Verhütung als Klassenfrage: Wie ein deutscher Pharmakonzern die Bevölkerung im Globalen Süden kontrolliert

von Erik Likedeeler, Juli 2023

Einleitung

Zwischen 2015 und 2018 klagten weltweit Anwender_Innen der Verhütungsspirale Essure über Schmerzen, Blutungen, Fieber, Depressionen und ungewollte Schwangerschaften. Der Hersteller Bayer war gezwungen, das Produkt vom Markt zu nehmen – doch Schmerzensgeld bekamen nur die Betroffenen aus Europa und den USA, nicht diejenigen aus Brasilien.

Rassistische Unterdrückung in der Verhütungsbranche lässt sich nicht als einzelner „Vorfall“ oder „Skandal“ beschreiben – vielmehr gehörte sie von Anfang an zur grundlegenden Aufgabe dieser Industrie.

Im Jahr 2020 war der globale Verhütungsmarkt mehr als 26 Milliarden US-Dollar schwer und soll sich bis 2030 auf 50 Milliarden US-Dollar vergrößern. In Lateinamerika, Afrika und im „Nahen Osten“ stellt die Verhütungsindustrie den am stärksten wachsenden Markt dar.

Doch welche Rolle spielt Verhütung im imperialistischen System, und wie trägt sie zur Unterdrückung von Halbkolonien bei?

Beginn der Hormonforschung: Vernichtungspolitik

Die Geschichte der Verhütungstechnologie ist nicht ohne die Geschichte der gezielten Bevölkerungskontrolle vorstellbar. Denn Reproduktion ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die wirtschaftliche und kulturelle Expansion.

So war die erste Motivation für die Forschung an hormoneller Verhütung keine Gleichstellungs- sondern Vernichtungspolitik. Maßgeblich etabliert wurde sie durch das NS-Regime.

In den 1930er Jahren fand der SS-Arzt Carl Clauberg heraus, dass sich durch synthetische Hormone die Menstruation und damit auch der Eisprung verhindern lassen. 1942 wurde er im Auftrag von Heinrich Himmler in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau geschickt. Sein Ziel war es, eine „effiziente“ Methode zu finden, um möglichst viele Frauen ohne eine komplizierte Operation unfruchtbar zu machen. Bis zum Kriegsende führte er schmerzhafte bis tödliche Experimente an Hunderten von Menschen durch.

Verhütung unter kolonialem Vorzeichen

Die ersten Verhütungspillen wurde in den 1950er Jahren in den USA entwickelt. Zunächst wollte die männlich dominierte Pharmaindustrie nichts mit dieser Angelegenheit zu tun haben. Deshalb übernahm die Biologin und Millionenerbin Katharine McCormick die Finanzierung der Forschung.

Ihr Motiv war es, Schwangerschaften bei armen und ungebildeten Personen zu verhindern, um ganz im Sinne der Eugenik die „Qualität“ des Bevölkerungsdurchschnitts zu heben. Ihre Testpersonen waren unter anderem Patientinnen einer psychiatrischen Anstalt. Dabei wurde 16 Frauen der Uterus aufgeschnitten, um die Wirkung der Hormone an den Organen nachzuvollziehen.

Bei diesen Experimenten waren koloniale Bestrebungen schon von Beginn an eingeplant. Es gab eine großangelegte Studie an puerto-ricanischen Frauen, die in Slums lebten. Diese wurden nur unzureichend über das Medikament aufgeklärt; die Nebenwirkungen wurden heruntergespielt. Fünf Frauen sollen während der Testreihe ums Leben gekommen sein, eine davon durch Suizid.

Erst als der wirtschaftliche und neokoloniale Nutzen der Verhütungsmittel Bekanntheit erlangte, erfuhr ihre Herstellung und Vermarktung gesellschaftliche Akzeptanz. Mitte der 1960er Jahre entstanden in den USA Gesundheitszentren, die sich mit Familienplanungsprogrammen und kostenlosen Verhütungsmitteln besonders an die Schwarze Bevölkerung richteten.

Es entstanden neue Gesetze, welche Sterilisationen und den Einsatz von minderwertigen Langzeitverhütungsmitteln bei Schwarzen Frauen rechtfertigen sollten. Beispielweise wurden Sozialwohnungen manchmal nur dann an Schwarze Frauen vergeben, wenn diese zustimmten, sich Verhütungsimplantate einsetzen zu lassen. Doch wenn das finanzielle und soziale Überleben auf dem Spiel steht, kann von „Zustimmung“ keine Rede mehr sein.

Wie viel Selbstbestimmung steckt im Hormonimplantat?

Mit diesen Gesetzesänderungen begann eine neue Reihe von medizinischen Verbrechen. Ab 1971 bekamen insgesamt 2,8 Millionen Frauen die Spirale Dalkon Shield eingesetzt, darunter hauptsächlich Women of Color. Viel zu spät wurde bekannt, dass Dalkon Shield zu heftigen Verletzungen des Uterus, Entzündungen des Vaginaltrakts, ungewollten Schwangerschaften und zum Tod führte. Obwohl das Risiko den zuständigen Wissenschaftler_Innen bewusst war, wurde die Spirale erst 1974 vom Markt genommen. Sie wurde direkt nach Asbest zum weltweit zweitgrößten Fall von Schadensersatzanklagen.

Ebenfalls in den 1970er Jahren wurde in den USA die Verhütungsspritze Depo Provera verboten, nachdem sie an Schwarzen und an verarmten weißen Frauen getestet worden war. Ihre Nebenwirkungen sind unter anderem Krebs und dauerhafte Unfruchtbarkeit. In Großbritannien und Australien wurde sie in den 1980ern weiterhin Schwarzen, Indigenen und verarmten weißen Frauen verabreicht, denen nichts von der Gefahr mitgeteilt wurde.

In den 1990ern wurde Depo Provera auch in den USA erneut eingeführt. Noch heute verhüten damit 74 Millionen Frauen, hauptsächlich in Sub-Sahara-Ländern wie Namibia, Südafrika und Madagaskar.

Ebenfalls in den USA der 1980er und 1990er mussten sich Schwarze Menschen, die positiv auf Drogen getestet worden waren, zwischen Gefängnis und dem Verhütungsimplantat Norplant entscheiden. Norplant ist dafür bekannt, Schmerzen, Blutungen, Kopfschmerzen und Schwindel auszulösen. Aufgrund von Nebenwirkungen wie Depressionen, Blindheit und Hirntumoren wurde es 2002 vom Markt genommen.

Neuer Name, altbekannte Nebenwirkungen

Nur wenige Jahre nach der internationalen Kritik zu Norplant lieferte Bayer bereits das Nachfolgermodell Jadelle. Der Name des Produkts hat sich zwar verändert, doch der Wirkstoff, die Anwendungsart und die Nebenwirkungen sind genau die gleichen wie zuvor. Der einzige Unterschied ist die Anzahl der Stäbchen, die in den Oberarm implantiert werden.

Heute bringt Bayer minderwertige Langzeitverhütungsmittel wie Jadelle gezielt in die Arztpraxen von Halbkolonien. Das funktioniert so, dass Regierungen oder internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Bill & Melinda Gates Foundation die Implantate und Spritzen in gigantischen Summen von Bayer kaufen, um sie billig oder kostenlos an Frauen aus Afrika und Südasien zu verteilen.

Jedes Jahr werden Millionen von Frauen Hormonpräparaten mit schwerwiegenden Nebenwirkungen ausgesetzt. Das ist der Grund dafür, warum 58% der Nutzerinnen von Jadelle das Produkt bereits vor dem Ablauf der veranschlagten 5 Jahre entfernen lassen. Während der Anwendungszeit kann das Implantat so fest in den Oberarm einwachsen, dass Haut und Fleisch mitentfernt werden müssen.

Der Mythos Überbevölkerung

Der eigentliche Grund für die globale „Entwicklungspolitik“ ist die weit verbreitete und zutiefst rassistische Vorstellung, es gäbe in Halbkolonien eine Überbevölkerung, die bekämpft werden müsste. Dadurch sollen gesellschaftliche Krisen, welche eigentlich durch den Kapitalismus hervorgerufen werden, im Sinne der imperialistischen Machtverteilung vorübergehend abgemildert werden.

Als Kommunist_Innen wissen wir, dass es keine Überbevölkerung gibt und dass Hunger und Armut sich nicht auf ein Bevölkerungswachstum zurückführen lassen. Das eigentliche Problem ist die kapitalistische Produktionsweise, bei der ein Großteil der Anbaufläche für Tierfutter genutzt wird und Lebensmittel im Müll landen anstatt auf dem Teller. Eine Produktionsweise, bei der Kapitalist_Innen den Mehrwert unserer Arbeit für sich behalten und sich die Ressourcen von Halbkolonien aneignen.

Die globalen Ausbeutungsverhältnisse aufzuheben, liegt nicht im Interesse der herrschenden Klasse. Statt durch Umverteilung und Planwirtschaft sollen Krisen aufgehoben werden, indem die bürgerliche Kleinfamilie mit wenigen Kindern zum allgemeinen Emanzipationsideal erklärt wird.

In den ärmsten Ländern der Welt ist das kaum umzusetzen, denn dort ist die Kindersterblichkeit hoch und Nachkommen stellen die einzige Form der Altersvorsorge dar. Auch in Deutschland verlor das Interesse an vielen Nachkommen erst an Relevanz, nachdem die Arbeiter_Innenbewegung die Rentenversicherung erkämpft hatte.

Sollte die Pille abgeschafft werden?

Angesichts all dieser Probleme wäre es leicht, die Forderung aufzustellen, dass solche Giftmittel wie Hormonimplantate und Verhütungsspritzen sofort verboten gehören. Doch die Abschaffung der aktuellen Verhütungsmittel wäre ein komplett falscher Schritt, solange keine besseren Alternativen existieren.

Wir stehen vor dem sogenannten Verhütungsparadox: Ein Verhütungsmittel kann gleichzeitig zur Selbstbestimmung und zur Fremdbestimmung dienen, je nachdem, zu welchen Teilen es freiwillig und aus einer selbstbestimmten Entscheidung heraus angewendet wird, und zu welchen Teilen Zwang und fehlende Alternativen die Ursache sind.

Umso relevanter ist es heute für uns, progressivere Forderungen zu vertreten und dem Recht auf Selbstbestimmung die oberste Priorität einzuräumen. Die Frage nach der Verhütung ist essentiell für den Kampf gegen Frauenunterdrückung. Deshalb müssen wir für die Ausweitung der Forschung in medizinisch gut verträgliche und sichere, nicht-hormonelle Alternativen eintreten – für alle Geschlechter.

Forderungen

  • Kostenlosen Zugang zu sicherer Verhütung, medizinischer Beratung und sexueller Aufklärung weltweit!
  • Entschädigungszahlungen für alle Betroffenen von gesundheitsgefährdenden Präparaten!
  • Enteignung der Pharmaindustrie unter Arbeiter_Innenkontrolle! Mit unserer Gesundheit darf kein Profit gemacht werden!
  • Schluss mit den erpresserischen Verfahren der Geburtenkontrolle in halbkolonialen Ländern! Zugang zu Sozialleistungen und medizinischer Versorgung für alle, ohne Gegenleistung und finanziert durch die Besteuerung der Reichen!
  • Kampf dem Imperialismus! Für eine revolutionäre, antikapitalistische Bewegung der Jungend, Arbeiter_Innen und allen Unterdrückten dieses Systems!



Intergeschlechtlichkeit: Was hinter dem I in LGBTIA steht

Von Erik Likedeeler, Mai 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Noch vor dem Beginn eines Lebens stellen sich viele werdende Eltern die Frage: „Junge oder Mädchen?“ Es werden Erwartungen gestellt an das Verhalten, das Aussehen und die Rolle des zukünftigen Kindes. Aber was, wenn der Körper des Kindes diesen Erwartungen nicht entspricht?

Als intergeschlechtlich werden Körper verstanden, die von außenstehenden Personen weder als männlich noch als weiblich identifiziert werden können. Intergeschlechtlichkeit zeigt sich zum Beispiel durch verschiedene Varianten der X- und Y-Chromosomen, durch im Körper liegende Hoden bei einem weiblich gelesenen Äußeren oder durch Geschlechtsteile, die als große Klitoris und als kleiner Penis interpretiert werden könnten.

In einer binärgeschlechtlich denkenden Welt ist die Situation intergeschlechtlicher Menschen von Diskriminierung, medizinischer Missachtung und bürokratischen Hindernissen geprägt. Die Tabuisierung des Themas unter dem Motto „Sag‘ es niemand anderem!“ übt starken Druck auf inter Personen aus.

In diesem Artikel soll es darum gehen, wie intergeschlechtliche Personen in Deutschland von Geburt an diskriminiert und misshandelt werden, und wie dagegen vorgegangen werden kann. Außerdem soll auf das dialektische Verhältnis zwischen dem „sozialen“ und dem „biologischen“ Geschlecht eingegangen werden. Hauptquellen sind „The state’s hands in our underpants“ von Theresa Anna Richarz und der Parallelbericht zum 5. Staatenabkommen der BRD zum Übereinkommen gegen Folter.

Was passiert bei Operationen an intergeschlechtlichen Kindern?

In Deutschland sind 95% der intergeschlechtlichen Menschen von medizinischen Eingriffen nach der Geburt betroffen. Seit den 1950er Jahren sind kosmetische Operationen an inter Säuglingen und Kleinkindern medizinisch institutionalisiert. Bestandteil der Operationen ist die Entfernung der hormonproduzierenden Keimdrüsen (Gonadektomie). Dadurch kommt es zu psychischen und körperlichen Folgeerkrankungen. Es werden lebenslange Hormonersatztherapien und Folgeoperationen erforderlich und die Person wird dauerhaft unfruchtbar.

Außerdem erfolgt eine Beschneidung der äußeren Geschlechtsorgane, die mit dem Verlust der erotischen Empfindsamkeit einhergeht. Für die Zwangszuweisung zu einem Standardgeschlecht messen Ärzt_Innen die Größe der Genitalien, um zu bestimmen, welche Rolle diese am ehesten beim traditionellen heterosexuellen Geschlechtsverkehr einnehmen könnten. In 85-90% der Fälle wird der Körper feminisiert. Ein Grund dafür ist die chirurgische Machbarkeit. Ein weiterer ist die sexistische Annahme, Frauen könnten eher ohne erfüllende Sexualität leben als Männer.

Während bei maskulinisierenden Operationen Größe und Funktion des Penis im Mittelpunkt stehen, geht es bei feminisierenden Operationen darum, den Körper auf Geschlechtsverkehr vorzubereiten. Es wird eine Neo-Vagina angelegt, welche regelmäßig durch das Einführen harter Gegenstände gedehnt werden muss, bis sie als penetrierbar gilt. Ohne das Einverständnis der betroffenen Person stellt das eine Misshandlung dar – die in vielen Fällen routinemäßig von den eigenen Eltern durchgeführt wird.

Ungefährliche Varianten der Geschlechtsentwicklung werden zu Störungen erklärt, die Angleichung an die Norm als Heilung dargestellt. Dahinter steckt der Gedanke, dass Menschen die Zweigeschlechtlichkeit am ehesten akzeptieren würden, wenn sie nie etwas von ihrer Intergeschlechtlichkeit erfahren. Laut einer in Hamburg durchgeführten Studie haben 50% der inter Personen, bei denen in der Kindheit irreversible operative Eingriffe vorgenommen wurden, Suizidgedanken.

Wie werden die Operationen rechtlich ermöglicht?

Die Einführung der Geschlechtsoption „divers“ wurde von der Hoffnung begleitet, Akzeptanz für intergeschlechtliche Körper zu schaffen. Doch die Aufmerksamkeit für das Thema hat nicht zum Ende der Operationen geführt. Meist werden die Eingriffe ohne medizinische Indikation verübt, ohne wirksame Einwilligung der Eltern und ohne Aufklärung über Risiken und Folgebehandlungen. Ärzt_Innen erwähnen selten, dass ein erfülltes Leben ohne Operation möglich ist.

In Deutschland ist es verboten, in die Sterilisation des eigenen Kindes einzuwilligen, doch bei intergeschlechtlichen Kindern kommt dieses Gesetz nicht zur Anwendung. In vergleichbaren Fällen wäre die stellvertretende Einwilligung in derart folgenschwere Eingriffe nur bei unmittelbar lebenserhaltenden Maßnahmen zulässig.

Seit Jahren besteht die Forderung, ein Operationsverbot durchzusetzen. 2021 wurde ein Gesetz dafür geschaffen, doch dieses zeichnet sich durch massive Lücken aus und lädt geradewegs dazu ein, umgangen zu werden. Mit Verweis auf ein angeblich erhöhtes Krebsrisiko darf weiterhin operiert werden, obwohl es keine Langzeitstudien gibt, die das beweisen.

Der Staat tut nichts, um diese Folter zu verhindern, sondern macht sich durch die Finanzierung mitverantwortlich. Gesetzliche Krankenkassen zahlen normalerweise nur für medizinisch indizierte Behandlungen, nicht für ästhetische Operationen. Doch die Standardisierung der Genitalien wird als dringend und medizinisch notwendig eingestuft.

Im Jahr 2000 wurde die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche von 30 auf 3 Jahre gekürzt. Viele inter Menschen erfahren erst zu einem viel späteren Zeitpunkt ihres Lebens von den Operationen. Auch hier zeigt sich Sexismus, denn die Beeinträchtigungen infolge einer Kastration werden bei weiblich kategorisierten Personen als weniger gravierend eingestuft. Außerdem ist es schwierig, Ansprüche geltend zu machen, denn Krankenakten sind oft unvollständig, „nicht verfügbar“ oder werden geschwärzt.

Das alles steht in krassem Widerspruch zum bürgerlichen Bild des „binären Geschlechts“. Dieses ist der ideologische Hintergrund, warum Intergeschlechtlichkeit so unterdrückt wird. Doch welches Verständnis von Geschlecht können wir dem entgegensetzen?

Wie kann ein marxistisches Verständnis von Geschlecht aussehen?

Aus unserer Sicht besteht das Geschlecht aus drei Bestandteilen: Zunächst der biologische Körper (engl. sex), der einfach erstmal existiert und mit Eigenschaften, wie schwanger werden zu können, unsere Lebensrealität prägt. Wie oben schon angemerkt, ist das biologische Geschlecht nicht binär (XX- oder XY-Chromosom), sondern bipolar, also die Veranlagungen stehen immer irgendwo zwischen diesen Kategorien. Als zweites das soziale Geschlecht (engl. gender), was die Rollenverteilung ist, in die uns die Gesellschaft drängt und in die wir eingeordnet werden. Die Geschlechterrollen entwickeln sich auf einer gesellschaftlichen Ebene, überspitzen biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern und naturalisieren eigentlich soziale Prägungen. Die Rollen stehen momentan vor allem unter dem Vorzeichen des Patriarchats und als Individuum kann man diese Kategorie nicht einfach auflösen. Der dritte Aspekt ist die Geschlechtsidentität, also das Bewusstsein über das Verhältnis zwischen dem biologischen und sozialen Geschlecht. Wenn diese übereinstimmen, dann spricht man von Cisidentiät, falls es abweicht, spricht man beispielsweise von Trans- oder nichtbinärer Identität. Die Geschlechtsidentität ist über das menschliche Leben fluide, geprägt von vielen Einflüssen und letztendlich weder binär noch bipolar, sondern polypolar. Alle drei Aspekte wirken aufeinander, stehen also in einem dialektischen Verhältnis zueinander und bilden miteinander das Geschlecht.

In diesem Verständnis von Geschlecht grenzen wir uns von jenen queerfeministischen Theorien ab, die annehmen, dass Geschlecht ausschließlich eine soziale Kategorie wäre, die durch Sprache und Handeln performt wird. Dabei wird davon ausgegangen, Geschlechtlichkeit würde nichts mit anatomischen Begebenheiten zu tun haben. Der Körper wäre lediglich Ausdruck einer wiederholten Inszenierung, die vollständig dekonstruiert werden könnte. Diese Praxis bietet keine politische Perspektive, denn individuelle Verhaltensänderung durch Sichtbarmachung, Bildung und Aufklärung greifen den Kapitalismus als Ursache der patriarchalen Unterdrückung nicht an.

Im Kontrast dazu bauen radikalfeministische Ansätze das Geschlecht vor allem auf körperliche Faktoren auf. Aus dieser Essentialisierung leiten sie die patriarchale Unterdrückung als naturgegeben ab – auch daraus ergibt sich keine politische Perspektive. Die Einordnung von Frauen als eigene ökonomische Klasse offenbart ein fehlgeleitetes Verständnis von Materialismus.

Soziale Ungleichheit ist nicht auf die Verschiedenheit der Körper, sondern auf die materielle Grundlage der Gesellschaftsorganisation zurückzuführen. Geschlecht ist als Dimension von Ungerechtigkeit eingelagert in kapitalistische Produktionsformen. Nachhaltige Veränderung des Bewusstseins kann demnach nur im Klassenkampf gegen den Kapitalismus erreicht werden.

Wie zeigt sich das dialektische Verhältnis im Alltag?

Die Frage, ob Eigenschaften biologisch erklärbar sind, ist schwierig, denn wir können unsere Sozialisation nicht einfach wegdenken. Wie tief diese in den Körper eingeschrieben ist, lässt sich exemplarisch an der Stimme erkennen. Häufig wird davon ausgegangen, dass Männer mit einer niedrigen und Frauen mit einer hohen Grundfrequenz sprechen. In Wahrheit gibt es einen großen Frequenzbereich, der unabhängig vom Geschlecht genutzt wird. Einerseits wird der Klang der Stimme von physiologischen Merkmalen wie der Größe des Kehlkopfes bestimmt. Andererseits spielen auch verhaltensbedingte Faktoren eine Rolle.

In Medien wird Geschlecht durch Intonation und Stimme überzeichnet. In Studien wurden Kinder gebeten, Wörter zunächst normal auszusprechen und dann so jungen/mädchenhaft wie möglich. Bei einer normalen Sprechweise gab es keine Unterschiede, diese traten erst bei der Nachahmung auf. Ungefähr ab einem Alter von 7 Jahren lernen Kinder dann unbewusst, ihre Stimme an ihr zugewiesenes Geschlecht anzupassen.

Dabei spielen dynamische soziale Faktoren eine Rolle: Eine sogenannte Knarrstimme, die mit Härte und Robustheit assoziiert wird, gilt allgemein als männliche Tendenz, wird jedoch auch von aufsteigenden, berufstätigen Frauen verwendet. Insgesamt ist die Grundfrequenz von Frauen in den westlichen Gesellschaften den letzten Jahrzehnten gesunken.

Soziale Vorstellungen sind mächtig und prägen die Erinnerungsleistung: Visuelles Wissen über das Geschlecht des_der Sprechenden spielt bei der Sprachverarbeitung eine Rolle und beeinflusst, wie wir die Stimme eines Menschen in Erinnerung behalten. Wie man an diesem Beispiel sieht, ist die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht nicht so einfach, und sowieso ist eine strikte Trennung zwischen Biologie und Sozialem immer verkürzend. Es zeigt auch, dass eine Binarität von biologischem Geschlecht nicht gegeben ist und wir uns dabei auf einem Spektrum befinden. Intergeschlechtlichkeit ist Ausdruck dessen.

Wir wollen für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet ihres Geschlechts gleichberechtigt und gefahrenfrei leben können. Deshalb fordern wir:

  • Das Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern. Geschlechtsangleichende Behandlungen nur mit Zustimmung der betroffenen Person, kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!

Doch formalrechtliche Verbote zu erringen, bringt wenig, wenn die praktische Wirksamkeit ausbleibt. Nur echte Akzeptanz von Intergeschlechtlichkeit kann dafür sorgen, dass das Operationsverbot kein symbolisches bleibt. Deshalb fordern wir zusätzlich:

  • Sicherstellung von aufklärungsbasierter Einwilligung, Information auch über Nichtbehandlung. Für selbstbestimmte Geschlechtsidentität, Sexualität, Fortpflanzung und Elternschaft für inter Personen!
  • Sensibilisierung und Fortbildung von Mediziner_Innen, Sicherstellung des Bewusstseins darüber, welche physischen, psychischen und sozialen Schäden nicht-indizierte kosmetische Operationen und Drüsenentfernungen zu Folge haben können. Zugleich auch Ausbau und Finanzierung von Beratungsangeboten für Eltern und Antidiskriminierungsstellen für Betroffene, unter Besteuerung der Reichen!
  • Aufarbeitung und Entschädigung vergangener Diskriminierung und Folter. Sicherstellung des Zugangs zur eigenen Krankenakte, Aufhebung der Verjährungsfristen.
  • Gegen die Pflicht, das eigene Geschlecht in offiziellen Dokumenten anzugeben. Für den Ausbau von geschlechtsneutralen Toiletten und Umkleiden im öffentlichen Raum.
  • Der Kampf für die Rechte von inter Personen muss Hand in Hand mit dem der Arbeiter_Innen gehen. Es braucht aber gleichzeitig auch den Kampf gegen jegliche LGBTIA-Feindlichkeit innerhalb der Arbeiter_Innenbewegung und das Recht auf Caucusse für Betroffene!
  • Menschen sind keine Sexobjekte! Kampf der bürgerlichen Sexualmoral, samt Binarität und Geschlechterrollen! Für die Vergesellschaftung der Hausarbeit!



5 Gründe, warum wir als Marxist_Innen gegen das nordische Modell sind

Von Leonie Schmidt, Juni 2023, zuerst veröffentlicht in der Neue Internationale 274 der Gruppe Arbeiter:innemacht

Nach wie vor ist es eine relevante Diskussion in der feministischen und linken Bubble, wie zum Sexkauf und zu Sexarbeit gestanden wird und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Dominierend sind hierbei einerseits ein Spektrum, was Sexarbeit als Arbeit wie jede andere hinstellt und von selbstbestimmten Dienstleister_Innen ausgeht, welche größtenteils keine Gewalterfahrungen während ihrer Tätigkeit erleben, wohingegen auf der anderen Seite Stimmen laut werden, die alle Sexarbeiter_Innen zu Opfern stigmatisieren, die wenn sie nicht direkt oder indirekt (bspw. durch Armut oder Drogensucht) gezwungen sein sollten, lediglich versuchen würden, ihre Traumata zu verarbeiten. Diese Argumentation basiert u. a. auf diversen Studien von Melissa Farley, welche den Anschein haben, dass alle Personen in der Prostitution Gewalterfahrungen sowie psychische Probleme erleben. Jedoch ist die Stichprobe von Farley höchst umstritten, da sie ihre Interviewpartner_Innen teilweise aus Aussteigerprogrammen bezieht (u. a. Farley 2004). Dass die Personen, die sowieso aufhören wollen, von den schrecklichen Zuständen berichten, die ihnen wiederfahren sind, ist logisch, lässt aber keinen Allgemeinschluss zu. Die Personen, die dennoch Farleys Argumentation folgen, repräsentieren oft radikalfeministische und bzw. oder kleinbürgerliche Tendenzen und fordern auch in Deutschland eine Regelung nach dem „nordischen Modell“.

Einige grundlegende Annahmen

Bevor wir uns dies näher anschauen, wollen wir einige Sachen kurz darstellen, die für die Auseinandersetzung mit diesem relevant sind. Wir wollen in diesem Text differenzieren zwischen Prostitution und Zwangsprostitution, da das für uns nicht dasselbe ist. Prostitution verstehen wir als den einvernehmlichen Verkauf direkter, zwischenmenschlicher sexueller Dienstleistungen, während das für Zwangsprostitution nicht gilt, denn diese ist nicht einvernehmlich. Diese klare Trennung kann aber nicht in jedem Fall getroffen werden, da Zwangsverhältnisse nicht nur durch physischen Zwang, sondern auch durch ökonomische Abhängigkeiten und Armut entstehen können.

Demnach verstehen wir Sexarbeit in einem ökonomischen Sinne jedoch als Arbeit, in jenem Sinne, dass nicht der Körper, sondern eine Ware in Form einer Dienstleistung „produziert“ wird, wofür die Ware Arbeitskraft notwendig ist, wenn die Dienstleistung in einem Lohnarbeitsverhältnis stattfindet. Dies passiert in einem abgesteckten Rahmen, in welchem eine zeitliche Begrenzung und eine der Praktiken festgelegt wird. Voraussetzung dafür, dass eine sexuelle Dienstleistung verkauft wird, ist also Konsens, mit anderen Worten: Konsens kann nicht gekauft werden. Wenngleich die Optik der Sexarbeiter_Innen eine Rolle in ihrer Tätigkeit spielt, so gilt das ebenso für andere Dienstleistungsberufe wie bpsw. Models oder Schauspieler_Innen, doch auch diese verkaufen nicht ihren Körper, wenngleich dieser ein Teil der Produktion der Dienstleistung ist. Sind die Sexarbeitenden angestellt oder scheinselbstständig, streicht sich ein/e Kapitalist_In bspw. als Bordellbetreiber_In oder Zuhälter den Mehrwert ihrer Arbeit ein, besitzt die Produktionsmittel (bspw. Räumlichkeiten, Verhütungsmittel etc.) und bestimmt die Arbeitsbedingungen. Insofern kann Sexarbeit als Lohnarbeit angesehen werden. Das soll nicht verharmlosen, dass es während dieser Tätigkeiten nicht selten zu Gewalt und Übergriffen kommt und das auch in einer patriarchalen Klassengesellschaft keine Seltenheit ist, sondern betonen, dass Konsens lediglich die Möglichkeit eröffnet, dass Sexarbeitende selbstbestimmt für ihre Arbeitsrechte eintreten können, insofern sie sich in keinem Zwangsverhältnis befinden und sich genau gegen diese Gewalt und schlechten Arbeitsbedingungen organisieren können. Das bedeutet außerdem, dass Sexarbeit nicht der Grund für die Unterdrückung von Frauen und queeren Personen ist, sondern die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Produktion und Reproduktion im Kapitalismus sowie das daraus resultierende Ideal der bürgerlichen Familie und der damit einhergehenden Geschlechterrollen.

Natürlich dürfen nicht die Augen davor verschlossen werden, dass es auch bessergestellte Sexarbeitende gibt, welche ohne Zuhälter_In selbstständig agieren und mehr Freiheiten bzgl. der Arbeitsbedingungen und Gestaltung der Dienstleistung genießen. Diese sind auch oft im öffentlichen Diskurs zu finden und propagieren Sexarbeit als etwas per se Ermächtigendes. Sie machen allerdings nur einen sehr geringen Teil der Sexarbeitenden aus und somit kann man von deren Sichtweisen und Erfahrungen nicht auf die Gesamtheit schließen.

Genauso gibt es auch Personen, die sich in Zwangsverhältnissen befinden. Wie stark sie vertreten sind, ist schwer auszumachen, denn sie befinden sich unter dem Radar. Zwangsprostitution und Menschenhandel stellen klar Verbrechen und Vergewaltigungen dar und sind oft mit Sklaverei vergleichbar. Zwangsprostitution ist grundsätzlich abzulehnen und zu bekämpfen, dies steht nicht zur Diskussion. Aber nur weil imperialistische Mächte bis ins 19. Jahrhundert Sklav_Innen auf Baumwollplantagen quälten, ist es keine logische Schlussfolgerung, die Forderung nach einem Verbot der Arbeit auf Baumwollplantagen aufzustellen.

Was ist überhaupt das „nordische Modell“?

Das „nordische Modell“ wurde erstmals in Schweden in den 1990er Jahren eingeführt und besteht grob gesagt aus 3 Säulen, welche aber von Land zu Land variieren können: Entkriminalisierung der Sexarbeitenden, Kriminalisierung der Sexkäufer und Zuhälter, Förderung und Finanzierung von Ausstiegshilfen. Aktiv sind verschiedene Formen des „nordischen Modells“ neben Schweden unter anderem auch in Norwegen, Frankreich, Irland, Island, Israel und Kanada. Eingeführt werden diese Gesetze auf Basis einer feministisch-humanistischen Grundlage, die davon ausgeht, dass die Nachfrage sinken wird, sobald der Sexkauf selbst unter Strafe steht, und somit die Sexarbeiter_Innen von alleine nach anderen Berufen suchen, dass das gesellschaftliche Stigma rund um Sexkauf förderlich ist, um Freier abzuschrecken und Männer umzuerziehen, und Sexkauf in jedem Fall Gewalt bzw. eine Vergewaltigung darstellt. Außerdem soll so Menschenhandel in den Griff bekommen werden. Dadurch, dass das „nordische Modell“ bereits in Kraft getreten ist, gibt es eine Datengrundlage, um dieses auszuwerten. Allerdings lassen diese Daten viel Raum für Interpretation und werden ganz unterschiedlich ausgelegt, von Befürworter_Innen des „nordischen Modells“ anders als von Leuten, die dieses ablehnen.

1. Das Sexkaufverbot reduziert nicht die Anzahl der Sexarbeiter_Innen

Ein erklärtes Ziel durch die Kriminalisierung der Sexkäufer ist, durch eine gesunkenen Nachfrage auch das Angebot zu senken. Und so scheint es auch in mehren Fällen zu funktionieren: In Schweden und Nordirland sank die Anzahl der Straßenprostituierten nach der Einführung eines Sexkaufverbots. Allerdings sank nicht die Gesamtanzahl der Prostituierten, sondern es gab eher eine Verschiebung: in Nordirland bspw. in den Onlinebereich (Ellison et al. 2019) und in Schweden kam es nach einem kurzen Abfall auch wieder zu einem Anstieg in der Straßenprostitution und diese dürfte mindestens wieder auf demselben Niveau erfolgen wie vor der Installation des Gesetzes (Global Network of Sex Work Projects 2015). Zudem macht in Schweden die Straßenprostitution sowieso nur einen sehr geringen Teil der Branche aus (ebenda).

Die Idee, Dinge würden durch Verbote verschwinden, ist aber so oder so von vorne bis hinten ein Fehlschluss, wie man bspw. auch beim Verbot von Drogen oder Alkohol sehen kann, denn konsumiert wird trotzdem, nur eben viel unsicherer als vorher. Denn durch ein Sexkaufverbot werden eben nicht die Strukturen, die zur Prostitution führen, ausgehebelt. Das sind zum einen die ökonomischen Verhältnisse des Kapitalismus, die dafür sorgen, dass ein Lebensunterhalt erworben werden muss, und zum anderen das Patriachat, welches überhaupt erst für die gesellschaftliche Nachfrage nach Prostitution sorgt, verankern. Schon Friedrich Engels bezog die Prostitution in seine Betrachtungen der Entwicklung des Patriachats mit ein. Hier wird klar, dass dieses genau wie die bürgerliche Familie untrennbar mit dem Kapitalismus verwoben ist und sich über alle Klassengesellschaften hin zur heutigen Form entwickelt hat. Laut Engels bilden bürgerliche Familie und Prostitution zwei Seiten der gleichen Medaille, da es bei Ersterer v. a. um unbezahlte Reproduktionsarbeit bzw. Vererbung der Produktionsmittel, bei Zweiterer um sexuelle Befriedigung der Freier geht. Diese Teilung zwischen klassengesellschaftlichem Nutzen und sexueller Befriedigung existierte schon in vorkapitalistischen Klassengesellschaften. Bspw. im antiken Griechenland wurde es besonders deutlich mit der Dreiteilung zwischen Ehefrau, welche für Geburten und Familie zuständig war und das Haus quasi nicht verlassen durfte, der Hetäre für die sexuelle Befriedigung und der Geliebten, die die Romantik ins Spiel brachte.

Diese Teilung sehen wir auch im Kapitalismus, jedoch ist es eben nur noch eine zweifache. Die weiterhin auferlegte Monogamie, insbesondere für die Frau, trägt also auch ihren Teil dazu bei, dass gesellschaftliche Nachfrage nach Prostitution besteht. Das manifestiert sich auch in der widersprüchlichen bürgerlichen Sexualmoral und dem Madonna-Whore-Komplex, in welchem eine reine Ehefrau für das öffentliche Ansehen  einer perversen und zügellosen Prostituierten für das Ausleben der gesellschaftlich geächteten Fantasie gegenüberstehen. Solange also Kapitalismus und Patriachat bestehen bleiben, wird es auch eine Nachfrage nach Sexkauf geben.

2. Das Sexkaufverbot ist nicht hilfreich gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel

Eigentlich soll das Sexkaufverbot gegen Zwang, Gewalt und Menschenhandel vorgehen, aber wie die Beispiele Irland und Island zeigen, könnte eher das Gegenteil der Fall sein. Irland war vor der Einführung des Sexkaufverbots auf der bestmöglichen Stufe hinsichtlich Bekämpfung gegen Menschenhandel nach Einordnung des US-Außenministeriums, fiel aber um zwei Stufen zurück ebenso wie Island nach der Einführung des Sexkaufverbots (United States Department of State 2017 und United States Department of State 2020). Eigentlich liegt es auf der Hand: durch die Kriminalisierung wird Sexarbeit in den Untergrund gedrängt, wo zwielichtige Gestalten das Sagen haben und Zwangsverhältnisse an der Tagesordnung sind, was ebenso Menschenhandel fördern dürfte.

Wenn wir uns die Praxis anschauen, ist noch deutlicher, wie wenig hilfreich das „nordische Modell“ beim Kampf gegen Menschenhandel ist. Natürlich sind so die Hürden für Sexkäufer größer, Missstände zu melden, da sie eine Bestrafung fürchten (Global Network of Sex Work Projects 2015), wohingegen in einem entkriminalisierten oder legalisierten Rahmen wie in Italien auch Freier vermutete Zwangsprostitution melden (Krause-Schöne 2014). Interessanterweise wird in Italien auch aus allen politischen Richtungen gefordert, das Verbot von Bordellen wieder aufzuheben, um gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution besser vorgehen zu können (Migge 2018).

Auch die Polizei selber sagt, dass ihre Ressourcen so unnötig gebunden werden, denn wenn es keinen Fokus auf Zwangsprostituierte gibt, werden alle überprüft und es ist eben nicht so leicht nachzuvollziehen, wer das auf Basis von Konsens tut und wer nicht (Krause-Schöne 2014).

An dieser Stelle wollen wir uns natürlich nicht auf die Argumentation der Polizei verlassen genauso wenig, wie wir uns im Kampf gegen sexuelle Gewalt auf sie verlassen können. Denn die Zahlen sprechen Bände: Selbst in den für viele alltäglichen sexistischen gesellschaftlichen Verhältnissen führen Anzeigen sexueller und im allgemeinen patriarchaler Gewalt nicht zu sonderlich hohen Verurteilungen, im Gegenteil: Die Verturteilungsraten in Deutschland sinken sogar (Schwarz 2020). Das mag an der Definition davon liegen, wo diese Strafttatbestände beginnen, aber es liegt ebenso an den Beamt_Innen, die die Ermittlungen schleifen lassen oder Betroffene retraumatisieren. Weswegen also sollten wir uns nun drauf verlassen, dass die Polizei auf einmal ihre vermeintliche Rolle als Freund und Helfer ernst nehmen sollte?! Aus unserer Sicht besteht ihre Rolle in bürgerlichen Demokratien darin, die herrschenden Verhältnisse zu schützen. Dazu zählen die kapitalistischen Besitzverhältnisse genauso wie das Patriachat und die Ausbeutung von Arbeiter_Innen. Es gibt also keinen Grund zur Annahme, dass sie in dieser Hinsicht einmal auf der richtigen Seite stehen könnte.

3. Das Sexkaufverbot schützt Sexarbeiter_Innen nicht gegen Gewalt durch Polizei und Freier und verschlechtert die Arbeitsbedingungen

Polizeigewalt gegen Prostituierte ist somit auch in Ländern, wo Sexkauf verboten ist, keine Seltenheit. Vorkommen können bspw. sexualisierte oder physische Gewalt, willkürliche Arreste, Bestechung, Abnahme von Kondomen, keine Hilfe bei Anzeigenaufnahme, nicht konsensuelle HIV-Tests (Platt et al. 2018). Das führt dazu, dass die Arbeitsumgebung der Sexarbeitenden massiv unsicher wird und sie isoliert werden, weil gemeinschaftliche Unterstützung und Sicherheitsmaßnahmen durch andere Sexarbeitende (das gemeinsame Anmieten einer Wohnung zum Beispiel) oder sogar romantische Beziehungen als Zuhälterei gewertet werden könnten. Des Weiteren gaben 70 % der befragten Sexarbeiter_Innen in einer Studie in Frankreich, wo auch ein Sexkaufverbot gilt, an, dass sich ihr Verhältnis zur Polizei entweder verschlechtert habe oder es keine Verbesserung zu vorher gab (Le Bail et al. 2019). Ebenso können 38 % der Sexarbeitenden die Verwendung von Kondomen schlechter durchsetzen (ebenda), was zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, sich HIV oder andere sexuell übertragbare Krankheiten einzufangen, führen kann (Platt et al. 2018).

Des Weiteren wird das Screening der potentiellen Sexkäufer durch das „nordische Modell“ massiv erschwert (Global Networkt of Sex Work Projects 2015), was dazu führt, dass zwielichtige Kunden nicht einfach so aussortiert werden können. Gleichfalls sanken die Preise und Sexarbeitende sehen sich gezwungen, Kunden zu bedienen, die sie unangenehm finden, und Praktiken außerhalb ihrer Grenzen durchzuführen aufgrund der erhöhten Konkurrenzsituation (ebenda). Wir können also sehen: Selbst wenn offiziell die Sexarbeitenden nicht Opfer des „nordischen Modells“ sein sollen, so sind sie es doch am Ende, auf deren Rücken bürgerliche Moralvorstellungen verhandelt werden und deren Leben zusätzlich erschwert wird. Deswegen setzen wir uns für eine gewerkschaftliche Organisierung der Sexarbeiter_Innen ein, wie es auch mancherorts in der Gewerkschaft ver.di der Fall ist. So kann ein selbstbestimmter Kampf für bessere Arbeitsbedingungen (gegen Lohndumping durch festgeschriebene, angemessene Entlohnung der Arbeit, bestimmt durch die Arbeiter_Innen selbst) inklusive Schutzmaßnahmen (bspw. in Form von Selbstverteidigungskomitees) geführt werden.

4. Die Ausstiegsangebote richten sich nicht nach den realen Bedürfnissen der Sexarbeiter_Innen

Eine Sache, die immer wieder von Befürworter_Innen betont wird, ist, wie toll doch die Ausstiegsangebote als eine der Säulen des „nordischen Modells“ sind. Doch schaut man sich diese genauer an, wird man schnell feststellen, dass diese alles andere als wirksam sind. So sind Zugänge zu den Angeboten in Schweden einerseits dadurch erschwert, dass an ihnen nur teilnehmen kann, wer sofort mit der Prostitution aufhört. Das ist offensichtlich unrealistisch, weil es für viele aus finanziellen Gründen nicht unmittelbar möglich ist. Außerdem gilt die Möglichkeit in Schweden lediglich nur für Staatsbürger_Innen, wohingegen Personen mit Migrationshintergrund statt Hilfsangeboten eben mal die Abschiebung droht (Vuolajärvi 2019). Das führt sogar zu einer Praxis, in welcher Polizeibeamt_Innen mit Absicht nach nicht-schwedischen Personen suchen, um diese leichter abschieben zu können (ebenda). Das „nordische Modell“ wird an dieser Stelle also völlig zweckentfremdet und offenbart auch hier wieder die eigentlichen Interessen von Polizei und herrschender Klasse. Auch in Frankreich sind die Ausstiegsangebote alles andere als beliebt: Teilweise nahmen weniger als 100 Personen an den Programmen teil (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen 2021).

5. Das Sexkaufverbot verschiebt das Problem

Wie bereits dargestellt, verschiebt das Sexkaufverbot die Tätigkeit in die Illegalität und liefert somit die Sexarbeitenden dubiosen Freiern und Zuhältern schutzlos aus und erschwert den Zusammenschluss von Sexarbeitenden, um kollektiv für ihre Rechte einzutreten, massiv. Aber das Problem wird nicht nur innerhalb der Länder verschoben, sondern das „nordische Modell“ fördert auch Sextourismus in zumeist halbkoloniale Länder, wo die Arbeitsbedingungen viel eher sklavenartig sind und es fast ausschließlich Zwangsprostitution gibt. Denn die Freier verlieren nicht auf einmal ihre Nachfrage nach gekauftem Sex, nur weil er auf einmal verboten ist, und fahren lieber in den Urlaub, um dort ihren Bedürfnissen nachzugehen.

Das „nordische Modell“ ist letztlich ein Weg in die Sackgasse, weil es die Verhältnisse, die es zu bekämpfen vorgibt, nur illegalisiert und verlagert. Es stellt ironischer Weise an ein patriarchales System die Aufgabe, eine Tätigkeit abzuschaffen, von welcher es insbesondere auch profitiert. Außerdem ist es realitätsfern zu glauben, dass der bürgerliche Staat wirklich das Interesse verfolgt, Sexarbeit abzuschaffen, ohne Sexarbeitende zu kriminalisieren, und es überhaupt möglich ist, diese Arbeit, genauso wie ganz grundsätzlich die Lohnarbeit, innerhalb des Kapitalismus abzuschaffen.

Fazit: Vier Ansatzpunkte

Was aber ist nun die Lösung? Grundsätzlich müssen wir als Marxist_Innen an vier Punkten ansetzen. Erstens müssen wir Seite an Seite mit Sexarbeiter_Innen für die komplette Entkriminalisierung und gegen jegliche Repression von staatlicher Seite kämpfen sowie für bessere Arbeitsbedingungen und Selbstorganisierung (natürlich auch in Form von Selbstverteidigungsstrukturen) eintreten, denn nur wenn die Sexarbeit ohne Zuhälterei und Kriminalisierung organisiert ist, kann überhaupt erst eine Kontrolle über die Verkaufs- und Arbeitsbedingungen durch die Sexarbeiter_Innen selbst durchgesetzt werden. Das inkludiert natürlich nicht nur die Selbstorganisierung am Arbeitsplatz, sondern schließt auch eine gewerkschaftliche Organisierung mit ein (wie es sie zeitweise bei ver.di in Hamburg gab), um größeren Druck im Kampf gegen Diskriminierung und für Arbeiter_Innenrechte auszuüben, der Vereinzelung der Sexarbeitenden und der Stigmatisierung entgegenzuwirken.

Auf der anderen Seite ist es aber natürlich auch notwendig, den Personen, welche unter dem ökonomischen Zwang und den teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen leiden, eine Möglichkeit zu bieten, ohne größere Probleme auszusteigen. Dahingehend müssen wir uns für kostenfreie und seriöse Beratungsstellen und bezahlte Umschulungen, Aus- und Weiterbildungen für berufliche Alternativen einsetzen. Nur wenn der ökonomische Zwang und die Illegalisierung entfallen, können Ausstieg und Umschulung eine attraktive reale Option werden. Ansonsten bleiben sie eine schöne, aber letztlich leere Versprechung.

Egal, wofür sich die individuelle Person entscheidet, es gilt das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und sie sollte in ihrer Entscheidung unterstützt werden, natürlich ohne einerseits die Sexarbeit zu stigmatisieren oder andererseits sie zu romantisieren.

Um Zwangsprostitution insbesondere in Kombination mit Menschenhandel entgegenzuwirken, müssen wir uns neben ihrem Verbot auch für offenen Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle einsetzen, denn nur so kann den Versprechungen eines besseren Lebens in einem fremden Land unter Kontrolle von Mafiastrukturen entgegengewirkt werden.

Langfristig muss das Ziel von Marxist_Innen darin bestehen, die materielle gesellschaftliche Basis umzugestalten und somit die ökonomischen Zwänge zu zerstören, die Menschen dazu nötigen, sexuellen Dienstleistungen aufgrund von Gewalt oder Not nachzugehen. Es wäre allerdings verkürzt und nicht hilfreich, ein Verbot zu fordern, da sich Prostitution, wie bereits beschrieben, nicht einfach abschaffen lässt, zumal nicht innerhalb einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft, die diese erst hervorgebracht hat. Dementsprechend ist es natürlich auch nötig, eine Massenbewegung aufzubauen, in welcher Sexarbeiter_Innen Seite an Seite mit allen Unterdrückten gemeinsam für das Ende von Kapitalismus und Patriarchat kämpfen können, ohne stigmatisiert zu werden.

Zwei andere Artikel zum Thema Sexarbeit, der sich mit einigen anderen Fragen beschäftigen:

Literaturverzeichnis

Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. (2021): Stellungnahme zum Antrag „Nein! Zum Sexkaufverbot des Nordischen Modells“ der Fraktionen der CDU und FDP in NRW. https://berufsverbandsexarbeit.de/wp-content/uploads/2021/01/210114_Stellungnahme-desBesD-zu-No-Nordic-Model-NRW.pdf; https://doi.org/10.1007/s13178-018-0338-9 (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Ellison, G., Ní Dhónaill, C., & Early, E. (2019): A Review of the Criminalisation of the Payment for Sexual Services in Northern Ireland; http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3456633 (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Farley, M. (2004): Prostitution and trafficking in nine countries: Update on violence and posttraumatic stress disorder; Journal of Trauma Practice, 2(3-4), 33-74

Global Network of Sex Work Projects (2015): The Real Impact of the Swedish Model on Sex Workers; https://www.nswp.org/sites/nswp.org/files/Swedish%20Model%20Advocacy%20Toolkit%20Community%20Guide%2C%20NSWP%20-%20November%202015.pdf (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Krause-Schön, E. (2014): Das sind häufig sehr junge Mädchen; TAZ, 17.6.2014, S. 5; https://taz.de/Das-sind-haeufig-sehr-junge-Maedchen/!338223/? (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Le Bail, H., Giametta, C., & Rassouw, N. (2019): What do sex workers think about the French Prostitution Act? A Study on the Impact of the Law from 13 April 2016 Against the „Prostitution System“ in France [Research Report]; Médecins du Monde, pp. 96;  http://hal.archives-ouvertes.fr/hal-02115877f (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Migge, T. (2018): Prostitution in Italien: Katholiken für Bordelle; Deutschlandfunk, https://www.deutschlandfunk.de/prostitution-in-italien-katholiken-fuer-bordelle-100.html#:~:text=Seit%2060%20Jahren%20gibt%20es,ausgenutzt%20werden%2C%20etwa%20durch%20Zuh%C3%A4lter. (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Platt, L., Grenfell, P., Meiksin, R., Elmes, J., Sherman, S. G., Sanders, T., Mwangi, P., Crago, A. L. (2018): Associations between sex work laws and sex workers’ health: A systematic review and meta-analysis of quantitative and qualitative studies; PLOS Medicine, 15(12), e1002680; https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1002680 (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Schwarz, C. (2020): Sexualisierte Gewalt in Deutschland: Kaum Verurteilungen von Tätern; TAZ;  https://taz.de/Sexualisierte-Gewalt-in-Deutschland/!5727344/ (zuletzt aufgerufen 31.5.23)

United States Department of State. (2017): Trafficking in Persons Report; https://www.state.gov/reports/2017-trafficking-in-persons-report/ (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

United States Department of State. (2020): Trafficking in Persons Report;  https://www.state.gov/reports/2020-trafficking-in-persons-report/ (zuletzt aufgerufen 30.5.23)

Vuolajärvi, N. (2019): Governing in the Name of Caring—the Nordic Model of Prostitution and its Punitive Consequences for Migrants Who Sell Sex; Sexuality Research & Social Policy Journal of NSRC, 16(2), 151-165; https://doi.org/10.1007/s13178-018-0338-9 (zuletzt aufgerufen 30.5.23)




Jugend und Queerunterdrückung  – Wie AfD und Co. den Diskurs vereinnahmen

von Lia Malinovski, Mai 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Queerfeindlichkeit ist ein bekanntes Problem in allen Bereichen der Gesellschaft: Ob am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der Schule, queere Jugendliche erleben überall Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund ihrer Sexualität oder der Geschlechtsidentität. In der Schule zeigt sich das besonders daran, dass trans- und homofeindliche „Witze“ zum Alltag gehören und es in der Regel keine Strukturen zur Aufarbeitung von Queerfeindlichkeit gibt. Aber es ist auch strukturell verankert: Obwohl es rechtlich möglich wäre, wird eine Namensänderung maximal im Unterricht geduldet, auf Zeugnissen, Klassenlisten und so weiter wird es aber nicht gemacht. Das heißt, trans Jugendliche sind gezwungen, auf jedem offiziellen Dokument in der Schule ihren Deadname (=veralteter, „toter“ Name, der nicht mehr verwendet wird) anzugeben oder zu lesen. Auch die viel zu großen Klassen sorgen für stärkeren Druck und Stress beim „outen“ oder beim Tragen von bspw. femininer Kleidung, wenn man transfeminin ist. Daraus resultiert, dass viele sich gar nicht erst trauen, sich so zu zeigen, wie sie sind. Die psychischen und sozialen Folgen sind katastrophal. Deswegen wollen wir uns mit den lautesten Treiber_Innen der Queerfeindlichkeit auseinandersetzen: Der politischen Rechten.

Transunterdrückung und die politische Rechte

Denn obwohl die Lage an den Schulen katastrophal ist, wie oben beschrieben, veranstalten AfD und Co eine Hetze gegen die vermeintlich progressive Politik an den Schulen: Sie finden es falsch, dass im Sexualunterricht – wenn überhaupt – Homosexualität thematisiert wird. Sie argumentieren mit dem Kinderschutz, solche Themen würden „Jugendliche verwirren“ oder seien „ideologische Instrumentalisierung“. Ihr Wahlspruch „Deutschland – aber normal!“ verdeutlicht, worum es ihnen geht: Sie wollen alles, was nicht cis und hetero ist als „unnormal“ oder „komisch“ verunglimpfen und ein Deutschland ohne queere Personen aufbauen. Dabei versuchen sie mittels des „Schutzes der Kinder“ den Diskurs zu emotionalisieren und ein Kampffeld heraufzubeschwören, mit dem sie polarisieren können. Denn diese Polarisierung ist feste Strategie der AfD und anderer rechter Parteien und Organisationen.

Wen sprechen sie damit an?

Dabei propagieren sie ein binäres und angeblich naturgegebenes Rollenbild vom „starken Mann“ und der „Hausfrau“. Diese Binarität wird von trans Personen durch ihre reine Existenz infrage gestellt. Denn ein „Geschlechtswechsel“, wie es oft genannt wird, widerspricht einer klaren Binärität und nimmt den Rollenbildern das „natürliche“.  Sie sprechen mit diesem Thema besonders Männer an, die um ihre Stellung in der Gesellschaft fürchten, oder Radikalfeminist_Innen, die auf die Hetze von Medien und rechten Parteien aufspringen und so die Binärität als ideologische Grundlage kapitalistischer Frauenunterdrückung aufrechterhalten. Die Grundlage der Frauenunterdrückung ist die Pflicht zur sogenannten Hausarbeit und dies ist im Kapitalismus unumgänglich, denn der Staat und die Kapitalist_Innen wollen möglichst wenig dafür zahlen, weshalb es Privatsache sein soll. Mit dem Beginn der Klassengesellschaften hat sich diese Aufteilung der Arbeit in die „Hausfrau“ und den „arbeitenden Mann“ entwickelt, die mit der Propagierung der Binärität und der biologischen Unterschiede ideologisch begründet wurde. Von dieser Aufteilung profitieren vor allem Männer, die in ihrer gesellschaftlichen Stellung über Frauen stehen. So erklärt sich auch, wieso viele Männer, die um ihre Stellung fürchten, sich antifeministischer und transfeindlicher Ideologie annähern.

Radikalfeminist_Innen werden vor allem durch eine Instrumentalisierung von Frauenunterdrückung angesprochen. Denn wie sie, zeichnen auch AfD und Co ein Bild von trans Personen, vor allem trans Frauen, das sie als „Vergewaltiger“ und „Männer in Kleidern“ darstellt. So wird der Kampf gegen Sexismus von den Ursachen (in letzter Konsequenz das Privateigentum an Produktionsmitteln) weggelenkt und zu einem kulturellen Kampf umgewandelt. Dieses Bild wird oft in Filmen und Serien, in Berichterstattungen und durch Ideologien wie dem Radikalfeminismus gezeichnet. Es spricht trans Personen direkt ihre Existenz ab.

Die Frage, warum die Rechten die Transfeindlichkeit momentan so in den Vordergrund stellen, ist schwierig eindeutig zu beantworten. Aber wahrscheinlich ist, dass sie damit polarisieren wollen und sich als Alternative zum „Mainstream“ präsentieren wollen. Eine Strategie, die wir schon aus dem „Flüchtlingsdiskurs“ kennen, und mit der die AfD bislang sehr erfolgreich war. Zudem können sie so den Kampf gegen Unterdrückung und Krisen zu einem ideologischen Kampf gegen andere unterdrückte Gruppen umwandeln.

Rollback in den USA

In Tennessee und West-Virginia (USA) wurden kürzlich erst Gesetze verabschiedet, die trans Personen in ihrer Existenz kriminalisieren und somit zwingen, wieder gemäß ihrem biologischen Geschlecht erscheinen zu müssen. Konkret kriminalisiert das Gesetz eigentlich „Crossdressen“ (Bspw. Als Mann weibliche Kleidung tragen) in der Anwesenheit von Minderjährigen, wobei dabei die Geschlechtsidentität von außen angenommen werden muss. In der Praxis würde es eben bedeuten, dass Personen, die bspw. männlich gelesen werden, aber ein feminines Erscheinungsbild haben, nicht mehr in die Nähe von Minderjährigen dürfen, sich also quasi nicht aus dem Haus bewegen können.

Es ist einer der härtesten Rollbacks, die trans Personen in den letzten Jahren erleben mussten. Dazu kommen in vielen weiteren Staaten der USA Diskussionen oder sogar schon geplante Gesetze, die medizinische Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung für Kinder und Jugendliche verbieten wollen. Dabei kann man Parallelen zu den Argumentationen der rechten Kräfte in Deutschland sehen: In beiden Fällen wird mit dem Kinderschutz argumentiert, in beiden Fällen bedeutet es Bevormundung von Jugendlichen. Außerdem festigen sie bestehende Rollenbilder und die Binärität, denn ab wann von „Crossdressing“ gesprochen werden kann, liegt im betrachtenden Auge. Wer weiß, vielleicht sind in Zukunft lange Haare bei Männern wieder verpönt bis kriminell? Eine Vermutung, die das Ausmaß aber beschreibt, denn rechtlich könnte es funktionieren.

Was können wir jetzt tun…

…an der Schule?

Der Kampf für Verbesserungen muss verschiedene Ebenen umfassen. An der Schule liegt dabei der Fokus auf Strukturen zur Aufarbeitung und Bekämpfung von Queerfeindlichkeit und queerfeindlicher Gewalt, sowie Erleichterung von Coming-Outs und der einfachen Änderung von Namen auf Zeugnissen, offiziellen Dokumenten und in der Klasse. Dabei können folgende Forderungen einen Weg in die richtige Richtung weisen:

  • Gegen falsche Bilder von Trans- und queeren Identitäten helfen Aufklärung und Behandlung des Themas im Unterricht, gestaltet von Organisationen, die sich mit Trans(-feindlichkeit) beschäftigen, wie bspw. Das Magnus Hirschfeld Zentrum in Hamburg!
  • Gegen Stress und Druck beim Coming-Out helfen kleinere Klassen! Für die Möglichkeit, sich frei zu entfalten und das, ohne Angst haben zu müssen, dafür diskriminiert zu werden!
  • Für die Möglichkeit, den Namen und Geschlechtseintrag in der Schule einfach und unbürokratisch zu ändern!
  • Für Antidiskriminierungsstellen, an die sich Betroffene wenden können, kontrolliert von Betroffenen! Für organisierte Selbstverteidigung gegen rechte Übergriffe und queerfeindliche Gewalt!
  • Für Schüler_Innenausschüsse, die den persönlichen Kampf auf eine politische Ebene führen! Statt Vereinzelung braucht es den gemeinsamen Kampf, denn es sind strukturelle Probleme, die individuelles Verhalten beeinflussen und in Teilen darauf zurückzuführen sind!

…in der Arbeiter_Innenbewegung?

Auch in der Arbeiter_Innenbewegung ist Queerfeindlichkeit ein großes Problem. Es braucht das Recht auf Caucusse, damit sich Betroffene von Diskriminierung zusammentun können und gemeinsam die Probleme in der Gewerkschaft und in der Arbeiter_Innenbewegung anzugehen! Sie müssen die Möglichkeit haben, bei politischen Entscheidungen eine Empfehlung zu geben, Probleme anzuprangern und reaktionäre Verhaltensweisen von Gewerkschaftsmitgliedern offenzulegen! Passiert das, braucht es eine unabhängige Untersuchungsstelle, die die Vorwürfe untersucht und der Gewerkschaft eine Handlungsempfehlung gibt!

…auf staatlicher Ebene?

Das Thema staatliche Queerunterdrückung ist in diesem Artikel nicht thematisiert worden, da das in einem anderen Artikel passiert. Dennoch wollen wir hier ein paar Forderungen einfließen lassen, die notwendig sind und im Kampf auch gegen Rechts notwendig sind:

  • Für die Bildung von Selbstverteidigungsstrukturen in allen Lebensbereichen, um sich gegen rechte Angriffe und Queerfeindlichkeit zu wehren!
  • Für unkomplizierte und unbürokratische Namens- und Personenstandsänderung! Für das Recht auf echte Selbstbestimmung. Für den freien und kostenlosen Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen, wie Hormonbehandlung oder Operationen, sofern das gewollt ist! Gegen den Zwang, medizinische Maßnahmen zu machen!



Wie queere Identitäten immer noch durch den Staat unterdrückt werden

Mai 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Wirft man einen Blick in die meisten Kindergärten, so stellt man schnell fest, dass die Existenzen von trans Personen, Geschlechtern jenseits des binären Systems und nicht-heterosexuelle Beziehungen keinen Platz finden. Seien es Spielzeug, Bücher oder Gruppenaktivitäten: Diversität sucht man darin meist vergeblich.

Auch in der Grundschule im Sachkundeunterricht wird meist gelehrt, dass es lediglich Frau und Mann gebe und im Gymnasium wird im Biologieunterricht alles auf die Spitze getrieben. Oft wird die Klasse zur „Aufklärung“ in zwei geteilt – Menschen die sich keinem der binären Geschlechter zuordnen, werden außer Acht gelassen und auch der Biologieunterricht an sich ist zu vielen Teilen immer noch cis- und heteronormativ. 

Und das nicht ohne Grund!

Woher kommt Queerunterdrückung?

Besonders im Kindes- und Jugendalter soll das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie gefestigt werden, denn Kapitalist_Innen profitieren finanziell von unbezahlter Haus- und Sorgearbeit, die Frauen als natürlich zugeschrieben wird. Durch die Auslagerung der Reproduktion der Arbeitskraft ins Private kann diese überhaupt erst tagtäglich für die Ausbeutung durch die Kapitalist_Innen zur Verfügung stehen.

Innerhalb der bürgerlichen Kleinfamilie sollen Frauen im Stillen Arbeitskraft reproduzieren – unbezahlt und in den eigenen vier Wänden. Dazu zählen alle Arbeiten, die nötig sind, damit Arbeiter_Innen am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen können. Beziehungsmodelle, welche weder monogam noch heterosexuell sind und Identitäten jenseits des cis-binären Spektrums stellen das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie in Frage, da sie das Konzept „Vater, Mutter, Kind“ unterlaufen und somit nicht mehr klar ist, wer welche Rolle in der Familie einnimmt.

Es ist somit auch kein Zufall, dass der bürgerliche Staat nicht nur im Bildungssektor, sondern auch im Gesundheitssektor und am Arbeitsplatz queere Personen benachteiligt und unterdrückt.

Geschlechtsangleichende Operationen werden immer noch nicht vollständig finanziert und sind nicht ohne bürokratischen Aufwand möglich, für Jugendliche nicht einmal ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten!

Queerfeindliche Gewalt

Immer wieder führt diese durch den bürgerlichen Staat forcierte Unterdrückung zu queerfeindlichen Übergriffen und Gewalttaten. Und wenn dies nicht bereits durch die Organe des bürgerlichen Staates selbst geschieht, sondern durch Faschist_Innen und andere queerfeindliche reaktionäre Gruppen, wird dies meist weggesehen, denn diese Taten werden in den meisten Teilen Deutschlands nicht einmal dokumentiert. Berlin ist das einzige Bundesland, das ein Monitoring zu queerfeindlicher Gewalt erstellt. Im Jahr 2021 wurde mit 456 gemeldeten Fällen – davon 23 %  teils schwere körperliche Gewalt – der höchste Wert seit Aufnahme der themenspezifischen Erfassung dokumentiert. Das sind knapp 100 Fälle mehr als im Vorjahr und dabei muss bedacht werden, dass bei weitem nicht alle gemeldet werden.

Im Rahmen einer Umfrage der EU im Jahr 2020, an der ca. 2.750 trans Personen aus Deutschland teilgenommen haben, gaben 66 % der Befragten an, in mehr als acht Lebensbereichen in den letzten 12 Monaten aufgrund ihres Trans-Seins diskriminiert worden zu sein. 90% von Ihnen haben den letzten Vorfall nicht gemeldet.

Aber gibt es nicht auch Fortschritte?

Es zeigt sich also, dass queere Personen in allen Lebensbereichen durch den bürgerlichen Staat unterdrückt werden. Doch dieser ist besonders in den letzten Jahren immer mehr bemüht, Illusionen zu schaffen, queere Befreiung sei innerhalb des Kapitalismus zu lösen.

So bestehen die gleichgeschlechtliche zivile Ehe und die mögliche Eintragung von „inter“ und „divers“ im Geburtenregister seit 2017 und jüngst wurde durch die Ampelregierung, die sich Progressivität auf die Fahne schreibt, das reaktionäre „Transsexuellengesetz“ (TSG) abgeschafft, welches durch ein neues Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. Dieses soll trans, inter und nicht-binären Personen künftig die Möglichkeit geben, ihren Geschlechtseintrag sowie ihren Vornamen im Personenstandsregister durch eine Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen.

Dies alles sind zwar durchaus positive Entwicklungen, wir müssen uns dabei aber klar machen, dass diese Fortschritte immer mit Vorsicht zu genießen sind. Der bürgerliche Staat möchte mit solchen Maßnahmen Bewegungen den Wind aus den Segeln nehmen und so etwas wie den CSD zu einer mehr oder weniger staatstragenden Party verkommen lassen.

Für uns als Revolutionär_Innen ist klar, dass wir uns nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen dürfen, wenn wir die Unterdrückung von queeren Personen ernsthaft bekämpfen wollen. Denn im Kapitalismus steht er im Dienste der herrschenden Klasse, deren Profit auf die Unterdrückung von Frauen, queeren und migrantisierten Menschen angewiesen ist. Deshalb muss dieser Kampf zwangsläufig auch ein Kampf gegen den Kapitalismus sein. Hierfür schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Inklusive Bildung und Mitspracherecht der Schüler_Innen über Inhalte der Lehrpläne!
  •  Für das Recht auf medizinische Geschlechtsangleichung an die soziale Geschlechtsidentität –             kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!
  •  Antisexistische Komitees in Schulen, Unis & Betrieben sowie Selbstverteidigungskomitees in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Intersex vollständig legalisieren! Medizinische, kosmetische Eingriffe z.B. zur                   Geschlechtsangleichung nur mit Zustimmung der betroffenen Person.
  • Kampf gegen die transphobe Hetze der Rechten und selbsternannten Radikalfeminist_Innen!
  • Gegen die Pflicht das eigene Geschlecht in offiziellen Dokumenten anzugeben! Für den Ausbau an Unisex-Orten im öffentlichen Raum, wie Toiletten oder Umkleiden!



Trash TV – harmlose Unterhaltung oder pure Ideologie?

Von Leonie Schmidt, April 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Wer kennt es nicht: nach einem anstrengenden Tag in der Schule, Uni oder auf Arbeit mal eben auf der Couch entspannen und etwas anschauen, was keine große Denkleistung erfordert und Unterhaltung verspricht. Und zufälligerweise ist auch gerade die neue Staffel einer Datingshow im Fernsehen angelaufen. Das passt ja eigentlich perfekt! Doch den meisten Zuschauenden wird an einigen Stellen auffallen, dass manche Sachen, die in solchen Sendungen passieren, irgendwie komisch bis problematisch sind. Was das für Elemente sind und weswegen Trash TV trotzdem so erfolgreich ist, wollen wir in diesem Artikel näher betrachten.

Was ist überhaupt Trash TV?

Starten wir erst mal mit den Grundlagen; Trash TV ist kein eigenes Genre, sondern ein Überbegriff, für Sendungen, die man grob in Scripted Reality Sendungen wie „Mitten im Leben“, Dating Shows wie „Der Bachelor“ und Castingshows wie „Germanys Next Topmodel“ einteilen kann, es gibt aber auch noch andere Formate, wo sich vor allem Z-Promis gegenseitig die Köpfe einschlagen, wie bspw. „Promis unter Palmen“. Sie alle haben gemeinsam, dass sie möglichst realistisch wirken sollen, auch wenn es in den meisten Fällen mindestens ein grobes Script, Anregungen durch die Produktionsfirma oder einen Schnitt gibt, der Sachen in ein ganz anderes Licht rücken soll. Diese vermeintliche Realität ist also ziemlich gekünstelt und wird dem Dramafaktor entsprechend zurecht gebogen. Viele können das auch nicht erkennen und so fällt es ihnen dann auch schwer, zwischen den Teilnehmer_Innen einer Show und ihnen als Privatperson zu unterscheiden. Und auch den Darsteller_Innen fällt das auf die Füße, wenn sie für meist wenig Geld, ziemlich entwürdigende Sachen tun müssen (es sei denn sie sind Promis mit hochdotierten TV-Verträgen und Agenturen).

Trash TV gibt es in der deutschen Fernsehgeschichte noch nicht so lange, denn nach dem 2. Weltkrieg und der Zweiteilung Deutschlands wurde im BRD-Fernsehen eher ein Fokus auf „Erziehung zur Mündigkeit“ gelegt, weswegen es hauptsächlich ernsthafte Formate gab, in denen auch in vielen Fällen Wissen vermittelt wurde. Erst mit der Einführung der Privatsender wie z.B. RTL in den 1980er Jahren wurde ein neuer Fokus deutlich: es ging auf einmal um Einschaltquoten (und Werbeeinnahmen), denn anders konnte man sich nicht gegen die gefestigten Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchsetzen. So gab es bspw. Shows wie „Tutti-Frutti“, eine Erotik-Game-Show in den 90er Jahren auf RTL. Klares Vorbild: das US-amerikanische DayTime TV. Gerne wurden hier vor allem Talkshow-Formate mit skandalträchtigen Dramen als Anregung übernommen, diese waren besonders in den späten 90ern bis zu den frühen 2000ern angesagt, zum Beispiel „Britt – Der Talk um eins“. Aber auch heute noch kann festgestellt werden, dass alle Trash TV Formate ein Art Äquivalent im englischsprachigen Raum haben, sei es nun „Love Island“ oder „Too hot to handle“.

Medienwissenschaftler_Innen sehen die Vorläufer außerdem in Freakshows und französischem Kasperletheater: mit anderen Worten, reißerische Inhalte, Fremdscham und seichte Unterhaltung prägen die Sendungen und sind auch deren Erfolgsrezept. Denn ja, natürlich wollen wir sehen, wie 10 Singles gegen ihren Sex Drive ankämpfen und uns darüber lustig machen, dass sie es wirklich nicht 14 Tage aushalten können wie bei „Too hot to handle“. Wenn die Einschaltquoten stimmen, stimmen natürlich auch die Werbeeinahmen (oder wie bei Netflix die Einnahmen aus den Abo-Gebühren). Aber der Fokus auf Geld und Aufmerksamkeit sind mitnichten die einzigen Probleme, die die beliebten Shows haben. Sie lenken uns ab von den wichtigen Themen des Lebens, lassen uns abstumpfen, haben also eine Art Zerstreuungseffekt, der uns vom Leben während kapitalistischer Krisen ablenken soll. Außerdem vermitteln sie auch in vielerlei Hinsicht falsche Werte und Bilder über bestimmte Personengruppen.

Klassismus und der Hass auf Hartz IV-Empfänger_Innen

Besonders sieht man das zum Beispiel in scripted reality Sendungen wie „Mitten im Leben“, „Familien im Brennpunkt“ oder im Doku-Format „Hartz aber herzlich“, umgangssprachlich auch als „Assi-TV“ bezeichnet, in welchen Stereotypen über Menschen, welche in Armut leben, vermittelt werden. Oft soll es so wirken, als hätten diese selbst Schuld an ihrer Lage, seien faul, egoistisch, drogen- und alkoholabhängig, schlechte Eltern mit viel zu vielen Kindern, aus denen auch nie etwas werden wird. Auch werden sie auffällig oft als besonders dick mit besonders ungesunder Ernährung dargestellt, die den ganzen Tag nur auf der Couch sitzen und fern sehen. Das alles passiert, während in Deutschland Hartz IV-Empfangende Sanktionen herein gedrückt bekommen und in Maßnahmen gezwungen werden, wollen sie nicht ohne das Minimum an Lebensstandard dastehen.

Laut Armutsforscher Christoph Butterwegge wird durch diese Darstellung einerseits Angst angeheizt, ebenso wie Dome & Co. im Plattenbau zu landen, den Zuschauenden fällt es aber auf Basis der Stereotypisierung und extremen Überspitzung umso leichter, sich zu distanzieren und zu erheben und  sich  auch im realen Leben als etwas Besseres zu fühlen.

Diese These lässt sich gut daran beobachten, wie die Sendungen in sozialen Netzwerken kommentiert werden. Hier wird gefordert, den Frauen in Armut ihre Kinder wegzunehmen, es wird darüber gelästert, dass sie es wagen von ihrem Hartz V nicht nur Lebensmittel einzukaufen, sondern auch mal Zigaretten oder sich die Nägel machen zu lassen. Wer arm ist, verdient nur das allernötigste, so der Tenor.

Allerdings sei an dieser Stelle gesagt, dass die Herabwürdigung der Armen in den letzten Jahren eher subtiler geworden ist, als es vorher noch üblich war und der Blick vermeintlich differenzierter wirkt. Aber die Distanzierung und der Argwohn bleiben natürlich trotzdem bestehen. Denn nicht immer ist das Gefühl der Zuschauenden, etwas Besseres zu sein, ausschließlich reine Arroganz. Manchmal zeigt es sich auch eher in der Hinsicht, dass man sich denkt, dass man es im Vergleich zu „denen“, doch eigentlich ganz gut hat und sich nicht beschweren kann.

So wachsen Vorurteile und Hass, es kommt zu einer Entsolidarisierung und Spaltung innerhalb der Arbeiter_Innenklasse, was natürlich besonders schlimm ist, wenn es aufgrund der Krise wieder Sozialkürzungen gibt und die geeinte Solidarität gegen diese umso notwendiger wird.

Den Traumprinz in 10 Folgen finden?

Aber im Trash TV geht es nicht immer nur um Armut und Elend. Oft genug werden auch Datingshows produziert, die meistens an exotischen Orten spielen, wo alle Teilnehmenden halbnackt am Pool flanieren, Party machen und ab und zu ein paar „anstrengende“ Challenges bewerkstelligen oder auf Einzel – und Gruppendates gehen. Was das Ziel ist, ist eigentlich klar: hier soll der_die Traumpartner_In gefunden werden. An dieser Stelle wird also ein bestimmtes Ideal von romantischen, hetero- und cis- normativen Beziehungen vermittelt, die auch schön monogam zu sein haben. Denn wer es wagt, bei den Datingshows nicht nur eine Person im Visier zu haben, wird unter Garantie mit Drama oder, je nach Format, sogar mit dem Ausschluss konfrontiert.

Doch so romantisch wie das Ideal einer Zweierbeziehung auch wirken mag, oberflächlicher als in diesen Shows geht es eigentlich gar nicht. Der Fakt, dass es insbesondere in Shows  wie „Der Bachelor“, wo es einen Hauptcharakter und um sie konkurrierende Teilnehmende gibt, darum geht, jemanden von sich in ca. 10 Folgen zu überzeugen und die restlichen Kandidat_Innen auszuschalten, klingt nicht nach einem Rahmen, in welchem sich eine zwischenmenschliche Beziehung, basierend auf Gemeinsamkeiten, Kommunikation und Nähe entwickeln kann. Konkurrenz zwischen potentiellen love interests, wie wir es aus der Realität von Datings Apps kennen, wird hier noch einmal zugespitzt und durch symbolische Interaktionen wie die Rosenübergabe untermauert. Die Oberflächlichkeit dieser Beziehungen zeigt sich auch an ihrer Dauer, die meistens kaum den Zeitraum von Produktion und Ausstrahlung überschreiten.

Auch wird in den meisten dieser Sendungen Sexualität zwar konstant durch Anspielungen angedeutet, aber es wird immer auf den „richtigen“ Moment gewartet, oder es wird gleich klar gemacht, dass es im Rahmen der Sendungen keinen Raum einnehmen darf und bis nach dem Finale gewartet werden muss, wobei vorher das Höchste der Gefühle schlabbrige Zungenküsse sind. Auch das entspricht der bürgerlichen Sexualmoral, dass man, wenn man es mit jemandem ernst meint, nicht gleich drauf los vögeln darf und Intimität aufgespart werden muss (was natürlich in extremer Form auf das Warten bis zur Hochzeitsnacht zurückzuführen ist).

Des Weiteren haben viele, vor allem männliche Teilnehmer ein sehr rückschrittliches Geschlechterbild, Frauen werden als passive Objekte gesehen, die „klar gemacht“, „abgeschleppt“ oder überredet werden müssen, die ruhig sein sollen, wenn der Mann spricht, kein Drama machen und sich ganz einfach unterordnen sollen. Der Mann hingegen tritt als klassischer, aktiver Macho und Eroberer auf, der sich nimmt, was ihm vermeintlich zusteht. Auch werden schon nach einer kurzen Kennenlernphase, oder auch wenn sie gerade mal ein Auge auf den oder die Angebetete geworfen haben, ziemlich schnell besitzergreifend.

Das alles basiert natürlich auf der Rollenverteilung, die uns allen im Kapitalismus auferlegt wird, um die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die doppelte Ausbeutung der Frau durch unbezahlte Reproduktionsarbeit und Lohnarbeit zu legitimieren. Ebenso basiert darauf das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie, mit all seinen Einschränkungen, aus dem sich auch die hier reproduzierte bürgerliche Sexualmoral ergibt.

Aber wer macht da eigentlich alles mit?

Wenn wir uns die Anforderungen anschauen, im Bikini oder in der Badehose am Pool zu lungern, wird schnell klar: vor allem normschöne Menschen, die auch als Models und Influencer_Innen tätig sein könnten oder dies bereits spätestens nach Ausstrahlung sind. Die Männer sind durchtrainiert und sollen teilweise durch Tattoos noch männlicher wirken. Die Frauen kommen mit langen Haaren, makelloser Haut und schlanken Kurven daher. Personen abseits dieser Ideale sieht man so gut wie gar nicht. Vor allem im Format „love island“ wird auch oft in der Villa trainiert und über Ernährung philosophiert, außerdem geben viel Teilnehmende in den Interviews an, dass ihre Partner_Innen durchtrainiert und schlank, und bloß nicht dick sein sollten. So wird auch das Bild zementiert, dass nur normschöne Personen es verdient haben, geliebt zu werden. Und für alle anderen gibt es dann Datingshows, in denen ausschließlich plus-size-Personen auftreten, sie sich also nur „unter ihresgleichen“ umsehen dürfen.

Außerdem sind die meisten, die dabei sind, weiß und stehen auch offenkundig auf weiße, blonde Frauen, wie Onyi, Teilnehmerin der aktuellen Staffel „Too hot to handle Germany“ kritisiert. Netflix hatte sie zwar als diversity bonus gecastet, aber es war klar gewesen, dass die meisten anderen Teilnehmenden ganz andere Präferenzen haben. Das hat sie als Außenseiterin da stehen lassen, wie sie selber und andere auf Tik Tok kritisierten. Das ist natürlich alles andere als gute Repräsentation in dieser Show und es ist verständlich, dass dieser Umgang mit einer WOC im TV dem Selbstbewusstsein von Rassismus-Betroffenen nicht gerade gut tut, sondern sogar schadet.

Aber nicht nur in dieser Hinsicht sollten sich die Produktionsfirmen überlegen, ob sie sich Diversität wirklich auf die Fahne schreiben sollten. Grundsätzlich wird nämlich immer davon ausgegangen und die Sendungen sind auch so aufgebaut, dass alle hetero sind und eine binäre Geschlechtsidentität haben. Denn die Einteilung nach Mann und Frau spielt eine große Rolle in Challenges oder Auswahlverfahren bzw. Pärchenbildungen bspw. bei „love island“. Außer in der aktuellen Staffel von „Too hot to to handle Germany“, wo Bisexualität aber auch eher eine untergeordnete Rolle spielt, gibt es keine gleichgeschlechtlichen Verpaarungen, es sei denn, es ist ein explizit homosexuelles Datingformat.

Das selbe in Regenbogenfarben oder alles besser bei Prince(ss) Charming?

Explizit queere Datingformate gibt es in Deutschland für Schwule mit Prince Charming seit 2019, mit Princess Charming für Lesben seit 2021. Alleine, dass es so lange gebraucht hat, ist schon ein Witz, die ersten hetero Folgen von „Der Bachelor“ gab es bereits erstmals 2003 in der deutschsprachigen Version!

Aber so gut wie es gemeint ist, so schlecht ist es auch umgesetzt. Werfen wir einmal einen Blick auf Princess Charming. Vor allem in der ersten Staffel gab es einiges an „Problemen“, was fast noch beschönigend ausgedrückt ist. Die Teilnehmer_Innen konnte man queeren bzw. lesbischen Stereotypen geradezu zuordnen, vielleicht mit einigen Ausnahmen. Wer da nicht reingepasst hat, wurde unter den Teppich gekehrt, denn auch hier wurde bspw. Bisexualität nicht ernst genommen, denn in der Show geht es ja „nur um Frauen, die auf Frauen stehen“. Realistische Repräsentation sieht anders aus. Ebenso, dass immerzu von lesbischen Frauen gesprochen wurde, obwohl sich unter den Teilnehmenden auch eine nicht-binäre Person, nämlich Gea, befand. In einer Folge wurde sogar über their nicht-binäre Identität gesprochen und they musste einer anderen Kandidatin alles genaustens erklären. Die Sendung ist also auch ziemlich cis-normativ.

Weitere Kritikpunkte sind der unbegrenzte Zugriff und der damit zusammenhängende Konsum von Alkohol. Im Prinzip sieht man die Teilnehmer_Innen ständig mit einem Glas Sekt in der Hand und natürlich werden auch so die eigenen Hemmungen fallen gelassen. Einerseits trägt das natürlich zur gesamtgesellschaftlichen Normalisierung dauerhaften Alkoholkonsums bei, auf der anderen Seite kam es (unter anderem, aber natürlich nicht nur deswegen) auch mehrfach zu  übergriffigem Verhalten am Set. So gab es zum Beispiel einen Outcall wegen sexualisierter Gewalt gegenüber der Influencerin Wikiriot durch Jo, eine andere teilnehmende Person. Besonders in der Kritik steht hier neben der Täterin auch die Produktionsfirma, die sich nicht zu den Vorkommnissen äußern will und ein an die Öffentlichkeit Treten für die betroffenen Personen durch eine Verschwiegenheitsklausel erschwert hat. Auch in der zweiten Staffel kam es zu bedrängenden Szenen während einer Party mitsamt aufgezwungenen Küssen, obwohl vorher Grenzen aufgezeigt wurden. Anstatt, dass die Produktionsfirma hier eingreift und verantwortungsvoll handelt, wurde das sogar in die Dramaturgie mit eingebaut!

Wir sehen also, nur weil LGBTIA+ drauf steht, ist leider nicht alles perfekt, im Gegenteil. Denn natürlich werden auch diese Sendungen im Kapitalismus produziert und sind somit den gesellschaftlichen Zwängen und Einschaltquoten unterworfen. So positiv, wie höhere Diversität erst einmal scheinen mag, zeigen diese Beispiele doch einmal mehr, dass Unterhaltung, welche auf Basis von Kapitalinteressen, erstellt wird, nicht derartig progressiv sein kann, wie wir uns das vielleicht erhoffen.

Daher fordern wir:

  • Gegen unterdrückerische Schönheitsideale in Werbung und Medien! Enteignet die großen Medienhäuser und die „kulturschaffende“ Industrie (Gameentwickler, Filmproduktionen,..) genauso wie Google, Instagram und Co.!
  • Für organisierte Medienarbeit durch Räte aus Zuschauer_Innen, Arbeiter_Innen und Kreative ohne die Reproduktion von Unterdrückung!
  • Für eine internationale, proletarische antisexistische Bewegung!



Keine Sexualität, kein Problem? – Über Asexualität und echte sexuelle Befreiung

Von Erik Likedeeler, April 2023

„I was angry at the world for making me hate who I was. It was all because of that, that this new identity felt like a loss, when in reality, it should have been a beautiful discovery.” So beschreibt Georgia, die Hauptfigur aus Alice Osemans Jugendroman „Loveless“, ihre Erkenntnisse zum Coming Out als asexuell und aromantisch.

Ihre Gefühle des Verlustes und Selbsthasses sind in der asexuellen Community kein Einzelfall: Ohne sexuelle Anziehung zu leben, kann beängstigend sein in einer Welt, in der Sex einen Warencharakter hat und Desinteresse mit Gefühlskälte gleichgesetzt wird. Die Befürchtung, nicht „normal“ zu sein, ist verständlich in einer Welt, in der Anpassung scheinbaren Schutz vor Diskriminierung bietet. Auch das Gefühl, die eigene Zukunft zu verlieren, ergibt sich unmittelbar aus einer Gesellschaft, die viel Spannung und Drama künstlich aus Sexualität herauszieht.

Asexualität wird häufig als irrelevanter Aspekt der queeren Identität eingeordnet und nur selten als Ursache für Diskriminierung erkannt. Doch es gibt viele Arten, auf die sexuelle Befreiung im Kapitalismus verhindert wird. Wie asexuelle Menschen davon betroffen sind und wie dagegen vorgegangen werden kann, soll in diesem Artikel dargestellt werden.

„Keine Angst, das kommt schon noch“: Outing und Jugendunterdrückung

Einerseits werden Jugendliche durch Beschämung, Tabuisierung, Verbote und Homofeindlichkeit daran gehindert, ihre Sexualität frei zu erkunden. Andererseits wird ihnen Sexualität als biologisch alternativlos vermittelt: als etwas Selbstverständliches, das sie unweigerlich eines Tages tun werden. Im Sexualkundeunterricht wird davon gesprochen, sich Zeit zu lassen und auf „die richtige Person“ zu warten. Doch dass ein „Nein“ auch eine dauerhafte Option sein darf, wird selten vermittelt.

Jugendliche, die sich als asexuell outen, bekommen häufig unterstellt, sie wären „Spätzünder_Innen“ und würden ihre Präferenzen ändern, wenn sie älter wären. Das passt perfekt in das Vorurteil, Jugendliche wären impulsive und entscheidungsunfähige Opfer ihres Hormonhaushalts. Es wird so getan, als wüssten Jugendliche so wenig über sich selbst, dass ihre aktuelle Identität wertlos wäre und sie eines Tages als völlig andere Menschen aufwachen könnten. Viele Jugendliche kennen ihre Gefühle und Bedürfnisse, bekommen jedoch beigebracht, sich selbst nicht zu vertrauen. Das ist der Grund, warum asexuelle Menschen im Durchschnitt länger als andere queere Personen brauchen, um ihre sexuelle Orientierung herauszufinden.

 „Hattest du schon einmal Sex?“ ist eine häufige Fangfrage, bei der asexuellen Menschen abverlangt wird, möglichst viele negative Erfahrungen vorzuweisen. Sie sollen ihre ganze Jugend lang leiden, an sich zweifeln und sich traumatisieren lassen, bevor sie erwarten dürfen, dass ihnen geglaubt wird. Die Behauptung, sie hätten einfach noch nicht „den_die Richtige_n“ gefunden, ist nutzlos und irrelevant. Es ist makaber, von asexuellen Personen zu verlangen, sie sollten ihr ganzes Leben auf der Suche nach etwas verbringen, das es ihnen ermöglicht, sich an unterdrückerische sexuelle Normen anzupassen.

„Du hast bestimmt ein leichtes Leben“: Asexualität ist kein Ausweg aus dem Patriarchat

Asexuelle Menschen werden regelmäßig als naiv und unreif abgestempelt. Das Recht auf Selbstbestimmung und Vernunft wird ihnen abgesprochen. Hier zeigt sich die sogenannte Chrononormativität: die Idee, dass Menschen ihr Leben nicht nach ihrem eigenen Tempo leben sollten, sondern dass es Meilensteine gibt, die ab einem bestimmten Alter erreicht werden müssen, wie zum Beispiel das „Erste Mal“. Dieser Kampf gegen unsichtbare Deadlines wird im Kapitalismus absichtlich provoziert, um Menschen effizienter auszubeuten.

Häufig müssen asexuelle Menschen sich herablassende Kommentare darüber anhören, wie „einfach“ ihr Leben doch wäre. Aber Asexualität ist nur dann einfach, wenn sie auf einen einzigen Satz heruntergebrochen wird, wie es in Mainstream-Medien oft der Fall ist. Genau wie jede andere sexuelle Orientierung hat Asexualität viele Facetten und sexuelle Anziehung zu empfinden ist keine mystische Schwelle, die den Unterschied zwischen Kindheit und Erwachsensein markiert.

Asexualität ist keine Freikarte, um der Unterdrückung durch das Patriarchat zu entkommen. Tatsächlich sind asexuelle Menschen massiv von sexualisierter Gewalt betroffen. Durch die anerzogene Verunsicherung gegenüber den eigenen Bedürfnissen geraten sie leicht an manipulierende Täter_Innen, die ihre Verletzlichkeit ausnutzen, um ihnen Schuldgefühle einzureden. Nicht selten kommt die Gewalt in Form von „korrektiver“ Vergewaltigung daher, mit dem Ziel, die Person wieder „normal“ zu machen.

Viele asexuelle Menschen erlernen ein hypersexuelles Verhalten, um die eigene Orientierung vor sich selbst und anderen zu verstecken. Sie erfahren weder von Asexualität, noch von Konsensprinzipien wie „Nur Ja heißt Ja“. Deshalb wachsen sie mit dem beängstigenden und verstörenden Gedanken auf, eines Tages Sex haben zu müssen. Miranda Fricker bezeichnet das als hermeneutische Ungerechtigkeit: Sprache und Diskurse sind von den Belangen der Herrschenden geprägt, deshalb haben unterdrückte Menschen kaum Möglichkeiten, ihre eigene Unterdrückung zu erkennen, über sie nachzudenken und sie sprachlich auszudrücken.

„Empower dich doch einfach“: Was bedeutet sexuelle Befreiung?

Die rückständigsten Teile des bürgerlichen Familienideals abzulehnen, gilt mittlerweile als aufgeklärt und emanzipiert. Doch ein gewisses Maß an harmloser „Ich mag den Valentinstag nicht“-Rebellion darf nach wie vor nicht überschritten werden. So gilt Sexualität immer noch als unverzichtbarer Teil jeder romantischen Beziehung.

In linken Strukturen werden insbesondere asexuelle Frauen oft als verklemmt abgestempelt. Sie gelten als Objekte des Mitleids, die sich noch von anerzogener Prüderie und Scham befreien müssen. Kein aufregendes Sexualleben vorweisen zu können, wird mit konservativen Ansichten gleichgesetzt. Weibliche Sexualität soll kultiviert werden, um „feministische“ Politik zu performen – damit auch Frauen Sex konsumieren und sich „empowert“ fühlen können. Das Patriarchat wird dabei als der einzige valide Grund genannt, warum manche Frauen keinen Sex haben möchten.

Es wird an der Idee festgehalten, dass gesellschaftlich tabuisierte Formen von Sex, wie z.B. BDSM, einen Menschen inhärent befreiter machen würden. Das Bedürfnis, Sex zu einer lässigen Performance werden zu lassen, um sich selbst als aufgeschlossen zu inszenieren, hängt damit zusammen, dass die politisch Konservativen sich in der Öffentlichkeit auch gern sexuell konservativ präsentieren.

Es stimmt, dass sexuelle Praktiken Menschen dabei helfen können, Scham abzubauen und sich in ihrem Körper selbstbewusst zu fühlen und natürlich unterstützen wir die freie sexuelle Entfaltung aller Menschen- insofern sie das Bedürfnis danach haben. Doch Sex allein hat nicht die Macht dazu, die Welt zu einem gerechten Ort zu machen. Er ist keine antikapitalistische Praxis, die auf magische Weise gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen aushebeln könnte.

„Wer zweimal mit derselben pennt…“: Sex als Waffe gegen Krieg und Faschismus?

Schon die 68er-Bewegung definierte die sexuelle Befreiung damit, möglichst viel unverbindlichen Sex zu haben und betrachtete dies als Mittel gegen Krieg und Unterdrückung. Diese Idee mag sich richtig anfühlen, ist jedoch fehlgeleitet. Wie Angela Chen schreibt: „The revolution will not come on the tidal wave of your next multiple orgasm, on the floor of your communal living space. It will only happen if you have an actual plan for destroying systems of oppression and exploitation.” Asexualität ist kein politisches Versagen, das überwunden werden muss, sondern eine Identität, die respektiert gehört.

Auch psychoanalytische Ansätze versuchen, Sex als Patentlösung zu verkaufen und jedes gesellschaftliche Problem in Bezug darauf zu erklären. Die Idee der 68er, mit einer „befreiten“ Sexualität die Antikriegsbewegung zu stärken, geht auf den Freud-Schüler Wilhelm Reich zurück. Dieser glaubte, eine unterdrückte Sexualität wäre die Ursache des Faschismus. Doch der Faschismus ist in den materiellen Verhältnissen einer Gesellschaft begründet. Er ist ein Phänomen des Imperialismus und das letzte Mittel zur Niederschlagung des Klassenkampfes. Ihn mit unterdrückter Sexualität zu begründen, ist eine faule Erklärung für ein komplexes Phänomen. Das menschliche Verhalten ist vielfältiger als das und es ist übergriffige Spekulation, Menschen heimliche, unbewusste sexuelle Wünsche zu unterstellen.

Nicht selten müssen asexuelle Menschen sich auf respektlose Weise mit sogenannten Incels vergleichen lassen. Häufig wird davon ausgegangen, ein Mangel an Sex hätte die extrem frauenverachtenden Incels zu frustrierten Sexisten und Faschisten gemacht. Dabei wird ausgeblendet, dass das traditionelle Bild des Mannes als Ernährer und Beschützer angesichts kapitalistischer Krisen und sich wandelnder Rollenbilder ins Wanken geraten ist. Incel zu werden ist nicht die Folge von zu wenig Sex, sondern die Ausweitung einer Sozialisation, in der Abwertung und Erniedrigung Teil des Systems sind und man als Jugendliche_r oder Arbeiter_In ständig Angst vor dem Abstieg haben muss. Unterdrückungsformen wie Sexismus lassen uns dabei die Schuldigen in anderen Teilen der Arbeiter_Innenklasse suchen, anstatt bei den Kapitalist_Innen, die tatsächlich von unserer Ausbeutung profitieren. In unterdrückerischen Verhältnissen ist die Incel-Ideologie ein leichter Weg, um sich selbstwirksam zu fühlen. Dieses toxische Verhalten führt mitunter dazu, dass sexuelle Erfolge ausbleiben und nicht umgekehrt.

„Bist du eigentlich depressiv?“: Asexuelle Menschen sind nicht krank!

Unsere Gesellschaft wird von der gewaltvollen Norm strukturiert, dass alle Menschen romantische und sexuelle Anziehung spüren sollen. Wer diese Erwartung nicht erfüllen kann oder möchte, wird schnell für krank erklärt, also pathologisiert. Genau wie es früher bei Homosexualität der Fall war, wird Asexualität oft als Traumafolge verbucht. Allerdings gibt es keine wissenschaftliche Studie, die beweisen kann, dass Trauma die sexuelle Orientierung ändern kann.

Auch für Depressionen ist fehlendes Interesse an Sex ein Diagnosekriterium. Normerfüllende, romantisch-sexuelle Beziehungen werden von Therapeut_Innen als Beweis dafür gesehen, dass sich soziale Ängste verringert haben. Eine bestimmte Art von menschlicher Intimität als Idealfall zu verbuchen, führt zu Fehldiagnosen und falschen Behandlungen. Für trans Personen können „falsche“ Antworten auf die Abfrage der Sexualität zur Verweigerung der Behandlung führen, weil davon ausgegangen wird, dass sexuelle „Erfüllung“ und psychische Gesundheit sich proportional zueinander verhalten.

40% der asexuellen Menschen wurde schon einmal angeboten, sie zu „heilen“. Für Menschen mit geringem sexuellem Verlangen gibt es die Diagnose HSDD (hypoactive sexual desire disorder), umgangssprachlich Frigidität genannt. Nach dem DSM-4, einem wichtigen psychiatrischen Leitfaden, konnte HSDD bis 2013 selbst dann diagnostiziert werden, wenn ausschließlich der_die Partner_In darunter litt. Seit der Erscheinung des DSM-5 wird die Störung nur noch diagnostiziert, wenn die Person selbst leidet und sich nicht als asexuell identifiziert.

Auch diese neuen Diagnosekriterien ergeben wenig Sinn. Keine oder wenig sexuelle Anziehung zu verspüren, ist keine Krankheit, unabhängig davon, welches Wort dafür verwendet wird. Der Unterschied zwischen einer psychischen Krankheit und einer sexuellen Orientierung besteht nicht darin, wie eine Person sich damit fühlt. Ist ein schwuler Mann nur dann schwul, wenn er mit seiner Homosexualität glücklich ist?

HSDD und Asexualität haben unterschiedliche intellektuelle Ursprünge. HSDD stammt aus dem medizinischen Bereich, während Asexualität im Bereich der sozialen Gerechtigkeit verwurzelt ist. Bei der Diagnose von HSDD sind Ärzt_Innen die Autorität, während asexuelle Menschen betonen, dass jeder Mensch selbst entscheiden muss. Bei HSDD wird eine Abweichung zum Problem erklärt, bei der Asexualität geht es darum, Vielfalt zuzulassen, auch wenn sie sich unbequem anfühlt.

Asexuelle Menschen glauben nicht an eine moralische Verpflichtung zur Steigerung des sexuellen Verlangens. Sie kritisieren, dass Menschen ihre Asexualität erst dann akzeptieren dürfen, wenn eine „Heilung“ ausgeschlossen wurde. Die HSDD-Diagnose ist nutzlos, weil es eine sinnvollere Alternative gibt: zu akzeptieren, dass das Leid durch Stigmatisierung zustande kommt, und gegen diese Diskriminierung anzukämpfen.

„Das ist doch keine gesunde Beziehung“: Diskriminierung durch den Staat

Die Diskriminierung gegen asexuelle Menschen wird auch von staatlicher Seite getragen: Die Kosten für eine künstliche Befruchtung werden nur in heterosexuell gelesenen Partner_Innenschaften von der Krankenkasse übernommen, bei denen der „natürliche Weg“ nicht funktioniert.  Auch beim Adoptionsverfahren muss eine „stabile“ Ehe vorgewiesen werden. Dazu zählt üblicherweise auch körperliche Intimität.

Wenn eine verheiratete Person keine deutsche Staatsbürger_Innenschaft besitzt, kann der Verdacht aufkommen, dass sie diese über die Heirat erlangen wollte. Menschen in Ehen mit getrennten Schlafzimmern haben kaum eine Möglichkeit zu beweisen, dass es sich nicht um eine Scheinehe handelt. Daran zeigt sich, wie willkürlich Beziehungsnormen zusammengewürfelt sind. Heutzutage fallen getrennte Schlafzimmer unter den Begriff „Eheproblem“, früher waren sie im Bürgertum die Norm. Daran, wie vielen gesetzlichen, kulturellen und moralischen Erwartungen Sexualität unterworfen ist, lässt sich leicht erkennen, dass sie alles andere als die „natürlichste Sache der Welt“ ist.

Fazit

Asexuell zu sein ist mühsam in einer Welt, die Sex als das Highlight einer jeden Beziehung markiert. Doch sexuelle Interaktion ist nicht die einzige bedeutungsvolle Verbindung, die Menschen in ihrem Leben eingehen können. Sie ist weder die Quelle des höchsten Glücks, noch der ultimative Beweis dafür, dass Menschen sich lieben. Die Verbundenheit zu Freund_Innen, Familie, Natur, Sport, Wissenschaft, Politik oder Kunst ist für viele Menschen ein ebenso erfüllender Teil des Lebens.

Ziel der sexuellen Befreiung ist, dass es eines Tages selbstverständlich und leicht sein wird, ohne Zwang oder Rechtfertigung nach Konsensprinzipien zu leben. Wenn soziale Skripte wie das Ideal der bürgerlichen Familie absterben, kann Sexualität vom Profitdruck gelöst werden. Das heißt, sie wird nicht länger als Marketingstrategie ausgeschlachtet werden oder ein Werkzeug sein, um den Nachschub an Lohnarbeitenden sicherzustellen. Eine Gesellschaft, die Asexualität vollends akzeptieren möchte, muss sich nicht nur von hierarchischen Beziehungsformen, Vergewaltigungskultur und oberflächlichen Vorstellungen von vertraglichem Konsens verabschieden, sondern letztendlich auch von Leistungsdruck, kapitalistischer Ausbeutung und Profitmaximierung, sowie von geschlechtlicher Arbeitsteilung. 

Deshalb fordern wir:

  • Gegen die Vergewaltigungskultur! Für einen inklusiven Sexualkundeunterricht, der eine Vielfalt an sexuellen Orientierungen vermittelt und sich an Konsensprinzipien orientiert.
  • Für den vollen Zugang zu Elternschaft, Adoptionsrechten und reproduktionsmedizinischen Behandlungen auch für queere Menschen. Gegen das Ideal der bürgerlichen Familie und die kulturelle Überhöhung von Sexualität.
  • Gegen Konversionstherapien, korrektive Gewalt und die Pathologisierung von Asexualität. Für eine echte sexuelle Befreiung, auch für Jugendliche.

Literaturverzeichnis

  • Chen, Angela. Ace. What Asexuality Reveals About Desire, Society, and the Meaning of Sex. New York 2020: Random House.
  • Decker, Julie Sondra. The Invisible Orientation. An Introduction to Asexuality. New York 2015: Simon & Schuster.
  • DeWinter, Carmilla. Das asexuelle Spektrum. Eine Erkundungstour. Hamburg 2021: Marta Press.
  • Kroschel, Katharina; Baumgart, Annika. [un]sichtbar gemacht. Perspektiven auf Aromantik und Asexualität. Münster 2022: Edition Assemblage.



Selbstbestimmungsgesetz – lange nicht genug!

Von Lia Malinovski, März 2023

Mittlerweile dürfte es den meisten Menschen ein Begriff sein: Das Selbstbestimmungsgesetz. Es soll das alte, menschenverachtende und diskriminierende „Transsexuellengesetz“ (kurz TSG) abschaffen und durch eine menschenwürdige und progressive Gesetzgebung ersetzen. Klingt erstmal gut, aber ist es das wirklich? Das wollen wir in diesem Artikel klären.

Was ist das alte TSG?

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was das Selbstbestimmungsgesetz konkret verändert, sollten wir uns vorher das TSG angucken. Das TSG regelt, wie Menschen ihren Namen und Geschlechtseintrag rechtlich ändern können, also wie er auf dem Perso und in anderen offiziellen Dokumenten steht. Bisher sah das Verfahren so aus: Anstatt einfach zum Standesamt zu gehen, und dort die Änderungen vorzunehmen, ist es eine Entscheidung des Gerichts. Das Gericht will wiederum zwei psychologische Gutachten, die besagen, dass man „wirklich trans“ ist. Was auch immer das bedeuten soll. Die Gutachten müssen unabhängig voneinander, von spezialisierten Sachverständiger_Innen gemacht werden und auch Auskunft darüber geben, ob sich das „Zugehörigkeitsempfinden [zum anderen Geschlecht] des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird.“ (TSG §4, Abs. 3). Danach entscheidet das Gericht, ob der Wunsch der/des Antragssteller_In erfüllt wird. Selbst wenn man das ganze Verfahren durchlaufen hat und positive Gutachten vorweisen kann, kann es also sein, dass der Personenstand, Name oder Geschlechtseintrag gar nicht geändert wird.

Das ist aber nicht das Schlimmste. Denn die Gutachten kosten nicht nur extrem viel, sondern sind im Prozess ihrer Erstellung oft sehr übergriffig. Erfahrungsberichte vieler trans Personen zeigen, dass es nicht selten ist, dass man über die Sexualität, sexuelle Fantasien, Pädophilie, Masturbation, etc. befragt wird. Also Dinge, die nicht nur gar nichts mit dem Geschlecht zu tun haben, sondern auch noch extrem übergriffig sind und teilweise ekelhafte Unterstellungen vermitteln. Die erwähnten hohen Kosten machen es außerdem besonders für trans Personen aus armen Verhältnissen oder trans Jugendliche schwer, das Verfahren überhaupt zu einzuleiten – 500 bis 1000 Euro pro Gutachten lassen sich nicht immer einfach so auftreiben, doppelt erst recht nicht!

Selbstbestimmungsgesetz – eine gute Alternative?

Es braucht also eine Alternative zum bisherigen TSG. Das sagen nicht nur wir, mittlerweile hat es selbst die Bundesregierung verstanden. Deshalb haben sich Justizminister Marco Buschmann und Familienministerin Lisa Paus jetzt endlich auf eine Reform geeinigt. Wie die aussehen soll, haben sie in den „Eckpunkten für das Selbstbestimmungsgesetz“ aufgeschrieben und mittlerweile sogar einen Gesetzentwurf vorgestellt. Unter anderem ist darin vorgesehen, dass trans Personen künftig nicht mehr zum Gericht gehen müssen, sondern beim Standesamt und ohne unnötige und diskriminierende Gutachten die Namensänderung beantragen können. Das Gleiche gilt auch für den Geschlechtseintrag. Wie im alten TSG soll es auch ein Offenbarungsverbot geben, wodurch es illegal ist, den „Deadname“, also den alten, toten Namen zu veröffentlichen oder zu gebrauchen. Das ist ziemlich cool, denn der Deadname heißt nicht umsonst so und es ist sehr respektlos den alten Namen zu nutzen oder sogar zu verraten. Aber nicht alles an dem Gesetzentwurf ist cool: Es wurde laut der „Süddeutschen Zeitung“ eine Passage eingefügt, die expliziten Frauenräumen das Recht gibt, auch nach der Namens- und Personenstandsänderung trans Frauen aus diesen Räumen auszuschließen, wenn es gewollt ist – und ihnen damit die Identität abzusprechen. Also ziemlich uncool, nett ausgedrückt.

Rückschrittlichkeit unter dem Deckmantel des Progressiven?

Diese Passage im Selbstbestimmungsgesetz würde eine transfeindliche Praxis, die sowieso schon passiert ist, legalisieren! Es ist also ein krasser Rückschritt, denn es soll legal werden, trans Personen rauszuwerfen, wenn sich die Andere mit ihnen unwohl fühlen. Da man trans Personen ihre Transidentität aber nicht immer ansieht, wird das auf lange Sicht auch auf cis Frauen zurückfallen, wenn sie nicht den klassischen Geschlechterrollen entsprechen. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Sexismus werden Geschlechterrollen gestärkt und das Verstoßen dagegen weiter geächtet.

Die Passage ist auf Druck von TERFs erst reingekommen. Sie verbreiten seit Jahren das Bild des Mannes, der sich in Kleider steckt, um Frauen zu belästigen. Um das zu untermauern, fälschen sie sogar Statistiken und schüren ein Klima der Angst vor trans Frauen. Unterstützt wird das von AfD und Co, von Medien, aber auch in der „bürgerlichen“ Politik. Und Auswirkungen hat das nicht nur auf trans Personen, sondern auch auf cis Frauen. Schon jetzt gibt es Berichte, nach denen cis Frauen angegriffen werden, weil ihnen unterstellt wird, trans zu sein. Auf Twitter werden jetzt schon Vagina-Vergleiche gemacht, mit einer pseudowissenschaftlichen Unterscheidung zwischen „echten“ Vaginas und „gemachten“. Auch diese sind nicht haltbar und gefährden nicht nur trans Frauen!

Dieser Teil des Gesetzes reiht sich ein in eine Welle transfeindlicher Gesetze weltweit– in den US-Bundesstaaten Tennessee beispielsweise gibt es mittlerweile einen staatlichen Zwang zum Detransitionieren (eventuelle Geschlechtsangleichungen, und sei es nur gesellschaftlich, nicht körperlich, wieder rückgängig machen) und trans Personen werden aus der Öffentlichkeit gedrängt. Der Absatz aus dem Selbstbestimmungsgesetz gestrichen werden! Keinen Meter der menschenverachtenden transfeindlichen Politik, die versucht, unsere hart erkämpften Rechte wieder zurückzunehmen!

Was braucht es noch?

Auch abgesehen davon ist das Selbstbestimmungsgesetz nicht genug. Es geht zwar einen wichtigen Schritt, aber ist lange nicht genug. Beispielsweise soll, nachdem man den Antrag ans Standesamt übergeben hat, eine dreimonatige Bedenkzeit eingeführt werden. Das macht die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag unnötig kompliziert und bürokratisch.

Statt eines Selbstbestimmungsgesetzes, das reaktionäre Ideen enthält und in den progressiven Punkten viel zu kurz greift, braucht es tatsächliche Selbstbestimmung! Es braucht eine revolutionäre Perspektive. Und die Selbstbestimmung darf sich nicht nur auf den Namen und Geschlechtseintrag beschränken, sondern muss auch die medizinische Transition organisieren.

  • Für eine revolutionäre Alternative sowohl zum Selbstbestimmungsgesetz, als auch zum TSG! Für echte Selbstbestimmung!
  • Für den Ausbau von Unisex-Orten an Schulen, Unis, in Betrieben und in der Öffentlichkeit!
  • Gegen den Zwang den behördlichen Namen in Schulen, in offiziellen Dokumenten und in Bewerbungen etc. anzugeben! Gegen die Pflicht, ein Geschlecht in offiziellen Dokumenten anzugeben!
  • Für das Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zu medizinischer Geschlechtsangleichung und der offiziellen Namens- und Personenstandsänderung!



Kapitalismus macht krank

Von Pippine Garterbelt, März 2023

Triggerwarnung: Erwähnung von (sexualisierter) Gewalt, (sexualisierte) Gewalt an Kindern, Transfeindlichkeit, psychische Erkrankungen, Suizid, Krieg und Drogenmissbrauch

Dies ist der erste Teil unserer Artikelreihe, die sich mit mentaler Gesundheit im Kapitalismus beschäftigt. Sie beschäftigt sich einerseits mit den Ursachen psychischer Erkrankungen und warum der Kapitalismus kein Interesse daran hat, diese zu bekämpfen, aber auch mit den Perspektiven und notwendigen Forderungen für eine Zukunft, in der Gesundheit kein Luxus mehr sein muss.

Zahlen & Fakten: Lage der Arbeiter_Innen

Die folgenden Zahlen und Fakten verschaffen uns einen Eindruck davon, wie ernst die Ausmaße psychischer Erkrankungen in Deutschland sind und wie vielfältig ihre Auslöser sein können:

Seit neustem Stand sind 13,8 Millionen Menschen (das sind 600.000 Menschen mehr als noch vor der Pandemie), also 16,6% der Deutschen, aktuell von Armut betroffen, davon 2,8 Millionen Kinder und 9,3 Millionen Rentner_Innen. Jede zweite Rente liegt unter 900 Euro. Wir müssen meist 8 bis 10 Stunden täglich arbeiten, um unsere Lebenserhaltungskosten zu decken und unsere wenige Freizeit müssen wir dann noch unserer eigenen Reproduktionsarbeit widmen. Während durch die Inflation alles teurer wird, besonders die Lebensmittel- und Energiekosten auf Rekordniveau steigen, bleiben unsere Löhne unten. Unsere hohen Arbeitszeiten und dem massiven Leistungsdruck, der uns im Berufsalltag begegnet, sind verantwortlich für psychische Erkrankungen wie Burnout und Depressionen. Studien belegen, dass eine Arbeitswoche von 8 bis 20 Stunden die Menschen zufrieden und produktiver macht, während eine Arbeitswoche mit über 39 Stunden sogar negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat.  Das Burnout-Syndrom entsteht durch chronischen Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet wird und ist erst seit diesem Jahr als Krankheit anerkannt. 2020 waren 180.000 Menschen an Burnout erkrankt, zusammen brachten sie es zu 4,5 Millionen Krankheitstagen. Das Risiko an einem Burnout zu erkranken, steigt mit zunehmendem Alter. Besonders soziale Berufsgruppen sind betroffen. 2021 gab es 611.000 leerstehende Wohnungen, trotzdem leben Menschen auf der Straße oder in heruntergekommenem, für die Wohngemeinschaften viel zu kleinem Wohnraum. Etwa 1,5 Millionen Mietwohnungen fehlen, besonders in Großstädten ist der Zustand extrem. 2019 wurden knapp 300.000 Wohnungen neu gebaut, weniger als ein Drittel davon sind klassische Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel bezahlbare Sozialwohnungen. 2022 wurde in Berlin keine einzige Sozialwohnung gebaut – dafür wurden etliche abgerissen, um Platz für noch mehr Eigentumswohnungen zu schaffen. Im Schnitt bewerben sich um jede freie Wohnung in der Stadt mehr als 200 Menschen. Die Mieten haben sich in den letzten 10 Jahren in der Stadt mehr als verdoppelt. Der Quadratmeterpreis der länger bewohnten Wohnungen liegt im Durchschnitt bei 6,37€ und bei 10,55€ bei den neu zu vermieteten Wohnungen. Jeder zweite Berliner hätte Anspruch auf eine Sozialwohnung. Mediziner bestätigen, dass Menschen in Folge ihrer ungelösten Wohnungsfrage, und der damit einhergehenden Bedrohung der eigenen Existenz, depressiv werden. Menschen sexueller und geschlechtlicher Minderheiten, Menschen mit Migrationshintergrund oder einem ausländischen Nachnamen oder Menschen, die Teil einer religiösen Minderheit sind, sind auch bei der Wohnungssuche besonders diskriminiert. Gleichzeitig sind diese Menschen auch um ein Vielfaches eher von Armut betroffen. Dieses Jahr wurden mehr als 178.000 von Obdachlosigkeit betroffene Menschen in Unterkünften untergebracht. Die Lebenserwartung von obdachlosen Menschen liegt im Durchschnitt bei gerade einmal 49 Jahren – das sind 30 Jahre weniger als das aktuelle natürliche Sterbealter eines Menschen. Menschen, die in Armut leben, erkranken eher an Depressionen als Menschen aus reichen Verhältnissen. 2017 wurden 71.000 Menschen aufgrund psychischer Erkrankung arbeitsunfähig und mussten in Frührente gehen. Etwa 20% der Kinder und Jugendlichen leiden an psychischen Erkrankungen. Die viert häufigste Todesursache hierzulande von Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren ist Suizid. 42% der Mobbingopfer denken über Suizid nach. Menschen, die von psychischen Erkrankungen betroffen sind, sterben etwa 10 bis 20 Jahre früher als der Durchschnitt. Jährlich begehen mehr als 700.000 Menschen Suizid. Die häufigsten Gründe hierbei sind neben psychischer Erkrankung: Armut, Stress und familiäre Konflikte. In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten, AIDS und illegalem Drogenmissbrauch zusammen. Die meisten Menschen, die Suizid begehen sind unter 25 Jahre alt. Die Selbsttötungsrate liegt bei männlich sozialisierten Menschen dreimal so hoch, als bei weiblich sozialisierten Menschen und auch trans Personen und Personen sexueller und geschlechtlicher Minderheiten haben ein erhöhtes Risiko Suizid zu begehen, gegenüber cis Personen. 14% aller trans Jugendlichen und Jugendliche sexueller und geschlechtlicher Minderheiten denken im Jahr einmal daran, Suizid zu begehen. Der Grund warum der absolute Großteil der Selbsttötungsopfer männlich sozialisierte Personen sind, liegt auch genau daran: An ihrer Sozialisierung. Denn von ihnen wird Stärke erwartet, was der Grund dafür ist, dass sie sich seltener Hilfe suchen und seltener über Probleme sprechen. Auch Betroffene, die über ihre Probleme sprechen, schaffen es oft nicht, sich Gehör zu verschaffen, da psychische Erkrankungen, vor allem bei männlich sozialisierten Personen nach wie vor nicht ernst genommen werden.

Sexualisierte und häusliche Gewalt und emotionaler Missbrauch

Fast jede weiblich gelesene Person wird im Laufe ihres Lebens mindestens einmal Opfer sexualisierter Grenzüberschreitungen. Etwa 29,5% der weiblich sozialisierten Personen haben schon einmal sexualisierte Gewalt im erwachsenen Alter erfahren und etwa 27,7% im Kindesalter. Als sexualisierte Gewalt wird hierbei Nötigung zu ungewollten sexuellen Handlungen oder das (versuchte) Eindringen in den Körper gemeint. Menschen mit Behinderungen sind besonders betroffen: etwa jede zweite Person mit Behinderung wurde schon einmal Opfer sexualisierter Gewalt. Etwa 38% der Menschen, besonders männlich Sozialisierte, sind der Meinung, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein kann. 2019 wurden in Deutschland 15.701 Kinder als Opfer sexuellen Missbrauchs polizeilich erfasst, während der Corona-Pandemie stieg die Zahl deutlich an. Dabei sind das nur die polizeilich bekannten Fälle, die Dunkelziffer ist um ein deutliches höher, denn nur jeder 15. bis 20. Missbrauchsfall wird angezeigt. Auch die Zahl der Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie stieg während der Corona-Pandemie um etwa 53% an. Kinder und Jugendliche sind doppelt so oft von häuslicher Gewalt betroffen, als weiblich wahrgenommene Personen. Die Zahl der Betroffenen von häuslicher Gewalt stieg um 100% an, wenn sich die Opfer mit ihren Tätern in Quarantäne befanden. Auch Familien die finanzielle Probleme haben, sind um ein Vielfaches häufiger von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffen. Opfer emotionalen Missbrauchs, lassen sich viel schwerer statistisch erfassen, da die Gewalt auf rein zwischenmenschlicher Gefühlsebene stattfindet und so schwerer nachzuvollziehen ist, im Gegensatz zu physischer oder sexualisierter Gewalt. Emotionaler Missbrauch ist psychische Misshandlung die als Gehirnwäsche wirkt, durch ein regelmäßiges Muster verbaler Angriffe, konstanter Kritik und Erniedrigung, Manipulation, Kontrolle, Schuldzuweisungen, Isolierung und emotionaler Distanzierung, um so die Opfer in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Täter zu manipulieren. Chronische Traumatisierung im Kindesalter, etwa in Form regelmäßiger emotionaler, psychischer Misshandlung, sind Grundstein psychischer Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter. Emotionaler Missbrauch kann in jedem Alter und in jeder Art von Beziehung stattfinden, dabei sind die Täter immer in einer höher gestellten Machtposition zu dem Opfer.  

Flucht und Krieg

2021 wurden weltweit insgesamt 28 Kriege und bewaffnete Konflikte geführt. 100.000.000 Menschen sind aktuell auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen. Das sind mehr Menschen als jemals zu vor in der Geschichte der Menschheit. Menschen, die gezwungen sind, vor Konflikten, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung zu fliehen, kommen meist nur mit dem, was sie am Körper tragen und schweren Traumata aus ihren Herkunftsländern her. Alles andere mussten sie zurücklassen, wurde zerstört oder ihnen genommen. Doch auch während der Flucht kommt es oft zu weiteren traumatischen Geschehnissen, durch unsichere Fluchtwege, Repressionen, Vergewaltigung, Gewalt und systematischer unterlassener Hilfeleistungen an den Grenzen. Jedes Jahr sterben tausende Menschen auf der Flucht. In einem sicheren Land angekommen, hören die Probleme nicht auf: Hier bekommen die Menschen, die ihre Reise überlebt haben, erst einmal jahrelang keine Arbeitserlaubnis, ihre absolvierten Schul- und beruflichen Abschlüsse werden oft nicht anerkannt, sie sind isoliert in Massenunterkünften, haben keine Reisefreiheit um auch mal nur eine andere Stadt zu besuchen. Alles ist bürokratisiert, dabei sind wichtige Dokumente nicht in allen Sprachen verfügbar und es fehlt an übersetzendem Fachpersonal. Die Quote von falsch bearbeiteten Anträgen und eigentlich verbotenen Abschiebungen ist erschreckend hoch. Geflüchtete Menschen müssen hier in dauerhafter Unsicherheit über ihr Bleiberecht und Angst vor einer plötzlichen Abschiebung leben und dann liegt ihr Schicksal meist nur in den Händen einer einzigen Person, die die Macht hat völlig willkürlich Entscheidungen zu treffen. 

Gesundheitssystem und psychische Erkrankungen

Ambulante Therapieplätze für Betroffene

Vor der Pandemie lagen die Wartezeiten auf einen Therapieplatz bei 3 bis 9 Monaten, denn schon vor Corona fehlten mindestens 1750 Kassensitze für Psychotherapeut_Innen. Dabei sind die Fälle von Depressionen und Angststörungen während der Pandemie weltweit um etwa 25 Prozent gestiegen. Seit 2017 hat jeder Mensch ein Recht auf eine psychotherapeutische Akutsprechstunde, jedoch erhalten 40% der Betroffenen nach einer solchen Sitzung keinen Therapieplatz. Die richtige Therapie für sich zu finden ist schwer. Es gibt unzählige Therapieverfahren, nur drei der vielen Behandlungsformen gelten in Deutschland derzeit als anerkannte Psychotherapieverfahren im Sinne der Psychotherapie-Richtlinie und werden von der gesetzlichen Krankenkasse, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, übernommen. Nur etwa 18,9% der betroffenen erwachsenen Bevölkerung geht überhaupt auf Therapieplatzsuche. Denn wer in Deutschland einen Therapieplatz sucht, ist auf sich allein gestellt. Wer mit Symptomen psychischer Erkrankungen zum Hausarzt geht, dem_der wird eine Psychotherapie empfohlen und bekommt bestenfalls noch eine Liste aller ambulanten Psychlog_Innen in der Umgebung. Darunter ein bunter Mischmasch von Verhaltenstherapeut_Innen, Tiefenpsycholog_Innen, Traumatherapeut_Innen, systemischer und psychoanalytischer Therapien. Dann heißt es eine Praxis nach der anderen abzutelefonieren, in eine Mailbox zu der anderen reinsprechen, um eine Absage nach der anderen zu bekommen – falls man denn überhaupt eine Antwort bekommt. Doch wer weiß schon, was man als erkrankte Person meist noch ohne erste Diagnose für eine Therapieform braucht? Oft landen Patient_Innen dann in völlig falschen Therapieverfahren und Erlangen trotz zum Teil jahrelanger Therapie keinen Fortschritt. So steht die Psychotherapie schon seit geraumer Zeit aufgrund mangelnder oder gar fehlender Wirksamkeit in Kritik. 20 bis 50% der Patient_Innen, besonders Menschen in Armut, Menschen mit einem geringen Bildungsstand, Menschen, die Teil einer ethnischen Minderheit sind, Jugendliche, Rentner_Innen und Menschen mit Ess- oder Persönlichkeitsstörung brechen ihre Therapie frühzeitig ab.

Lage der deutschen Psychiatrien

Die Zustände in deutschen Psychiatrien bezeichnet die Aufsichtskommission als skandalös. Personalmangel, Überbelegung, fehlende Aufenthaltsräume und Freiflächen. Verdeckte Reporter_Innen berichten von verstörenden Bestrafungen von Patient_Innen in geschlossenen Psychiatrien. So werden Menschen, die aufgrund ihrer selbst- oder fremdgefährdenden Symptomatik eine 1 zu 1 Betreuung bräuchten, für mehrere Stunden mit Gurten fixiert. Teilweise immer wieder, auch Wochen und Monate. Dabei ist eine Fixierung länger als 30 Minuten nicht legal und müsste mit einem gerichtlichen Beschluss angeordnet werden. Enthüllungsjournalist_Innen aus einer Vivantes Klinik berichten, ein_e Psycholog_In betreue 40 bis 60 Patient_Innen gleichzeitig, daher kommt es oft zum Ausfall von Therapien. Aus einer Jugendhilfe- und Wohneinrichtung aus Eifel wird berichtet, dass es dort im Keller einen „Deeskalationsraum“ ohne Tageslicht und Toilette, mit Guckloch in der Tür gäbe, in denen die jugendlichen, psychisch kranken Bewohner_Innen als Strafmaßnahme teilweise mehrere Tage lang eingesperrt werden. „Deeskalationsräume“ so und ähnlich finden sich in psychologischen Einrichtungen überall im Land und die Gefahr, dass sie als Strafmaßnahmen missbraucht werden ist, besonders aufgrund des massivem Personalmangels, hoch. Aus anderen Kliniken wird berichtet, dass Patient_Innen die Einnahme von Beruhigungsmitteln aufgezwungen wird, indem sie zum Beispiel heimlich unters Essen gemischt wird. In vielen Kliniken macht es den Eindruck, die Medikation stehe über der eigentlichen Therapie. Aus Berichten geht hervor, dass viele Patient_Innen keine stationäre Behandlung und lieber ambulante Hilfe bräuchten, ein stationärer Platz jedoch profitabler ist.
Schon 1971 wurden die Zustände in den Psychiatrien untersucht und als „katastrophal“ erklärt. Ziele einer sogenannten „Psychiatrie-Reform“ wurden beschlossen – und bis heute nicht vollständig erreicht. Die neuen Berichte schätzen ein, die Situationen in den Psychiatrien wären zum Teil wie noch vor 20 bis 30 Jahren.

Heilung ist ein Privileg

Etwa 1.000.000.000 Menschen auf der Welt sind aktuell von psychischen Erkrankungen betroffen – dabei dürfte die Dunkelziffer noch viel höher sein, da viele aufgrund der schweren Zugänglichkeit zu professioneller Hilfe und der gesellschaftlichen Stigmatisierung nicht diagnostiziert werden. Während arme Menschen am stärksten betroffen sind, sind sie gleichzeitig auch die Menschen, die am seltensten in Behandlung sind. In Deutschland sind die häufigsten Krankheitsbilder Angststörungen, Depressionen und Sucht – mehr als jeder vierte Erwachsene ist jährlich davon betroffen. Menschen in Therapie müssen oft ihre Arbeitszeiten für ihre Sitzungen opfern, sofern sie die Möglichkeit dafür haben, oder müssen eher sogar zwischen ihrem Job und Therapie wählen. Somit sind Betroffene häufiger von Arbeitslosigkeit und Armut bedroht. Armut ist also nicht nur Auslöser, sondern kann auch Folge einer psychischen Störung sein. Sich von einer psychischen Erkrankung erholen zu können ist also ein Privileg. Und das sollte es nicht sein.

Die Befreiung der Menschen als wirksamste Therapie

Wer sich jetzt diese Zahlen angesehen hat und immer noch glaubt, der Kapitalismus würde die Menschen nicht krank machen, kann nur Klassenfeind der unterdrückten Masse sein oder Martin Dornes heißen. Denn aus den Zahlen lässt sich eindeutig schlussfolgern: Menschen, die eine besondere Unterdrückung im Kapitalismus erfahren, sind auch gefährdeter eine psychologische Erkrankung zu erleiden oder an einem Suizid zu versterben. Übermäßige Arbeitsbelastung, fehlende Sozialleistungen, traditionelle Geschlechterrrollen und Familienverhältnisse, Krieg & ein kaputtgespartes Gesundheitssystem nützen einzig und alleine den Kapitalist_Innen und ihrem Streben nach maximalem Profit, während sie den Großteil der Menschen krank machen. Würde die Menschheit in Folge einer sozialistischen Revolution befreit werden und eine Gesellschaft aufgebaut werden, in der jeder Mensch an seinen Bedürfnissen orientiert leben kann, frei von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung, würde auch die psychoanalytische Forschung einen rasanten Sprung nach vorne machen. Weil sie nur noch dem wissenschaftlichen Interesse verschrieben wäre und nicht mehr von einem Kapitalinteresse bestimmt oder der Finanzierung der Herrschenden abhängig wäre und nicht in Konkurrenz zu anderen Forschungsinstituten stände. Menschen, die in Staaten leben, die ein stabileres Gesundheitssystem, kürzere Arbeitszeiten, bessere Bezahlung und weniger Leistungsdruck in der Gesellschaft ausgesetzt sind, sind statistisch gesehen glücklicher, als Menschen aus konservativeren oder kolonialisierten Staaten. Wie glücklich könnten wir also in einer Welt sein, die auf unsere freien Entfaltungen ausgelegt ist und sich nach unserer aller Bedürfnisse richtet, weil wir nun alle Teil der demokratischen Organisierung unserer Gemeinschaft wären?
Mit der Zahl der Arbeitslosen in der BRD und dem technologischen Fortschritt, wäre es möglich, dass wir mit 4 Arbeitstagen pro Woche und 5-6 Stunden am Tag, bei vollem Lohnausgleich weiter machen könnten. Studien belegen, dass 8-20 Stunden Arbeit pro Woche förderlich für die Gesundheit sind, während über 39 Stunden sich als schädlich für die Gesundheit herausgestellt haben, körperlich wie auch psychisch! Diese Änderungen sind sofort umsetzbar, Zahlen müssen dafür die Menschen, die mit unserer Gesundheit und unserer Arbeit ihren Reichtum ergaunert haben. Dieses System macht krank und nur wir können es durch gemeinsamen Kampf der Arbeiter_Innen, Jugendlichen, Arbeitslosen und Betroffenen ändern!

Daher fordern wir:

  • Sofortige Einführung der 6 Stunden-Tage und 4 Tage-Arbeitswoche, höhere Löhne und mehr Personal!
  • Hartz IV endlich abschaffen! Inflationsgedeckte staatliche Auszahlungen an von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen und selbstversorgenden Jugendlichen in Heimeinrichtungen.
  • Mehr Personal und Geld in die Kinderbetreuung und Bildungseinrichtungen! Lasst die Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit den Erwachsenen über ihren Betreuungs- und Schulalltag bestimmen!
  • Kollektive Selbstverteidigungsstrukturen für alle unterdrückten Gruppen!
  • Sofortiger staatlich finanzierter Inflationsausgleich!
  • Enteignung der Immobilienkonzerne – die Häuser denen die sie brauchen! Kein Mensch darf mehr von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen oder gar nur bedroht sein!
  • Transsexuellengesetz abschaffen! Für eine sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung!
  • Emotionaler Missbrauch ist Missbrauch und muss als solcher anerkannt und verfolgt werden! Ausbau von Schutzeinrichtungen für Gewaltopfer jeder Art und Geschlecht!
  • Bleiberecht für alle! Für sichere Fluchtwege und offene Grenzen!
  • Keine Profite auf Kosten unserer Gesundheit! Entprivatisierung des Gesundheitssystem und Enteignung der pharmazeutischen Industrien unter Kontrolle der Arbeiter_Innen!

Quellen:

Armut und Depression: https://amp.focus.de/gesundheit/ratgeber/depression/soziale-ungleichheit-ganz-unten-was-ihr-ueber-den-teufelskreis-aus-armut-und-depression-wissen-muesst_id_10183665.html

Abbruchquote Therapie: https://m.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/warum-patienten-psychotherapien-abbrechen-13524579.amp.html

Wirksamkeit und Methodik Psychotherapie: https://www.spektrum.de/news/psychotherapie-was-tatsaechlich-wirkt/1991017

Depression und Corona: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/who-corona-anstieg-psychische-krankheiten-101.html

Mobbing: https://www.experto.de/businesstipps/Suizid-als-letzter-ausweg-aus-der-mobbing-falle.html

Emotionaler Missbrauch: https://blog.cognifit.com/de/emotionaler-missbrauch/amp/

8 Stunden Tag: https://hire.workwise.io/hr-praxis/organisationsentwicklung/sechsstundentag

Wohnungsfrage: https://www.deutschlandfunknova.de/amp/beitrag/psyche-wohnungssuche-kann-krank-machen

https://www.deutschlandfunknova.de/amp/beitrag/psyche-wohnungssuche-kann-krank-machen

https://www.wz.de/nrw/mehr-wohnraum-gefordert_aid-57926687

https://www.empirica-institut.de/nc/nachrichten/details/nachricht/cbre-empirica-leerstandsindex-2021/

Burnout: https://anti-stress-team.de/blog/stress/burnout-statistiken/

Flucht: https://www.dw.com/de/unhcr-mehr-menschen-denn-je-auf-der-flucht/a-61894830

Psychiatrien/Psychotherapie: https://www.empirica-institut.de/nc/nachrichten/details/nachricht/cbre-empirica-leerstandsindex-2021/

https://www.stern.de/amp/wirtschaft/news/team-wallraff-deckt-untragbare-zustaende-in-psychiatrien-auf-8628102.html

https://www.psychologie-aktuell.com/news/aktuelle-news-psychologie/news-lesen/der-psychiatrie-skandal-hunderttausende-patienten-landen-aus-finanziellen-gruenden-im-krankenhaus.html

https://www.spiegel.de/politik/das-dasein-wird-seziert-a-0e34f794-0002-0001-0000-000013691520

https://www.spiegel.de/politik/das-dasein-wird-seziert-a-0e34f794-0002-0001-0000-000013691520

https://www.aerzteblatt.de/archiv/25936/Psychiatrie-Reform-Auf-halbem-Weg-stecken-geblieben




Non-Binary in der Schule: Wie ist das so?

Interview mit Flo, Artikel aus der FIGHT 2023, unserer Zeitung gemeinsam mit der Gruppe Arbeiter:innenmacht (und anderen Sektionen der LFI) zum 8. März 2023

Flo ist 15, geht zur Schule – und bevorzugt für sich keine Pronomen. Flo ist nämlich nicht-binär. Wie haben die Schulkolleg*innen reagiert? Gab es Probleme mit Lehrer*innen? Wir haben Flo um Einblicke gebeten. Das Interview führte Aventina Holzer.

Wann hattest du erstmals das Gefühl, dass „männlich“ oder „weiblich“ dich nicht wirklich beschreiben?

Man stellt es sich oft bisschen so wie in den Filmen vor, oder? Man steht vorm Spiegel und realisiert, dass man eigentlich lieber einen Penis möchte, oder sich nicht wohl mit Brüsten fühlt. Also so war es bei mir eher nicht. Es waren stattdessen viele unterschiedliche Dinge. Angefangen damit, dass ich mich schon im Kindergarten mit der Unterteilung in männlich und weiblich nicht wohlgefühlt habe. Und dass mich später Leute gefragt haben, ob ich männlich oder weiblich bin. Das hat mich damals schon geärgert. Aber auch Momente wo ich selbst gesehen habe, dass ich ausschaue wie ein Bursche und mich damit plötzlich wohlgefühlt habe.

Wusstest du gleich, dass du non-binary bist?

Nein. Ich habe mir viele Dokus angeschaut, speziell zum Thema inter Personen. Dort wurde das Thema „nicht (nur) Mann und Frau sein“ aufgegriffen. Das habe ich dann auch mit meiner Mutter diskutiert, die das nicht ganz verstanden hat. Ihre Antwort auf meine Frage, ob es noch was anderes als weiblich und männlich gäbe, war „nein!“. Das hat mich damals auch ziemlich enttäuscht und den Gedanken zu meiner eigenen Nicht-Binärität nach hinten geschoben. Später habe ich dann über TikTok und Instagram viele Leute gefunden, mit deren Content ich mich identifiziert habe – und so auch mehr über meine Geschlechtsidentität herausfinden konnte. Wie hat dein Umfeld darauf reagiert? Damit hatte ich viel Glück, weil ich zu dem Zeitpunkt schon politisch aktiv war – damals bei Fridays for Future. Davor habe ich kaum queere Menschen gekannt und dann waren plötzlich alle dort gay. Ich wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass ich nicht-binär bin und konnte das in diesem Rahmen auch zum ersten Mal äußern. Da habe ich mich dann auch zum ersten Mal getraut, meine Pronomen zu sie/er zu ändern (Anm: mittlerweile verwendet Flo keine Pronomen). Meine Eltern waren ein bisschen schwieriger, weil sie das alles nicht kannten.

Wie lief dein Outing in der Familie?

Ich war ur nervös als ich ihnen gesagt habe, dass ich keine Pronomen mehr verwende und nur bei meinem richtigen Namen genannt werden möchte. Die nächsten eineinhalb Jahre hatten wir viele Gespräche darüber und ich wurde tausendmal ge-deadnament und misgendert. Das hat auch immer wieder intentional gewirkt. Meine Oma und Tante waren dann relativ cool. Sie haben auch begonnen, keine Pronomen für mich zu verwenden und neue Begriffe für Nichte/Neffe, Enkel/Enkelin zu erfinden. In der Schule wurde mein Coming-out hingegen zum Großteil ignoriert. Vor allem weil die Leute es nicht so richtig verstanden haben, einige haben es aber auch ganz gut akzeptiert.

Wie geht es dir dir mit dem Umgang mit deiner Geschlechtsidentität in der Schule?

Naja, da ist das Namens-Ding. Wenn Lehrer*innen die „richtigen“ Namen verwenden. Mein Name ist auf keiner Liste geändert – und darum weigern sich einzelne Lehrpersonen, meinen Namen zu lernen. Eine meinte sogar, dass wir uns jetzt ja nicht erwarten sollen, dass sie unsere neuen Namen oder diese „komischen Pronomen“ lernt. Und beim Elterngespräch wurde von manchen Lehrer*innen das Thema die ganze Zeit auf Transidentität gelenkt, statt darüber zu reden, weswegen das Gespräch eigentlich stattfindet – meiner Noten. Leute gehen davon aus, dass trans Personen einfach ein allgemeines Thema sind, über das alle jetzt plötzlich reden können und mitentscheiden, was ihre körperliche Selbstbestimmung angeht. Jede*r hat eine Meinung dazu und jede trans Person muss auch immer sofort darüber diskutieren.

Wie fühlst du dich, wenn du so darüber ausgefragt wirst?

Schüler*innen sind oft verwirrt – was auch voll ok ist. Jede*r sollte nachfragen, wenn man sich bei etwas nicht sicher ist. Aber viele Leute stellen auch sehr persönliche Fragen über Transitions, die einer cis Person nie gestellt werden würden. Meine Schule selbst ist aber zum Glück eigentlich eh sehr queer geprägt. Transmaskuline Menschen können etwa bei den Burschen mitturnen zum Beispiel. Es wäre sicher an vielen anderen Schulen viel schlimmer. Trotzdem fühlt man sich als trans Person oft als Vorführexemplar.

Was hättest du dir in der Schule als Unterstützung gewünscht?

Eine Vertrauensperson, die beim Thema ausgebildet ist, wäre sehr wichtig. Die Person sollte sich auskennen, weil man sich sonst immer erklären muss und die Hürde dann sehr hoch ist, sich an diese Person zu wenden. Am Anfang wäre es auch wichtig von der Lehrer*innen-Seite aus auch zu fragen, wie die Eltern dazu stehen und das mitein-zubeziehen. So kann vermieden werden, trans Personen in unangenehme Situationen zu bringen oder auch ein Coming Out zu erzwingen.

Würde eine Thematisierung im Unterricht helfen?

Gibt es sowas aktuell? Thematisierung von trans-Identität im Unterricht ist momentan meistens freiwillig. Es heißt „wir können darüber reden, wenn es Leute interessiert“ und wenn es dazu kommt, ist es nicht besonders informiert. Es ist doch nicht nur eine Interessensfrage, es gibt so viel Falschinformation in den Medien – da braucht es eine Fixierung im Lehrplan! Schulungen zu dem Thema wären auch eine gute Sache, sonst werden queere Schüler*innen die ganze Zeit als Lexikon verwendet.

Hast du Tipps an Lehrer*innen und Mitschüler*innen, wie man am besten mit einem Coming Out umgeht?

Die eigenen Pronomen sagen hilft auf jeden Fall mal, es ist zum Beispiel cool, wenn Lehrer*innen das im Rahmen von Vorstellungsrunden aufbringen. Es ist nämlich nervig, immer selbst auf Lehrer*innen zukommen zu müssen. Fragen zu der Person und Geschlechtsidentität zu stellen, ist voll ok. Aber man sollte sich vielleicht zuerst fragen: „Kann man es googeln?“, oder: „Sind manche Fragen doch zu intim? Würdest du die einer cis Person wirklich genauso stellen?“. Zum Beispiel Fragen zu Genitalien und zum Sexualleben. Aber Fragen stellen ist natürlich schon auch sehr wichtig, speziell, wenn man Probleme beim Verstehen von Pronomen hat. Man vertut sich am Anfang, das ist nicht so tragisch, man sollte sich einfach selbst korrigieren, weitermachen und nicht voll das Drama draus machen. Das bringt sonst trans Menschen nur in eine unangenehme Situation und lenkt vom eigentlichen Thema ab. Wichtig ist eben auch, dass Information nur weitergegeben werden, wenn explizit darum gebeten wird – zum Beispiel im Rahmen von Coming-outs. Oft heißt es, nicht-binär zu sein, sei ein Jugend-Trend.

Können cis-Personen helfen, dagegen aufzuklären?

Auf jeden Fall! Wenn diese Diskussion aufkommt und man als cis Person das Gefühl hat, dass die trans Person sich eh gut auskennt, macht es trotzdem Sinn sich in die Diskussion einzuschalten. Sonst bleibt es immer an trans Personen hängen diese Diskussionen zu führen und man fühlt sich sehr alleine.

Was sind gute Argumente dagegen?

Zum Beispield, dass das Wort „nicht-binär“ zwar relativ neu ist, aber das Konzept nicht. Die Geschichte ist voll mit trans Personen und auch in den Medien gibt es einige Leute, die sich nicht wohlfühlen mit der Geschlechtsbinärität, wie sie momentan aufrechterhalten wird. Als ältere Person kann man sich sicher auch zurückerinnern an Leute, die nicht reingepasst haben in die Binärität von männlich und weiblich, die sich damit nie speziell assoziiert haben oder die vielleicht auch schon früh wussten, dass ihr biologisch zugeschriebenes Geschlecht nicht dazu passt, wie sie sich fühlen. Jetzt gibt es eben Wörter dafür.

Wie stark werden non-binary-Menschen generell heutzutage diskriminiert?

Bis heute gibt es keine gesetzliche Gleichstellung. Stigmatisierung ist immer noch ein Thema, war aber früher auch noch viel stärker. Im Kontext von der Aids-Krise sind unglaublich viele queere Menschen gestorben und da die Gesellschaft früher noch viel homophober und transphober war, waren viel weniger queere Leute bereit, sich zu outen oder überhaupt lang genug am Leben. Das hat sich mit der Zeit verändert bzw. verändert sich immer noch. Bevor man solche Aussagen trifft, wie, dass es sich um einen „Trend“ handelt, sollte man erstmal nachdenken, warum gerade jetzt Menschen sich wohl genug fühlen ihre Identität öffentlich zu diskutieren. Und natürlich gibt es durch das Internet auch mehr Zugang zu Informationen und Möglichkeiten sich anonym Ratschläge und Unterstützung zu holen. Das ist einfach eine neue Art zu kommunizieren und sie bringt auch viele neue Möglichkeiten, mit der Welt in Interaktion zu treten. Und eigentlich ist es schön, dass jetzt viel mehr Menschen zu ihrer Identität finden und zu ihr stehen können.

Über Flo

Flo ist Akivist*in beim Jugendrat und Schüler*in. Flo ist seit ein paar Jahren politisch aktiv und engagiert sich einerseits in der Klimabewegung, aber auch gegen Kapitalismus und für eine befreite Gesellschaft. Der Jugendrat ist eine politische Organisation von jungen Menschen, die sich aus der Fridays for Future Bewegung gegründet hat. Klimagerechtigkeit ist ein zentraler Grund für seine Gründung. Klimagerechtigkeit kann aber nur erreicht werden, indem man mit dem kapitalistischen System bricht, welches nur nach Profitgier Entscheidungen trifft. Deshalb ist der Jugendrat auch unabhängig von politischen Parteien, um radikal für unsere Zukunft kämpfen zu können.