gas. Außerdem legte der Krieg die Wirtschaft in der Ukraine, ein Land, welches einen großen Teil der Welt mit Getreide versorgt, (10 % des weltweiten Getreidemarktes, 15 % des Maismarktes) lahm. Dies hatte Auswirkungen auf das Angebot von Lebensmittelpreisen, wodurch auch hier die Preise in die Höhe schießen. Dass sich die Preissteigerungen aber mittlerweile auf fast alle Produkte bei uns niederschlagen, liegt daran, dass für die Produktion Energie benötigt wird. Die gestiegenen Energiekosten schlagen sich somit auf die Endprodukte nieder und spiegeln sich im Preis wider. Dadurch dass die meisten Energiekonzerne und Mineralölkonzerne eine Monopolstellung im Markt inne haben, können sie leichter Preise heben, da es wenig Konkurrenz gibt, die günstiger anbietet. Daher zeichnen sich in dieser Branche in den letzten Monaten Rekordgewinne ab, während immer mehr Menschen verarmen.

Gab es auch vor Pandemie und Ukraine-Krieg schon Inflation?

Die Ursachen der Inflation dürfen jedoch nicht losgelöst von der wirtschaftlichen Entwicklung im letzten Jahrzehnt betrachtet werden. Denn bereits vor der Corona-Pandemie gab es Inflationstendenzen, welche anhand von 3 Faktoren, 1. der niedrigen Kapitalverwertung, 2. der steigenden Verschuldung und 3. der Tendenz zur Deglobalisierung deutlich wurden. Schon seit den 2000er Jahren sank die Produktivität der Weltwirtschaft, was letztlich auch zur großen Finanzkrise im Jahr 2008 geführt hat. Erholen konnte sich die Wirtschaft davon nie wirklich und die Verwertung von Kapital blieb bis heute niedrig. Das bedeutet, dass aus investiertem Kapital durchschnittlich nur niedrige Gewinne abflossen. Dadurch gingen Investitionen und Handel zurück und führten zu einer stagnierenden Kapitalakkumulation (Anhäufung von Kapital durch Investitionen) und niedrigen Profitraten.

Auch die hohe Verschuldung von Staaten und Unternehmen begünstigt in diesem Zusammenhang die Inflationstendenz. Zu Beginn der Coronakrise lag die Verschuldung bei dem 2,6-fachen des Welt-GDP (Bruttoinlandsprodukt aller Länder), mittlerweile sind wir beim über 3-fachem. Schulden sind allerdings nur dann inflationstreibend, wenn die Verwertung der aufgenommenen Kredite nicht mehr produktiv ist. Einfache Verbraucherkredite hingegen führen nicht zur Inflation. Beispiel: Wenn ein Land oder Unternehmen Kredite zu einer Kondition von 7 % Zinsen aufnimmt, aber dieses Geld im Verwertungsprozess (Investition in Produktion, Verkauf von produzierten Waren, Gewinnabschöpfung) nur 3 % Gewinn abwirft, ist die Produktivität geringer und es würde durch die Aufnahme von Krediten nur eine weitere Verschuldung stattfinden. Eine solche Schuldenentwicklung, wie sie sich in Ländern wie Italien zeigt, treibt die Inflation voran.

Zuletzt ist es die Entwicklung zur Deglobalisierung, die die Inflation, am schlimmsten in den abhängigen halbkolonialen Ländern vorantreibt. Weg von der Globalisierung geht der Trend hin zur Verlagerung der Produktion aus den halbkolonialen Ländern zurück in die imperialistischen Länder. Mit entsprechend schlimmen Folgen für die abhängigen Länder: Durch den Abzug von imperialistischem Kapital sinkt der Handel vor Ort, was wiederum dazu führt, dass die lokale Währung nicht mehr so gefragt ist und verfällt. Hinzu kommt, dass durch den Abzug von Fabriken und Kapital mehr importiert werden muss und die Arbeitslosigkeit steigt. Sowohl der Verfall der Währung als auch die teureren Importe feuern die Inflation besonders in diesen abhängigen Ländern an und führen zu einer Verelendung der Menschen. Aufgrund dieser Entwicklung hat sich schon vor dem Krieg und vor der Coronapandemie in vielen südlichen Ländern eine starke Inflation abgezeichnet. Wir sehen also, dass es direkte Ursachen für die aktuelle Inflation im Krieg und in der Pandemie gibt. Diese Aspekte haben aber eine schon dagewesene Krise des Wirtschaftssystems mit inflationären Tendenzen verschärft.

Was bedeutet das für uns?

In genau diesen Ländern ist die Krise nun besonders drastisch und führt teilweise zur Hyperinflation. In Argentinien sind die Menschen teilweise aufgrund der Inflation von knapp 80 % zum Tauschhandel übergegangen. Im Sudan liegt die Inflationsrate sogar bei über 200 %. Der Hunger und der Kampf ums tägliche Überleben bekommen gerade in diesen Ländern eine immer wichtigere Bedeutung. Doch auch hierzulande sind die Auswirkungen der massiven Preisanstiege insbesondere für Menschen ohne festes Einkommen, wie Jugendliche, Studierende oder Arbeitslose, ziemlich verheerend. Alles wird teurer, aber Geld ist sowieso nicht vorhanden. Viele von uns haben bereits vorher schon am Existenzminimum gelebt und haben keine Ersparnisse, sodass wir nun nicht wissen, mit welchem Geld wir die Preissteigerungen bezahlen sollen. Ebenso haben auch Arbeiter_Innen mit einem festen Einkommen bereits große Probleme. Auch ihnen droht durch die Inflation Verarmung. Durch die höheren Preise verlieren sie immer größere Teile ihres Lohns. Die Gewerkschaften hätten die Möglichkeit höhere Löhne, die nicht sofort wieder von der Inflation aufgefressen werden, für die Arbeiter_Innen zu erkämpfen. Anstatt in die Offensive zu gehen, halten sie sich jedoch in den aktuellen Tarifverhandlungen (IG-Metall fordert lediglich 8% Lohnerhöhung) viel zu stark zurück.

Und während die Armut weltweit größer wird, werden die Gewinne einiger Konzerne, vor allem die der Ölkonzerne, immer größer. Besteuerung oder Umverteilung? Fehlanzeige! Die Regierung hat zwar drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, doch diese beinhalten unzulängliche Einmalzahlungen für Heiz- und Energiekosten, für Empfänger_Innen von Sozialleistungen und Arbeitslosengeld und die Anhebung von Kindergeld. Das ist jedoch angesichts der eben beschriebenen Probleme nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Selbst das eher unternehmerfreundliche Institut für Wirtschaftsforschung hat berechnet, dass von 10 Milliarden Euro des 3. Entlastungspaketes ganze 70% an die oberen 30% der Gesellschaft gehen. Die Armen gehen also weiterhin ziemlich leer aus. Das liegt nicht daran, dass die deutsche Regierungskoalition zu unfähig ist, sich effektive Entlastungsmaßnahmen auszudenken, sondern daran, dass ihre Politik in erster Linie die Profite der Unternehmen sichern soll, um der deutschen Wirtschaft ihren Ruf als „Exportweltmeister“ zu erhalten. Die geplante Gasumlage war ein gutes Beispiel dafür. Nur durch massiven Druck von der Straße konnte ihre Umsetzung letztlich verhindert werden.

Was können wir tun?

Nicht wir sollen für diese Krise zahlen, sondern diejenigen, die sie selbst verursacht haben. Vorschläge wie die Einführung einer Übergewinnsteuer gehen dabei schon einmal in die richtige Richtung. Dabei sollen Unternehmen, die besonders hohe Profite durch die Krise gemacht haben, stärker besteuert werden, um Sozialleistungen für Lohnabhängige, Arbeitslose, Jugendliche und Rentner_Innen zu finanzieren. In Spanien wurde eine solche Steuer bereits eingeführt und damit ein kostenloser ÖPNV finanziert. Maßnahmen wie diese müssen wir unterstützen, auch wenn sie noch nicht weit genug gehen. Mit einer kurzzeitig höheren Besteuerung können zwar die Symptome der Inflation ein wenig abgefedert werden, jedoch bleiben ihre Ursachen unangetastet. Dafür müssen wir die Energiekonzerne enteignen und unter demokratische Kontrolle der Konsument_Innen und Beschäftigten stellen. Nur so können wir sicherstellen, dass die Unternehmen ihre Verluste nicht zu Lasten ärmerer Länder ausgleichen und dabei eine ökologische Transformation weg von fossiler Energiegewinnung organisieren. Eine Umgestaltung der Wirtschaft, hin zu einem ausgeglichenen Kreislauf zwischen Mensch und Natur, kann jedoch letztlich nur in einer demokratischen Planwirtschaft erfolgen, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse von Mensch und Natur die Produktion bestimmen. Um dahin zu kommen, müssen wir im Hier und Jetzt Forderungen aufwerfen, die eine Antwort auf die sozialen Verwerfungen der Inflationskrise geben und zugleich den Massen aufzeigen, dass sie selbst die Macht erobern müssen, um der Barbarei zu entkommen.

Wir fordern:

  • Lehrmittelfreiheit! Schulbücher, Hefte, Stifte, digitale Endgeräte und auch das Schulessen müssen kostenlos für alle sein!
  • Eine Erhöhung des Mindestlohns und der Renten! Für ein elternunabhängiges Grundeinkommen für Jugendliche von 1600 € monatlich!
  • 9€-Ticket vorbei? Macht den ÖPNV endlich kostenlos!
  • Für eine gleitende Skala der Löhne, die automatisch an die steigende Inflationsrate angepasst wird!
  • Stoppt die Preisexplosionen! Sofortige Preisdeckel für Energie, Lebensmittel und Mieten!
  • Für eine stärkere Besteuerung derjenigen, die an der Krise verdienen! Legt ihre Geschäftsbücher offen und enteignet die, die sich weigern, die Steuer zu bezahlen!
  • Geld für Soziales, Bildung und Gesundheit statt 100 Milliarden für die Bundeswehr!

Diese Forderungen werden sich nicht von selbst umsetzen. Wir müssen schon selbst dafür kämpfen, dass die Krise nicht auf unserem Rücken ausgetragen wird. Dabei müssen wir auch klar machen, dass wir den hinterhältigen Angriff Russlands auf die Ukraine klar ablehnen, jedoch in den Sanktionen kein Mittel sehen, das den Krieg aufhält. Vielmehr versuchen imperialistische Staaten wie die USA oder Deutschland mit den Sanktionen eine missliebige Konkurrenz wie Russland zu schwächen, und das auf dem Rücken der Ukraine, der russischen Arbeiter_Innen und von uns. Was wir brauchen ist internationale Klassensolidarität unter dem Slogan „No Putin, No NATO“.

Auch wenn die Positionen der Organistor_Innen zum Ukraine-Krieg weit auseinandergehen, gibt es bundesweit bereits regelmäßig Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Folgen der Inflation. Verschiedene Bündnisse wie „Genug ist genug“ oder „Brot, Heizung, Frieden“ versuchen linke Initiativen und Organisationen hinter gemeinsamen Forderungen zu vereinen. Zentral ist dabei, ob sie es schaffen werden, die Gewerkschaften und auch linke Teile der SPD und der Linkspartei für sich zu gewinnen und diese zur Mobilisierung ihrer Mitgliedschaft zu bewegen. Nur mit Massendemonstrationen und Streiks werden sich diese Forderungen auch tatsächlich durchsetzen lassen. Jedoch wäre das nicht die erste soziale Bewegung, in der SPD, Linkspartei und Gewerkschaften am Start waren, und die Bewegung jedoch vielmehr ins System integriert anstatt im Kampf gegen das System unterstützt haben. Deshalb müssen wir Aktionskomitees in unseren Schulen, Unis, Stadtteilen und Betrieben aufbauen, uns von unten organisieren und verhindern, dass die Reformist_Innen die Führung an sich reißen. Aktuell bleibt jedoch noch offen, ob der viel beschworene „Heiße Herbst“ eine rechte oder linke Richtung annehmen wird. Mit bürgerlichen Forderungen nach einem Wiedereinstieg in die Atomenergie oder einer Verschiebung des Kohleausstieges versuchen die Rechtspopulist_Innen die sozialen Verwerfungen für sich zu nutzen. Auch Forderungen nach Aufhebung der Sanktionen gegen Russland finden sich bei den Rechten. Ihnen geht es dabei jedoch nicht um internationale Klassensolidarität, sondern um’s „deutsche Volk“. Es geht ihnen darum, deutsche Kleinunternehmen, die durch die Sanktionen in Bedrängnis geraten sind, wieder zahlungsfähig zu machen. Es liegt an uns, die Rechten von unseren Demos zu schmeißen und eine klarere und entschiedenere Perspektive von links aufzuzeigen, wollen wir die Folgen der Inflation abfedern und aus dieser Defensive in die revolutionäre Offensive übergehen!




Kapitalismus macht krank! 5 Fragen und 5 Antworten zum Zusammenhang von psychischen Erkrankungen und Kapitalismus

von Leila Cheng

Was sind psychische Erkrankungen?

Es gibt viele verschiedene psychische Erkrankungen. Diese sind immer noch stigmatisiert und es wird öffentlich kaum darüber gesprochen, obwohl jeder zweite Mensch einmal im Leben an ihnen erkrankt. Psychische Erkrankungen sind ebenso vielfältig wie die Krankheiten des Körpers. Sie beinträchtigen Stimmungen und Gefühle, verursachen Ängste und Zwangshandlungen, verzerren die Wahrnehmung oder stören Denkvermögen und Gedächtnis.

Macht uns der Kapitalismus krank?

Wenn man nicht so funktioniert, wie es die Gesellschaft von einem erwartet, ist man halt selbst schuld und sollte das eigenverantwortlich wieder in den Griff kriegen. So ist das allgemeine Bild, das im Kapitalismus von psychischen Erkrankungen vermittelt wird. Die strukturellen Probleme des Kapitalismus selbst, die es eigentlich sind, die uns krank machen, werden dabei verschleiert. Denn unser Sein bestimmt unser Bewusstsein: Was wir täglich erleben, wie wir aufwachsen, was unser Umfeld und die Gesellschaft tun, in welcher sozialen Lage wir uns befinden, all dies prägt unser Bewusstsein, unseren Charakter, unsere Psyche.

Im Kapitalismus befinden wir uns in einem System, was auf ständiger Konkurrenz aufbaut. So bekommt nur eine_r von vielen einen Arbeitsplatz, nur die mit dem besten Notendurchschnitt können studieren. Ständig geht es darum der oder die Beste, Schnellste, Größte, Tollste zu sein. Denn in der kapitalistischen Ideologie sind nur die etwas wert, die auch etwas leisten. Das sorgt für enormen Stress, Streit, Zwietracht, Selbstzweifel, Versagensängste und Mobbing. Viele Menschen arbeiten sich durch diesen Druck ins Burnout oder bekommen vom Stress Panikattacken oder Depressionen. Wer sich nach oben strecken muss, tritt häufig nach unten. So werden laut gewerkschaftlichen Studien ca. 3 bis 5 Prozent aller Beschäftigten am Arbeitsplatz gemobbt. In Schulen ist die Zahl weitaus höher. Diskriminierungsstrukturen verstärken dies noch: Rassismus, Sexismus, Ableismus, LGBTIA-Feindlichkeit, Antisemitismus und vieles mehr sorgen für schlimme Traumata, Mobbing und daraus folgende Angststörungen. Als hätten es sexistisch unterdrückte oder migrantisierte Menschen nicht schon schwer genug. So sind gerade sie es, die oft noch unter Traumata durch sexuelle Gewalt, Krieg und Flucht leiden.

Auch Armut und Geldsorgen verursachen permanenten Stress, Angst und Leid. Auch sie sind ein Auslöser für viele psychische Erkrankungen. Gerade arme Menschen sind überdurchschnittlich oft betroffen. Gleichzeitig werden gerade Jugendliche, die sich nicht anpassen wollen, nicht brav genug sind, sich nicht den autoritären Regeln beugen, häufig mit Diagnosen von Persönlichkeitsstörungen, Entwicklungsstörungen und psychischen Erkrankungen gebrandmarkt und aussortiert.

Warum sind Jugendliche besonders von psychischen Erkrankungen betroffen?

Nach Angaben der World Health Organization sind weltweit etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychisch erkrankt. Der WHO-Chef dazu: „Eine der wichtigsten Ursachen für Depressionen sind Missbrauch, Mobbing oder Schikane im Kindesalter.“ Tatsächlich entstehen die meisten psychischen Erkrankungen bereits in der Kindheit und Jugendzeit, bzw. haben da ihre Ursache.

Das liegt zum einen an unserem Bildungssystem. Um uns auf die Anforderungen der kapitalistischen Verwertungslogik vorzubereiten und vorzusortieren, wer später welche Drecksarbeit macht, baut auch die Schule auf Konkurrenz, Disziplinierung und Leistungsdruck auf. Wir spüren dies durch das Notensystem, Tadel, Versetzungsentscheidungen, unendliche Berge an Schulstoff, Strafarbeiten und viele Prüfungsängste. Dieser große Druck führt teilweise zu erhöhten Selbstmordraten unter Jugendlichen und dazu, dass sich dieser Druck in Mobbing zwischen den Schüler_Innen entlädt. Neben dem Schulstress wirkt auch der gesellschaftlich gemachte Optimierungswahn großen Druck auf uns aus. Einem unerreichbaren Schönheitsideal hinterherrennend, spritzen sich Jugendliche Steroide oder hungern sich magersüchtig. Viele verfallen in Depressionen oder werden zu Mobbingopfern, weil sie den Bildern von angeblich perfekten Körpern nicht entsprechen. Hinzu kommen kapitalistische Statussymbole wie Markenklamotten, iPhones, Sneaker usw. Wer das nicht hat, wird oft zum Außenseiter gemacht.

Doch der Druck kommt nicht nur von Mitschüler_Innen und der Schule, sondern auch aus der Familie, die angeblich ein save space sein soll. Dabei bedeutet Familie im Kapitalismus vor allem die Herrschaft des Mannes über Frau und Kinder. Immer noch kommt es oft zu Gewalt an Kindern oder sexuellem, psychischem und körperlichem Missbrauch. Der Leistungsdruck kommt oft schon vor dem Schulbesuch aus den Elternhäusern und hört nie auf. Da wir von unseren Eltern finanziell abhängig sind, werden wir von ihnen entmündigt. Wir erfahren die ersten Jahrzehnte unseres Lebens, dass wir machtlos sind, unsere Meinung nicht zählt und wir uns unterzuordnen haben. Dabei sorgt die starke Belastung, die der Kapitalismus auf Arbeiter_Innenfamilien durch Reproduktionsarbeit, Zukunftsängste, Kündigungen, Teilzeitverträge, Überstunden, Jobcenter-Sanktionen, Kreditrückzahlungen usw. ausübt, dafür, dass die glückliche Mutter-Vater-Kind-Familie aus dem Kinderbuch in der Realität kaum existiert. Stattdessen existieren Trennungsstreits, Gewalt und Vernachlässigung und all das kann psychische Erkrankungen im frühen Kindesalter auslösen.

Warum können psychische Erkrankungen im Kapitalismus nicht effektiv geheilt werden?

Das liegt zum einen daran, dass der kapitalistische Staat, um wettbewerbsfähig zu bleiben, kontinuierlich im Gesundheitssektor Geld einspart. Zum anderen liegt es daran, dass die angebotenen Therapieformen fast nur Symptome bekämpfen und nicht die dahinterliegenden Ursachen. Denn das Ziel einer Therapie im Kapitalismus ist leider oft nicht die Gesundung, sondern die schnellstmögliche Wiedereingliederung in das System, also das Arbeiten gehen, Hausarbeit machen und Leistungen bringen. Außerdem hält sich der Irrglaube, dass psychische Erkrankungen keine „richtigen“ Erkrankungen seien. Deswegen lässt sich auch nur ein Drittel der Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland behandeln. Ein weiterer Grund dafür ist die schnelle Kategorisierung von Menschen in Krankheitsbilder, die ihnen oft auch aufgepresst werden (zum Beispiel ohne Gespräche über schriftliche Fragebögen). In unserem kaputtgesparten Gesundheitssystem wird zudem häufig zur günstigeren Medikamentenvergabe gegriffen und das Pflegepersonal hat kaum genügend Zeit, um sich angemessen um die Patient_Innen zu kümmern.

Aber das größere Problem ist nicht, dass Leute sich nicht behandeln lassen, sondern, dass es nicht genügend Angebote gibt. Es kommt nämlich zur künstlichen Verknappung von Therapieplätzen durch Krankenkassen, um Geld zu sparen. So kommt es teilweise zu Wartezeiten von 6 Monaten bis 1 Jahr auf einen ambulanten Therapieplatz, noch länger auf Klinikplätze. Wer reich ist, kann sich meist bessere und einfacher zugängliche Privattherapien leisten, während wir lange auf einen staatlich finanzierten Therapieplatz warten müssen. Außerdem kommen jede Menge versteckte Kosten einer Therapie dazu, z.B. therapiebedingter Arbeitsausfall, Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Erkrankung, Krankenhausgeld und Medikamentenzuzahlungen. Für Lohnabhängige ist das alles schwer finanzierbar.

Für Jugendliche unter 18 kommt noch die völlige Abhängigkeit von ihren Eltern als ein weiteres Problem hinzu. Sie können z.B. nicht allein mit dem_der Therapeut_In über die Medikamenteneinnahme oder den Beginn einer Therapie entscheiden. Bei unter 16-Jährigen dürfen die Eltern sogar bei der Therapie dabei sein, obwohl sie oft Teil des Problems sind.

Was können wir tun, um unsere Situation zu verbessern?

Wer einen Therapieplatz ergattert hat, kann sich glücklich schätzen. Es ist gut und wichtig, dass wir uns Hilfe holen, wenn wir selbst nicht mehr weiterwissen. Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass unsere Probleme nicht aus unserem individuellen Versagen herrühren, sondern gesellschaftliche Ursachen haben. Und um diese Ursachen langfristig zu bekämpfen, hilft nur revolutionäre Organisierung, um dieses Scheißsystem endlich in eine gerechtere und menschenwürdigere Gesellschaft zu verwandeln. Trotzdem müssen wir im Hier und Jetzt für Verbesserungen eintreten und diesen Kampf zu einem Kampf gegen den Kapitalismus ausweiten. Wir fordern:

  1. Für eine flächendeckende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich! Weg mit Hartz IV und ein Mindesteinkommen von 1.600 Euro/Monat für Jugendliche, Arbeitslose und Rentner_Innen!
  2. Für den Ausbau von Schutzeinrichtungen für Gewaltopfer jeder Art, Herkunft und Geschlecht! Kollektive Selbstverteidigungsstrukturen für alle unterdrückten Gruppen!
  3. Für mehr Schulpsycholog_Innen und Sozialarbeiter_Innen! Aufklärung über die menschliche Psyche und eine Entstigmatisierung ihrer Erkrankungen gehört in den Schulunterricht!
  4. Keine Profite auf Kosten unserer Gesundheit! Entprivatisierung des Gesundheitssystems und Enteignung der pharmazeutischen Industrien unter Kontrolle von Patient_Innen, Jugendlichen und Arbeiter_Innen!
  5. Für die Abschaffung der privaten Krankenkassen und die Auflösung der bürokratischen Hürden bei der Therapieplatzvergabe! Kostenlose Therapieplätze und freie Wahlmöglichkeiten der Therapieform und der Therapeut_Innen!



Interview der Leipziger Gruppe Handala

Wir spiegeln hier ein Interview, das unsere Genoss_innen von der Gruppe Handala geführt haben.

Du hast dich an der Demo „Jetzt reicht’s“ des DGB und der Linkspartei beteiligt. Was war deine
Motivation?

Das Thema der Demo betrifft mich sehr: Ich habe Angst vor der kommenden Stromrechnung und den
Heizkosten. Seit ich nach Deutschland gekommen bin, 2015 so wie viele andere Flüchtlinge aus
Syrien, habe ich versucht einen Job zu finden. Ich musste natürlich erst die Deutsch- und
Integrationskurse absolvieren, ich hatte anfangs gedacht, dass ich wie in Syrien mit Kindern arbeiten
könnte. Ich habe in Damaskus eine Ausbildung gemacht und in einem Soziokulturellen Zentrum für
Kinder in Yarmouk gearbeitet, wo ich aufgewachsen bin und lebte. Schnell habe ich dann verstanden,
dass ich hier als unqualifiziert gelte. Auf meine Bewerbung zu einer Assistenzkraft in KiTas habe ich
nicht einmal eine Antwort bekommen. Ich habe auch versucht mich bei Supermarktketten zu
bewerben, aber auch diese wollten mich nicht. Mein Deutsch ist nicht so gut und ich trage Kopftuch.
Das geht ja übrigens beinahe allen Flüchtlingen so, dass sie keine gute Arbeit finden und nicht in dem
Bereich, in dem sie früher gearbeitet haben.
Momox hat mich schließlich genommen. Es ist mein erster Monat bei Momox und ich weiß noch
nicht, was netto bei mir herauskommt. Da ich mich gerade erst an die Schichten gewöhnen muss und
an einen veränderten Schlafrhythmus, liege ich häufig wach und denke, ob der Lohn wohl für die
Heizkosten reicht? Also bin ich zur Demo gegangen mit meiner palästinensischen Gruppe, Handala.
Das klingt vielleicht etwas lustig, aber für mich war es die erste „deutsche“ Demo, also eine Demo,
die nicht von Handala zu Palästina organisiert wurde, sondern von deutschen Organisationen. Auf
der Demo hielt eine Kollegin von mir, die auch bei Momox arbeitet, eine Rede auf dem Podium.
Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich habe versucht zu verstehen, was sie sagt, aber leider konnte
ich mich nicht darauf konzentrieren. Ich hatte ein Schild in der Hand, das die Organisator:innen der
Demo verärgerte und es kam zu einem lauten Tumult, also habe ich die Rede verpasst.
Was ist denn genau passiert? Was war der Tumult?
Wir hatten für die Demo ein Pappschild und ein Transparent vorbereitet und ich hielt das Schild, auf
dem stand: „Gegen jede Besatzung“, daneben war eine Karte Palästinas in palästinensischen Farben
gemalt. Es kam ein Mann auf mich zu und stellte sich vor mich. Er bedeckte mit seinem eigenen
Transparent unser Schild. Ich fand das sehr irritierend und versuchte ihm zu erklären, dass dies
Palästina sei und Israel Palästina besetze. Er sagte: „Nein, das ist Israel“. So habe ich erst verstanden,
dass er einer von diesen sogenannten deutschen „Antideutschen“ ist, die ich hier erst durch die
Palästina-Demos kennen gelernt habe. Vorher wusste ich gar nichts davon, dass in Deutschland
einige vermeintliche Linke für Israel sind. Da ich bereits sehr schlechte Erfahrungen mit diesen Leuten
gemacht habe, dachte ich, dass es bestimmt keinen Sinn macht, mit ihm zu diskutieren. Das fällt mir
auf Deutsch ohnehin sehr schwer. Es kamen dann aber noch viel mehr Leute, die sehr hitzig mit
meinen Freund:innen sprachen, die schon länger in Deutschland leben. Ich habe ehrlich gesagt nicht
viel verstanden. Ich wusste nur, dass sie unsere Teilnahme nicht wollten. Da ich körperlich eher klein
bin, habe ich unser Schild einem Freund gegeben, der viel größer ist, als ich. Er ist sehr jung und
kommt aus Gaza. Er ist so neu hier in Deutschland, dass er wirklich wenig verstanden hat, was um ihn
herum gesagt wurde, aber er hielt das Schild über die Köpfe aller anderen hinweg in die Höhe. Die
Leute vom Bündnis, mit denen wir als Handala auf der Demo waren, versuchten uns zu schützen vor
diesen Antideutschen. Doch eine Frau von ihnen – von der ich später erfuhr, dass sie eine wichtige
Person in der Linkspartei ist- nahm ihm das Schild gewaltsam weg. Sie hat es einfach zerrissen. Ich
habe es nicht glauben können.
Warum reagieren Leute, die sich als Linke verstehen, so aggressiv auf Handala?
Ich verstehe überhaupt nicht, warum. Wirklich nicht. Ich verstehe es nicht.Es ging doch um die Palästina-Karte, oder?
Ja, darum ging es. Außerdem wurde uns gesagt – mir musste dies immer von den anderen
verdolmetscht werden – dass Nationalfahnen auf der Demo nicht erlaubt seien. Wir sind auch darauf
eingegangen. Wir haben die Karte in palästinensischen Farben ausgeschnitten. Als die Frau von den
Linken uns das Schild entriss, waren nur die Umrisse der Karte zu erkennen. Mir wurde von meinen
Freund:innen erklärt, dass die Frau gesagt haben soll, dass wir die Demo für unsere Sache ausnutzen
würden und dass die Karte antisemitisch sei, weil sie ganz Palästina zeige.
Ich denke, die Frau und diese Antideutschen haben unser Schild überhaupt nicht verstanden. Und ich
habe wiederum nicht verstanden, wie die Demo den Krieg in der Ukraine selbst ausgeklammert hat.
Die Energiepreise, die uns so viel Angst bereiten, sind doch eine Folge des Krieges.
Wenn wir als Palästinenser:innen sagen, dass wir gegen jede Besatzung sind, dann heißt es doch,
dass wir auch gegen die Besatzung der Ukraine sind. Auf dem anderen großen Transparent hatten wir
die Länder aufgezählt, die von NATO- Staaten besetzt und bombardiert wurden und werden;
Afghanistan, Kurdistan, Libyen, Palästina und der Irak. Eine Frau hatte sich mit einer Israel- Fahne
davorgestellt. Ich war so schockiert. Diese Leute wissen überhaupt nichts.
Was wissen sie nicht?
Naja, zum Beispiel wissen sie nicht, dass es unter uns alten Flüchtlingen und den neuen Flüchtlingen
aus der Ukraine eine Art von Konkurrenz gibt und dass viel Neid durch die unterschiedliche
Behandlung durch Deutschland geschürt wird. Erst einmal wurde der Widerstand der ukrainischen
Bevölkerung gegen die russische Besatzung als heldenhaft dargestellt. Während unser Widerstand in
Palästina gegen die israelische Besatzung als terroristisch bezeichnet wird. Dann sagen die Staaten
und auch viele Leute hier, die Israel unterstützen, dass Russland ganz schlimm sei. Überall sind hier
Ukraine- Fahnen in Solidarität gezeigt worden. Aber mir wird eine Israel- Fahne vor mein Transparent
gehalten.
Aber auch die Situation der Flüchtlinge aus der Ukraine ist sehr viel besser als unsere. Sie können
sofort arbeiten, sie müssen sich nicht auf Wartelisten für eine Wohnung setzten. Der ganze Umgang
mit ihnen ist ein anderer. Daher ist es doch besonders wichtig zu sagen, dass wir gegen jede
Besatzung sind. Ich denke, ich kann mich sehr gut in Ukrainer:innen einfühlen. Wenn ich sehe wie die
Leute in der Ukraine bombardiert werden, dann weiß ich, wie sich das anfühlt. Ich habe die lange
Belagerung und Aushungerung meines Flüchtlingslagers Yarmouk durch syrische Regierungstruppen
erlebt. Wir waren eingeschlossen, wir hatten kaum etwas zu essen, wir haben richtig gehungert und
wir wurden dabei aus der Luft mit Raketen beschossen. Der junge Mann von uns, dem die Frau von
den Linken das Schild entrissen hat, war zur gleichen Zeit, als ich in Yarmouk die Belagerung und
Bombardierung erlebte, unter dem Bombardement Israels in Gaza. Er hat insgesamt drei große
Bombardierungen erlebt: 2008/9, 2014 und 2021. Wie in Yarmouk konnten die Menschen in Gaza
auch nicht fliehen, weil sie eingeschlossen sind. Wer wenn nicht wir, versteht die Situation der
Ukrainer:innen? – Das ist es vor allem, was sie nicht wissen.
Wie geht es jetzt weiter bei Handala?
Ich denke, wir müssen weiter machen und besonders unsere Community hier vor Ort gewinnen. Das
ist sehr schwierig, denn wir werden immer angegriffen und beschimpft. Wie bei vielen anderen
Palästinenser:innen war die Nakba- Kundgebung im Mai letzten Jahres meine erste Demo- Erfahrung
in Deutschland. Einerseits war es ein sehr gutes Gefühl auf dem Augustusplatz zu stehen und gegen
die ethnische Säuberung von Sheikh Jarrah in Jerusalem und die Bombardierung des Gaza- Streifens
zu demonstrieren. Aber es war für viele wie mich auch die erste Erfahrung mit den Antideutschen
und einer Berichterstattung, die uns als antisemitisch diffamierte. In der Folge gab es in Deutschlandeine Diskussion über Abschiebungen von „antisemitischen“ Palästinenser:innen. In den
arabischsprachigen Sozialen Medien wurde davor gewarnt, sich Demonstrationen anzuschließen.
Wenn man Flüchtling ist, gar noch im Asylverfahren, aber auch danach; wenn man an die
Verlängerung des eigenen Aufenthaltes denkt, dann ist es ohnehin schwierig, keine Angst zu haben,
politisch aktiv zu werden. Es wird einem manchmal mulmig. Und wenn dann noch Menschen, die sich
als Linke verstehen, gegen uns sind und uns als Rassist:innen beschimpfen, dann wird einem noch
mulmiger. Vielen aus der Diaspora macht das besonders viel Angst.
Daher bin ich sehr, sehr froh, dass die Leute und Organisationen unseres anti- imperialistischen
Bündnisses uns geschützt und sich mit uns solidarisiert haben. Das hat mir Hoffnung gegeben. Auch,
dass mir später ein Mann geholfen hat, das unzerstörte, große Transparent während der
Demonstration zu tragen, war sehr schön. Er war auch Ausländer, aber nicht aus einem arabischen
Land, und er arbeitet auch bei Momox. So war es auch bei der Nakba- Demo selbst. Es
demonstrierten sehr viele Menschen aus vielen Ländern – z.B. aus Südamerika – mit uns mit. Das
müssen wir so an unsere Community weitergeben: Die Internationale Solidarität ist stärker als der
Hass der Antideutschen.
Was ist deine Position und die Position von Handala zur Palästina- Frage?
Die Frage klingt so theoretisch. Ich glaube, viele Leute hier in Deutschland wissen nicht, dass wir,
anders als sie selbst, nicht einfach nach Tel Aviv fliegen können, am Strand von Jaffa, unter dem sich
ein palästinensisches Massengrab befindet, liegen und unsere ehemaligen Dörfer und Städte sehen
können.
Die Position unserer Gruppe Handala ist sehr klar: Wir wollen ein Ende der Siedlerkolonie und
Apartheid. Wir wollen einen einzigen Staat für alle Menschen mit gleichen Rechten – egal welchen
Hintergrunds, ob Einheimische oder ehemalige Siedler:innen – und die Rückkehr aller
palästinensischen Flüchtlinge, wenn sie dies so wollen.
Ich möchte einfach zurückkehren können nach Palästina. Ich komme aus dem Dorf Lubya in der Nähe
des See Genezareth. Also auf der „antisemitischen“ Karte, die wir hochgehalten haben, ganz im
Norden gelegen. Es war eines der größten Dörfer in der Umgebung und hatte beinahe Zweitausend
Einwohner. Über Monate hinweg hat das Dorf Widerstand geleistet gegen die Golani Brigarde, die
den Befehl hatte, mein Dorf von seinen Einwohner:innen zu säubern, und dann Teil der israelischen
Armee wurde. Nach dem Fall Nazareths wurden dann auch meine Großeltern vertrieben. Mein Opa
hat mir sehr viel von dieser Zeit erzählt. Er ist inzwischen in Yarmouk gestorben. Und ja, ich möchte
zurückkehren, auch wenn Lubya völlig zerstört wurde. Das ist meine Position zur Palästina- Frage