Altersarmut in Deutschland

Helga Müller (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland)

Der Armutsbericht 2021 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes macht deutlich, dass die Pandemie die Armutsquote in Deutschland nach oben getrieben hat: Insgesamt 16,1 % oder 13,4 Millionen Menschen waren 2020 von Armut betroffen. Seit 2006 – mit einer Quote von 14 % – ist ein stetiger Aufwärtstrend in Deutschland auszumachen. Und das in einer der reichsten Industrienationen der Welt. Die soziale Ungleichheit vertieft sich auch hier: 10 % der Reichsten in Deutschland verfügen über 67 % des Nettogesamtvermögens. (https://www.deutschlandfunkkultur.de/armut-in-deutschland-die-soziale-ungerechtigkeit-waechst-100.html). Sozialwissenschaftler:innen sprechen von einer relativen Armut in Deutschland, die nach EU-Standard so definiert ist: Als Arm gelten Menschen, die über weniger als 60 % des mittleren Einkommens verfügen. (nach: https://www.deutschlandfunkkultur.de/armut-in-deutschland-die-soziale-ungerechtigkeit-waechst-100.html)

Nach Meinung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wäre die Armutsquote während der Pandemie noch schneller in die Höhe geschossen, hätte die Große Koalition nicht Maßnahmen wie die Verlängerung und Aufstockung des Kurzarbeitergeldes oder des Arbeitslosengeldes I ergriffen.

Unter Erwerbstätigen – vor allem bei den Selbstständigen – hat die Einkommensarmut auf derzeit 53 % zugenommen. Wie in den letzten Jahren tragen auch 2021 vor allem Alleinerziehende und kinderreiche Paarhaushalte das höchste Armutsrisiko. Unter den Armen sind besonders Rentner:innen und Pensionär:innen mit 17,6 % überproportional betroffen. Bis zum Jahr 2013 spielte Altersarmut dagegen statistisch gesehen nur eine untergeordnete Rolle.

Wenn man Armut nach Geschlechtern auswertet, dann wird deutlich, dass vor allem unter Frauen (16,9 %) eine höhere als unter Männern (15,3 %) herrscht, besonders bei den Älteren ab 65 Jahren. Dies ist gegenüber 2019 nochmal eine Steigerung um 1 Prozentpunkt. Selbst der Armutsbericht kommt zu dem Ergebnis „Die Altersarmut ist damit überwiegend weiblich.“ (alle Zahlen nach: Armutsbericht 2021)

Die Gründe dafür, dass vor allem Frauen von (Alters-)Armut betroffen sind, sind vielfältig, aber auch Politiker:innen der Ampelkoalition bekannt und haben sich seit Jahrzehnten nicht verändert. Die Vorhaben im Koalitionspapier werden zur Linderung nicht viel beitragen, sofern sie überhaupt umgesetzt werden. Alle sozialen Maßnahmen stehen ja bekanntlich unter dem Vorbehalt der Wiedereinführung der Schuldenbremse und keinerlei zusätzlichem Einkommen durch Steuererhöhungen – vor allem für die Superreichen und großen Konzerne, die auch während der Pandemie einen guten Schnitt gemacht haben. Hier konnte sich die FDP voll durchsetzen:

  • Alleinerziehende – dies sind nach wir vor vor allem Frauen – stehen oft gar nicht in Lohnarbeit und sind auf Hartz IV angewiesen, dessen Regelsatz zu einem existenzsichernden Leben nicht ausreicht. Wenn sie arbeiten, müssen sie aufgrund der nicht ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten oft genug auf Teilzeitjobs oder gar Mini- oder Midijobs zurückgreifen. Mitte 2020 übten 4,1 Millionen Frauen und 2,9 Millionen Männer einen Minijob aus. (https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Jede-vierte-Frau-arbeitet-im-Niedriglohnsektor-417694.html). Die Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld im Koalitionsvertrag, ohne kräftige Erhöhung des Regelsatzes und Abschaffung der Sanktionen ist – wie der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen in seinem Statement zum Armutsbericht sagt – nur eine Mogelpackung. Zu den Mini- oder Midijobs steht im Koalitionspapier lediglich, dass verhindert werden soll, dass reguläre Arbeitsverhältnisse in solche umgewandelt werden. Aber wie das konkret geschehen soll, bleibt unerwähnt.
  • Frauen verdienen nach wie vor deutlich weniger als Männer. Der Gender Pay Gap liegt 2020 lt. Statistischem Bundesamt noch bei 18 % (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/gender-pay-gap.html). Auch daran wird die Ampelkoalition nichts ändern. Das Einzige, was dazu im Koalitionspapier steht, ist, dass das Entgelttransparenzgesetz – das nur einen Auskunftsanspruch gegenüber dem/r Arbeit„geber“In zu den Gehaltskriterien einer Tätigkeit beinhaltet – weiterentwickelt und die Durchsetzung gestärkt werden soll.
  • Wenn Frauen auf Teilzeit angewiesen sind, ist dies oft unfreiwillig und reicht nicht für ein selbstständiges, existenzsicherndes Leben. Vor allem aber wirkt sich dies negativ auf die Altersrente aus. Im Koalitionsvertrag wird hierzu nur Bezug auf Mini- und Midijobs genommen, die nicht zur Teilzeitfalle für Frauen werden sollen. Wie, bleibt auch hier offen.
  • Mehr Frauen als Männer arbeiten im Niedriglohnsektor: Ende 2019 rund 25,8 %. Bei Männern hingegen liegt der Niedriglohnanteil nur bei 15,5 % (Zahlen nach: Bundesagentur für Arbeit, in: Ärztezeitung vom 7.3.2021, s.o.). Viele von ihnen sind entweder auf einen Zweitjob angewiesen oder gehören zu den sogenannten Aufstocker:innen. Die im Koalitionspapier angekündigte Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro, die am 1. Oktober kommen soll, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Sie wird aber nicht ausreichen, um Frauen aus dieser Armutsfalle herauszuholen.
  • Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – vor allem Frauen arbeiten in sogenannten sozialen Berufen wie Pflege, Erziehung u. ä. – spiegelt sich auch in einem geringerem Gehalt wider. Auch die aktuellen Tarifabschlüsse dienen nicht dazu, dort eine angemessene Bezahlung zu ermöglichen. Außer allgemeinen Floskeln, dass die Löhne für Pflegekräfte verbessert werden sowie die Zuschläge und Prämien (bis 3.000 Euro) steuerfrei sein sollen, steht dazu nichts im Koalitionsvertrag.
  • Unterbrechung der Arbeit aufgrund der Versorgung von Kindern oder zu pflegenden Angehörigen, was in den meisten Fällen von Frauen geleistet wird – oft schon allein deswegen, weil sie in der Regel weniger verdienen als ihre Männer –, bedeutet weniger Rentenanspruch. Im Koalitionsvertrag steht dazu, dass haushaltsnahe Dienstleistungen gefördert werden sollen und Brückenteilzeit in Zukunft mehr in Anspruch genommen werden kann. Das ist sicherlich etwas, dass dazu beitragen kann, Familie und Beruf besser zu vereinbaren, wird aber nichts Grundlegendes verändern.
  • Hinzugekommen ist eine gestiegene Arbeitslosenquote während der Pandemie, welche das Altersarmutsrisiko von Frauen noch weiter erhöhen wird. Dabei stieg sie im Zeitraum von Februar 2020 bis Januar 2021 bei Frauen mit 5,7 % stärker als bei Männern (1,8 %). (s.: Ärztezeitung vom 7.3.2021).

Vor diesem Hintergrund ist es mehr als zynisch, was die Ampelkoalition zur „Sicherung“ der Renten in Zukunft vorhat. Dazu „werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Diese teilweise Kapitaldeckung soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen. Dazu werden wir in einem ersten Schritt der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von 10 Milliarden Euro zuführen.“

D. h. nichts anderes, als dass ein Teil der Rente in Zukunft von den Finanzmärkten abhängig gemacht werden soll. Das ist ein weiterer Schritt zur Privatisierung der gesetzlichen Rentenversicherung nach Einführung der Riesterrente durch die rot-grüne Koalition 2001. Diese zusätzliche „Säule“ ist alles andere als sicher und stabil. Zudem weiß niemand, wann angesichts der zunehmend instabilen internationalen Situation es zu einem neuen Börsencrash kommen wird. Darüber hinaus werden 10 Milliarden aus dem laufenden Haushalt dafür zur Verfügung gestellt, die dann anderswo fehlen. Diese „Anschubfinanzierung“ wird nach Aussagen des Rentenexperten des DIW, Johannes Geyer, nicht ausreichen: „Man bräuchte mindestens 300 Milliarden Euro. Dann könnte man hoffen, jährlich 15 Milliarden Kapitalerträge zu erzielen, die dann an Rentner ausgeschüttet werden.“ (zit. nach: Das Renten-Versprechen und der Bluff, NEUES DEUTSCHLAND vom 21.02.22).

Es gibt keinen Grund, die Rente immer mehr vom Kapitalmarkt abhängig zu machen. Sie müsste stattdessen mit einer besseren Einzahlungsstruktur und mehr Mitteln aus dem Haushalt finanziert werden: Das Pro-Kopf-Volkseinkommen ist trotz beginnender Krise im Jahr 2019 um das Doppelte gestiegen (Die Rente könnte sicher sein, NEUES DEUTSCHLAND 25.7.2020). Auch das Steuereinkommen könnte ohne weiteres erhöht werden: Eine einmalige Vermögensabgabe mit einer Laufzeit von 10 Jahren würde 300 Milliarden Euro einbringen. Auch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer bei einem Steuersatz von 1 % könnte 20 Milliarden Euro auftun (a. a. O.).

Ganz klar zeigt sich hier, dass es nicht um eine Stabilisierung der Renten geht, sondern die Unternehmer:innen weiter von solch lästigen Dingen wie Lohnnebenkosten oder höheren Kapitalsteuern zu entlasten, um deren Wettbewerbsfähigkeit in der zukünftigen, krisenhaften Entwicklung nicht zu beeinträchtigen.

Es gibt jedoch Systeme, in denen Rentner:innen mehr erhalten und besser vor Altersarmut geschützt sind. Das bekannteste ist wohl Österreich: Die im Jahr 2018 in Ruhestand gegangenen Menschen erhielten hier ca. 1.700 Euro im Monat – in Deutschland waren das nur 1.000 (Zahlen nach Sozialwissenschaftler Florian Blank; in: Geteilter Genuss, NEUES DEUTSCHLAND vom 25.07.20). Das ist ein Unterschied von 70 %. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt fließt in Österreich mehr öffentliches Geld in Renten und Pensionen. Die Rentenbeiträge liegen seit Jahrzehnten stabil bei 22,5 %, 12,5 % davon zahlen die Arbeit„geber“:innen. Ein anderer entscheidender Grund ist, dass fast alle Erwerbstätigen einschließlich der Selbstständigen (außer den Beamt:innen) verpflichtend in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind. (a. a. O.) Aber auch in Österreich gibt es einen großen geschlechtsspezifischen Unterschied. Zudem ist auch hier damit zu rechnen, dass eine neoliberale Politik versuchen wird, diese Kosten zugunsten der Kapitalist:innen zu reduzieren.

Was wir brauchen, um Altersarmut zu verhindern:

  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn für alle Frauen, um ein Mindesteinkommen zu sichern, das die Reproduktionskosten deckt und ein Leben ohne Abhängigkeit vom (männlichen) Partner erlaubt!
  • Mindesteinkommen von 1.600 Euro/Monat für alle Arbeitslosen und Rentner:innen. Diese Regelung soll auf alle Freiberufler:innen, (Schein-)Selbstständigen, Studierende, Sexarbeiter:innen und andere ausgedehnt werden, die wegen der Pandemie ihre Dienste nicht verkaufen können!
  • Kostenloser Zugang zu Gesundheits-, Krankenversorgung, Pflegeeinrichtungen und gesicherte Renten für alle Frauen!
  • Kostenlose und bedarfsorientierte Kinderbetreuung, öffentliche Kantinen und Wäschereien – um eine gesellschaftliche Gleichverteilung der Reproduktionsarbeiten auf alle Geschlechter sicherzustellen!
  • Alle müssen in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen – auch Selbstständige, Beamt:innen und Parlamentarier:innen!
  • Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden/Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Umwandlung prekärer Beschäftigungsverhältnisse in tariflich gesicherte; Abschaffung der Leiharbeit und Übernahme der Leiharbeiter:innen!
  • Für ein Programm gemeinnütziger öffentlicher Arbeiten mit Vollzeitstellen und auskömmlichen Tariflöhnen für Frauen, bezahlt aus Unternehmerprofiten und Vermögensbesitz!
  • Keine Rettungspakete und keine Milliardengeschenke für die Konzerne! Die Reichen müssen zahlen! Progressive Besteuerung von privaten Vermögen und Unternehmensgewinnen zur Finanzierung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und der Sicherung der Einkommen und Renten der arbeitenden Bevölkerung! Entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen unter Arbeiter:innenkontrolle, welche Löhne kürzen, Arbeitszeit verlängern oder Standorte schließen wollen!
  • Für eine verstaatlichte, einheitliche Sozialversicherung unter Arbeiter:innenkontrolle (Gesetzliche Krankenversicherung, Bundesanstalt für Arbeit, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosen- und Sozialhilfe), finanziert durch eine progressive Besteuerung!
  • Für kommunale, regionale, bundesweite und internationale Selbstverwaltung der Einheitsversicherung durch die Versicherten! Unternehmer:innen raus aus den Aufsichtsräten der Sozialversicherungen! Weg mit jeder Einmischung des bürgerlichen Staats!

Um dies zu erreichen, ist der Aufbau einer Einheitsfront der gesamten Arbeiter:innenklasse, einschließlich aller Arbeitslosen und Rentner:innen, notwendig. Der Kampf gegen Altersarmut muss mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft werden.




Der Kampf für eine Fraueninternationale – Lehren aus der sozialistischen Frauenbewegung

Aventina Holzer (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt/Österreich)

Internationale Vernetzung stellt für jeden politischen Kampf eine Bereicherung, wenn nicht eine Voraussetzung dar. In der feministischen Bewegung, die aufgrund des zunehmenden Widerspruchs von Kapitalismus und Gleichberechtigung wieder Fahrt aufnimmt, gibt es momentan aber wenig erfolgreiche Bestrebungen, eine solche Verbindung nachhaltig aufzubauen. Dabei haben die Frauen*streiks der letzten Jahre die Notwendigkeit einer international koordinierten, verbindlichen Aktion um gemeinsame Forderungen eigentlich auf die Tagesordnung gesetzt.

Die führenden Feminist:innen der Bewegung schlagen jedoch stattdessen eher lose Vernetzungen der nationalen Kämpfe vor oder behaupten, dass die Art, wie man sich aufeinander bezieht, schon internationalen Charakter hätte. Auch fehlt bei diesen Vorschlägen nur allzu oft ein klarer Klassenstandpunkt. Statt einer gemeinsamen Koordinierung, die auf einem Aktionsprogramm fußt und dadurch handlungsfähig wird, wird also auf abstrakte Appelle und liberale Politik gesetzt. Wenn wir wollen, dass die momentanen Kämpfe erfolgreich sind, dann brauchen wir auch eine Vorstellung, welche gemeinsame, internationale Organisationsform, aber vor allem auch welche Politik und welcher Klassenstandpunkt notwendig sind. Wir wollen daher die Sozialistische Fraueninternationale (heute: Sozialistische Frauen-Internationale; SIW) und ihre Entwicklung beleuchten und für die Gegenwart fruchtbar machen. Denn wir brauchen nicht nur eine linke Frauenpolitik, wir wollen antisexistische Kämpfe, die in einer revolutionären und proletarischen Tradition stehen.

Herausbildung der proletarischen Frauenbewegung

Prinzipiell ist die Geschichte der Sozialistischen Fraueninternationale keine lineare. Um sie richtig verstehen und einordnen zu können, stellt sich die Frage nach der proletarischen Frauenbewegung, die sich neben der bürgerlichen herausbildete. Mit der Industrialisierung und dem Übergang zum Kapitalismus bildeten sich neue gesellschaftstragende Klassen heraus: Bürger:innentum und Proletariat. Mit den Widersprüchen, die der Kapitalismus für die arbeitende Frau brachte (Mehrfachbelastung durch Lohn- und Reproduktionsarbeit), wurde auch eine neue Generation an Kämpfer:innen politisiert.

Auch in der bürgerlichen Frauenbewegung wurde die Frage nach politischer Gleichstellung im 19. Jahrhundert immer relevanter. Zentral dafür war das Frauenwahlrecht, das von bürgerlicher Seite oft nur für privilegierte Frauen gefordert wurde. Mit widersprüchlichen Interessen und Vorstellungen sammelten sich hinter dieser Forderung die Frauenorganisationen. Die proletarische Frauenbewegung hatte ihre Wurzeln natürlich in der Sozialdemokratie und speziell der deutschsprachige Raum übernahm hier eine Vorreiterrolle (die deutsche Sozialdemokratie war die stärkste Europas).

Zwar gab es im europäischen Raum auch schon vorher Absprachen und Vernetzungen, aber was die proletarische Frauenbewegung betrifft, wurden erst ab 1896 (also 7 Jahre nach dem Gründungskongress der II. Internationale, dem Zusammenschluss der sozialdemokratischen Parteien) Treffen, die der internationalen Verbindung der sozialdemokratischen Frauen dienten, abgehalten. Ein Grund für diese recht späte Entwicklung lag sicher in den tief sitzenden sexistischen Einstellungen innerhalb der Sozialdemokratie, die erst mit der Zeit abgebaut werden konnten und die Ausrichtung der Partei wie der entstehenden Gewerkschaften auf die männliche Lohnarbeit. Die Organisierung von Frauen wurde von vielen allenfalls als untergeordnete Aufgabe verstanden – was das Entstehen eigener Frauenorganisationen erschwerte und gleichzeitig umso notwendiger machte.

Ein Beispiel dafür liefert die Debatte rund um die Frauenarbeit, die erst langsam mit dem Entstehen der II. Internationale eine sinnvolle gemeinsame Beantwortung fand, in der nicht von einem „Ausspielen“ der Frau gegen die männlichen Arbeiter die Rede war. Zeitgleich kann man aber auch in der II. Internationale starke sexistische Stereotype und Probleme sehen. Selbst Zetkin, die wichtigste Vertreterin der deutschen, proletarischen Frauenbewegung neigte dazu, bestimmte bürgerliche Geschlechterrollen zu reproduzieren. So enthält selbst ihre bedeutende, politisch starke Aussage „Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen“ den Satz: „Es darf auch unmöglich die Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation sein, die proletarische Frau ihren Pflichten als Mutter und Gattin zu entfremden“.

Frauenwahlrecht

In Deutschland gab es in der Sozialdemokratie schon länger Frauenkonferenzen und 1907 wurde dieses Konzept auch auf die II. Internationale übertragen und fand die erste internationale Frauenkonferenz statt. Vom 17. bis 19. August trafen sich 58 Delegierte aus 15 Ländern in Stuttgart. Zentral behandelt wurden Fragen des weiteren internationalen Austausches und des Frauenwahlrechts. Als Ergebnis, stark geprägt von den Anträgen Clara Zetkins, wurde ein internationales Frauensekretariat der II. Internationale bestimmt und die „Gleichheit“ gegen den Widerstand des revisionistischen Flügels als deren offizielles Organ anerkannt.

Die Konferenz sprach sich für ein allgemeines Wahlrecht für Männer und Frauen aus und verabschiedete eine entsprechende Resolution. Der revolutionäre Flügel um Zetkin, Luxemburg oder auch Kollontai drängte darauf, das allgemeine Frauenwahlrecht zu einem zentralen Kampfziel der proletarischen Bewegung zu machen und dieses nicht, wie in einigen Ländern (z. B. Österreich und Großbritannien geschehen) dem Ringen um das Männerwahlrecht oder sogar weitaus unbedeutenderen kurzfristigen Reformzielen unterzuordnen.

Österreichische und britische Delegierte verteidigten hingegen die Position, dass es in manchen Situationen taktisch klug wäre, auf ein Frauen- zugunsten eines allgemeinen Wahlrechts für Männer zu verzichten. Dies wurde so argumentiert, dass in manchen Situationen diese letztere Forderung leichter umzusetzen wäre und mit dem Erreichen dieses Meilensteins ein späterer Kampf für das allgemeine Frauenwahlrecht erleichtert werden würde.

Schließlich setzte sich der linke Flügel bei der Abstimmung 1907 klar durch. Der Kampf für das Frauenwahlrecht sollte ein entscheidender sein für die Sozialdemokratie. Es war eine sehr richtige Entscheidung, diese Bedenken klar abzuwehren. Bald darauf wurde die Entscheidung der Fraueninternationale auch von der II. Internationale bestätigt.

Die Debatte rund um das Wahlrecht war aber nicht nur eine taktische, sondern zeigte bereits die tiefgreifenden Unterschiede zwischen reformistischen und revolutionären Kräften. Die von den Österreicherinnen eingebrachte Debatte stellte ja auch infrage, wie die Internationale gemeinsam und verbindlich radikal auftreten konnte, ein Problem, das in der zunehmend reformistisch dominierten ArbeiterInnenbewegung immer größer geriet.

Dass es sich um alles andere als bloße „Meinungsverschiedenheit“ oder „kleine politische oder taktische Differenzen“ handelte, wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg Revolutionärinnen wie Luxemburg oder Zetkin zunehmend bewusst. Innerhalb der deutschen und internationalen Frauenbewegung kam es rund um „die Gleichheit“ und deren Chefredakteurin, Clara Zetkin, zur Formierung eines Pols, der sich klar zum linken Flügel zählte.

Die Etablierung eines eigenen Frauensekretariats war sicherlich ein Fortschritt, litt aber an ähnlichen Problemen wie andere Gremien der II. Internationale, nämlich dass es über wenig tatsächliche politische Entscheidungsfähigkeit und Verankerung verfügte. Beim nächsten internationalen Frauenkongress 1910 musste bilanziert werden, dass trotz der Bekenntnisse und Resolutionen die gemeinsame Arbeit rund um das allgemeine Frauenwahlrecht und die internationale Vernetzung noch einiges zu wünschen übrig ließen. Man sollte sich in der Analyse dieser Fehler nicht nur auf die Form beschränken, sondern versuchen herauszufinden, aus welchen politischen Fehlentscheidungen diese resultierten. Ein Fehlen von demokratisch zentralistischen Strukturen, also einem gemeinsamen, verbindlichen Handeln nach außen, nach Diskussion in der Organisation bedeutete eben auch, dass die Internationale nie ihr volles Potenzial entfalten konnte. Sie bildete eher eine Vernetzung zwischen den nationalen Organisationen und keine internationale Organisation mit Sektionen in den einzelnen Ländern.

Zeitgleich konnten sich die reformistischen Kräfte dadurch aber auch immer stärker in ihre nationalen bürgerlichen Verhältnisse festkrallen. Selbst wenn die Internationale von Sozialismus und Revolution redete, entsprach das nicht der tatsächlichen Praxis der Sozialdemokratien der einzelnen Länder. Vielmehr rechtfertigten sie ihre zunehmend bürgerlich-gradualistische Reformpolitik als „Taktik“, deren opportunistischer Charakter durch Lippenbekenntnisse zum Sozialismus versteckt wurde. Das bedeute dann eben auch, dass die meisten international agierenden Strukturen fast wirkungslos blieben und als primäre Aufgabe die Vernetzung hatten. Nicht zu unterschätzen war jedoch, dass die „Gleichheit“ als einziges großes, internationales Organ der II. Internationale vom revolutionären Flügel und nicht vom reformistischen kontrolliert wurde.

Als „Lösung“ wurde beim Frauenkongress 1910 der Internationale Frauentag als Kampftag für das Wahlrecht verankert. Ein weiterer Kongress fand 1913 statt, der sich gegen die Balkankriege stellte und schon einen starken Fokus auf Frieden hatte.

Weltkrieg

Mit dem 1. Weltkrieg wurden die Widersprüche in der Sozialdemokratie offensichtlicher und es zeichneten sich Spaltungen ab. In Deutschland formierte sich ab 1915 die kleine, revolutionäre Minderheit, der Spartakusbund. Die SPD selbst schloss 1916 die wachsende Zahl der Kriegsgegner:innen unter den Parlamentsabgeordneten aus, die 1917 die USPD gründeten. Die Organisation zerbrach in die sozialchauvinistische Mehrheitssozialdemokratie, welche den Krieg unterstützte und den Burgfrieden für Kapital und Kaiser organisierte, und in die USPD, welche eine pazifistische Politik vertrat. Die Bruchpunkte existierten auch in der proletarischen Frauenbewegung weiter und grob gesagt unterteilte sie sich in drei Strömungen. Die reformistische, die die Burgfriedenspolitik mittrug und sich auf Arbeit in „sozialen Strukturen“ (Wohltätigkeit) beschränkte. Die gewerkschaftliche, die versuchte, sich auf ihre Rolle als Interessenvertretung zu konzentrieren, und dabei die politischen Forderungen und Notwendigkeiten hintanstellte. Und die innerparteiliche Linke, die auch maßgeblich für die weitere Entwicklung der Sozialistischen Fraueninternationale verantwortlich war.

Im Herbst 1914 plante Zetkin ein weiteres ihrer Treffen. Dieses konnte aber wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs erst 1915 stattfinden. Die Konferenz war klar eine Antikriegskonferenz und es sammelten sich hier vom 26. bis 28. März 30 Delegierte aus unterschiedlichen Ländern in der Schweiz. Die Konferenz wurde von der SPD-Parteiführung nicht unterstützt. Schließlich stand die deutsche Sozialdemokratie (wie die meisten Sozialdemokratien Europas) auf Regierungsseite.

Diese Konferenz sollte nicht nur einer der ersten Versuche sein, die internationale Zusammenarbeit der sozialistischen Organisationen trotz des Krieges wiederzubeleben, sondern war auch eines der ersten internationale Zusammentreffen einer radikalen Strömung, die sich gegen die offizielle Parteilinie stellte. Ähnlich wie die später unter dem Namen „Zimmerwalder Linke“ bekanntgewordene Gruppe wurde eine Opposition zur Kriegspolitik, aber auch zur reformistischen Degeneration der Sozialdemokratie gesammelt.

Die teilnehmenden Frauen, speziell die führenden Aktivistinnen, gehörten nun zum Großteil dem linken Flügel ihrer Parteien an. So ist es also nicht verwunderlich, dass die Sozialistische Fraueninternationale wichtig für die internationale Verbindung der Kriegsopposition gewesen war. Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen aufgrund ihrer Mehrfachunterdrückung häufiger direkt konfrontiert mit den Problemen des Kapitalismus waren und wegen des in den Organisationen (inklusive der Gewerkschaften) vorherrschenden Sexismus’ weniger in Systeme integriert wurden und auch weniger aufgrund materieller Anreize ihre Politik verrieten.

Die Konferenz verabschiedete im März 1915 den Aufruf „Frauen des arbeitenden Volkes!“, der deutlich den imperialistischen Charakter des Krieges hervorhob, das Ende der Burgfriedenspolitik forderte und mit folgenden Losungen endete: „Nieder mit dem Kapitalismus, der dem Reichtum und der Macht der Besitzenden Hekatomben von Menschen opfert! Nieder mit dem Kriege! Durch zum Sozialismus!“

Die Konferenz stellte schon durch ihr Zustandekommen einen wichtigen Fortschritt dar. Anders als die Frauenkonferenzen vor dem Krieg erkannte sie überhaupt nur der linke, gegen den Krieg eingestellte Flügel an. Aber es zeigten sich bei der Mehrheit der Teilnehmerinnen auch zwei wichtige Schwächen und damit Differenzen zu den Bolschewiki, die durch Krupskaja vertreten waren. Es fehlte die Erkenntnis, dass es an der Zeit war, sich von der Sozialdemokratie loszusagen und eine linke Opposition aufzubauen, eine neue Partei, die in einer Situation der Illegalität auch Arbeit machen konnte. Die Forderung, den imperialistischen Krieg in einen revolutionären Bürger:innenkrieg umzuwandeln, was die tatsächlich richtige Schlussfolgerung aus dem beschlossenen Slogan gewesen wäre, wurde nicht aufgestellt. Die russische Delegation stellte zu diesen Punkten zwar einen Antrag, der wurde allerdings abgelehnt. Die Erkenntnis holte die führenden Aktivistinnen zwar nach und nach ein, als sich die Spaltung vollzog und immer klarer wurde, dass ein politischer und organisatorischer Bruch mit der sozialdemokratischen Führung unumgänglich war. Ähnlich wie die Konferenzen von Zimmerwald und Kiental bildeten die internationalen Frauenkonferenzen einen wichtigen Ausgangspunkt für die Sammlung der revolutionären Internationalist:innen und die spätere Formierung der Dritten Internationale.

Lehren

Die Geschichte der Sozialistischen Fraueninternationale gibt uns heruntergebrochen heute Ansätze für fünf wichtige Aspekte.

Erstens: Wie muss eine Frauenbewegung aussehen, die auch in der Lage ist, tatsächliche Verbesserungen zu erkämpfen? Und wie ist dieser Kampf mit dem um eine revolutionäre Umwälzung verbunden? Die Auseinandersetzung rund um das Frauenwahlrecht ist ein gutes Beispiel dafür, was eine proletarische Frauenbewegung leisten kann, und zeigt auch, dass es selbst in Situationen, wo man mit bürgerlich-feministischen Kräften zusammenarbeiten kann, sinnvoll und notwendig ist, sich klar von ihnen politisch und organisatorisch abzugrenzen.

Zweitens: die Frage von separater Organisierung. Auch wenn es sich hierbei nicht um ein Prinzip handelt, so ist es doch interessant zu beobachten, wie gerade die führenden Frauen und die Jugend in der europäischen Sozialdemokratie oft zum linken Flügel gehörten. Ziel einer Organisation ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem alle Aktivist:innen gemeinsam handeln können, aber es kann auch Situationen geben, wo es erfolgreicher ist, sich separat zu organisieren oder eigene Gremien in der Organisation einzufordern, um gegen soziale Unterdrückung auch innerhalb der Gruppe vorzugehen. So formten sowohl die Jugendinternationale als auch die Sozialistische Fraueninternationale wichtige Sammelpunkte des Kampfes gegen die reaktionäre Politik der Sozialdemokratie nach 1914. Immer sinnvoll ist es aber, in Organisationen einen Rahmen zu schaffen, um sich als gesellschaftlich Unterdrückte zu treffen und Probleme auch gesondert besprechen und deren Lösung vorantreiben zu können. Ein sogenanntes Caucus-Recht bildet also auch eine wichtige Lehre und Errungenschaft.

Drittens: Die wirkliche Frauenbefreiung ist eine globale Frage. Die Vernetzung der Kämpfe ist nicht nur sinnvoll und lehrreich, sondern stärkt sie auch maßgeblich. Aber wenn es nur dabei bleibt, dann besteht die Gefahr, wie es auch bei der II. Internationale der Fall war, dass sich nie eine länderübergreifende Organisation herausbildet, die als Grundprinzip das internationale, gemeinsame Handeln verfolgt. Aktionen werden stärker und können mehr an Fahrt aufnehmen, wenn es eine zentrale Koordination und Vernetzung auf internationalem Niveau gibt. Selbst jetzt, ohne eine solche Organisation und Vernetzung, sieht man, wieviel schlagkräftiger Kampfmittel wie zum Beispiel Frauenstreiks werden, wenn sie international passieren und sich gegenseitig in ihren Anliegen unterstützen (auch wenn es gerade sehr dezentral und losgelöst erfolgt).

Viertens: Internationalismus ist nicht nur eine Frage der Effektivität, sondern folgt auch daraus, dass der Klassenkampf – und damit logischerweise der der proletarischen Frauen – ein globaler ist. D. h., eine neue sozialistische Frauenbewegung darf sich nicht auf Fragen der Gleichheit und geschlechtlichen Unterdrückung beschränken, sondern muss fest auf dem Boden eines Kampfprogramms gegen Imperialismus und Kapitalismus, eines von Übergangsforderungen stehen.

Fünftens: Neben der Erkenntnis, dass es notwendig ist, innerhalb der bestehenden bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Bewegung für eine proletarische Frauenbewegung zu kämpfen, sehen wir diesen Kampf auch als einen direkten Beitrag für eine neue Internationale. Die Führungskrise des Proletariats und damit auch das Fehlen einer internationalen, revolutionären Partei bedeutet, dass die Kämpfe, die in Bewegungen wie der der Frauen geführt werden, auch das Potenzial gewinnen können, revolutionäre Kräfte zu sammeln und damit auch einen Ansatzpunkt für so eine Partei sein können. Auch deshalb ist es notwendig, sich auf einer klaren und revolutionären programmatischen Grundlage zu sammeln, um die Zuspitzung innerhalb der Frauenbewegung auch für den Aufbau einer neuen Internationalen und deren revolutionäre Ausrichtung nutzen zu können.

Seit der Degeneration der III., Kommunistischen und dem Scheitern der Vierten Internationale ist es ein zentrales Problem, dass es keine revolutionäre Internationale und politisch-programmatische Kontinuität in der Arbeiter:innenklasse gibt. D. h. der Einfluss bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologie ist ungleich größer als in Perioden mit einer konstituierten Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse. Der Kampf um eine proletarische, sozialistische Frauenbewegung ist daher untrennbar mit dem Kampf um eine revolutionäre Internationale verbunden.

Die Sozialistische Fraueninternationale war bei allen Problemen nicht nur historisch ungleich fortschrittlicher und weiter als die Bewegung heute, sie stellt auch ein anderes Modell dar. Sie stand von Beginn an auf einer klassenpolitischen, proletarischen Grundlage und verstand sich als Teil des revolutionären Kampfes zur Befreiung aller Lohnabhängigen. Zugleich aber entstand sie als Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung und am Beginn der imperialistischen Epoche – und damit in einer, wo sich die Differenzen zwischen dem reformistischen und dem revolutionären Flügel zuspitzten.

Dazu benötigen wir eine revolutionäre internationale Organisation auf klarer programmatischer Grundlage, die es schafft, sich an den Aufbau solcher Strukturen zu machen. Die internationale Frauen- und LGBTQIA+-Bewegung kann nur mit solchen langfristig erfolgreich sein, ihre Unterdrückung nicht nur innerhalb des Systems zu bekämpfen, sondern auch das System an sich aus den Angeln zu heben und damit tatsächliche Befreiung zu erwirken. Für eine neue, revolutionäre Internationale!




Vom Frauenstreik zur Internationale?

Leonie Schmidt (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland)

In den letzten Jahren haben die weltweiten Krisen immer mehr zugenommen, seien es Wirtschaftskrise, Pandemie, Umweltzerstörung oder aber (drohende) Kriege. Ursache: der Kapitalismus. Die Kosten und Konsequenzen werden natürlich auf den Rücken der Arbeiter_Innenklasse ausgetragen. Zusätzlich dazu kommen rechtskonservative Kräfte in vielen Ländern an die Regierung oder rechte Bewegungen erlangen mehr Relevanz. Oftmals wollen diese Kräfte traditionelle, reaktionäre Rollenbilder vertreten und das Kapital stärken.

Die Wirtschaftskrise 2007/08 hat bereits für einen Rollback gegen Frauen gesorgt, aber die Corona-Krise hat diesen zusätzlich verstärkt: erstens aufgrund einer neuen Wirtschaftskrise, welche durch die zugespitzte Lage katalysiert wurde; zweitens durch die Lockdowns, welche häusliche Gewalt verstärkten, sowie die Überlastung der Pflege, in welcher ebenfalls mehrheitlich Frauen beschäftigt sind.

Doch dieser Rollback stieß auch auf massenhaften Widerstand. In den letzten Jahren erlebten wir einige große Frauenstreiks am 8. März, dem Frauenkampftag, die sich auch international formierten und Millionen Menschen auf die Straße brachten. Diese begannen 2016 erstmalig in Lateinamerika im Rahmen der ursprünglich argentinischen Bewegung #Ni Una Menos (Nicht eine mehr), welche sich vor allem auf die vielzähligen Femizide bezog, und breiteten sich bis 2019 weltweit aus. So gingen am 8. März 2018 in über 177 Ländern Menschen für die Rechte der Frauen auf die Straße. Allein in Spanien streikten 2018 und 2019 6 Millionen Frauen gegen sexuelle Gewalt, für gleiche Löhne und das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. In der Türkei demonstrierten mehrere Tausende trotz der großen Repression seitens des Erdogan-Regimes. In Pakistan beteiligten sich am Aurat-Marsch in den größeren Städten wie Lahore, Karatschi, Hyderabad und Islamabad ebenfalls Tausende an den Aufmärschen. In der Schweiz waren im Juni 2019 500.000 Personen auf der Straße. Im Dezember 2019 fingen vornehmlich Hausfrauen in Indien an zu streiken. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große Proteste: Ob nun im Rahmen des Women’s March in den USA oder des „schwarzen“ Protests gegen das Verbot von Abtreibungen in Polen – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre Rechte.

In den Pandemiejahren 2020 und 2021 gingen die Proteste vor allem in den imperialistischen Ländern zurück, während sie in den Halbkolonien weiterhin auf die Straße getragen wurden. Ein weiteres Aufkeimen der feministischen Proteste in dieser Zeit konnte vor allem um spezifische Vorfälle und Forderungen beobachtet werden wie bspw. den Mord an Sarah Everard in England im Frühjahr 2021, im Rahmen der Abtreibungsproteste gegen die polnische Regierung und ihre Verbote oder die Anti-Taliban-Proteste und deren frauenfeindliche Politik in Afghanistan. Trotz ihrer enormen Mobilisierungskraft hat es die Frauen*streikbewegung jedoch bisher nicht geschafft, ihre Vernetzung international zu vertiefen und während der Pandemie aufrechtzuerhalten. Sie steht selbst an einem politischen Wendepunkt.

Dennoch ist es natürlich wichtig, dass das Mittel des politischen Streikes wieder etwas in den Vordergrund gerückt, Forderungen verbreitet und Erfahrungen im Kampf gesammelt werden konnten. Die Frauen*streikbewegung hätte allerdings insbesondere im Kampf gegen Pandemie und erneute Finanzkrise eine relevantere Rolle spielen können. Im Rahmen der Rollbacks gegen die körperliche Selbstbestimmung haben sich aber u. a. in Polen größere Bewegungen etabliert, die weiterhin relevant bleiben. Das mangelnde Recht auf Abtreibung stellt nach wie vor ein internationales Problem dar und ist in den USA auch ein Thema, was zurzeit zu Protesten mit tausenden Teilnehmer_Innen und viel Widerstand führt.

Was brauchen wir?

Für eine internationale, erfolgreiche Frauenbewegung müssen wir anerkennen, dass der Kampf um Frauenbefreiung (und die Befreiung anderer geschlechtlich Unterdrückter) eng mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft sein muss, denn die Frauenunterdrückung wurzelt in der Klassengesellschaft und ihre materiellen Ursachen müssen abgeschafft werden, um diese selber vollständig verschwinden zu lassen.

Einen Fokus stellt dabei die Reproduktionsarbeit in der Arbeiter_Innenfamilie dar, in welcher die Ware Arbeitskraft (re)produziert wird, also durch Hausarbeit, Erziehung, Care-Arbeit etc., die wichtig für den Fortbestand des Kapitalismus ist und vornehmlich von Frauen ausgeführt wird. Es ist dabei wesentlich, deren Vergesellschaftung und gleiche Verteilung auf alle selbst als Teil des Klassenkampfes zu begreifen, als Kampf der gesamten Arbeiter_Innenklasse.

Entgegen den bürgerlichen Vorstellungen einer alle Klassen umfassenden Frauenbewegung muss berücksichtigt werden, dass es auch unter Frauen gegensätzliche Klasseninteressen gibt und in dieser Bewegung nicht einfach „ausgeglichen“ werden können. So verfolgen Frauen des (höheren) Kleinbürgertums und der Bourgeoisie andere Interessen, wie bspw. Frauenquoten und Plätze in der Chefetage, während das für proletarische Frauen nicht relevant ist. Während letztere um existenzsichernde und gleiche Löhne kämpfen müssen, wollen bürgerliche „Schwestern“ und jene aus den gehobenen Mittelklassen diese möglichst gering halten, um die Profite und Einkommen ihrer eigenen Klasse zu sichern.

Ähnlich wie kleinbürgerliche Ideologien erkennen sie den engen Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung nicht, von der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ganz zu schweigen. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen (Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus … ) die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen Formen des radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ privilegierte Stellung als Kleineigentümer_Innen oder Akademiker_Innen (Bildungsbürger_Innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen widerspiegelt. Dementsprechend ist eine klare antikapitalistische Ausrichtung relevant sowie die Verknüpfung von Kämpfen der Frauenbewegung und der Arbeiter_Innenklasse.

Angesichts des globalen Rechtsrucks ist es dabei unbedingt notwendig, sich als ersten Schritt auf gemeinsame Forderungen für den koordinierten globalen Kampf zu einigen. Dafür schlagen wir folgende Eckpunkte vor:

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!

Auch wenn gefeiert worden ist, dass nun fast überall auf der Welt Frauen wählen dürfen, haben sie vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische Teilhabe. Ein Verbot, arbeiten zu gehen oder dies nur von zuhause aus tun zu können, bedeutet vollkommene ökonomische Abhängigkeit von Partner oder Familie. Dort, wo diese Frauen nicht organisiert sind, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, sie für unsere Reihen zu gewinnen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, dass auch sie Teil der Arbeiter_Innenklasse sind.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während Reaktionär_Innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zum Mann.

3. Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner_Innen: Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass sie selbstständig entscheiden können, was sie anziehen dürfen oder ob sie schwanger werden oder bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder Femizide: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig!

Dabei ist herauszustellen, dass dies ein internationales Problem verkörpert und nicht auf bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär_Innen behaupten. Es ist vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Basis und politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und Einfluss gewinnen.

Doch essentiell ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees aufzuwerfen, die in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung und den Unterdrückten stehen. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass Frauen nicht passive Opfer bleiben sollen, sondern man ihnen die Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees für Marxist_Innen wichtig, weil wir nicht auf Polizei oder Militär als verlässliche Verbündete setzen können. Diese stehen oft vielmehr auf der Seite der Täter oder sind selbst welche. Außerdem schaffen Selbstverteidigungsstrukturen ein Gegengewicht gegen ihr Gewaltmonopol und das des bürgerlichen Staates allgemein.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Dies ist eine essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung – und mit ihr die Stereotype beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung), nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Diese kann dann beispielsweise in großen Wohneinheiten, Kantinen oder Waschküchen erfolgen.

Vom Frauen*streik zur proletarischen Frauenbewegung!

Diese Frauenbewegung muss multiethnisch und international sein, da das Patriarchat und der Kapitalismus ein weltweites System darstellen und es in den vorherrschenden kleinbürgerlich geprägten Feminismen oftmals nur um „die westliche, weiße cis-Frau“ geht. Es ist wichtig, dass eben auch die Belange von Frauen aus halbkolonialen Ländern oder rassistisch Unterdrücken in imperialistischen Staaten ins Zentrum gerückt werden, weil sie unter besonders heftigen Formen der Ausbeutung leiden und, global betrachtet, den größten Teil der proletarischen Frauen ausmachen.

Des Weiteren darf es sich nicht nur um einen losen Zusammenschluss handeln, da dessen Mobilisierungspotential zeitlich ebenso wie in der Schlagkraft begrenzt ist, wenn es sich nur um unkoordinierte lokale bzw. nationale Aktionen handelt.

Die Frauenbewegung steht dann letzten Endes vor zwei Aufgaben:

Erstens, sich als globale, organisierte Bewegung um gemeinsame Ziele, verbindliche Aktionen und Kampagnen zu koordinieren. Dazu müssen gemeinsame Bezugspunkte wie die obigen Forderungen gefunden, aber auch gemeinsame Kämpfe verschiedener Strömungen geführt werden bspw. mit der Organisierung und den Streiks in der Pflege, der Umweltbewegung oder der gegen Rassismus. Beispielsweise könnte gerade der gemeinsame Kampf mit Pflegekräften und betroffenen Frauen im Rahmen der Abtreibungsproteste relevant werden. Diese Forderungen müssen in die Bereiche unseres alltäglichen Lebens getragen werden wie Schule, Uni und Arbeit. Hier müssen wir uns dafür einsetzen, dass darüber nicht nur geredet wird, sondern auch konkrete Errungenschaften damit einhergehen. Dafür müssen Aktions- und Streikkomitees aufgebaut werden. Mit diesen alltäglichen Forderungen wie bspw. Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist es revolutionäre Frauen möglich, einen gemeinsamen Kampf auch mit Reformist_innen oder kleinbürgerlichen Feminist_innen führen.

Entscheidend ist jedoch, welche Klasse einer solchen Bewegung ihren Stempel aufdrückt. Oben genannte Forderungen können dabei die Grundlage für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung bilden, in der Revolutionär_innen um politische Hegemonie und Führung kämpfen.

Eng damit verbunden damit ist eine zweite Aufgabe, nämlich für eine Internationale zu werben und die Notwendigkeit dieser Organisierungsform aufzuzeigen. Eine Bewegung braucht nicht nur gemeinsame Forderungen, sondern auch eine Führung und klare klassenpolitische Ausrichtung, um erfolgreich zu sein. Wohin lose, wenngleich dynamische Bewegungen führen, können wir an verschiedensten Kämpfen sehen: seien es der Arabische Frühling, Fridays for Future oder auch die Frauen*streikbewegung. Die Dominanz bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder reformistischer Kräfte hat diese Bewegungen selbst in eine Krise oder gar zum Scheitern geführt.

Revolutionäre Frauen stehen daher nicht „nur“ vor der Aufgabe, in den Frauen*streiks und anderen Foren und Kämpfen um eine klassenpolitische Ausrichtung zu ringen. Auch unter jenen Kräften, die die Notwendigkeit einer internationalen, ja selbst einer proletarischen Frauenbewegung anerkennen, müssen wir zu Konferenzen aufrufen, um zu gemeinsamen Forderungen und international koordinierten Aktionen zu kommen. Dazu müssen wir auch reformistische Organisationen wie Linkspartei, DGB-Gewerkschaften oder selbst die SPD sowie feministische Gruppierungen und Kampagnen aufrufen, um so vor allem deren Basis in die Aktion zu ziehen, gemeinsame Kämpfe zu führen und zugleich praktisch die Fehler der reformistischen Führung offenzulegen. So kann nicht nur die aktuelle Schwäche der Frauen*streikbewegung überwunden werden.

Die gemeinsame Aktion und der Kampf für eine internationale Frauenbewegung erfordern auch ein internationales Programm und den Kampf für eine neue Arbeiter_Inneninternationale. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Frauenunterdrückung selbst untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden ist, also nur durch den Sturz dessen wirklich beseitigt werden kann. Daher ist der Kampf für eine proletarische Frauenbewegung untrennbar mit dem für eine revolutionäre, Fünfte Internationale verbunden.




Frauen – Verliererinnen der Pandemie

Lucretia Ramunkel (REVOLUTION, Österreich)/Katharina Wagner (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland)

Seit Beginn der Pandemie hat sich einiges geändert, vor allem für Frauen und zwar nicht zum Besseren.

Die globale Wirtschaftskrise, die sich auch schon vor der Pandemie abzeichnete, wurde durch sie deutlich verstärkt und synchronisiert. Auch wenn in den imperialistischen Nationen deren Auswirkungen teilweise mithilfe von Konjunkturpaketen, Kurzarbeiter:innengeld oder Corona-Hilfen abgefedert werden konnten, so sieht es in halbkolonialen Ländern deutlich anders aus. In allen Ländern führten die Maßnahmen zur massiven Zunahme der Verschuldung. Gleichzeitig ging die Entwicklung mit einer Zuspitzung der innerimperialistischen Konflikte einher.

Die Pandemie hat in vielerlei Hinsicht das Leben für geschlechtlich unterdrückte Personen verschlechtert, etwa durch den Verlust von Verdienstmöglichkeiten, den Anstieg an sexueller Gewalt und die erhöhte Belastung durch die Sorgearbeit, um nur einige zu nennen.

Arbeitslosigkeit und Einkommen

Schon ein Blick auf die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Einkommen verdeutlicht, wie viel stärker Frauen von Krise und Pandemie betroffen sind. Einem UN-Bericht aus dem Jahr 2021 (https://www.un.org/depts/german/millennium/SDG%20Bericht%202021.pdf) zufolge stiegen 2020 die Arbeitslosenzahlen um 33 Millionen auf 220 Millionen. Weitere 81 Millionen schieden aus dem Arbeitsmarkt aus. 5 % aller beschäftigten Frauen verloren ihren Arbeitsplatz (gegenüber 3,9 % der Männer).

Die Einbußen konnten teils in imperialistischen Nationen durch Kurzarbeiter:innengeld abgemildert und somit einige Entlassungen auch verhindert werden. Jedoch sieht das für den globalen Süden anders aus. So verloren in Indien 47 % aller Frauen während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 ihre Jobs (während nur 7 % der männlichen Arbeitskräfte dasselbe Schicksal teilen) (Quelle: https://www.thehindu.com/news/national/tamil-nadu/more-women-lost-jobs-in-the-pandemic-in-india-compared-to-men-says-expert/article38417389.ece).

In vielen Ländern haben die Menschen keinen Zugang zu staatlichen Hilfen. Frauen sind auch überdurchschnittlich häufig von Entlassungen betroffen, da ein großer Teil im sogenannten informellen Sektor tätig ist. Das bedeutet, sie haben keinerlei Anspruch auf Entlohnung im Falle von Krankheit oder dem Verlust ihres Jobs. So arbeiten z. B. im südlichen Afrika rund 92 % aller weiblichen Erwerbstätigen ohne jegliche Absicherungsmaßnahmen wie Kündigungsschutz oder Lohnfortzahlung bei Krankheit.

Ökonomische Folgen

Ungleiche Bezahlung der Geschlechter ist kein Symptom der Pandemie. Jedoch wird der Einkommensunterschied durch diese vergrößert und damit die ökonomische Abhängigkeit in Partnerschaften. Frauen sind vor allem in Sektoren überrepräsentiert, die besonders hart von der Pandemie getroffen wurden und traditionell schlechter bezahlt werden: Gastgewerbe, Einzelhandel, Tourismusbranche. Außerdem sind sie im sogenannten informellen Sektor und in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig. So haben sie in informellen Beschäftigungsverhältnissen während des ersten Monats der Pandemie 70 % ihres Einkommens verloren. Zudem kommt, dass viele Frauen teilzeit- oder in Mini-Jobs beschäftigt sind, da sie sich um den Haushalt und die Kinder kümmern müssen. Selbst wenn man das Glück hat, in einem Land zu leben, das die Einkommensausfälle abmildert, so haben viele Frauen keinen Anspruch auf Gelder oder bekommen sehr viel weniger als Männer. So hat in Deutschland beispielsweise nur jemand Anrecht auf Kurzarbeiter:innengeld, der/die in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, was bei Leuten nicht zutrifft, die im informellen Sektor arbeiten. In Europa sind mehr als 30 % der Frauen teilzeitbeschäftigt, was bedeutet, dass sie weniger Arbeit„nehmer“:innenrechte, Gesundheitsschutz und Zugang zu grundlegenden Leistungen genießen.

Auch Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen wirken sich negativ auf das Einkommen von Frauen aus. Die Gesellschaft, die auf einer traditionellen Rollenverteilung beruht und Politik für die klassische Kernfamilie macht, bringt eine massive Mehrbelastung für die Frau während der Pandemie mit sich. So sind es Frauen, die vor allem die Kinderbetreuung, das Homeschooling und die Haushaltstätigkeiten während der Ausgangsbeschränkungen übernommen haben. Die Mehrbelastung durch die Sorgearbeit führte in vielen Fällen dazu, dass es ihnen nicht mehr möglich war, ihrer Lohnarbeit in vollem Umfang nachzugehen. Auf Grund der geringeren Lohnarbeitszeit und Sozialleistungen, die auf das Kernfamilienmodell ausgelegt sind, sind überdurchschnittlich häufig Frauen von Altersarmut bedroht.

Kein Wunder also, dass die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern während der Pandemie weiter massiv zugenommen haben. Laut WEF (Weltwirtschaftsforum) verdienen Frauen weltweit durchschnittlich nur 68 % dessen, was Männer für dieselbe Arbeit erhalten würden. In Ländern mit der geringsten Kaufkraftparität sind es sogar nur 40 %. Und auch hier hat die Pandemie die Situation für Frauen deutlich verschlechtert. Erste Untersuchungen deuten bereits darauf hin, dass das Lohn- und Gehaltsgefälle sich im Zuge der Pandemie um 5 % vergrößert hat.

Gesundheitsbereich und Care-Arbeit

Auch wenn Frauen ihre Erwerbsarbeit nicht verlieren, ist das ein zweifelhaftes Glück. Bekanntlich stellt der Sozial- und Pflegebereich einen wichtigen Beschäftigungssektor für Frauen dar. Weltweit stellen sie etwa 70 % des Personals in diesen Bereichen. Da sie es meistens sind, die sich bezahlt oder unbezahlt um Kranke und Pflegebedürftige kümmern, sind sie dem Virus stärker ausgesetzt. Die Mängel, die schon vor der Pandemie im Pflegebereich sichtbar waren, haben sich durch ihr Andauern und die unzureichende Zuwendung seitens der Politik massiv verschärft. Die schlechte Bezahlung im Pflegebereich und die fehlende Anerkennung hatte auch schon vor der Pandemie einen Fachkräftemangel nach sich gezogen. Durch die psychische und physische Belastung, der ständigen Angst vor einer Ansteckung und der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben viele Pflegekräfte in den letzten Pandemiejahren gekündigt. Hinzu kommt die Anfeindung durch Coronaleugner:innen und Impfgegner:innen. So denkt in Deutschland mittlerweile jede 3. Person von den 1,8 Millionen Menschen, die in der Pflege beschäftigt sind, über einen Berufswechsel nach.

Da ein großer Teil der Kapazitäten im Gesundheitsbereich mit der Bekämpfung von Covid-19 ausgelastet ist, ist in vielen Teilen der Welt der Zugang zu reproduktiver medizinischer Versorgung für Frauen noch weiter eingeschränkt. Ein Anstieg der Mütter- und Kindersterblichkeit ist klar zu erkennen. Dies sieht man vor allem in halbkolonialen Ländern. In Bangladesch, Nigeria und Südafrika wurde 2021 ein Anstieg von 30 % bei der Sterblichkeit von Müttern und Neugeborenen verzeichnet. Auch die Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen haben sich vielerorts aufgrund mangelnder Ausstattung und personeller Kapazitäten verringert. Durch Lockdowns sind Angebote dafür wie für Familienplanung deutlich eingeschränkt. Seit Beginn der Pandemie und damit einhergehenden Schließungen von Schulen und Anlaufstellen ist der Zugang zu Aufklärung, Verhütungsmitteln und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen deutlich eingeschränkt. In Gauteng beispielsweise, Südafrikas bevölkerungsreichster Provinz, ist seit Beginn der Pandemie die Anzahl der Kinder, die von jugendlichen Müttern geboren wurden, um 60 % gestiegen.

Gewalt gegen Frauen

Verdienstausfälle und dadurch geschaffene existenzielle Sorgen sowie Quarantäne und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit haben einen massiven Anstieg an häuslicher Gewalt mit sich gebracht. Allein in der EU wurde in den ersten Monaten der Pandemie eine Zunahme von Notrufen wegen häuslicher Gewalt um 60 % registriert. Die ökonomische Abhängigkeit und eingeschränkte Bewegungsfreiheit erschwert es davon Betroffenen, dem zu entkommen. Auch die Angebote von Schutzräumen, welche trotz der Istanbul-Konvention schon vor der Pandemie unzureichend waren, wurden in vielen Ländern eingeschränkt oder ganz gestrichen.

Mit dem Anstieg häuslicher und sexistischer Gewalt geht auch einer an Femiziden einher. In Mexiko beispielsweise wurden 2021 922 Morde an Frauen als Femizid eingestuft. 2020 waren es 893 Frauen. Auch Schulschließungen ziehen drastische Folgen mit sich. Denn das Risiko, dadurch geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu , steigt dramatisch. In Somalia beispielsweise nahm durch die Pandemie die Zahl der weiblichen Genitalverstümmelungen um 31 % zu(Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen) erlitten haben.

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Die Ursachen für all diese Verschlechterungen müssen im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung betrachtet werden, bei der die Frau auf die Tätigkeit in der sogenannten Reproduktionsarbeit fixiert ist, auf Aufgaben zur Erhaltung des unmittelbaren Lebens wie Kindererziehung, Pflege von Familienangehörigen oder Hausarbeit im privaten Umfeld. In den allermeisten Fällen handelt es sich hierbei um unbezahlte und aus Sicht des Kapitals unproduktive Arbeit, da sie keinen Mehrwert generiert. Demgegenüber übernimmt der Mann die produktiven Arbeiten. Mit Entstehung der bürgerlichen Familie als Norm, welche sowohl ideologisch als auch repressiv gegenüber anderen modernen Formen durchgesetzt und verteidigt wird, reproduziert sich die eben angesprochene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bis heute weiter.

Der Kapitalismus hat sich diese lange vorher existierende zunutze gemacht, indem der Mann einen sogenannten „Familienlohn“ erhält und die Frau quasi als „Zuverdienerin“ das familiäre Haushaltsvermögen aufstockt. Dies erklärt den weiterhin herrschenden Lohnunterschied (Gender Pay Gap) zwischen Männern und Frauen. Global betrachtet stimmt dieses Modell schon lange nicht mehr mit der Realität überein. In vielen Fällen ist nämlich die Frau mittlerweile Hauptverdienerin und ein Lohn oft nicht ausreichend, um das Überleben der Familie zu sichern. Dennoch trägt auch dieser Umstand weiterhin zur Festigung der bürgerlichen Familie und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bei.

Reserve

Denn Frauen werden von Kapitalist:innen als sogenannte Reservearmee gesehen, was auch ihre stärkere Betroffenheit in Krisenzeiten erklärt. Sie besteht aus Menschen, die in konjunkturell starken Phasen eingestellt und in Krisenzeiten wieder schnell entlassen werden können. Dann wird auch gerne die Reproduktionsarbeit aus Kostengründen zurück ins private Umfeld und somit unentgeltlich verlagert. Dadurch entsteht wiederum eine stärkere Doppelbelastung aus Erwerbs- und Sorgearbeit für Frauen. Einher geht auch eine zunehmende Abhängigkeit vom Partner, was es oftmals unmöglich macht, diesen Rollen zu entkommen. Auch in der Pandemie ist dieser Rollback deutlich zu sehen.

Diese veralteten Rollenbilder reproduzieren und verstärken eine Spaltung zwischen Mann und Frau zugunsten des Kapitals. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Frauen härter von den Folgen der Pandemie betroffen sind. Deshalb darf ihre Lage nicht losgelöst vom kapitalistischen System betrachtet werden, in dem wir uns befinden. Ein System, das von der Ausbeutung profitiert, kann niemals die Lösung für eben jene Problematik liefern. Denn für Marxist:innen handelt es sich beim Kapitalismus nicht nur um ein Produktions-, sondern ein Gesellschaftssystem, welches alle Lebensbereiche durchdringt und unser Denken und Handeln bestimmt. Das ist klar erkennbar in den Geschlechterrollen, die uns zugeschrieben, uns anerzogen werden und sich dadurch weiter reproduzieren.

Wofür kämpfen?

Da in einem System, das auf Ausbeutung beruht, keine Geschlechtergerechtigkeit möglich ist muss der Kampf um Verbesserungen als Teil eines umfassenderen um vollständige Befreiung verstanden werden. Er muss international organisiert sein und mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft werden. Selbst wenn sich die Lage der Frau von Land zu Land deutlich unterscheidet, müssen einige Forderungen international aufgestellt werden.

Wir fordern gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit und einen Mindestlohn, der zum Überleben reicht. Die Abschaffung des informellen Sektors muss auf die Tagesordnung gesetzt werden. Solche und andere prekäre Arbeitsverhältnisse müssen durch Einführung von Tariflöhnen und Kollektivverträgen verschwinden, die Beschäftigten voll in solche „Normalarbeitsverhältnisse“ integriert werden. Die Kontrolle über die Umsetzung dieser Maßnahmen und die Sicherung der Gehälter muss in der Hand der Arbeiter:innenklasse und der Gewerkschaften liegen. In einer Pandemie wie dieser ist es auch wichtig, einen Entlassungsstopp und bei Schließungen ganzer Branchen die Auszahlung voller Löhne zu fordern. Außerdem brauchen wir einen weitläufigen Ausbau des Gesundheitssystems, der Altersvorsorge, von Kitas und Schulen als Teil eines Programms gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Lohnabhängigen, bezahlt aus den Profiten der Unternehmen.

Um Frauen vor psychischer und physischer Gewalt zu schützen, bedarf es dringend des Ausbaus von Schutzräumen und von Selbstverteidigungsstrukturen. Wir fordern ebenso eine rechtliche Gleichheit und ein Recht auf Scheidung sowie auf sichere, durch Krankenkassen bzw. den Staat bezahlte Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung. Auch der kostenlose Zugang zu Verhütungsmitteln, Aufklärung und medizinischer Versorgung muss gewährleistet sein.

Der Kampf gegen die Folgen von Pandemie und Krise, von denen lohnabhängige Frauen besonders hart getroffen werden, hat aber auch zu vielen Abwehrkämpfen und Bewegungen geführt, wo Arbeiterinnen an vorderster Front standen. Diese zeigen, dass Frauen nicht in erster Linie Opfer und Betroffene, sondern vor allem Kämpferinnen sind. Die Frauen*streiks der letzten Jahre, die Bewegungen im Gesundheitssektor und Frauen, die in Afghanistan unter extremen Bedingungen ihre Rechte verteidigen – sie alle zeigen, dass vor unseren Augen auch die Basis für eine neue internationale proletarische Frauenbewegung entsteht.

Lasst uns gemeinsam für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine vollständige Frauenbefreiung kämpfen! Für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung!




deutschrapmetoo – Wird Hip Hop jetzt feministisch?

von Sani Meier

Nachdem Nika Irani dieses Jahr auf Instagram ihr Vergewaltigungsouting gegen den Rapper Samra öffentlich gemacht hat, ist in der deutschen Hip-Hop-Szene eine längst überfällige Debatte über sexualisierte Gewalt ausgebrochen, die so viel Aufmerksamkeit und Kontroversen erregt, wie nie zuvor. Mittlerweile äußern sich immer mehr Frauen mit ähnlichen Erfahrungen, sodass sich bereits nach kurzer Zeit die Initiative „deutschrapmetoo“ gründete, welche die Berichte Betroffener veröffentlicht und sie bei der Aufarbeitung unterstützt. Es zeichnet sich mittlerweile ab, wie tief verankert sexualisierte Gewalt gegen Fans und Kolleginnen ist, aber auch, wie effektiv Täter durch Managements und Labels geschützt werden. Während viele Künstler vor allem damit beschäftigt sind, Samras Unschuld zu verteidigen, wird innerhalb der Szene darüber diskutiert, wie es überhaupt so weit kommen konnte: Sind sexistische und gewaltverherrlichende Texte das Problem, Plattenlabels und Managements, die diese tolerieren oder ist Gewalt am Ende einfach Teil der Hip-Hop-Kultur?

Nikas Entscheidung, sich offen zu diesem bisher tabuisierten Thema zu positionieren, ist extrem mutig und hat weitreichende Folgen mit sich gebracht. Während sie nun von Samras Anwält_Innen verklagt und von seinen Fans auf der Straße beleidigt und geschlagen wird, muss sie sich fast täglich Diffamierungsversuchen entgegenstellen, die ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen sollen. Sei dies aufgrund der Tatsache, dass sie als Erotikmodel tätig ist und damit für viele Menschen gar nicht erst in der Lage sei, sexuelle Gewalt zu erfahren, oder aber, weil sie aus Misstrauen gegenüber der Polizei und Justiz zu Beginn auf einen Strafprozess verzichten wollte. Dass in Deutschland von 100 Vergewaltigungen im Schnitt nur 1 zu einer Verurteilung führt und dieser Prozess für Betroffene extrem retraumatisierend sein kann, wird dabei gerne ignoriert. Diese Reaktionen sind leider nicht überraschend und spiegeln wider welchen Widerständen Betroffene von sexuellen Übergriffen häufig ausgesetzt sind – vor allem wenn sie gegen weitaus mächtigere Täter aussagen.

Gleichzeitig hat sie damit aber auch den Startschuss für eine Debatte gegeben, die den Diskurs über Sexismus innerhalb der Szene neu bestimmen könnte. Übergriffe öffentlich zu machen, ist ein sinnvoller und oft notwendiger erster Schritt. Auch muss sich an den Machtstrukturen innerhalb der Musikindustrie einiges ändern, sodass sexistische und übergriffige Künstler in der Zukunft keine Bühne mehr bekommen und ihre Managements sie nicht weiter schützen können. Gleichzeitig ist es aber unbedingt notwendig, zu erkennen, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt keine Probleme der Hip-Hop-Szene an sich sind, sondern strukturelle Unterdrückungsmechanismen, die wir ebenso in jedem anderen Bereich unserer Gesellschaft wiederfinden und bekämpfen müssen.

Die Unterdrückung von Frauen entspringt der geschlechtlichen Arbeitsteilung im Kapitalismus, nach der Frauen sich vor allem der unbezahlten Reproduktionsarbeit im Rahmen der Familie widmen sollen (Kindererziehung, Kochen, Putzen, emotionale Fürsorge etc.), damit den Kapitalist_Innen immer genug Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und die Lohnkosten möglichst gering gehalten werden können, da diese Arbeit im Privaten nicht entlohnt wird. Der daraus resultierende Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe und die finanzielle Abhängigkeit von Männern haben ein Unterdrückungsverhältnis etabliert, das sich bis heute aufrechterhält und auch im Deutschrap gewaltvoll reproduziert. Dementsprechend wird sich dieses auch nicht auflösen, wenn allein mehr Frauen im Vorstand von Labels wie Universal sitzen oder Lyrics weniger sexistisch sind. Narrative, die dieses Problem allein auf die Hip-Hop-Szene begrenzen, reproduzieren letztendlich rassistische und klassistische Klischees, da sie meist migrantische und nicht-akademische Künstler zum Hauptakteur der Gewalt erklären, ohne die gesellschaftlichen Verhältnisse zu kritisieren, durch welche sie sozialisiert wurden und welche Frauenhass kommerziell rentabel machen. Victim Blaming oder fehlendes Einfordern von aktivem Konsens (Ja heißt Ja) sind Probleme, die sich durch alle Schichten unserer Gesellschaft ziehen und z.B. durch Medien wie kommerzielle Pornographie oder reaktionäre Sexualerziehung tief in ihr verankert sind. Auch ist es eben kein Zufall, dass sexistische Texte von den Fans gefeiert werden, wenn sie im Endeffekt (häufig überspitzt) die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln, die im Kapitalismus unsere Vorstellung von Geschlecht und Sex prägen. Um die eben erklärte Hierarchie zu festigen, hilft es natürlich, wenn Männer sich mit dominanten und mächtigen Stereotypen identifizieren. Dieses Phänomen hat aber nicht Hip Hop oder die Kultur an sich erfunden, sondern die kapitalistische Klassengesellschaft und die sogenannte „rape culture“ existierte auch schon vor frauenverachtender Musik – auch wenn wir es unter keinen Umständen abstreiten, dass diese die Entwicklung von v.a. Jugendlichen negativ beeinflussen und sexistische Vorurteile manifestieren kann. Um ein Gegengewicht dazu zu etablieren, könnte ein erster Schritt in die richtige Richtung hier bereits in den Schulen gemacht werden, z.B. durch umfassende Aufklärung über Strukturen und Ursachen sexueller Gewalt und die Integration von Konsens-Workshops in den Sexualkundeunterricht.

Dass Hip Hop wieder zu seinen Ursprüngen als Sprachrohr gesellschaftlich unterdrückter Gruppen zurückkehrt, ist eine Forderung, die nicht isoliert vom Rest der Gesellschaft und vom kapitalistischen System realisiert werden kann. Solange der Markt vom Profit kontrolliert wird und Kapitalist_Innen auf diesen angewiesen sind, wird Gewalt gegen Frauen und andere Unterdrückte weiter rentabel bleiben und deshalb auch nicht aufhören. Da dieses System nicht nur Frauen unterdrückt, sondern auch alle Menschen jenseits der heteronormativen und binären Geschlechterordnung, xMigrant_Innen, Arbeiter_Innen, Jugendliche u.v.m., ist es notwendig, unsere Kämpfe zu verbinden und dieses System an seiner Wurzel zu bekämpfen. Nur eine Bewegung, die den Kapitalismus selbst angreift, kann diese Unterdrückung wirklich überwinden.

Lasst uns also gemeinsam kämpfen für eine Welt, die an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und in der wir Kunst, wie die Musik, selbst aktiv mitgestalten und organisieren, anstatt sie dem Einfluss einiger weniger Konzerne zu überlassen! Für eine Sexualerziehung, die alle mit einschließt, safe spaces ermöglicht und nach den Bedürfnissen der Jugendlichen gestaltet wird! Für eine Gesellschaft, in der Gewalt gegen Frauen & andere Unterdrückte bekämpft und nicht vermarktet wird!




Vater, Mutter, Kind – Bürgerliche Familie

Von Janeck
Peschel

Kennst
du das? Mama macht die Wäsche, kocht, hält die Wohnung sauber und
stemmt nebenbei noch ihre berufliche Karriere. Deine Eltern sagen dir
mit 14 du sollst 16 werden, damit sie es dir erlauben, wenn du 16
bist, 18 und wenn du 18 bist, sobald du deine Füße nicht mehr unter
ihrem Tisch hast. Ebenso wie Sätze, wie: „bist du nicht langsam in
dem Alter, wo du eine Familie gründen solltest?“ oder „Du bist
bisexuell? Ich verstehe das voll, in deinem Alter will man sich auch
mal ausprobieren“. Das alles ist bürgerliche Familie, das alles
ist das patriarchalische Familienbild, in welchem eine klare
Rollenverteilung herrscht und mit ihrer Ideologie unser Leben prägt.
Familie bedeutet in diesem System nicht nur Fürsorge,
Verbindlichkeit und Solidarität, sondern auch Zwang und
Unterdrückung. In diesem Artikel werde ich mich der Jugend- sowie
Frauenunterdrückung annehmen und klären, woher diese kommt und wie
sie sich äußert.

Frauenunterdrückung in der
bürgerlichen Familie

Ich werde im Folgenden
über die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau sprechen, wozu eine
Sache noch angemerkt ist: In welche Rolle wir gedrängt werden, hängt
letzten Endes von unserer Sozialisation ab, also wie wir erzogen
werden, und was wir tagtäglich um uns herum erleben. Diese muss
nicht mit dem biologischen und erst recht nicht mit dem empfundenen
Geschlecht zusammenfallen. Dennoch existiert diese binäre
gesellschaftliche Zuschreibung und um dessen Wirkung beschreiben zu
können, verwende ich dennoch die Begriffe Frau und Mann.

Frauen- und
Jugendunterdrückung sind ein strukturelles Problem in der
kapitalistischen Gesellschaft. Betrachten wir dazu einmal das Problem
mit der Hausarbeit, welche den Frauen in der bürgerlichen Familie
angehangen wird. Ein Mann, der weiß, wie man eine Waschmaschine
bedient oder in Elternzeit geht, ist auch in der heutigen BRD eher
noch ein Randphänomen als Standardpartner. Denn diese Unterdrückung
beschränkte sich keinesfalls auf vergangene Zeiten, wie die 50er und
60er, in denen es der Ehefrau nicht einmal erlaubt war, ohne die
Zustimmung des Ehemanns arbeiten zu gehen, geschweige denn ein
eigenes Konto zu besitzen. Sie ist trotz gewisser feministischer
Errungenschaften nach wie vor Teil dieser Gesellschaft, fußend auf
kapitalistischer Wirtschaftsweise und der sich daraus ergebenden
Ideologie. Frauen sind nunmehr durch Beruf und Hausarbeit doppelt
belastet, wobei ihnen oftmals selbst in aufgeklärten Haushalten nur
spärlich Arbeit abgenommen wird, indem z.B. der Gender Pay Gap dafür
sorgt, dass es finanziell mehr Sinn ergibt, dass die Frau den
Großteil der Hausarbeit übernimmt.

Sowohl die Monogamie als
auch die Norm der heterosexuellen Beziehung beruht auf derselben
Grundlage der Arbeitsteilung. Auch wenn (zumindest in der BRD)
„Zuwiderhandlungen“ nicht bestraft werden, läuft das bürgerliche
Gesetz auf die bürgerliche Kleinfamilie hinaus und begünstigt sie
deutlich über alternative Lebensformen, beispielsweise beim
Sorgerecht. Indem auch auf ideologischer Ebene die „klassischen
Familie“ als gesellschaftliche Norm festgelegt wird, werden
jegliche Abweichungen im besten Fall unsichtbar gemacht, im
schlimmsten Fall von Konservativen bis Rechten angegriffen.

Stellt sich nun also die
große Frage nach dem „Warum“? Wozu dient die Frauenunterdrückung
im Kapitalismus? Was ist ihr tieferer Sinn? Um zu klären, warum sich
ausgerechnet die Unterdrückung der Frau durch den Mann ergibt,
empfehle ich das Werk „Ursprung der Familie, des Staats und des
Privateigentums zu lesen“ von Friedrich Engels. In diesem Werk wird
der Ursprung von Sexismus genauer beleuchtet, wofür in diesem
Artikel kein Platz bleibt. Dafür möchte ich aber darauf eingehen,
wie der Kapitalismus und seine Ausbeutungsform der Lohnarbeit seinen
Nutzen aus Sexismus, zieht. Modellhaft ist das leicht erklärt: Der
Mann muss seine Arbeitskraft an die Kapitalist_Innen verkaufen und um
die Kraft dafür zu haben, sprich um sich reproduzieren (seine Kraft
wiederherstellen) zu können, braucht es die Frau, welche kostenlos
die Hausarbeit übernimmt und die Kinder umsorgt. Der Kapitalismus
braucht diese klare aufgabenbezogene Rollenverteilung, um einerseits
den Nachwuchs neuer Arbeitskräfte und andererseits die Reproduktion
und somit die Wiederverwertbarkeit der Arbeitskraft zu garantieren,
ohne dass dabei die Hausarbeit ebenfalls entlohnt wird, also ohne
selbst Profitverluste dadurch machen zu müssen. Diese
Rollenverteilung ist heutzutage keinesfalls gelöst, da sie sich
jeher ideologisch fortpflanzt und ihren Nutzen findet.

Jugendunterdrückung

Ebenso wird die Jugend in
dem bürgerlichen Familienbild stark benachteiligt. Finanzielle
Abhängigkeit von den Eltern und rechtliche Bevormundung sind hier
die Hauptproblempunkte. Als Jugendliche_r kann man sich meist bereits
eine Meinung bilden und eigene Ziele im Leben setzen, ist aber an die
Eltern gebunden. Wohnort, Kleidungsstil und generelle Lebensplanung
sind in vielen Fällen vom elterlichen Reichtum abhängig. Die dazu
kommende rechtliche Benachteiligung, wie das Verbot, Verträge unter
18 Jahren abschließen zu können, verschafft den Eltern gegenüber
ihren Kindern ein starkes Machtverhältnis, was nicht allzu selten in
Manipulation endet.

Dass Jugendlichen nicht
alle Rechte zustehen, weil sie noch nicht arbeiten, wird zwar oft als
Argument angeführt, ist aber etwas zu kurz gedacht: Einerseits
werden Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls diskriminiert und
nicht vollwertig für ihre Tätigkeiten bezahlt (es gilt in der
Ausbildung oder unter 18 kein Mindestlohn). Anderseits sollte die
eigene Persönlichkeitsentwicklung nicht von der eigenen Arbeitskraft
und dem finanziellen Stand abhängen. Aber genau dieses Bild einer
Gesellschaft, welches auf Leistungsdruck aufbaut, führt zu einer
Herabwürdigung derer, welche noch nicht in den Arbeitsprozess
eingebunden sind, als nutzlose und unselbständige. Vielmehr sollte
das Ideal der Solidarität und größtmöglichen Entfaltung aller
gelten!

Was ist der Sinn der
bürgerlichen Familie und was sind ihre Auswüchse?

Der Sinn ist also die
Reproduktion von Arbeitskraft und Erziehung von neuen Arbeitskräften
ins Private zu verlagern, damit das Kapital Kosten sparen kann.
Weiterhin werden Jugendliche und Kinder in so einem Familiensystem
schon früh zu Gehorsam und Unterordnung erzogen, was sie später
ihrer/m Kapitalist_In zeigen sollen. Außerdem dient die bürgerliche
Familie in der herrschenden Klasse immer noch dem, was die monogame
Familie seit ihrer Entstehung in jeder Klassengesellschaft leisten
sollte: der Vererbung von Privateigentum innerhalb genetischer
Abstammungslinien, also dem Erhalt der herrschenden Klasse als
Besitzende.

Somit schafft es die
bürgerliche Familie ein klares Rollenbild zu vermitteln und dem Mann
eine höhere Stellung zu verleihen, gemäß dem patriarchalen Aufbau
dieses Familiensystems. Alles zu dem Zweck, eine geordnete
Arbeitsteilung im Rahmen der Familie zu haben, damit der Fortbestand
des Systems und der kapitalistischen Ausbeutung auch durch die
Familie geschützt wird. Die Bevorteilung des Mannes, welche sich vor
allem finanziell stützt, setzt ihn als Familienoberhaupt ein, sodass
dieser tonangebend gegenüber Frau und Kindern wird. Nicht selten
mündet dieses strukturelle hervorgebrachte Privilegium auch in
häuslicher Gewalt, worunter Frauen und Jugendliche jahrelang leiden
und tiefe psychische Verletzungen davontragen können. Gerade durch
den Lockdown hat diese nochmal erheblich zugenommen, da die Familie
nunmehr den einzigen Rückzugsort ohne Einschränkungen darstellt.
Dabei stellt der Lockdown aber nicht die Hauptursache dar, sondern
verschärft, was im System bereits grundlegend vorzufinden ist.

Was können wir
dagegen tun?

Kurzum, die bürgerliche
Familie ist patriarchal, diskriminierend gegenüber Frauen,
Jugendliche und den LGBTIAQ*-Menschen; sie ist aber auch überwindbar.
Ein Lösungsansatz für die Enthebung des Patriarchats ist unter
anderem die Vergesellschaftung der Hausarbeit, sodass dieses Problem
der Reproduktion ein gesellschaftliches wird, welches nicht durch den
einzelnen Hausstand geregelt werden muss. Hierbei muss es mehr
Möglichkeiten im öffentlichen Raum geben, um anderen Menschen bei
ihren alltäglichen Arbeiten zu helfen, wie kostenlose Kitas, Mensen
und Wäschereien. Am Rande bemerkt ist dies sogar
ressourcensparender, da nicht jeder Haushalt für sich alleine zig
Geräte hat, die die meiste Zeit nicht genutzt werden. Ein weiterer
wichtiger Punkt ist es, Akzeptanz gegenüber alternativen
Beziehungsformen zu erreichen, sowie den Betroffenen von häuslicher
Gewalt mehr Schutz und Gehör zu verleihen. Außerdem sollten
gemeinschaftliche Selbstverteidigungskomitees gegen Gewalt und
Übergriffe gegen Frauen und LGBTIAQ* aufgebaut werden. Zur
Beendigung der finanziellen Abhängigkeit müssen wir einerseits
gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit durchzusetzen und
andererseits Jugendlichen mit einem garantierten Mindesteinkommen und
gute Alternativen zu ihrem Elternhaus ihre Freiheit und
Selbstbestimmung zurückgeben.

Die
bürgerliche Familie ist weder ewig noch alternativlos, sondern
entsteht aus der konkreten kapitalistischen Gesellschaft. Daher lässt
sich das Patriarchat sehr wohl lösen, indem der Kapitalismus
zusammen mit dem Privateigentum fällt und eine Vergesellschaftung
der Produktionsmittel uns den Weg in den Sozialismus ebnet, der
unsere Klasse, die Arbeiter_Innenklasse, von dem Joch der Ausbeutung
des Menschen durch den Menschen befreit. Nur durch die Aufhebung
wirtschaftlicher Ungleichheit lässt sich eine Gleichheit der
Menschen aus emanzipatorischer Sicht erreichen. Wenn wir die private
Kontrolle über die Produktion aufheben, und gemeinschaftlich als
Arbeiter_Innen bestimmen, was die Gesellschaft braucht und was
produziert werden muss, wird es auch möglich sein die Reproduktion
der Arbeitskraft aller gemeinschaftlich und frei von privater
Überbelastung zu organisieren (=Vergesellschaftung der Hausarbeit).
Dafür wird, auch die private Vererbung und die private Erziehung
aufgelöst, und zu einer Aufgabe der Gemeinschaft gemacht werden. So,
dass keine Frau, kein Jugendliche/r, keine LGBTIAQ* Person mehr
Unterdrückung erleiden muss. Lasst uns gemeinsam das Patriarchat
zerschlagen!




Was tun mit all den Tätern?

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen[1] ist Alltag in unserer Gesellschaft. Selbst nach offiziellen Studien, die viel Raum für Dunkelziffern lassen, haben 40% aller Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr physische oder sexuelle Gewalt und 42% haben psychische Gewalt erfahren. International ist die Tendenz steigend. Es ist außerdem anzunehmen, dass diese Studien eine sehr enge Definition dessen verwenden, was sie unter sexueller Gewalt verstehen, sodass viele Vorfälle und Taten nicht in solcherlei Statistiken einfließen. Naturgemäß sind diese Zahlen auch eher Schätzungen, da ein großer Teil der erfahrenen Gewalt nie öffentlich gemacht wird, denn häufig findet sie im engsten Umfeld der Betroffenen statt: im eigenen Zuhause oder in der Familie. Entgegen der allgemeinen Idealisierung des “trauten Heims” als Schutzraum, stellt es diesen häufig nicht für die Betroffenen dar, sondern vielmehr für die Täter, die ihre Verbrechen vor der Öffentlichkeit verbergen. Neben den körperlichen Folgen ist die Erfahrung von sexueller Gewalt für Betroffene nicht nur in der Gewaltsituation, sondern auch danach und oftmals ein Leben lang eine schwere emotionale Belastung. So führt der durch die Gewalterfahrung verursachte Kontrollverlust bei vielen Betroffenen zu Schuldgefühlen, Identitätsproblemen, Bindungsproblemen und Traumata. Es sollte also jeder_m klar sein, wie verbreitet und alltäglich Gewalt gegen Frauen ist in dieser Gesellschaft.

„Warnt nicht eure Töchter, erzieht eure
Söhne“, steht dazu an einer Elbbrücke in Dresden. Obwohl dieser Slogan das
Problem richtigerweise bei den männlichen Tätern lokalisiert, ist es mit der
“richtigen” Erziehung leider nicht getan. Die essentialistische Annahme Männer
seien gemäß ihrer genetischen Veranlagung aggressiver und gewalttätiger und
Frauen seien biologisch eher zurückhaltend und friedliebend irgnoriert die
entscheidende Rolle, die gesellschaftliche Verhältnisse bei der Entstehung und
auch bei der Veränderung von Geschlechterrollen spielen. Deshalb kann auch eine
gewaltfreiere Erziehung von Jungen das Problem nicht allein lösen. Seine
Wurzeln liegen im kapitalistischen Patriarchat, das die als gesellschaftlich
wertvoll betrachtete Produktionsarbeit von der als wertlos betrachteten
Reproduktionsarbeit (also Erziehung, Hausarbeit und Sorgearbeit) trennt. Frauen
werden dadurch in die Abhängigkeit von Männern gedrängt, haben schlechtere
Chancen auf dem Arbeitsmarkt und werden schlechter bezahlt. Daneben führt diese
materielle Basis der sexistischen Unterdrückung auch zu geschlechtsspezifischen
Bewusstseinsformen, die uns im Alltag häufig als Geschlechterstereotype
begegnen. Bei vielen Männern führt das beispielsweise zu dem Gedanken, dass es
Teil ihrer Männlichkeit sei, Dominanz auszuüben, sich “zu nehmen was einem
zusteht”, Frauen “erobern” zu wollen und infolgedessen auch zur Annahme ein
Recht zu besitzen, die eigenen Bedürfnisse im Zweifel auch durch den Einsatz
von Gewalt gegen Frauen durchsetzen zu dürfen.

Sexuelle Gewalt in der Linken: Keine
Einzelfälle!

Wie wir durch Outings von Tätern und einer
zunehmenden Öffentlichkeit um das Thema der sexuellen Gewalt beobachten können,
ist auch die Radikale Linke nicht frei davon. Weder von Sexismus allgemein,
noch von sexualisierter Gewalt. Immer wieder müssen wir von sexuellen
Übergriffen lesen und hören: egal ob auf Festivals, in Hausprojekten oder
linken Gruppen. Immer wieder kommt es zu Outings oder zum Ruf von Betroffenen.
Zahlen gibt’s zwar keine, aber klar sollte sein: Das sind keine Einzelfälle.

Aus gegebenem Anlass wollen wir mit diesem
Artikel eine grundlegende Debatte in der Linken anregen, wie wir als Linke,
Antisexist_innen und Kommunist_innen mit Taten und Tätern kollektiv und
emanzipatorisch umgehen können. Dabei ist uns zu erst einmal wichtig zu
betonen, dass es sich bei sexueller Gewalt nicht um individuelle unglückliche
Einzelfälle handelt, sondern um ein strukturelles Problem! Der Kapitalismus
selbst profitiert von der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung und der Unterdrückung
von Frauen und LGBTIAs. Dementsprechend werden oft grundlegende patriarchale
Strukturen nicht thematisiert und kommt es zu Fällen von sexueller Gewalt, wird
nicht über gesellschaftliche Strukturen, sondern über tragische Einzelfälle
gesprochen. Die Betroffenen als auch die Täter werden individualisiert. Dabei
reproduziert der Untersuchungs- und Rechtsprechungsprozess durch bürgerliche
Polizei und Justiz häufig die Ohnmachtserfahrung der Betroffenen. Statt
Selbstermächtigung und organisiertem Handeln aus dem Kollektiv heraus herrscht
Vereinzelung vor.

Wollen wir also der Machtblindheit und Vereinzelung der bürgerlichen Strukturen eine fortschrittliche Version entgegensetzen, müssen wir uns jedoch auch die Grenzen bewusst machen, welche die kapitalistisch-patriarchalen Strukturen unserem Vorhaben setzen. Denn wir sind alle innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft sozialisiert worden und erfahren das Patriarchat jeden Tag aufs Neue. Das bedeutet, dass wir geprägt sind und täglich neu geprägt werden von den klassischen Geschlechterrollen. Davon können wir uns nicht einfach frei machen, nur weil wir heute beschließen Antisexist_innen sein zu wollen. Auch die bürgerliche Sexualmoral ist, ob wir wollen oder nicht, tief in uns verankert. Nie haben wir gelernt, eine Sprache für unsere eigenen sexuellen Bedürfnisse und Grenzen zu finden. Doch der Zwang, der Druck und die Gewalt, die die gesellschaftlichen Verhältnisse auf uns ausüben, entlädt uns nicht von der Verantwortung die wir alle haben. Dennoch sollten wir uns klar machen, dass wir nie einen vollständigen und abschlossenen Safe Space schaffen können. Das klingt hart aber wer das nicht anerkennt schürt nur Illusionen in eine vermeintliche Sicherheit. Erschwerend kommt hinzu, dass wir keine abgekapselte linke Szenebubble sein wollen, sondern neue Leute von unseren Idealen begeistern und in unsere Strukturen integrieren wollen. Wenn wir uns die Statistiken vom Anfang des Artikels anschauen, bedeutet das jedoch auch, dass eine große Zahl von Männern in der Vergangenheit schon einmal Täter waren und wir als Organisation einen Umgang damit finden müssen. Da die Menschen im Kapitalismus nicht als Kommunist_innen geboren werden, sind wir ferner ständig damit konfrontiert, dass wir mit weniger antisexistischem Bewusstsein umgehen und daran arbeiten müssen. Wir müssen jedoch auch anerkennen, dass wir sexuelle Gewalt auch in unseren linken Strukturen nie vollständig zu 100 % verhindern werden können. Umso wichtiger ist es, sich mit Unterdrückung innerhalb der eigenen Organisationsstrukturen auseinanderzusetzen. Ob Rassismus, LGBTIA+-Diskriminierung oder auch sexuelle Gewalt. Darüber zu schweigen oder so tun als gäbe es das nicht, weil man ja schon so unfassbar befreit und fortschrittlich ist, hilft da Niemandem. Es braucht Präventionsarbeit zur Verhinderung von seuxeller Gewalt genauso wie einen adäquaten Umgang mit Vorfällen im Sinne der Betroffenen.

Was tun gegen sexuelle Gewalt in den eigenen
Strukturen?

Der absolute Schritt Nummer eins muss es sein,
die Schweigekultur die um das Thema sexuelle Gewalt herrscht zu durchbrechen.
Es gilt also ein Klima zu schaffen, in dem über sexuelle Grenzüberschreitungen
gesprochen wird. Ob von Betroffenen oder auch von gewaltausübenden Personen,
deren Verantwortung es ist, auch ohne Initiative der betroffenen Person die
Verantwortung für ihre Tat zu übernehmen. Es braucht Schutzstrukturen für
FLINT-Personen (sogenannte Caucusse), um in Abwesenheit von Männern über
Unterdrückungserfahrungen sprechen und auch spezifische Forderungen an die
Männer formulieren zu können. Gleichzeitig muss vermieden werden, dass wir
Frauen in der politischen Arbeit weniger präsent sind, da wir uns ja noch mit
unserer eigenen Unterdrückung beschäftigen müssen, während die Männer die
Revolution planen. Vielmehr ist es die Aufgabe von Männern als potentielle
Unterdrücker_innen sich mit der strukturellen Rolle, die ihnen der Kapitalismus
zuweist, auseinanderzusetzen und diese zu reflektieren. Paralellel zu
Caucus-Treffen müssen antisexistische Männertreffen stattfinden.

Gleichzeitig muss uns klar sein, dass man diese
Probleme nicht “weg-reflektieren” kann. Zwischen der Erkenntnis im Rahmen eines
Reflektionsprozesses und einer nachhaltigen Veränderung des Verhaltens liegt
häufig noch ein langer Weg. Reflektion ist dabei ein wichtiger Bestandteil
antisexistischer Praxis aber nicht die alleinige Lösung, um das Patriarchat zu
zerstören. Da wir in einer kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft leben,
bewegt sich unser Denken häufig auch in den Bahnen, die diese Gesellschaft
zulässt. Es ist auch für Antisexist_innen quasi unmöglich diese vollständig zu
verlassen, solange diese Gesellschaft uns tagtäglich etwas anderes vorlebt.
Deshalb heißt es genauso diese Gesellschaft anzugreifen und im Kampf dagegen eine
antisexistische Perspektive aufzuwerfen sowie Frauen gesondert zu fördern und
zu empowern.

Daneben ist es zentral, Präventionsarbeit zu
betreiben. Mit neuen Menschen, die an die Organisation herantreten, müssen
verpflichtende Diskussionen über sexuellen Konsens und das Ja-heißt-Ja-Prinzip
geführt werden. Dabei muss uns jedoch bewusst sein, dass bei den Leuten damit
erst einmal ein Prozess angestoßen wird, an dem aktiv weitergearbeitet werden
muss, den nur weil man drei mal über Konsens philosophiert hat bedeutet das
nicht automatisch, dass man offen über Grenzen und Bedürfnisse kommunizieren
kann.

Kommt es trotz aller Präventationsmaßnahmen zu
Fällen von sexuellen Übergriffen müssen wir jede Aussage und jedes Anzeichen
darüber sofort ernst nehmen. Die weit verbreitete Angst, dass Betroffene ja mit
Absicht eine Falschaussage machen könnten, um eigene Ziele zu erreichen, ist
nicht nur zutiefst chauvinistisch, sondern auch einfach unbegründet, da sich
wohl kaum eine Frau freiwillig der mit einem solchen Prozess verbundenen
emotionalen Belastung aussetzen würde.

In vielen Fällen ist die Sachlage sofort klar
und das Geschehene eindeutig. In anderen Fällen gibt es widersprüchliche
Aussagen und es braucht Strukturen, die bei der Aufarbeitung helfen. In jedem
Fall gilt es sofort eine Kommission zu gründen, die sich mit dem Fall
beschäftigt. Bei der personellen Zusammensetzung der Kommission gilt es zu
beachten, dass diese im Sinne der Betroffenen zusammengesetzt ist und
mehrheitlich aus sexuellen unterdrückten Menschen besteht. Ebenso ist diese (im
Gegensatz zu den bürgerlichen Justiz-Strukturen) auch wieder abwähl- und
ersetzbar. Die Aufgabe der Kommission ist es, den Fall aufzuarbeiten, der
Betroffenen (insofern sie dies möchte) emotionale Unterstützung und auch ein_e
Sprecher_in bereitzustellen, sowie konkrete Handlungsempfehlungen zu machen,
wie mit dem Täter umgegangen werden soll. Diese müssen von der Organisation
dann demokratisch abgestimmt werden.

Was macht man mit einem Täter?

Wichtig ist es erst einmal zu betonen, dass es
in dem Prozess vor allem um die Betroffene gehen und nicht um den Täter. Ziel
des Prozesses muss es also sein, der betroffenen Person Handlungsfähigkeit
zurückzugeben und einen Wiedereinstieg in die politische Arbeit zu ermöglichen,
sowie potentiell weitere Betroffene vor dem Täter zu schützen. Dennoch stellt
sich natürlich trotzdem die Frage: Was macht man den nun mit einem Täter?

Auf diese Frage gibt es leider keine allgemeingültige Antwort, denn das Ausüben von sexueller Gewalt kann unterschiedlich schwerwiegend sein. So spielt es eine Rolle, ob Zwang und Gewalt aktiv ausgeübt wurden, ob ein willentlicher Machtmissbrauch stattgefunden hat und auch wie lang die Person schon organisiert ist und es besser wissen müsste. Am leichtesten wäre es doch in jedem Fall, den Täter einfach auszuschließen, ihn aus allen Räumen und Kontexten rauszuschmeißen. Problem beseitigt – müssen wir uns nicht mehr mit beschäftigen. Aber was passiert dann mit ihm? Klopft er irgendwo anders an, um weitere Taten begehen zu können? Wie können wir kollektiv Verantwortung übernehmen und die Chance verringern, dass sich sexuelle Gewalt wiederholt? Die Antwort kann nicht darin liegen, sich dem Problem der Täter so einfach zu entledigen. Für linke Kleinsgruppen und Sekten ist das vielleicht eine Perspektive, nicht aber für Organisationen die den Anspruch haben eine gesamtgesellschaftliche Perspektive aufzuwerfen. Als Gesamtgesellschaft kann man den Täter nicht mehr einfach rausschmeißen. Wenn wir also lebenslange Isolationshaft, Todesstrafen oder Selbstjustiz ablehnen, müssen wir uns Gedanken darüber machen, was wir als Alternative dazu vorschlagen.

Der Staat regelt?

Wohl eher nicht. Der ist nämlich selbst eine
Struktur, die der Aufrechterhaltung der bürgerlichen Klassenherrschaft und
damit auch des Patriarchats dient. Und als solche ist er Teil des Problems,
Stütze des Systems, das diese gewaltvollen Umstände hervorbringt und von ihnen
profitiert, niemals Teil der Lösung. Das sehen wir schon allein daran, was das
bürgerliche Gesetzgebuch überhaupt als sexuelle Gewalt definiert und was nicht.
Eine Vielzahl von Taten wird also von den bürgerlichen Gerichten einfach
abgeschmettert, die Betroffenen damit allein gelassen und vermutlich auch
retraumatisiert, da die von ihnen erfahrene Gewalt nicht anerkannt wird. Noch
dazu stehen sie vor dem bürgerlichen Gericht selber in der Beweislast, sich für
ihre “Anschuldigungen” gegenüber dem Täter rechtfertigen zu müssen.

Das Gerechtigkeitsverständnis des bürgerlichen
Staates beruht vor allem auf dem Konzept von „Wiedergutmachung durch
Strafe“. Doch durch Isolation im Knast wird wohl keine tiefgreifende
Besserung im Bewusstsein des Täters einsetzen. Immerhin hat der Staat noch
einen kleinen Anspruch von Resozialisierung der Täter, seine Methoden dazu
erweisen sich aber erstens als unwirksam und zweitens sollen die Täter ja
überhaupt nur wieder zurück in dieselbe Gesellschaft resozialisiert werden, in
der sie erst zu Tätern geworden sind.

Im Übrigen bedeutet unsere Ablehung des Staates
nicht, dass wir nicht Betroffene dabei unterstützen eine Anzeige zu stellen.
Dies hängt damit zusammen, dass wir uns prinzipiell bei der Abwägung zwischen
Bedürfnissen der Betroffenen und Entwicklung des Täters immer für die
Betroffene entscheiden sollten und auch damit, dass wir in frühen Aufbaustadien
wie jetzt manchmal nicht die notwendige Kraft haben, um ohne den Staat alle
Maßnahmen gegen jeden Täter durchzusetzen. Sollte es die Betroffene so wollen,
kann es auch ein sinnvolles Mittel sein, eine politische Kampagne darum
aufzubauen, um genau diese Defizite der bürgerlichen Justiz im Umgang mit
sexueller Gewalt öffentlich zu entlarven und Protest zu organisieren. Dabei
gilt es aufzuzeigen, was unsere gesamtgesellschaftliche Perspektive wäre:
Nämlich Reform des Sexualstrafrechts innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft,
sinnvolle Resozialisierungsmaßnahmen, Veränderung des Gerichtssystems (statt
Trennung Exekutive/Judikative abwählbare und demokratisch kontrollierte
Arbeiter_innentribunale).

Täter klatschen?

Ist emotional sicherlich eine sehr verständliche
Reaktion. Auch würden wir es einer Betroffenen nie verwehren, sich durch ein
paar Schellen ein wenig Handlungsfähigkeit zurückzuholen, falls sie das Gefühl
hat, dass es sie weiterbringt. Als politisches Programm fällt eine Logik von Blutrache
jedoch selbst hinter die bürgerliche Justiz zurück ins Mittelalter. Selbst im
Kapitalismus wird Straftätern ein Anspruch auf Resozialisierung zugestanden und
dass sie sich nach dem Verbüßen einer Strafe ändern können.

Es scheint nahezuliegen, dass gewaltvolle Rache
gegenüber dem Täter ein Versuch ist, Gerechtigkeit zu schaffen. Allerdings muss
auch hier wieder gesagt werden: Dies ist keine gesamtgesellschaftliche
Perspektive, die wir der Arbeiter_innenbewegung als Mittel im Kampf gegen
soziale Unterdrückung vorschlagen. Vielmehr täuscht es nur vor, super radikal
zu sein. Durch die unmittelbare Aktion aus diesen Taten, scheint es so, als ob
man dem gesamtgesellschaftlichen Problem eine greifbare Antwort bietet und sich
klar gegen sexuelle Gewalt positioniert. Allerdings verkennt es gleichzeitig
den strukturellen Charakter dieser Gewalt und drückt sich um die Verantwortung,
die Frage zu stellen, wie die Leute zu einem Wandel in ihrem Bewusstsein
kommen. Denn wenn wir nicht daran glauben, dass sich Leute verändern können,
warum sind wir überhaupt in linken Strukturen organisiert?

Die Gesellschaft, in der wir leben, kann nicht moralisch in gut und böse eingeteilt werden. Das Gute und das Böse sind ideologische Kategorien, die nicht für immer wahr und feststehend sind, sondern Produkte der historischen Entwicklung. Dementsprechend sind auch Menschen nicht genetisch-festgelegt böse und selbst das Ausüben von Gewalt muss nicht zwangsläufig zur unveränderlichen Identität eines Menschen gehören. Genauso wie wir Betroffene sexueller Gewalt nicht individualisieren dürfen, da das Problem strukturelle Ursachen hat, ist auch die sexuelle Gewalt von Männern kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem. Obwohl ein Täter in der konkreten Situation natürlich die Wahl hat, sich gegen seine Tat zu entscheiden, beruht sein ganzes Verhalten und Denken im Kern auf dem, was eine patriarchale Gesellschaft vorlebt, vordenkt und vormacht. Sexuelle Gewalt ist also kein Problem, das von bösen Einzeltätern ausgeht. Dementsprechend bietet es keine Perspektive, falsches Bewusstsein mit Schlägen zu korrigieren. So sollte ja auch keine Gesellschaft aussehen, die wir erkämpfen wollen. Aber was dann?

Transformative Justice als ein Ansatz, den es
weiterzuentwickelt gilt

Das erste Ziel ist auf jeden Fall einigermaßen sicherzustellen, dass keine unmittelbare Gefahr für unsere Genossinnen von dem Täter ausgeht. Der erste Gedanke sollte also stets den Betroffenen und ihrer unmittelbaren Sicherheit gelten. Der zweite Gedanke gilt der Ermöglichung des Wiedereinstieges in die politische Arbeit für die Betroffene. Erst dann, aber dann auch wirklich, sollten wir uns dem Umgang mit dem Täter widmen. Im Prozess muss dabei der Täter zunächst eingestehen und glaubhaft anerkennen, welchen Schaden er verursacht hat und was das für die Betroffene bedeutet. Im Weiteren muss er eine tiefgehende Auseinandersetzung führen mit Fragen wie: Was hat dazu geführt, dass ich Grenzen überschritten habe? Warum habe ich Signale der Betroffenen nicht gesehen oder ignoriert? Welche Abhängigkeiten bestanden zwischen der Betroffenen und mir? Inwiefern habe ich zur Schaffung dieser Abhängigkeiten beigetragen oder habe mich ihrem Abbau gegenüber passiv verhalten? Ich wusste doch was ich für Schaden und Verletzungen anrichten könnte, ich kannte doch Wege und Strategien gegen dieses schädliche und verletzende Verhalten, warum habe ich mich dennoch selbst zum Täter gemacht? Wie kann ich verhindern, dass ich dieses Verhalten in der Zukunft wiederhole? Wie kann ich mein Leben fortführen mit dem Wissen, dass ich eine Tat begangen habe, die nicht wieder gut zumachen ist, wie kann ich mich unter anderen Menschen bewegen ohne die Tat zu verleugnen?

Dabei ist wichtig anzuerkennen, dass zwar der
Täter die volle Verantwortung für seine Tat trägt, dass die Verantwortung aber
auch immer irgendwo von seinem direkten Umfeld
(„Community“/“Szene“/“Gruppe“) mitgetragen wird.
In welcher Umgebung konnten die subtilen Anzeichen von z.B. male supremacy, die
die Tat schon im Vorhinein angekündigt haben, nicht gesehen oder ignoriert
werden? In welcher Umgebung wurden selbst Signale gegeben, dass so gewaltvolles
Verhalten akzeptabel sein könnte,  oder
dass es „nicht schlimm genug“ sei, um zu intervenieren?

Aber wie ein einzelner Täter nicht isoliert von seinem direkten Umfeld betrachtet werden kann, so kann auch eine einzelne Community nicht isoliert von der gesamten kapitalistischen Gesellschaft betrachtet werden. Diesen Schritt geht der transformative-justice-Ansatz häufig leider nicht. Ohne die Überwindung dieses Systems werden wir jedoch niemals die Voraussetzungen und Bedingungen, in denen gewaltvolles Verhalten entsteht, beseitigen können. Gleichzeitig ist jeder Transformationsprozess mit einem Täter extrem energie- und ressourcenaufwendig für das Umfeld, daher im Rahmen einer kleinen Organisation in seiner Vollständigkeit unmöglich umsetzbar. Dennoch bleibt es unserer Meinung nach als einzige Möglichkeit für einen Ansatz zum Umgang mit Tätern, wie er in revolutionäre Politik eingebettet sein kann.


[1]Da für die folgenden Fragen vor sozialisierte gender roles wichtig
sind, wichtiger als z.B. gender identity oder biological sex, wollen wir im
Folgenden die Vokabeln “Frauen” und “Männer” im Sinne von “als weiblich” und
“männlich sozialisierte Personen” benutzen.




Mord an Sarah Everard – fight sexism, abolish police & capitalism

Worum
geht’s?

Am
Abend des 3. März wurde die 33-jährige Sarah Everard auf ihrem
Heimweg im Londoner Clapham entführt und ermordet. Ihre Leiche wurde
eine Woche später in einem Wald in Kent gefunden. Einige Tage nach
dem Mord wurde der mutmaßliche Mörder, Wayne Couzens, festgenommen
und Ermittlungen wegen dringenden Tatverdachts eingeleitet. Wayne
Couzens ist Metropolitan Police-Officer. Er hatte vor dem Angriff auf
Sarah bereits mehrfach Frauen sexuell belästigt und sich z.B. in der
Öffentlichkeit vor ihnen entblößt. Anzeigen, die von den Frauen
gegen ihn erstattet wurden, liefen ins Leere. Couzens blieb
ungestraft und arbeitete weiter im polizeilichen Dienst. Mittlerweile
befindet sich der Mann in Untersuchungshaft und ein Gerichtsverfahren
gegen ihn wird vorbereitet.

Niederschlagung
der Proteste

Kurz
nach dem Fund von Sarahs Leiche und der Ermittlung des
Tatverdächtigen riefen Aktivst_Innen zu einer friedlichen Mahnwache
im Londoner Stadtteil Clapham auf. Die Polizei hatte diese im
Vorhinein untersagt, wobei sie die Corona-Regeln zum Infektionsschutz
als Begründung anbrachte. Dass die Organisator_Innen von vornherein
geschulte Ordner_Innen zur Durchsetzung der Hygienemaßnahmen stellen
wollten, wurde nicht akzeptiert. Die Anwält_Innen der
Organisator_Innen appellierten an das Gericht, das polizeiliche
Verbot zu kippen. Dieses lehnte ab, entschied aber, dass die Polizei
zwar das Recht habe, die Demonstration zu verbieten, dies aber nicht
das Recht auf Demonstration nach dem Menschenrechtsgesetz aushebeln
würde.

Trotz
des Verbotes versammelten sich am 13. März tausende mehrheitlich
weibliche Teilnehmer_Innen. Die örtliche Polizei kam hinzu, mit dem
Ziel, die Versammlung aufzulösen- weiterhin mit der Begründung,
dass aufgrund der aktuellen Coronalage eine zu große
Infektionsgefahr von der Versammlung ausgehe, obwohl die Anwesenden
Masken trugen und auf Abstände achteten. Die Beamt_Innen gingen
dabei mit voller Härte vor. Teilnehmer_Innen der Mahnwache wurden zu
Boden gedrückt, geschlagen und abgeführt. Viele Videos und Bilder
kursierten danach im Internet und bezeugten die Gewalt, die die
Polizei gegen die mehrheitlich weiblichen Teilnehmer_Innen ausübte.

Entstehung
einer neuen Bewegung?

Die Nachricht von Sarahs Ermordung führte zu einer neuen #MeToo-ähnlichen Bewegung auf der ganzen Welt, mit Hunderttausenden von Frauen, die sich in den sozialen Medien über ihre eigenen Erfahrungen äußerten, sich unsicher zu fühlen, wenn sie nachts nach Hause gehen und von Übergriffen durch Männer berichteten. Viele solidarisierten sich auch mit den Protestierenden an der Mahnwache in Clapham und das Verhalten der Polizei rückte in den Fokus harscher Kritik. So goss der Vorfall auch Öl ins Feuer bezüglich eines neuen britischen Polizei-, Strafverfolgungs- und Gerichtsgesetzes, welches sich parallel zu den Geschehnissen Anfang März im Prozess der Verabschiedung befand.

Angriff
auf demokratische Rechte

Das
von der rechts-konservativen Tory-Regierung eingebrachte „Gesetz
über Polizei, Kriminalität, Verurteilung und Gericht“ sieht
strengere Strafen für schwere Verbrechen vor, beendet die Politik
der vorzeitigen Freilassung von Straftätern und verhindert unter
anderem unbefugte Camp-Lager wie z.B. Protest-Camps. Es sieht aber
auch eine Ausweitung der Befugnisse der Polizei vor, wenn es um die
Durchführung und Einschränkung von Protesten geht.

Der
Gesetzentwurf erlaubt es der Polizei, Veranstaltungen und
Demonstrationen zu verbieten, die nach ihrem Urteil „absichtlich
oder rücksichtslos ein öffentliches Ärgernis“ verursachen
oder „ernsthafte Belästigung [oder] ernsthafte Unannehmlichkeiten
für die Öffentlichkeit oder einen Teil der Öffentlichkeit“
darstellen. Auch sollen die Strafen für Verstöße gegen
polizeiliche Auflagen bei Demonstrationen erhöht werden. Eine
Verurteilung wegen Widerstands gegen die Polizei in solchen
Angelegenheiten kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 10 Jahren
geahndet werden.

Außerdem
gibt es Abschnitte, die sich mit „Ein-Personen-Protesten“
befassen, wobei es auch hier dem Ermessen der Polizei überlassen
wird, ob diese Proteste „ernsthaftes Unbehagen“ bei anderen
hervorrufen könnten.

Die
Vorschläge beinhalten außerdem Maßnahmen, um Proteste vor dem
Parlament zu verhindern.

Das
neue Gesetz würde der Polizei also viele umfassende Befugnisse
bieten. Dabei wird viel ihrem eigenen Ermessen überlassen und es
ihnen ermöglichen, Proteste zu kriminalisieren, die sie als
„öffentliches Ärgernis“ betrachten.

Die
Polizei könnte beispielsweise Zeit- und Lärmgrenzwerte für
Kundgebungen festlegen. Demonstrant_Innen, die sich nicht an
Beschränkungen halten, über die sie „Bescheid wissen sollten“,
selbst wenn sie keinen direkten Befehl von einem Beamten erhalten
haben, wären strafbar.

Neben
diesen grotesken Polizeireformen kündigte die Regierung eine Reihe
neuer Maßnahmen an, die angeblich dem „Schutz der Frauen“
dienen sollen. Die extremste dieser Maßnahmen ist, dass ausgerechnet
Polizeibeamte in Zivil in Nachtclubs und Bars eingesetzt werden
sollen. Mit der kombinierten Wut gegen den Everard-Mord sowie die
Polizeigesetze und die weitere Überwachung der Öffentlichkeit durch
die Polizei,
verdichteten sich die Anti-Polizeiproteste zu einer greifbaren
Bewegung, mehr als je zuvor in den letzten Monaten.

Dieses
Gesetz wurde zwar mittlerweile aufgrund der anhaltenden Proteste
ausgesetzt, jedoch ist absehbar, dass die Regierung spätestens im
Falle eines Abflauens der Bewegung dieses wieder aus der Schublade
hervorholen wird.

Dieser
Gesetzesentwurf ist eine direkte Reaktion auf das Protestgeschehen
der vergangenen zwei Jahre. Protest-Camps, Massenblockaden von
Straßen, Brücken oder von Eingängen waren Aktionsformen zivilen
Ungehorsams, die wir in den vergangenen Jahren vermehrt z.B. im Zuge
von Extinction Rebellion und der Umweltbewegung sehen konnten und
genau die Art von „öffentlicher Störung und Unruhe“, die
dieses Gesetz umschließen soll. Die Gesetzesvorlage ermöglicht es
auch, dass diejenigen, die Denkmäler beschädigen, zu bis zu 10
Jahren Gefängnis verurteilt werden. Diese Bestimmung kommt, nachdem
eine Statue zum Gedenken an einen Sklavenhändler, Edward Colston,
letztes Jahr während einer Demonstration der Black Lives
Matter-Bewegung in Bristol gestürzt wurde.

Wenn
es dem Ermessen der Polizei überlassen wird, das Recht auf Protest
zu erteilen oder zu entziehen, ist das ein grundsätzlicher Angriff
auf dieses demokratische Recht an sich und verunmöglicht es uns,
unsere Forderungen und Kämpfe auf die Straße zu tragen. Um zu
verstehen, wieso, muss man sich die Rolle der Polizei genauer
anschauen.

Wem dient die Polizei?

Ein zentraler Aspekt der Polizei ist es, die gesellschaftlichen Verhältnisse, so wie sie sind, aufrecht zu erhalten. Das beinhaltet auch die Besitzverhältnisse, sowie den bürgerlichen Staat und den Kapitalismus. Bewegungen, die in ihrem Kern gesellschaftliche Verhältnisse anzweifeln und überwinden wollen, sind eine Bedrohung für diese Verhältnisse und müssen aus Sicht des Staates unschädlich gemacht werden. Die Polizei ist Handlanger_In eines Systems, welches Menschen unterdrückt, welches Sexismus, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und viele weitere Formen der Diskriminierung und Unterdrückung hervorbringt und reproduziert. Wenn es im Ermessen des bewaffneten Armes des bürgerlichen Staates liegt, was Recht und was Unrecht ist, welcher Protest stattfinden kann, welcher nicht, dann wird diese Entscheidung immer im Interesse der herrschenden Verhältnisse, des Staates und der Regierung ausgehen. Das bedeutet in der Praxis, wie auch der Angriff auf die Mahnwache in Clapham zeigte, dass selbst friedlicher Protest mit fadenscheinigen Begründungen zerschlagen werden kann, wenn er nicht erwünscht ist. Die Möglichkeit, dass wir uns gegen Missstände organisieren, zusammenfinden und dafür eine Öffentlichkeit schaffen auf der Straße, wird mit dem neuen Gesetz an die Billigung der Polizei gekoppelt. Solche Proteste sind aber ein zentrales Mittel, gegen diese Missstände anzukämpfen und das unbedingte Recht darauf muss verteidigt werden.

Zur
Lage in Deutschland

Der
Mord an Sarah Everard, die daraus entstandene Bewegung, die Angriffe
der Polizei auf Demonstrationen, die Verschärfung der Polizeigesetze
– all dies passiert oder passierte bereits in verschiedensten
Ländern auf der Welt. Die dagegen aufbegehrenden Bewegungen gehören
unweigerlich zusammen, sie müssen sich solidarisieren, sie müssen
sich unterstützen und gemeinsam organisieren.

In
Deutschland wurde in den letzten Jahren nach und nach in den
einzelnen Bundesländern eine Novellierung der Polizeigesetze
beschlossen, welche die Mittel und Befugnisse der Polizei ausgeweitet
haben. Landesweite Massenproteste konnten hier die Gesetzesänderungen
jedoch nicht verhindern, weil diese vereinzelt und atomisiert waren,
es nicht zum Aufbau einer schlagkräftigen, bundesweiten Bewegung kam
(obwohl unter Anderem in Bayern und NRW auch Massenproteste mit
Zehntausenden stattfanden) und auf systemkonforme Demonstrationen
beschränkt blieben. Aktuell wird im Bundestag über einen
bundesweiten Gesetzesentwurf für ein neues Polizeigesetz debattiert,
welches unter anderem auch die Einführung des Staatstrojaners
(staatliche Spionagesoftware) bundesweit vorsieht. Es ist
wahrscheinlich, dass dieses Gesetz noch vor den Bundestagswahlen im
September durch den Bundestag gewunken wird.

Es
ist kein Zufall, dass die Erweiterung der Polizeibefugnisse, der
Ausbau der Überwachung und Angriffe auf unsere demokratischen Rechte
ausgerechnet jetzt während der Pandemie stattfinden. Wir befinden
uns mitten in der tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Alle
Staaten sahen sich im Zuge der Lockdowns gezwungen, riesige Rettungs-
und Konjunkturpakete für die Wirtschaft umzusetzen und Milliarden an
Schulden aufzunehmen. Die Kosten der Krise müssen wir Arbeiter_Innen
und Jugendlichen dann zahlen, weshalb die Herrschenden die
pandemische Lage für Angriffe auf unsere demokratischen Rechte und
für den Ausbau der Polizei nutzen, um zukünftige Proteste und
Bewegungen effektiver niederschlagen zu können.

Hier
lässt sich im Übrigen noch ein Aspekt aus der Coronapandemie mit
einbringen, der auch am Anfang schon genannt wurde: Auch im Zuge des
Infektionsschutzes wurden Kundgebungen und Demonstrationen untersagt,
eingeschränkt und angegriffen, auch hier in Deutschland. Man mag
sich über das Verbot von Querdenken-Demos freuen, aber wenn man die
Sache zu Ende denkt, dann kann das Verbot natürlich auch gegen
linken und progressiven Protest verwendet werden, wie wir es bspw.
bereits in Hanau und Berlin gesehen haben. Trotz oder gerade wegen
der Pandemielage ist es zentral, die Möglichkeit zur Äußerung von
Protest auf der Straße und Versammlungen unter entsprechen
Hygienemaßnahmen aufrecht zu erhalten. Wenn die Regierung wie in
England die “Gunst der Stunde” nutzen will, um ihr Gesetz
durchzubringen und gleichzeitig Protest dagegen unter dem Vorwand des
Infektionsschutzes kriminalisiert, dann müssen wir infrage stellen,
wer eigentlich über die Maßnahmen entscheidet und diese durchsetzt.

Wie
kann die Bewegung erfolgreich sein?

Die
Geschehnisse in Großbritannien zeigen auf, dass verschiedene Formen
der Unterdrückung und der Repression miteinander in Verbindung
stehen. Sie zeigen konkret, dass wir den
Kampf gegen Sexismus und den Kampf gegen Angriffe auf demokratische
Rechte nicht getrennt voneinander betrachten, sondern diese
zusammenführen und mit dem Kampf gegen die gemeinsame Ursache dieser
Probleme verknüpfen
müssen: Den Kapitalismus.

Bei ihrem Kampf brauchen die Unterdrückten dringend Solidarität – nicht nur in London oder dem UK, sondern auch hier und überall auf der Welt – denn die Unterdrückung der Frau, wie auch der Ausbau des Polizeiapparates, ist kein spezifisch britisches, sondern ein globales Problem, das auch global und international bekämpft werden muss!

Die
Idee und Forderung flächendeckender
Streiks
muss jetzt in der Klasse verbreitet werden,
damit die Bewegung auch ökonomischen Druck erzeugen kann, um ihre
Forderungen durchzusetzen.
Zur Organisierung einer internationalen Bewegung braucht es
Aktionskomitees in allen Wohnvierteln, die auf Massenversammlungen
gewählt
werden, diesen
verantwortlich und von ihnen wieder abwählbar sind. Dasselbe braucht
es auch auf Ebene
der Betriebe, Unis und Schulen,
insbesondere zur Vorbereitung und Durchführung von Streiks.

Da
wir uns auf den Staat und die Polizei nicht verlassen dürfen,
braucht es Selbstverteidigungsstrukturen der Arbeiter_Innenklasse,
die von der Bewegung und ihren Strukturen kontrolliert werden. Den
organisierten Selbstschutz braucht es nicht zuletzt auch, um wenn
nötig die tatsächliche Niederschlagung der Bewegung durch den Staat
zu verhindern.




Corona, Krise und doppelte Belastung der Frauen

Jaqueline Katherina Singh, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung
Nr. 9

Seit mehr als einem Jahr stellt die Pandemie unser Leben auf den
Kopf. Rund 110 Millionen Menschen sind (Stand: Mitte Februar 2021)
offiziell am Corona-Virus erkrankt, beinahe 2,5 Millionen sind
verstorben. Ausgangsbeschränkungen, Atemschutzmasken,
Arbeitslosigkeit – die Liste mit Dingen, die nun zu unserem Alltag
gehören, ist lang. Angst um Freund_Innen, Familie, die eigene
Existenz. Gerade Letzteres stellt sich für viele Arbeitende.

Denn das Corona-Virus hat eine Wirtschaftskrise, die sich bereits
vorher abzeichnete, ausgelöst und massiv verschärft. Unter anderem,
da – anders als bei der Finanzkrise 2007/08 – fast alle Länder
gleichzeitig erfasst wurden. Der Internationale Währungsfonds (IWF)
geht in einem Bericht davon aus, dass die Pandemie alle Fortschritte
in der Bekämpfung der globalen Armut seit den 1990er Jahren
zunichtegemacht hat. Die soziale Ungleichheit hat sich 2020 drastisch
weiter verstärkt. Das bedeutet, dass jene, die schon vorher am
Existenzminimum gelebt haben, noch weniger besitzen sowie kleinere
Verbesserungen, die in den letzten Jahren errungen werden konnten,
verschwinden.

Die Krise heißt Kapitalismus

Als Ergebnis der Finanzkrise 2007/08 konnten wir in den letzten
Jahren eine stetige Zuspitzung von imperialistischen Konflikten
wahrnehmen – ob durch Interventionen in der Ukraine, Syrien, die
stetigen Drohungen gegen den Iran oder den Handelskrieg zwischen den
USA und China. Gerade Letzterer stellt eine direktere Konfrontation
zwischen zwei imperialistischen Mächten dar, bei der es nicht nur um
ein bloßes Kräftemessen geht. Vielmehr ist es die Zuspitzung der
Frage, welche Kraft den Weltmarkt in ihrem Interesse neu gestaltet –
die niedergehende, über Jahrzehnte vorherrschenden USA oder China
als neue, aufstrebende Macht. Die jetzige Krise wird die
Verteilungskrise und den existierenden Machtkampf massiv verstärken.
Die Frage der Verfügbarkeit medizinischer Versorgung, insbesondere
des Impfstoffes, ist in mehrfacher Weise mit dem Kampf um die
Neuaufteilung der Welt verbunden.

Zum Ersten sichern sich alle imperialistischen Mächte einen
privilegierten Zugang zu den Impfstoffen und räumen den Markt
faktisch leer. Hinzu kommt, dass die großen Konzerne, die fast
ausschließlich in den kapitalistischen Zentren angesiedelt sind, für
Jahre enorme Monopolprofite wittern, auf Patentrechten und damit dem
Ausschluss von Milliarden Menschen vom bezahlbaren Zugang zu den
Impfstoffen beharren. Während die Bevölkerung der imperialistischen
Staaten bis Ende 2021 geimpft werden kann, sollen in vielen Ländern
Afrikas, Lateinamerikas und Asiens selbst „optimistischen“
Vorhersagen zufolge nur 20 % diesen Schutz erhalten.

Die dramatisch wachsende globale Verschuldung verschärft die
Ungleichheit noch weiter. Während die USA, China oder auch die EU
mit Milliardenausgaben die unmittelbaren Wirkungen der Krise
kurzfristig mildern und Konjunkturprogramme auf den Weg bringen
können, ist dieser Weg den meisten Ländern des globalen Südens
verschlossen. Sie können allenfalls auf eine kurzfristige Aussetzung
des Schuldendienstes für über den IWF oder andere Institutionen
vermittelte Kredite hoffen. Diese Last wird sie noch mehr von den
Zentren der Weltwirtschaft und des Finanzkapitals abhängig machen –
mit extremen Folgen für Milliarden Lohnabhängige, Bauern und
Bäuerinnen.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass selbst wenn die
imperialistischen Zentren durch Impfungen wieder versuchen, zum
Regelbetrieb zurückzukehren, die Lage sich nicht von alleine
entspannen wird. Während die nationalen Regierungen für größere
Konzerne Rettungspakete schnüren, wird versucht werden, die
entstandenen Kost auf die Arbeiter_Innenklasse abzuwälzen:
Massenentlassungen, Einsparungen im sozialen Bereich neben der
stetigen Gefahr von Mutationen des Virus, die gegen den Impfstoff
resistent sind. Es stellt sich also die Frage: Wer zahlt für die
Kosten der Krise und die Folgen der Pandemie? Und während der
Machtkampf unter den Kapitalfraktionen noch läuft, ist zugleich
klar, dass sie alle versuchen werden, die Kosten auf die
Arbeiter_Innenklasse abzuwälzen. Im Folgenden wollen wir einen
Überblick darüber geben, wie die Belastung für Frauen aus der
ArbeiterInnenklasse seit Ausbruch der Pandemie zugenommen hat,
welchen Problemen sie sich verschärft gegenübersehen, um dann auf
die Ursachen der Unterdrückung und die Frage des Kampfes dagegen
einzugehen. Schließlich stellen sie einen maßgeblichen Teil der
Arbeiter_Innenklasse dar und haben aufgrund ihrer sozialen
Unterdrückung mit spezifischen Angriffen zu kämpfen.

Frauen sind in vielen der am stärksten von Covid-19 betroffenen
Branchen überrepräsentiert, z. B. in der Gastronomie, im
Einzelhandel und in der Unterhaltungsbranche. So arbeiten 40 Prozent
aller erwerbstätigen Frauen – 510 Millionen weltweit – in den am
stärksten betroffenen Branchen, verglichen mit 36,6 Prozent der
erwerbstätigen Männer. International stellen Frauen 70 % des
Personals in sozialen und Pflegeberufen.

Kurzarbeit und Entlassungen

Auch die ersten großen Entlassungswellen betrafen vor allem
Sektoren, in denen Frauen überrepräsentiert sind wie Einzelhandel,
Gastgewerbe und Tourismus. Eine statistische Erhebung aus den USA
zeigt, dass Frauen in verschiedenen Branchen stärker vom
Arbeitsplatzverlust betroffen sind als Männer. Im Freizeit- und
Gastgewerbe waren vor der Pandemie 52 % der Beschäftigten
Frauen, aber 54 % der Entlassenen sind weiblich. Im Bildungs-
und Gesundheitswesen stellten Frauen 77 % der Arbeitskräfte,
aber 83 % der Entlassenen; im Einzelhandel 48 % der
Beschäftigten, 61 % der Arbeitsplatzverluste; in den Kommunal-
und Landesverwaltungen schließlich 58 % der Belegschaften, aber
63 % der Freigesetzten.

Laut Zahlen der ILO verdienten 2018 61 % der globalen
Erwerbsbevölkerung (2 Milliarden Menschen) ihren Lebensunterhalt in
der informellen Wirtschaft, davon sind rund 50 % Frauen. Für
diese Menschen bedeutet das, dass sie über keinen einklagbaren
Arbeitsvertrag, keine Arbeitslosenversicherung oder damit
vergleichbare Absicherung verfügen.

Frauen stellen zwar die Hälfte der Menschen im informellen
Sektor, sie sind aber vor allem im globalen Süden überrepräsentiert.
So arbeiten in Südasien über 80 % aller Frauen außerhalb der
Landwirtschaft im informellen Sektor, in den Ländern südlich der
Sahara 74 %, in Lateinamerika und der Karibik 54 %.

Besonders betroffen von der Krise sind oft WanderarbeiterInnen. So
haben in Indien mindestens 40 Millionen ArbeitsmigrantInnen von heute
auf morgen ihren Job und ihre Unterkunft verloren. Sie müssen 100 –
1.000 Kilometer zurück zu ihren Familien reisen, denen sie meistens
selbst Geld schicken, also die sie eigentlich finanzieren.
Schätzungen gehen davon aus, dass 660.000 bis 1,5 Millionen
MigrantInnen in Lagern untergebracht wurden, wo sie minimale
Essensrationen erhielten.

Frauen sind jedoch nicht nur als überausgebeutete
Lohnarbeiterinnen betroffen. In vielen Ländern der halbkolonialen
Welt waren sie im Zuge von „Entwicklungshilfe“ oft auch
Empfängerinnen sog. Mikrokredite. In Jordanien beispielsweise
erhielten rund 70 % der Frauen solche. Unter den Bedingungen von
Corona und der Krise können viele ihre Raten nicht mehr tilgen, sind
nicht zahlungsfähig, was in manchen Ländern mit Gefängnisstrafe
geahndet werden kann.

Wir sehen anhand dieser Beispiele, dass arbeitende Frauen auch
ökonomisch besonders stark von der Krise betroffen sind – und
diese wird so schnell nicht nachlassen.

Gesundheit

Aufgrund der Pandemie liegt der Fokus des Gesundheitssystems auf
der Bekämpfung der Krankheit. Dies ist an sich sinnvoll. Aber da es
ohnedies schon einen Mangel an medizinischem Personal und
Einrichtungen gibt, bedeutet das auch, dass diese anderswo fehlen. So
können wir aktuell in vielen Ländern einen Anstieg der Mütter- und
Kindersterblichkeit beobachten.

Der Zugang zu hygienischen Produkten und Verhütungsmitteln wird
durch Verdienstausfälle erschwert, deren Produktion teilweise
ausgesetzt. In Indien wurden während der ersten Wochen des Lockdowns
Binden nicht als essentiell betrachtet. Mädchen hatten aufgrund der
Schließung von Schulen keinen Zugang. NGOs und Hilfsorganisationen
schätzen, dass allein in Indien mindestens 121 Millionen Frauen
keinen Zugriff auf Güter zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse
hatten, wobei ländliche Regionen und Kleinstädte besonders
betroffen waren.

Zusätzlich wird der ohnedies schon eingeschränkte Zugang zu
Abtreibungen weiter erschwert. UN-Schätzungen zufolge könnte die
Corona-Krise zu 7 Millionen ungewollten Schwangerschaften führen.
Zum einen, da der Zugang zu Verhütungsmitteln erschwert ist, zum
anderen, da die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen massiv
zugenommen hat und sie noch mehr an die Familie und damit an
Ehemänner gebunden sind. Dort, wo Schwangerschaftsabbrüche legal
sind, wurde der Zugang zu Beratungsgesprächen massiv eingeschränkt,
da viele Praxen und Familienplanungszentren ihr Angebot reduzierten.
In 8 US-Bundesstaaten liefen während des ersten Lockdowns Verfahren,
da Abtreibungen auf die Liste der „nicht dringlichen“
medizinischen Behandlungen gesetzt worden sind.

Gewalt gegen Frauen

Zugleich verschärft sich die Lage der Frauen in Familien und
Beziehungen. Der Bevölkerungsfonds der UN (United Nations Population
Fund, bis 1987: United Nations Fund for Population Activities; UNFPA)
rechnet mit 31 Millionen zusätzlichen Fällen von häuslicher Gewalt
in 6 Monaten des Lockdowns. Wir haben es hier mit einem globalen,
keinesfalls mit einem regionalen Problem zu tun.

In Frankreich nahmen mit der Ausgangssperre 2020 die Fälle
häuslicher Gewalt um 30 Prozent zu. Die französische Regierung
kündigte zudem an, bis zu 20.000 Zimmern in Hotels für Betroffene
zu reservieren, in französischen Einkaufszentren wurden 20
Beratungsstellen eingerichtet.

Allein in den ersten beiden Aprilwochen 2020 gab es im Vergleich
zum Vorjahreszeitraum einen 47 %igen Anstieg der Anrufe bei der
spanischen Hotline für häusliche Gewalt. Die Zahl der Frauen, die
sich per E-Mail oder über soziale Medien an die von der Regierung
als wesentlich eingestuften Unterstützungsdienste wandten, soll um
bis zu 700 % gestiegen sein. Sichtbar wird das Ausmaß des
Problems, wenn man die bestehende Infrastruktur für von Gewalt
betroffene Frauen betrachtet.

So mangelt es in Deutschland seit Jahren an Plätzen in
Frauenhäusern. Bis heute stehen rund 6.800 Plätze zur Verfügung,
obwohl sich Deutschland schon 2017 verpflichtet hat, mindestens
21.400 zu schaffen. Kurzfristig hätte hier durch Nutzung
leerstehenden Wohnraums, wegen der Pandemie nicht belegter Hotels und
Ferienwohnungen etwas Abhilfe geschaffen werden können – doch
Fehlanzeige. Hinzu erschweren die soziale Isolierung und Quarantäne
die Lage der Frauen. Mit Tätern eingeschlossen, kannst du nicht
einfach verschwinden und dich um die Kinder kümmern, die ebenfalls
krasser Gewalt ausgesetzt sind.

Homeoffice und unbezahlte Hausarbeit

Grundsätzlich leisten Frauen nach wie vor weit mehr unbezahlte
Hausarbeit als Männer. Im Zuge von Corona wurden Schulen und
Kindergärten geschlossen, ist Pflegeunterstützung im Haus oft
weggefallen oder reduziert.

Hinzu kommt, dass Homeoffice und Kinderbetreuung nur schwer
vereinbar sind. Das zeigt sich in Deutschland daran, dass 40 %
der Personen mit Kindern unter 14 Jahren die Tätigkeit im Homeoffice
als äußerst oder stark belastend einschätzen gegenüber 28 Prozent
der Befragten ohne Kinder. 1,5 Millionen Alleinerziehende – davon
sind 90 % Frauen – sind noch mal stärker betroffen.

Ein Teufelskreis

Viele Frauen arbeiten im Caresektor und in sog. systemrelevanten
Berufen. Sie sind oft einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt,
gleichzeitig aber auch von Entlassungen am stärksten betroffen. Das
bindet sie ökonomisch stärker an die Familie, macht sie schutzloser
gegenüber häuslicher Gewalt. Zusätzlich steigt die reproduktive
Arbeit, die im Haushalt getätigt werden muss, was die
Doppelbelastung der Frauen erhöht. Sie werden also unter Bedingungen
einer kapitalistischen Krise, die durch die Pandemie verstärkt wird,
mehr in die klassische, reaktionäre Geschlechterrolle gedrängt.
Auch wenn jetzt die Kontaktverbote gelockert werden, wird es keine
Rückkehr zur ohnedies zweifelhaften „Normalität“ geben.
Vielmehr drohen im Zuge der Wirtschaftskrise mehr Entlassungen und
massive Sozialkürzungen.

Warum ist das so?

Um die aktuelle Situation zu verändern, ist es essentiell zu
verstehen, warum Corona sowie die Wirtschaftskrise
Frauenunterdrückung verstärken und woher diese überhaupt kommt.
Dazu gibt es zahlreiche theoretische Ansätze und diverse Lösungen
von verschieden feministischen Strömungen, auf die wir an dieser
Stelle nicht eingehen können. Stattdessen beschäftigen wir uns mit
der Position von Revolutionär_Innen.

Frauenunterdrückung existierte schon lange vor dem Kapitalismus
und nahm in allen Klassengesellschaften eine systematische Form an.
So war z. B. die bäuerliche Familie im Feudalismus Produktions-
und Reproduktionseinheit. Für den Kapitalismus ist freilich typisch,
dass sich die Funktion von Haushalt und Familie für die unterdrückte
Klasse gegenüber früheren Klassengesellschaften ändert. Im
Kapitalismus werden Produktion und Reproduktion getrennt und
natürlich hat die Familie/PartnerInnenschaft für die
ArbeiterInnenklasse und für die besitzenden Klassen auch eine
unterschiedliche Funktion. Für Erstere dient sie in erster Linie zur
Reproduktion der Ware Arbeitskraft, während sie für KapitalistInnen
essentiell für die Vererbung der Produktionsmittel ist.

Auch wenn dieses „Ideal“ der ArbeiterInnenfamilie global
betrachtet oft gar nicht der Realität entspricht, so übernimmt der
Kapitalismus eine schon vorher existierende geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung, die dadurch, dass der Lohn des Mannes als
„Familienlohn“ gesetzt wird, während die Frau nur
„dazuverdient“, selbst befestigt und reproduziert wird. Die
bürgerliche Familie, die auch als Norm in der ArbeiterInnenklasse
ideologisch und repressiv durchgesetzt wird gegenüber anderen
Formen, reproduziert die geschlechtliche Arbeitsteilung und diese
verfestigt wiederum die Familie als scheinbar „natürliche“ Form
des Zusammenlebens.

Warum sind Frauen stärker betroffen?

Diese Form der geschlechtlichen Arbeitsteilung bedeutet auch, dass
Frauen oft von Krisen besonders stark betroffen sind. Gerade in
solchen Perioden wird die Reproduktionsarbeit im Kapitalismus
systematisch ins Private gedrängt. Kosten für v. a.
öffentliche Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege erscheinen als
unnütze, unproduktive Arbeit, da sie oft keinen Mehrwert für ein
Kapital schaffen. Das heißt nicht, dass es nicht nützliche Arbeiten
sind. Aber da sie sich nicht im gleichen Maßstab wie andere, z. B.
industrielle, verwerten lassen, erscheint z. B. Carearbeit im
öffentlichen Krankenhaus oder die Arbeit der Erzieherin in einer
Kita nur als Kostenfaktor, der gefälligst reduziert oder ganz
eingespart werden soll.

Daher verbleibt auch die individuelle Kindererziehung, Pflege von
Alten in der Familie – und es erziehen und pflegen dabei in erste
Linie Frauen. Dabei kann diese Operation durchaus widersprüchlich
sein, weil eigentlich auch das gesellschaftliche Gesamtkapital unter
bestimmten Bedingungen mehr weibliche Arbeitskraft und damit auch
eine teilweise Vergesellschaftung der Hausarbeit (z. B. durch
mehr Kindergärten, bessere Kantinen …) braucht.

In Krisenzeiten müssen aber Kosten gespart werden durch Absenkung
der Löhne, Verlängerung der Arbeitszeit, Kurzarbeit, Entlassungen,
aber auch und vor allem durch Kürzungen im sozialen Bereich
insgesamt. Frauen fungieren so als „flexible“ Aufstockerinnen,
besonders leicht verschiebbarer Teil der industriellen Reservearmee,
die zuerst ins Private gedrängt werden und sich eher um Familie
kümmern, aber bei besserer Konjunktur auch wieder leicht und
schlechter bezahlt einsetzbar sind.

Wir sehen hier also auch, woher der Gender Pay Gap
(geschlechtsspezifischer Lohn- und Gehaltsunterschied) kommt. Der
Lohn des Mannes wird historisch als Familienlohn gesetzt (der auch
die Kosten zur Reproduktion der Familie einschließt). Die Arbeit der
Frau erscheint dabei nur als „Zuschuss“, als „Aufstocken“.
Das Ganze bildet einen Elendskreislauf, der sich in einem gewissen
Maß selbst reproduziert: Basierend auf der geschlechtlichen
Arbeitsteilung geht der Mann arbeiten, weil er mehr verdient – und
weil der Mann mehr verdient, bleibt die Frau zu Hause. Somit
reproduziert sich die geschlechtliche Arbeitsteilung gleich mit.

Kämpfe der ArbeiterInnen- und der Frauenbewegung haben zwar
wichtige Verbesserungen errungen, aber eine wirkliche Gleichheit
konnte nie erreicht werden, weil die unterschiedlichen Löhne in der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und im privaten Charakter der
Hausarbeit wurzeln. Gerade in Krisen stehen wir immer wieder vor der
Gefahr eines Rollbacks.

Forderungen

Auch wenn sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen in
den verschiedenen Ländern und Regionen sehr unterschiedlich
darstellen, so gibt es doch einige gemeinsame Forderungspunkte, die
für eine internationale Bewegung von großer Bedeutung sind:

Gesundheitsschutz für alle!

Kostenloser Zugang für alle, insbesondere auch Frauen aus dem
„globalen Süden“, zu Gesundheitsversorgung sowie zu
Corona-Impfstoffen und -Tests. Die Produktion und Verteilung der
Impfstoffe muss der Kontrolle der privaten Konzerne entzogen werden.
Nein zum Impfstoff-Nationalismus der imperialistischen Staaten, für
die Aufhebung der Patente und einen internationalen Plan zu raschen
Produktion und Verteilung. Streichung der Schulden der Länder der
„Dritten Welt“ und Finanzierung der Gesundheitsversorgung und der
Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung (inklusive der Versorgung bei
Quarantänemaßnahmen) durch einen internationalen Plan, finanziert
von den reichen Ländern und durch die Besteuerung von Vermögen und
Kapital!

Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Dies beinhaltet auch Forderungen wie jene nach einem Mindestlohn
oder nach Abschaffung aller Formen informeller, prekärer Arbeit
durch tarifliche Löhne und Gehälter, verknüpft mit der nach
Kontrolle dieser Maßnahmen durch Komitees der ArbeiterInnenklasse,
insbesondere der Lohnarbeiterinnen. Keine Entlassungen und volle
Bezahlung aller Beschäftigen während der Lockdowns bei Schließung
aller nicht-essentiellen Wirtschaftsbereiche, um eine
Zero-Covid-Strategie durchzusetzen. Anhebung der Renten,
Arbeitslosenunterstützung zumindest auf Höhe des Mindestlohns.
Kontrolle der Gewerkschaften und von Ausschüssen der ArbeiterInnen
über diese Maßnahmen.

Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Diese muss das Recht auf Empfängnisverhütung, die kostenlose,
sichere und frei zugängliche Abtreibung beinhalten. Sie inkludiert
auch den Schutz vor häuslicher Gewalt, Scheidungsrecht, rechtliche
Gleichheit, den massiven Ausbau von Schutzräumen wie Frauenhäusern
sowie den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees gegen Gewalt und
Übergriffe, die von der ArbeiterInnenbewegung unterstützt werden.

Kampf gegen Entlassungen, Einbezug ins
Berufsleben!

Der Kampf gegen Entlassungen muss sich auch gegen die von Frauen
richten. Alle rechtlichen Benachteiligungen, alle Formen von Sexismus
und Diskriminierung im Berufsleben müssen offensiv bekämpft werden.
Der Kampf gegen Entlassungen muss mit dem für eine massive
Verkürzung der Arbeitszeit verbunden werden, so dass die Arbeit
unter alle, Männer wie Frauen, aufgeteilt werden kann.

Nein zu Sozialabbau und Privatisierung –
Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Statt weiterer Kürzungen müssen wir für den Ausbau von Schulen,
Bildungseinrichtungen, öffentlichen Krankenhäusern,
Kultureinrichtungen usw. unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse
eintreten. Dies ist absolut notwendig, um dem weiteren Rollback und
der Zunahme privater Hausarbeit entgegenzutreten. Letztlich besteht
die Aufgabe darin, die gesamte Hausarbeit zu vergesellschaften, so
dass lebenswichtige Aufgaben wie Kindererziehung und Sorge um Alte
und Kranke nicht mehr individuelle Last von Frauen bleiben, sondern
kollektiv angepackt werden.

Gegen Sexismus und Chauvinismus!

Beim Aufbau einer internationalen Bewegung gegen Pandemie und
Krise müssen Frauen und ihre Forderungen eine Schlüsselrolle
einnehmen. Doch ihre Unterdrückung in der Gesellschaft findet nur
allzu oft ihre Fortsetzung in der reformistischen und
bürokratisierten ArbeiterInnenbewegung. Daher ist es notwendig, dass
sie sich gegen alle Formen des Sexismus und Chauvinismus in unserer
Klasse auch organisiert zur Wehr setzen können und wie alle anderen
sozial Unterdrückten in Parteien oder Gewerkschaften das Recht auf
eigene Treffen (Caususes) haben. Mit den Frauen*streiks der letzten
Jahre hat sich eine globale Kraft zu formieren begonnen, die das
Potential besitzt, zu einer internationalen proletarischen
Frauenbewegung zu werden. Diese stellt für den gemeinsamen Kampf von
Männern und Frauen der ArbeiterInnenklasse kein Hindernis, sondern
vielmehr eine Voraussetzung zu einem wirklichen, gemeinsamen Kampf
gegen Frauenunterdrückung und Kapitalismus dar.




Neues Abtreibungsrecht in Polen – dunkle Zukunft für Frauen

Arya Wilde, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9

Der 27. Januar 2021 erwies sich als ein dunkler Tag in der
polnischen Geschichte. Ein fast vollständiges Abtreibungsverbot trat
in Kraft, das Frauen die Rechte über ihren Körper verweigert und
dies mit dem Begriff „Pro Life“ verherrlicht. Kämpferische
Proteste, die im ganzen Land nach der Entscheidung des
Verfassungsgerichtshofs ((Trybunał Konstytucyjny;
Verfassungstribunal) vom 22. Oktober stattfanden, hatten dessen
Inkrafttreten über Monate verzögert. Ende Januar veröffentlichte
Staatspräsident Andrzej Duda jedoch den Gerichtsbeschluss, der somit
in Kraft tritt.

Bedeutung des Gesetzes

Mit der neuen Entscheidung wurde eines der restriktivsten
Abtreibungsgesetze Europas weiter verschärft. Schon seit Jahrzehnten
werden bei einer Bevölkerung von 38 Millionen höchstens 2.000
Schwangerschaftsabbrüche legal durchgeführt, im Jahr 2019 1.100. 97
% fanden aufgrund Missbildung des Fötus statt, was nun verboten ist.
Die geschätzte Gesamtzahl von Abtreibungen liegt
Frauenrechtler_Innen zufolge bei mindestens 150.000/Jahr. Konkret
müssen also zehntausende Polinnen im Untergrund oder mit
Abtreibungspillen zu Hause abtreiben bzw. nach Deutschland oder
Tschechien fahren. Nun dürfen nur noch Frauen, deren Gesundheit oder
Leben gefährdet ist oder die infolge einer kriminellen Handlung
schwanger wurden, legal Abtreibungen vornehmen lassen. Alle anderen,
Frauen mit finanziellen, sozialen Hindernissen oder jene, die einfach
kein Kind wollen, haben nicht das Recht, sich zu weigern, eines auf
die Welt zu bringen.

Situation in Polen

In Polen ist seit 2015 die rechtskonservative Prawo i
Sprawiedliwość (kurz: PiS: dt.: Recht und Gerechtigkeit) an der
Regierung und wurde damals von 37,6 % gewählt. Aufgrund des
undemokratischen Wahlrechts reichte dies zur absoluten Mehrheit im
Parlament. Der Erfolg der PiS ist auch Ausdruck des internationalen
Rechtsrucks. Die seitdem verabschiedeten reaktionären Gesetze und
unternehmensfreundliche Politik sorgten aber nicht für einen
Umschwung, nicht zuletzt dank einiger Zugeständnisse auch an ärmere
konservative Wähler_Innenschichten (Familienunterstützung).
Vielmehr vollzog sich der Rechtsruck weiter und bei der Wahl 2019
gewann die PiS nochmals 6 % der Stimmen hinzu. Zum Vergleich:
Lewica, das linke Wahlbündnis aus SLD, Wiosna, Razem, Polska Partia
Socjalistyczna (PPS) u. a., erhielt insgesamt 12,6 %.

Im Rahmen der PiS-Legislatur wurden sehr viele Gesetze erlassen,
die das öffentliche Leben sowie die Institutionen verändern. Eine
der ersten Institutionen, die fundamentalen Veränderungen ausgesetzt
war, war das Verfassungsgericht. Zwischen Oktober 2015 und Dezember
2016 brachte die PiS sechs Gesetze durch, die diesen Gerichtshof
betrafen. Ebenso wurde in den letzten fünf Jahren seine
Zusammensetzung maßgeblich verändert. Von 15 Richter_Innen wurden
14 durch die aktuelle Regierungsmehrheit ernannt.

Warum werden Abtreibungen verboten?

Seit 2016 hat die PiS immer wieder Versuche unternommen, das
Abtreibungsgesetz zu verschärfen. Dieses wurde aber aufgrund der
massiven Gegenbewegung und Frauenstreiks nicht umgesetzt. 2019 wurde
dann der Antrag eingereicht, dass das kontrollierte
Verfassungsgericht die Frage der Abtreibung ein für alle Mal klären
sollte. Fast ein Jahr nach Einreichung des Antrags traf der
Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung – inmitten der
Corona-Pandemie. Diese aggressive reaktionäre Politik entspricht dem
rechtspopulistischen Charakter der gegenwärtigen Regierung.

Mit dem faktischen Totalverbot von Abtreibungen geht es auch
darum, eine reaktionäre, kleinbürgerliche Massenbasis bei der
Stange zu halten und gegen eine angebliche Bedrohung von außen zu
mobilisieren. Nationalismus und vor allem der Katholizismus bilden
hierfür die ideologischen Anknüpfungspunkte, um eine klassenmäßig
heterogene Anhänger_Innenschaft – von der eigentlichen Elite und
Staatsführung bis zu kleinbürgerlichen Schichten und rückständigen
Arbeiter_Innen in Stadt und Land – zu sammeln. Daher finden sich im
Schlepptau von Kirche und PiS auch die extrem nationalistischen und
faschistischen Kräfte unter den Abtreibungsgegner_Innen, die seit
Jahren sexuell Unterdrückte und deren Aktionen angreifen –
geduldet oder gar ermutigt von Polizei und Kirche.

Dem Volksglauben nach ist der Grund für das Abtreibungsgesetz
rein religiöser Natur. Es ist aber offensichtlich, dass es beim
Antiabtreibungsmythos nicht um das Wohl ungeborener Kinder geht.
Vielmehr geht es um den Erhalt einer patriarchalen Ordnung. Die
bürgerliche Familie muss um jeden Preis gestärkt werden. Das
passiert nicht aus Liebe oder „christlichen Werten“. Das
Abtreibungsverbot fesselt Frauen länger an den Herd und raubt ihnen
die Entscheidung, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Davon
profitiert die herrschende Klasse, dass durch die Stärkung der
Familie Reproduktionskosten auf die Arbeiter_Innenklasse abgewälzt
werden können. Ebenso ist sie eine Garantin dafür, im nationalen
Rahmen billige Arbeitskräfte für die Zukunft zu schaffen und in ihr
Gehorsam und Unterordnung zu verinnerlichen.

Gleichzeitig trifft das Verbot nicht alle Frauen gleich. Für die
Mehrheit der Arbeiterinnen werden Abtreibungen unter extrem
unsicheren Bedingungen durchgeführt, da sie es sich oftmals nicht
leisten können, medizinische Versorgung in einem anderen Land
wahrzunehmen. Ebenso ist der Zugang zu Verhütungsmitteln
eingeschränkter aufgrund der Kosten. Für Bourgeoisie und
Kleinbürger_Innen gilt das Verbot auch, sie verfügen jedoch eher
über die nötigen Verbindungen und Mittel, um eine Wahl zu treffen.

Gegenproteste

Wie bereits geschrieben, konnten die vorherigen Angriffe auf das
Abtreibungsrecht abgewehrt werden. 2016 wurde vom Ogólnopolski
Strajk Kobiet (Allpolnischer Frauenstreik) und anderen Gruppen der
„Schwarze Protest“ organisiert. Als das Gesetz zum verschärften
Abtreibungsverbot debattiert wurde, mobilisierte dieser wochenlang
100.000 Demonstrant_Innen, nicht nur Frauen, sondern auch
unterstützende Männer und die LGBT-Gemeinschaft. Die Proteste
hatten teilweise Erfolg, insofern sie eine Verzögerung der Umsetzung
bewirkten.

Als im Oktober 2020 das Urteil dann erklärt wurde, löste dies
erneut landesweite Proteste aus – es waren die größten seit
Solidarnośćs-Streiks und Betriebsbesetzungen in den frühen 1980er
Jahren. Nicht nur in Warschau, sondern in rund 150 Städten wurden
Proteste organisiert. So fanden Straßenblockaden statt und am 28.
Oktober gipfelten die Aktion in einem gesamtpolnischen Frauenstreik
unter dem Motto: „Nie idę do roboty“ („Ich werde nicht
arbeiten gehen!“). Die Proteste wurden mit schwerer
Polizeibrutalität beantwortet, die im Laufe der Zeit zunahm.
Demonstrantinnen wurden in Gewahrsam genommen und von konservativen
Parteichef_Innen als „Usurpatorinnen“ bezeichnet, da dies ein
direkter Angriff auf Polen und die Kirche sei. Bis in den Dezember
hinein kam es immer wieder zu größeren Demos, spontanen Blockaden
und Auseinandersetzungen. Durch Polizeirepression und Maßnahmen
unter dem Deckmantel des „Infektionsschutzes“ vor Covid-19 wurde
versucht, den Protest zu ersticken. Am Mittwoch, dem 27. Januar, als
das Urteil des Verfassungsgerichts im Gesetzblatt veröffentlicht
wurde, brach er auf ein Neues aus.

Wie geht es weiter?

Zwar mag die Pandemie die Mobilisierung in gewisser Form
schwächen. Doch laut Umfragen lehnen fast 70 % der polnischen
Bevölkerung nicht nur die Gesetzesverschärfungen ab, sondern
stimmen auch der Aussage zu, dass Frauen selbst das Recht haben
sollten zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen. Es
wurden Online-Plattformen geschaffen, die nicht nur auf das
Abtreibungsverbot aufmerksam machen, sondern auch den Einfluss der
Kirche auf die Regierung, Rechte für Menschen mit Behinderungen und
den Kampf gegen Homophobie thematisieren. Ebenso hat das Bündnis des
Allpolnischen Frauenstreiks am 1. November einen Konsultativrat (Rada
Konsultacyjna) gebildet. Vorbild dafür ist der auf Vorschlag von
Präsidentschaftskandidatin Swjatlana Zichanouskaja ausgerufene
Koordinierungsrat (Kaardynacyjnaja Rada), der 2020 in Belarus nach
der Präsidentschaftswahl während der Proteste gegründet worden
ist. Das Ziel: unabhängig von Parteien als Mittler zwischen
Regierung und Protestierenden eine Einigung zu finden.

Seine Forderungen:

(1) die Situation des Verfassungsgerichts, des Obersten
Gerichtshofs und der Ombudsperson zu regeln.

(2) Mehr Mittel für den Gesundheitsschutz und die Unterstützung
von Unternehmer_Innen.

(3) Volle Frauenrechte – legale Abtreibung, Sexualerziehung,
Empfängnisverhütung.

(4) Stopp der Finanzierung der katholischen Kirche aus dem
Staatshaushalt.

(5) Ende des Religionsunterrichts an Schulen.

(6) Rücktritt der Regierung.

Welche Strategie bringen Gesetz und Regierung zu
Fall?

Auch wenn der Koordinierungsrat für eine Vermittlungslösung mit
der Regierung offen ist, so ist der Spielraum für einen Kompromiss
mit der Regierung bei den sechs Forderungen gering. Es besteht aber
die Gefahr, dass die Aktivist_Innen auf wahrscheinlich fruchtlose
Verhandlungen vertröstet werden.

Damit der Protest nicht versandet, sondern weitergeführt wird,
muss er vielmehr ausgeweitet werden. Der Frauenstreik vom 28. Oktober
stellt einen wichtigen Ansatz dar. Doch er darf kein einmaliges
Ereignis bleiben, sondern es muss Ziel sein, die Protestbewegung in
den Betrieben und Büros zu verankern. Dort sollten Versammlungen
einberufen werden, um die Arbeitsniederlegung zu organisieren und
Streikkomitees zu wählen. Die Frage des Eintretens für die Rechte
der Frauen und vor allem der Arbeiterinnen bedeutet in den Betrieben
und in der Arbeiter_Innenklasse zugleich auch einen Kampf,
Lohnabhängige von den Gewerkschaften wegzubrechen, die die PiS
unterstützen, und für eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung
unabhängig von allen bürgerlichen Parteien einzutreten.

Der Allpolnische Frauenstreik muss Druck auf alle
regierungskritischen Gewerkschaften, insbesondere auch die OPZZ,
ausüben. Ziel ist es, sie dazu zu bringen, sich nicht nur mit der
Bewegung zu solidarisieren, sondern offen für den Kampf einzutreten
und ihre Mitglieder zu mobilisieren. Die Waffe des Streiks, also das
Stocken der Profitproduktion, ist das effektivste Druckmittel gegen
die PiS. Durch die Einberufung von Vollversammlungen an Unis, Schulen
und in Betrieben (die auch online durchgeführt werden können), wird
zusätzlich erreicht, dass mehr Menschen in ihrem direkten Alltag mit
den Inhalten des Protestes konfrontiert und diese alltäglichen Orte
politisiert werden. Gegen die Repressionen seitens des polnischen
Staates sowie zur Abwehr drohender rechter Angriffe müssen
demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees aufgestellt
werden, die die Mobilisierungen schützen.

Gleichzeitig bedarf es innerhalb der Bewegung einer Debatte über
die Strategie, mit welcher man die oben genannten Forderungen
umsetzt. Als Revolutionär_Innen unterstützen wir einige der
Forderungen wie das Recht auf Abtreibung, das Ende der Finanzierung
der Kirche aus dem Staatshaushalt oder des Religionsunterrichts an
Schulen ohne Wenn und Aber. Jedoch hegen wir keine Illusionen darin,
dass sich durch den Rücktritt einzelner Minister_Innen etwas ändert.
Die Forderung nach dem Rücktritt der Regierung wirft aber ebenso die
Frage auf, was danach kommen soll. Würde die PiS-Regierung bei
etwaigen Neuwahlen bloß durch die neoliberale Bürgerkoalition
ersetzt, so würde sich für die Masse der Arbeiter_Innenklasse wenig
ändern.

Wenn der Protest erfolgreich ausgeweitet werden soll, muss nicht
nur in Betrieben mobilisiert, es müssen ebenso klare Forderungen im
Interesse der Lohnabhängigen aufgeworfen werden. Statt Unterstützung
für Unternehmer_Innen in der aktuellen Corona-Krise braucht es einen
Kampf gegen Lohnkürzungen und Entlassungen. Neben ihrer
Legalisierung sollte die Finanzierung von Abtreibung oder
Verhütungsmitteln nicht auf die Arbeiter_Innenklasse abgewälzt
werden, dadurch dass diese sie selber zahlen oder ihre Kosten durch
Steuern aufgebracht werden. Vielmehr müssen sie von jenen finanziert
werden, die von der aktuellen Krise profitieren. Statt also insgesamt
ein Bündnis mit liberalen Teilen der Bourgeoisie zu suchen, müssen
die Forderungen klar aufzeigen, dass die herrschende Klasse die
Kosten tragen soll.

Die Gründung des Rada Konsultacyjna zur Koordinierung der
Proteste ist sinnvoll. Allerdings bedarf es einer stetigen Wähl- und
Abwählbarkeit seiner Delegierten sowie ihrer vollständigen
Rechenschaftspflicht. Wichtig ist ebenso, dass dieser Rat mit
Aktions- und Betriebskomitees verbunden wird und sich aus deren
Aktivist_Innen zusammensetzt, also sich zum Arbeiter_Innenrat mit
eigenen Machtbefugnissen entwickelt, weg von einer Lobby, die nur
Druck auf Parlament, Regierung und Gerichte ausüben will. Ebenso
klar muss sein, dass er keine „Vermittlerrolle“ zwischen
Regierung und Protestierenden einnehmen darf. Er muss Ausdruck der
Protestierenden sein mit dem Ziel, die sich selbst gegebenen
Forderungen durchzusetzen mithilfe der Arbeiter_Innenklasse, und
etwaige Verhandlungen öffentlich führen. Es ist die Aufgabe von
Revolutionär_Innen im Rahmen des Protestes für den Aufbau einer
proletarischen Frauenbewegung und einer neuen revolutionären
Arbeiter_Innenpartei einzutrete