All we want for Christmas is Communism!

Von Leonie Schmidt, Dezember 2023

Weihnachten soll ja die Zeit sein, in der wir mal allen Zwist hinter uns lassen und einfach eine schöne Zeit miteinander haben. Es ist auch für die größten Revolutionär:innen wichtig und richtig, wenigstens einige Stunden lang dem Abfuck der Welt zu entfliehen, und wir wünschen euch alle, dass euch das die Tage vergönnt ist. Aber wäre es nicht schön, wenn man gar nicht erst entfliehen müsste? Denn eigentlich ist allen klar, dass die wenigsten Menschen auf dieser Welt die nächsten Tage in irgendeiner Art und Weise besinnlich oder gar friedlich begehen können werden. In Gaza und in der Ukraine toben Kriege, und die Menschen werden nicht nur von Waffengewalt bedroht, sondern leiden auch unter der Kriegszerstörung in den Gebieten. Insbesondere in Gaza sind die Lebensmittel extrem knapp: das UN-Welternährungsprogramm geht davon aus, dass hier über 500.000 Menschen zu verhungern drohen und so gut wie jeder gerade unter akutem Hunger leidet. Aktuell gibt es weltweit 42 Kriege. Aufgrund dessen (und auch aufgrund von Armut und Umweltkatastrophen) befinden sich auf der Welt gerade über 110 Millionen Menschen auf der Flucht. Die größten Flüchtlingsbewegungen finden im Moment aus Syrien und aus Venezuela statt. Und auch die Spannungen zwischen den imperialistischen Staaten spitzen sich immer weiter zu, wie wir es unter anderem in der Ukraine sehen konnten: die Neuaufteilung der Welt, also der Kampf um die Einflussgebiete in der halbkolonialen Welt durch die Imperialist:innen, ist im vollen Gange.

Aber die Vielfachkrisen machen nicht einmal vor den Toren der kernimperialistischen Zentren halt. Wenn wir vor unsere Haustür schauen, sehen wir ebenso: Arbeitslosigkeit, Armut, Ausbeutung, Obdachlosigkeit, Inflation und der damit einhergehende massive Reallohnverlust, Kürzungen von Sozialleistungen und von Investition in Bildung und Gesundheit, Gewalt gegen Unterdrückte und einen fortwährenden Rechtsruck. Und das während die Kapitalist:innen ihre Profite an die Investor:innen verteilen und in ihre Privatjets steigen, um das Weihnachtsfest wahlweise in St. Moritz oder Aspen zu verbringen. Selbst die bürgerlichen Ökonom:innen weisen darauf hin, dass wir uns aktuell in einer äußerst krisenhaften Situation befinden. Der internationale Währungsfonds sagt für das Jahr 2024 weiterhin ein sehr geringes Wachstum voraus, das niedrigste seit Jahrzehnten.

Die weltweite Lage ist also denkbar schlecht und daran sollten wir uns erinnern, wenn die Songs im Radio von weihnachtlicher Liebe und Frieden in der Welt spielen. Wie können wir also dafür sorgen, dass es nicht bloß ein Schein, sondern echte Einigkeit und Solidarität entsteht?

Das größte Geschenk an die Menschheit: ein revolutionärer Systemwechsel

Die Krisen des Kapitalismus, die all das Leid und die Ausbeutung verschärfen, passieren nicht zufällig, sondern sind in seinen systemischen Gesetzmäßigkeiten verankert. Einen Kapitalismus ohne Krisen kann es also gar nicht geben, denn das Kapital hat keine inneren Grenzen und strebt nach immer größerem Wachstum, was automatisch zu Währungsabwertungen, Börsencrashs, Insolvenzen und Schulden führen muss. Besonders relevant ist hier der tendenzielle Fall der Profitrate, welcher laut Marx zu den periodisch-wiederkehrenden Krisen führt und den inneren Widersprüchen des Kapitals entspringt.

Die Ungerechtigkeiten, die in Kapitalismus letztendlich dadurch entstehen, dass nicht die Arbeiter:innen selber die Produktionsmittel besitzen und verwalten, sondern die Kaptialist:innen, sollten uns nicht als naturgegeben vorkommen, denn über die Geschichte der Menschheit hinweg gab es sehr viele verschiedene Formen, wie Menschen zusammen gewirtschaftet haben und das ging auch ohne Ausbeutung. Immer wenn eine neue Gesellschaftsform auftritt, müssen sich die inneren Widersprüche des vorherigen Systems sich so sehr zugespitzt haben, dass es Zeit für eine neue Produktionsweise wird. Und hinsichtlich des Kapitalismus ist die Zeit schon lange reif. Mit einer gerechten Gesellschaft können wir die Ideale des Weihnachtsfests, die im Kapitalismus nur Floskeln sind, wahr werden lassen: Nächstenliebe, Selbstlosigkeit, Einigkeit, Freude und Frieden für die ganze Welt.

Wir wollen in einem System leben, wo die Produktion und alle Regeln des Zusammenlebens demokratisch durch die Arbeiter:innenklasse nach den Bedürfnissen der Bevölkerung geplant wird: dem Sozialismus. Natürlich ist der Sozialismus noch eine Gesellschaftsform, indem das Bewusstsein der Klassengesellschaften, mitsamt des reaktionären Gedankengut, noch nicht vollständig überwunden ist. Es stellt aber zumindest einen Schritt dar, um durch Enteignung der Betriebe und Zerschlagung des Staatsapparats, einen Grundstein in Richtung befreite klassenlose Gesellschaft (aka Kommunismus) zu legen. Bekanntermaßen gab es schon diverse Versuche, den Kommunismus zu erreichen, die jedoch gescheitert sind. Grund dafür war, dass die Revolutionen auf halbem Wege stecken geblieben sind, sodass es eben keine echte Arbeiter:innenkontrolle gab, sondern dass die Betriebe zwar enteignet waren, jedoch die Planung klassenfernen Bürokrat:innen überlassen wurde, die lieber ihre Stellung mitsamt ihrer Privilegien sichern wollten. Wenn wir uns wirklich für die Befreiung aller Menschen einsetzen wollen, dann dürfen wir es nicht fürchten, einen revolutionären Umsturz anzustreben. Denn wir sollten uns keine Illusionen machen: über Reformen und Wahlen werden wir nichts reißen können, denn die bürgerlichen Politiker:innen und Parteien vertreten die Interessen der Kapitalist:innenklasse und werden es nicht zulassen, dass sie durch Enteignungen ihrer Betriebe ihrer Existenz als Klasse beraubt werden.

Wie kommen wir dahin?

Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine internationale Massenbewegung bestehend aus Arbeiter:innen, Jugendlichen und Unterdrückten, die gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen wollen, denn der Kapitalismus lässt sich nicht innerhalb von Staatsgrenzen überwinden, da er selbst ein internationales System ist. Wir müssen uns da organisieren, wo wir uns täglich aufhalten: in den Schulen, den Unis und den Betrieben. Streiks dürfen dann nicht nur als ein symbolisches Mittel gesehen werden oder nur als etwas, was Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus erkämpfen kann oder Angriffe gegen die Arbeiter:innenklasse abwehren soll, sondern als ein Kampfmittel, was in Form eines politischen Generalstreiks die Existenz der Kapitalist:innen angreift und ihnen die Möglichkeit nimmt, Arbeiter:innen für ihren Profit auszubeuten.

Kein Wunschzettel: das revolutionäre Programm

Leider ist es so, dass viele Arbeiter:innen aktuell überhaupt kein Klassenbewusstsein haben. Sie sind zwar unzufrieden mit ihrer Situation, aber da es zurzeit keine starke linke Bewegung gibt, treibt diese Unzufriedenheit sie eher in die Hände der Rechtspopulist:innen wie der AfD. Das Klassenbewusstsein ist jedoch notwendig, damit sie überhaupt in der Lage sind, um für ihr objektives Klasseninteresse – das Überwinden des Kapitalismus – einzutreten. Um nicht einfach nur abstrakte Forderungen wie „Wir wollen Sozialismus“ zu skandieren, müssen wir Übergangsforderungen aufwerfen. Diese beziehen sich auf aktuelle Missstände und machen Vorschläge, für die man auch im hier und jetzt schon konkret eintreten kann, die aber auch die Systemfrage stellen. Auf diese Art und Weise knüpfen sie einerseits an den persönlichen Umständen an, gegen die sich Arbeiter:innen einsetzen wollen, können diese in Widerspruch mit dem aktuellen System bringen, und können auch schon durch diese sehr konkreten Forderungen den Weg zum Sozialismus aufzeigen. Ein Beispiel für eine solche Übergangsforderung wäre die entschädigungslose Enteignung unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse und Jugend von leerstehendem Wohnraum, welcher nur als Spekulationsobjekt bereit steht, und die kostenfreie Unterbringung von Geflüchteten, Obdachlosen und weiteren Bedürftigen, wie zum Beispiel Betroffen von häusliche Gewalt. Würde sich die Weihnachtsgeschichte heute abspielen, so hätte diese Forderung sicherlich auch Maria und Josef geholfen und das Christkind hätte nicht in einer Krippe geboren werden müssen. Die Forderung setzt bei verschiedensten Missständen an und bringt sie alle unter einen Hut, außerdem stellt man sich die Frage, warum eigentlich die gemeinen Immobilieneigentümer lieber die Mietpreise in die Höhe schießen lassen, anstatt den Wohnraum freizugeben: eine Kernfrage des Systems. Die Lösung wird ebenso präsentiert und damit aufgezeigt, dass nur die Arbeiter:innenklasse für eine gerechte Verteilung von Wohunraum sorgen kann. Diese Übergangsforderungen gilt es in einem revolutionären Programm zusammen zu fassen und in die Arbeiter:innenklasse herein zu tragen. Gute Ansätze liefern hier zum Beispiel bereits bestehende Arbeitskämpfe, aber auch bei sozialen Bewegungen ist das möglich und notwendig. Wichtig ist aber auch, dass jede:r Einzelne von uns sich organisiert. Damit hat leider der Wunsch einer gerechteren Gesellschaft weniger etwas von einem Weihnachtsgeschenk, was man einfach bekommt, sondern viel mehr von einem Neujahrsvorsatz, wofür wir aktiv werden müssen. Also: Die Weihnachtstage gut überstehen, vielleicht sogar etwas Energie tanken, und dann ran an’s Werk!




106 Jahre: Die Oktoberrevolution und wie sie verraten wurde

Alexander Breitkopf, November 2023

Heute vor 106 Jahren fand im damaligen Russland die Oktoberrevolution statt und brachte die Gründung der Sowjetunion mit sich. Es war der große Sieg des Sozialismus, auf den rund 70 Jahre später mit dem Fall der Sowjetunion seine große Niederlage folgte. Wie kam es dazu, dass das bislang größte sozialistische Projekt der Weltgeschichte so krachend scheiterte? Lag es an der gierigen Natur des Menschen? Am inhärent autoritären Charakter des Staates? War es einfach Pech?

Aller Anfang ist schwer

Die Sowjetunion wurde gegründet als Arbeiter_Innenstaat und diesen Charakter hat sie bis ’91 nie ganz verloren. Die bedeutende Mehrheit der Produktionsmittel verblieb in der Hand des Staates, der Außenhandel blieb ebenfalls unter seiner Kontrolle, und statt dem Chaos des freien Marktes herrschte Planwirtschaft. Nichtsdestotrotz bedeutet das nicht, dass die Entscheidungen der Regierung auch im Interesse unserer Klasse waren. Im Gegensatz zum Kapitalismus, der sich auf die sich bereits im Feudalismus entwickelnden kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen stützen konnte, mussten diese für den Sozialismus erst entstehen. Da die Durchsetzung der neuen Ordnung gegenüber der alten an die Entwicklung der Produktivkräfte geknüpft ist, ist ihr Sieg auch immer zu bedeutenden Teilen eine ökonomische Frage – die neue Wirtschaftsweise, die Produktivkräfte mehr als die anderen fördert, gewinnt auf dem Weltmarkt. Eine ökonomische Vormachtstellung zementiert den Sieg des wirtschaftlichen Systems. Die Wirtschaft der Sowjetunion war jedoch nach einigen guten Jahrzehnten von Stagnation geprägt, und da die imperialistischen Staaten nicht kampflos kleinbeigeben, bedeutet Stillstand Rückschritt. Viel stärker als im Kapitalismus ist die Wirtschaft im Arbeiter_Innenstaat durch Entscheidungen des Staates bestimmt und bedarf einer korrekten Verwaltung. In diesem Sinne ist ein ökonomisches Versagen auch ein politisches (auch wenn die ökonomischen Grundlagen selbstverständlich eine bedeutende Rolle spielen).

Dass die Sowjetunion sich nicht auf dem besten Weg zum Kommunismus befand, lässt sich jedoch auch direkt an ihrer politischen Struktur beobachten. Der Staat nimmt im Sozialismus den Charakter eines Halbstaates unter der Kontrolle der Räte an, der die Bedingungen seiner eigenen Auflösung bereits in sich trägt. Anfangs noch benötigt als Struktur, die die Konterrevolution zurückhält und die Massen zur politischen Teilhabe befähigt, verliert er seine Notwendigkeit, je näher der Kommunismus kommt, und wird kleiner, bis er verschwindet. Das Gegenteil war in der Sowjetunion der Fall: Diese wurde geprägt von einem immer größeren und repressiveren bürokratischen Apparat, dessen Mitglieder ihre Stellung gegenüber den durchschnittlichen Arbeiter_Innen immer weiter zu verbessern wussten. Demokratische Strukturen waren Mangelware, die Identifikation der Arbeiter_Innen mit „ihrem“ Staat schwand zusehends – politische Emanzipation der Klasse sieht anders aus.

Der Aufstieg der Bürokratie

Wie kam es zu dieser Verkehrung der sozialistischen Ideen in ihr Gegenteil? Zentraler Faktor des Niedergangs der Sowjetunion waren die ökonomischen Voraussetzungen, die ihr geboten waren. Das zaristische Russland war bis auf wenige Ausnahmen wie St. Petersburg oder Moskau weit davon entfernt, kapitalistisches Zentrum zu sein, es hatte die Reste des Feudalismus nicht einmal vollständig abgeschüttelt. Diese Tatsache wurde durch den auf die Revolution folgenden Bürger_Innenkrieg noch verschärft, sodass Armut und Mangel herrschten. Dieser Tatsache sollte mittels der „Neuen ökonomischen Politik“, die in begrenztem Maße marktwirtschaftliche Elemente einführte, entgegen getreten werden. Dies geschah nicht ohne Erfolg – die Sowjetunion machte rasche Fortschritte in Richtung des Zieles, ökonomisch die imperialistischen Industriestaaten einzuholen. Zugleich ermöglichte dieser Aufschwung aber auch die Herausbildung einer privilegierten Schicht, und es wuchs ein bürokratischer Apparat heran, um zwischen diesen Gegensätzen zu schlichten. In Trotzkis Worten: „Wenn die Waren knapp sind, müssen die Käufer Schlange stehen. Wenn die Schlange sehr lang wird, muss ein Polizist für Ordnung sorgen.“ Diese Tatsachen waren ein Stück weit unvermeidbar. Der Kapitalismus löst sich nicht mit dem Hissen der ersten Sowjetflagge in Luft auf, seine Strukturen verschwinden nicht von heute auf morgen, und auf diese in begrenzten Maße zurückzugreifen ist in der Übergangszeit zwischen den Systemen auch für die perfekteste revolutionäre Partei unvermeidbar.

Stalins neuer „Sozialismus“

Im speziellen Fall der Sowjetunion entwickelten diese bürokratischen Organe jedoch mit ihrem Anwachsen auch ihre eigenen Interessen, namentlich den eigenen Machtausbau, und sie fanden sich in der Lage, diese auch durchzusetzen. Dies wurde dadurch begünstigt, dass, ebenfalls im Zuge des Bürger_Innenkrieges, führende Köpfe der Abrieter_Innenbewegung gestorben und andere ein Misstrauen gegenüber den Massen entwickelt hatten – die langen, konfliktreichen Jahre ließen viele müde und niedergeschlagen zurück. Gespiegelt wurde dies in einer gewissen Gleichgültigkeit der Massen an der Politik der Führung – der „Wille zur Massenorganisierung“ war an beiden Enden beschädigt. Besonders hilfreich bei der Festigung der Durchsetzung der bürokratischen Macht waren dabei zudem zwei politische Maßnahmen, die im Zuge des Bürger_Innenkrieges getroffen worden waren: Das Verbot von Oppositionsparteien sowie das Verbot von Fraktionen innerhalb der revolutionären Partei. Eigentlich als temporäre Maßnahme für die besonders zugespitzten Verhältnisse gedacht, waren diese nun willkommenes Mittel für die Kleinhaltung von Opposition von innen und außen auch in Friedenszeiten. Es kam zu einer Entmachtung der Partei und zu einer Zentralisierung der Kontrolle im Staat im bürokratischen Apparat unter der Führung von Stalin.

Dessen Theorie des „Sozialismus in einem Land“ wurde zur Staatsdoktrin, und das war den Massen durchaus nicht schwer zu verkaufen: Eine Reihe von Niederlagen, beispielsweise das Ausbleiben der Revolution in Deutschland, hatten den Glauben in eine Weltrevolution erodiert. Das bedeutete aber auch eine Abkehr vom Internationalismus: Friedliche Koexistenz mit den imperialistischen Staaten wurde gepredigt & beispielsweise mit dem Beitritt in den „Völkerbund“ auch praktisch umgesetzt. Arbeiter_Innenkämpfe wurden nur da unterstützt, wo es den eigenen Interessen diente, in Spanien setzten sich stalinistische Kräfte sogar direkt gegen sozialistische Forderungen ein. Unter sowjetischer Führung setzte sich diese Politik auch in der Kommunistischen Internationale durch.

Sozialismus im Schneckentempo

Im Grunde ist es zu viel des Lobs, den „Sozialismus in einem Land“ überhaupt als Theorie zu bezeichnen. Sie wurde nirgends in vollständiger Form formuliert, im Grunde erfüllte sie nur den Zweck, die tagesaktuelle Politik Stalins im Nachhinein zu rechtfertigen. Bucharin selbst (!!) fasste seinerzeit den „Sozialismus in einem Land“ mit den Worten zusammen. „Wir können den Sozialismus selbst auf dieser armseligen technischen Grundlage aufbauen, das Wachsen des Sozialismus wird viel, viel langsamer gehen, wir werden im Schneckentempo dahinkriechen, und doch werden wir an diesem Sozialismus bauen, ja ihn gänzlich errichten.“ Kurze Zeit später wurde proklamiert, man müsse „in verhältnismäßig minimaler historischer Frist“ die kapitalistischen Staaten ein- und überholen. Mal war die Sowjetunion schon sozialistisch, mal nicht, mal gab es noch Klassen, mal nicht. Besonders deutlich werden diese Widersprüchlichkeiten am Schicksal des Kulakentums, des kleinbürgerlichen Bäuer_Innentums, das erst lange Jahre unter der Parole „Bereichert euch!“ heranwachsen durfte, bis die Führung merkte, dass sie den Karren „im Schneckentempo“ gegen die Wand fuhr. Als Gegenmaßnahme wurde aufs Gaspedal gedrückt, und die überhastete Enteignung der Kulaken hatte fatale Folgen für Produktion wie Menschen gleichermaßen. Dass jede Theorie an der Praxis geprüft und, wo nötig, revidiert werden muss, ist klar, aber eine „Theorie“, die ohne ersichtlichen Grund erst A und dann B hervorbringt, ist offensichtlich von klaffenden Lücken durchzogen.

Der Niedergang und Fall der Sowjetunion haben historisch belegt, dass die Idee des Sozialismus in einem Lande nicht funktionstüchtig ist. Es hätte einer erneuten, politischen Revolution bedurft, um den Weg in Richtung Kommunismus erneut einzuschlagen, einer Redemokratisierung in Form der Wiedereinführung von Rätemacht und demokratischen Zentralismus, einer Wiederbesinnung auf den internationalistischen Charakter der Arbeiter_Innenbewegung, auch auf die Gefahr hin, in Konflikt mit den imperialistischen Staaten zu treten. Statt aus der Not eine Tugend zu machen, gilt es heute, mit den Lehren aus der Oktoberrevolution dafür zu kämpfen, dass der nächsten sozialistischen Revolution ein besseres Schicksal vergönnt ist.




5 Dinge, die wir heute von der Oktoberrevolution lernen können

Von Jona Everdeen, Oktober 2023

Vor nun 106 Jahren stürzte das russische Proletariat unter Führung der Bolschewiki die bürgerliche Kerenski Regierung und errichteten den ersten langlebigen Arbeiter_Innenstaat der Geschichte: Die Sowjetunion. Dass diese mit der Zeit immer stärker degenerierte und schlussendlich als direkte Folge ihrer Fehler unterging, schmälert diesen Triumph Lenins und seiner Genoss_Innen kaum. So ist die Oktoberrevolution noch immer DAS inspirierende Beispiel für uns als Kommunist_Innen dafür, wie es gelingen kann, die bourgeoise Klassenherrschaft endlich zu brechen, den bürgerlichen Staat in einer Revolution des Proletariats hin fortzufegen und auf seinen Trümmern eine neue Gesellschaft zu errichten. Doch warum genau ist die Oktoberrevolution für uns, abgesehen von Folklore, heute noch so relevant? Welche zentralen Erkenntnisse können wir aus ihr für die heutige Zeit und somit auch für einen neuen Anlauf zum Sozialismus ziehen?

1. Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Die erste zentrale Lehre der Oktoberrevolution zeigt sich bereits anhand ihres Zustandekommens selber. So geschah sie als Folge der sich abzeichnenden Niederlage des russischen Zarenreichs gegen das ökonomisch deutlich stärkere und somit mächtigere deutsche Kaiserreich im 1. Weltkrieg. Die Soldaten waren nicht mehr bereit, weiter für die imperialistischen Ziele des Zaren und der russischen Bourgeoisie zu sterben. So kam es zunächst zur Februarrevolution, die den Zaren entmachtete und später, als die bürgerlich-liberale Kerenski Regierung den Krieg fortführen wollte, schließlich zur Oktoberrevolution. Statt Krieg und Imperialismus wählten die russischen Arbeiter_Innen, Bäuer_Innen und Soldaten Frieden und Sozialismus.

Dies kam jedoch keineswegs aus dem Nichts. So waren die Bolschewiki unter Lenin von Beginn des Krieges an, neben der italienischen Sozialdemokratie, die einzige Sektion der 2. Internationale, die sich gegen die Kriegsanstrengungen des eigenen Imperialismus stellte und keinen Burgfrieden mit diesem schloss. Stattdessen warf Lenin die Losung des revolutionären Defätismus auf. Das bedeutet, dass die Niederlage des eigenen imperialistischen Staates für die Arbeiter_Innen besser ist als die Unterstützung dessen Kriegsanstrengungen, dass der Hauptfeind der Arbeiter_Innen im eigenen Land steht und nicht im gegenüberliegenden Schützengraben und dass der imperialistische Raubkrieg in einen Bürgerkrieg gegen die eigene Kapitalistenklasse und ihren Staat verwandelt werden muss.

Diese Erkenntnis ist für uns heute, wo die Imperialist_Innen, ob sie nun Putin, Biden, Baerbock oder Sunak heißen, den Militarismus anheizen und aufrüsten, wichtiger denn je und muss unsere Politik bestimmen in einer sich möglicherweise anbahnenden Phase neuer Kriege.

2. Die Revolution muss international sein oder sie ist nichts

Anknüpfend daran zeigte die Oktoberrevolution ebenfalls eine weitere Tatsache, die auch in Zukunft von unschätzbarem Wert sein wird: Nämlich die Tatsache, dass die sozialistische Revolution nur siegen kann, wenn sie als internationale Revolution gedacht und geführt wird. Dies beweist der Sieg der jungen Sowjetunion über die ausländische Intervention. So besetzten die verschiedenen imperialistischen Großmächte in Folge der Oktoberrevolution sowie der weißen Konterrevolution mehrere, teils große, Gebiete des ehemaligen russischen Zarenreichs, wobei der im Krieg gegen das Zarenreich siegreiche deutsche Imperialismus zunächst die Hauptrolle einnahm. Deutschland und sein Verbündeter Österreich-Ungarn besetzten das Baltikum, Belarus, die Ukraine und Teile des Kaukasus. Lenin wusste, dass er die riesige Übermacht der Mittelmächte nicht militärisch brechen konnte, er wusste aber auch, dass es in Berlin, Wien und Budapest bereits brodelte und dass die Chance bestand, dass das Proletariat auch dort den Imperialismus zu Fall bringen könnte. Während sich Lenin den Forderungen der Mittelmächte im Frieden von Brest-Litowsk formal unterwarf, spekulierte er auf die Unterstützung der deutschen, österreichischen und ungarischen Arbeiter_Innen. Diese enttäuschten ihn nicht. Als die Niederlage Deutschlands an der Westfront abzusehen war, kam es zum deutschen Gegenstück der Oktoberrevolution: der Novemberrevolution und auch in Österreich und Ungarn, angeführt von ehemaligen Kriegsgefangenen der K.U.K.-Armee, die die Revolution in Russland miterlebt hatten, kam es zu Revolutionen, die das Habsburgerreich zersprengten.

Auch die Interventionsarmeen der Entente-Mächte Frankreich und Britannien mussten vor allem abgezogen werden, da diese nicht mehr für die Loyalität ihrer Truppen und die Akzeptanz des Kriegseinsatzes in der Heimat garantieren konnten.

Die Oktoberrevolution, die Etablierung der Sowjetunion, war somit nicht nur ein Sieg des russischen Proletariats, sondern Resultat des vereinten Klassenkampfes des Weltproletariats. Der nationalistische-kriegsbefürwortende Sozialchauvinismus der 2. Internationale war praktisch besiegt worden.

3. Die Etappentheorie ist Quatsch

Eine weitere These widerlegte die Oktoberrevolution, auch wenn dies bei vielen nicht richtig ankam und die falsche These noch immer von vielen stalinistischen oder maoistischen Kräften für wahr gehalten wird: die Etappentheorie.

So zeigte der Sieg der Oktoberrevolution, dass es sehr wohl möglich war, auch in einem rückständigen, nicht voll entwickelt kapitalistischen Land wie Russland eine sozialistische Revolution durchzuführen und einen Arbeiter_Innenstaat aufzubauen.

Ein Flügel der Bolschewiki, dem auch Stalin angehört hatte, hatte für eine Anpassung an die Politik der Menschewiki und somit die Akzeptanz eines Stadiums der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung gestimmt, da dieses laut ihm nötig sei, um die Bedingungen für die sozialistische Revolution zu schaffen. Die Mehrheit der Bolschewiki, angeführt von Lenin und Trotzki, hingegen hatte für die Revolution gestimmt. Sie konnten mit der Oktoberrevolution aufzeigen, dass die Bedingungen für diese bereits da waren und dass es möglich war, in direkter Folge der siegreichen bürgerlichen Revolution eine sozialistische durchzuführen. Somit hatte sich Trotzkis Theorie der „Permanenten Revolution“ bestätigt.

Damit war die Etappentheorie jedoch leider noch lange nicht tot und wurde von stalinistischen Kräften immer wieder angewandt, so z.B. im chinesischen Bürgerkrieg der 20er Jahre sowie später im Iran. Dadurch, dass die stalinistische Tudeh Partei dort behauptete, der Iran bräuchte zuerst eine unabhängige bürgerlich kapitalistische Entwicklung und entsprechend zu einer Zusammenarbeit mit der „nationalen“, und in diesem Fall religiösen Bourgeoisie aufrief, konnten die Mullahs überhaupt an die Macht gelangen und ihre bonapartistische Terrorherrschaft etablieren nachdem die iranische Revolution 1973 den Schah gestürzt hatte. Umso wichtiger ist es, in Zukunft stets für die Losung der permanenten Revolution zu werben und aufzuzeigen, dass es sehr wohl möglich und nötig ist, in einem weniger entwickelten Land einen Arbeiter_Innenstaat zu errichten.

4. Nur der Sozialismus schlägt den Nationalismus!

Kürzlich erst kam es erneut zu einer Eskalation des jahrzehntealten Konfliktes zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach. Doch während 1917/18 und 1993/94 zwei brutale Kriege stattfanden, war es viele Jahre dazwischen ruhig in Bergkarabach und es war möglich, dass Armenier_Innen und Aseris friedlich nebeneinanderlebten. So konnten sich die linken Bolschewiki durchsetzen, die die Sowjetunion als eine Konföderation verschiedener Sowjetrepubliken aufbauen wollten, während andere rechte Kräfte eher eine Art großrussischen Arbeiter_Innenstaat anstrebten.

Dadurch konnten sich nationale Gruppen selber verwalten. Zusätzlich zu den Sowjetrepubliken gab es auch Regionen mit Autonomiestatus, wie eben Bergkarabach, die sich auch innerhalb der Sowjetrepublik, in der sie sich befanden, selbst verwalten konnten. Zwar sorgte die stalinistische Bürokratie später für eine undemokratische Zentralisierung, die sie benötigte, um ihre Macht zu sichern. Jedoch entschärfte die Selbstverwaltung der Republiken sowie das vereinende Element des Aufbaus des Arbeiter_Innenstaates, der durch eine extrem schnelle nachholende wirtschaftliche Entwicklung für viele Jahre das Lebensniveau drastisch anheben konnte, die nationalen Konflikte sowie das Entstehen von Rassismus und Chauvinismus. Erst als die stark degenerierte Sowjetunion in den 80er Jahren in ihre finale Krise geraten war, entluden sich alte nationale Konflikte wieder und es kam zu erneutem Hass, der in Bergkarabach in einen brutalen Krieg mündete.

5. Queer und Frauenbefreiung heißt Sozialismus!

Nicht nur gegen Nationalismus und Rassismus konnte die frühe Sowjetunion Erfolge verbuchen, auch in der Frage der selbstbestimmten Sexualität wurde sie in Folge der Oktoberrevolution zum fortschrittlichsten Land der Welt. Während in der BRD 50 Jahre später noch ausnahmslos jede homosexuelle Handlung (zwischen Männern) unter Strafe stand, legalisierten die Bolschewiki unter Lenin Anfang der 20er Jahre Homosexualität in den Ländern der Sowjetunion.

Damit war allerdings die gesellschaftliche Unterdrückung von queeren Menschen bei weitem noch nicht beseitigt, da das rückschrittliche Bewusstsein der Bevölkerung diesbezüglich mit der progressiven Gesetzeslage in Widerspruch stand und es keine organisierte Bewegung der Homosexuellen gab, wie es zum Beispiel eine proletarische Frauenbewegung gab. Jedoch war ein riesiger erster Schritt gemacht, dem vermutlich, wenn die Sowjetunion nicht bürokratisch degeneriert wäre, auch noch weitere Schritte gefolgt wären.

Stalin jedoch machte diesen ersten Schritt zur queeren Befreiung 1934 wieder zu Nichte, in erster Linie als Zugeständnis an die orthodoxe Kirche und sie umgebene konservative Kräfte, stellte er Homosexualität wieder unter Strafe.

Dennoch bleibt die Erkenntnis: Sozialismus schafft die Bedingungen, die für queere Befreiung notwendig sind. Auch die im Vergleich zu den kapitalistischen Staaten deutlich bessere Lage von queeren Menschen in der DDR im Vergleich zur BRD zeigt das auf, auch wenn hier ebenso wie in der UDSSR keine vollständige Befreiung und Akzeptanz durchgesetzt wurde und auch diesbezüglich ein rückschrittliches Bewusstsein in vielen Köpfen zurückblieb.

Auch die Frauenbefreiung war Teil der Oktoberrevolution. Die Beschlüsse, die 1918 bezüglich Ehe, Familie und Vormundschaft getroffen wurden, sind vermutlich die fortschrittlichsten, die die Welt je gesehen hat. Die Abtreibung wurde legalisiert, Ehen konnten viel leichter geschlossen und wieder geschieden werden, wobei beide Ehepartner gleichberechtigt waren. Des Weiteren wurden erste Schritte zur Vergesellschaftung von Hausarbeit gemacht, was die Frauen aus der doppelten Ausbeutung ansatzweise befreien konnte und dazu führte, dass die Reproduktionsarbeit in der Gesellschaft effektiver organisiert werden konnte.

Doch auch die Frauenpolitik blieb nicht von der stalinistischen Bürokratie verschont. Die Umgestaltung der Partei 1924 benachteiligte nicht nur die, die offene Kritik äußern wollten, um Fortschritte zu erzielen, sondern es waren auf einmal auch weniger Frauen, die Posten bekleideten. Man erklärte die Befreiung der Frau für bereits abgeschlossen und sah deshalb keine Notwendigkeit mehr für Einrichtungen, die nur für Frauen bestimmt waren. Es ging sogar soweit, dass es besondere Straftatbestände gab, die nur Frauen begehen konnten, wie Teil einer Familie zu sein, die „ein Feind des Volkes“ ist. Trotzki meinte daher, dass die Bürokratie es geschafft habe, den reaktionärsten Kern der Klassengesellschaft wieder herzustellen: die bürgerliche Familie.




Einen Safe Space gibt es nicht! Was ist eigentlich das Caucusrecht und wozu brauchen wir es?

von Erik Likedeeler, September 2023

Wer sich unser Programm durchliest, wird schnell auf den Begriff des Caucusrechts stoßen. Aber was ist das eigentlich?

Bei einem Caucus handelt es sich um ein gesondertes Treffen von Menschen, die auf eine spezifische Weise unterdrückt werden, zum Beispiel durch Sexismus, Queerfeindlichkeit, Rassismus oder Behindertenfeindlichkeit.

In diesem Artikel wird erklärt, wie ein Caucustreffen ablaufen kann, warum wir Unterdrückung auch innerhalb linker Organisationen bekämpfen müssen und warum es „Safe Spaces“ im Kapitalismus nicht geben kann. Als Beispiel wird in diesem Text der Kampf gegen Sexismus genutzt, das alles lässt sich aber auch auf andere Unterdrückungsformen übertragen.

Was passiert bei einem Caucustreffen?

Ein Caucustreffen bietet die Möglichkeit, sich in einem geschützteren Rahmen über konkrete Probleme, Missstände und Vorfälle von Sexismus innerhalb der Organisation auszutauschen. Es werden Fragestellungen im Zusammenhang mit Sexismus diskutiert und gemeinsame Ideen und Lösungen ausgearbeitet. Der inhaltliche Aufbau des Treffens kann selbst bestimmt werden. Wichtig ist, dass alle Betroffenen vorher über das Treffen informiert werden und die Möglichkeit bekommen, sich zu äußern.

Anschließend können organisatorische, politische oder analytische Empfehlungen und Forderungen zurück in die Organisation getragen werden. Die Maßnahmen werden der Mitgliedschaft oder der Leitung vorgelegt, um den Kampf gegen Sexismus voranzutreiben. Ein Vetorecht gegen Beschlüsse der Leitung oder abgestimmte Entscheidungen der Mitgliedschaft hat der Caucus jedoch nicht. Prinzipiell bleibt aber erst einmal alles, was im Rahmen des Caucus besprochen wird, unter Verschluss. Den Teilnehmenden ist es nicht erlaubt, mit Außenstehenden oder Genoss_Innen, die nicht am Caucus teilnehmen dürfen, über dessen Inhalt zu sprechen. Am Ende einigen sich die Teilnehmenden gemeinsam auf die Punkte, die sie in die Organisation tragen wollen.

Wo könnte es überall ein Caucusrecht geben?

Einen Caucus könnte es fast überall geben – zum Beispiel in einer politischen Organisation, aber auch in Gewerkschaften, Parteien, an Schulen und in Betrieben. Das Recht auf solche Treffen gehört immer wieder zu unseren politischen Forderungen, denn es gibt kaum Institutionen, die dieses Recht verankert haben.

Manchmal gibt es zwar an Schulen oder Unis Treffen von Unterdrückten, aber diese haben meist keinen Caucus-Charakter. Vielmehr dienen sie der gegenseitigen Vernetzung und existieren abgespalten vom Rest der Studierenden oder Schüler_Innen. Sie werden von diesen nicht anerkannt und machen es sich nicht zum Ziel, politische Forderungen an sie heranzutragen.

Ein Caucus sollte so oft einberufen werden dürfen, wie es Bedarf danach gibt – am besten während der Arbeits- oder Unterrichtszeit, damit die antisexistische Arbeit nicht von der Freizeit abgeht.

Das Caucusrecht ist auch in unserem Programm abgedeckt, welches die Grundlage unseres politischen Handelns bildet. Dadurch erfahren neue Mitglieder von Anfang an von dieser Möglichkeit, und die Treffen bleiben nicht in einer „rechtlichen Grauzone“.

„Sexismus? Bei uns doch nicht!“

Viele Menschen sind davon überzeugt, sie selbst seien nicht sexistisch – oder wenn sie es einmal waren, dann haben sie das alles längst wegreflektiert. Als Marxist_Innen vertreten wir das Prinzip: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ In diesem Fall bedeutet das, dass wir in sexistische Verhaltensmuster zurückfallen können, solange wir in einer Gesellschaft leben, welche dieses Verhalten hervorbringt, fördert und belohnt. Das beweisen die vielen unaufgeklärten Fälle von Machtmissbrauch und Täterschutz innerhalb der linken Szene.

Sich über ein Problem bewusst zu werden bedeutet nicht, dass dieses Problem damit gelöst ist. Wir können uns nicht vollständig aus unserem Umfeld und unserer Sozialisation herausdenken. Deshalb behaupten wir auch nicht von uns selbst, dass wir frei von Sexismus wären. Die Augen vor Problemen zu verschließen, bedeutet im schlimmsten Fall, dass diese Probleme sich ungehindert weiter ausbreiten können.

Das heißt natürlich nicht, dass wir uns selbst einen Freifahrtschein ausstellen und mit dem Antisexismus warten, bis der Sozialismus kommt. Wir wollen nicht so tun, als wären wir unserer Sozialisation völlig hilflos ausgeliefert, oder als hätten wir gar keine Handlungsmöglichkeiten.

Damit wir als gesamte Arbeiter_Innenklasse zusammenarbeiten können, müssen wir unser Bestes geben, um Sexismus auch innerhalb der Arbeiter_Innenbewegung zu bekämpfen. Denn Unterdrückung dient auch dazu, uns zu spalten, uns gegeneinander aufzuhetzen und uns von unserem wahren Feind abzulenken: den Kapitalist_Innen.

Deshalb müssen wir sowohl präventiv arbeiten, als auch bereits geschehene Vorfälle aufarbeiten. Dabei ist uns immer bewusst, dass die Arbeit an uns selbst nicht ausreicht. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen und patriarchale Strukturen mitsamt der Klassengesellschaft zerschlagen.

Separate Treffen – ist das keine Spaltung?

Um die Klassengesellschaft abzuschaffen, braucht es ein revolutionäres Programm mit Forderungen, hinter denen wir alle vereint stehen. Dauerhafte Vereinzelung je nach Identität ist dabei nicht hilfreich.

Aber es gibt Situationen, in denen es mehr Erfolg bringt, sich als Unterdrückte separat zu treffen: Sich eine eigene Vernetzung aufzubauen ermöglicht erst den Rahmen, in dem alle Aktivist_Innen gemeinsam handeln können. Dadurch kann auch verhindert werden, dass der Kampf gegen Sexismus zu einem unwichtigen Nebenziel erklärt wird.

Außerdem schützt das Caucusrecht unsere Organisationsform, den demokratischen Zentralismus. Das bedeutet, dass wir untereinander frei diskutieren und demokratisch über unsere Forderungen abstimmen, während wir nach außen gemeinsam auftreten und vereint hinter unseren Positionen stehen. Dieses gemeinsame Auftreten könnte zum Zerbrechen einer Gruppe führen, falls die demokratischen Rechte nicht abgesichert werden.

An wem bleibt die antisexistische Arbeit hängen?

Häufig bleibt die politische Arbeit zum Thema Antisexismus an denjenigen hängen, die selbst von Sexismus betroffen sind. Dadurch wird die Unterdrückung nicht gebrochen. Sie kann sich sogar noch verstärken, wenn unterdrückte Personen dadurch an ihrer politischen Arbeit gehindert werden und weniger präsent sind.

Deshalb ist es wichtig, dass sich nicht nur Unterdrückte zusammenfinden, sondern auch diejenigen, die nicht betroffen sind. Auch sie müssen Treffen einberufen, um sich mit der Rolle auseinanderzusetzen, die ihnen der Kapitalismus zuweist, sowie mit den Forderungen und Vorschlägen, die an sie herangetragen wurden. Oft finden deshalb bei uns zeitgleich zum Caucus antisexistische Reflexionstreffen statt, in welchem sich männliche Genossen mit ihrem Verhalten auseinandersetzen und gemeinsam Perspektiven aufwerfen.

Caucustreffen: Ein Safe Space?

Es bleibt die Frage, ob ein Caucus tatsächlich den geschützten Rahmen bieten kann, den man sich von ihm verspricht. Dazu sei Folgendes gesagt: Auch wenn ein Caucus die Möglichkeit gibt, offener und ungehemmter zu diskutieren, sollte nicht die Illusion entstehen, dass ein Caucus so etwas wie ein Safe Space oder eine Selbsthilfegruppe sein könnte.

Es gehört zum Wesen des Kapitalismus, dass man seine Ideologien nicht einfach abstreifen kann wie einen zu klein gewordenen Mantel. Unterdrückung kann auch verinnerlicht sein, das heißt zum Beispiel, auch Frauen können sich sexistisch verhalten. Und innerhalb eines antisexistischen Caucus könnte es weiterhin zu transfeindlichen, rassistischen oder behindertenfeindlichen Vorfällen, sowie zu Belästigung aller Art kommen.

Außerdem kann das Sprechen über Unterdrückung für alle Betroffenen belastend sein und unangenehme Emotionen und Erinnerungen an die Oberfläche bringen.

Fazit und Ausblick

Bisher haben sich Caucustreffen in unserer Organisation in der Praxis bewährt. Sie haben geholfen, das Bewusstsein für bestimmte Themen zu stärken, Debatten in neue Richtungen zu lenken, neue Positionen auszuarbeiten und das alltägliche Miteinander zu erleichtern.

Deshalb rufen wir auch andere linke Organisationen dazu auf, ihren Mitgliedern das Caucusrecht zu gewähren – denn nur so kann all ihren Mitgliedern und Sympathisant_Innen die politische Arbeit uneingeschränkt ermöglicht werden.




Grundlagen des Marxismus: Was ist eigentlich Faschismus?

Von Felix Ruga, September 2023, REVOLUTION Zeitung September 2023

Immer wieder werden recht unterschiedliche Kräfte als „faschistisch“ bezeichnet: Rechte Hools und sonstige Nazi-Banden, der Flügel um Höcke bis hin zur gesamten AfD oder auch einige Staaten wie Russland oder die Türkei. Phasenweise entsteht der Eindruck, dass „Faschismus“ einfach ein Synonym für „völkische Reaktionäre“ sei. Dies ist auch ein Stück weit verständlich, denn der Faschismusbegriff ist mit der Erfahrung der vernichtenden Politik der Nazis extrem aufgeladen und damit mobilisierend für den Kampf gegen Rechts.

Doch benötigt dieser Kampf auch Klarheit, denn verschiedene Formen von Reaktionären verlangen verschiedene Taktiken im Widerstand gegen sie. Der Kampf gegen Nationalliberale, Nationalkonservative, Rechtspopulist_Innen oder Faschos kann nicht gleich aussehen, weil diese auch jeweils unterschiedliche Klassenbasen und Taktiken haben. Als Grundlage unserer Faschismusanalyse verwenden wir jene von Trotzki, da diese den Klassenhintergrund mit der historischen Funktion des Faschismus verbindet. Die Analyse lässt sich in 5 Thesen zusammenfassen.

1. Der Faschismus erstarkt besonders in Phasen von gesellschaftlichen Krisen.

Ursprünglich ist der Faschismus (Fasci = Bünde) als Bewegung im Italien nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Die Situation war katastrophal: Die Bereicherung der einen und Verarmung der anderen, Tot und Vertreibung vom Lande und Zurückspülen der Soldaten aus dem Krieg, versteckte Deserteure in den Dörfern, zerrissene Familien, ein Ende vieler tradierten Arbeitsteilungen bei gleichzeitigen Wellen von Streiks und Besetzungen durch die Arbeiter_Innenbewegung mischten die Gesellschaft heftig durcheinander und sorgte insgesamt für einen unübersichtlichen und chaotischen gesellschaftlichen Gang, für den die liberal dominierte herrschende Klasse zunächst keine Antwort wusste. Die sozialistischen Parteien waren zwar stark und groß, konnten jedoch nur Reformen erkämpfen. Die Faschist_Innen haben hierbei einen „Dritten Weg“ versprochen. Diese Situation ähnelt Deutschland um 1930 in der Wirtschaftskrise.

2. Um eine starke Massenbewegung der Arbeiter_Innen zu zerschlagen, ist eine reaktionäre Massenbewegung notwendig.

Denn in einer zugespitzten Situation im Klassenkampf verschiebt sich die Macht von den gelähmten Parlamenten auf die Straße und in die Betriebe. Die Arbeiter_Inneklasse ist organisiert und erkennt im Kampf immer mehr, dass sie eine Klasse ist. Ihr Bewusstsein als Gesellschaftsklasse wächst an. Die Herrschaft der besitzenden Klasse könnte dadurch ins Wanken geraten, sodass Mittel zur Zerschlagung dessen angewendet werden. Hierbei können zwar Angriffe durch den bürgerlichen Staat in Form von Polizeigewalt Wirkung erzielen, aber Notlösung für die bürgerliche Herrschaft kann eine reaktionäre Massenbewegung sein, die selbst große Menschenmengen in Bewegung bringt. So wird der Macht der Arbeiter_Innenbewegung auf der Straße mit Kleinkriegen und roher Gewalt begegnet, die nur allzu oft von der staatlichen Bestrafung verschont bleiben. Das ist ein wesentliches Merkmal des Faschismus‘ vor der staatlichen Machtergreifung: Er stützt sich auf eine Massenbewegung von unmittelbarer Gewalt. Dies unterscheidet ihn von den meisten reaktionären Strömungen, die eher innerhalb der bürgerlichen Parlamente und Institutionen ihre Machtbasis sehen.

3. Diese Bewegung muss kleinbürgerlich sein und eine nationalistische und antikapitalistische Rhetorik mit größter Feindschaft gegen die Arbeiter_Innenbewegung verbinden.

Zunächst waren rein statistisch in den Anfangsstadien des Faschismus die kleinbürgerlichen Schichten gegenüber den proletarischen überrepräsentiert. Das ist aber hierbei nicht das Entscheidende. Der Klassencharakter drückt sich eher in der Ideologie und der Funktion aus: Zerschlagung der bedrohlichen Arbeiter_Innenbewegung und kompromisslose Herstellung einer stabilen kapitalistischen Ordnung, bei gleichzeitiger Anti-Establishement-Rhetorik und sozialstaatlicher Versprechungen. Indem alle im reinen Volkskörper aufgehen, sollen die Klassenwidersprüche als Ganzes versteckt werden. Besonderen Ausdruck findet dies im Antisemitismus, bei dem die Faschos zwar einen „antikapitalistischen“ Kampf inszenieren, ohne jedoch den Kapitalismus als System angreifen, indem sie die Missstände des Kapitalismus‘ auf die Jüd_Innen projizieren. Das Vertragen dieser Gegensätze drückt gerade das widersprüchliche Klasseninteresse der kleinbürgerlichen Schichten aus, die sowohl Angst vor der großkapitalistischen Konkurrenz als auch vor der fordernden Arbeiter_Innenbewegung haben.

4. Der Machtergreifung geht ein verschärfter Klassenkampf voraus, in der die proletarischen Kräfte eine Niederlage erleiden.

Damit sich nämlich größere Teile des Proletariats dem Faschismus anschließen, müssen ihre eigentlichen führenden Kräfte enttäuschen. In Deutschland waren das die SPD, die sich durch die Verteidigung und Verwaltung der bürgerlichen Verhältnisse die Hände mit Verrat schmutzig gemacht hat, und die KPD, die unter anderem mit der Sozialfaschismusthese keinen taktischen Hebel gefunden hat, um die Arbeiter_Innenklasse für revolutionäre Politik zu gewinnen. In diese Enttäuschung konnten dann die Nazis treten, die sich als radikale und dynamische Kraft präsentieren, während die Arbeiter_Innenbewegung vor dieser hergetrieben bis letztendlich zerschlagen wurde.

5. Einmal an der Staatsmacht wird die kleinbürgerliche Massenbewegung abgestreift und eine Diktatur im Interesse des Großkapitals errichtet.

Das heißt, dass die kleinen Kampfeinheiten wie die Fasci oder die SA aufgelöst oder institutionalisiert werden und allzu „antikapitalistische“ Kräfte innerhalb der Partei entmachtet werden. Der Faschismus baut die Kontrolle über die Gesellschaft aus und bürokratisiert sich, indem Partei und Staat miteinander verschmelzen. Die erste Aufgabe im Interesse des Großkapital ist dabei die Niederhaltung der Arbeiter_Innenbewegung mittels roher Gewalt und ideologischer Verblendung. Vorher geschürte Hoffnungen auf soziale Verbesserungen werden fallengelassen und mit Nationalismus verdeckt. Soziale Errungenschaften werden abgebaut und damit die Ausbeutung erhöht. Hiermit soll auch das nationale Kapital auf dem Weltmarkt gestärkt werden. Der extreme Nationalismus, die völkische Ideologie und die enthemmte Gewalt führen zu Krieg und letztendlich zur Vernichtung der ausgemachten „Feinde des Volkes“. Letztendlich wird die Arbeiter_Innenklasse komplett lahm gelegt.

Das ist natürlich erstmal eine historische Betrachtung und die Gesellschaft wie auch die extreme Rechte haben sich weiterentwickelt. Aber wir können daraus einiges für heute ziehen. Zum einen, welche Funktion der Faschismus in der brutalen Aufrechterhaltung der bürgerlichen Herschafft gegen eine Arbeiter_Innenbewegung einnimmt, zum anderen aber auch, wie man mit dem Faschismusbegriff umgehen sollte. Man kann den Begriff mit Bezug auf einzelne Personen mit faschistischer Einstellung oder generell faschistische Denkmuster etwas offener verwenden, aber gerade wenn es um die Einschätzung von Organisationen oder Bewegungen geht, müssen wir als Linke auf Klarheit setzen, um effektive Taktiken im Widerstand dagegen zu entwickeln. Zentral sind hierbei die Fragen, ob rechte Organisationen eine Strategie verfolgen, die auf einen faschistischen Umsturz hinauslaufen, indem sie sich auf eine paramilitärische Bewegung stützen (wollen), sich als pseudorevolutionär oder -antikapitalistisch darstellen, sie linke Bewegungen gewaltsam vernichten wollen und letztendlich ein kleinbürgerliches Klasseninteresse ausdrücken.

Was bedeutet das für unseren Widerstand? Auf der einen Seite müssen wir hierbei der unmittelbaren Gewalt begegnen, indem wir gegen faschistische Aufmärsche mobilisieren, uns antifaschistisch organisieren und antifaschistischen Selbstschutz aufbauen. Das bedeutet auch, dass wir heute schon auf faschistische Verbindungen und Tendenzen z.B. innerhalb der AfD aufmerksam machen. Auf den bürgerlichen Staat ist kein Verlass im Kampf gegen den Faschismus oder faschistische Tendenzen. Aber wir müssen auch eine klare, proletarische und antikapitalistische Perspektive gegen den Faschismus aufzeigen, indem wir konsequent für soziale, antirassistische und antisexistische Gerechtigkeit und gegen die kapitalistische Krise ankämpfen. So schaffen wir es, dem Kapitalismus den Nährboden zu entziehen. Hierfür müssen wir auch Bündnisse zwischen den Organisationen der Arbeiter_Innenklasse aufbauen, die letztendlich auf eine Einheitsfront gegen den Faschismus hinauslaufen. Gemeinsam können wir nicht geschlagen werden! In diesen Bündnissen müssen Revolutionäre jedoch immer offen für ihre Position eintreten und klar machen: Die faschistische Gefahr ist erst gebannt, wenn der Kapitalismus Geschichte ist!




205 Jahre Karl Marx – Warum beziehen wir uns heute noch auf ihn?!

von Leonie Schmidt, Mai 2023

Obwohl Karl Marx dieses Jahr seinen 205. Geburtstag feiert, haben seine Schriften und Werke doch nicht an Relevanz eingebüßt. Ständig nimmt irgendwer Bezug auf ihn, seien es wir Kommunist_Innen, Sozialdemokrat_Innen, die bürgerlichen Medien oder gar Konservative. Was aber sind seine Errungenschaften, was besagen seine Theorien? Das wollen wir uns hier näher anschauen.

Marx kämpfte zeitlebens für den Kommunismus und hat in der Arbeiter_Innenbewegung eine wichtige Rolle gespielt. Er gründete zusammen mit Friedrich Engels 1848 die Kommunistische Partei und verfasste zahlreiche Schriften, die die Ideen des Kommunismus verbreiteten und zur Organiserung der Arbeiter_Innenklasse beitrugen. Er betonte die Bedeutung der revolutionären Praxis und des Kampfes gegen die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse im kapitalistischen System. Ebenso diagnostizierte er dem Kapitalismus tiefgreifendende, wiederkehrende Krisen, die zur Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution führen würden. In seiner Arbeit als Journalist und politischer Aktivist unterstützte Marx die Streiks und Demonstrationen der Arbeiter_Innenklasse und forderte bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und die Überwindung der Klassengesellschaft. Obwohl Marx die Durchführung der Oktoberrevolution 1917 im zaristischen Russland nicht mehr erlebte, beeinflusste er die politische und intellektuelle Landschaft in Europa und der Welt und seine Ideen waren maßgeblich für die Entstehung der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen im 20. Jahrhundert.

Die 1. Internationale

Die 1. Internationale, auch bekannt als die Internationale Arbeiterassoziation, wurde 1864 in London gegründet und war eine Organisation, die sich für die Interessen der Arbeiter_Innenklasse einsetzte. Marx spielte eine wichtige Rolle in dieser Organisation und war maßgeblich an ihrer Gründung beteiligt. Die 1. Internationale hatte das Ziel, die Arbeiter_Innenbewegung weltweit zu organisieren und den Kampf für die Rechte der Arbeiter_Innenklasse zu vereinen. In der 1. Internationale betonte Marx die Bedeutung der Solidarität und der Zusammenarbeit der Arbeiter_Innenklasse, um ihre Forderungen gegenüber der Bourgeoisie durchzusetzen. An dieser Stelle legte er auch einen wichtigen Grundstein für den bis heute fortbestehenden Internationalismus der kommunistischen Strömungen. Die 1. Internationale zerfiel schließlich aufgrund von inneren Konflikten und politischen Differenzen, aber sie hinterließ ein bedeutendes Erbe für die Arbeiter_Innenbewegung und die Geschichte des Sozialismus und Kommunismus.

Das kommunistische Manifest

Das vermutlich bekannteste Werk, welches auch vielen zum Einstieg in die kommunistische Theorie empfohlen wird, ist das 1848 erschienene kommunistische Manifest. In diesem legt Marx zusammen mit Friedrich Engels die These dar, dass „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft (…) die Geschichte von Klassenkämpfen (ist)“, eine grundlegende These des historischen Materialismus.  Dieser besagt außerdem, dass die wirtschaftlichen und materiellen Bedingungen eines Gesellschaftssystems bestimmen, wie sich die Gesellschaft organisiert und entwickelt. Von Bedeutung ist ebenso die Frage danach, in wessen Besitz die Produktionsmittel sind. Als Lösungsvorschlag zur Bekämpfung der Unterdrückung des Proletariats durch die Bourgeoisie im Kapitalismus, nennen Marx und Engels die Überwindung von diesem durch die Diktatur des Proletariats. Das Konzept der Diktatur des Proletariats besagt, dass die Arbeiter_Innenklasse die politische Macht ergreifen und die Herrschaft über die Bourgeoisie ausüben sollte. Dieser Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft ist notwendig, um die alten gesellschaftlichen Beziehungen abzuschaffen und den Weg für den Kommunismus zu ebnen. Marx betrachtete diese Diktatur als eine demokratische Herrschaft der Arbeiter_Innenklasse, die auf der Abschaffung der Ausbeutung und der Enteignung der Produktionsmittel, sowie auf demokratischer Organisierung in Räten beruht.  Auch wenn sich der Kapitalismus seit 1848 weiter entwickelt hat und sich manche Annahmen im kommunistischen Manifest so nicht bestätigt haben, so ist es doch ein grundlegender Text, der,  erstmals für Arbeiter_Innen verständlich, die Ideen des Kommunismus formuliert.

Das Kapital

Das Kapital ist das Hauptwerk von Karl Marx und beschäftigt sich mit der politischen Ökonomie des Kapitalismus. Es umfasst eine Analyse der Entstehung und Funktionsweise des Kapitalismus, sowie eine Kritik an den Auswirkungen dieser Wirtschaftsform auf die Gesellschaft. Marx untersucht die Rolle der Arbeit und des Mehrwerts in der Produktion und zeigt auf, wie der Kapitalismus auf der Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse basiert, indem sich die Bourgeoise den gesellschaftlich produzierten Mehrwert aneignet. Er beschreibt auch den Zusammenhang zwischen Warenfetischismus und Geldform und analysiert die Rolle des Staates im kapitalistischen System. Marx zeigt, wie die Kapitalakkumulation zur Entfremdung des Individuums führt und wie sich das kapitalistische System selbst in Krisen stürzt. Er betont, dass der Kapitalismus aufgrund seiner inneren Widersprüche zusammenbrechen wird und dass die Arbeiter_Innenklasse die Revolution führen und eine klassenlose Gesellschaft schaffen wird. Ein Aspekt, der viel zu oft unterschlagen wird, aber aus unserer Sicht besonders wichtig ist, stammt aus Band 3 des Kapitals: der tendenzielle Fall der Profitrate. Dieser besagt, dass im Laufe der Zeit die Profitrate im Kapitalismus aufgrund verschiedener Faktoren fallen wird. Diese Faktoren umfassen die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, den Konkurrenzdruck zwischen den Kapitalist_Innen, die Ausdehnung der Märkte und die sinkende Arbeitsproduktivität. Die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals bedeutet, dass immer mehr Kapital in Maschinen und Technologie investiert wird, was zu einem Rückgang des Anteils des investierten Kapitals, das in Form von Lohn ausgezahlt wird, führt. Dies führt zu einem Rückgang des Profits pro investiertem Kapital und somit zur sinkenden Profitrate. Es ist also ein zentraler Widerspruch des Kapitalismus, Profit generieren zu müssen, in diesem Prozess aber notwendigerweise gesamtgesellschaftlich Profit einzubüßen.

Materialistische Philosophie

Gegenteilig der Annahme, Marx wäre nur Ökonom gewesen, hat er sich auch mit der philosophischen Ausrichtung des wissenschaftlichen Sozialismus beschäftigt. So kritisierte er besonders Hegel dafür, dass seine Philosophie idealistisch war und sich auf abstrakte Ideen und Konzepte konzentrierte, anstatt auf die reale Welt. So argumentiert er, dass Hegel die Rolle der materiellen Bedingungen und der wirtschaftlichen Strukturen in der Gesellschaft nicht angemessen berücksichtigte. Außerdem betrachtete er ihn auch als Verteidiger des Staates und der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Des weiteren kritisierte Marx Hegels Idee des „absoluten Geistes“, die er als metaphysisch (jenseits der sinnlich wahrnehmbaren Welt) und undurchführbar betrachtete.

Des Weiteren richtet er seine Kritik gegen den Philosophen Feuerbach in seinem Werk „Die Thesen über Feuerbach“: er kritisiert in diesem Text die bisherigen Philosophen, die sich nur auf die Interpretation der Welt konzentrierten, anstatt sie zu verändern und betont somit die Bedeutung der praktischen Handlung und der Veränderung der materiellen Bedingungen in der Gesellschaft. Marx forderte eine Verlagerung des Schwerpunkts von der idealistischen Philosophie hin zur materiellen Wirklichkeit. Er kritisierte Feuerbach für seine Vorstellung, dass der Mensch allein für die Schaffung der Wirklichkeit verantwortlich sei und betonte stattdessen, dass die materiellen Bedingungen und Kräfte eine entscheidende Rolle bei der Formung der menschlichen Geschichte spielen. Schließlich forderte Marx eine Umkehrung der traditionellen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, indem er betonte, dass nicht das Bewusstsein das Sein bestimmt, sondern das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein.

Marx hat den Kapitalismus als eine auf Ausbeutung basierende Gesellschaftsordnung analysiert und hat gezeigt, dass die Arbeiter_Innenklasse als revolutionäre Klasse die Macht ergreifen muss, um eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen. Seine Theorie der Entfremdung und die Bedeutung der Klassenkämpfe sind auch heute noch relevant, da wir uns gegen die Ausbeutung und Unterdrückung durch die herrschende Klasse organisieren müssen. Lasst uns daher Marx als einen wichtigen Vordenker und Kämpfer für die Arbeiter_Innenbewegung würdigen und seine Ideen nutzen, um den revolutionären Kampf für die Befreiung der Arbeiter_Innenklasse fortzusetzen!

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

Karl Marx, Thesen über Feuerbach

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Dann komm auf ein Treffen von uns in deiner Stadt*!

*Berlin, Dresden, Leipzig, Hamburg, Dortmund, Stuttgart, München (Ort auf Anfrage)




Gewerkschaften und die sozialistische Revolution

Lukas Müller, Rede vom 1. Mai 2023 in Leipzig

Ich bin Lukas, ich bin Sozialpädagoge in der Jugendhilfe, bei ver.di und aktiv in der Gruppe Arbeiter:innenmacht, sowie der Jugendorganisation REVOLUTION

Aktuell arbeiten wir als Gruppe auch im Bündnis „wir-fahren-zusammen“ mit, welches hier in Leipzig versucht eine Brücke zwischen der Umwelt- und der Gewerkschaftsbewegung zu schlagen und in beide eine antikapitalistische Perspektive zu tragen.

Der Lebensstandard von Lohnabhängigen in Deutschland ist seit Corona und Inflation immer weiter gesunken, während die Konzerne gleichzeitig an die Aktionär:innen für das vergangene Jahr Gewinne in Rekordhöhen auszahlen wollen. Die 100 größten Unternehmen sollen zusammen ca. 62 Milliarden an Dividenden an ihre Anteileigner ausschütten. Und diese Anteileigner sind in erster Linie natürlich eine Handvoll Kapitalist:innen. Die Konzerne konnten ihre Gewinne um mehr als 10 % im Vergleich zum vergangenen Jahr steigern, aller Krisen zum Trotz. Gewinne, die durch die Arbeitskraft von uns Lohnabhängigen erwirtschaftet werden. Und wie immer wird natürlich das Märchen verbreitet, es sei nicht genug für Lohnerhöhungen da. Es sind die üblichen dreisten Lügen unser Klassenfeinde.

Als Antwort darauf sehen wir aber auch einen Aufschwung von Arbeitskämpfen und Streiks seit vergangenem Jahr. Auch die Lohnforderungen der Gewerkschaftsführungen sind dieses Jahr deutlich höher ausgefallen als üblich. Beschäftigte strömen entgegen des vorherigen jahrzehntelangen Trends wieder in die Gewerkschaften und organisieren sich in ihrem Betrieb. Zehntausende haben sich alleine bei ver.di seit Anfang des Jahres neu organisiert. In vielen Betrieben ist die Organisierung sprunghaft angestiegen. Eine halbe Millionen haben sich an den Warnstreiks im öffentlichen Dienst beteiligt. Beim gemeinsamen Streik von ver.di und EVG, an dem sich Busse, Straßenbahnen, U- und S- Bahnen, Fernzüge, Flughäfen und Hafenarbeiter:innen beteiligt haben, wurde ganz Deutschland lahngelegt. Das hat es seit ca. 20 Jahren nicht mehr gegeben.

Der zunehmende Grad der Organisierung und Kampfbereitschaft der Belegschaften spiegelt sich allerdings wenig bis gar nicht in den Tarifabschlüssen wieder. Bei der Post hat sich die Gewerkschaftsführung auf einen von Konzernseite in letzter Sekunde vorgelegten Vorschlag eingelassen, während die Urabstimmung zum Streik schon längst gelaufen war und sich gezeigt hat, dass über 85 % der Beschäftigten kampfbereit für einen unbefristet Streik sind. Der Abschluss ist eine Katastrophe und bedeutet abermals massive Reallohnverluste für die Beschäftigten, während der Konzern im vergangen Jahr einen neuen Rekordgewinn von 8,4 Milliarden eingefahren hat. Das Ergebnis im TVöD fällt zwar nicht ganz so katastrophal aus, bleibt mit seinen 24 Monaten Laufzeit aber auch weit hinter den Forderungen zurück und geht kaum über den faulen Schlichtungskompromiss hinaus.

Das sind keine Einzelfälle, sondern das hat System. Wenn wir uns die Struktur der Gewerkschaften im Allgemeinen und der Tarifkommissionen im Besonderen anschauen, dann fällt schnell auf, dass es ein massives Machtgefälle zwischen der Basis und dem Apparat aus hauptamtlichen Funktionär:innen, der Bürokratie, gibt. In den Tarifverhandlungen geben nicht Vertreter:innen aus den Belegschaften selbst den Ton an, sondern die Funktionär:innen, die vom Ergebnis gar nicht betroffen sind. Die Richtlinien der Tarifkommissionen werden nicht in der Satzung geregelt, sodass diese nicht von der Basis auf dem Gewerkschaftstag mitbestimmt werden können, sie werden vom Vorstand oder Beirat festgelegt. Es gibt eine Pflicht zur Verschwiegenheit über die Verhandlungen. Die Gewerkschaftsbürokratie verheimlicht also gegenüber den Belegschaften was genau diskutiert wurde, ob es Gegenvorschläge gab und wer wie abgestimmt hat. Und am Ende haben die Beschäftigten keinerlei Einfluss darauf, ob das Verhandlungsergebnis angenommen wird oder nicht, denn die Befragungen sind nicht mehr als ein Stimmungsbild, ohne bindende Kraft. Die Bürokratie entzieht sich weitestgehend der Kontrolle der Basis. Bis auf einige Funktionäre als Mitglieder eines Gremiums, sind die Hauptamtlichen für die Basis weder wähle- geschweige denn abwählbar.

Gewerkschaftsfunktionär:innen verdienen Gehälter, die jene der Beschäftigten um ein Vielfaches übersteigen, von den Gewerkschaftsbossen mit ihren Jahresgehältern in Höhe von teilweise mehreren 100.000 € ganz zu schweigen. Die Bürokratie hat ihren Frieden mit dem Kapitalismus und der Ausbeutung der Lohnarbeit längst geschlossen. Die Gewerkschaftsbosse sitzen mit den Kapitalist:innen in den großen Aufsichtsräten und betrachten sich als Mitverwalter der Konzerne. So saß der Ver.di Chef Frank Werneke bis letztes Jahr z.B. im Aufsichtsrat von RWE und der deutschen Bank. Die Bürokratie hat ihre eigene soziale Frage vorerst gelöst. Dadurch hat sie ein ganz eigenes soziales Interesse: Sie will die Arbeiter:innenklasse mit den Konzernen im Sinne der sogenannten „Sozialpartnerschaft“ und des „Interessensausgleich“  versöhnen. Aber mit den Kapitalist:innen und ihrem System der Ausbeutung kann es keine Versöhnung geben!

Das Bestehen einer versöhnlerischen Bürokratie ist keineswegs eine neuere Entwicklung der heutigen Gewerkschaften. Bereits zurzeit von Rosa Luxemburg und Lenin war dies der Fall. Lenin bezeichnet die Gewerkschaftsführungen in seiner wichtigen Schrift „Der linke Radikalismus“ als reaktionär, als Agenten der Kapitalist:innen innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Und auch Rosa Luxemburg lieferte sich mit den deutschen Gewerkschaftsspitzen einen heftigen Schlagabtausch und verfasste im Zuge dessen ihr viel beachtetes Buch „Massenstreik, Partei und Gewerkschaft“. Heißt das also, dass sich Lenin und Luxemburg gegen die Gewerkschaften richteten? Im Gegenteil. Beide erklärten es für ein zentrales Ziel von Marxist:innen innerhalb der Gewerkschaften aktiv zu sein, dort ihre Ideen zu verbreiten und die Kontrolle über die Gewerkschaften in die Hände der Arbeiter:innenklasse selbst zu legen. Kräfte, die die Arbeit in den Gewerkschaften ablehnten, überzog Lenin in besagter Schrift mit beißendem Spott.

Historisch gesehen sind die Gewerkschaften spontan aus dem Kampf heraus entstanden, aus der bitteren Notwendigkeit sich gegen die unmittelbarsten Angriffe der Kapitalist:innen verteidigen zu setzen. Und auch heute noch treten Lohnabhängige unabhängig von ihrer politischen Vorerfahrung oder ihren politischen Ansichten in die Gewerkschaften ein, um sich zur Wehr zu setzen. Sie sind die ersten Sammelpunkte des Widerstandes, wie Friedrich Engels schrieb, sie sind eine Schule des Klassenbewusstseins und bilden die Grundlage für die Vereinigung der gesamten Arbeiter:innenklasse. Über 5 Millionen Arbeiter:innen sind in den Gewerkschaften des DGB in Deutschland organisiert. Es sind jene Teile der Klasse, die bereits jetzt ein rudimentäres Klassenbewusstsein besitzen. Nicht in den Gewerkschaften arbeiten zu wollen, würde bedeuten den Kampf gegen die Bürokratie aufzugeben und diese ersten Sammelpunkte des Widerstand mit ihren aktuell 5 Millionen fortschrittliche Arbeiter:innen der Bürokratie kampflos zu überlassen.  Das ist genauso falsch, wie sich der Bürokratie und ihrer Sozialpartnerschaft kritiklos unterzuordnen.

 Für Marxist:innen ist es eine zentrale Aufgabe innerhalb der Gewerkschaften und der von ihr geführten Tarifkämpfe an vorderster Front mitzukämpfen. Die Tarifkämpfe sind ein wichtiger Ansatzpunkt um Kämpfe zuzuspitzen und ökonomische mit politischen Fragen zu verbinden. Sie sind ein Ansatzpunkt der Selbstermächtigung und Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse und damit auch ein Ansatzpunkt die Macht der Bürokratie zu zerbrechen. Marxist:innen sollten innerhalb der Gewerkschaften offen als solche auftreten und ehrlich darlegen für welche politischen Positionen und Taktiken sie stehen. Wir sollten zu Wahlen in den Gewerkschaften und den Betrieben antreten. Wir müssen für das Recht eintreten, dass innerhalb der Gewerkschaften jede/r die Möglichkeit hat mit Flugblättern, Zeitungen, Veranstaltungen usw. um Positionen zu kämpfen, was sich nach wie vor die Bürokratie vorbehält. Um die Macht aus den Händen der Bürokratie zu nehmen ist es zentral, lokale Komitees in den Fabriken aufzubauen, in denen die ArbeiterInnen ihre Kämpfe selbst organisieren und Perspektiven diskutieren. Weiter müssen wir für die Demokratisierung des Gewerkschaftsapparats unter Kontrolle der Basis kämpfen. Dieser Kampf bedeutet, dass sämtliche politischen FunktionärInnen auf lokalen, regionalen oder bundesweiten Versammlungen gewählt und jederzeit wieder abgewählt werden können. Es bedeutet, dass Entscheidungen über Streiks von der Basis mit einfacher Mehrheit gefällt werden. Es bedeutet, dass der Rahmen in dem Tarifverhandlungen geführt werden vorher von den ArbeiterInnen abgesteckt wird und das Ergebnis zustimmungsbedürftig ist. Außerdem sollten wir dafür kämpfen, dass die Gehälter der FunktionärInnen den durchschnittlichen Lohn eines/r FacharbeiterIn nicht übersteigen.

Für all das ist eine organisierte Basisopposition mit eigenen Strukturen in den Gewerkschaften nötig. Gemeinsam mit einer Reihe andere Marxistischen Gruppen, wie der DKP, Klasse gegen Klasse, SAV, Sol und weitere haben wir vor ca. 3 Jahren die VKG Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften gegründet, an deren Gründungskongress ich beteiligt war. Die VKG kann die Keimzelle einer solchen organisierten Basisopposition sein, wenn wir sie als solche gemeinsamen weiter aufbauen. Die Klasse für sich gewinnen können wir Marxist:innen nur, wenn sie lernen „im Wirtschaftskampf nicht nur Verkünder der Ideen des Kommunismus zu sein, sondern die entschlossensten Führer des Wirtschaftskampfes und der Gewerkschaften zu werden. Nur auf diese Weise wird es möglich sein, aus den Gewerkschaften die opportunistischen Führer zu entfernen. Nur auf diese Weise können die Kommunisten an die Spitze der Gewerkschaftsbewegung treten und sie zu einem Organ des revolutionären Kampfes für den Kommunismus machen.“ (2. Kongress KI 1920)

Wenn euch das Thema interessiert, dann kommt zu unserer Veranstaltung am kommenden Donnerstag um 19 Uhr in der Bäckerei, Josephstraße 12, in Lindenau.

Dankeschön!




Rätedemokratie – was ist das?

Von Stephie Murcatto

Die Klimagerechtigkeitsorganisation „Letzte Generation“ fordert „Gesellschaftsräte“, die aus gelosten Vertreter_Innen aus allen Bevölkerungsschichten bestehen und der Bundesregierung Empfehlungen aussprechen soll. Die Räte hätten dann aber keine gesellschaftliche Macht. Wir wollen hier unser Verständnis was Rätedemokratie ist und wie das funktioniert, als wesentlich demokratischere Alternative zur parlamentarischen Demokratie, wieder auflegen. Die Rolle der Rätedemokratie wäre dann auch nicht nur Maßnahmen gegen den Klimawandel auszuarbeiten, sondern die Räte würden beschließendes und ausführendes Organ zugleich sein. Dazu kommt auch noch, dass ein Rätesystem nicht nur aus zufällig gewählten Durchschnitten der Gesellschaft bestehen würde, sondern tatsächlich aus der ganzen Gesellschaft, damit diese dann auch als Gesamtes Entscheidungen treffen kann.

Wie ist eine Rätedemokratie aufgebaut?

Rätesysteme sind ein Stufenhaft aufgebautes System, in dem die Repräsentant_Innen direkt an die Wähler_Innen gebunden sind und als koordinierendes und ausführendes Organ dienen, also Entscheidungen treffen und diese durchsetzen. Dabei ist wichtig, dass gewählte Repräsentant_Innen also immer rechenschaftspflichtig und jederzeit wähl- und wieder abwählbar gegenüber ihrer Basis sind. Es gibt verschiedene Ebenen: In einzelnen Betrieben und Fabriken, in Branchen, auf Regional- und Stadtebene, auf Landesebene und Internationale Räte, die alle auf einander aufbauen.

Das heißt jetzt konkret, dass sich zum Beispiel eine Fabrik einen Rat gewählt hat, der die Interessen der Arbeiter_Innen dieser Fabrik vertritt. Die Mitglieder dieses Rates kommen aus der Arbeiter_Innenschaft dieser Fabrik und sind zuständig dafür zu sorgen, das alles innerhalb der Fabrik gut läuft. Wenn die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern können sie z.B. auch Streiks organisieren, um sie wieder zu verbessern, sollten sie die Arbeitsbedingungen nicht eh kontrollieren.

Dann gibt es die nächste Stufe der Räte, die Stadt- und Regionalräte. Das wäre dann ein Rat, der aus Repräsentant_Innen all der verschiedenen Räte, die es innerhalb einer Stadt oder Region gibt zusammengesetzt werden würde. Also aus Repräsentant_Innen der Fabriken, der Büros, der Krankenhäuser, der Schulen, der Unis,… und allen anderen Räten innerhalb einer Stadt. Dieser Rat kann dann z.B. Stadtweise Entscheidungen mit den verschiedenen Räten organisieren und umsetzen wie die Reparatur von Straßen mit einem Rat von Bauarbeiter_Innen oder die Reparatur von Stromnetzen mit Elektroniker_Innen. Außerdem organisieren sie auch die Arbeiter_Innenmilizen, die dem Schutz der neuen Ordnung dienen, also die kapitalistischen Konterrevolutionsversuche abwehren, aber auch die Menschen schützen, z.B. vor sexistischen, rassistischen oder faschistischen Übergriffen. Im Gegensatz zur bürgerlichen Polizei werden auch sie gewählt, sind rechenschaftspflichtig und rekrutieren sich jeweils aus der Stadtbevölkerung. Besonders während der Revolution kommt natürlich auch das Organisieren stadtweiter Streiks zum umsetzen von politischen Forderungen, die dem Interesse der Arbeiter_Innenklasse dienen, dazu. Auf dem Land passiert das gleiche mit Regionalräten, die einige Dörfer bzw. Kleinstädte umfassen.

Eine Stufe nach oben gibt es landesweite Räte, wo Repräsentant_Innen, von jeder Stadt und jedem Regionalrat repräsentiert sind und somit Repräsentant_Innen von der gesamten Arbeiter_Innenschaft landesweit. Dieser Rat organisiert dann Entscheidungen auf einer landesweiten Ebene, wie zum Beispiel den Ausbau von öffentlichem Personenverkehr mit den verschieden Räten dieser Gebiete oder auch logistische Angelegenheiten, wie die Verteilung von den produzierten Gütern mit den Räten der Bahn. Zudem bestimmt er, was eigentlich produziert werden soll, durch demokratische Bestimmung mit allen Räten und über Umfragen in der Bevölkerung, was eigentlich gebraucht wird. Zusätzlich organisieren sich Arbeiter_Innen einer bestimmten Berufsgruppe in einem landesweiten Rat, der mitentscheidet und diese Entscheidung umsetzt. Das ist Sinnvoll, aus dem Grund dass diese Räte die Expert_Innen in den jeweiligen Themengebieten sind.

Aber es gibt auch noch die nicht weniger relevante Internationale Stufe, wo Repräsentant_Innen der Arbeiter_Innenklasse von jedem Land zusammenkommen, um auf internationaler Ebene Entscheidungen zu koordinieren. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, bei allen nationalen Eigenheiten, immer noch das Gesamtinteresse des internationalen Proletariats zu vertreten. Sie kümmern sich z.B. um den Transport von Produkten auf einer internationalen Ebene, damit alle Fabriken das haben, was sie brauchen zum Produzieren. Außerdem verwalten sie auch international die Umsetzung der demokratischen Planwirtschaft, damit international alles verfügbar ist was gebraucht wird und es keine Unter- oder Überproduktion gibt. Außerdem müssen sie das Ziel der Weltrevolution immer im Fokus behalten, um den Rest der Klassengesellschaft abzuschaffen.

Bei all diesen Punkten ist es wichtig in Erinnerung zu behalten, dass die Repräsentant_Innen direkt aus der Arbeiter_Innenschaft kommen und deren einzige Aufgabe darin besteht, zu verwalten, zu organisieren und umzusetzen, was demokratisch bestimmt wird. Dabei verdienen sie nicht mehr als den durchschnittlichen Arbeiter_Innenlohn und sind jederzeit wählbar und abwählbar, sodass die Repräsentant_Innen die Interessen der Arbeiter_Innenklasse vertreten müssen und die vollständige Demokratie in diesem System erst entstehen kann.

Wie entstehen Räte und wie kommen sie an die macht?

Historisch gibt es verschiedene Beispiele von Räten als Parallelstruktur zum bürgerlichen Staat und davon, dass die Räte zur Regierungsform geworden sind. Zum Beispiel die Pariser Kommune, die Münchner Räterepublik oder die ungarische Räterepublik. Das nennenswerteste Beispiel sind jedoch die Sowjets (russisch für Rat) zur Zeit der Oktoberrevolution 1917 im ehemaligem Zarenreich, wo es überall im Land (aber hauptsächlich in den Städten) Sowjets gab, die parallel zur Zarenherrschaft mit dem Scheinparlament Duma und nach dessen Sturz parallel zur bürgerlichen provisorischen Regierung von Kerenski existiert haben. Aber zu diesem Zeitpunkt konnten sie noch keine richtige Macht ausüben.

Die Bolschewistische Partei hatte die Perspektive, die Sowjets an die Macht zu bringen, die ihren Kampf mit der Parole „Alle Macht den Sowjets“ führte und auch durch eine Revolution gemeinsam mit den Räten diese Parole konkret umsetzen konnte. Aber die Bolschewiki wollten nicht nur die Sowjets an die Macht bringen, sondern nutzen die Sowjets auch, um sich selbst an die Macht zu bringen, also quasi als Revolutionsorgan und als Möglichkeit ihre Perspektiven und Meinungen in die Arbeiter_Innenklasse zu bringen. Als dann unter Führung der Arbeiter_Innenklasse mit der Bäuer_Innenklasse zusammen die sozialistische Revolution in Russland ausbrach, wurde die Parole zur Tatsache und die Sowjets wurden zum Herrschaftsorgan der Arbeiter_Innenklasse und es gründete sich die Sowjetunion.

Das ist natürlich alles schön und gut aber heute haben wir solche Parallelstrukturen zum bürgerlichen Staat leider nicht. Die gehören aber aufgebaut! Dies kann meistens innerhalb von starken Bewegungen innerhalb der Arbeiter_Innenklasse passieren, wie zum Beispiel in der Klimabewegung. Bei Streiks können mit Streikposten und -komitees eine Grundlage für Räte gebildet werden. Damals in Russland entstanden die Sowjets zwischen 1905-1907 in der ersten russischen Revolution, die auch eine starke Arbeiter_Innenbewegung und große Massenstreiks beinhaltete, jedoch nicht zur Machtübernahme durch die Sowjets schritt. Die Bildung dieser Räte geschah auch da nicht von alleine, sondern musste unterstützt werden. Das ist, was wir als Revolutionär_Innen heute machen müssen. Wir müssen die Bildung von Parallelstrukturen zur bürgerlichen Regierung aktiv unterstützen, damit eine sozialistische Revolution überhaupt irgendeine Chance hat.




Der Kampf gegen Klassismus: Ist das Klassenkampf oder kann das weg?

von Torben Krause, März 2023

Klassismus ist heute in vielen linken oder links-liberalen Kreisen ein Begriff, welcher immer wieder auftaucht, jedoch sehr verschiedene Dinge meint. Dass der Begriff ursprünglich aus den sozialistischen, sich klar gegen bürgerliches Denken und bürgerlichen Feminismus abgrenzenden „Prolo“ bzw. „Proll“-Lesben Gruppen in den USA um 1970 entspringt, geht teilweise jedoch gänzlich verloren. So scheint das Einzige, was aus diesem Ursprung geblieben ist, der Begriff selbst zu sein.

In Deutschland kommt der Begriff 1990, und damit nach dem Zerfall der Sowjetunion erstmalig ansatzweise auf, doch eine Rolle scheint er tatsächlich erst in den letzten Jahren zu spielen – umso wichtiger, sich auch damit einmal aus revolutionärer Perspektive auseinanderzusetzen.

Was bedeutet Klassismus?

Obwohl einige Interpretationen des Begriffs „Klassismus“ geläufig sind, lassen sich doch 2 vorherrschende Deutungsweisen beobachten. Die Erste ist dabei sehr umfassend und umfasst Klassenverhältnisse, Ausbeutung, Chauvinismus (Überlegenheitsdenken gegenüber anderen sozialen Gruppen) und mehr. Das Problem hierbei liegt darin, dass diese Interpretation ebensolche konkreten Begriffe verwischt und praktisch relativ nutzlos wird, weil niemand mehr weiß, was nun tatsächlich gemeint ist. Dieses Problem ist so offensichtlich, dass mehr und mehr eine zweite Interpretation des Begriffs ins Licht rückt, welche nun zu dominieren scheint. Diese meint zunächst eine Diskriminierung zwischen verschiedenen sozialen Klassen oder Schichten oder sogar innerhalb einer solchen. Dabei wird sich nicht auf eine tatsächliche Klassenanalyse des Kapitalismus bezogen. Stattdessen wird aus dem Klassismus ausschließlich eine Frage des gegenseitigen Respekts gemacht, ein Phänomen welches sich hier nicht das erste Mal zeigt, sondern bereits in den Diskursen um beispielsweise Rassismus, Sexismus oder Transunterdrückung zu beobachten war oder ist. Diskurse zu systematischen Unterdrückungen werden immer wieder zu lediglich zwischenmenschlichen Problemen erklärt, die sich durch einfache Umgangsregeln oder „Fact-Checking“ lösen ließen.

Dabei ist Klassismus tatsächlich eine Unterdrückungsform zur Spaltung der Arbeiter_Innenklasse und eine Ideologie zur Aufrechterhaltung, Rechtfertigung und Durchsetzung kapitalistischer Macht- und Klassenverhältnisse. Diese werden bewahrt, indem ein Feindbild innerhalb der Arbeiter_Innenklasse geschaffen wird, z.B. das des „faulen Arbeitslosen“. Überausgebeutete Arbeiter_Innen sollen also ihre Wut nicht gegen ihren Chef richten, der mit ihrer Arbeit immer reicher wird, sondern gegen Teile ihrer Klasse, denen es noch schlechter geht als ihnen. Aus diesen werden Stereotype geformt, die von der Gesellschaft abgelehnt und abgewertet werden und diese Menschen aus sozialen Kämpfen ihrer Klasse isolieren.

„Das ist normal und niemand kann was dafür“

Ein gutes Beispiel, um zu zeigen, warum ein liberaler Kampf gegen Klassismus sogar für soziale Kämpfe gefährlich sein kann, ist ein Instagram-Beitrag des   offiziellen Accounts des Content-Netzwerks von ARD und ZDF – „Funk“. In diesem wird der Blick weg von tatsächlichen Ursachen und Maßnahmen gegen Armut gerichtet und für ein rein individuelles Handeln gegen ihre Auswirkungen plädiert. So solle man das Thema Armut im Kreis von Armutsbetroffenen einfach weniger ansprechen oder ihnen Sachen ohne zu fragen einfach bezahlen. Der Höhepunkt dieses Beitrages stellte jedoch ein Zitat dar, welches in den darauffolgenden Wochen und Monaten zu einem regelrechten Meme in verschiedenen sozialen Medien wurde: „Akzeptiert, dass eure Freunde weniger Geld haben. Das ist normal und niemand kann was dafür.“ Auch wenn „Funk“ für diesen Beitrag stark kritisiert wurde, zeigt doch auch dieses Zitat, wie eine Abkehr von realen Problemen stattfindet. So ignoriert man diese als solche nahezu komplett und fuchtelt gleichzeitig mit dem moralischen Zeigefinger, man solle aus Höflichkeit und Respekt das Thema einfach nicht weiter ansprechen, denn Armut sei ja „normal“ und vor allem könne niemand etwas dafür- besonders nicht das kapitalistische Wirtschaftssystem, welches Armut fördert oder die Kapitalist_Innen, welche ihre Angestellten Tag für Tag so ausbeuten, dass diese im Endeffekt nicht einmal mehr ihre eigenen Reproduktionskosten ohne weiteres decken können.

All solche liberalen Ansätze sind dabei also nicht nur zu wenig, sondern auch für den Kapitalismus äußerst bequem, was in der Vergangenheit, auch in verschiedensten Protestbewegungen für deren letztendliches Scheitern zum Teil verantwortlich gemacht werden kann. So konnte man immer wieder beobachten, wie solch ein bürgerliches, individualistisches Herangehen an systematische Unterdrückungsmechanismen erst zu unzureichenden Forderungen, dann zu falschen Kompromissen und schließlich zur Erhaltung der gleichen Unterdrückungen in einem neuen Gewand geführt hat.

Perspektive

Da sich das vorige nun so drastisch lesen lässt, stellt sich die Frage: Sollten Revolutionär_Innen sich dann nicht einfach aus solchen Diskursen heraushalten? Die Antwort darauf lautet ausdrücklich: Nein, denn nur weil der Kampf gegen eine Unterdrückung bürgerlich vereinnahmt ist oder werden könnte, heißt das zugleich nicht, dass es keine Perspektive dabei gäbe.  Doch worin liegt diese?

Unsere Aufgabe als Sozialist_Innen sollte sein, den Diskurs in eine revolutionäre Richtung zu lenken. Das können wir tun, indem wir den Klassenbegriff als solchen bekannter machen und die Funktion von Spaltungsmechanismen gegen die Arbeiter_Innenklasse aufzeigen. So müssen wir vermitteln, dass beispielsweise nicht etwa Erwerbslose die Feinde sind, wie es tagtäglich von der BILD-Zeitung und RTL 2 propagiert wird. Sondern, dass auch bzw. gerade sie vom Kapitalismus unterdrückt werden, indem sie durch viele bürokratische Hürden aber eben auch durch gesellschaftliche Feindbildschaffung daran gehindert werden, ein Leben zu führen, welches nicht aus Angst vor der nächsten Rechnung, die man nicht bezahlen kann und der Angst vorm Rauswurf aus der eigenen Wohnung besteht.

Wir Revolutionär_Innen sollten gegen die Spaltung der Klasse kämpfen, also auch gegen Klassismus. Wir müssen es uns zur Aufgabe machen, heraus aus der „links“-liberalen Prägung zu leiten, indem wir Begriffe wie „Ausbeutung“ nicht lediglich als moralische Kategorien nutzen, sondern damit die Aneignung von Mehrwert durch die Kapitalist_Innen meinen. Ein wichtiger Punkt, an welchem man versuchen kann, eine antikapitalistische Perspektive an ein recht liberales Verständnis von Klassismus heranzutragen, ist die Frage nach der Herkunft von Klassismus. Denn wenn diese Unterdrückungsform, wie manche Bürgerliche sagen, von Vorurteilen käme, wäre Klassismus das Symptom des Klassismus und die Ursache wäre ebenfalls Klassismus. Dieser logische Zirkelschluss ist natürlich ein Irrtum, da Klassismus vor allem die Schaffung falscher Feindbilder aufgrund der Verschleierung oder Leugnung der Ausbeutung und Unterdrückung gegen die Arbeiter_Innenklasse ist, was auch stetig durch beispielsweise Medien des Axel-Springer-Verlags propagiert wird.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Kampf gegen Klassismus ein Kampf für mehr Klassenbewusstsein und gegen die Spaltungsversuche der herrschenden Klasse sein kann, aber wir müssen ihn dafür auch richtig führen und uns nicht in moralistischer Bewertung und liberaler Identitätspolitik verlieren. Stattdessen müssen wir die konkreten Gegebenheiten dieser Klassengesellschaft analysieren und die Widersprüche in ihnen aufzeigen.

Für Bewusstsein und Solidarität in und mit der Klasse!




Q&A März: Stalin vs. Trotzki und warum der Konflikt bis heute andauert

Von Jona Everdeen, März 2023

Nur wenige Jahre nach der siegreichen Oktoberrevolution kam es in der bolschewistischen Partei zu einem folgeschweren Richtungsstreit zwischen dem späteren Herrscher der Sowjetunion Josef Stalin und dem bolschewistischen Revolutionär Leo Trotzki. 

Dieser Konflikt mündete darin, dass Stalin in der Sowjetunion die Macht übernahm, während Trotzki erst aus der Partei ausgeschlossen wurde und etwas später das Land verlassen musste.

Auch aus dem Exil führte Trotzki seine Opposition gegen Stalin und dessen Politik fort und warb für eine revolutionäre Alternative zu dieser, bis er 1941 von einem Agenten Stalins ermordet wurde.

Doch spielt es für uns als Kommunist_Innen im 21. Jahrhundert überhaupt eine Rolle, worüber sich vor fast 100 Jahren gestritten wurde? Oder ist das bloß sinnlose Haarspalterei, die die Einheit aller Kommunist_Innen verhindert?

In diesem Artikel erfahrt ihr, welche Implikationen der Richtungsstreit zwischen Trotzki und Stalin für die gesamte sozialistische Bewegung hatte und bis heute hat, sowie auch warum wir uns positiv auf die Theorie Trotzkis beziehen.

Herrschaft des Proletariats?

Die Losungen von Marx, Engels und Lenin zu einer Gesellschaft nach dem Kapitalismus sind eindeutig: Statt der Herrschaft einer kleinen Minderheit wie in allen bisherigen Klassengesellschaften sollen nun die Arbeiter_Innen im Bündnis mit anderen unterdrückten Klassen in Form von Räten herrschen. Diese Räte sollen die Wirtschaft, die zuvor der Willkür der Kapitalist_Innen unterlag, demokratisch planen, sodass sich diese nach den Bedürfnissen aller ausrichtet.

Im „Realsozialismus“ sieht das anders aus: Statt demokratischer Räte herrschen hier Bürokrat_Innen. Ein autoritäres Planungsbüro bestimmt die Wirtschaft, während die Selbstorganisation der Arbeiter_Innen entweder teils gewaltsam unterbunden oder in rein symbolische und für die Bürokratie ungefährliche Formen umgeleitet wird, die nicht mehr Mitsprache haben als Betriebsräte im Kapitalismus. Es herrscht eine Minderheit, eine privilegierte Kaste, über die Mehrheit des Proletariats. Doch wie konnte es nach der Oktoberrevolution, in der es den Räten gelang, die Macht zu erobern, dazu kommen?

Im russischen Bürger_Innenkrieg standen den Bolschewiki einer extrem brutalen konterrevolutionären Armee sowie mehreren Expeditionstruppen aus Ländern wie Frankreich, Britannien oder den USA gegenüber, die das Land mit Terror übersäten. Dies verschärfte noch die Folgen des Ersten Weltkriegs und die ohnehin bestehende wirtschaftliche Unterentwicklung des sehr landwirtschaftlich geprägten Landes. Die ökonomische Lage in der Sowjetunion war nach der Revolution also katastrophal. Infolgedessen war es zur Verteidigung der Revolution und Etablierung einer nach-kapitalistischen Wirtschaftsordnung nötig, vorübergehend eine zentrale autoritäre Herrschaft zu etablieren, in der die Bolschewiki als stärkste Partei sich über die Räte stellten und Aufgaben wie Verteidigung und Aufbau der Wirtschaft eigenmächtig bestimmten.

Für Lenin, Trotzki und Genoss_Innen war klar, dass dies keinesfalls ein Dauerzustand sein könnte, jedoch für den Moment notwendig war, wollte man nicht die Konterrevolution siegen lassen.

Jedoch verselbstständigte sich diese Form der autoritären Herrschaft der Partei über die Jahre. Das lag zum einen daran, dass die wirtschaftliche Unterentwicklung dafür sorgte, dass es auch, nachdem keine akute Gefahr mehr durch rechte oder imperialistische Kräfte bestand, schwierig war, eine funktionierende Planwirtschaft aufzubauen, zumal die erhofften Revolutionen in den hochentwickelten westeuropäischen Ländern ausblieben. Dadurch war die Arbeiter_Innenklasse weiterhin klein und hat zunächst sogar an Bedeutung verloren. Zum anderen sind im Bürger_Innenkrieg fast alle bolschewistischen Revolutionär_Innen der Oktoberrevolution umgekommen und deren Plätze wurden nun von bäuerlichen und kleinbürgerlichen Kräften eingenommen. Dadurch ist die Bolschewistische Partei in ihrer Zusammensetzung stark nach rechts gerückt.

Nach dem Tod von Lenin bildeten sich in der bolschewistischen Partei mehrere Flügel, wovon die zwei Entscheidenden der von Trotzki und der von Stalin war. Trotzki bestand darauf, dass im Zuge einer forcierten Industrialisierung, die er vorschlug und Stalin später übernahm, auch die Kontrolle schrittweise zurück an die Räte der Arbeiter_Innen gegeben werden müsse. Stalins Flügel sagte jedoch, dass die Macht weiterhin bei der Bürokratie bleiben müsse und baute nach seinem Sieg die Partei um, sodass sie deren Interessen auf Erhalt von Macht und Privilegien vertrat statt die des Proletariats.

Wenn wir von „Stalinismus“ sprechen, wollen wir damit nicht sagen, dass dieser Prozess auf die Person Stalins zurückführbar wäre. Wie oben hergeleitet, war die materielle Grundlage für eine Bürokratisierung günstiger und Stalin war ein passender Charakter für die Ordnung und Durchsetzung der Interessen der Bürokratie, auf die er sich stützte. Die Bürokratie steckt dabei in einer widersprüchlichen Situation: Zum einen stützen sie sich auf die Überwindung des Kapitalismus und müssen den Rückfall in diesen fürchten. Zum anderen bedrohen ihre Herrschaft auch unkontrollierte revolutionäre Bestrebungen und weitere Schritte hin zum Sozialismus. Dieser Erhalt des Status Quo der bürokratischen Herrschaft muss ideologisch untermauert werden und diese Ideologie bezeichnen wir als „Stalinismus“. Diese ist bis heute in der kommunistischen Bewegung dominant. Hierzu wollen wir uns nun die entscheidenden Bausteine anschauen.

Kann es Sozialismus in einem Land geben?

Wie bereits erwähnt, war eines der zentralen Probleme der jungen Sowjetunion ihre Isolierung in einer noch kapitalistischen Welt. Für Lenin, Trotzki und die Mehrheit der Bolschewiki war klar, dass die Sowjetunion in dieser Form nicht lange überlebensfähig sein könne. Jedoch überlebte der Arbeiter_Innenstaat in der Sowjetunion erstaunlich gut. Denn es gelang ihm, die größten Bedrohungen durch Konterrevolution und Imperialismus zu bändigen und langsam eine Entwicklung hin zur Industrialisierung zu beginnen, während gleichzeitig die Chancen auf Ausweitung der Revolution immer geringer wurden. Stalins theorisierte diesen Zustand und machte aus der Not eine Tugend: Sozialismus in einem Land sei doch möglich, also müsse die oberste Priorität darauf liegen, diesen in der Sowjetunion aufzubauen und zu schützen, im Zweifel auch über den Interessen des Proletariats in anderen Ländern. Letztendlich sollte das aber vor allem die Sicherheit der Sowjetbürokratie vor einer Weltrevolution schützen und gleichzeitig die Koexistenz mit dem kapitalistischen Weltsystem rechtfertigen.

Fatal wurde diese Politik ab 1935, als sich auf einem Kominterngipfel die Volksfrontpolitik durchsetzte, also eine Politik der Zusammenarbeit mit und in Unterordnung unter bürgerliche Kräfte gegen den Faschismus, den Stalin zu Recht als zentrale Bedrohung für die Sowjetunion sah. Dadurch wurden jedoch die Parteien zu reformistischen Kräften, die ihr Ziel der revolutionären Beseitigung des kapitalistischen Systems zurückstellten. Nach dem 2.Weltkrieg wollte Stalin die im Kampf gegen den Hitlerfaschismus geschmiedete Allianz mit den Westmächten fortsetzen und strebte eine „friedliche Koexistenz“ mit diesem an. Dafür wurden die möglichen Revolutionen in Frankreich oder Italien bewusst abgewürgt, sowie die Revolution in Griechenland im Stich gelassen, da das Land zum Teil der ausgehandelten westlichen Einflusssphäre gehörte.

Für Trotzkist_Innen hingegen ist klar, dass Sozialismus in einem Land nicht möglich ist, sondern Sozialismus nur als dominantes Weltsystem dauerhaft bestehen kann. Dem stand die stalinistische Politik aktiv entgegen, womit sie den Untergang der Sowjetunion manifestierte.

Permanente Revolution oder Etappentheorie?

Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen Trotzkismus und Stalinismus stellt die Frage der Revolution in noch nicht voll entwickelten kapitalistischen Ländern dar.

So vertreten Stalinist_Innen häufig die Etappentheorie, die besagt, dass in einem vorbürgerlichen Staat mit unterentwickelten Produktionsmitteln zunächst einmal einige Zeit eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie herrschen muss, damit überhaupt die Bedingungen für eine sozialistische Revolution gegeben sind. Bereits 1917 plädierte Stalin aus diesem Grund dagegen, die Oktoberrevolution durchzuführen.

Wohin diese jedoch diese Politik führt, wird sehr deutlich am Beispiel des Irans. In der Revolution 1979 stürzte das iranische Proletariat das reaktionäre Schah-Regime in einem Bündnis mit kleinbürgerlichen Kräften. Anstatt jedoch, wie in Russland 1917, die Führung über dieses Bündnis zu übernehmen und eine iranische Räterepublik zu schaffen, bestand die stalinistische Tudeh Partei darauf, dass es zunächst einer weiteren kapitalistischen Entwicklung bedürfe und unterstützte eine bürgerliche Regierung zusammen mit islamistischen Kräften.

Das Resultat war der Sieg der Konterrevolution in Form des Mullah-Regimes, dass nun seit 40 Jahren Terror über die Menschen im Iran bringt und gegen das nun eine neue Generation Iraner_Innen revolutionär kämpfen muss, hoffentlich dieses Mal mit größerem Erfolg.

Trotzkist_Innen hingegen sehen, so wie es am Ende auch die Bolschewiki taten, dass es im Kontext eines kapitalistischen Weltsystems sehr wohl möglich ist, auch in einem unterentwickelten Land einen Arbeiter_Innenstaat zu errichten und mit dessen Möglichkeiten die Entwicklung im Eiltempo nachzuholen. Das Proletariat an der Macht, kann aber nicht dabei stehen bleiben und muss zum Aufbau des Sozialismus voranschreiten, also aus der bürgerlichen Revolution direkt in die proletarische überzugehen. Hierfür muss diese Revolution jedoch ein Startpunkt für weitere Revolutionen sein, vor allem in den voll entwickelten kapitalistischen Ländern, optimalerweise natürlich bis hin zur Weltrevolution. 

Der Übergang vom Kapitalismus zum Arbeiter_Innenstaat

Eine weitere Besonderheit des Trotzkismus ist das Ausformulieren und die Zentralität eines Programms für den konkreten Übergang vom Kapitalismus zur proletarischen Revolution. Damit grenzt er sich aktiv ab vom Programm, das sowohl Stalinist_Innen als auch (linke) Sozialdemokrat_Innen vertreten und das zwei voneinander getrennte Pole beinhaltet: Im Kapitalismus umsetzbare Reformforderungen, sogenannte Minimalforderungen, sowie die langfristige Forderung, eines Tages Sozialismus zu erreichen, also eine Maximalforderung, die den Bruch mit dem Kapitalismus schon vorwegnimmt.

Damit jedoch lässt sich die Frage, wie denn dieser Übergang vom Kapitalismus in einer sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aussehen kann, nicht beantworten, was vielen der etablierten stalinistischen Parteien dazu führt, dass sie zwar den Sozialismus als Ziel nennen, aber letztendlich nur für Reformen in der Gegenwart kämpfen, die das System nicht sprengen.

Das besondere an Übergangsforderungen, wie Trotzki sie aufstellte und Trotzkist_Innen noch immer tun, ist hingegen, dass man Forderungen aufstellt, die die Alleinherrschaft des Kapitals angreift und die Macht in die Hände der Arbeiter_Innen überführt.

Ein Beispiel für eine Übergangsforderung ist die nach demokratischer Kontrolle der Arbeiter_Innen, zum Beispiel über Energieproduktion. Diese Forderung ist eigentlich sehr einfach und nachvollziehbar, jedoch setzt sie, sollte sie konsequent umgesetzt werden, einen Bruch mit dem Kapitalismus voraus, da dieser auf der Verfügungsgewalt der Kapitalist_Innen über ihre Produktionsmittel, wie eben auch Kraftwerke, Solarfarmen, Stromnetze etc., angewiesen ist. Andersrum gesehen stellt dies atomare Formen einer Planwirtschaft dar. 

Und die Genossis?

„Sozialismus in einem Land“, Etappentheorie und die Praxis, die aus dem Minimum-Maximum-Programms folgt, zeigen, dass der Stalinismus keine konsequent revolutionäre Ideologie ist. Sie steht statt für die globale Revolution des Proletariats und das Ende des Kapitalismus für eine bürokratisch verwaltete Planwirtschaft in einem bestimmten abgegrenzten Gebiet sowie die „friedliche Koexistenz“ mit dem Weltimperialismus und somit auch eine Politik der Reformen und des Klassenkompromisses in nicht-stalinistischen Ländern.

Doch stehen dafür auch all jene die sich unkritisch auf Stalin oder die degenerierten Arbeiter_Innenstaaten wie Sowjetunion und DDR beziehen?

Die meisten Mitglieder von stalinistischen Kräften glauben aufrecht an die Weltrevolution und sind bereit für diese zu kämpfen, haben häufig, wenn auch verkürzt, sogar eine gewisse Kritik an den „realsozialistischen“ Staaten und sind sicherlich keine Klassenverräter_Innen sowie es die Stalins und Ulbrichts waren. 

Wir sollten uns darum nicht sektiererisch von diesen Kräften abwenden, sondern im Gegenteil eine Zusammenarbeit und gemeinsame Klärung anstreben. Dazu kommt: Sich nur positiv auf den Trotzkismus zu beziehen, schützt beim besten Willen nicht vor politischer Degeneration, andersherum wurden in anderen kommunistischen Strömungen wichtige Errungenschaften, Kämpfe und Erkenntnisse gewonnen, von denen wir profitieren und uns inspirieren lassen sollten. Doch in dieser Praxis, vom Alltag bis zur Revolution, wollen wir klären, welche Taktik wir für den Sieg und die Befreiung des Proletariats über Faschismus, Imperialismus und Kapitalismus brauchen! Und wir sind überzeugt: Das ist ein Übergangsprogramm, das den Arbeiter_Innen aufzeigt, wie sie ihre Macht erkennen und ergreifen können, und eine Internationale, die kompromisslos und ohne Pause für eine weltweite Räterepublik und demokratische Planwirtschaft kämpft!