Wer kommt für die Kosten der Krise auf?

Von Mareike Kombüse

Lange wurde die Krise beschworen, jetzt
ist sie da: Bereits 2019 hat sich in einigen Bereichen der Industrie
der wirtschaftliche Niedergang abgezeichnet. Mit der Pandemie hat sie
sich auf die restliche Wirtschaft ausgedehnt und die Krise ungemein
befeuert: Das erwartete Wirtschaftswachstum
für 2020 in Deutschland liegt je nach Quelle zwischen -4,7%
und -7,1%1.
Sprich die Kosten der Krise sind enorm. Doch wer trägt sie? Ein
Blick in die Nachrichten: Kurzarbeit, Massenentlassungen in der
Gastronomie und bei Lufthansa, Coronaausbrüche bei Tönnies,
Überstunden im Pflegebereich. Einige Beispiele von vielen, die
bereits erahnen lassen, wen die Krise besonders hart trifft und wen
nicht.

Der
Schuldenberg wächst

Doch zunächst werfen wir einen Blick
auf die Staatshilfen: Diese werden mehrheitlich zur Rettung großer
Konzerne, wie z.B. Lufthansa mit 9 Milliarden Euro2,
genutzt. 9 Milliarden? Das klingt schon nach viel Geld? Insgesamt
plant die Bundesregierung 400 Milliarden Euro alleine für die
Rettung großer Konzerne auszugeben. Weitere 200 Milliarden
sind im Rahmen von Kreditmaßnahmen eingeplant3.
Das diese Milliarden nicht einfach gedruckt werden, sondern letzten
Endes von jemanden getragen werden müssen, ist klar. Der Staat
treibt diese Gelder mittels Steuern ein.
Diese bezahlen zu einem großen Teil Arbeiter_Innen. Sprich
die Rettung der Konzerne geschieht zu einem Teil auf Kosten
derjenigen, die von eben denselben ausgebeutet werden. Dabei können
wir aufgrund der Verschuldung von kommenden Steuererhöhungen
ausgehen. Hierbei leiden in einem besonderen Maße diejenigen unter
den Steuerabgaben, die in absoluten Zahlen ein besonders geringes
Einkommen haben. Dort heißt es nämlich oftmals Schauen, wie die
Miete überhaupt zu bezahlen ist, während es bei den Steuern der
Kapitalist_Innen letztlich um die Frage geht, ob der Champagner 100
oder 80€ kostet.

Für die Aktionäre waren die
Milliarden aber ein regelrechter Segen: 2020 wurden allein in
Deutschland 43,8 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2019 an Aktionäre
ausgeschüttet4.
Gleichzeitig erhalten viele dieser Konzerne enorme „Staatshilfen“.
So hat BMW 1,6 Milliarden Euro Dividende ausgeschüttet und zugleich
Kurzarbeit eingeführt. Die BASF schüttete 3,4 Milliarden Euro aus
und erhält Milliarden Staatshilfen aus Großbritannien. Genauso
Bayer mit 3,4 Milliarden Euro Ausschüttung und 670 Millionen aus
einem britischen Nothilfefond5.
Alles Beispiele dafür, wie der Kapitalismus es immer wieder schafft,
Gewinne einigen wenigen zukommen zu lassen und Kosten auf die
ökonomisch Schwachen abzuwälzen.

Als ob der übliche Stress nicht
reicht

Die Arbeiter_Innen sind es auch, die
aufgrund ihrer ökonomischen Abhängigkeit gegenüber ihren
Ausbeuter_Innen oftmals dazu gezwungen sind, unter mangelnden
Hygienebedingungen ihre Arbeit fortzusetzen. Bei
Tönnies hat sich gezeigt, welche fatalen Folgen das bedeutet, denn
es ist nicht bloß bei einem Corona-Ausbruch geblieben. Die
Gesundheit der Arbeiter_Innen findet in der Profitlogik der
Kapitalist_Innen keinen Platz.

Im Bereich der Care-Arbeit zeigt
sich Ähnliches. Zwar ist die Hygieneversorgung im Vergleich besser,
wenn auch nicht ausreichend, allerdings wird massiv Druck auf die
Arbeiter_Innen ausgeübt, indem ihnen jede Menge Überstunden
aufgebrummt werden und eine Intensivierung der Arbeit stattfindet.
Eine späte Einmalzahlung von
bis zu 1000€, die insgesamt 0,1 Milliarden Euro gekostet
hat6,
ist bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Vergleich zu den 400
Milliarden Euro für große Konzerne ist es jedoch eine einzige
Dreistigkeit – vor allem in Anbetracht der durch die
Pflegearbeiter_Innen geretteten Menschenleben. Im folgenden
Artikel zur Sonderzahlungslüge gibt es dazu noch mehr Hintergründe!

Eine zusätzliche Belastung stellte
sich während der Corona-Krise für arbeitende Eltern, die auf der
einen Seite während des Präsenzunterrichts ihrer Kinder Sorge
um deren Gesundheit hatten und auf der anderen Seite
während des schlecht organisierten Homeschoolings zusätzliche
Unterstützung bereitstellen mussten. Schließlich fanden alle
Schulprüfungen trotz der inadäquaten Vorbereitungsbedingungen
statt.

Was muss jetzt passieren?

Insgesamt können wir also festhalten,
dass mal wieder die Schwächsten am meisten unter der Krise leiden.
Da hilft kein Klatschen und keine scheinheilige Einmalzahlung. Was
den Arbeiter_Innen wirklich hilft, sind drastische Lohnerhöhungen
und bessere Hygienebedingungen. Dabei wird es nicht ausreichen, den
Staat nur auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Schließlich
geschieht das ganze nicht unbemerkt, sondern ist gewollt. Historisch
ist der Staat nämlich als „ideeller Gesamtkapitalist“
entstanden. Das heißt, er vertritt die allgemeinen Interessen aller
Kapitalist_Innen zusammen. Konkret bedeutet das beispielsweise die
Aufrechterhaltung des Privateigentums an Produktionsmittel oder des
Erbrechts. Auch wenn es sicher einige erkämpfte Rechte der
Arbeiter_Innenklasse innerhalb des Staats gibt und wir diese auch
weiter erkämpfen müssen, kann
dieser Staat nicht so reformiert werden, dass wir tatsächlich
eine gerecht Gesellschaft haben. Das Eingestehen gewisser Rechte
diente nämlich einzig und allein der Beschwichtigung der sich
wehrenden Arbeiter_Innenklasse. So erweisen sich diese oft als
unvollständig und scheinheilig. Das Wahlrecht ist zum
Beispiel derartig eingeschränkt, dass kaum von einer Demokratie die
Rede sein kann: nur alle 4 Jahre wird gewählt, keine
Rechenschaftspflicht, keine Abwählbarkeit, staatliche Kontrolle über
die Bildungsinhalte, Lobbyismus und so weiter. So gelingt dem
vermeintlich demokratischen Staat die Abwälzung der Kosten der Krise
auf die Arbeiter_Innenklasse. Doch was können wir machen um das zu
verhindern?

Um unsere Ziele höherer Löhne und
besserer Hygienebedingungen zu
erreichen, müssen wir uns kollektiv in den Unis, Schulen und
Betrieben organisieren. Wir müssen die verschiedenen
gesellschaftlichen Kämpfe zu einer gemeinsamen Bewegung gegen die
Krise und ihren Auswüchsen aufbauen! Dabei brauchen wir Forderungen,
die auch die Finanzierungsfrage beantworten. Wir brauchen eine starke
Besteuerung derjenigen, die während der Krise Sonderprofite
erzielten (Desinfektions- und Maskenhersteller). Gleichzeitig müssen
wir die Ausschüttung von Dividenden verhindern und diese Gelder für
bessere Hygienebedingungen und höhere Löhne in den systemrelevanten
Sektoren nutzen. Allerdings werden das die großen Konzerne sicher
nicht so einfach mit sich machen lassen. Sie drohen mit Stellenabbau
oder Standortverlagerung, um ihre Interessen durchzusetzen. Das
dürfen wir nicht zulassen. Kommt
es dazu müssen wir die Konzerne bestreiken, die Kontrolle über die
Produktion übernehmen und sie
letztendlich enteignen.
Nur so können wir Corona-Ausbrüche in den Fabriken wie bei
Tönnies, die Abwälzung der Kosten auf uns und die Überlastung
sowie schlechte Bezahlung der Arbeiter_Innen in systemrelevanten
Sektoren beenden.

1https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunkturprognose114.html
[10.12.2020]

2https://meta.tagesschau.de/id/145964/lufthansa-bekommt-milliardenhilfen-vom-staat
[10.12.2020]

3https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/wirtschaftsstabilisierung-1733458
[10.12.2020]

4https://de.statista.com/statistik/daten/studie/422114/umfrage/gesamtsumme-der-gezahlten-dividenden-in-deutschland/
[11.12.2020]

5https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/trotz-wirtschaftskrise-und-staatshilfen-konzerne-schuetten-hohe-summen-an-aktionaere-aus/26173670.html
[11.12.2020]

6https://www.bundesgesundheitsministerium.de/pflegebonus.html
[10.12.2020]




Für ein revolutionäres Corona-Schulprogramm!

Von Clara Roth

Wie von der
Wissenschaft vorhergesagt, ist seit Anfang Oktober eine zweite
Pandemiewelle in vollem Gange, welche nun in der kalten Winterzeit
mit aller Härte zuschlägt und die erste Märzwelle nicht nur
hinsichtlich der Zahl täglicher Neuinfektionen, sondern inzwischen
leider auch im Hinblick auf Hospitalisierungs- und Todeszahlen weit
in den Schatten stellt. Vielerorts droht das überlastete
Gesundheitssystem zu kollabieren. Die zögerliche Antwort der Politik
erschöpft sich indes in einem halbherzigen Lockdown.

Lockdown
light: So tun, als würde man die Pandemie effektiv bekämpfen

Anders als beim
ersten Lockdown, wo nicht nur Schulen, sondern auch die meisten
Geschäfte, Einrichtungen und Betriebe geschlossen wurden und somit
die Mehrheit automatisch zu Hause blieb, beschränkte sich der
Lockdown light lediglich auf Bereiche wie Kultur, Gastronomie und
Gemeinschaftssport. Dazu werden Kontaktverbote ausgehängt, was
unsere Freizeit massiv einschränkt, während in der Arbeitswelt die
Pandemie weitgehend ignoriert wird. Scheinbar gilt das
Infektionsrisiko nur in Freizeiteinrichtungen und Restaurants, denn
während all jene Einrichtungen rigoros geschlossen werden, blieben
Schulen viel zu lange uneingeschränkt offen, die Menschen müssen
weiterhin in allen übrigen Sektoren zur Arbeit gehen und der
Einzelhandel durfte das ersehnte Weihnachtsgeschäft wochenlang
ungestört abwickeln. Dementsprechend sind die öffentlichen
Verkehrsmittel weiterhin überfüllt und in Innenstädten sammeln
sich enorme Menschenmassen an. Es ist eine dreiste Zumutung, dass in
Zeiten einer tödlichen Viruspandemie 30 und mehr Schüler_Innen samt
Lehrer_In täglich mehrere Stunden in Klassenzimmern verbringen
müssen.

Derzeit haben wir
es also mit einseitigen und teils radikalen Einschnitten ins
Privatleben der Menschen zu tun, während für Schulen und Betriebe
viel zu lange business as usual galt. Ein derartiger
Freizeit-Lockdown ist nicht nur augenscheinlich absurd, sondern
verfehlt auch erwartungsgemäß das vorgegebene Ziel der effektiven
Pandemie-Eindämmung, wie die besorgniserregenden Zahlen der letzten
Wochen unter Beweis stellen. Warum wählt die Politik dennoch einen
solchen Weg?

Dass die Schulen
offen blieben, hatte nicht etwa den Grund, sozial schwächeren unter
die Arme zu greifen, wie oft von den
Politiker_Innen behauptet wird. Vielmehr steckt in
der Hauptsache folgende Verwertungslogik dahinter: Blieben
Schüler_Innen zu Hause, könnten viele Eltern nicht zur Arbeit gehen
und so auch nicht für den Profit der Unternehmer_Innen schuften.
Zudem darf der Zufluss qualifizierter Arbeiter_Innen nicht abreißen,
weswegen wir weiterhin brav zur Schule gehen und Prüfungen schreiben
sollen, um schneller auf dem Markt verfügbar zu sein. Der Lockdown,
in dem wir uns befinden, richtet sich in erster Linie nach den
Interessen der Wirtschaft. Für sie ist bei der Pandemiebekämpfung
die Verlagerung der Verantwortung auf die Menschen und insbesondere
auf Jugendliche schlicht und einfach viel kostengünstiger.
Jugendliche und ihr Freizeitverhalten für die Pandemiewelle
verantwortlich zu machen, kostet die Wirtschaft nichts und lenkt
gleichzeitig von Betrieben als entscheidenden Quellen der
Virusausbreitung ab. So müssen wir als Sündenböcke für steigende
Infektionszahlen geradestehen, während die
eigentlichen Ursachen der weiteren Ausbreitung verkannt werden und
einige Konzernchef_Innen sogar profitieren von der Krise. Das
ist ein weiterer Ausdruck massiver
Jugendunterdrückung. Um die Öffnung der Schulen zu rechtfertigen,
werden die Infektionsrisiken in Kitas und Schulen systematisch
kleingeredet und die außerordentliche Gefahr für Schüler_Innen,
Lehrer_Innen und deren Familien in gewissenloser Weise ignoriert.

Welches
Programm brauchen wir nun für die Schulen?

Wie der erste Lockdown verdeutlicht hat, liefert die alleinige Schulschließung keine befriedigende Lösung. So traf die erste flächendeckende Schulschließung sozial Benachteiligte wesentlich härter als alle anderen, die Häufigkeit häuslicher Gewalt stieg enorm an und besonders Jugendliche aus materiell schlechter gestellten Haushalten wurden von der Politik links liegen gelassen. Darüber hinaus versäumte die Politik, die Atempause der warmen Monate zur Ausarbeitung effektiver und einheitlicher Hygienekonzepte für Schulen zu nutzen, sodass sich Lehrer_Innen und Schüler_Innen nun in derselben desolaten Lage wiederfinden wie zu Beginn der Pandemie.

Wenn
wir eine menschliche Schulpolitik wollen, dürfen wir nicht die
Profite der Wirtschaft über unsere Gesundheit ordnen lassen.
Die Entscheidung, ob eine Schule geschlossen wird, muss sich vor
allem nach den Bedürfnissen derjenigen
richten, die sich täglich dort aufhalten, und nicht nach den
Interessen der Wirtschaft. Über unsere Gesundheit müssen wir selbst
entscheiden dürfen, anstelle von
Bildungsausschüssen und Lobbygruppen, deren Entscheidungen vorrangig
von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet sind. Es werden folglich
demokratische Krisenkomitees aus Schüler_Innen, Lehrer_Innen, Eltern
und Virolog_Innen benötigt, die gemeinsam die Entscheidung über
eine Schulschließung fällen und gemeinsam über Hygienebestimmungen
entscheiden und deren Einhaltung selbst kontrollieren. In diesem
Zusammenhang stehen wir für folgende konkrete Forderungen ein und
rufen dazu auf, mit vereinten Kräften dafür zu kämpfen:

  • Mehr Unterrichtsräume! Wenn nötig durch Neubau oder Beschlagnahmung von leerstehenden Gebäuden, es war auch schon vor der Pandemie nicht ausreichend Platz vorhanden.
  • Mehr Personal! Sowohl neue Lehrer_Innen, Sozialarbeiter_Innen, pädagogische Assistenzkräfte und Sonderpädagog_Innen als auch Personal in der Verwaltung und Instandhaltung müssen neu eingestellt werden.
  • Deutlich kleinere Klassen! Nicht mehr als 12 Schüler_Innen sollen gleichzeitig unterrichtet werden. Alles andere ist aus gesundheitlicher Sicht unverantwortlich und aus pädagogischer Sicht beschämend in einer Gesellschaft mit derartigem Reichtum.
  • Freistellung ohne Diskussion! Es muss in allen Bundesländern die Möglichkeit gegeben sein, sich ohne Attest vom Unterricht freizustellen und am Fernunterricht teilzunehmen, damit Schüler_Innen und Angehörige ausreichend geschützt sind.
  • Kostenlose Schnelltests, FFP3-Masken und Desinfektionsmittel! Einem Land, das genug Geld für hochentwickelte Tötungsmaschinen wie Drohnen hat, muss es gelingen, alle Bürger_Innen mit FFP3-Masken zu versorgen.
  • Kostenlose Lernmittel und Endgeräte! Allen, die von zu Hause am Unterricht teilnehmen wollen, muss dies ermöglicht werden. Zudem müssen Ausweichräumlichkeiten und betreuende Pädagog_Innen bereitgestellt werden.
  • Aussetzung aller Prüfungen für dieses Schulhalbjahr! Lernen in der Pandemie darf für niemanden einen langfristigen Nachteil in der Schullaufbahn bedeuten.
  • Reduzierung des Rahmenlehrplans! Krisenzeiten sind außerordentliche Zeiten und erfordern außerordentliche Lehrpläne, die gemeinsam durch Lehrer_Innen, Schüler_Innen und Eltern entworfen und kontrolliert werden.

Es ist aber auch wichtig, uns klarzumachen, dass wir unseren Kampf für die Verbesserung der Situation an Schulen nicht isoliert von Eltern und Lehrer_Innen führen können. Die Gewerkschaft der Lehrer_Innen, die GEW, hat viel berechtigte Kritik an der aktuellen Situation geübt und zum Teil auch zielführende Forderungen formuliert. Bis jetzt fehlt es ihr jedoch an den nötigen Strategien, um ihren progressiven Forderungen den nötigen Nachdruck zu verleihen, d.h. sie umzusetzen. Eine Gewerkschaft muss ihre Mitglieder mobilisieren, Personalversammlungen einberufen, über die Forderungen demokratisch diskutieren und streiken, wenn sie etwas

erreichen will. Es ist unsere Aufgabe, mit der GEW zusammenzuarbeiten, um den nötigen Druck auf die Politik auszuüben, damit sich endlich etwas ändert. Auch Arbeiter_Innen und Auszubildende in Betrieben binden wir in unseren Kampf mit ein, deren Lebensgrundlage aufgrund der Krise noch mehr ins Schwanken gerät, und ermutigen sie zur Fortsetzung aller Tarifkämpfe auch und gerade in der Krise. Wir fordern substantielle staatliche Investitionen in Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen, die Verpflichtung der Unternehmen zur Übernahme aller Auszubildenden, die Schaffung neuer Ausbildungsplätze, sowie die Streichung aller Mietschulden und die Bereitstellung von Wohnraum zum Selbstkostenpreis.

Die
Kosten der Krise und des Kapitalismus
:

Diese Forderungen
sind selbstverständlich mit enormen Kosten verbunden. Wer soll das
alles bezahlen? Wäre es nicht logisch und gerecht, dass zumindest in
Krisenzeiten vorwiegend diejenigen zur Kasse gebeten würden, die
Abgaben am leichtesten verschmerzen können? Während die
Viruspandemie je nach Land und Region erhebliche Unterschiede im
Verlauf aufweist, gibt es eine Gemeinsamkeit aller kapitalistischen
Länder: Die Pandemie hat die Schere zwischen Arm
und Reich tatsächlich noch weiter aufgestoßen. Wer aber nun
damit rechnet, dass die Regierungen die Superreichen und
Wirtschaftsgiganten als Profiteure dieser weltweiten Krise stärker
an den Kosten derselben beteiligen, wird vermutlich schwer enttäuscht
sein.

Die Viruspandemie
wird mitverantwortet durch die
kapitalistische Ausbeutung der Natur und dem fortschreitenden
Eindringen der Zivilisation in wilde Ökosysteme, was die Übertragung
tierischer Viren auf Menschen begünstigt. Aber nicht nur der
Ursprung, sondern auch die verheerenden Folgen der Pandemie sind vor
allem dem kapitalistischen System geschuldet. Jede Covid-Maßnahme im
kapitalistischem Rahmen gleicht dem Versuch der Quadratur des
Kreises: Einerseits muss man Menschen voneinander fernhalten und
gleichzeitig für die Kosten ihrer Versorgung aufkommen, andererseits
muss man die Wirtschaft am Laufen halten, wofür man genau diese
Menschen in Betrieben, Schulen, Geschäften etc. zusammenführen
muss. Dieser unlösbare Widerspruch entsteht, weil der Kapitalismus
nur ein einziges Allheilmittel kennt: Gewinnmaximierung der Konzerne
mit dem Versprechen, dass dadurch auch ein Plus für den Rest der
Gesellschaft übrigbleibt. In der gegenwärtigen Krise stehen sich
jedoch Gewinnmaximierung der Unternehmen und effektive Maßnahmen zur
Pandemieeindämmung unversöhnlich
entgegen, was die Regierungen vor schier unlösbare Aufgaben stellt.
Die Absurdität des derzeitigen leichten Lockdowns ist daher kein
Zufall, sondern bei einer solchen Konstellation programmiert und in
vielen anderen kapitalistischen Ländern in ähnlicher Weise
anzutreffen.

Die
Covid-19-Pandemie ist nicht die erste und wird mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die letzte Viruspandemie sein.
Doch auch die nächste Pandemie wird den Kapitalismus in eine
(vermutlich noch stärkere) Krise stürzen. Nicht weil die Politik
lernresistent wäre, sondern weil eine Lösung innerhalb des
kapitalistischen Systems schlicht und einfach nicht existiert. Es ist
also unsere Aufgabe, eine sozialistische Perspektive aufzuwerfen, um
sowohl das Virus, als auch das weitaus mörderischere kapitalistische
System zu überwinden!




Joe Biden: Was können wir von dem neuen US-Präsident erwarten?

Von Ronja Keller

Zu der kürzlich stattgefundenen Erstürmung des Kapitols gibt es hier eine Stellungnahme: http://onesolutionrevolution.de/usa-stellungnahme-zu-trumps-faschistischer-provokation/

Trotz
des Sturms des Capitols wird am 20. Januar Joe Biden in das Amt des
Präsidenten eingeführt. Endlich können wir mal einen Artikel über
US-Politik schreiben, in dem es nicht primär um Trump geht! Aber
wird es mit Biden denn so viel besser? Was hat der neue Präsident
bisher so gemacht, was hat er versprochen und wie wird sein Kabinett
aussehen? Im folgenden Artikel wollen wir uns einen Überblick über
den neuen Präsidenten verschaffen und feststellen, ob die
arbeitenden Massen und unterdrückten Menschen wohl auf eine
Verbesserung ihrer Lage durch Biden hoffen können.

Name: Joseph Robinette „Joe“ Biden, Jr.
Alter: 78 Jahre
Partei: Demokratische Partei (neoliberaler mitte-rechts-Flügel)
Ausbildung: Abschluss an einer römisch-katholischen Akademie Jurastudium mit den Schwerpunkten Geschichte und Politikwissenschaft Beruf: Anwalt, Dozent für Verfassungsrecht, Mitglied des Senats

Joes bisherige Laufbahn

Der neue Präsident hat eine lange Geschichte in der US-Politik, denn bis zur Präsidentschaft Obamas war er 36 Jahre lang Mitglied des Senats und während Obamas achtjähriger Amtsperiode Vizepräsident. Dabei hat er eine seine politische Agenda mehrmals klargemacht:

Biden ist vor allem durch seinen Standpunkt in der Außenpolitik aufgefallen. Bei vielen Brennpunkten sprach er sich für eine US-amerikanische Intervention aus. Während des Balkankriegs war er für eine aktive und gewaltsame Einmischung der USA, für Lufteinsätze der NATO, er unterstütze mehr Bodentruppen im Afghanistan-Krieg und damit die Linie des damaligen republikanischen Präsidenten George W. Bush. Auch den syrischen Bürgerkrieg sollte die US-Army weiter anfachen. Bei dem ThemaFinanzen stimmte Biden meist für einen ausgeglichenen Haushalt („Schwarze Null“), womit er unter anderem den Abbau der Sozialsysteme unterstützt hat. Außerdem hat er eine Gesetzesänderung durchgeboxt, durch die es unmöglich geworden ist, bei zu hohen Studien- oder Kreditkarten-Schulden Insolvenz anzumelden, sodass viele Arbeiter_Innen für immer mit dieser Last leben müssen. Er stand somit immer hinter dem kapitalistischen System und dem US-Imperialismus. Dies wird er auch weiter tun. Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit schon mehrfach von übergriffigem Verhalten berichtet wurde inklusive sexueller Nötigung einer ehemaligen Angestellten.

Was können wir von seinen Versprechungen erwarten?

Der
Wall-Street hat Biden versprochen, dass alles beim Alten bleibe und
er keine größeren Veränderungen vornehmen werde. Dies wird sich
auch für die Ausbeutung der Menschen ähnlich verhalten. Er hat
keine Lösungen für die Probleme wie steigende Armut oder (Jugend-)
Arbeitslosigkeit.

Biden
möchte einen besseren Neuaufbau nach dem „Build Back
Better“-Konzept, kurz: BBB. Das heißt, staatliche Finanzierungen
für einen „grüneren“ und „gerechteren“ Kapitalismus. Dies
beinhaltet auch Elemente des Green New Deals. Konkret sollen 7
Billionen Dollar für Grünen Verkehr und Maßnahmen, um den
US-Kapitalismus aufzubauen und damit die Hoffnung auf gut bezahlbare
Arbeitsplätze. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Biden dieses
Versprechen hält, und selbst wenn, ist die Rettung der sozialen Lage
von unzähligen Menschen ohne ein bewusstes Eingreifen in Produktion
nicht zu machen. Ohne Enteignung und Kontrolle der Betriebe durch die
Beschäftigten ist es eher wahrscheinlich, dass die Förderungen bloß
wieder in den Taschen der Kapitalist_Innen landen. Da die
demokratische Mehrheit im Senat hauchdünn ist, sind bloß faule
Kompromisse zu erwarten, die keinen annähernden Ausgleich für die
Auswirkungen der Krise bringen, die die ausgebeuteten und
unterdrückten Massen erlitten haben und noch werden, da der Senat
die Vorschläge des Präsidenten blockieren kann.

Bei
der #BlackLivesMatter-Bewegung gegen rassistischen Polizeiterror ist
Biden auf Versöhnung aus. Er stellt sich nicht konkret auf eine
Seite, da er weder die Aktivist_Innen vertreiben will, noch seine
eher konservative Basis. Es ist natürlich eine Illusion, zu glauben,
dass dadurch eine Versöhnung möglich ist und es Gerechtigkeit für
rassistisch Unterdrückte in diesem System geben kann. Dazu kommt
noch, dass Biden schon in der Vergangenheit immer ein Verfechter von
Recht und Ordnung war und damit die Rechte der Polizei eher stärken
als schwächen wird. Als Lösung für die anhaltende Polizeigewalt
sagte er, dass Polizist_Innen „ins Bein statt ins Herz schießen
sollten“. Auch das Gesundheitssystem, welches momentan sehr
profitorientiert ist und dringend verbessert werden müsste, wird
wohl nicht grundlegend geändert, obwohl es eine zentrale Forderung
des linken Flügels ist, dass es eine allgemeine Krankenversicherung
gibt.

Immerhin
können wir damit rechnen, dass seine Corona-Politik nicht so
katastrophal ist wie die Trumps, auch wenn es schwierig werden
dürfte, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen.

Wer ist in seiner Regierung?

Keines
der Mitglieder seines Kabinetts, die bisher feststehen, gehört dem
linken Flügel der Demokraten an. Weder Bernie Sanders noch Elizabeth
Warren als wichtige linke Vertreter_Innen stehen auf der Liste. Biden
selbst hat gesagt: „Das ist ein Team, das die Tatsache
widerspiegelt, dass Amerika zurück ist. Bereit, die Welt anzuführen
und sich nicht von ihr zurückzuziehen.“ Dass er für die
Vorherrschaft des US-Imperialismus kämpfen wird, gibt er damit offen
zu. Doch schauen wir uns mal einige einzelne Mitglieder an:

Bereits
im Wahlkampf stand fest, dass Kamala Harris Vizepräsidentin für
Biden sein wird. Dass sie als woman of colour in diesem Amt ist,
stellt für viele bereits eine Errungenschaft dar, jedoch zeigt ihr
Lebenslauf, dass sie wenig mit den Kämpfen der meisten schwarzen
Frauen in Amerika zu tun hat. Außerdem trat sie in der
Vergangenheit, wie auch Biden, für das Polizeiwesen, Sicherheit und
Ordnung ein. Ihre harte Linie zeigt sie beispielsweise darin, dass
sie die Kriminalisierung von Eltern unterstützt hat, deren Kinder
die Schule schwänzen. Weiter hat sie auch einmal Ermittlungen gegen
Polizisten, die einen Schwarzen erschossen haben, abgelehnt. Als
woman of colour erwarten viele von ihr einen Kampf gegen Rassismus
und Unterdrückung, doch auf die Frage, wie sie diesen Kampf
unterstützen will, spricht sie bloß darüber, wer sie ist, aber
nicht, was sie vorhat. Sie bedient damit die identitätspolitische
Linie der Demokrat_Innen.

Außenminister
wird Antony Blinken. Mit ihm kommt ein Minister auf den Posten, der
für eine kriegerische Politik steht und sich für traditionelle
Bündnisse, wie die NATO, einsetzen wird. Blinken wird auch eine
Verbindung zur Rüstungsindustrie nachgesagt. In seiner Funktion als
stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater unter Obama
befürwortete er unter anderem die Unterstützung der USA bei der
saudischen Intervention im Jemen, welche bis heute furchtbare
humanitäre Folgen hat.

Finanzministerin
wird Janet Yellen, die während der Obama Administration Präsidentin
der Federal Reserve Bank, also der Notenbank, war. Sie war maßgeblich
bei der staatlichen Rettung von Banken und Unternehmen während der
Krise 2009 beteiligt. Mit ihr werden wohl großzügige
Konjunkturpakete für Unternehmen zu erwarten sein.

All
diese Punkte bringen den Klassencharakter des neuen Präsidenten und
der Demokratischen Partei hervor. Genauso wie Trump liegen seine
Interessen ganz klar darin, das System zu retten und die USA an
erster Stelle in der Welt zu halten, jedoch mit einer anderen Taktik.
Auch Kriege können zunehmen, gerade mit Hinblick auf Russland, China
oder Iran, wenn es darum geht, die Größe der USA zu verteidigen.
Für die Arbeiter_Innenklasse und unterdrückten Menschen wird sich
wohl nicht viel ändern. Migrant_Innen werden weiterhin inhaftiert,
POC durch Polizeiterror getötet, Sparmaßnahmen gefordert, Angriffe
auf Rechte und Leistungen für Arbeiter_Innen fortgesetzt. Eine
Erholung für die Arbeiter_Innenklasse wird es nicht geben.

Welche Perspektive gibt es?

Sicher
ist Biden dazu bereit, noch weiter nach rechts zu rücken – mit
Hinblick auf die wirtschaftliche Krise und dem wachsenden Druck von
rechts in Politik und auf der Straße, gerade nach dem Sturm des
Capitols. Dadurch wird es wohl viele Kompromisse geben. Das kann auch
dazu führen, dass der rechte Flügel der Demokraten weiterwächst
und mit ihm die Angriffe auf die Unterdrückten und Ausgebeuteten.

Weder
wird die Demokratische Partei die Arbeiter_Innenklasse, noch wird sie
die Angriffe auf ihre Rechte abwehren. Sowohl die demokratische als
auch die republikanische Partei sind Parteien des Kapitals und der
Wall Street. Sie haben nicht die Absicht, das System grundlegend zu
ändern, sondern würde vielmehr alles dafür tun, genau dieses
System aufrechtzuhalten. Umso wichtiger ist es, soziale Bewegungen
wie BLM oder die Gewerkschaftsbewegung weiter aufzubauen und mit dem
Ziel zu einen, eine Arbeiter_Innenpartei in den USA zu etablieren.
Eine Verbesserung der Lage schafft kein Präsident, sondern das kann
nur der Druck auf die Regierung, der von den Ausgebeuteten und
Unterdrückten kommen muss.




USA: Stellungnahme zu Trumps faschistischer Provokation

Zuerst veröffentlicht unter: Workers Power (USA) und Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1133, 7. Januar 2021 / https://arbeiterinnenmacht.de/2021/01/08/trumps-faschistische-provokation/

Die Erstürmung des US-Kapitols durch einen Mob von Faschist_Innen, auf Veranlassung von Donald Trump, war ein gescheiterter Versuch des in die Enge getriebenen, aber immer noch bissigen Präsidenten, den Kongress (und den Vizepräsidenten) zu zwingen, die Anerkennung des demokratischen designierten Präsidenten Joe Biden aufzugeben.

Vor, während und nach der Wahl peitschte Trump den harten Kern seiner Anhänger_Innen mit der Behauptung auf, dass die Demokratische Partei im Begriff wäre, die Wahl zu „stehlen“, und dies dann in die Tat umgesetzt hätte. Eine kleine Ironie daran, dass Trump selbst dabei ertappt wurde, als er den  Republikaner aus dem Bundesstaat Georgia, Brad Raffensperger, anbettelte, 11.000 Stimmen zu „finden“, um ihm den Sieg in diesem Staat zu gewähren.

In mehreren Tweets rief er seine Anhänger_Innen am 6. Januar zu einem „wilden“ Versuch, Biden aufzuhalten, nach Washington auf. Am Tag selbst sprach er persönlich auf der Kundgebung, forderte seine Anhänger_Innen auf, „stark zu sein“ und stachelte sie an, die Pennsylvania Avenue hinunter zum Sitz des Kongresses zu „laufen“, um die Minderheit der Republikaner_Innen zu unterstützen, die versuchten, die Bestätigung der Wahl von Joe Biden zu verhindern. Sein persönlicher Anwalt, Rudy Giuliani, rief sogar zu einem „Prozess durch Kampf“ auf.

Offensichtlich war es kein Zufall, dass der normalerweise schwer bewachte Capitol-Komplex nur mit einer symbolischen Polizeipräsenz versehen war, um mit einer Massendemonstration fertig zu werden, die von Trump zur Raserei aufgepeitscht worden war. In der Tat: Bilder zeigen, dass die Polizei Metallbarrieren öffnet, um den Mob durchzulassen.

Welche Intrigen auch immer hinter diesem höchst verdächtigen Einsatz der Sicherheitskräfte steckten, der in lebhaftem Kontrast zu den schwer bewaffneten paramilitärischen Kräften stand, die im Juni letzten Jahres friedliche Black-Lives-Matter-DemonstrantInnen angriffen, das Ergebnis war die weite Öffnung der Gräben innerhalb der Republikanischen Partei zwischen Trump-Anhänger_Innen und einem Großteil des republikanischen Establishments. Es hat auch die Übereinkunft des Kapitals herbeigeführt, wenn nicht hinter Joe Biden, so zumindest in der Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung.

Vier Jahre lang hat sich das „respektable“ republikanische Establishment auf einen unberechenbaren Demagogen verlassen müssen, um die WählerInnen für sich zu mobilisieren. Viele von ihnen haben seinen vergeblichen Versuch, das Wahlergebnis zu unterlaufen, gerne mitgemacht. Eine große Anzahl von republikanischen Abgeordneten stimmte noch gegen die Ratifizierung.

Das Lancieren von lästigen Klagen, das Aufstellen von nachweislich falschen Behauptungen über Betrug, das Auffordern von Generäl_Innen zum Eingreifen und sogar der Versuch einer dreisten Wahlmanipulation waren für viele von ihnen offenbar akzeptabel.

Aber zu einer Demonstration aufzurufen, um den Sitz der bürgerlichen
Vertretung einzuschüchtern und das heilige Ritual der Übertragung der
Exekutivgewalt von einer Partei auf die andere mit einer gewalttätigen
Provokation zu unterbrechen, ging zu weit, wie die Kader des „tiefen
Staates“ zweifellos deutlich machten.

Trotz des schmachvollen Scheiterns des Putsches hat er eine zweifache
Bedeutung. Wie der Münchner Bierkeller-Putsch von 1923 hat er allen
AnhängerInnen der „white supremacy“ (Überlegenheit der weißen „Rasse“)
und faschistischen Gruppen einen gemeinsamen Bezugspunkt gegeben und sie
in eine rechtsextreme Massenbewegung gezogen. Es bleibt abzuwarten, wie
sich diese entwickeln wird, aber es ist sicher, dass Biden und die
DemokratInnen an der Regierung, die die Politik des
Wirtschaftsliberalismus verfolgen, den rassistischen Sumpf, in dem sie
gedeiht, nicht trockenlegen werden.

Trotzdem hat Joe Biden die Kontrolle über beide Häuser gewonnen, und nun wird sein Programm auf die Probe gestellt. Es ist unvermeidlich, dass er wenig oder nichts für die Gesundheitsversorgung für alle tun wird, die bei der Pandemie so lebenswichtig ist, wenig, um die Killer-Cops zu kontrollieren, wenig, um die Massenwelle der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Nicht zuletzt wird sich die Demokratische Partei als völlig nutzlos erweisen, wenn es darum geht, die demokratischen Rechte zu verteidigen, sei es gegen die staatlichen Kräfte oder gegen die wachsenden der Faschist_Innen.

Der erste Test, den faschistischen Provokationen zu widerstehen, könnte schon bei Bidens Amtseinführung kommen. Die Arbeiter_Innenbewegung, BLM und die Jugend, die DSA (Demokratische Sozialist_Innen), müssen mächtige Selbstverteidigungskräfte mobilisieren, um die FaschistInnen von den Straßen zu fegen, wo und wann immer sie auftauchen.

Aber alle Ausgebeuteten und Unterdrückten brauchen ein Programm der Arbeiter_Innenklasse, um mit den miteinander verbundenen Covid-, ökonomischen, Klima- und Demokratiekrisen fertig zu werden: ein Programm der Hoffnung, das auf der Enteignung des Reichtums der Bosse und einer demokratischen Planung im Weltmaßstab beruht und die einzige Alternative zu den neoliberalen DemokratInnen und der rechtsextremen Politik der Verzweiflung darstellt.

Dies zu tun bedeutet, eine Partei der Arbeiter_Innenklasse aufzubauen, unabhängig von den prokapitalistischen Fälscher_Innen Bernie Sanders und der „Riege“ (prominenter demokratischer SozialistInnen); eine Partei, deren Mitglieder die ArbeiterInnenklasse am Arbeitsplatz, in den Gemeinden und auf der Straße organisieren, als Teil des Klassenkampfes, um den Kapitalismus zu stürzen und zur sozialistischen Revolution zu führen.




Corona-Impfstoff: Das Wundermittel gegen die Krise?

Von Marcel Möbius

Auch
wenn inzwischen wieder härtere Lockdown-Maßnahmen verhängt wurden,
lassen die internationalen Infektionszahlen leider wenig Raum für
Hoffnung auf ein Ende der Corona-Pandemie. Die USA, Brasilien und
Indien sind weiterhin Spitzenreiter der Neuinfektionen und
Großbritannien kämpft mit einer Mutation des ursprünglichen
SARS-Virus, die weitaus ansteckender sein soll als bisher. Insgesamt
haben sich weltweit bisher rund 70 Millionen Menschen infiziert,
wovon rund 1 Millionen an den Folgen starben. Die Folge dessen ist
eine enorme Belastung für die Arbeiter_Innen im Care-Sektor.

In
Deutschland sind die Infektionszahlen damit wieder auf einem
Höchststand, wie zuletzt im Mai diesen Jahres. Die zweite Welle ist
also voll angekommen und sie ist härter als die erste.

Konkurrenz
statt Kooperation:

Was den Impfstoff angeht: Während die Suche danach
lief, gab es kaum internationale Zusammenarbeit. Durch den
Konkurrenzdruck versuchte jedes Land, als erstes einen Impfstoff zu
entwickeln, um diesen dann möglichst profitbringend an andere
verkaufen zu können. Mittlerweile hat sich der Impfstoff des
deutschen Unternehmens Biontech in Zusammenarbeit mit dem
amerikanischen Partner Pfizer als wahrscheinlichster Kandidat für
die Zulassung in Deutschland herausgestellt.

Gegen SARS-CoV-2, das erst seit etwa Neujahr 2020
bekannt ist, sind binnen kurzer Zeit laut der
Weltgesundheitsorganisation WHO mindestens
214 (Aufstellung vom 08.12.2020)
Impfstoffprojekte weltweit angelaufen. In der Liste der Unternehmen
finden sich vorrangig Pharmakonzerne aus imperialistischen Staaten,
da es natürlich gewisse Grundbedingungen braucht, um ein solches
Projekt angehen zu können: Zum einen benötigt man große Mengen an
Kapital, um diese Forschung zu finanzieren. Zum anderen benötigt man
eine entsprechend gut ausgebaute Bildungs- und Infrastruktur, um
dieses Projekt effektiv angehen zu können, wozu man eben
entsprechend gut ausgebildetes Personal benötigt. Und natürlich
forschen die Pharmakonzerne nicht aus gutem Willen am Impfstoff: Zum
einen gibt es das ökonomische Interesse bürgerlicher
PolitikerInnen, die Wirtschaft nicht länger einschränken zu müssen,
sodass diese möglichst bald wieder ihre Produktion uneingeschränkt
aufnehmen kann. Zum anderen wollen die Unternehmen selbst, die die
Forschung vorantreiben, den Impfstoff möglichst gewinnbringend
verkaufen.

Zum Impfstoff selbst:

Bei dieser Corona-Variante erweisen sich vor allem
die RNA-Impfstoffe als effektiv. Der Impfstoffkandidat von Biontech
ist ein RNA-Impfstoff und verspricht eine Wirksamkeit von 95%,
nachdem er zwei Mal verabreicht wurde. Diese RNA-Impfstoffe gehören
zu den ersten ihrer Art, sodass es nicht sicher abzusehen ist, was
sie für Langzeitnebenwirkungen haben könnten, auch wenn deren
Wirkweise (mRNA) schon lange bekannt ist:

Diese Impfstoffe enthalten Teile der Erbinformation
des Virus in Form von RNA, die den Bauplan für ein oder mehrere
Virusproteine bereitstellen. Nach der Impfung wird die RNA von
einigen wenigen menschlichen Körperzellen aufgenommen. Die
Körperzellen nutzen die RNA als Vorlage, um die Virusproteine selbst
zu produzieren. Da aber nur ein Bestandteil des Virus gebildet wird,
ist ausgeschlossen, dass auf diesem Weg komplette vermehrungsfähige
Viren entstehen können. Die neu gebildeten, ungefährlichen
Virusproteine werden als Antigene bezeichnet, denn sie aktivieren das
Immunsystem und erzeugen so die schützende Immunantwort.

Der Impfstoff schützt uns nicht vor
kapitalistischer Ungleichverteilung:

Zwar darf man sich natürlich nicht durch
Verschwörungstheorien um Bill Gates, implantierte Chips oder
Ähnliches blenden lassen. Die Wirkungen der Impfstoffe werden gut
erforscht und ihre kurzfristigen Nebenwirkungen damit einhergehend
auch. Da die Wirtschaft allerdings nicht zu sehr gehemmt werden darf,
können keine Langzeitfolgen erforscht werden. Dies bedeutet ein
Risiko auf weitere langfristige Nebenwirkungen für die Bevölkerung,
das durch die Profitinteressen verschuldet wird. International
betrachtet zeigt sich dies noch deutlicher, da beispielsweise in
Russland im November bereits mit den Impfungen begonnen wurde. Bis
Jahresende 2020 sollen hier 400.000 Militärangehörige gegen das
Virus geimpft sein.

Dies führt direkt zur nächsten Diskrepanz im
Zusammenhang mit dem Impfstoff, da nicht überall zuerst gefährdete
Menschen geimpft werden sollen, sondern auch Polizist_Innen und
Angehörige des Militärs. Hier sieht man, wo die Prioritäten
bürgerlicher Politik liegen. Beispielsweise hat die bayerische
Landesregierung am 10. Dezember geäußert, zuerst Polizist_Innen
impfen zu wollen, wenn ab dem 03. Januar womöglich der Impfstoff zur
Verfügung steht. Der Aussage schlossen sich neben
Bundesinnenminister Horst Seehofer auch die Innenminister der
Landesregierungen von Hamburg, Baden-Württemberg und Niedersachsen
an. Die Gesundheit von Polizist_Innen ist für sie einzig und allein
so wichtig, um auch in Pandemiezeiten das Recht auf Profit und
Eigentum weiter durchsetzen zu können.

Noch stärker stellt sich die Ungleichverteilung des
Impfstoffes international heraus. Dies manifestierte sich beim
jüngsten,
digitalen G20-Treffen. Dort haben sich fast alle imperialistischen
Zentren gegen einen Antrag von Südafrika und Indien gestellt, der
durch China unterstützt wurde. Dieser Antrag widerspricht dem bis
heute gültige TRIPS-Abkommen, welches seit 1995 international das
Patent- und Eigentumsrecht bezüglich Medikamenten und Impfstoffen
garantiert, um die Profite der Pharmakonzerne durch den Verkauf oder
dem Gewähren von Produktionsrechten zu garantieren. Südafrika und
China hatten hierfür im Falle von COVID-19-Produkten eine
Ausnahmeregelung beantragt, die allerdings von den anderen
G20-Mitgliedsstaaten abgelehnt wurde.

Daneben,
dass sich China gerne mal als Anwalt der kleiner Länder darstellen
will, begründet sich dies dadurch, dass China bereits einen
Impfstoff besitzt und diesen billig und massenhaft auf dem Weltmarkt
verkaufen wollte, um selbst die größten Profite zu erlangen und die
anderen Staaten niederzukonkurrieren. Die anderen Mitgliedsstaaten
der G20 wollen vor allem zu einem hohen Preis sowie die Patentrechte
verkaufen und haben dies durch eine Öffnung der Patente bedroht
gesehen. Da eine Aussetzung abgelehnt wurde, werden sich
halbkoloniale Staaten den Impfstoff nicht leisten können, um ihre
Bevölkerung damit zu versorgen. In Staaten ohne gesetzliche
Krankenversicherung, wie den USA, wird dies auch für große Teile
der Arbeiter_Innenklasse bedeuten, dass sie keinen Zugang zum
Impfstoff haben werden. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass sich
imperialistische Länder wie die USA oder Kanada laut Informationen
der OECD bis zu 7,5 Mal mehr Impfstoff gesichert haben, als sie
Einwohner haben. Dadurch wird eine Bekämpfung des Virus‘ verhindert,
da er sich in vielen Ländern weiter verbreitet, mutiert und damit
weltweit gefährlich bleibt.

Hieran zeigt sich, dass alleine durch die Entwicklung
eines Impfstoffs die Widersprüche des Kapitalismus und die damit
verbundene Krise nicht gelöst werden können und dass das Problem
stets das Privateigentum an den Produktionsmitteln bleibt. Dieses
muss gebrochen werden, um die Versorgung der Arbeiter_Innenklasse mit
Medikamenten und Impfstoffen weltweit gewährleisten zu können. Es
braucht die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung
weltweit. Hier kann eine Produktion aufgebaut werden, die sich an den
Bedürfnissen der Patient_Innen orientiert. Räte aus Ärzt_Innen,
Pfleger_Innen und Patient_Innen sollten die Verteilung und
Koordinierung dessen übernehmen. Die Impfstoffforschung sollte nicht
an mehreren Orten parallel ablaufen, sondern durch die Räte
international koordiniert werden, um eine effektivere Forschung
gewährleisten zu können. Die Forschung wäre in einer
sozialistischen Gesellschaft nicht durch die Fortsetzung der
Produktion unter Profitzwang abgekürzt, sondern würde
Langzeitfolgen abschätzen um die gesundheitlichen Risiken für die
Bevölkerung zu minimieren.

Hierzu fordern wir:

  • Krankenversicherungen für alle international –
    jeder muss Zugang zu Medikamenten, Masken, Behandlungen und
    Impfstoffen erhalten!
  • Für die Aufhebung von Patentrechten auf
    Medikamente und Impfstoffe zur Versorgung der Weltbevölkerung ohne
    Rücksicht auf Profitinteressen!
  • Für die entschädigungslose Enteignung und
    Vergesellschaftung der Pharmaindustrie unter internationaler
    Arbeiter_Innenkontrolle!
  • Für die internationale Koordinierung der
    Impfstoffforschung durch ein Antikrisenkomitee aus Arbeiter_Innen
    (insbesondere aus dem Care-Sektor), Forscher_Innen und
    Patient_Innen!



Warum der nächste Lockdown das Corona-Problem an unseren Schulen nicht löst und was wir dagegen tun können

Der neue Lockdown kam plötzlich. Von heute auf morgen sitzen wir wieder auf einem Stapel von Online-Aufgaben und fragen uns, wer das eigentlich alles schaffen soll. Noch kurz vor dem Lockdown haben die Landesregierungen und allen voran die Kultusministerkonferenz (=Absprachegremium der Länder für Bildungs- und Erziehungsfragen) immer wieder behauptet, dass die Schulen sicher seien. Infektionen fänden dort überhaupt nicht statt, sondern würden allein von außen in die Schulen hineingetragen. Doch die Infektions- und Quarantänezahlen sprechen eine andere Sprache: So waren kurz vor dem Lockdown über 3.000 Lehrkräfte und mehr als 20.000 Schüler_Innen in Deutschland infiziert. Am 17.12. ist ein Berliner Lehrer an den Folgen einer Corona-Infektion auf tragische Weise verstorben. Über 11.600 Lehrer_Innen und 200.000 Schüler_Innen sitzen in Quarantäne, über 200 Schulen wurden komplett geschlossen. Doch anstatt Geld in die Hand zu nehmen, um Luftfilteranlagen, Masken, mehr Personal und mehr Räume zur Verfügung zu stellen, wurde das Geld in die Privatwirtschaft gepumpt und die Infektionszahlen in unseren Schulen systematisch relativiert (mitunter auch durch sehr fragwürdige Studien). Außerdem wurde das Problem versucht „wegzudefinieren“; indem die Inzidenzzahl, ab derer eine Schule als Corona-Hotspot mit dementsprechenden Notfallmaßnahmen gelten würde, einfach von 50 auf 200 hochgeschraubt wurde.

Alte Probleme-
drastische Konsequenzen

Robert-Koch-Institut
und Leopoldina sind sich dagegen einig, dass „Schülerinnen
und Schüler ein wesentlicher Teil des Infektionsgeschehens“ sind.
Doch warum sind wir eigentlich so stark betroffen? Das liegt zum
einen daran, dass unser Kontaktkreis durch die ohnehin zu großen
Klassen sehr groß ist. Der chronische Raummangel an unseren Schulen
ist nicht erst seit Corona ein Problem, und so müssen sich viele
Schüler_innen in wenig Räume quetschen, sodass die Einhaltung des
Mindestabstands kaum möglich ist. Diese Probleme waren bereits
während der ersten Welle im Frühjahr 2020 bekannt, doch die Politik
hat über den Sommer verschlafen, etwas dagegen zu tun. Momentan
sieht es danach aus, als ob der sommerliche Tiefschlaf fließend in
den Winterschlaf übergeht. Im Interesse der Wirtschaft, die auf
jeden Fall verhindern möchte, dass die Arbeiter_Innen zu Hause
bleiben müssen, um sich um ihre Kinder zu kümmern, wollten sie die
Schulen um jeden Preis offen halten. Die Strategie war, sich dabei
irgendwie durchzuwurschteln und zu hoffen, dass ein Impfstoff alle
Probleme bis zum 10.01.21 lösen wird.

Es ist bereits
absehbar, dass die Zahlen bis zum 10.01.21 nicht zurückgehen werden.
Aber wie soll es weitergehen? Wann, und vor allem unter welchen
Bedingungen, werden die Schulen wieder geöffnet? Wenn wir nicht
weiterhin zulassen wollen, dass auf der Gesundheit von uns, von
unseren Lehrer_Innen, von unseren Eltern, Freund_Innen und
Angehörigen im Interesse der Wirtschaft herumgetrampelt wird, müssen
wir anfangen, zu kämpfen! Wir müssen sichtbar werden, eine Stimme
bekommen und laut sein.

Was wir fordern:

Es kann nicht sein,
dass wir mit Online-Aufgaben zugespamt werden, während die meisten
von uns nicht einmal einen eigenen Laptop haben. Einige haben nicht
einmal eine gute Internetverbindung. Wir fordern kostenlose
digitale Endgeräte und einen kostenlosen Internetzugang für alle!

Auch nicht jede_r
von uns hat ein eigenes Zimmer und zu Hause die nötige Ruhe zum
Lernen. Während einige von uns Eltern haben, die selbst studiert
haben, fließend Deutsch sprechen und ihre Kinder während des
Homeoffice gut bei den Aufgaben unterstützen können, haben andere
von uns Eltern, die vielleicht eine andere Muttersprache oder eine
andere Schulbildung erfahren haben und alleinerziehend sind oder
täglich für wenig Geld im Supermarkt oder Krankenhaus arbeiten
müssen. Das ist ungerecht! Deshalb fordern wir die Aussetzung der
Noten und verpflichtenden Prüfungen solange kein zufriedenstellender
Lehrbetrieb gewährleistet werden kann! Niemand soll benachteiligt
werden, denn unsere Gesundheit ist wichtiger als eure
Verwertungslogik!

Wer kein
„Happy-Family-Life“ hat, für den ist das zu Hause eingesperrt
Sein der blanke Horror. Im Lockdown sind wir der völligen Kontrolle
und manchmal auch Gewalt unserer Eltern ausgesetzt und können dieser
nicht durch die Schule oder Freund_Innen entkommen. Wir fordern
deshalb das Recht auf elternunabhängige Notbetreuung! Wer nicht zu
Hause lernen kann oder sein will, soll selber entscheiden können, ob
er oder sie in der Schule von pädagogischen Fachkräften betreut
werden möchte. Dabei müssen die Hygienestandards ausgeweitet
werden.

Für viele Elternteile ist es auch gar nicht möglich zu Hause zu bleiben, da sie um ihren Job fürchten müssen. Deshalb fordern wir, dass die Wirtschaft bis auf die systemrelevanten Sektoren heruntergefahren wird. Wir finden außerdem, dass statt einem kleinen Kurzarbeitergeld seitens des Staats, lieber die Konzerne 100% des ursprünglichen Lohns fortzahlen sollten und auch alle, die ihren Job bereits verloren haben, vollen Gehaltsausgleich erhalten. Viele konnten sich nicht nur keine Weihnachtsgeschenke leisten, sondern haben schon Probleme beim Geld für den Schnelltest oder bei der Miete. Wir fordern deshalb, dass die öffentliche Versorgung (also nicht nur Wohnraum, sondern auch Gesundheit, Strom, Wasser und Heizung) nicht privatwirtschaftlich organisiert wird, sondern in die Hand des Staates kommt und von den Produzent_Innen und Konsument_Innen demokratisch kontrolliert wird.

Let’s strike
again!

Lasst uns nicht
weiter tatenlos zusehen! Lasst uns gemeinsam laut sein und kämpfen!
Jede_r von uns kann an seiner_ihrer Schule beginnen, mit
Mitschüler_Innen über die Probleme quatschen und lokale Aktionen
organisieren. So wie es bereits Schüler_Innen in verschiedenen
Bundesländern gemacht haben, die beispielsweise aus Protest gegen
die unzureichenden Hygienebedingungen kollektiv verweigert haben, den
Klassenraum zu betreten. Die Probleme in unseren Schulen sind jedoch
ähnlich und sie sind flächendeckend. Neben lokalen Aktionen müssen
wir uns deshalb auch bundesweit zusammenschließen und einen
gemeinsamen Aktionstag oder sogar einen Schulstreik im neuen Jahr
organisieren! Dafür sollten wir ein Online-Treffen oder eine
Telefonkonferenz einberufen sowie auch linke FFF-Ortsgruppen und
größere linke Jugendorganisationen wie die Linksjugend [‘solid],
die SDAJ, die Jusos oder Young Struggle auffordern, sich daran zu
beteiligen. So können wir uns wirklich eine Stimme verschaffen und
Druck auf die Politik ausüben, unsere Forderungen zu erfüllen. Mit
Fridays for Future haben wir bereits bewiesen, dass wir das können!

Ihr findet die
Forderungen richtig und wollt etwas bei euch lokal organisieren
und/oder euch bei der Orga für einen bundesweiten Streik beteiligen?
Dann schreibt uns bei Instagram, Facebook oder unserer Homepage.




Ein paar Gedanken zum „Danni“ – ein Bericht

Zuerst veröffentlicht unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/12/09/ein-paar-gedanken-zum-danni-ein-bericht/

Lars Keller

Vorbemerkung: Am 08. Dezember fielen mit dem Barrio „Oben“ die
letzten Baumhäuser im „Danni“. Ende November war ich für einige Tage
dort gewesen, als noch 4 – 5 Barrios der Rodung standhielten. Dieser
Bericht erinnert an diese Zeit.

Woodcracker (Fällgreifer, teils mit Greifersäge) schneiden Bäume, als wären es Grashalme, werfen sie gleich einem Mikadospiel zu Boden. Die Kettensägen der Harvester (Holzvollernter) kreischen. Nach 20 Sekunden ist eine eben noch stattliche Tanne entastet, geschält und zerteilt. Hunderte Cops stehen hinter Bauzäunen und NATO-Draht. Sie gewähren den schweren Forstmaschinen Geleit, haben selbst mächtige Wasserwerfer, Räumpanzer und Teleskopbühnen mitgebracht. Keine 10 Meter von fallenden Fichten entfernt, in 20 Metern Höhe, klammern sich die letzten Baumhäuser und mit ihnen einige Aktivist_Innen des Barrios „Morgen“ an Buchen und Eichen fest, die vermutlich älter sind als alle Menschen, die an ihren Wurzeln stehen.

Der Mensch, der in meiner Hörweite die Parents for Future durch den Wald führt, erklärt: „Laut Gesetz muss bei Baumfällungen die doppelte Baumlänge als Sicherheitsabstand eingehalten werden.“ Es ist offensichtlich, dass Bullen und Baumfäller_Innen darauf scheißen. Ein_E Aktivist_In wird über mir ins Baumhaus geholt Sie hatte sich außerhalb des Fensters über dem Abgrund festgeklammert, dem SEK den Einsatz schwerer machen wollen. Immerhin: Hier, wo die „Zivilgesellschaft“ sie beobachtet, benehmen sich die Cops einigermaßen. Ich denke an die Geschichten von brutal Weggeschleppten, von getretenen Aktivist_Innen, von im Baumhaus Zusammengeschlagenen und an voreilig oder vorsätzlich zerschnittene Seile, an denen Menschenleben hingen.

Inhalt im Wald

Vom „Morgen“ aus laufe ich tiefer in den Dannenröder Wald, kraxle durch eine in junge Buchen geschlagene Lichtung, bin bald in „Oben“ angekommen. Hier hatte vor 15 Monaten die Besetzung begonnen, hier wird sie enden. Auf der Suche nach den Inhalten einer heterogenen, anarchistisch dominierten Bewegung stolpere ich durch die Barrios, lese die aufgehängten Transparente. „Carpitalismus“ lese ich irgendwo, mit Anarchie-A – eine Anspielung auf die Macht der kapitalistischen Autoindustrie. Ansonsten finde ich vieles gegen Cops, Kapitalismus, Autobahn und Nazis; Flüche gegen die Grünen, ihren hessischen Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Al-Wazir, und Bundesverkehrsminister Scheuer gibt‘s auch. Feminismus, das Leben einer Utopie, die Schönheit des Waldes werden gepriesen.

In „Unterwex“ entdecke ich die auf Stoff gebannte Solidarität mit der kurdischen Bewegung. Sehr selten ist die konkretisierte Form einer Verkehrswende auf den Stofffetzen in den Bäumen zu lesen, lediglich zweimal so was wie „Nahverkehr zum Nulltarif.“ Die Ideen von Enteignung der Verkehrsindustrie, Arbeiter_Innenkontrolle oder demokratisch geplantem Verkehr existieren allenfalls als schwacher, kaum sichtbarer Schimmer in dieser kleiner werdenden Parallelwelt, die sich befreit gibt und an deren Unfreiheit sie der behelmte, knüppelnde bürgerliche Staat doch täglich erinnert.

Dann habe ich den Wald durchquert. 300 m waren es vielleicht noch,
die die beiden sich aufeinander zu bewegenden Schneisen voneinander
trennen. Ein paar Cops stehen wie verloren in der überwältigend breiten
Rodungsstrecke. Hier wird heute nicht geräumt. Ich denke an die gestrige
Kundgebung, vor allem zwei sinngemäße Aussagen des Redners der
Deutschen Umwelthilfe wechseln sich mit meinen Gedanken ab:

  • „Autobahnen sind nicht mehr zeitgemäß“. Waren sie es denn mal?
    Oder gibt es sie viel eher, weil der Individual- und Schwerlastverkehr
    dem deutschen Kapital mehr Profite brachte und bringt, als es ein
    öffentlich organisierter Verkehr je könnte?

Ich denke über diesen Begriff nach: „Zeitgemäß“. Von Fridays for Future bis hierher – das Wort ist populär, obwohl es doch so inhaltsleer ist.

Autobahnen sind gesamtgesellschaftlich irrational. Es bräuchte sie nicht, gäbe es den gut ausgebauten, flächendeckenden Schienenverkehr, gäbe es die nach Bedürfnissen ausgerichtete Produktionsweise und nicht jene nach Profiten zwanghaft lechzende.

Zu sagen, Autobahnen seien „nicht mehr zeitgemäß“, suggeriert doch, dass sie irgendwann mal rational und richtig waren. Damals wie heute machen sie aber nur für den fortwährend beschleunigenden Kapitalismus Sinn, nicht aber für die Menschheit als Ganze.

  • „Die Grünen an der Landesregierung haben uns enttäuscht!“ Tjoa. Enttäuscht ist ja nur, wer anderes erwartet hatte.

Durch meine Fantasie läuft der Paradezug der grünen Partei auf einer frisch asphaltierten Autobahn, angeführt von Habeck und Al-Wazir in einem übergewichtigen E-Auto, angetrieben von Illusionen und falschen Hoffnungen tausender Wähler_Innen auf eine konsequente Klimapolitik. Der folgende Aufzug präsentiert protzig Bilder: Kosovo, Afghanistan, Agenda 2010, Stuttgart 21, Hambi holzen. Am Schluss des Zuges folgt eine nie endende Schlange Ruß kotzender Lkws, mit dem Holz des Danni beladen. Reste von Baumhäusern hängen an den Stämmen.

Die Grünen sind eine bürgerliche Partei. Schon längst haben sie die Bewegung hinter sich gelassen, auf deren Rücken sie emporstiegen. Sie machen Politik von und fürs Bürger_Innentum. Nicht für den Danni. Nicht für‘s Klima. Nein. Sie hoffen auf eine Koalition mit der CDU im Bundestag. Sie machen Politik zuallererst für die bürgerliche Klasse, heißt für deren Eigentum, heißt für deren geheiligte Autoindustrie und streichen sie blassgrün an. All dies heißt: Die A49 wird gebaut (und im Gekreisch der Kettensägen hört man leis‘: „Aber wir, die Grünen, haben das nie gewollt … wir können bloß nicht anders.“

Zurück im Wald. Eine Rodungskante wie ein Abgrund. Mittlerweile liegt Schnee. Es ist der nächste Tag. Auf Plattformen, Konstruktionen und Baumhäusern harren Aktivist_Innen der Kälte. Die Gesichter sind bemalt, Hände zerschnitten, mit Sekundenkleber und Glitzerkonfetti unkenntlich gemacht. Für manche hat es auch was von Abenteuer: Das SEK holt dich vom Baum. Benimmst du dich, benimmt es sich hoffentlich auch. Die Bereitschaftscops bringen dich aus dem Wald, durchsuchen dich. Platzverweis, Verstoß gegen das Waldschutzgesetz (welch Ironie). Identität? Verweigert. Sind genug Aktivist_Innen beisammen, fährt ein Bus in die Gefangenensammelstelle (Gesa). Frankfurt. Kassel. Oder woandershin. Kripos durchsuchen dich, versuchen, irgendwas zu deiner Identität rauszukriegen. Fotos. Missglückte Fingerabdrücke … das Glitzerzeug dürfen sie nicht abschrubben. Nach wenigen Stunden: Freilassung. Dann zurück in den Wald. Aber nicht vergessen: Die Ordnungsmacht kann auch anders.

Für die einen hat es was von einem Spiel, für andere bedeutet die Räumung den Verlust von ein bisschen Zuhause. Die Besetzung ist vieles: Eine scheinbar gelebte anarchistische Utopie, die völlig abhängig ist von der kapitalistischen Außenwelt und der – im Verhältnis zur Masse der Lohnabhängigen – auch relativ privilegierten Stellung eines Teils der Aktivist_Innen. Enthusiastisch sprechen sie, da ist der Danni noch nicht mal gefallen, von Besetzungen in anderen bedrohten Wäldern.

Auch ist das Ganze ein kreativer Protest, der mit bewundernswertem
Durchhaltevermögen und Geschick versucht, die Übermacht des Staates zu
stoppen. Und klar, über allem schwebt der gegen die bestehende
Verkehrspolitik. Aber welche konkrete bräuchte es stattdessen? Und wer
soll sie liefern? Diese Antwort scheint großteils anderen überlassen.
Ich komme noch darauf zurück.

Und jetzt?

Ich konnte nur ein paar Tage im Wald bleiben. Viele andere waren eine
gefühlte Ewigkeit auf den Bäumen oder im Camp am Dorfrand Dannenrods.
Seit 40 Jahren kämpft ein Teil der Menschen hier gegen die A49. Ohne
deren aufrichtige Unterstützung wäre die Protestform der dauerhaften
Besetzung unmöglich – vor beiden Lagern habe ich allein schon fürs
Durchhalten großen Respekt. Ihre drohende Niederlage tut mir leid.

Verkürzt wäre es zudem, die Bewegung auf die Bürger_Inneninitiativen und die Besetzung zu reduzieren. Kinderdemos, Fridays for Future, Ende Gelände, Demos in Berlin, Frankfurt und anderswo sowie Soli-Baumhäuser und (wenig sinnhafte) individualistische Autobahnblockaden in der ganzen Republik rahmen die Proteste gegen Autobahnbau und Verkehrspolitik ein.

Trotzdem fielen tausende Bäume für eine Autobahn. Ist denn ein Sieg
unmöglich? Ich glaube nicht. Vielmehr fehlt der Bewegung Entscheidendes,
etwas, das nicht durch Kreativität und Durchhalten ersetzt werden kann.
Es braucht eine konkrete Perspektive, anstatt auf Instagram zu jammern,
dass der Wald so schön sei und nun kaputt gemacht wird.

Was heißt das?

Einerseits die Bewegung lokal vertiefend zu verankern, nicht nur in Form von Bürger_Inneninitiativen, sondern auch in Betrieben wie Ferrero Stadtallendorf oder MHI-Steine Nieder-Ofleiden (Stadtteil von Homberg im mittelhessischen Vogelsbergkreis), wo der Schotter für die A49 herkommt. Die hier Arbeitenden könnten bspw. für „Gleise statt Autobahn“ gewonnen werden, ebenso wie jene von STRABAG. Ein politischer Streik mit Besetzung der Baustelle durch diese Belegschaften wäre vielfach effektiver als Sitzblockaden vor den Werkstoren.

Andererseits muss die bundesweite Umweltbewegung ebenso auf die Arbeiter_Innenklasse zugehen. Tausende Jobstreichungen, Gehaltsverluste und Abwälzen der Krisenkosten auf die Beschäftigten stehen hier an. Warum das nicht nutzen und aus der Umweltbewegung den Startpunkt einer Antikrisenbewegung machen?

Warum nicht sagen: „Die Reichen, die Konzerne und Industrien sollen für die Krise zahlen!“? Keine Entlassung wegen Wirtschaftskrise oder Verkehrswende! Stattdessen: Massive Besteuerung der Gewinne von klimaschädlichen Produktionen, kostenloser Nah- und Berufsverkehr für alle, Umstellung der Produktion auf medizinische Ausrüstung und klimaneutrale Verkehrskonzepte, demokratisch kontrolliert durch die Arbeiter_Innenklasse selbst! Für politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik, um dies durchzusetzen!

Natürlich wäre die Entwicklung einer solchen Perspektive etwas in der
Bewegung heiß Diskutiertes. Gut so! Nicht zu diskutieren, heißt, die
Verkehrspolitik in den Händen von Regierung und Staat zu belassen.

Mich des Erlebten im Danni erinnernd, blicke ich auf dem Heimweg aus dem Fenster der Regionalbahn. Anstatt an die Utopie einer in Bäume gezimmerten Parallelwelt zu glauben, tagträume ich von flächendeckendem kostenlosem Nahverkehr und gut ausgebauten Schienennetzen: Stadtallendorfer Pralinen werden wesentlich mit Güterzügen transportiert, Verkehrswege und Wohnraum werden reorganisiert, entflochten.

Die Verkehrsindustrie und Transportunternehmen sind enteignet, Arbeiter_Innen haben die Kontrolle übernommen, setzen eine demokratisch von ihnen selbst geplante ökologisch sinnvolle Notumstellung der Produktion um. Die Arbeitszeit ist bei vollem Lohn auf 30 Stunden in der Woche reduziert, die gesellschaftlich notwendige Arbeit wird auf alle verteilt. Scheuer, Al-Wazir und die Bosse von DEGES, VW und Co. wurden aus ihren Ämtern gejagt. Ihr Staat existiert nicht mehr. Nun forsten sie die Schneise eines Waldes auf eigene Kosten und mit eigener Arbeitskraft wieder auf. Minibagger und Gießkanne statt Dienstwagen und Krawatte heißt das Programm …

Eine Zugbegleiterin weckt mich, fragt nach meinem Ticket. 10 Minuten später habe ich ein Schwarzfahrerticket, 60 Euro, mein Fahrschein sei ungültig. Ein Anruf beim Kundendienst des Verkehrsverbundes beweist mir, dass dessen Angestellte selbst keine Ahnung von den Tarifbestimmungen haben. Sauer lege ich auf. Höchste Eisenbahn, diese antikapitalistische Verkehrswende!




Jugendkämpfe International. Warum braucht es eine neue Jugendinternationale?

Aktuelle Krisenperiode

Die Corona-Pandemie verschärft
die wirtschaftliche Krise, in der wir uns befinden. Gleichzeitig
schafft die Politik der Herrschenden das Potential für den
Widerstand der Jugend. Viele Länder nutzen die Situation momentan
aus, um unbeliebte Gesetze durchzubringen und ihren Ausbau zu einem
undemokratischen System weiter fortzusetzen. Das reicht von
autoritären Maßnahmen, die in fast jedem EU-Land zum „Bekämpfen
der Coronakrise“ umgesetzt werden bis hin zu Ländern wie Polen und
Ungarn, die die besondere Zeit nutzen um frauenfeindliche
Gesetzgebungen durchzuwinken (Polen) oder sogar Notstandsmaßnahmen
verordnen, die de facto die Alleinregierung einer Partei ermöglichen
würden (Ungarn).

Wie betrifft die aktuelle
Situation die Jugend?

Jugendliche werden heutzutage
ohne wirkliche Perspektiven auf einen sicheren Job, oder ein gutes
Leben groß. Sie bekommen die Auswirkungen der letzten Krisen oft
stärker zu spüren als ihre Eltern, neoliberale Sparpolitik und
anhaltende Ausbeutung der halbkolonialen Länder ruinieren bis heute
ihre Zukunft.

Die Jugendarbeitslosigkeit hat
sich seit der Krise 2008 noch nicht wirklich erholt. Nach Zahlen der
International Labour Organization (ILO, Stand 2019) gibt es 1.3
Milliarden Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren. Davon sind 41% Teil
des Arbeitskräftepotenzials (labour force), von denen 429 Millionen
arbeiten und 68 Millionen arbeitslos sind. 30% derjenigen die
arbeiten leben in extremer oder moderater Armut und 77% arbeiten
unter prekären Umständen. Die momentane Krise verschärft diesen
Trend immens. In der ersten Welle ist in Deutschland zum Beispiel die
Jugendarbeitslosigkeit von 190.000 innerhalb eines Jahres aufgrund
der Corona-Krise auf 275.000 gestiegen, geschätzte 40% der
Studierenden haben ihre Jobs verloren. Während der ersten Welle ist
in Österreich die Jugendarbeitslosigkeit um 110 Prozent und die
Anzahl der Lehrstellensuchenden um 55% gestiegen. Jugendliche sind
die ersten, die ihre Jobs verlieren (Schließlich sind sie meistens
noch nicht so lange dabei und haben selten eine starke
gewerkschaftliche Vertretung), auf der anderen Seite sind auch viele
noch in Ausbildung, was den Versuch in der Wirtschaftskrise erstmals
einen Job zu finden, stark erschwert. Wie sich diese Entwicklungen in
der jetzigen zweiten Welle gestalten werden, kann an dieser Stelle
nur mit düsterer Vorahnung vermutet werden.

In den USA machten Jugendliche
zwischen Februar und April ein Drittel der Arbeitslosen aus, obwohl
sie nur ein Viertel des Arbeitskräftepotenzials ausmachen. Zwar
scheinen sich die Zahlen in den USA wieder etwas normalisiert zu
haben, nachdem sie anfangs sehr krass anstiegen, ein Grund dafür ist
aber sicher auch, dass viele Jugendlichen aus der Gruppe der
Arbeitssuchenden herausfielen. Im Juni waren 28% der 16-24 jährigen
weder in Ausbildung noch in einem Arbeitsverhältnis. Im Juli wohnten
mehr als 50% der 18-29 jährigen (wieder) bei ihren Eltern. Auch wenn
Arbeitslosenzahlen stark fluktuieren können, ist klar, dass ein
Land, in dem sich Jugendliche enorm verschulden müssen, um eine
Ausbildung zu erlangen, keine gute Perspektive für junge Menschen
liefert. ,

Es gibt Prognosen, die bis 2021
90.1 Millionen(!) Arbeitslose in Ostasien erwarten, was zum Großteil
auf die ärmeren Regionen und Länder verteilt sein wird, für die
auch die durch die Corona Krise bedingten Einschränkungen der
Migration Jobverlust bedeutet. Die Situation halbkolonialer bzw.
kolonialer Länder, die auch davor extrem angespannt war, was
Jugendarbeitslosigkeit angeht, wird sich noch drastischer zuspitzen,
speziell in Ländern in denen die Aus- bzw. Nachwirkungen der
Apartheid noch klar spürbar sind. Im Gazastreifen lag die
Jugendarbeitslosigkeit vor der Krise bereits bei ungefähr 60%, in
Lesotho bei 33%.

Aber die schlechten Job- und
Ausbildungsmöglichkeiten sind für Viele nur die Spitze des
Eisbergs. Fast die Hälfte aller Menschen, die sich momentan auf der
Flucht befinden sind Minderjährige. Sie müssen vor dem sicheren Tod
fliehen, nur um an den Außengrenzen Europas unmenschlichen
Hygienebedingungen, Hunger und (oftmals sexualisierter) Gewalt
ausgesetzt zu sein.

Für
die Unabhängigkeit der Jugend!

Die Jugend hat oft eine spezielle
Rolle in politisch-fortschrittlichen Kämpfen. Sie ist nicht
desillusioniert von vergangenen Kämpfen, hat mehr Zeit und Energie,
um die Situation selbst in die Hand zu nehmen und zu ändern und
bekommt viel der tagtäglichen Ungerechtigkeiten am eigenen Leib zu
spüren. Zwar sind Jugendliche keine einheitliche Klasse, sondern oft
vielmehr geprägt von den Klassenverhältnissen ihrer Eltern, es ist
aber ein enormer Vorteil sie für die Anliegen und Interessen der
Arbeitenden Klasse zu gewinnen, schließlich ist ein relevanter Teil
von ihnen das zukünftige revolutionäre Subjekt und lernt
schließlich auch am Besten aus den eigenen Fehlern. Es ist notwendig
sie schon früh für revolutionäre Politik zu gewinnen. Genau
deswegen ist die gesonderte Organisierung der Jugend zentral. Es
macht oft keinen Sinn, sie in dieselben Strukturen einzubinden, die
von älteren Generationen dominiert werden und Jugendlichen (wie auch
in der Schule und Zuhause) nicht dieselben Möglichkeiten bieten
politisch zu wachsen. Politische, organisatorische und finanzielle
Unabhängigkeit der revolutionären Jugendorganisation sind wichtig,
um einen gemeinsamen Kampf der Arbeiter*innen und der Jugend gegen
das Kapital zu organisieren. Wir wollen über den Aufbau einer
revolutionären Jugendorganisation den Schulterschluss mit den
Arbeiter*innen aller Länder suchen und im Endeffekt dabei helfen
eine revolutionäre Weltpartei der Arbeitenden und der Jugend
aufzubauen.

In welchen Kämpfen war die
Jugend im letzten Jahr involviert?

Wir haben als wohl wichtigste
Anknüpfungspunkte die Kämpfe gegen politische Regime und
Regierungen. Das sind auf keinen Fall Bewegungen, die ausschließlich
von Jugendlichen getragen werden, aber viele starten auf den
Schultern von jugendlichen Menschen. In Chile fing die Bewegung, die
sich gegen Pineras neoliberale Politik stellte, mit den Protesten von
jungen Menschen gegen die Erhöhung der Ticketpreise
an. In der Bewegung spielen bis heute die studentischen Vereinigungen
und Organisationen eine maßgebliche Rolle in der Organisierung. Die
Proteste in Hong-Kong, die zwar nicht über demokratische Forderungen
hinauskamen, aber dennoch eine Reihe von sich radikalisierenden
Elementen eine Stimme gaben, werden durchwegs als eine sehr junge
Bewegung beschrieben.

Genauso ist das erneute mächtige
Aufflammen der Black-Lives-Matter Bewegung eine wichtige Entwicklung
für die kommenden Kämpfe der Jugend. Eine starke, antirassistische
Perspektive, die sich mit fundamentaler Kritik an Organen der
Klassenunterdrückung entlädt, so wie es angefangen mit den USA in
vielen Ländern passierte, ist eine wichtige Entwicklung für den
Klassenkampf. Auch in Nigeria gab es in letzter Zeit Massenproteste
gegen die Polizei, insbesondere ihre SARS Spezialeinheit, die
besonders stark von Jugendlichen getragen wurde.

Auch in Bewegungen, die etwas
weniger starke Resonanz erzeugte, erkämpft sich die Jugend einen
Platz. Es ist keine Überraschung, dass „linke“
Sozialdemokrat*innen wie Jeremy Corbyn in Großbritannien oder Bernie
Sanders in den USA (wobei Letzterer noch
einmal
moderater ist als der Erste) eine große Befürwortung innerhalb der
Jugend genossen und für viele junge Menschen auch der Auslöser zur
Organisierung untereinander waren. Die Niederlage und der Verrat (wie
in der Sozialdemokratie nicht unüblich) dieser beiden Männer, wenn
auch für viele sehr enttäuschend, kann nicht darüber wegtäuschen,
das Jugendliche bereit für sozialistischen Alternativen sind und
auch bereit sind für sie zu kämpfen.

Als die größte internationale
Jugendbewegung unserer Zeit wollen wir uns auch mit der
Umweltbewegung Fridays for Future (im Folgenden FFF) beschäftigen.
Da Jugendliche von den zunehmenden Auswirkungen der Umweltzerstörung
des Kapitalismus besonders betroffen sein werden, verlangen sie
berechtigterweise die Umweltpolitik mitbestimmen zu können. Den Weg
der Lösung der Umweltfrage sah FFF vor allem darin die Regierungen
zu bitten die Ziele des Pariser Klimaabkommens umzusetzen. Dies ist
problematisch, da das Pariser Abkommen in Bezug auf die Reduktion der
Treibhausgasemission und auf das Thema der Umweltverschmutzung
unzureichend ist. FFF versteht zudem nicht, dass die Regierungen auf
der Seite der kapitalistischen Unternehmen stehen, die aus der
Zerstörung der Umwelt Profit schöpfen. Wir Lohnarbeiter_Innen haben
dagegen ein uneingeschränktes Interesse die Erde für uns auf Dauer
bewohnbar zu machen. Die Umweltfrage ist also eine Klassenfrage, was
FFF jedoch leugnet und stattdessen eine kleinbürgerliche Politik
vertritt. Internationale Schulstreiks konnte die Regierungen zudem
nicht zur Änderung ihrer Politik zwingen. Die Politik der Bewegung
ist damit faktisch gescheitert. Es wäre notwendig die Bewegng
politisch und praktisch zu radikalisieren und die Streiks auf die
gesamte Arbeiter_Innenklasse auszuweiten. So können
die
Regierungen und das Kapital dort getroffen werden, wo es wirklich weh
tut: Beim Profit. Zudem ist eine umweltfreundliche Reorganisierung
der Wirtschaft und Gesellschaft nur mit der Macht der Beschäftigten
aus den jeweiligen Branchen denkbar. Nur dadurch kann der
Umweltbewegung wieder neues Leben eingehaucht und das gewaltige
Engagement der Jugend in politische Siege verwandelt werden.

Was brauchen wir deswegen?

Dass Kämpfe, die international
geführt werden auch leichter gewonnen werden liegt auf der Hand.
Doch unser Internationalismus ist nicht nur in der Kraft der
internationalen Solidarität der Ausgebeuteten und Unterdrückten
begründet. Für uns ist es auch eine zentrale Einsicht, dass in
einem kapitalistischen Weltsystem keine Bewegung dauerhaft isolierte
Erfolge erzielen kann, wenn es ihr nicht gelingt Verbündete in
anderen Ländern zu finden. Der „Sozialismus in einem Land“ ist
im 21. Jahrhundert, dem Zeitalter der Globalisierung, noch deutlich
illusorischer als er es im 20. Jahrhundert war – gleichzeitig sind
aber durch die internationalisierten Produktionsketten und den
enormen Fortschritt in der Geschwindigkeit des Austausches und der
Kommunikation die Bedingungen für internationale Solidarität um
einiges einfacher geworden. Antworten auf diese Fragen und wie die
Kämpfe zu gewinnen sind, können wir nur ausreichend beantworten,
wenn wir an allen Orten der Welt die fortschrittlichsten Jugendlichen
organisieren und für die Perspektive des antikapitalistischen
Kampfes gewinnen.

Wie organisiert man aber
gemeinsam solche Kämpfe und wie können wir in Zukunft global
agieren? Wir von REVOLUTION stehen für den Aufbau einer neuen
Jugendinternationale nach dem Vorbild der sozialistischen
Jugendinternationale, die 1907 gegründet wurde. Ein Zusammenschluss
von kommunistischen Jugendorganisationen, die auf der Basis eines
gemeinsamen Programms weltweit gegen Imperialismus bzw. Kapitalismus
kämpfen.




Solidarität mit dem Generalstreik der indischen Gewerkschaften!

Zuerst veröffentlicht am 26. November 2020 unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/11/26/solidaritaet-mit-dem-generalstreik-der-indischen-gewerkschaften/

Martin Suchanek

Seit dem Morgen des 26. November erfasst ein weiterer Generalstreik
Indien. Die Gewerkschaften rechnen mit bis zu 250 Millionen
TeilnehmerInnen. Begleitet wird die Arbeitsniederlegung außerdem von
Massenaktionen von Bauern/Bäuerinnen und LandarbeiterInnen gegen neue
drakonische Gesetze, die Farm Laws, die die Arbeit auf dem Land
(de)regulieren sollen.

Zur Vorbereitung und Durchführung des Generalstreik haben sich
zahlreiche landesweite Verbände und regionale Organisationen in der 
Joint Platform of Central Trade Unions (CTUs; Vereinigte Plattform der
Gewerkschaftszentralen) zusammengeschlossen.

Diese besteht aus folgenden Verbänden Indian National Trade Union
Congress (INTUC), All India Trade Union Congress (AITUC), Hind Mazdoor
Sabha (HMS), Centre of Indian Trade Unions (CITU), All India United
Trade Union Centre (AIUTUC), Trade Union Coordination Centre (TUCC),
Self-Employed Women’s Association (SEWA), All India Central Council of
Trade Unions (AICCTU), Labour Progressive Federation (LPF) und United
Trade Union Congress (UTUC). Politisch repräsentieren sie das volle
Spektrum von der bürgerlich-nationalistischen Kongresspartei
nahestehenden Verbänden über die den kommunistischen Parteien
verbundenen bis hin zu unabhängigen, teilweise radikaleren
klassenkämpferischen Organisationen. Wenig überraschend fehlt mit
Bharatiya Mazdoor Sangh (BMS), der „gewerkschaftliche“ Arm der
regierenden, hinduchauvinistischen Bharatiya Janata Party (Indische
Volkspartei; BJP), die sich faktisch wieder einmal als gelber Verband
von StreikbrecherInnen betätigt.

Historischer Angriff

Der Generalstreik am 26. November richtete sich – wie schon jene der
letzten Jahre, die mehr als 100 Millionen Lohnabhängige mobilisieren
konnten – gegen einen fundamentalen Angriff durch die
KapitalistInnenklasse und die Modi-Regierung. Die Regierung brachte seit
2019 vier neue Arbeitsgesetze in die Look Sabha (Parlament) ein, die 44
bisher gültige ersetzen sollen. Im Grunde sollen damit die Überreste
der Beziehungen zwischen Kapital und Lohnarbeit, wie sie nach der
Unabhängigkeit Indiens etabliert wurden, endgültig beiseitegeschoben
werden. Dieser Prozess begann zwar mit der neoliberalen Wende der
Kongress-Partei und der Öffnung der indischen Wirtschaft nach 1980,
beschleunigte sich jedoch seit dem Ausbruch der globalen Krise 2007 und
der Regierungsübernahme der hindu-chauvinistischen Bharatiya Janata
Party (BJP) 2014. Das ist auch der Grund, warum sich entscheidende
Fraktionen des Großkapitals vom Kongress, der traditionellen Partei der
indischen Bourgeoisie, abwandten und, ähnlich den imperialistischen
Großunternehmen, in der BJP die verlässliche Sachwalterin ihrer
Interessen sehen.

Die Ideologie des Hindutva, nach der Indien ausschließlich den Hindus
gehöre und in der religiöse Minderheiten wie Muslime, Indigene, die
„unteren“ Kasten, Frauen und sexuelle Minderheiten BürgerInnen zweiter
Klasse sein sollen, bildet den Kitt, um große Teile der Mittelschichten,
des KleinbürgerInnentums und rückständige ArbeiterInnen vor den Karren
des Kapitals zu spannen. Die „größte Demokratie der Welt“ bildet die
Fassade für die zunehmend autoritäre, bonapartistische Herrschaftsform
des Regimes Modi, das sich dabei auf extrem reaktionäre und auf
faschistische Massenorganisationen stützen kann. In den letzten Jahren
forcierte sie die Angriffe auf demokratische Rechte und ging brutal
gegen  Proteste vor, die sich gegen die nationalistische „Reform“ der
Melde- und Staatsbürgerschaft richteten. Vielerorts, wie in Delhi
provozierten Parteiführer der BJP Pogrome gegen Muslime und
Protestierende. Indien annektierte Kaschmir und beendete dessen formal
autonomen Status endgültig. Die „Reform“ der Arbeitsgesetze stellt ein,
wenn nicht das klassenpolitische Kernstück der Politik der
Modi-Regierung dar. Hier nur einige zentrale Aspekte:

  • Das neue Arbeitsgesetz erlaubt die fristlose Entlassung ohne
    weitere Angabe von Gründen und ohne Zustimmung der Behörden von bis zu
    300 Beschäftigten. Bisher war diese Zahl auf 100 ArbeiterInnen
    festgelegt. Dies schafft wichtige Beschränkungen der Unternehmenswillkür
    in Klein- und Mittelbetrieben ab, die in den letzten Jahren ebenfalls
    zunahm.
  • Das Fabrikgesetz von 1948 galt bislang für alle Betriebe mit
    mehr als 10 Beschäftigten, sofern sie mit Elektrizität versorgt wurden,
    und für alle mit mehr als 20, die diese nicht haben. Jetzt werden diese
    Zahlen verdoppelt, auf 20 bzw. 40 Beschäftigte.
  • Diese Methode durchzieht zahlreiche andere Bestimmungen der
    neuen Arbeitsgesetze. Die Mindestzahl an regulär Beschäftigten, ab denen
    sie überhaupt erst gelten, wurde deutlich erhöht, oft auf das Doppelte
    oder Dreifache der ursprünglichen Zahl. Dies betrifft insbesondere
    Mindeststandards für Arbeitssicherheit.
  • Erhöht wurde außerdem die Quote für LeiharbeiterInnen unter den Beschäftigten.

All diese Maßnahmen zielen auf die Ausweitung der
UnternehmerInnenfreiheit. Die weitgehende Entrechtung, die schon heute
die Lage eines großen Teils der indischen ArbeiterInnenklasse prägt, der
in verschiedene Formen der Kontraktarbeit (wie  Tagelöhnerei,
Leiharbeit, prekäre Beschäftigung, …) gezwungen wird, soll weiter
ausgedehnt werden. Auch bisher „regulär“ Beschäftigte sollen von ihr
erfasst werden.

Zugleich werfen diese Maßnahmen auch ein bezeichnendes Licht auf das
Geschäftsmodell des indischen Kapitalismus. Die vom Weltmarkt und den
internationalen Finanzmärkten abhängige halbkoloniale Ökonomie kann die
Profitabilität der wachsenden kleineren Kapitale nur sichern, wenn diese
weiter die Arbeitskräfte extrem ausbeuten, also unter ihren
Reproduktionskosten kaufen und verwerten können. Ansonsten sind sie
nicht in der Lage, sich auf dem Markt zu halten, die Vorgaben von
Konkurrenzbedingungen, die das multinationale Großkapital aus den
imperialistischen Ländern diktiert, zu erfüllen. Zugleich begünstigt
diese Form der Überausbeutung auch die indischen Großkonzerne, die
ihrerseits um größere Anteile am Weltmarkt ringen.

Diese Ausweitung selbst erschwert schon die Möglichkeiten der
gewerkschaftlichen Organisierung massiv, die durch neue legale
Einschränkungen zusätzlich eingeschränkt werden sollen.

Ergänzt werden die Angriffe auf die Arbeitsgesetze auch durch
drastische Verschlechterungen für die Landbevölkerung, also für die
ärmsten Schichten der Bauern und Bäuerinnen sowie für LandarbeiterInnen.
Das ist auch der Grund, warum das All India Kisan Sangharsh
Coordination Committee (AIKSCC) den Generalstreik unterstützt und mit
Aktionstagen am 26. und 27. November verbindet.

Über die Forderung nach Abschaffung der gesamten reaktionären
Reformen des Arbeitsgesetzes hinaus verlangen die Gewerkschaften
außerdem eine monatliche staatliche Unterstützung von 7.500 Rupien (rund
85 Euro) für alle Familien, die keine Einkommenssteuer zahlen müssen,
sowie 10 Kilogramm kostenloser Lebensmittel für alle Bedürftigen. Diese
und ähnliche Forderungen verdeutlichen, dass die Corona-Pandemie und die
kapitalistische Krise Millionen ArbeiterInnen und  Bauern/Bäuerinnen in
Not und Elend stürzen, sie gegen Armut, Hunger und Tod ankämpfen
müssen.

Internationale Solidarität und Perspektive

Der Generalstreik der indischen Gewerkschaften erfordert unsere Solidarität – und zwar weltweit.

Zugleich macht er aber – gerade vor dem Hintergrund etlicher
Massenstreiks der letzten Jahre – deutlich, dass die
ArbeiterInnenbewegung und alle Bewegungen von Unterdrückten gegen das
Hindutva-Regime eine Strategie brauchen, die über beeindruckende, aber
auch nur auf einen Tag beschränkte Aktionen hinausgeht. Die Regierung
Modi wird sich davon nicht stoppen lassen. Das haben die letzten Jahre
gezeigt. Wie die letzten Monate verdeutlicht haben, wird sie auch die
Pandemie und die Krise zu nutzen versuchen, weitere Angriffe
durchzuziehen.

Es geht daher darum, dem permanenten Angriff einen permanenten
Widerstandskampf entgegenzusetzen – auf den eintägigen Generalstreik
einen unbefristeten gegen die Arbeitsgesetze und für ein
Mindesteinkommen und Mindestlohn für alle in Stadt und Land
vorzubereiten und durchzuführen.

Die Koordinierung der Gewerkschaften und BäuerInnenorganisationen
muss sich einer solchen Aufgabe stellen und zur Bildung von
Aktionskomitees in den Betrieben, den Stadtteilen, in den Gemeinden und
auf dem Land aufrufen, also Kampforgane bilden, die alle Schichten der
Lohnabhängigen und der Klein- und MittelbäuerInnen einschließen,
unabhängig von Religion, Nationalität, Kaste, Geschlecht oder sexueller
Orientierung.

Angesichts der staatlichen Repression und der reaktionären
hinduchauvinistischen Verbände müsste ein solcher Streik auch
Selbstverteidigungsstrukturen aufbauen.

Ein politischer Generalstreik, der das Land dauerhaft lahmlegt, würde
unwillkürlich die Machtfrage aufwerfen – und somit auch die Möglichkeit
und die Notwendigkeit, vom Abwehrkampf zur Offensive überzugehen. Diese
erfordert freilich mehr als nur gewerkschaftlichen Widerstand. Sie
erfordert die Verbindung dieses Kampfes mit dem gegen alle Formen der
Unterdrückung, die Verbindung des Kampfes gegen die BJP-Regierung mit
dem gegen den Kapitalismus, den Aufbau einer revolutionären politischen
Partei der ArbeiterInnenklasse, die sich auf ein Programm von
Übergangsforderungen stützt und die für eine ArbeiterInnen- und
BäuerInnenregierung kämpft, die eine Räteherrschaft errichtet, das
Großkapital enteignet und eine demokratische Planwirtschaft einführt.

Zur Zeit existiert keine politische Kraft in Indien, die ein solches
Programm vertritt. Die verschiedenen kommunistischen Parteien haben sich
vom revolutionären Sturz des Kapitalismus faktisch schon lange
verabschiedet, die radikale Linke ist zersplittert und oft
desorientiert. Die politische Krise zu überwinden, erfordert daher nicht
nur die Unterstützung der Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse und
sozialen Bewegungen. Alle, die nach einer sozialistischen und
internationalistischen Antwort suchen, stehen auch vor der Aufgabe, in
Diskussion um die programmatischen Grundlagen einer revolutionären
Partei zu treten und deren Aufbau in Angriff zu nehmen.




Der Abschluss für den Öffentlichen Dienst und die Linke

zuerst veröffentlicht am 21.11 unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/11/21/der-abschluss-fuer-den-oeffentlichen-dienst-und-die-linke/

Mattis Molde

Die erste große Tarifrunde nach Beginn der Pandemie und der Vertiefung der Wirtschaftskrise ist vorbei. Der öffentliche Dienst hat Maßstäbe auch für die nächsten Runden gesetzt. Aber es ging nicht nur um die ökonomischen Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft. Es ging um mehr. Es ging darum, wie sich die Arbeiter_Innenklasse politisch aufstellt in einer entscheidenden historischen Phase, in der sich eine Krise des kapitalistischen Systems entfaltet, die tiefer und länger zu werden verspricht als die vor 10 Jahren, ja jetzt schon mit der von 1931 verglichen wird. Die begleitet ist von Krisen der politischen Systeme nicht nur in Halbkolonien, sondern auch in den Zentren der Macht wie in den USA und der EU. Die dominiert wird von rechten Massenmobilisierungen und Wahlerfolgen, in der es aber auch Gegenbewegungen gibt.

Ausverkauf

Das Kapital und sein Staat haben sich in dieser Tarifrunde von Anfang an klar positioniert. Das war zu erwarten. Die ver.di-Führung ignorierte das anfangs trotzdem und streute ihren Mitgliedern Sand in die Augen, als sie von einer „Politik der ausgestreckten Hand“ schwadronierte. Als diese Vorgangsweise scheiterte, erklärte sie es zum Ziel der Warnstreiks, dass die Arbeit„geber“_Innen „endlich ein Angebot vorlegen“. Die Forderung von 4,8 % mit einer Laufzeit von einem Jahr war damit schon unauffällig ersetzt. Entsprechend haben die Spitzenverhändler_Innen das „respektlose“ erste Angebot der Arbeit„geber“_Innenverbände in der letzten Verhandlung nur durch Umverteilung unter den Beschäftigten modifiziert, im Volumen kaum erhöht und dann zu „respektabel“ umgetauft. Diese Einschätzung macht nur dann einen Sinn, wenn man einen Streik von vorneherein ausschließt, wie es offensichtlich die ver.di-Führung getan hat, und noch nicht einmal eine Streikvorbereitung als Drohpotential aufbaut. Das macht diese Niederlage zur Kapitulation. Das haben wir an anderer Stelle ausführlich dargelegt. Eine Niederlage zu erleiden, ist eine Sache, eine andere, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Viele linke Gruppen und Personen haben das Ergebnis analysiert und fast alle kommen zum Schluss, dass es ein schwacher Abschluss war, der meilenweit von der Forderung entfernt war. Aber die meisten betonen, dass immerhin weitergehende Angriffe auf die Beschäftigten abgewehrt worden seien. So titelt die SAV: „Angriff abgewehrt, Gegenoffensive verpasst“. Ähnlich sieht das Olaf Harms in der UZ „Licht und Schatten“. Die Sol (Sozialistische Organisation Solidarität) meint: „Kampfkraft nicht genutzt“ und „ernüchterndes Ergebnis“. Auch RIO nennt das Ergebnis „,mager“. Die Rote Fahne schreibt „das Ergebnis: ein fauler Kompromiss, weil die volle gewerkschaftliche Kampfkraft nicht eingesetzt wurde“.

Apparat

Alle diese Einschätzungen sind näher an der Realität als die selbstgefällige Lobhudelei, die ver.di selbst verbreitet. Letztere wird nicht besser dadurch, dass ein Teil der Mitglieder das Einknicken der Verhandlungsführung unterstützte oder keine Alternative dazu sah. Aber sehr viele protestieren auch gegen diesen Abschluss auf Webseiten von ver.di oder in öffentlichen Medien. Aus den Kreisen der vielen Gewerkschaftssekretär_Innen, von denen etliche in linken Organisationen wie DIE LINKE, IL oder marx21 politisch organisiert sind, ist kein Anflug einer Kritik zu hören, alle tragen brav die Entscheidung mit. Sie verwechseln die Disziplin innerhalb einer Arbeiter_Innenorganisation, beschlossene Aktionen auch gemeinsam durchzuführen, mit einer innerhalb eines Apparates gegen diese Organisation: In einer Phase, in der ein Abschluss diskutiert werden soll, vertreten diese „Hauptamtlichen“, wie sie sich selber nennen, die Linie der Spitze und bekämpfen die Kritik, die von der Basis geäußert wird. Das Gleiche gilt für die breite Masse der betrieblichen Spitzenfunktionär_Innen, der sogenannten Ehrenamtlichen, der linken wie der rechten.

Diese Einstellung der „Linken“ in der Struktur von ver.di ist verheerend. Sie führt erstens dazu, dass sich die Kritik aus der Basis nicht wirklich innerhalb der Gewerkschaft ausdrücken kann. Diejenigen, die innerhalb der Strukturen Funktionen innehaben, weigern sich, sich zum Sprachrohr der Kritik zu machen. Sie überlassen die Basis sich selbst und sind hauptverantwortlich dafür, wenn jetzt gerade kritische Kolleg_Innen den Laden verlassen. Zweitens sind damit auch die nächsten Niederlagen vorprogrammiert. Dies wird innerhalb von ver.di vor allem der ÖPNV sein mit den Tarifverträgen Nahverkehr. Für die ganzen schlechter und schwächer organisierten Beschäftigtengruppen ist das Signal, das ver.di gegeben hat, eine wirkliche Entmutigung.

Diese Verweigerung der Linken im ver.di-Apparat, sich zum Sprachrohr der kritischen Teile der Gewerkschaftsbasis zu machen, wird übrigens voll auch von der Partei DIE LINKE getragen. Der Vorstand hat bisher kein einziges Wort der Kritik veröffentlicht und damit gezeigt, dass die Partei in dieser Frage als Wasserträgerin des reformistischen ver.di-Apparates fungiert und null Unterschied zur SPD darstellt. Auf unterer Ebene der Linkspartei gab es kritiklosen Jubel (Niedersachsen), leichte Kritik (z. B. Oberhausen), aber auch kommunale MandatsträgerInnen, die sich von Anfang an mit Blick auf ihre Gemeindefinanzen gegen die Forderungen gestellt hatten.

Zurückbleiben

Aber auch die Gruppen und Organisationen, die Kritik an dem Abschluss üben, müssen sich fragen, ob ihre Antworten ausreichend sind. So ist das Bemühen, dem Abschluss noch etwas Gutes abzugewinnen, mehrfach problematisch: Erstens führt es zu falschen oder unzureichenden Schlussfolgerungen bezüglich der betroffenen Kolleg_Innen. Zweitens zu falschen Perspektiven für die weiteren Tarifrunden und alle Abwehrkämpfe gegen die Krise.

Erstens gehört es zum ABC jeglicher Verhandlung auf jeglichem Gebiet, dass auch weitergehende Forderungen aufgestellt werden, auf die im Laufe der Verhandlungen verzichtet werden kann. Frank Werneke beispielsweise hat ja sehr offen zum Thema Laufzeit erklärt, dass die Forderung nach einem Jahr nie ernst gemeint gewesen sei, „weil da ja dann Bundestagswahl“ wäre. Warum das nicht gehe, ist damit noch nicht erklärt, aber anschaulich dargestellt, wie die Spitzen der Bürokratie zur „demokratischen Beschlüssen“ stehen. Natürlich stellt auch die andere Seite weitergehende Forderungen als Verhandlungsmasse auf. Linke sollten daraus lernen, nicht Scheinerfolge zu preisen oder kleine Lichter im großen Schatten auszumachen.

Zum Zweiten ist es eine sehr gängige Methode bei Tarifabschlüssen, diese möglichst nicht nachrechenbar zu gestalten: Tariferhöhungen, die in die Lohnstruktur eingehen, werden mit Einmalzahlungen vermengt. Gerne können einzelne Positionen in einzelnen Bereichen zeitlich verschoben, manchmal können bestehende Zahlungen angerechnet werden. Das Ganze dann unterschieden nach Einkommenshöhe usw. Das lässt jede Menge Spielraum für Schönrechnerei.

Ver.di hat diesmal vor allem auf den Trick gesetzt, die Minderheit der Beschäftigten in Krankenhäusern besserzustellen gegenüber allen anderen, die Reallohnverlust erleiden werden.
Die Krankenhausbeschäftigten, die noch im öffentlichen Dienst arbeiten und für die der Tarif gilt, stellen übrigens auch nur die Minderheit der Gesamtbeschäftigten in diesem Sektor dar. Ver.di hat also als Preis für diese Abschlusskosmetik mit einer neuen Spaltungslinie bezahlt, mit einem hohen Frust bei der Masse der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und besonders bei denen, die an anderer Stelle im Gesundheitswesen arbeiten, zum Beispiel als Rettungssanitäter_Innen oder in den Gesundheitsämtern.

Es ist also ein Fehler für Linke, dies mit dem reinen Geldbeutelblick zu analysieren und als „gut für die einen, schlecht für die anderen“ zu befinden. Die Spaltung schwächt die gesamte Klasse, auch diejenigen, die noch ein paar Rosinen abbekommen. Sie ist vor allem schlecht in einer Zeit, in der die Klasse als Ganzes angegriffen wird und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, wo dieser Angriff vom bürgerlichen Staat organisiert wird, aber auch von rechten PopulistInnen. Heute, wo es so bitter nötig ist, dass wir die Perspektive „uns als Klasse gemeinsam gegen Kapital und Staat zu wehren“ gegen nationalistische und rassistische Demagogie verbreiten, sind der Reallohnverlust und die Entsolidarisierung durch diesen Tarifabschluss politisch verheerend. Sie stellen genauso eine Spaltung der Klasse dar wie die Standortpolitik der IG Metall, die die Beschäftigten dazu erzieht, ihre Interessen auf Kosten der Leiharbeiter_Innen und der Kolleg_Innen bei der Konkurrenz im eigenen Konzern, in anderen Unternehmen oder in anderen Ländern zu sichern.

Die Halbherzigkeit in der Analyse, das Bemühen, auch da noch Licht zu sehen, wo keines ist, fällt im Grunde auf die Strickmuster der Bürokratie für Tarifabschlüsse und zugleich auf deren ökonomistische, unpolitische Herangehensweise herein. Das wird dann auch bei Schlussfolgerungen deutlich, die von den meisten Linken gezogen werden. Fast alle weigern sich, eine Niederlage zu erkennen, wo sie stattfindet. Aber aus Niederlagen muss man lernen. Das gilt für Linke ebenso wie für gewerkschaftliche AktivistInnen und die große Masse.

Die entscheidende Antwort auf eine Führung, die bewusst Niederlagen organisiert, ist der Kampf für eine neue!

Kritik von links auf halbem Wege

Dies formuliert am klarsten die VKG: „Festzuhalten ist: Zu einem solch umfassenden Kampf war die Gewerkschaftsführung offenbar nicht bereit, einen solchen wagen sie seit langem nicht mehr zu führen. Und von der Basis her gab es die große Druckwelle nicht, die den Apparat in diese Richtung unter Druck gesetzt hätte. Dies hängt auch damit zusammen, dass auf gesamtgewerkschaftlicher Ebene eine sichtbare klassenkämpferische Strömung fehlt, die für Unentschlossene eine Orientierungshilfe oder Ermutigung hätte sein können. Diese gilt es aufzubauen.“ Leider scheut sich auch diese Erklärung, eine Niederlage als das zu bezeichnen, was sie ist. Unsere GenossInnen im Koordinationskreis der VKG sind hier in der Minderheit geblieben.

Auch die Sol, ebenfalls Teil der VKG, fordert in ihrer Erklärung: „Nun geht es darum, eine kämpferische Opposition innerhalb von ver.di aufzubauen, um zukünftig wirkliche Verbesserungen zu erreichen.“

Die SAV, obwohl auch Teil der VKG, kann sich in ihrer eigenen Erklärung nicht dazu entschließen, eine Opposition in den Gewerkschaften als Perspektive anzugeben. Sie beschränkt sich darauf, von der Gewerkschaftsführung den Bruch mit der Großen Koalition und der SPD zu fordern: „Für eine solche politische Kampagne muss sich die Gewerkschaftsführung aber mit den Parteien in der Großen Koalition im Bund anlegen, anstatt der SPD bei den Wahlen weiter die Treue zu halten.“

Ja, sie kritisiert die ver.di-Führung nur dafür, eine „Gelegenheit verpasst“ zu haben, „Kämpfe zusammenzuführen und die nötige gesellschaftliche Antwort in diesen Zeiten zu geben und den Widerstand aufzubauen.“ Ob Werneke für solche guten Ratschläge ein offenes Ohr hat?

Olaf Harms in der UZ beschreibt sehr richtig, was politisch nötig wäre: der Kampf gegen Fallpauschalen und Privatisierung sowie für Arbeitszeitverkürzung (AZV): „Es gilt nun nicht nachzulassen, den gestiegenen Kampfgeist auch angesichts der offensichtlichen Widersprüche in dieser Krise zu nutzen, weiter zu diskutieren und zu kämpfen: Für mehr Personal, kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen. Eine Erhöhung des Personals in den Krankenhäusern ist entsprechend des tatsächlich vorhandenen Bedarfes mittels einer Personalbemessung notwendig. Mit den bestehenden Fallpauschalen ist das nicht zu machen – sie müssen weg. Nach der überfälligen Angleichung der Arbeitszeiten von Ost an West muss endlich die Forderung über eine grundlegende Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich verhandelt werden – 30 Stunden die Woche sind genug. Und es geht um den Kampf gegen Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge.“

Aber er verschweigt, dass diese Forderungen und Ziele bewusst von der Führung aus dem Tarifkampf ausgeklammert worden waren: Die AZV war schon ein Beschluss des letzten Gewerkschaftstages. Dass die Privatisierung und die Fallpauschalen angegriffen werden sollten, dafür gab es Beschlüsse vor der Tarifrunde. Die Frage nicht aufzuwerfen, warum die Bürokratie, das verhindern wollte und verhinderte, heißt letztlich, deren Politik abzudecken und den Basisaktivist_Innen zu raten, einfach tapfer weiterzukämpfen, so wie es auch die reformistischen Führer_Innen der Gewerkschaften immer nach Niederlagen tun.

Auch RIO greift in ihrer ersten Stellungnahme einen richtigen Ansatz auf: Sie schlägt vor, von der Basis her die Ablehnung des Tarifergebnisses zu organisieren. „Das Verhandlungsergebnis muss von allen Beschäftigten abgestimmt werden und das Abstimmungsergebnis sollte mit einfacher Mehrheit für die Bundestarifkommission (BTK) und alle Gremien von ver.di bindend sein.“ In einem anderen Artikel wird gefordert: „Es braucht, besonders jetzt nach dem Tarifabschluss, demokratische Online-Versammlungen der Beschäftigten und ein Programm, um gewerkschaftlich Druck für weitere Kämpfe aufzubauen.“ Wie aber eine Bewegung der Basis in einer Organisation organisiert werden soll, deren Organisationsstrukturen von der Bürokratie beherrscht werden, sagt RIO nicht – auch wenn sie generell eine scharfe Kritikerin der Bürokratie ist. Der Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung kann aber nicht mit einer spontanen Bewegung von unten gleichgesetzt werden, insbesondere wenn jeder Spontaneismus von Corona gedämpft wird.

Bleiben noch die Stimmen aus dem postautonomen Spektrum. Im AK schrieben Daniel und Lisa (IL) noch vor dem Abschluss zu Recht, dass „es sich bei den aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst um eine Schlüsselauseinandersetzung in den heraufziehenden Verteilungskämpfen um die Finanzierung der Krisenkosten handelt. Ihre politische Bedeutung geht jedoch über eine bloße Umverteilung von Geldern hinaus, denn diese Tarifrunde ist auch ein feministischer Kampf: Sie betrifft wichtige Bereiche des öffentlich verwalteten gesellschaftlichen Reproduktionssektors.“ Aber schon da verzichteten sie darauf, die Führung dieser Tarifrunde durch ver.di auch nur mit einem Wort an dieser politischen Erkenntnis zu messen. Vielmehr wird die Unverschämtheit der Arbeit„geber“_Innen beklagt und ver.di noch für den „Gesundheitstisch“ gelobt. Dabei war schon damals klar, dass dieser keineswegs die ursprünglichen, schon fallengelassenen Forderungen nach Privatisierung, Abschaffung der Fallpauschalen, Personalbemessungsschlüssel verfolgen würde, sondern die Spaltung der ÖD-Belegschaften vorbereitete.

So fokussiert der Artikel auf die Bewusstseinserweiterung der Beschäftigten:

„Wir haben es den erfolgreichen Kämpfen der letzten Jahre zu verdanken, dass es überhaupt zu einem Konflikt kommt und ver.di eine Nullrunde – und damit den Einstieg in die nächste Runde Austeritätspolitik – nicht einfach akzeptiert. Auch dass der Widerspruch zwischen Dankbarkeit und materieller Anerkennung so deutlich zutage tritt, ist ein Erfolg der vergangenen Kämpfe von Krankenhausbeschäftigten. Es ist unsere Aufgabe als radikale Linke, genau in diese Widersprüche zu intervenieren und uns mit den Beschäftigten aktiv zu solidarisieren.“ Also ver.di ist irgendwie scheiße und hätte am liebsten ’ne Nullrunde akzeptiert, aber wir haben keine politische Kritik daran, solidarisieren uns mit den Beschäftigten, helfen ihnen aber nicht gegen die Bürokratie. Das ist eine „radikale Linke“ so recht nach dem Geschmack von Frank Werneke.

Ähnlich die RAS aus Stuttgart. Ihre Unterorganisation „Solidarität und Klassenkampf“ benennt in ihrer Analyse viele der Schwachstellen des Ergebnisses und geht von einer starken Ablehnung dessen aus: „Deshalb fordern wir auch alle Beschäftigten auf, bleibt ver.di Mitglieder! Nichts wäre falscher, als auszutreten und unsere Kampfkraft zu schwächen.“ (https://solidaritaet-und-klassenkampf.org/2020/10/ein-respektables-ergebnis-oder/) Aber der Vorwurf der Schwächung wird keineswegs an die Führung gerichtet und es wird auch kein Kampf gegen diese propagiert jenseits dessen, das Ergebnis in Abstimmungen abzulehnen.

Das Fehlen einer expliziten Kritik am Vorgehen des Apparates in Verbindung mit der Perspektive, dass die Beteiligung an den Streiks nur größer werden müsste, um mehr Druck auf die Arbeit„geber“_Innenseite aufzubauen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen, bedeutet: Es wird letztlich die Schuld der Gewerkschaftsbasis in die Schuhe geschoben, die halt noch nicht so weit sei.

Stattdessen sollen die Unzufriedenen für den Sozialismus kämpfen: „Wir wollen aber mehr als die Gewerkschaften. Uns geht es nicht nur um ein paar Prozente mehr oder weniger, sondern um ein grundlegend anderes System.“ Der Weg dahin ist natürlich „lang“. Deshalb tut es auch den reformistischen Bürokrat_Innen nicht weh, wenn die Genoss_Innen der RAS ihnen heute brav keine Steine in den Weg legen.

Hoher Aktivismus, wie ihn die RAS und ihr Umfeld an den Tag legen, ist gut. Aber er ist kein Mittel um die rechten, prokapitalistischen Positionen des Gewerkschaftsapparats zu bekämpfen. Einflussnahme der Basis, wie sie RIO propagiert, ist nötig im Kampf gegen die Bürokratie, aber sie braucht noch Organisierung unabhängig von jener und ein entsprechendes politisches Kampfprogramm. Die VKG und die darin aktiven Gruppen haben den Schritt gemacht, die aktuellen Kämpfe mit dem permanenten Eintreten für den Aufbau einer antibürokratischen Opposition in den Gewerkschaften zu verbinden.

Es sind Auseinandersetzungen wie dieser Tarifkampf, die aufzeigen, was das Ziel einer solchen Opposition sein muss: Eine Verankerung in den Betrieben aufzubauen und eine Struktur, die das Monopol der Bürokratie in der Propaganda und der Aktion durchbrechen kann: eine klassenkämpferische Basisbewegung.

Wir wenden uns an alle kritischen und unzufriedenen Kolleg_Innen genauso wie an die Organisationen der radikalen Linken, die diesen Abschluss kritisch bewerten: Zieht die entscheidende Konsequenz aus dieser Niederlage: Bauen wir gemeinsam die VKG auf, bündeln wir unsere Kräfte gegen die Bürokratie und führen wir eine solidarische Debatte, um unsere Differenzen zu klären!