Buchbesprechung: Feminismus für die 99 %

Urte March, Red Flag Großbritannien, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Feminismus für die 99 %: Ein Manifest von Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya, Nancy Fraser (Verso Books; Deutsch: Matthes & Seitz, Berlin 2019)

Frauenbewegungen auf der ganzen Welt sind auf dem Vormarsch.
Seit 2017 haben Frauenstreiks Millionen auf die Straße gebracht, um eine
gleichberechtigte Gesellschaft zu fordern und die geschlechtsspezifischen
Auswirkungen des Neoliberalismus und der Austerität aufzuzeigen.

Während konservative und populistische Regime von Indien bis
zu den Vereinigten Staaten hart erkämpfte soziale und reproduktive Freiheiten
als Teil eines globalen Wandels hin zu konservativem Nationalismus attackieren,
greifen feministische Bewegungen zunehmend nach systemischen Erklärungen für
die Unterdrückung von Frauen.

Dies ist die historische Konjunktur, für die der „Feminismus
für die 99 % – Ein Manifest“ geschrieben worden ist. Cinzia Arruza, Tithi
Bhattacharya und Nancy Fraser, drei in den USA ansässige Akademikerinnen, die
in der Frauenstreikbewegung einflussreich und als feministische
Theoretikerinnen sehr etabliert sind, stellen sich die Aufgabe, „eine neue,
antikapitalistische Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit“ zu „entwickeln –
eine, die über die aktuelle Krise hinaus – und in eine neue Gesellschaft
führt“. (S. 12)

Antikapitalismus und Internationalismus

„Feminismus für die 99 %“ wurde in über 20 Sprachen
veröffentlicht und international weit verbreitet, so dass es sich lohnt, die
Bedeutung der Popularität der Broschüre zu bewerten, bevor man die im Manifest
dargelegten Perspektiven hinterfragt.

Die Autorinnen beginnen damit, dass sie den liberalen oder „korporativen“
Feminismus – beschrieben als den Wunsch nach einem besseren Gleichgewicht der
Geschlechter innerhalb der ausbeuterischen Strukturen der Gesellschaft – als
völlig unzureichend für die Lösung der drängenden sozialen Probleme der
heutigen Welt abtun. Auf den ersten Seiten nennen sie den Kapitalismus, jenes „System,
das den Chef hervorbringt, nationale Grenzen produziert und die Drohnen
herstellt, die diese Grenzen überwachen“, als den Feind, der besiegt werden
muss, um die Befreiung der Frauen zu erreichen. (S. 10 f.)

Die Autorinnen beschreiben die Unterdrückung der Frauen als
wesentlich für das Funktionieren des Kapitalismus und betonen, dass die
Befreiung der Frauen ein Kampf zwischen widerstreitenden Kräften in der
Gesellschaft ist und nicht das langsame Wachstum der Chancengleichheit. Die
Broschüre kehrt häufig zu der Idee der „Transformation des zugrunde liegenden
„Gesellschaftssystems“ zurück, das die Unterdrückung der Geschlechter diktiert.
In der Erkenntnis, dass der Kapitalismus ein globales System ist, bekräftigen
sie die zentrale Bedeutung der Frauenstreiks für einen neuen globalen Widerstand
und erkennen die Notwendigkeit internationalen Handelns an, indem sie erklären,
dass der Feminismus für die 99 Prozent „entschieden internationalistisch ist“.
(S. 27)

Hier gibt es viel, dem man zustimmen kann. Die rhetorische
Betonung von Antikapitalismus und Internationalismus in der Broschüre, wie vage
oder falsch sie auch immer definiert sein mag, zeigt ein wachsendes Bewusstsein
in der Frauenbewegung für die Beziehung zwischen kapitalistischen sozialen
Verhältnissen und Frauenunterdrückung auf. Gleichzeitig enthüllen die Mängel in
der Herangehensweise der Autorinnen den anhaltenden Einfluss der
Identitätspolitik und des postmodernen Akademismus auf die
Frauenstreikbewegung.

Für den Erfolg einer weltweiten antikapitalistischen
Bewegung wird es nicht ausreichen, die destruktiven und unterdrückerischen
Tendenzen des Kapitalismus anzuerkennen – es muss die richtige Strategie für
seinen Sturz und seine Ersetzung durch ein neues System vorangetrieben werden.

Soziale Reproduktion

Im Nachwort der Broschüre identifizieren sich die Autorinnen
als soziale Reproduktionstheoretikerinnen, und der Inhalt, den sie dieser
Identifikation geben, definiert ihre Methode und ihre Schlussfolgerungen. Wie
andere TheoretikerInnen der sozialen Reproduktion argumentieren sie, dass die
marxistische Tradition fehlerhaft ist, weil ihre Erklärung der Rolle der
gebärenden, erziehenden und anderen unbezahlten sozialen Arbeit im Gesamtzyklus
der Produktion unvollständig ist. Die zentrale Aussage ihrer besonderen
Variante der Theorie der sozialen Reproduktion ist, dass „die kapitalistische
Gesellschaft aus zwei untrennbar miteinander verwobenen und doch sich
wechselseitig ausschließenden Imperativen besteht“ – der Notwendigkeit, Profit
zu schaffen (Produktion), und der Notwendigkeit, dass die Menschen sich selbst
erhalten müssen (soziale Reproduktion), und dass diese Spaltung auf eine tief
sitzende „Spannung im Herzen der kapitalistischen Gesellschaft“ hinweist. (S.
87, 91)

Die praktische Bedeutung dieses Ansatzes wird in erster Linie
durch den Kontrast zum „traditionellen“ marxistischen Denken gefördert, dem die
Autorinnen vorwerfen, den Kapitalismus als „lediglich ein Wirtschaftssystem“
vorzustellen und nicht anzuerkennen, dass der Kapitalismus „eine institutionalisierte
Gesellschaftsordnung“ ist, „zu der auch jene scheinbar ,außerwirtschaftlichen‘ Verhältnisse
und Praktiken gehören, von denen die offizielle Ökonomie getragen wird“. (S.
82) Diese Aussage für sich genommen ist einfach eine eigennützige
Vulgarisierung des Marxismus, der in der Tat immer erkannt hat, dass die
Produktionsverhältnisse den Überbau der Ideologie, den Staat und eine Vielzahl
anderer sozialer Institutionen, darunter die Familie, hervorbringen. Ebenso
würde keinE MarxistIn der Aussage widersprechen, dass es „die entlohnte Arbeit
des Plusmachens [ … ] ohne die (überwiegend) nicht entlohnte Arbeit des
Menschenmachens nicht geben“ könnte. (S. 89 f.)

Die Autorinnen argumentieren ferner, dass MarxistInnen die
Produktionssphäre fälschlicherweise als dominant über die Reproduktionssphäre
betrachten und die „traditionelle ArbeiterInnenbewegung“ dazu bringen, den
wirtschaftlichen Kampf um bessere Löhne gegenüber sozialen Kämpfen zu
privilegieren, auf Kosten der Interessen der Frauen. Hier gibt es eine echte
Meinungsverschiedenheit. Für MarxistInnen, wie Engels erklärt, geht „die
materialistische Anschauung der Geschichte [ … ] von dem Satz aus, daß die
Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die
Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist“.1

In diesem Sinne ist es die Sphäre der Produktion, die die
Sphäre der Reproduktion beherrscht und formt. MarxistInnen sehen die Gewinnung
von Profit und die Akkumulation von Kapital als treibende Kraft und
bestimmendes Merkmal des kapitalistischen Systems. Es war die Entwicklung der
Klassengesellschaft, die zur Entstehung der Familie als einer für die
herrschende Klasse wesentlichen Institution führte. Der Übergang zum
Kapitalismus konsolidierte die Kernfamilie als die effizienteste Art und Weise
der Verwaltung der sozialen Reproduktion.

Dies bedeutet nicht, dass die Familie nicht ein Ort der
Unterdrückung ist oder soziale und politische Forderungen zweitrangig sind. Der
revolutionäre Marxismus versucht, den Kampf der ArbeiterInnenklasse nicht nur
für bessere Arbeitsbedingungen, sondern für die Abschaffung des gesamten
sozialen Systems, das die ArbeiterInnen unterdrückt und ausbeutet, anzuführen.
Der politische Kampf über jede Manifestation der aus dem kapitalistischen
System resultierenden Ungerechtigkeiten, einschließlich der sozialen
Unterdrückung der Frauen und der Aneignung ihrer unbezahlten Arbeit durch das
Kapital, ist wesentlich für die Bildung von Klassenbewusstsein und den
Zusammenhalt einer sozialistischen Bewegung.

In der Tat geht es in Lenins Schlüsselwerk „Was tun?“ fast ausschließlich darum, dieses Argument vorzubringen:

„Daher ist es begreiflich, dass die Sozialdemokraten sich nicht nur nicht auf den ökonomischen Kampf beschränken können [ … ] Es ist notwendig, jede konkrete Erscheinung dieser Unterdrückung auszunutzen [ … ] auf den verschiedensten Lebens- und Tätigkeitsgebieten, dem beruflichen, dem allgemein-bürgerlichen, dem persönlichen, dem der Familie, dem religiösen, dem wissenschaftlichen usw.“2

Wo die Autorinnen „altmodische Verständnisse“ des
Kapitalismus kritisieren, denen gemäß sie sich die ArbeiterInnenklasse
„ausschließlich aus denen zusammensetze, die für Löhne in Fabriken oder
Bergwerken arbeiten“, antworten sie nicht auf die marxistische Tradition,
sondern auf die stalinistischen und reformistischen Entstellungen des
Marxismus. Die Tendenz zum Ökonomismus ist nicht ein Merkmal revolutionärer,
sondern einer im Wesentlichen bürgerlichen Politik, die sich darauf beschränkt,
bessere Bedingungen für die ArbeiterInnen innerhalb der Grenzen des
Kapitalismus zu suchen.

Die wirtschaftlichen Auseinandersetzungen durch den Kampf um
die soziale Reproduktion zu ersetzen, ohne eine revolutionäre Strategie
voranzutreiben, das kann diesen Fehler nicht überwinden, sondern verlagert ihn
lediglich auf ein anderes Terrain von Teilreformen.

Kapitalismus und Krise

Die Ablehnung des „Feminismus für die 99 %“ dessen, was
das Manifest als den ökonomischen Determinismus der marxistischen Tradition
bezeichnet, führt dazu, dass es den Begriff der kapitalistischen Krise neu
theoretisiert und lässt die Autorinnen einer sinnvollen Definition des
Kapitalismus beraubt bleiben. Sie behaupten, dass die allgemeine Krise
historisch gesehen bedeutende Möglichkeiten für eine gesellschaftliche
Transformation geboten hat und dass die Existenz von Krisenbedingungen den
Imperativ für FeministInnen und Radikale schafft, darauf zu reagieren und den
Prozess zu „lenken“. Die Autorinnen stellen ihr Manifest als Strategie zur
„Lösung“ der allgemeinen Krise vor, die wir heute durchleben.

Obwohl die Autorinnen sagen, dass sie auf eine „Krise des
Kapitalismus“ reagieren, bestehen sie darauf, dass sie „diese Begriffe nicht im
üblichen Sinn“ (S. 82) verstehen, und zeigen mit dem Finger auf die
marxistische Konzeption der inneren Widersprüche des Kapitals. Stattdessen
erkennen sie „als Feministinnen“ an, dass der Kapitalismus auch „weitere,
außerökonomische Widersprüche und Krisentendenzen“ (S. 83) beherbergt, was
bedeutet, dass die kapitalistische Krise „nicht nur eine wirtschaftliche,
sondern auch eine ökologische, politische und auf die gesellschaftliche
Reproduktion bezogene“ ist. (S. 84) Für sie besteht die Wurzel all dieser
Krisen im Bestreben des Kapitals, freie Ressourcen aus verschiedenen Quellen
(Frauen, Umwelt, ärmere Länder) zu extrahieren und sie in den Prozess der
Akkumulation einzubringen, der auf lange Sicht nicht nachhaltig ist und Krisen
in jeder dieser parallelen sozialen Sphären verursacht.

MarxistInnen würden zustimmen, dass die Tendenz zur Krise in
die Natur des kapitalistischen Systems selbst eingebettet ist und die
Überausbeutung „freier“ Arbeit und Ressourcen ein Merkmal des Kapitalismus ist.
Aber die Marx’sche Theorie hat eine viel spezifischere Definition von Krise. Sie
behauptet, dass die Quelle der Krise der innere Widerspruch des Kapitals selbst
ist, definiert durch die Ausbeutung der lebendigen Arbeit. In ihrer ständigen
Suche nach Mehrwert werden die KapitalistInnen dazu getrieben, die
Arbeitsproduktivität zu erhöhen, indem sie das Niveau der in der Produktion
eingesetzten Technologie erhöhen.

Dabei sinkt der Anteil des Kapitals, der in die
Arbeitskosten fließt, im Vergleich zu dem, der in Maschinen und Rohstoffe eingeht.
Da es aber nur  ArbeiterInnen aus Fleisch
und Blut sind, die einen Mehrwert schaffen, bedeutet dies im Laufe der Zeit
einen Rückgang der Rentabilität des Kapitals – die Profitrate sinkt tendenziell.
Wenn die Profitrate sinkt, kann das Kapital kein ausreichendes
Rentabilitätsniveau aufrechterhalten, und eine Krise bricht aus. Die Symptome
dieser Wirtschaftskrise – Kapitalabzug, Zins- und Preiserhöhungen – sind das
Ergebnis des verzweifelten Versuchs des Kapitals, seine Rentabilität
aufrechtzuerhalten, was für die ArbeiterInnen verheerende Auswirkungen in Form
von Arbeitslosigkeit und sinkenden Lebensstandards mit sich bringt und in
soziale und politische Unruhen übergreift.

Für MarxistInnen ist das, was der „Feminismus für die 99 %“
als „Krise der sozialen Reproduktion“ beschreibt – wenn „eine Gesellschaft der
gesellschaftlichen Reproduktion die öffentliche Unterstützung“ entzieht und „zugleich
diejenigen, die das Gros der Reproduktionsarbeit leisten, für anstrengende,
aber niedrig bezahlte Arbeit, die zudem noch mit langen Arbeitstagen
einhergeht“ (S. 93 f.), rekrutiert – ein untrennbarer Teil der Krise des
Kapitals. Das Kapital versucht, sinkende Gewinnraten auszugleichen, indem es
den Mehrwert auf Kosten der ArbeiterInnen zurückgewinnt, sowohl die
tatsächlichen Löhne als auch den Soziallohn kürzt (einschließlich kostenloser
oder subventionierter Kinderbetreuung, staatlicher Bereitstellung von
Sozialleistungen usw.). Dies hat den beschriebenen Effekt, dass die Belastung
durch unbezahlte soziale Reproduktionsarbeit zunimmt und überwiegend auf Frauen
entfällt. Daher sind die Kämpfe gegen die Schließung öffentlicher Dienste, für
die Sozialisierung der Kinderbetreuung usw. kein gesonderter feministischer
Imperativ, sondern Teil des Klassenkampfes insgesamt.

Im „Feminismus für die 99 %“ hingegen liegt die
Notwendigkeit eines antikapitalistischen Ansatzes nicht in einer Antwort auf
die Gesetze des Kapitalismus begründet, sondern in einer allgemeinen sozialen
Krise, die sich aus einer Vielzahl von Krisen in verschiedenen Bereichen der
Gesellschaft zusammensetzt und sich zu einer „gesamtgesellschaftlichen Krise“ (S.
27) summiert. Obwohl sie argumentieren, dass FeministInnen in jeder dieser
Arenen kämpfen müssen und es für alle diese Kämpfe wesentlich ist, sich
miteinander zu verbinden, sehen sie jede dieser Auseinandersetzungen in einer
eigenen und separaten Sphäre stattfinden. Als Feministinnen sind sie am meisten
damit beschäftigt, in der Krise der sozialen Reproduktion eine Führungsrolle zu
übernehmen und die Führung von Kämpfen in parallelen Bereichen wie
Antirassismus oder Umweltschutz anderen zu überlassen.

Aber wenn jeder Kampf in einer separaten Sphäre stattfinden
kann, um eine bestimmte Krise zu lösen, dann ist jeder soziale Kampf
gleichermaßen wichtig für die „Überwindung“ des Kapitalismus, und der Erfolg
der „sozialen Transformation“ erfordert nur eine bessere Koordination zwischen
den verschiedenen Bewegungen, nicht aber eine bewusste Strategie zur
Entmachtung der herrschenden Klasse. Die Frage, was die Bewegungen wirklich tun
müssen, um zu einer „nichtkapitalistischen Gesellschaft“ zu gelangen, wird
weiter dadurch verdunkelt, dass die Broschüre den Kapitalismus nie wirklich
definiert. Obwohl die Arbeitswerttheorie zusammengefasst wird, erscheint der
Kapitalismus im gesamten Buch vor allem unter dem Deckmantel seiner Symptome,
einer Ansammlung schrecklicher sozialer Folgen, gegen die verschiedene
Bewegungen sich aufzustellen ermutigt werden.

Wo in der Broschüre vom Kapitalismus als System gesprochen
wird, tritt er als eines in Erscheinung, das aus miteinander verbundenen,
konstitutiven Teilen besteht, und nicht als eines, das als ein einziges nach
den Gesetzen der kapitalistischen politischen Ökonomie funktioniert. Wenn sie
ihre Erklärung dafür, warum sich der Kapitalismus in einer so tiefen Krise
befindet, ausarbeiten, beziehen sie sich manchmal auf den Neoliberalismus, das
Finanzkapital oder den Imperialismus. Aber diese Begriffe werden nicht klar
definiert oder mit politischem Inhalt versehen – Neoliberalismus wird nur als
eine „besonders räuberische Form des Kapitalismus“ (S. 27) und Imperialismus
als wirtschaftlich ausbeuterische Beziehungen zwischen Ländern definiert, die
durch Rassismus bedingt sind.

Dies zeigt, dass – trotz der ständigen Betonung ihrer „antikapitalistischen“
Ausrichtung – der Ausgangspunkt der Autorinnen eine Ablehnung des historischen
Materialismus und der Kapitalkritik von Marx ist. Da diese Konzepte am Ende den
revolutionären Charakter und die Aufgaben des Subjekts in Gestalt der
ArbeiterInnenklasse innerhalb des Kapitalismus umreißen, folgt daraus
natürlich, dass die Autorinnen die ArbeiterInnenklasse als geschichtliche
Trägerin des gesellschaftlichen Wandels ablehnen. Keine Passage fasst dies
besser zusammen, als die, wo die Autorinnen, nachdem sie anerkannt haben, dass
ihr Manifest auf den Schultern von Marx und Engels steht, ihre Anerkennung
sofort einschränken: „Da wir uns heute einer gespalteneren und heterogeneren
politischen Landschaft gegenüber sehen, ist es für uns nicht so einfach, uns
eine weltweit geeinte revolutionäre Kraft vorzustellen.“ (S. 78)

Populismus

Nachdem er so die Zentralität der Klasse im Kampf gegen den
Kapitalismus beseitigt hat, ersetzt „Feminismus für die 99 %“ diese durch
„einen Universalismus, der seine Form und seinen Inhalt aus der Vielzahl der
Kämpfe von unten erhält“. Konkret wird dies durch eine aggregierte Masse von
sozialen Bewegungen verkörpert, die die „99 %“ repräsentieren. Die
Autorinnen skizzieren die Konturen ihrer Allianz, indem sie sagen „Wir lehnen
nicht nur den reaktionären Populismus ab, sondern auch den fortschrittlichen
Neoliberalismus. Tatsächlich beabsichtigen wir unsere Bewegung genau dadurch
aufzubauen, dass wir das Bündnis mit diesen beiden aufkündigen“. (S. 72) Die
Schreiberinnen berufen sich auf einen progressiven oder „antikapitalistischen“
Populismus, die politische Ideologie der Mittelschichten.

Ihr erklärtes Ziel ist es, die Frauenstreiks zu verstärken
und Sympathie und Unterstützung zwischen der Frauenbewegung und anderen
sozialen Kämpfen aufzubauen, um „sich jeder Bewegung anzuschließen, die für die
99 % kämpft“. Da die Autorinnen ihre antikapitalistische Strategie als ein
Bündnis von sozialen Bewegungen definiert haben, die in verschiedenen Bereichen
kämpfen, steht es ihnen frei, die Tugenden der verschiedenen Bewegungen
nacheinander zu preisen, wobei sie der Frage ausweichen, wie sich die
Bewegungen zueinander verhalten sollen, und sich stattdessen auf die Aufgaben
von FeministInnen im Kampf um die soziale Reproduktion konzentrieren.

In der gesamten Broschüre gibt es eine Spannung zwischen dem
Wunsch der Schreiberinnen, FeministInnen als FührerInnen dieser
antikapitalistischen Allianz zu positionieren, und ihrer Neigung zu einem
diffusen Horizontalismus. Manchmal wird die Frage „Werden dann Feministinnen an
vorderster Front beteiligt sein?“ (S. 31) als entscheidend für den Erfolg ihres
antikapitalistischen Aufstandes gestellt. Doch im gesamten Buch bleibt die
Frage unbeantwortet, wer die kollektiven Aufgaben ihres so genannten „antikapitalistischen
Aufstands“ festlegen oder leiten wird, und es gibt keine Diskussion über die
Organisationsformen, die notwendig sind, um ein Bündnis so unterschiedlicher
Bewegungen aufrechtzuerhalten. Das Zusammentreffen der Vielzahl von Bewegungen
wird als eine spontane Annäherung von Subjekten vorgestellt: „Nur durch
bewusste Bemühungen, Solidarität aufzubauen, durch den Kampf in und durch
unsere Vielfalt, können wir die kombinierte Kraft erreichen, die wir brauchen,
um die Gesellschaft zu transformieren“.

Obwohl wir  mit
„Feminismus für die 99 %“ darin übereinstimmen, dass es wichtig ist,
Solidarität zwischen den verschiedenen Bewegungen aufzubauen, ist unser Endziel
nicht nur, die Vielfalt zu feiern und voneinander zu lernen, sondern unsere
Unterschiede zu überwinden und die große Vielfalt spontaner und
themenspezifischer Bewegungen zu einer einzigen, facettenreichen Bewegung zu
vereinen, die sich ihres gemeinsamen Ziels bewusst wird. Das Ziel muss der
Sturz des Kapitalismus sein, der notwendig sein wird, um eine dauerhafte
Befreiung aller Ausgebeuteten und Unterdrückten zu erreichen, einschließlich
derer, die auf der Grundlage von Geschlecht, Gender und Sexualität unterdrückt
werden. Es ist gerade die politische Führung, die durch die Zusammenführung der
verschiedenen Elemente unter einem gemeinsamen Programm die politischen Ziele
der verschiedenen Bewegungen erhöhen und sie auf den Sozialismus ausrichten
kann.

Hier ist die Frage der Handlungsfähigkeit von größter
Bedeutung. Welche Gruppe kann sich vereinen und eine globale
antikapitalistische Bewegung anführen? Die Antwort, die der Marxismus gibt, ist
die ArbeiterInnenklasse – sowohl Frauen als auch Männer, die aus allen
Nationalitäten und Rassen stammen. Ihr revolutionäres Potenzial ergibt sich aus
ihrer Rolle in der Produktion, durch die die Klasse die kollektiven Fähigkeiten
und das Ethos erwirbt, um sich gegen ihre AusbeuterInnen zu vereinigen. Der
familiäre Rahmen spaltet und atomisiert, anstatt die Klasse zu vereinen, wenn er
vom Arbeitsplatz und der Gemeinschaft der ArbeiterInnenklasse getrennt ist.

Aber die Notwendigkeit unbezahlter und bezahlter Arbeit für
die KapitalistInnen gibt den ArbeiterInnen und ihren Familien – als Klasse und
nicht nur als Belegschaft – die Macht, sich zu wehren. Die ArbeiterInnenklasse
hat gezeigt, dass sie wie keine andere Klasse ihre eigenen Organisationen
aufbauen kann, und sie ist die einzige soziale Gruppierung, die eine
sozialistische Revolution erfolgreich geführt hat. Kein heterogenes „Volk“,
keine „Bewegung von Bewegungen“, die von Klassenunterschieden und Antagonismen
zerrissen ist, kann diese ersetzen und die Agentur eines wirklich
antikapitalistischen Projekts sein.

Indem sie die ArbeiterInnenklasse als universelles Subjekt
innerhalb des Klassenkampfes ablehnen, weisen die Autorinnen das Ziel des
Sozialismus zurück, d. h. die Übernahme der Staatsmacht durch die
ArbeiterInnenklasse und die demokratische Planung der Wirtschaft. Da sie sowohl
den bürgerlichen Feminismus als auch den Marxismus ablehnen, ist ihre Ideologie
letztlich eine solche des kleinbürgerlichen Feminismus, der Klasse nur als eine
von vielen Identitäten mit überlappenden und konkurrierenden Interessen sieht
und daher unfähig ist, eine Einheit im Kampf zu schmieden. Ihr Machtanspruch
kann nur ein allgemeiner „antisystemischer“ Linkspopulismus sein, in dem den 99 %
– d. h. allen Bevölkerungsklassen, die durch die sozialen Bewegungen
vertreten werden mit Ausnahme der MilliardärInnen – die zentrale Rolle
zugeschrieben wird, aber notwendigerweise ohne ein gemeinsames Ziel, geschweige
denn eine Strategie zur Erreichung dessen. Und genau hier, in der Frage der
Taktik und Strategie, zeigt sich die eklatanteste Schwäche des Buches.

Frauenstreiks

„Feminismus für die 99 %“ stellt die Frauenstreiks als
eine wesentliche Taktik für den Aufbau einer „neuen, nichtkapitalistischen
Gesellschaftsform“ dar und argumentiert, dass sie die Vorstellung der Menschen
von Streiks auf der ganzen Welt neu beleben können. In Übereinstimmung mit der
eklektischen Methode der Autorinnen bleibt im Buch unklar, ob die Frauenstreiks
als eine Protestbewegung aufgebaut werden sollten, um den halbautonomen Kampf
für Reformen im Bereich der sozialen Reproduktion voranzutreiben, oder ob sie
ein bewusster Versuch sind, den Kapitalismus zu schwächen.

Für MarxistInnen hat ein Streik eine spezifische Funktion
als direkte Konfrontation zwischen ArbeiterInnen und Kapital. Durch den Streik
berauben die ArbeiterInnen die Bosse ihrer Profite und versuchen durch die
Androhung weiterer Störungen einige Zugeständnisse seitens der KapitalistInnen
zu erreichen. Wenn ein Streik zu einer Massenstreikbewegung verallgemeinert
wird, stellt sich die Frage, wer in der Gesellschaft die Macht. Unter den
richtigen Bedingungen und unter der richtigen Führung kann sie der Auslöser für
einen revolutionären Aufstand sein. Streiks am Arbeitsplatz haben diese
störende Wirkung, weil der Rückzug der produktiven Arbeit die Produktion von
Mehrwert behindert, der das Wesen des Kapitalkreislaufs ausmacht. Unbezahlte
Arbeit im Haushalt bringt per Definition keinen Profit, daher ist ihre
Niederlegung kein direkter Schlag gegen das Kapital.

„Feminismus für die 99 %“ scheint diese Prämisse zu
akzeptieren, wenn es sagt, dass die Rolle der Frauenstreiks darin besteht, „die
unverzichtbare Rolle“ sichtbar zu machen, „die geschlechtsspezifische,
unbezahlte Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften spielt“ (S. 17). In
Wirklichkeit werden die Frauenstreiks als eine Protestbewegung dargestellt und
nicht als ein bewusster Versuch, Kapazitäten zur Störung der kapitalistischen
Wirtschaft aufzubauen. Aber da „Feminismus für die 99 %“ keine Vorstellung
von den Gesetzen und Grenzen des Kapitals hat, sondern nur „ehrgeizige Projekte
der sozialen Transformation“, behauptet es, dass ein solcher Protest immer noch
ein transformativer Akt sein kann, „vor allem durch eine Erweiterung der
Vorstellung dessen, was überhaupt als Arbeit zählt“. (ebd.)

Obwohl der Marxismus beschuldigt wird, eine künstliche
Aufteilung der Bewegung in den wirtschaftlichen und sozialen Kampf als
getrennte Sphären aufrechtzuerhalten, begeht „Feminismus für die 99 %“ in
Wirklichkeit den gleichen Fehler in umgekehrter Richtung, indem es versucht,
den sozialen reproduktiven Kämpfen Vorrang einzuräumen. Die Autorinnen
übertreiben zwar die Fähigkeit des Entzugs von sozialer reproduktiver Arbeit,
den Kapitalismus zu stören, untergraben aber gleichzeitig das tatsächliche
politische Potenzial der Frauenstreiks, indem sie ihre Funktion künstlich auf
die einer Protestbewegung zur Hebung des feministischen Bewusstseins
beschränken. Selbst die grundlegendsten politischen Forderungen, die auf eine
Verbesserung der materiellen Position der Frauen in der Gesellschaft abzielen
wie allgemeine kostenlose Kinderbetreuung und gleiche Bezahlung, fehlen
auffallend außer in ihrer negativen Form, als Beispiele für Dinge, die der Gesellschaft
derzeit fehlen.

Tatsächlich kann die Nutzung der Rolle der Frauen in der
kapitalistischen Wirtschaft als Lohnarbeiterinnen
zur Organisation von Frauenstreiks die Grundlage einer Strategie zur Ausweitung
der Bewegung sein, die eine größere Zahl von ArbeiterInnen – einschließlich
Männern – in die Streiks hineinzieht. Einige der erfolgreichsten Frauenstreiks
haben in Ländern stattgefunden, in denen sie von großen Gewerkschaften
unterstützt wurden wie in Spanien und der Schweiz. Die Frauen hörten nicht nur
mit der Hausarbeit auf, sondern verließen ihre Arbeit auf der Grundlage
sozialer und wirtschaftlicher Forderungen: gleiche Bezahlung, soziale
Absicherung der Kinderbetreuung, Beendigung der Schikanen am Arbeitsplatz und
der häuslichen Gewalt.

Die Verbindung von sozialen und wirtschaftlichen Forderungen
verleiht der Bewegung einen politischen Charakter und stellt Frauen an die
Spitze eines Kampfes, der die Frage aufwirft, welches Sozialsystem all diese
Forderungen gleichzeitig erfüllen und die Errungenschaften dauerhaft machen
könnte. Wenn sich die Streiks am Arbeitsplatz ausbreiten, wird die
Unterstützung von arbeitslosen Frauen, die zu Hause arbeiten, die Umwandlung
der Bewegung in einen allgemeinen politischen Konflikt beschleunigen.

Wenn eine solche Bewegung erfolgreich wäre, würde sie
zweifellos auf den Widerstand des bürgerlichen Staates stoßen. Dieser Punkt
wäre ein entscheidender. Die Bewegung müsste sich entweder auf die
Machtübernahme oder auf eine Niederlage vorbereiten. Auch über das Wesen des
Staates schweigt „Feminismus für die 99 %“. Das Beste, was man daraus
schließen kann, ist, dass der Staat irgendwie obsolet wird, wenn verschiedene
soziale Bewegungen eine bestimmte Schwelle des Radikalismus und der
Zusammenarbeit überschreiten.

Schlussfolgerungen

„Feminismus für die 99 %“ beginnt mit der Behauptung:
„Die Organisatorinnen des huelga feminista [Frauenstreiks] bestehen darauf, dem
Kapitalismus ein Ende zu setzen“ (S. 10). Doch trotz ihrer Rhetorik ist der
Antikapitalismus der Autorinnen eher ein utopischer Anspruch als eine
revolutionäre Strategie.

Wie soll der Kapitalismus beendet werden? Kein Streik –
weder ein Streik, der die Produktion stoppt, noch einer, der in erster Linie
eine Massendemonstration ist – kann dies allein erreichen.
Massendemonstrationen von Frauen als Hausfrauen wie auch als Lohnarbeiterinnen
sind als Beweis unserer potenziellen Macht von unschätzbarem Wert. Aber wenn
diese wirklich auf der Beendigung des Kapitalismus „bestehen“ sollen, müssen
sie sich zunächst in politische Streiks verwandeln, die bewusst eine Regierung
und den Staat zur Kapitulation zwingen wollen und dann in einen Aufstand, eine
Revolution.

Wenn der Streik wirklich ein wesentliches Element der
Vorbereitung und ein potenzieller Katalysator für eine antikapitalistische
Revolution ist – und tatsächlich ist er das –, dann muss die
ArbeiterInnenklasse die zentrale oder führende Kraft darin sein. Sicherlich
wird sie Verbündete aus anderen unterdrückten und ausgebeuteten Klassen
brauchen, aber die ArbeiterInnenklasse muss die hegemoniale Klasse sein, weil
der Kapitalismus historisch gesehen nicht ohne sie auskommt, während die
ArbeiterInnenklasse auf den Kapitalismus verzichten kann.

Nur die ArbeiterInnenklasse kann die Massenproduktion und -verteilung und damit auch die Reproduktion sozialisieren, die Frauen von der Hausarbeit im individuellen Familienhaushalt befreien und die jahrhundertealte Unterdrückung der Frauen beenden. Seit den Tagen von Marx und Engels haben die RevolutionärInnen erkannt, dass diese Ziele untrennbar miteinander verbunden sind:

„Mit dem Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig, seien sie eheliche oder uneheliche“.3

Demzufolge müssen die revolutionären Ziele von Anfang an
anerkannt und hervorgehoben werden und dürfen nicht hinter verwirrender
populistischer Rhetorik oder in der Rede von Bündnissen unterdrückter Schichten
oder „Identitäten“ versteckt werden, von denen jede über ihre eigenen, nicht
miteinander verbundenen Ideologien, Tagesordnungen und bereits bestehende
Führungen und Organisationen verfügt. Für antikapitalistische Frauen muss der
Ausgangspunkt die proletarische Frauenbewegung sein, an der Frauen sowohl als
Produktionsarbeiterinnen wie auch als Dienstleisterinnen im Haushalt
teilnehmen. Als die Hauptorganisatorinnen im Bereich des Konsums, der
Kinderbetreuung und der Bildung spüren Frauen die Auswirkungen der
kapitalistischen Krise am unmittelbarsten. Es ist kein Zufall, dass sich in
jedem großen Klassenkampf, der die engen Grenzen eines Tarifstreits
überschreitet, Frauen organisiert haben.

Der Zweck der proletarischen, im Gegensatz zu einer
kleinbürgerlichen Frauenbewegung, liegt darin, Frauen in den Kampf für den
Sturz des Kapitalismus zu ziehen, basierend auf einer Strategie für die revolutionäre
Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse. Ihre Aufgabe ist es, politische
Forderungen zur Beseitigung der materiellen Basis der Frauenunterdrückung zu
formulieren, die in jedem gesellschaftlichen Kampf auftauchen, der nach dem
Prinzip handelt: kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung, keine Frauenbefreiung
ohne Sozialismus!

Endnoten:

1 Engels, Friedrich: Die Entwicklung des
Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW 19, Berlin/O. 1974, S. 210

2 Lenin, W. I.: Was tun? Brennende Fragen unserer
Bewegung, LW 5, Berlin/O. 1955, S. 413

3 Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des
Privateigentums und des Staats, MEW 21, Berlin/O. 1975, S. 77




Islamische Bekleidung: Sexismus und Islamfeindlichkeit in den imperialistischen Kernländern

Rebecca Anderson, Red Flag Großbritannien,  Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten zehn Jahren haben viele europäische Länder
Frauen verboten, islamische Kleidung zu tragen. PolitikerInnen haben dazu
tendiert, diese islamfeindlichen Gesetze als Integration oder Frauenbefreiung
zu verkleiden und sie damit zu rechtfertigen, dass sie genau den Frauen zugutekommen,
deren Rechte beschnitten werden.

Die Verbote sind von Land zu Land unterschiedlich und
umfassen die Burka, die Kopf und Gesicht einschließlich der Augen bedeckt, den
Niqab, der Kopf und Gesicht, aber nicht die Augen bedeckt, und den Hidschab
oder das Kopftuch, das nur den Kopf bedeckt.

Zunehmende Islamophobie

Der Rassismus gegen MuslimInnen in Europa und Nordamerika
hat nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA, den darauf folgenden
Invasionen im Irak und in Afghanistan sowie dem Syrienkrieg deutlich
zugenommen. Mit der Invasion und Besetzung der Länder des Nahen und Mittleren
Ostens kam der Terrorismus durch diejenigen auf, die sowohl durch den Konflikt
selbst als auch durch die soziale Isolation und den Rassismus, denen sie als
MuslimInnen in Ländern wie Großbritannien, Frankreich und den USA ausgesetzt
waren, radikalisiert wurden.

Im Jahr 2019 richteten sich 47 Prozent der Hassverbrechen in
Großbritannien gegen MuslimInnen. Frauen waren in der Regel die meisten Opfer,
wobei weiße Männer am ehesten als Täter in Frage kamen. In den USA gibt es ein
ernstes Problem mit der beiläufigen Berichterstattung über Hassverbrechen, die
ebenfalls nur langsam veröffentlicht werden, aber es gab eine 2000-prozentige
Zunahme der Angriffe und solche Vorfälle verharren auf hohem Niveau.

Verbot der islamischen Kleidung

In diesem Zusammenhang sind die Staaten dazu übergegangen,
muslimischen Frauen das Tragen traditioneller islamischer Kleidung zu
verbieten, was in der Bevölkerung breite Unterstützung findet. Eine 2016 in
Großbritannien durchgeführte YouGov-Umfrage ergab, dass mehr als zwei Drittel
der Bevölkerung ein Verbot der Burka unterstützten, wobei die 18-24-Jährigen
die einzige Altersgruppe waren, die sich gegen ein Verbot aussprachen. Umfragen
ergaben ein ähnliches Maß an Unterstützung für ein Verbot in Deutschland,
jedoch eine Zweidrittelmehrheit gegen ein Verbot in den Vereinigten Staaten,
was vielleicht eine historisch-kulturelle Opposition gegen die staatliche
Einmischung in persönliche Angelegenheiten widerspiegelt.

Im Jahr 2011 war Frankreich bekanntlich das erste
europäische Land, das Burkas und Niqabs verboten hat. Dasselbe Gesetz verbot
Staatsangestellten, einschließlich Lehrerinnen, das Tragen von Hidschabs.
Belgien folgte schnell dem Beispiel und verbot Burkas und Niqabs drei Monate
später, während die Niederlande 2016 ein ähnliches Gesetz verabschiedeten.

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel hat sich für Verbote im
Jahr 2016 ausgesprochen: „Der volle Gesichtsschleier ist unangemessen und
sollte verboten werden, wo immer es rechtlich möglich ist“. Die Hälfte der
sechzehn deutschen Bundesländer hat Vorschriften eingeführt, die es
muslimischen Lehrerinnen verbieten, ihr Haar oder ihr Gesicht zu bedecken.
Österreich hat 2017 den Niqab und die Burka in Gerichten und Schulen verboten.

In Großbritannien hat der Staat das Recht der Frauen, ihr
Gesicht oder ihre Haare zu bedecken, nicht eingeschränkt, erlaubt aber
einzelnen Schulen, Verbote auszusprechen.

Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte gegen das französische Verbot ist gescheitert, und so wurde
diese Behandlung muslimischer Frauen auf supranationaler Ebene gebilligt, so
dass europäische Frauen keine weiteren Rechtsmittel gegen diese Verbote
besitzen.

Die „feministische“ Verteidigung

Das Verbot islamischer Kleidung hat bei den rechten
FeministInnen Unterstützung gefunden, insbesondere in Frankreich. Diese
Rechtfertigungen geben der Islamophobie einen feministischen Deckmantel und
wurden von den GesetzgeberInnen aufgegriffen.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy sagte 2009: „Das
Problem der Burka ist kein religiöses Problem, es ist ein Problem der Freiheit
und der Würde der Frau. Sie ist kein religiöses Symbol, sondern ein Zeichen der
Unterwürfigkeit und Entwürdigung. Ich möchte feierlich sagen, dass die Burka in
Frankreich nicht willkommen ist. In unserem Land können wir keine weiblichen
Gefangenen hinter einem Wandschirm aufnehmen, die von allem sozialen Leben
abgeschnitten und jeder Identität beraubt sind. Das ist nicht unsere
Vorstellung von Freiheit.“

Die französische feministische Organisation, die
Internationale Liga für Frauenrechte, betrieb beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte das Verbot von Niqabs und Burkas und schrieb: „Der
Ganzgesichtsschleier, indem er [buchstäblich den Körper und] das Gesicht
begräbt, stellt eine wahre Auslöschung der Frau als Individuum in der
Öffentlichkeit dar… Wie kann man nicht sehen, dass das Tragen des
Vollschleiers auch eine symbolische Gewalt gegenüber anderen Frauen darstellt?“

Die Wirkung dieses „Feminismus“ besteht darin, muslimische
Frauen von der Arbeit zu verdrängen und sie auf der Straße unsicherer zu
machen. Verbote geben RassistInnen, die muslimische Frauen missbrauchen oder
angreifen wollen, mehr Auftrieb. Sie ermutigen KundInnen und KolleInngen,
diejenigen herauszufordern, die islamische Kleidung tragen, und sie
legalisieren die Entlassung muslimischer Frauen aus dem Arbeitsleben.

Nach der Verhängung des französischen Verbots von Niqabs und
Burkas berichtete das französische Kollektiv gegen Islamophobie über einen
Anstieg der Zahl der körperlichen Angriffe auf Frauen, die diese Kleidung
tragen.

Die Logik dieser Verbote verweigert den muslimischen Frauen
die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, politische Ideen zu entwickeln
und sich zu organisieren. Muslimische Frauen werden als Opfer ihrer Familien
und Gemeinschaften behandelt, und die Tatsache, dass sie nie um diese Verbote
gebeten haben, wird nicht einmal in Betracht gezogen.

Das Integrationsargument

Es ist auch nicht so, dass der Niqab und die Burka weit
verbreitet sind. In Vorbereitung auf das Verbot der islamischen Kleidung in
Frankreich, einem Land mit fünf Millionen MuslimInnen, hat die Regierung den
Geheimdienst gebeten, Statistiken über die Anzahl der französischen Musliminnen
zu erstellen, die diese Kleidungsstücke tragen. Als der Geheimdienst
berichtete, dass weniger als vierhundert ihr Gesicht bedeckten, wurde er
gebeten, erneut zu zählen, und kam mit einer Zahl von knapp zweitausend zurück.

MuslimInnen werden für die Diskriminierung gegen sie
verantwortlich gemacht, und der Niqab und die Burka werden als Symbole für ein
„Versagen“ bei der Integration hochgehalten. Es wird argumentiert, dass
MuslimInnen, wenn sie sich besser integrieren würden, nicht mit rassischer oder
religiöser Diskriminierung konfrontiert würden. Es ist jedoch die
Diskriminierung, die der Teilnahme muslimischer Frauen am öffentlichen Leben
Hindernisse in den Weg legt. In Großbritannien stellte der Ausschuss für Frauen
und Gleichberechtigung fest, dass muslimische Frauen dreimal so häufig arbeitslos
sind und nach Arbeit suchen.

Marxismus, Sexismus und Islamfeindlichkeit

Als MarxistInnen erkennen wir natürlich den Sexismus, der
der Idee innewohnt, dass Frauen sich „bescheiden“ kleiden sollten. Es ist nicht
Sache der Frauen, sich zu kleiden, um sexuelle Belästigung zu vermeiden,
sondern es ist Sache der Männer, sich zu entscheiden, nicht zu belästigen. Das
Christentum blickt auch auf eine lange Tradition zurück, in der Frauen ihre
Haare aus Bescheidenheit bedecken, daher die Bekleidungsgebräuche bei Nonnen.
Religionen wie das Christentum und der Islam gründen auf den
Geschlechterverhältnissen, wie sie vor Jahrhunderten bestanden, und während sie
sich ständig an die Ideologien der derzeit herrschenden Klassen christlicher
und muslimischer Länder anpassen, sind sie wie alle Religionen konservative
Ideologien, die zur Rechtfertigung der Unterdrückung von Frauen in der
Klassengesellschaft benutzt werden.

Das Verbot islamischer Kleidung schafft nicht nur ein
feindseliges Umfeld für muslimische Frauen, sondern trägt auch dazu bei, Kriege
im Nahen und Mittleren Osten und die Unterdrückung der muslimischen Bevölkerung
imperialistischer Länder zu rechtfertigen, indem Muslime als einzigartig
sexistisch dargestellt werden , die eine oft ghettoisierte Gemeinschaft „entfremden“.
Feministinnen, die die Verbote unterstützen, verleihen der rassistischen
Politik, die die Unterdrückung der muslimischen Frauen verschlimmert, einen
feministischen Deckmantel.

RevolutionärInnen sollten sich auch gegen die Verbote
wenden, weil jedes Gesetz, das die individuelle Freiheit einschränkt, gegen
Andersdenkende eingesetzt wird. Im Jahr 2012 benutzte die Polizei in Marseille
die französischen verbotenen Burkas und Niqabs, um Frauen in Sturmhauben zu
verhaften, die gegen die Verurteilung der russischen Punkband Pussy Riot
protestierten. Die Verhaftung weißer Feministinnen war nicht die Absicht des
Verbots, aber die Polizei wird immer alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel
einsetzen.

Die entscheidende Lösung für die Befreiung der muslimischen
Frauen ist die gleiche wie für alle Frauen: volle und uneingeschränkte
Teilnahme am öffentlichen Leben. Dazu gehört alles, von der kostenlosen
Kinderbetreuung über die gleiche Bezahlung zur Beseitigung der materiellen
Basis der Frauenunterdrückung bis hin zur Bekämpfung von Belästigungen und der
Bereitstellung von Zuflucht für Überlebende. Für muslimische Frauen gibt es
auch spezifische Maßnahmen, und dazu gehören die Freiheit, islamische Kleidung
zu tragen, und offene Grenzen, um die Superausbeutung von Menschen ohne
Staatsbürgerschaft zu verhindern. Es muss auch anerkannt werden, dass der
Rassismus, den muslimische Frauen erleben, sich mit dem Sexismus überschneidet,
und der Kampf für die Befreiung der Frauen kann nicht vom Widerstand gegen imperialistische
Kriege im Ausland und rassistische Maßnahmen zur Stigmatisierung der
muslimischen Bevölkerung der imperialistischen Länder, insbesondere von
MigrantInnen und Flüchtlingen, getrennt werden.




Politisch streiken – aber wie?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt Österreich, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten zwei Jahren haben millionenstarke
Frauenstreiks ein großes Potential für den Kampf um Frauenbefreiung aufgezeigt.
Die Arbeitsniederlegungen im produktiven und reproduktiven Bereich richten den
politischen Fokus auf die Ungleichheit der geschlechtlichen Arbeitsteilung,
welche die materiellen Grundlage für sexistische Ungerechtigkeit und
Unterdrückung darstellt. Gleichzeitig kann der ökonomische Stillstand, der bei
einem Streik angerichtet wird, den nötigen Druck erzeugen, damit die
frauenpolitischen Forderungen auch ernst genommen und letztlich durchgesetzt
werden. Doch die internationale Frauenbewegung hat diese proletarische
Strategie noch nicht bewusst angenommen und verallgemeinert. Dazu braucht es
nicht nur positive Bezugspunkte wie die Mobilisierungen in Spanien oder der
Schweiz, sondern Organisation, Know-how und einen Kampf gegen andere, falsche
Strategien.

Bündnispolitik

Ein Streik ist im Normalfall kein spontanes Ereignis. Obwohl
der Unmut über Missstände schon hoch sein mag, braucht es Strukturen, die ihn
organisieren. Jene Kräfte, die bereit sind, einen Frauenstreik zu organisieren,
müssen gesammelt werden. In der Regel sind das schon bestehende Organisationen
der radikalen Linken oder der Frauenbewegung, aber auch eine Hand voll Einzelpersonen
kann ein Komitee für die Organisierung des Streiks gründen und den Stein ins
Rollen bringen. Kanäle wie soziale Medien müssen genutzt werden, um die
Organisation auf eine kräftigere Grundlage zu stellen. Für die Mobilisierung
braucht es klare und radikale Forderungen wie etwa eine Arbeitszeitverkürzung,
die demokratisch bestimmt werden sollten und für die die beteiligten Kräfte
frei nach innen und außen werben können. Dabei muss auch sehr gut abgewogen
werden, welche in den Vordergrund gestellt und wie sie formuliert werden
können, damit sie die bestmögliche Wirkung auf das politische Bewusstsein der
Zielgruppen haben werden.

Basisorganisierung

Zentral ist es lohnabhängige, aber auch erwerbslose Frauen und
Männer für den Streik zu gewinnen. Dazu eignet sich der Aufbau von
Aktionskomitees auf regionaler sowie betrieblicher Ebene bzw. in der
Ausbildungsstätte. In diesen Komitees organisieren sich Aktivist*innen, um
gemeinsame Aktivitäten für die Mobilisierung zu planen. Darüber hinaus sollten
eigene Forderungen diskutiert und in die Bewegung getragen werden. Sie müssen als
politische im Interesse der gesamten Arbeiter*innenklasse formuliert werden,
die also nicht auf einzelne Branchen beschränkt bleiben. Als Ausgangspunkt zum
politischen Ziel der Aufhebung der geschlechtlichen gesellschaftlichen Arbeitsteilung,
der Sozialisierung der Haus- und Sorgearbeit kann z. B. die nach einer gesetzlichen
Mindeststellenbesetzung in der Pflege dienen, wie in Deutschland aufgestellt. Die
überregionale Vernetzung mittels wähl- und abwählbarer Delegierter ermöglicht
den Aufbau von demokratischer Kontrolle über die Bewegung selbst und in
weiterer Folge von Gegenmacht gegenüber den bürokratischen staatlichen
Institutionen, über welche die herrschende Klasse ihre Interessen sichert. Das
ist auch kein Widerspruch zu einer Bündnispolitik von politischen
Organisationen. Aktionskomitees können solche Bündnisse ergänzen oder im besten
Fall der Ausdruck einer demokratisch organisierten Bewegung sein.

Rolle der Gewerkschaften

Ein wesentlicher Erfolg von bisherigen Frauenstreiks war die
Unterstützung durch Gewerkschaften in der Schweiz und in Spanien. Wenn diese
Organisationen, die oft einen großen Anteil der lohnabhängigen Bevölkerung
organisieren, für kämpferische Massenaktionen gewonnen werden können und die
Mobilisierungen dafür ernst nehmen, dann hat das eine sehr große Wirkung. Viele
Gewerkschaften haben auch frauenpolitische Abteilungen, die natürlich eine
Anlaufstelle für die Mobilisierung sein können und wo sich womöglich auch
schneller Unterstützer*innen finden lassen. Das Problem ist aber, dass die
großen, reformistischen Gewerkschaften von einer konservativen Bürokratie
geführt werden, die radikale Aktionen und die Einbeziehung der Massen mehr
fürchten als fördern. Dies gilt für alle Gewerkschaften, die nicht von einer
revolutionären Arbeiter*innenpartei geführt werden. Die reformistischen
Parteien, die oft über großen Einfluss in den Gewerkschaften verfügen, haben
längst ihren Frieden mit dem kapitalistischen System gemacht und verteidigen es
letzten Endes gegen einen Ansturm durch die Lohnabhängigen. Dies gilt auch für
reine Gewerkschaftspolitik, die sich nicht den Sturz des Kapitalismus auf die
Fahnen geschrieben hat. Wir können uns also weder auf sie verlassen noch auf
den Erfolg vehementer Aufforderungen hoffen, sondern müssen mit
Basisorganisationen ein Gegengewicht zur abgehobenen Stellvertretungspolitik
schaffen. Diesen Zweck können die schon angesprochenen Aktionskomitees zum Teil
erfüllen, sie müssen sich dafür aber bewusst auch auf die Gewerkschaften
ausrichten. Letztlich muss eine antibürokratische Gewerkschaftsopposition aber
eigenständige Strukturen aufbauen, denn der Kampf gegen die reformistische
Bürokratie ist allgemeiner als der für eine bestimmte politische Mobilisierung.

Proletarische Strategie

Wenn alle für einen starken Frauenstreik eintreten und eine
proletarische Frauenbewegung aufbauen wollen würden, dann müssten wir die Frage
nach der Umsetzung eines Streiks gar nicht so genau diskutieren. Aber so ist es
leider nicht. Gerade auch im Feminismus gibt es bürgerliche und
kleinbürgerliche Kräfte, die ganz andere Strategien als Sozialist*innen
verfolgen und die die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse
für die politischen Anliegen der Frauen sogar ablehnen. Oft beschränken sich
diese Kräfte auf Forderungen wie Quoten in politischen Ämtern oder in
Unternehmen, den ideologischen Kampf gegen Alltagssexismus oder eine
gendergerechte Sprache, die dann von sozialliberalen Parteien umgesetzt werden
sollen. Eine solche Politik hemmt natürlich die eigenständige Aktion der
Ausgebeuteten und Unterdrückten und muss daher natürlich auch bekämpft werden. So
wurde z. B. in den verschiedenen feministischen Bündnissen für den
letztjährigen Frauenstreik in Deutschland zwar eine Liste unterstützenswerter
Forderungen aufgestellt, aber über die Frage, wie ein Streik der gesamten
Klasse gegen die Paragraphen zustande kommen kann, der auch den Namen verdient,
kaum diskutiert. Debatten um Einbezug der Gewerkschaften und der Männer waren also
von untergeordneter Bedeutung.

Es geht also nicht nur um einzelne Forderungen, sondern um
eine zusammenhängende proletarische Strategie, die ihren klarsten Ausdruck in
einem kommunistischen Übergangsprogramm findet. Darin stellt sich der Kampf für
Frauenbefreiung und gegen Sexismus als integraler Teil des allgemeinen
Klassenkampfs der gesamten Arbeiter*innenklasse dar, unabhängig von Geschlecht,
Identität oder Herkunft. Deswegen halten wir es zum Beispiel auch für einen
Fehler, wenn von feministischen Organisationen bei frauenpolitischen Aktionen
der Ausschluss von Männern gefordert wird. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung
und die ganze sexistische Ideologie geht unsere männlichen Genossen genau so
etwas an. Aber unsere Genossinnen sollten ganz klar im Vordergrund eines
Frauenstreiks stehen.




Ein Blick in die Vergangenheit – Frauenkämpfe 2019

Nahid, Revolution Österreich, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Der internationale Frauenstreik zog zuerst im Jahr
2018 Aufmerksamkeit auf sich, als sich in Spanien mehr als 5,3 Millionen
Menschen daran beteiligten unter dem Motto: „Wenn die Frauen streiken, dann
steht die Welt still“. Seit 2017 ist der Internationale Frauentag zu einem
bedeutenden Tag weltweiter Mobilisierungen geworden, der Hunderttausende auf
die Straßen bringt, um gegen Frauenunterdrückung und die Auswüchse des
kapitalistischen Systems zu protestieren.

Frauenbewegungen in verschiedenen Ländern
nehmen verschiedene Formen in Reaktion auf besondere politische Zustände an. In
den USA richtet sich der jährliche stattfindende Women’s March insbesondere
gegen die frauenfeindliche und nationalistische Politik von Donald Trump. Die
Kampagne für ein Referendum gegen das Abtreibungsgesetz in der Republik Irland mündete
in einer teilweisen Entkriminalisierung des Gesetzes und mobilisierte auch
zahlreiche Frauen. In Indien protestierten muslimische Frauen gegen den
antimuslimischen Rassismus der Modi-Regierung und begannen so auch mit dem
Aufbau einer Frauenbewegung.

Der letztjährige Internationale Frauentag in
der Schweiz erlebte die größte nationale Mobilisierung mit über einer halben
Million Menschen, die sich beteiligten (in einem Land mit weniger als 9
Millionen EinwohnerInnen). Die größte Demonstration fand in Zürich mit 160.000
Menschen statt. Der Schweizer Frauenstreik wurde vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund
(SGB) ausgerufen, aber auch in den ländlicheren, gewerkschaftlich schlechter
organisierten Teilen des Landes, war die Beteiligung gut wie v. a. unter Bäuerinnen.

Die Forderungen trugen den Titel „Lohn. Zeit.
Respekt.“ und richteten den Fokus auf Gleichberechtigung der Geschlechter am
Arbeitsplatz mit Betonung auf der doppelten Bürde für Lohnarbeiterinnen, die
überdurchschnittlich für unbezahlte Care-Arbeit verantwortlich sind. Die
Streiks kombinierten politische mit wirtschaftlichen Forderungen, verlangten
ein Ende mit Sexismus, sexueller Belästigung und Lohnungleichheit (z. Zt. durchschnittlich
19,6 %).

Die Frauenstreikbewegung war besonders in
Lateinamerika erfolgreich mit Beteiligung von hunderttausenden Frauen. Gewalt
an Frauen und Femizide sind in Lateinamerika ein großes gesellschaftliches
Problem. Laut UN befinden sich dort 14 der 24 Staaten mit der höchsten Mordrate
an Frauen. Die ursprünglich in Argentinien begründete Bewegung „Ni Una Menos“ (Nicht
Eine Weniger) feierte 2019 ihren fünften Jahrestag. Längst hat sie
Landesgrenzen überwunden und mobilisiert weiterhin Frauen in ganz Lateinamerika
zu Streiks und Aktionen gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

Auch abseits von Bewegungen auf der Straße
wird kreativ und mit Erfolg versucht, auf die katastrophale Situation von
Frauen aufmerksam zu machen. Z. B. führte die Performance „Der
Vergewaltiger bist du“, die von der chilenischen Gruppe „Las Tesis” entwickelt
wurde, zu einer internationalen Bewegung. Mit Tanz und Sprache stellt sich das
Prokekt gegen Vergewaltigung, Mord, Missbrauch und Täter-Opfer-Umkehr. Die
Choreografie kritisierte auch die repressive Politik der Regierung von
Präsident Sebastián Piñera
und warf ein Schlaglicht auf die Auswirkungen staatlicher Gewalt und Kontrolle gegen
Frauen. Nachdem das Video dieser Performance viral gegangen war, führten
KampagnenaktivistInnen sie weltweit erneut auf, darunter in London, Paris,
Mexiko-Stadt, Berlin, Wien und sogar in Istanbul.

Das Jahr 2019 erlebte Frauen, die sich gegen
die herrschenden Zustände von Unterdrückung und Gewalt auf der ganzen Welt auflehnen.
Im Jahr 2020 drohen eine lauernde Rezession und sich verschärfende nationale
Polarisierung, weitere politische und ökonomische Angriffe auf Frauen mit sich
zu führen. Frauenbewegungen werden sicherlich gute Chancen auf Wachstum haben.




Feminismus in Pakistan

Minerwa Tahir, Women’s Democratic Front Lahore, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten Jahren ist der Aurat-Marsch zu einem der sichtbarsten Ausdrücke der Frauenbewegung in Pakistan geworden. „Aurat“ bedeutet Frau in der Urdusprache. Seit 2018 ist in den großen Städten Pakistans das Phänomen des Aurat-Marsches zu beobachten – Frauen, geschlechtsspezifische Minderheiten, Männer und Kinder gehen auf die Straße und marschieren am Internationalen Tag der arbeitenden Frauen am 8. März.

Wer beteiligt sich?

In zwei großen städtischen Zentren – Karatschi und Lahore – wurde der Aurat-Marsch von einem Bündnis hauptsächlich radikal-feministischer und liberal-feministischer Kräfte organisiert, darunter führende Persönlichkeiten von NGOs, die sich bereit erklärten, die Fahnen ihrer NGOs hinter sich zu lassen und sich unter dem einen Banner des Aurat-Marsches zu vereinen. Eine Organisatorin aus Karatschi sagte: „Bei den Themen, mit denen Frauen heute konfrontiert sind, geht es um Gleichberechtigung im öffentlichen Raum, das Recht auf Arbeit, Sicherheit am Arbeitsplatz und vor allem um die Unterstützung durch eine Infrastruktur, während die vorherige Generation für politische Rechte kämpfte“ (Chughtai, 2019). In anderen Teilen wie Hyderabad und Islamabad organisierte die Demokratische Frauenfront (1), eine sozialistisch-feministische Organisation, die arbeitende Frauen aus städtischen und ländlichen Gebieten organisiert, den Aurat-Azadi-Marsch (2).

Einige der Forderungen dieses Marsches waren ein Ende der Gewalt gegen Frauen; eine Gesetzgebung, die die Rechte von Frauen und Transgender-Personen schützt; ein Mindestlohn und andere rechtliche Schutzmaßnahmen für den informellen Sektor; ein Ende der Privatisierung von und größere Investitionen in Gesundheit und Bildung, insbesondere für Frauen; Frauenwohnheime und Kindertagesstätten für die Kinder von arbeitenden Frauen; der Bau von Wohnungen für Leute mit niedrigen Einkommen und ein Ende der Kampagne gegen informelle Siedlungen; ein Ende der militärischen Operationen; die Rückkehr der vermissten Personen und eine politische Lösung des Belutschistan-Problems (Today, 2019). Auch ArbeiterInnenorganisationen und -verbände wie die Vereinigung weiblicher Arbeitskräfte im Gesundheitswesen (Chughtai, 2019) und die pakistanische Gewerkschaftsschutzkampagne  (Today, 2019) unterstützten den Marsch und nahmen daran teil. Mit Ausnahme von Hyderabad war der Klassencharakter der Frauenmärsche in den großen städtischen Zentren Pakistans weitgehend mittelständisch. Während ein Teil der Gründe für das Fehlen von Führung der ArbeiterInnenklasse in der Frauenbewegung mit dem Versagen der Linken und dem Aufstieg der Rechten sowie alternativen antimarxistischen Diskursen zu tun hat, liegt ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass so viele Frauen aus der Mittelschicht sich für die Teilnahme an diesen Märschen entschieden haben, darin, dass der Status der Frauenrechte in Pakistan selbst für Frauen aus Nicht-ArbeiterInnenklassen-Hintergrund erbärmlich ist.

Lage der Frauen

Vergewaltigung, Ehrenmorde, Säureangriffe, Zwangsheiraten, erzwungene Bekehrungen nicht-muslimischer Mädchen zum Islam, Kinderehen, sexueller Missbrauch und Belästigung sowie allgemeine geschlechtsspezifische Diskriminierung sind in der Gesellschaft weit verbreitet (HRW, 2019). Inzwischen gibt es weder nationale Gesetze, die geschlechtsspezifische Diskriminierung bei der Einstellung noch die geschlechtsspezifische Lohnunterschiede verbieten (Kirton-Darling, 2018). In ähnlicher Weise sind auch die Arbeitsgesetze in Pakistan diskriminierend gegenüber Frauen (Tribune, 2014). Im Allgemeinen hegt die Gesellschaft eine diskriminierende Einstellung gegenüber Frauen. Der jüngste Fall, in dem die nationale Universität für Wissenschaft und Technologie die Vergewaltigung einer Studentin leugnete, ist ein Zeugnis für diese Haltung (Dawn.com, 2019).

Sexualität

Ein wichtiges Thema, um das sich der Aurat-Marsch dreht, sind Fragen der Sexualität. „Mein Körper, meine Wahl“ war ein beliebter Slogan. Während man davon ausgehen kann, dass diese Frage in einigen demokratischen Ländern schon lange Teil des öffentlichen Diskurses ist, war und ist sie in Pakistan ein Tabuthema. Wie die gesellschaftliche Haltung sie geprägt hat, bleibt Sexualität eine Angelegenheit, die sich auf die privaten Grenzen des Schlafzimmers beschränkt und über die man, vor allem eine Frau, nicht spricht. Qandeel Baloch (Geburtsname: Fouzia Azeem), ein Star in den Sozialen Medien, die sexy Videos von sich selbst für den öffentlichen Konsum veröffentlichte, wurde schließlich von ihrem Bruder im Namen der „Ehre“ getötet. Wie Zoya Rehman schreibt, „markiert der Aurat-Marsch einen wichtigen Moment in der Entwicklung des feministischen Widerstands im Land, in dem jetzt für eine neue Art von feministischer Praxis gekämpft wird, die in Fragen der sexuellen Autonomie und Handlungsfähigkeit ,das Schweigen bricht’ (John und Nair, 1998)“ (Rehman, 2019). Sexualität, ein Thema, über das aufgrund seines „privaten“ Charakters nie in der Öffentlichkeit gesprochen wurde, wurde durch den Marsch – vor allem im Jahr 2019 – aus der Enge des häuslichen und privaten Lebens herausgebracht und für die Öffentlichkeit offengelegt. Folglich startete der rechte Flügel Angriffe gegen die OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen in den Massen- und sozialen Medien. Es wurden Todes- und Vergewaltigungsdrohungen ausgesprochen (Reuters, 2019). Unterdessen griffen reaktionäre Schichten innerhalb der pakistanischen Linken zu einem ähnlichen Ansatz, wobei die Belutschistan-Sektion der Awami-ArbeiterInnenpartei (AWP) den Aurat-Marsch ablehnte (Jafri, 2019). In ähnlicher Weise tauchte die Politik der Reaktion innerhalb der feministischen Bewegung in Form der bekannten feministischen Dichterin Kishwar Naheed auf, die die radikalen Botschaften bezüglich der Sexualität kritisierte, die auf den Plakaten des Aurat-Marsches standen. Sie sagte, dass „Feministinnen ihre Kultur und Traditionen im Auge behalten sollten, um nicht wie ,Dschihadis’ auf Abwege zu geraten“ (Images, 2019).

Sadia Khatri kritisierte Frauen, die sich gegen die radikalen Plakate aussprachen, und schrieb, dass diese Art von Vorwürfen „verwirrender, ja sogar verletzend ist, wenn sie von anderen Frauen kommt“ (Khatri, 2019). Ich kann das Gefühl zwar nachempfinden, aber der Vorwurf überrascht mich wirklich nicht. Es ist schließlich die Politik der Menschen, nicht ihr Geschlecht oder andere Identitäten, die ihre Einstellung zu einem gesellschaftlichen Phänomen bestimmt. Auch der Gegenmarsch zum Aurat-Marsch wurde von rechten Frauen angeführt, nicht von Männern.

Die Sexualität während des Frauenmarsches aus der privatisierten Sphäre des Hauses herauszuholen, stellte eine radikale Errungenschaft der Frauenbewegung in Pakistan dar. Die Belutschistan-Sektion der Awami Workers Party lehnte den Aurat-Marsch mit der Begründung ab, dass die auf dem Marsch erhobenen Parolen nichts mit den Frauen der ArbeiterInnenklasse oder ihrem Kampf zu tun hätten. Diese Aussage spiegelt nicht nur eine Abtrennung von der Frauenbewegung wider, sondern zeigt auch, wie isoliert die Sektion der AWP in Belutschistan von den Kämpfen der Arbeiterfrauen in Pakistan ist. Wenn man mit berufstätigen Frauen in der Realität interagiert, erzählen sie uns davon, dass „nicht jede aus Freude und Entscheidung die vollverschleiernde Burka trägt“.

Natürlich kann es vorkommen, dass Schichten der Klasse, die aufgrund der zusätzlichen Belastung durch die reproduktive Arbeit atomisiert bleiben, der Interaktion und Organisation mit ihrer Klasse beraubt werden und somit den Vorstellungen der Reaktion zum Opfer fallen. Aber mit der sich zunehmend vertiefenden Wirtschaftskrise in Pakistan, insbesondere nach dem IWF-Deal, können es sich Frauen, die mit Männern aus der Arbeiterklasse verheiratet sind, nicht mehr leisten, nur reproduktive Arbeit zu leisten. Sie werden aus dem Haus gedrängt, um Arbeit zu finden, um die ArbeiterInnenfamilie zu ernähren. Während dies schon seit langem der Fall ist, da die Wirtschaft des halbkolonialen Landes weitgehend instabil geblieben ist, haben die Klauseln des IWF zu schlechteren Bedingungen für die arbeitenden Armen geführt (Arshad, 2019). Selbst wenn es sich bei diesen Jobs um niedere Tätigkeiten handelt, wie z. B. die Arbeit als Haushaltshilfe in Haushalten der Mittelschicht, bieten sie diesen Frauen eine gewisse Möglichkeit, sowohl mit ihrer eigenen Klasse als auch mit dem/r KlassenfeindIn zu interagieren. Es überrascht daher nicht, dass eine Hausangestellte, die eine halbverschleiernde Niqab trägt, bei einem Treffen mit anderen berufstätigen Frauen sagte, dass „nicht jede die Burka aus Freude und Entscheidung trägt“.

Diejenigen pakistanischen Linken, die Sexualität und andere Aurat-Marsch-Themen immer noch nicht als wichtige Themen für das Leben arbeitender Frauen sehen, sollten sich einige grundlegende Fragen stellen. Wenn die arbeitende Frau die Freiheit, Zeit und Geld hätte, sich wie Frauen der Mittelschicht zu kleiden, würde sie das nicht tun? Wenn sie die Freiheit, die Zeit und das Geld hätte, würde sie sich nicht romantischen/sexuellen Affären hingeben wollen, wie es Frauen aus privilegierten Schichten in diesem Land tun? Wenn es für sie keine Frage mehr wäre, jeden Tag etwas „Khana“ [Essen] für ihre Familie zu bekommen, wie es für Frauen aus der Mittelschicht der Fall ist, würde sie sich dann nicht auch wünschen, dass ihr männlicher Partner gleichberechtigt an der Zubereitung dieser Mahlzeiten teilnimmt? Diese Fragen machen deutlich, wie arbeitende Frauen durch die wirtschaftlichen Bedingungen gezwungen sind, bestimmte Themen als Hauptanliegen zu behandeln. Dies spiegelt jedoch keineswegs wider, dass arbeitende Frauen nicht an Fragen der sexuellen Befreiung interessiert sind.

Was für eine Bewegung brauchen wir?

Unterdessen ist eine andere Idee, die in bestimmten radikalen Schichten der Frauenbewegung in Pakistan vorherrscht, dass wir eine klassenübergreifende feministische Bewegung brauchen. Die Befürworterinnen dieser Ansicht argumentieren, dass dies ein „inklusiver“ Ansatz sei, da er es Frauen aus allen Klassen ermöglicht, sich zusammenzufinden, um gegen einen gemeinsamen Feind, nämlich das Patriarchat, zu kämpfen und die Gleichberechtigung zu erlangen. Nehmen wir eine der Forderungen, die von radikalen Feministinnen erhoben wurden. „Gleichheit beim Zugang zu öffentlichen Räumen“.

Nehmen wir an, dass diese Forderung nun gewonnen ist. Die Frau aus der ArbeiterInnenklasse wird die formale Gleichheit beim Zugang zu öffentlichen Räumen haben, aber genau wie ihr männlicher Kollege aus der ArbeiterInnenklasse hat sie diese Freiheit als jemand, der immer noch 12 Stunden am Tag arbeitet, dessen Kinder unterernährt sind und denen es an guter Bildung mangelt, der der Zugang zu guter Gesundheitsversorgung verwehrt wird und deren Familie an neun von zehn Tagen immer noch hungrig schläft. In der Praxis bedeutet dies eine Krise der Führung der ArbeiterInnenklasse und der Organisation der unabhängigen Klassenpolitik, die eine wesentliche Schwäche der feministischen, antirassistischen und ökologischen Bewegungen in der ganzen Welt darstellt.

Außerdem, was bedeutet eine „klassenübergreifende Bewegung“ überhaupt? Dass sie die Interessen aller Klassen vertritt? Würde sie dann auch ein „klassenübergreifendes Programm“ haben? Ob so etwas jemals praktisch durchführbar ist oder nicht, sicher ist, dass eine klassenübergreifende Bewegung kein Programm für die ArbeiterInnenklasse haben wird. Und das liegt daran, dass die Interessen der ArbeiterInnenklasse mit denen anderer Klassen unvereinbar sind. Die ArbeiterInnenklasse verfügt über kein Privateigentum an den Produktionsmitteln. Unabhängig davon, ob diese Klasse sich dessen schon subjektiv bewusst ist oder nicht, liegt ihr objektives Interesse in der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und seiner Ersetzung durch gesellschaftliches Eigentum. Dieses Interesse steht offensichtlich im Widerspruch zu dem der Klassen, deren Quelle von Reichtum und sozialem Status das Privateigentum bildet. Wie Clara Zetkin prägnant zusammenfasst:

„Es gibt eine Frauenfrage für die Frauen des Proletariats, der Bourgeoisie, der Intelligenz und der oberen Zehntausend. Sie nimmt je nach der Klassensituation jeder dieser Schichten eine andere Form an“


(Zetkin, 1896)

Wie beeinflusst dies die Bewegung?

Wie beeinflusst dies die Bewegungen dann? In der bürgerlichen Gesellschaft ist jede klassenübergreifende Bewegung verpflichtet, die Interessen der ArbeiterInnenklasse (die mit der strategischen Aufhebung der unterdrückenden Arbeitsteilung im Hinblick auf die produktive und reproduktive Arbeit verbunden ist) den begrenzten Zielen der bürgerlichen Feministinnen unterzuordnen. Das bestmögliche Ergebnis einer klassenübergreifenden Bewegung ist, dass die begrenzten Forderungen nach formaler Gleichheit zwischen Männern und Frauen erfüllt werden. Berufstätige Frauen werden formell gleichberechtigt sein wie ihre bürgerlich-feministischen Kolleginnen, aber sie werden es als Frauen sein, die immer noch 12 Stunden am Tag arbeiten und keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Sozialleistungen haben. Sie werden formellen Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens haben ebenso wie ihre männlichen Partner aus der ArbeiterInnenklasse, die ebenfalls kein Geld oder keine Zeit haben, um diese Bereiche faktisch zu betreten. Diese arbeitenden Frauen werden im Namen einer klassenübergreifenden Bewegung für die individuellen Rechte und Freiheiten der bürgerlichen Feministinnen kämpfen. Um noch einmal Zetkin zu zitieren: „Wir dürfen uns nicht von sozialistischen Tendenzen in der bürgerlichen Frauenbewegung täuschen lassen, die nur so lange anhalten, wie sich die bürgerlichen Frauen unterdrückt fühlen“ (Zetkin, 1896).

Was braucht es?

Dieser Ansatz „klassenübergreifender“ Bewegungen versäumt es, die Wurzel der geschlechtsspezifischen Unterdrückung zu untersuchen. In der heutigen Klassengesellschaft verortet der revolutionäre Marxismus die Ursprünge der geschlechtsspezifischen Unterdrückung in der öffentlich-privaten Kluft, in der der Mann in der öffentlichen „produktiven“ Sphäre arbeitet, während die Frau für die „reproduktive“ Arbeit verantwortlich ist. Diese Kluft ist notwendig, damit der Kapitalismus sich selbst erhalten kann, weshalb unsere Bewegungen antikapitalistischer Natur sein müssen. Um effektiv zu sein, müssen sie auch die Krise der Führung der ArbeiterInnenklasse überwinden. Und diese Krise kann solange nicht überwunden werden, bis und wenn die ArbeiterInnenklasse der radikalen Kleinbourgeoisie die Throne streitig macht, an denen sie seit Ewigkeiten festhält.

In einer Zeit, in der Identitätspolitik, Postmoderne und alle Arten von Ideologien, die nicht zum Sturz des kapitalistischen Systems führen, auf der ganzen Welt vorherrschen, gibt es einen Hoffnungsschimmer in bestimmten Schichten der pakistanischen Frauenbewegung. Die Demokratische Frauenfront (DFF), eine unabhängige Organisation, die arbeitende Frauen in städtischen und ländlichen Gebieten Pakistans organisiert, hat einige revolutionäre Forderungen, deren wichtigste die Forderung nach einer Vergesellschaftung der reproduktiven Arbeit ist. Während die derzeitige Führung in den meisten Sektionen aus der mittleren/unteren Mittelschicht stammt, bemüht sich die Organisation darum, arbeitende Frauen in die Führung zu bringen. In Lahore, wo ich die Vorsitzende bin, wurde vor kurzem eine Sektion der DFF gegründet, die hart daran arbeitet, ihre Wurzeln in den ArbeiterInnenvierteln zu stärken, um die Entstehung eines weiblichen Kaders aus diesen Gebieten vorzubereiten.

Wir arbeiten in den Vierteln der Hausangestellten und HeimarbeiterInnen und versuchen, sie zu organisieren. Diese Frauen erzählten uns, wie sich die steigende Inflation auf ihr Leben auswirkt und sie darum kämpfen, ihre Familien zu ernähren. Eine wichtige revolutionäre Forderung in diesem Szenario könnte die Einrichtung von Preiskomitees unter der Leitung von Frauen sein. Es besteht Hoffnung und Potenzial für die Entstehung einer weiblichen Führung der ArbeiterInnenklasse, wenn sich die DFF konsequent einer solchen Aufgabe widmet. Sie ist besonders entscheidend in einer Zeit, in der Kämpfe in verschiedenen frauenzentrierten Sektoren wie dem Gesundheits- und Bildungswesen auftauchen. Lahore, eines der städtischen Zentren Pakistans, birgt das Potenzial der Entstehung einer ArbeiterInnenbewegung. Ebenso birgt es das Potenzial für kleinbürgerlichen Radikalismus, gewerkschaftlichen Opportunismus und Reformismus sowie Zentrismus. Wenn es der DFF ernst damit ist, eine Führung der arbeitenden Frauen in der größeren ArbeiterInnenbewegung zu installieren, wird sie sich darauf vorbereiten müssen, solche Übel zusammen mit dem Kampf gegen den/die KlassenfeindIn und das Patriarchat zu bekämpfen.

Endnoten:

1 Die Demokratische Frauenfront (DFF) wurde ursprünglich von der Awami-ArbeiterInnenpartei (AWP) als ihre „Frauenfront“ gegründet. Die AWP ist bei Weitem die mitgliederstärkste linke Partei in Pakistan. Die DFF ist jetzt eine unabhängige Organisation. Die AWP spielt weder eine Rolle noch übt sie Einfluss auf Entscheidungen oder Strukturen der DFF aus. Natürlich sind Doppelmitglieder vertreten, die sowohl in DFF wie AWP organisiert sind. Die Autorin ist ein solches.

2 Azadi heißt auf Urdu Freiheit.




Evangelikales Christentum – Die Stoßtruppen der Rechten

Kayla Molodoy , Workers Power USA , Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Jahrzehntelang hat die christliche Rechte in den USA den
Widerstand gegen die Abtreibung in den Mittelpunkt ihrer politischen Mission
gestellt, indem sie sexuelle und reproduktive Fragen zur Mobilisierung einer
breiten Anhängerschaft zur Waffe gemacht hat. Seit ihrer kollektiven Hinwendung
zu politischem Aktivismus während Reagans triumphalem Präsidentschaftswahlkampf
1980 ist der Evangelikalismus das Rückgrat der Republikanischen Partei in den
USA und wird in Lateinamerika, insbesondere im Brasilien von Bolsonaro,
zunehmend politisiert.

Während die unheilige Allianz zwischen religiösen
ExtremistInnen und imperialistischen ProfitmacherInnen ihre Kontrolle über den
Staat festigt, laufen die Frauenrechte Gefahr, zum Opferlamm auf dem Altar des
anhaltenden Wahlerfolgs der Rechten zu werden.

Das Wachstum des politischen Evangelikalismus in den USA

Der Evangelikalismus nahm in Amerika erstmals im 18.
Jahrhundert erkennbare Gestalt an und entwickelte sich bis Mitte des 19.
Jahrhunderts zum „Evangelikalen Reich“, einer einflussreichen Bewegung, die
sich zunächst mit liberalen Themen wie der Abschaffung der Sklaverei und der
Strafrechtsreform beschäftigte, bevor sie sich über Darwins Evolutionstheorie
und eine fundamentalistische Bibelauslegung zersplitterte.

Der moderne Evangelikalismus geht auf das Ende des Zweiten
Weltkriegs zurück, als die aufeinander folgenden amerikanischen Regierungen
daran arbeiteten, das Christentum mit „amerikanischen Werten“ gleichzusetzen
und die christliche Gemeinschaft als Verteidigungslinie im Kalten Krieg zu
mobilisieren. Der Widerstand gegen die Aufhebung der Rassentrennung, die
Gegenkulturbewegungen der späten 1960er Jahre und die Entscheidung des Obersten
Gerichtshofs, Abtreibung zu einem verfassungsmäßig geschützten Recht zu machen,
im Urteil Roe gegen Wade von 1973, waren Katalysatoren für den Aufstieg der
Christlichen Rechten, der in den späten 1960er Jahren begann und bis heute
anhält.

Die republikanische Kandidatur Ronald Reagans im Jahr 1980
markierte einen Wendepunkt in der Politisierung der evangelikalen Gemeinschaft.
Im Vorfeld der Wahl begann die zuvor tolerantere und überparteiliche Haltung
der amerikanischen evangelikalen ChristInnen ihren Wandel hin zu starrer
Intoleranz, die stark durch das allgegenwärtige christliche Medienimperium
beeinflusst wurde, das vor allem von Jerry Falwell Sr. geschaffen wurde.

Falwell stand an der Spitze der christlich rechten
politischen Organisation, der Moralischen Mehrheit, und spielte eine wichtige
Rolle bei der gegenseitigen Umwerbung zwischen der Republikanischen Partei und
den Evangelikalen. Unter diesem Einfluss billigte der Republikanische
Nationalkonvent die sozial konservativste Plattform der RepublikanerInnen,
(GOP, Grand Old Party; Große Alte Partei) die es je gab, und kehrte damit seine
historische Unterstützung für die Gleichberechtigungsänderung um, wobei er als
Antwort auf den Fall Roe gegen Wade den Schutz der Rechte der Zygoten, d. h.
der befruchteten Eier, über die Rechte der Frauen stellte:

„Wir bekräftigen unsere Unterstützung für eine
Verfassungsänderung zur Wiederherstellung des Schutzes des Rechts auf Leben für
ungeborene Kinder. Wir unterstützen auch die Bemühungen des Kongresses, die
Verwendung von Steuergeldern für die Abtreibung einzuschränken.“

Erfolgreicher Aktivismus an der Basis und ein
außergewöhnliches Maß an Einsatz zur Förderung bevorzugter Themen führten zu
einer hohen Wahlbeteiligung, die Reagan mit zwei Dritteln der evangelikalen
Stimmen belohnte und bei seiner Wiederwahl auf 78 % stieg. Dieser Pakt
schuf eine für beide Seiten vorteilhafte Symbiose zwischen der politischen
Rechten und den Evangelikalen und hing fast ausschließlich von der Zustimmung
der Partei zur Übernahme der evangelikalen Linie in sozialen Fragen,
einschließlich der Abtreibung, ab.

Das Bündnis zwischen den Evangelikalen und der
Republikanischen Partei besteht bis heute, wobei es für die KandidatInnen
erforderlich ist, mit der christlichen Rechten in ihrem Sozialprogramm  übereinzustimmen, um ihre Stimmen zu ernten
und eine glühende Bekehrung zur Unterstützung des amerikanischen Imperialismus
zu garantieren.

Lateinamerika

Für Evangelikale in den USA wird nun erwartet, sich hinter
PolitikerInnen wie Trump zu versammeln – dessen persönliche Eigenschaften ihn
zu einem völlig unglaubwürdigen Vehikel für evangelikale Bestrebungen machen –,
und dies ist fast eine Selbstverständlichkeit. Aber das Wachstum der
evangelikalen Bewegung in Lateinamerika und die Verbindungen zwischen dem
brasilianischen und amerikanischen Evangelikalismus verleihen der Christlichen
Rechten eine neue internationale Dynamik.

Die ersten protestantischen Evangelikalen landeten im 19.
Jahrhundert in Brasilien, eine zweite Welle kam in den 1940er Jahren mit dem
Aufkommen der Foursquare Church (International Church of the Foursquare Gospel)
aus Kalifornien, komplett mit zirkusähnlichen Zelt„erweckungen“ à la Billy
Graham, die eine große Anziehungskraft hatten. Eine dritte Welle in den 1970er
Jahren brachte eine „neupfingstliche“ Bewegung, die von der brasilianischen
Universalkirche des Königreichs Gottes (UCKG) angeführt wurde. Gegründet von
Edir Macedo, einem gegen Schwarze heftig hetzenden  und möglicherweise reichsten religiösen Führer
der Welt, ist ihr Einfluss auf die brasilianische Politik extrem geworden,
wobei er über eine enorme institutionelle Vertretung verfügt.

Die Wahl von Jair Bolsonaro wurde mit Hilfe des
evangelikalen Establishments Brasiliens , dominiert von der UCKG, erreicht.
Bolsonaro ist, wie Trump, ein frauenfeindlicher, rassistischer homophober
Politiker, der eine aktive rechtsextreme Unterstützungsbasis antreibt. Er
sympathisiert auch mit der Militärdiktatur, die von 1964 bis 1985 in Brasilien
an der Macht war, wobei seine einzige Kritik darin besteht, dass „die Situation
des Landes heute besser wäre, wenn die Diktatur mehr Menschen getötet hätte“.

Das wichtigste politische Handicap, mit dem sich die rechten
Parteien in Lateinamerika konfrontiert sehen, ist die anhaltende Wahlschwäche
aufgrund ihrer fehlenden Verbindungen zu Nicht-Eliten. Bolsonaro und
seinesgleichen bieten bereitwillig Verbindungen zur obersten Spitze an und
bringen eine Vielzahl evangelikaler WählerInnen ein, vor allem aber die untere
Mittelschicht.

Dies ist wichtig, weil sich der Anteil der evangelikalen
ChristInnen in Brasilien von 9 Prozent im Jahr 1990 auf 22 Prozent mehr als
verdoppelt hat und derzeit auf 31 Prozent geschätzt wird. Es wird erwartet,
dass sie bis 2032 die Zahl der KatholikInnen übertreffen werden – und die
Rechte will ihr Wahlbündnis mit ihnen festigen.

Wir sehen eine ähnliche Dynamik bei den jüngsten Ereignissen
in Bolivien mit der Amtsenthebung von Evo Morales durch Luis Fernando Camacho,
einen fundamentalistischen und evangelikalen christlichen Multimillionär, der
geschworen hat, den linkspopulistischen Einfluss der von Morales vertretenen
und beschützten indigenen Mehrheitsbevölkerung zu beseitigen.

Die bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Áñez erklärte
am Tag des Staatsstreichs: „Die Bibel ist in den Palast zurückgekehrt“. Obwohl
die bolivianischen Evangelikalen einen weitaus geringeren Anteil der
Bevölkerung als in Brasilien ausmachen, ist ihre Basis in der weißen Führungs-
und Mittelschicht wegen deren angeblichen Heidentums, das durch die Anerkennung
der Erdgottheit Pachamama symbolisiert wird, in einen Rausch gegen die indigene
Mehrheit geraten.

Ein Demonstrant gegen den Putsch hat diese „Befreiung“
ironisch bedauerlich auf den Punkt gebracht : „Es ist dasselbe wie vor 500
Jahren, als die Spanier kamen und das erste, was sie den Einheimischen zeigten,
die Bibel war.“

Der wirtschaftliche Druck auf das KleinbürgerInnentum der
USA und Brasiliens und erst gar ihre Deklassierung hat sie empfänglicher für
die reaktionären Ideologien und die populistische Rhetorik von Politikern wie
Trump und Bolsonaro gemacht.

In Bolivien und Brasilien ist es ihnen gelungen, die
Unterstützung wichtiger Teile der herrschenden Klasse zu gewinnen. Diese
fürchten sich vor den milden Reformen sozialdemokratischer oder
linkspopulistischer Regierungen und ihren Versuchen, Lateinamerika aus der
Abhängigkeit vom US-Imperialismus (durch die es sich, historisch gesehen, sehr
gut geschlagen hat) herauszuholen. Der Evangelikalismus ist aufgrund seiner
historischen Wurzeln in den US-Kirchen und ihres wirtschaftlichen und
politischen Gewichts in der Bewegung ideal für diesen Zweck. Kurz gesagt, er
ist ein Werkzeug des US-Imperialismus.

Die Kulturkriege

Die evangelikale Bewegung manipuliert gekonnt angebliche
Bedrohungen der Religion, um angesichts dessen, was sie als das Schwinden des
Rangs Amerikas als „christliche Nation“ wahrnimmt, Einheit und Enthusiasmus
anzuregen.

In den USA behaupten große Nachrichtenorganisationen wie Fox
News und christliche Radio- und Fernsehstationen mit Massenpublikum regelmäßig,
dass die Fähigkeit der ChristInnen, ihre Religion auszuüben, bedroht ist. Die
Verwendung schlagwortartiger Propaganda-Phrasen wie „Krieg gegen Weihnachten“
und „Angriff auf die Werte der Familie“ verstärkt diesen Verfolgungskomplex
unter den hingebungsvollen AnhängerInnen des fundamentalen Christentums.

Doch während sie den bevorstehenden Untergang des
Christentums und die Unterdrückung der wahren Gläubigen beklagen, behalten die
Evangelikalen in Wirklichkeit einen übergroßen Einfluss auf Politik und
Regieren. Dieser „Verfolgungskomplex“als Reaktion, der das Ende des
christlichen Glaubens und einer „gottlosen Gesellschaft“ katastrophenartig
vorhersagt, ist das Kraftwerk für die Verbreitung des Evangelikalismus und das
seit Jahrzehnten.

In dieser Hinsicht ist der Aufstieg des christlichen
Zionismus innerhalb der evangelikalen Bewegung interessant. Er verbindet
unmittelbar die „Opferrolle“ des protestantischen Christentums mit dem realen
Holocaust des jüdischen Volkes und verleiht der Unterstützung Amerikas für den
Staat Israel einen religiösen Eifer.

Bei der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem sagten zwei
evangelikale Pastoren aus Texas, die zum offiziellen Staatsbesuch der USA
mitgebracht wurden, dass die Gründung Israels „die Prophezeiungen der Propheten
von vor Tausenden von Jahren erfüllt hat“ und dass „der Messias [nach
Jerusalem] kommen und ein Königreich errichten wird, das niemals enden wird“.

Diese „Wir-gegen-die-Mentalität“ passt perfekt zu dem für
die evangelikale Botschaft so wichtigen Thema der Opferschaft und des Leidens.
Entfremdung und Not, die durch den Kapitalismus erneuert und als
(vermeintliche) religiöse Verfolgung getarnt wurden, wurden zu einem mächtigen
Instrument, mit dem eine große Zahl von Menschen angezogen wurde, und wurden zu
einem integralen Bestandteil der evangelikalen Identität. Wahrgenommene
Bedrohungen wie Feminismus, legalisierte Abtreibung, gleichgeschlechtliche
Heirat und die Rechte von Schwulen und Transgendern haben zu einer Botschaft
des ressentimentgeladenen Untergangs-Populismus geführt und jede Art von
Klassenbewusstsein verhindert.

Die konservativen FührerInnen aller Richtungen haben ihre
Lektion gut gelernt: Wiederhole die und identifiziere Dich mit der Gefahr des
Opferns von ChristInnen,  versprich,
ihren Glauben zu schützen, und Du wirst gewinnen! Mit den Worten von Donald
Trump, der die Stimmen von über 80 Prozent der Evangelikalen erhielt, die etwa
ein Drittel der WählerInnenschaft ausmachen: „Wir werden das Christentum in den
Vereinigten Staaten schützen.“

In Brasilien mobilisierten evangelikale FührerInnen zur
Unterstützung von Bolsenaro und seinen „traditionellen Familien“-Werten gegen
eine PT (ArbeiterInnenpartei)-Regierung, die während ihrer 13-jährigen
Regierungszeit einige Rechte für Minderheiten eingeführt, eine Debatte über die
Entkriminalisierung der Abtreibung in das Unterhaus gebracht hatte und Pläne
erwog, die Geschlechtervielfalt in den Unterrichtsplan aufzunehmen.

Innerhalb von 40 Jahren hat sich die brasilianische
Bevölkerung von neunzig Prozent KatholikInnen auf ein Drittel Evangelikale
verschoben. Die evangelikalen Kirchen betreiben heute über 600 Fernseh- und
Radiokanäle, darunter auch die zweitgrößte Fernsehgesellschaft des Landes, Rede
Record, die dem UCKG-Gründer Edir Macedo gehört.

Bolsonaro lehnte Fernsehdebatten mit anderen KandidatInnen
ab, gab Rede Record jedoch ein exklusives sowie sein erstes Interview nach dem
Gewinn des Präsidentenamtes. In diesem Interview beschrieb er die „ethische und
moralische Krise“ Brasiliens und drohte, die AnhängerInnen der PT ins Exil zu
schicken.

Politischer Evangelikalismus und seine Auswirkungen auf
Frauen

Im letzten halben Jahrhundert hat die Ehe zwischen rechter
Politik und dieser unterdrückenden christlichen Sekte die Ungerechtigkeit unter
den Armen und Minderheiten der Welt – insbesondere den Frauen – eskaliert,
indem sie die biblische Rechtfertigung der Überlegenheit des Mannes über die
Frauen benutzt hat, um das kapitalistische Patriarchat aufrechtzuerhalten.
Religionsgemeinschaften bringen die Stimme der Hälfte der Bevölkerung zum
Schweigen und lenken den berechtigten Zorn auf Verarmung und Ungleichheit
(finanziell wie sozial) in Gehorsam gegenüber der staatlichen Autorität um.

Diese Überzeugungen werden 
zur Waffe für die Unterordnung von Frauen gemacht und setzen strenge
Geschlechterrollen durch, wodurch Frauen als „andere“ entmenschlicht werden und
die Notwendigkeit männlicher Autorität in einer typisch rechtspopulistischen Strategie
geschaffen wird. Die starre biblische Machthierarchie des Autoritarismus
schafft und fordert bedingungslosen Gehorsam.

Die Beziehungen zwischen den Geschlechtern sind nach diesen
Prinzipien geordnet: Ehefrauen unterwerfen sich den Ehemännern, Kinder den
Eltern, Gemeinden der Kirchenleitung, BürgerInnen dem Staat und alle Gott –
wobei Gott in der Regel der Kirchenleitung gleichgestellt wird.
Gleichberechtigung – und Klassen – gibt es in dieser Struktur nicht.

Mit Frauen am unteren Ende der Gesellschaft ist ihr geringes
Selbstwertgefühl garantiert. Da sie aufgrund ihrer angeborenen Unwürdigkeit
ständig auf Errettung angewiesen sind, lauert immer Scham und Schande.
Unverheiratet zu sein; kein Kind empfangen zu können; Sex außerhalb der Ehe zu
haben; eine Schwangerschaft abzubrechen; vergewaltigt zu werden; nicht so klug,
so fähig, so fleißig wie ein Mann zu sein, basiert auf dem Gefühl der Scham,
einer Schande, die durch den Willen Gottes erzwungen wird.

Sogar die Mehrheit der nicht-evangelikalen Frauen, die sich
nicht schämen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, wissen, dass Stigma und
Geheimhaltung sie bedecken; sie wissen nie, wem sie es sicher sagen können. Das
ist der Einfluss, den diese Bewegung auf Teile der Gesellschaft ausübt und der
uns alle zu beherrschen versucht und bedroht.

Schlussfolgerungen

Der Aufstieg des christlichen politischen Evangelikalismus
ist im Grunde eine reaktionäre Bewegung in allen Definitionen des Wortes. Er
ist eine Reaktion der KapitalistInnenklasse auf den zunehmenden Kampf gegen die
immer strengeren Sparmaßnahmen, die notwendig sind, um das System am Laufen und
profitabel zu halten.

Für Teile der ArbeiterInnenklasse ist es eine Reaktion auf
die anhaltende Stagnation des senilen Kapitalismus, der die nicht zur herrschenden
Klasse gehörenden Menschen, vor allem die Frauen, wirtschaftlich, politisch und
sozial an Boden verlieren lässt. Das Fehlen einer revolutionären
sozialistischen Alternative zur Verbesserung dieser realen Bedingungen macht
die Religion noch attraktiver.

Sie spielt mit der Angst vor dem Tod und dem Mangel an
Lebenschancen. Wenn man nämlich keine Möglichkeit sieht, seine Stellung in
diesem Leben zu verbessern, kann man genauso gut auf das Leben nach dem Tod
setzen. Gleichzeitig bietet sie eine wirkungsvolle Alternative zur
einschmeichelnden geistigen Nahrung des Katholizismus und des
Mainstream-Protestantismus, die beide weder wirkliche Möglichkeiten zur
Veränderung des heutigen Status noch die emotionale Befriedigung eines
glühenden Glaubens an ein Paradies jenseits des Todes bieten.

Und obwohl alle Teile der ArbeiterInnenklasse für dieses
kapitalistische Gift bezahlen werden, sogar die Evangelikalen, werden die
Frauen am meisten blechen. Rechte werden beschnitten, der politische Einfluss
in der Gesellschaft wird eingeschränkt, das Selbstwertgefühl wird zerstört, und
die Vorbilder für Frauen werden auf Schmarotzerinnen wie JeanineÁñez, die
derzeitige Interimspräsidentin Boliviens, reduziert.

Viele der schlimmsten Gräueltaten der Geschichte wurden unter
dem Einfluss der Religion begangen. Eine bessere Welt ist möglich, aber sie
wird für Frauen und Männer nicht unter dem Deckmantel von Religion jeglicher
Art gefunden werden.

Das bedeutet nicht, dass wir als KommunistInnen die
Unterdrückung der Religion fordern; im Gegenteil, wir fordern die Freiheit der
Religionsausübung für alle – solange eine solche Praxis nicht die Freiheit der
anderen beeinträchtigt, weder innerhalb noch außerhalb der Sekte. Man braucht
nur die verzweifelte Notlage der UigurInnen in China oder der Minderheiten in
islamistischen Regimen zu betrachten, um zu sehen, dass religiöse Verfolgung
tatsächlich existiert – und in beide Richtungen zuschlägt.

Aber während die Religion auch
unterm Kapitalismus notwendiges Opium bleibt und einen Zufluchtsort für
Milliarden in einer feindlichen und grausamen Welt bietet, predigt sie die
Unterwerfung unter die bestehende Ordnung und lenkt die Sehnsucht nach einer
besseren Welt in ihr Gegenteil, die Unterstützung von Ausbeutung und
Unterdrückung, um. Wann und wo immer religiöse Institutionen in die irdische
Welt eingreifen, widersetzen wir uns mit Händen und Füßen.

Wir brauchen eine weltweite Einheit des Kampfes auf der
Grundlage der ArbeiterInnenklasse, um diese wachsende Bedrohung auf der ganzen
Welt zu bekämpfen, mit Frauen an der Frontlinie im Kampf gegen die besondere
Unterdrückung, der sie durch die evangelikale christliche Reaktion ausgesetzt sind
und sein werden.




Frauen in China: die „Verliererinnen“ des Aufschwungs?

Resa Ludivien, Unterstützerin Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Situation von und für Frauen in China hat sich in den
letzten Jahren sehr verändert, was vor allem daran liegt, dass es eine
Neuorientierung der chinesischen Politik mit der Wahl Xi Jinpings zum
Staatspräsidenten gab. Doch schaut man sich die Entwicklungen der letzten 100
Jahre an, erscheinen die Veränderungen –Kämpferinnen im Krieg, wichtiger Teil
der chinesischen Planwirtschaft, zurück an den Herd verdammt – besonders
gravierend.

Gerade Frauen, die nach der neuen chinesischen Politik nicht
(mehr) ins Weltbild passen, haben es in China immer schwerer. Dazu gehören
nicht nur weiterhin Aktivist_Innen für Frauenrechte, solche, die der
heteronormativen Norm entsprechen, sondern auch zunehmend muslimische Frauen
sowie Frauen, die selbst über ihre Zukunft entscheiden wollen und deswegen
keine Familie oder Kinder anstreben oder selbst einen Anteil am chinesischen
Aufschwung einfordern. Man könnte daher glatt die Frage in den Raum stellen, ob
sie nicht die „Verlierinnen“ des Aufschwungs und der
Politik Xi Jinpings sind und zukünftig auch sein werden.

Doch zunächst muss geklärt werden, woher die heutigen
Besonderheiten Chinas herrühren. Genauso wie in anderen (Groß-)Reichen, vor
allem in Asien, gab es in China eine andere Form der vorkapitalistischen
Wirtschaft als Antike bzw. Feudalismus. Marx und Engels nannten sie asiatische
Produktionsweise, doch kam sie auch in anderen Erdteilen vor (z. B.
Mittel- und Südamerika). Auffällig ist, dass der „Staat“, sprich der jeweilige
Herrscher und seine Beamten, eine wichtige Rolle in Produktion und Handel
spielte. Gründe für diese starke Stellung waren die Größe der damaligen
Flächenstaaten, aber auch klimatische Verhältnisse, die stets zwischen Dürre
und Überschwemmungen schwankten und deshalb eine zentrale
Bewässerungswirtschaft erforderten. Um Anbau von Nahrung und Produktion anderer
Güter zu ermöglichen, brauchte man zuverlässige Verantwortliche, die sich
u. a. um das Bewässerungssystem des Landes kümmern. Kein Wunder also, dass
sich in diesen Ländern eine starke bürokratische Elite entwickelt hat, die die
Produktionsmittel verwaltete. Im alten Ägypten waren es die Pharaonen und die
Priesterkaste und im vormodernen China der Kaiser und seine Beamten
(Mandarine). Allerdings konnten dies nur Männer werden, genauer gesagt Männer
aus reichen Familien. Ein solcher Posten bedeutete nicht nur sozialer Aufstieg,
sondern natürlich auch Macht. In den Quellen aus der Vormoderne spielen Frauen
in China nur eine geringe Rolle, weswegen wir heute vor allem die erniedrigende
Praxis des Füße Bindens mit ihrer Stellung in Verbindung bringen. Allerdings
ist gewiss, dass trotz des patriarchalen Systems Frauen aus der Klasse der
Bäuerinnen und Bauern stark am Produktionsprozess in Haus und Hof sowie auf den
Feldern beteiligt waren.

Zwischen Fortschritt
und Rückschritt

Als 1949 die Volksrepublik China gegründet wurde, wurde die
Gleichheit zwischen Männern und Frauen in der Verfassung niedergeschrieben.
Nicht nur, weil jene, die sich selbst als Kommunist_Innen sehen, wissen, dass
ein Sozialismus nur mit Frauenbefreiung einhergehen kann, sondern auch, weil
sie beim Aufbau des neuen Staates gebraucht wurden. Natürlich war auch damals
die Frau gesellschaftlich noch nicht gleichgestellt, sodass in der Verfassung
mehr ein Ziel formuliert wurde, als es je unter der Herrschaft der KP Chinas
Wirklichkeit wurde. Doch 70 Jahre später und nach der ab Ende der 1970er Jahre
eingeleiteten wirtschaftlichen Neuorientierung, die zwar den Lebensstandard
insgesamt gehoben hat, hat sich die Lage der Frau in den letzten Jahren
verschlechtert.

Ab dieser Zeit wurde die Restauration des Kapitalismus in
der VR China eingeleitet. Dieser spielte ab Beginn der 1990er Jahre wieder die
bestimmende Rolle im Land. Schon vor der letzten Weltwirtschaftskrise war China
in die Reihen der imperialistischen Großmächte aufgerückt, was sich heute im
Hauptkonflikt zwischen China und den USA niederschlägt. Davor, seit dem
Korea-Krieg, war die VR China ein von Beginn an bürokratisch degenerierter
ArbeiterInnenstaat ähnlich der UdSSR, Osteuropa, Nordkorea und Kuba. Die
Mehrheit der Bevölkerung stellte aber bei Weitem die Bauern- und
Bäuerinnenschaft.

„Gender Pay Gap“, die Lohnschere zwischen Männern und Frauen,
spielt auch in China eine Rolle. War China 2008 noch auf Platz 57, was diese
Ungleichheit angeht, lag sie im Jahr 2017 nur noch auf Platz 100. Noch
schlechter schnitten Frauen mit Kind in China ab. Ist der Negativmaßstab 42 %
weniger Lohn für Mütter, beträgt er für kinderlose Frauen immerhin 37 %.
Und dies, obwohl es mittlerweile eine Vielzahl von sehr gut ausgebildeten
Frauen in China gibt. Diese Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt führt dazu,
dass Frauen entweder in die ökonomische Abhängigkeit von ihrem Ehepartner
gedrängt werden, der sie aufgrund fehlenden Geldes nur schwer wieder entfliehen
können, oder aber in die Schwarzarbeit, zu menschenunwürdigen Bedingungen. Letzteres
trifft gerade auf arme Frauen und den Großteil der weiblichen Landbevölkerung
zu – eine Gruppe, die, wenn sie in die Städte geht, um Arbeit zu suchen, in
China sowieso schon unabhängig vom Geschlecht kriminalisiert ist.

Die Restauration des Kapitalismus seit Mitte der 1970er
Jahre hat sich also negativ ausgewirkt. Die Bestrebungen Xi Jinpings, China zur
weltweit dominierenden imperialistischen Macht zu machen, also den USA ihren
Rang abzulaufen, haben ihr Weiteres dazu getan. Sein nationalistisches und
militärisches Programm ist dabei ebenso zu nennen wie seine neue
Wirtschaftspolitik. Die chinesische Wirtschaft wird heute vor allem von
Industrie und vom Dienstleistungsgewerbe dominiert. Allerdings verlagert China
seine Produktion zunehmend in afrikanische Länder und nach Südostasien, nicht
nur weil es dort lukrativer ist, sondern auch, um im Kampf um die Neuaufteilung
der Welt sein Einflussgebiet zu vergrößern. Mittelfristig wird dies gerade jene
Frauen treffen, die durch die Restaurationspolitik eine Arbeit in der kapitalistisch
umstrukturierten Industrie annehmen mussten und deren Arbeitsplätze in China
wegfallen werden.

Frauenbewegung in
der VR China

Schaut man sich ein Bild vom letzten Parteitag der
chinesischen Kommunistischen Partei an, sieht man…..Männer. Dieses Bild steht
sinnbildlich für die Rolle der Frau in den Augen der KP im Jahr 2019.

Auch die offizielle Frauenorganisation kann dieses
Missverhältnis nicht aufheben und möchte es auch nicht. Doch eine unabhängige
Organisierung in China ist schwierig, da es weder Presse- noch
Versammlungsfreiheit gibt, geschweige denn das Recht, sich legal zu
organisieren.

In den letzten Jahren gab es immer wieder Proteste von
Frauen. Insbesondere die Themen häusliche und sexualisierte Gewalt spielten
dabei eine wichtige Rolle. Im Jahr 2017 rangierte China auf einem der letzten
Plätze, wenn es um „Überleben und Gesundheit“ von Frauen geht. Kein Wunder,
dass es die #Me-Too-Bewegung sogar bis nach China geschafft hat. Über Tausende
beteiligten sich und Hunderte Millionen Menschen (Vergleich: Deutschland hat
nicht einmal 100 Millionen Einwohner*innen) teilten die Beiträge von Frauen,
die über ihr Erlebtes berichteten. Über 70 % der chinesischen Frauen gaben
an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Dennoch geht man von einer
noch höheren Dunkelziffer aus. Nach einer solchen Umfrage musste das zuständige
Institut in Guangzhou (Kanton), das zu Gleichberechtigung forschte, seine
Arbeit einstellen. Außerdem wurden in sozialen Medien die Accounts von
Aktivist_Innen gesperrt. Daran erkennt man ,wie sehr dem Staat dieses Thema ein
Dorn im Auge ist.

Auch die 37-tägige Inhaftierung der sog. „Feminist Five” Li
Maizi, Zheng Churan, Wei Tingting, Wu Rongrong und Wang Man im Jahr 2015
bestätigt dies. Man versucht, durch solche Aktionen die Aktivist_Innen nicht
nur zum Schweigen zu bringen, sondern auch durch das Abschneiden von der
Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten zu lassen. Doch gerade Aktivist_Innen
wie Li Maizi macht man nicht so leicht mundtot. Sie engagiert sich nicht nur
für Frauenrechte in China, sondern stellt auch ein Bindeglied zur
kriminalisierten LGBTIQ-Community her. Diese wiederum hat viele weibliche
Aktivist_Innen und nicht nur solche, die selbst Teil der Community sind. Auch
viele Mütter, die sich gegen die Entkriminalisierung ihrer Kinder einsetzen,
beteiligen sich am Protest.

Was tun die Gewerkschaften für chinesische Frauen?

Im Grunde kann man sagen, dass die einzige legale
Gewerkschaft (Allchinesischer Gewerkschaftsbund; ACGB) mit über 300 Millionen
offiziellen Mitgliedern keine Gewerkschaft im eigentlichen Sinne darstellt. Sie
ist weder in den Betrieben verankert noch vertritt sie die Interessen der Arbeiter_Innen.
Auch ist ihre Führung durch den Staat eingesetzt und somit nicht frei gewählt.
Insgesamt besteht die Strategie Pekings darin, Protest zu entpolitisieren.

Dennoch gab es einen Anstieg von Arbeitskämpfen in China in den
letzten 30 Jahren, was mit seiner Entwicklung zu einem wichtigen Player des
kapitalistischen Systems zusammenhängt. Gerade der Südosten Chinas hat viele
Kämpfer_Innen hervorgebracht. So gab es bspw. seit 2008 immer wieder Streiks im
Reinigungsbereich. Angeführt wurden diese von Frauen. Auch in China ist dies
ein Sektor, in dem gerade Menschen arbeiten, die sonst keine bessere
Jobperspektive haben wie Alte, Arme, Migrant_Innen und Frauen. Im Jahr 2014
wurde das Guangzhou’s Higher Education Mega Center, das 200.000 Studierende
umfasst, von den Arbeiter_Innen der Putzfirma bestreikt. Von Anfang an
verbanden sie Migrant_Innen und Frauen durch Selbstorganisierung. Sie wählten
sogar 18 Vertreter_Innen, von denen 5 zugelassen waren, für Gespräche mit der
Firma. Ebenso solidarisierten sich Hunderte Studierende. Diese Arbeitskämpfe
bilden einen wichtigen Pol, um den herum sich der Aufbau vom Staat
unabhängiger, klassenkämpferischer und antibürokratischer Gewerkschaften
vollziehen kann, die überdies weit mehr Schichten als die
ArbeiterInnenaristokratie organisieren müssen und können.

Innere Widersprüche
und die Stellung der Frau in China

Wie in allen anderen Kulturkreisen gibt es auch in China
historische Begebenheiten und Vorstellungen, die die Stellung von Frauen sowie
das Miteinander der Gesellschaft bis heute prägen. In Ostasien ist das u. a.
die Philosophie des Konfuzianismus.

Allerdings war eines der einschneidendsten Erlebnisse für
Frauen in der jüngeren Vergangenheit vor allem die Ein-Kindpolitik ab 1979, die
vor ein paar Jahren abgeschafft wurde. Familien durften nur ein Kind bekommen
(mit Ausnahmen u. a. auf dem Land, da dort die Arbeitskraft benötigt
wurde) und Mädchen wurden in großer Zahl getötet. Gründe dafür sind  nicht nur das Prestige, dass ein Junge und
späterer Erbe mit sich brachte, sondern auch die Tatsache, dass Mädchen, um zu
heiraten, ihre Familien verlassen würden und sich somit nicht um die Eltern
kümmern könnten. Heute kommen ca. 100 Frauen auf 121 Männer. Die Auswirkungen
hiervon sind Raub an jungen Mädchen in China und angrenzenden Ländern sowie
eine Konzentration unverheirateter Männer in armen Provinzen.

Am Beispiel Hongkong kann man viele Widersprüche innerhalb
der chinesischen Gesellschaft ab der Phase der Restauration erkennen und
beschreiben. Hier ist der Konflikt zwischen kapitalistischen Bestrebungen und
Frauenbefreiung täglich sichtbar, die Probleme der doch nicht so
gleichgestellten Frau treten offen zu Tage.

Hongkong ist für viele Chines_Innen das Ziel ihrer Träume.
Die ehemalige britische Kronkolonie, heutige bedeutender Finanzstandort, verspricht
der armen Bevölkerung auf dem Land Arbeit und ein besseres Leben. Doch kann die
Stadt dieses Versprechen nicht halten. Dennoch ist dies eine Frage, die nur
wenige von den immer wieder aufkeimenden und aktuell stattfindenden Protesten
aufgreifen. Etwa die Hälfte aller Demonstrant_Innen bei den weiterhin
anhaltenden Protesten sind Frauen. Unabhängige Frauengruppen- und -initiativen
haben sich herausgebildet. Dennoch: Veraltete Rollenbilder von Frauen, die
schweigen und sich gefälligst mit nichts außerhalb des privaten Raums
beschäftigen sollen, gibt es natürlich nicht nur in Europa, sondern auch in
Ostasien. Um Frauen daran zu erinnern, wo aus patriarchaler Sicht ihr Platz
ist, greifen Polizist_Innen in Hongkong zu einer ganz besonderen Form der
Gewalt: sexualisierter Gewalt. Ungefähr jede fünfte Frau, die festgenommen
wurde, berichtet von sexueller Belästigung und Gewalt durch die Polizei. Die
Bewegung reagierte mit Demonstrationen dagegen, die von Tausenden besucht
wurden. Und nicht nur Frauen solidarisieren sich, auch Männer. Ein kleiner
Anfang.

Proletarische Frauenbewegung
jetzt!

Die #Me-Too-Bewegung hat den Bedarf, den es auch in China
gibt, gezeigt. Jetzt gilt es, praktische Maßnahmen zu ergreifen. Es braucht
nicht nur eine Selbstorganisierung, sondern aufgrund der hohen Zahlen an
häuslicher und sexualisierter Gewalt organisierten Selbstschutz. Doch eine Organisierung
der Frauen ist nur möglich, wenn man einerseits trotz all der Repression immer
wieder Öffentlichkeit für die Themen schafft und andererseits die
Herausforderung angeht, trotz überwachter sozialer Medien, Frauen über größere
Entfernungen hinweg zu organisieren, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.
Hier kann allerdings von der Queerbewegung gelernt werden, die es seit Jahren
immer wieder erfolgreich schafft, sich zu organisieren und auch Treffen zu abzuhalten.
Der Gebrauch von dafür genutzten Tarninternetseiten sollte aber dabei dem
Verkehr über WeChat vorgezogen werden.

Die Perspektive, die eine chinesische Frauenbewegung braucht
sind nicht nur praktische Antworten auf Diskriminierung, sexualisierte Gewalt
und Repression, sondern auch eine Verbindung der Kämpfe mit anderen Betroffenen
der chinesischen Politik, sprich eine internationalistische Perspektive. Ebenso
darf man nicht vergessen, dass derzeit viele der Aktivist_Innen aus der
gebildeten Schicht in den Großstädten stammen. Auf die Interessen von proletarischen
Frauen muss daher dringend eingegangen werden. Eine Verbindung einer
chinesischen Frauenbewegung mit der von Peking stillgehaltenen Arbeiter_Innenbewegung
ist unabdinglich. Alles andere als eine solche proletarische Frauenbewegung würde
auch darüber hinwegtäuschen, dass die Auswirkungen der neuen Politik und der
patriarchalen Gesellschaft Chinas gerade Arbeiterinnen trifft. Sie werden von
ihren Familien getrennt und kriminalisiert, weil sie versuchen, in den Städten
Arbeit zu finden. Sie sind es, die aufgrund schlechter Ausbildung und Jobs der
häuslichen Gewalt nicht entfliehen können und auch zunehmend ihre Jobs
verlieren werden, wenn China die Produktion weiter ins Ausland verlagert.
Gleichzeitig sind nur sie zahlenmäßig und von ihrer Klassenstellung her im
Unterschied zu (bildungs-)bürgerlichen und Mittelschichten dazu in der Lage,
durch Streiks, v. a. gemeinsame mit ihren männlichen Kollegen, und weitere
Mittel die chinesische Gesellschaft in Bewegung zu setzen und für die Befreiung
der Frau einzutreten.

Kommunistinnen müssen an vorderster Front in den
Massenorganisationen ihrer Klasse arbeiten, v. a. in Gewerkschaften und
Frauenbewegung, um sie für revolutionär-sozialistische Ziele zu gewinnen, eine
neue revolutionäre kommunistische Massenpartei und kommunistische
Frauenorganisation aufzubauen.

  • Für eine internationale, proletarische Frauenbewegung und -internationale!
  • Für Frauenselbstorganisierung- und -selbstverteidigungsgruppen!
  • Bildet unabhängige Gewerkschaften!
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Frauen und Krise – Great crisis rises up

Leonie Schmidt, Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Welt ist in Aufruhr. In vielen Ländern wie zum Beispiel in Chile, im Libanon oder im Irak existieren Volksbewegungen, die sich Angriffen auf die Arbeiter_Innenklasse oder korrupten Regierungen widersetzen. Das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamt sich und die Angst vor einer erneuten weltweiten Rezession steigt an. Des Weiteren steigen die Spannungen zwischen großen imperialistischen Mächten wie, besonders zwischen den USA und China, und drücken sich durch Schutzzölle auf Stahlteile und Einzelteile für Smartphones etc. aus.

 Politisch-ökonomische Weltlage

2019 befand sich die Weltwirtschaft kurz vor einer Phase der Rezession. Rückgang bzw. Stagnation des Profits im Vergleich zu vorherigen Jahren waren allgegenwärtig. Nur wenige Branchen schafften es, eine Profitsteigerung zu erzielen. 11 Jahre seit Ende des letzten globalen Wirtschaftsabschwungs 2008 deutet eine Kombination von Faktoren wie stagnierende oder sinkende Profite, schwache oder rückläufige Investitionstätigkeit in Kapitalausrüstung, zunehmende Firmenverschuldung, Protektionismus und Handelskriege darauf hin, dass ein erneuter Konjunktureinbruch nicht mehr fern ist.

Besonders hart traf es das verarbeitende Gewerbe (Baugewerbe, Industrie und Handwerk) deren Geschäftsmanagerindex (PMI) weltweit unter 50 fiel. Dieser gilt als Schwellenwert zwischen Expansion und Kontraktion. In Deutschland lag dieser bei 40, in den USA und China knapp über 50. Der Dienstleistungssektor hingegen schaffte es, weiterhin seinen Profit zu steigern. So verhalf dieser Griechenland, das BIP immerhin um 2 % zu steigern. Laut Analyst_Innen von JP Morgan verlangsamte sich das gesamte Wachstum der Weltwirtschaft in 2019 aber stark, alle 10 Wirtschaftssektoren waren davon betroffen. Des Weiteren sank die Mehrwertrate, da die Lohnkosten nicht durch Gewinne kompensiert werden konnten.

Das Wachstum der Industrieländer als Gruppe dürfte bis 2020 auf 1,4 % sinken, was auch auf die anhaltende Schwäche des verarbeitenden Gewerbes zurückzuführen ist. Das Wachstum in Schwellen- und Entwicklungsländern dürfte sich in diesem Jahr auf 4,1 % beschleunigen. Es wird aber nur von einer verbesserten Leistung einer kleinen Gruppe großer Volkswirtschaften ausgegangen, von denen einige aus einer Phase erheblicher Schwäche hervorgehen.

Etwa ein Drittel der Schwellen- und Entwicklungsländer (wir bezeichnen diese als Halbkolonien) wird in diesem Jahr voraussichtlich zurückfallen, da sich Exporte und Investitionen schwächer entwickeln. Es wird erwartet, dass sich das US-Wachstum in diesem Jahr auf 1,8 % verlangsamt, was die negativen Auswirkungen früherer Zollerhöhungen und der erhöhten Unsicherheit widerspiegelt. Das Wachstum des Euroraums dürfte im Jahr 2020 aufgrund der schwachen industriellen Produktivität auf 1 % nach unten fallen. Die Erwerbslosenzahlen 2019 in der EU liegen bei 16 Millionen (6,3 %) und haben damit erst gerade das Vorkrisenniveau 2007 (7,1 %) unterschritten Die BRD weist zwar das höchste Erwerbstätigkeitsniveau seit der Wiedervereinigung auf), doch diese Jobs werden immer unsicherer und prekärer.

Allerdings beruhen diese Zahlen auf ungewissen Faktoren und können sich auch noch verschlechtern, besonders relevant sind hier Wirtschaftskriege und Spannungen oder ein stärkerer Einbruch des Profits in den bedeutenden Volkswirtschaften, der auf andere überschwappt.

Vorhersagen

Die Vorhersagen der großen Wirtschaftsanalyst_Innen für 2020 fallen aber allesamt recht positiv aus. Zumindest soll sich die Weltwirtschaft stabilisieren und etwas erholen, Risiken bleiben aber weiterhin vorhanden. Es wird vom IMF mit einem Weltwirtschaftswachstum von 3,5 % gerechnet, also einem leichten Anstieg im Gegensatz zu 2019, welcher mit 3,2 % vorhergesagt wurde. Die Weltbank hingegen geht nur von einem Wachstum bis 2,5  % aus.

Die mild optimistischen Vorhersagen der Analyseinstitute für 2020 berufen sich auf der negativen Entwicklungskurve der Weltwirtschaft entgegenwirkende Faktoren. So konnte ein rezessiver Einbruch der größten Volkswirtschaften bei Produktion und Investitionen 2019 vermieden werden – zum Preis niedrigen BIP- und Produktivitätswachstums. Die globalen Finanzierungskosten befinden sich auf historischem Tiefstand teils aufgrund der Zentralbankpolitik des „billigen Geldes“ (Nullzins, Quantitative Easing), aber auch aufgrund geringer Kreditnachfrage durch Staat und Kapital als Folge ausbleibenden Investments. Aktien- und Wertpapiermärkte erreichen dagegen ein ungeahntes Hoch. Die Arbeitslosenzahlen bleiben im Gegensatz zur Großen Depression der 1930er Jahre niedrig.

Der zugrunde liegende tendenzielle Fall der Profitrate muss über kurz oder lang die entgegenwirkenden Ursachen übertrumpfen. Der Ausbruch einer neuen Krise wird umso sicherer erfolgen, weil die Geldpolitik darin versagt hat, die Wachstumsraten von vor 2007 wiederherzustellen. Die letzte Dekade sah die längste Zeit ohne Rezession, aber auch die mit dem schwächsten Wirtschaftsaufschwung nach einer solchen. Keynesianisches Gegensteuern durch gesteigerte Staatsinvestitionen (und –schulden) hatte bereits in den Konjunkturkrisen zuvor versagt und wird diesmal auf die Barriere der schwindelerregend gestiegenen Budgetverschuldung stoßen.

Handelskrieg USA-China

Die größten Sorgen bereitet den Analyst_Innen der Handelskrieg zwischen den USA und China. Dieser war 2019 stark eskaliert und führte zu Abstürzen auf beiden Seiten. China haben die Sanktionen und Strafzölle auf Importwaren in die USA bereits 35 Milliarden US-Dollar gekostet. Für die USA erhöhten sich die Produktionskosten massiv und es wurden zwar neue Jobs in der Stahlindustrie erschaffen, wie von Trump versprochen, allerdings zu viel schlechteren Bedingungen und für viel weniger Lohn.

Trumps Ziel war also nie, die US-amerikanische Stahlproduktion zu stärken, sondern von Anfang an, der Konkurrenz eine Warnung zu verpassen. Denn Chinas Wirtschaft ist in den letzten Jahren massiv gewachsen und stellt die größte Gefahr dar. Gerade im Bereich von IT und Hochtechnologien ist es Vorreiter und mit vielen anderen Wirtschaften vernetzt. So lag Chinas Wirtschaftswachstum 2018 bei 6, 57 %, das der USA nur bei 2,93 %. Berichten zufolge hatte China zugestimmt, landwirtschaftliche Waren der USA im Wert von 50 Mrd. USD zu kaufen, während die USA anboten, die bestehenden Zölle für chinesische Waren um bis zu 50 % zu senken. Der Konflikt ist somit also keinesfalls beigelegt, allerhöchstens kurzzeitig entschärft. Eine erneute Verschärfung kann aber zu massiven Einstürzen im Welthandel führen.

Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Der Handelskrieg zwischen den USA und China trägt allerdings auch noch ein geopolitisches, militärisches Markenzeichen, denn als neu wachsender Imperialist muss China natürlich die Vormachtstellung des US-Imperialismus global angreifen. Die chinesische Armee hat sich in einen Rüstungswettlauf mit den USA gestürzt. Die Eskalation im Konflikt zwischen den USA und dem Iran, einer zunehmend selbstsicheren Regionalmacht, verkörpert eine weitere drohende Gefahr.

Beide hängen miteinander zusammen, denn der Iran und China führen eine gute Handelsbeziehung. So gingen 27,4 % der Exporte des Irans nach China, 27,8 % der Einfuhren kommen daher. Öl, Gas und auch die Relevanz des Irans in Chinas „Seidenstraßenprojekt“ spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Der Rückgang des Welthandels und der Investitionstätigkeit hat besonders die sog. aufstrebenden Ökonomien getroffen. Deren Wachstum war in den letzten 6 Jahren fast überall niedriger als in den 6 Jahren vor Ausbruch der letzten Rezession. In Brasilien, Russland, Argentinien, Südafrika und der Ukraine gab es gar keines.

Von 2010–2018 nahm das Verhältnis von Auslandsverschuldung zum BIP der Entwicklungsländer um mehr als die Hälfte auf 168 % zu – ein schnellerer jährlicher Anstieg als während der Schuldenkrise Lateinamerikas. Laut Schuldenreport der Weltbank 2020 befinden sich 124 von 154 erfassten Ländern im kritischen Bereich kurz vor der Staatspleite, 2 mehr als im Vorjahr. 60 % dieser Länder stehen vor einer schlimmeren Situation als 2014.

Entscheidend für die Weltordnung wird also die Konkurrenz zwischen der aufstrebenden imperialistischen Großmacht China und den USA um die Weltherrschaft werden. Ihr Ringen wird den regionalen Auseinandersetzungen immer mehr ihren Stempel aufdrücken. Die Gefahr des Ausbruchs eines III. Weltkriegs wächst.

Wen trifft es besonders hart?

Es ist „natürliche“ kapitalistische Logik, dass in Zeiten der Rezession die sinkenden Profite durch Entlassungen, Kürzungen von Arbeitszeit und Lohn und andere Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse wie beispielsweise Rentenreformen aufgefangen werden sollen. So zum Beispiel aktuell in Frankreich, wo Macron mit seinen neoliberalen Reformen das Renteneintrittsalter auf 64 anheben möchte oder in Chile, wo die Regierung eine Erhöhung der Preise für öffentliche Verkehrsmittel durchsetzen wollte, aber daraufhin mit Massenprotesten konfrontiert wurde.

Die Krise wird auf dem Rücken der Arbeiter_Innenklasse ausgetragen. Jedoch trifft es hier besonders Frauen. Mit der Krise 2007/08 wurden Teilzeitjobs und Leiharbeit stark ausgebaut, damit die Kapitalist_Innen ihren Profit dennoch weiter vermehren können und zur Not ohne viel Aufwand die Arbeiter_Innen entlassen können, wenn die nächste Rezession einsetzt.

In den imperialistischen Ländern sind sie häufig von Arbeitslosigkeit und unsicheren, prekären Beschäftigungsverhältnissen geplagt. So arbeiten in Deutschland 2019 30,5 % Frauen in solchen „atypischen“ Verhältnissen, aber nur 12,2 % der Männer. Das wird als freiwillige Entscheidung für mehr Familien- oder Freizeit beispielsweise vom Bundesamt für politische Bildung gewertet, ist aber reine Ideologie, denn die unentgeltliche Reproduktionsarbeit fällt überwiegend den Frauen zu. So wird auch ausschließlich von Frauen erwartet, Job und Familie zu verbinden, und sie sind gezwungen, Teilzeit oder unsichere Jobs zu akzeptieren, wenn sie Kinder großziehen.

Auch Frauen in Halbkolonien (wie bspw. Indien oder Pakistan) sind oft im prekären Bereich beschäftigt. Hier variieren die Zahlen je nach Land zwischen 45 %-76 %. Die Beschäftigung findet hier auch oft im informellen Bereich statt, wo angemessene Bezahlung, Schwangerschaftsurlaub, eine sichere Arbeitsumgebung oder gar gewerkschaftliche Organisierung zurzeit undenkbar sind. Viele dieser Frauen arbeiten in Textilfabriken (in welchen für H&M, Primark und Co produziert wird), in sogenannten Sonderwirtschaftszonen, in denen sie für einen Hungerlohn ausgebeutet, teilweise eingesperrt und zur Arbeit gezwungen werden. Auf Sicherheit wird kaum geachtet. Oftmals kommt es zu Gebäudeeinstürzen oder Fabrikbränden neben dem Umgang mit gefährlichen Chemikalien ohne wirkliche Schutzkleidung.

Weltweit sind Frauen besonders von Armut betroffen. Demnach leben 5 Millionen mehr Frauen als Männer in extremer Armut. Des Weiteren sind mehr Frauen von Altersarmut betroffen. In Deutschland sind es 20 % der Frauen, aber nur 15 % der Männer. Das erklärt sich durch geringeren Lohn während der Arbeitszeit und Unterbrechungen zum Großziehen der Kinder.

Noch immer ist es Frauen laut UNO in 104 Ländern nicht erlaubt, bestimmte Berufe auszuüben. In 18 Ländern können Männer ihren Ehefrauen grundsätzlich verbieten zu arbeiten. So müssen Frauen in Saudi-Arabien beispielsweise für die Ausübung bezahlter Arbeit generell die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen. So spiegelt sich auch die finanzielle Abhängigkeit der Frauen wider, da sie sowohl in imperialistischen als auch in halbkolonialen Ländern nach wie vor weniger Lohn erhalten als Männer. In Deutschland sind es beispielsweise 21 %, 17,3 % in Großbritannien, in Pakistan hingegen 34 %.

Der Kampf um finanzielle Gleichstellung ist also weltweit keineswegs abgeschlossen. Aber selbstverständlich gibt es auch andere Bereiche, in denen Frauen strukturell benachteiligt werden. So kam es mit der Krise 2007/08 auch zu einem Anstieg nationalistischer Gefühle, da die Mittelschichten der imperialistischen Länder sich vor einem sozialen Absturz und dem Verlust ihrer Privilegien fürchteten. Um reaktionäre Angriffe und die Stärkung der nationalen Wirtschaft zu fördern, wurden fremdenfeindliche und chauvinistische Ideologien geschürt.

Diese sorgten auch für ein Rollback bei Frauen- und LGTBIA-Rechten. So beispielsweise der Versuch der weiteren Illegalisierung von Abtreibungen, aber auch das Aufbegehren der Rechten gegen das „Gendermainstreaming“ (die Integration der Gendergleichstellungsperspektive in politische Prozesse, wie von der Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985 festgelegt).

Dadurch kam es auch zu vermehrten gewalttätigen und sexualisierten Angriffen auf Frauen sowie auch auf die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung. So erleben auch mehr Frauen Gewalt in Beziehungen als Männer und werden auch häufiger von ihrem (Ex-)Partner ermordet. Voruntersuchungen zu einer Studie der WHO zeigen, dass 35 % der weltweiten Morde an Frauen von Intimpartnern begangen werden, aber nur 5 % aller Morde an Männern von ihren Partnerinnen. Gemeinsamer Kampf gegen Ausbeutung und für Frauenbefreiung

Gemeinsamer Kampf gegen Ausbeutung und für Frauenbefreiung

Die Auswirkung der Krise, die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse und die Unterdrückung der Frau stehen also in einem engen Verhältnis zueinander und bedingen sich teils gegenseitig. Um genug Widerstand aufbauen zu können, ist es daher wichtig, auch die männlichen Proletarier für den Kampf zur vollständigen Frauenbefreiung zu gewinnen. Gegen die kommende Krise muss sich die Gesamtklasse in Stellung bringen, ein revolutionäres Antikrisenprogramm annehmen. Um unsere Stärke und Fähigkeit zu steigern, müssen wir in alle ökonomischen und sozialen Kämpfe intervenieren, um ihre Vorhut für unsere Reihen zu gewinnen. Dieses Aktionsprogramm muss auch Antworten auf das Rollback gegen die Rechte der arbeitenden Frauen geben.

Gleichzeitig muss es aber eigene Strukturen (sog. Caucuses) innerhalb der Arbeiter_Innenbewegung (z. B. in Gewerkschaften) für Frauen geben, da sie einer doppelten Unterdrückung und spezifischen Formen sexistischer Diskriminierung unterliegen Das Gleiche trifft auf ebenso auf andere Unterdrückte (Jugendliche, MigrantInnen usw.) zu. Denn so revolutionär eine Bewegung oder eine Partei auch sein mag, niemand ist frei von im Kapitalismus erlernten Unterdrückungsmechanismen und auch in den eigenen Strukturen müssen diese diskutiert und bekämpft werden.

 Dennoch kann aber nur ein gemeinsamer internationaler Kampf der gesamten Arbeiter_Innenklasse für eine Befreiung aller Unterdrückten sorgen, der sich gegen den Kapitalismus stellt und für eine sozialistische Revolution eintritt, da die Abschaffung der unbezahlten Reproduktionsarbeit, welche unüberwindbar mit dem Kapitalismus vereint ist, ihre vollständige Sozialisierung und Aufteilung auf alle Geschlechter im Interesse der gesamten ArbeiterInnenschaft liegt, auch wenn unterm Kapitalismus ihr weiblicher Teil jene weit überwiegend verrichtet.

Wir als Marxist_Innen treten daher für eine internationale multi-ethnische, proletarische Frauenbewegung ein mit dem Recht auf gesonderte Treffen in Arbeiter_Innenorganisationen wie Gewerkschaften. Deshalb müssen diese auch massiv unter den prekär Beschäftigten rekrutieren und dürfen sich nicht auf die Verteidigung der relativ privilegierten, ausgebildeten und sicherer beschäftigten (arbeiter_innenaristokratischen) Schichten beschränken.

Daher fordern wir:

  • Gleiche Rechte für Frauen bei Wahlen, auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungswesen, an allen öffentlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen!
  • Für ein Programm gemeinnütziger öffentlicher Arbeiten mit Vollzeitstellen und auskömmlichen Tariflöhnen für Frauen, bezahlt aus Unternehmerprofiten und Vermögensbesitz!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn für alle Frauen, um ein Mindesteinkommen zu sichern, das die Reproduktionskosten deckt und ein Leben ohne Abhängigkeit vom (männlichen) Partner erlaubt!
  • Arbeitsschutz in allen Produktionsstätten! Für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung, wo es bisher verboten ist!
  • My Body, my Choice: Für das vollständige Recht auf Abtreibung ohne Fristen und Mindestalter, sexuelle Selbstbestimmung und das Prinzip des sexuellen Konsenses! Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln!
  • Kostenloser Zugang zu Gesundheitsversorgung, Pflegeeinrichtungen, Krankenversorgung und gesicherte Renten für alle Frauen! Wir fordern kostenlose und bedarfsorientierte Kinderbetreuung, öffentliche Kantinen und Wäschereien – um eine gesellschaftliche Gleichverteilung der Reproduktionsarbeiten auf alle Geschlechter sicherzustellen!
  • Um Frauen aufgrund ihrer Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit eine politische Teilnahme zu erleichtern, treten wir zudem für eine Vergesellschaftung sämtlicher Haushalts-, Sorge- und Reproduktionsarbeiten ein!
  • Recht auf Scheidung auf Wunsch! Ausbau und Sicherstellung von Schutzräumen für Frauen (wie z. B. Frauenhäuser)!
  • Kostenlose, kollektive Selbstverteidigungsstrukturen, um es Frauen zu ermöglichen, sich selbst vor Übergriffen zu schützen, unterstützt von Frauen- und Arbeiter_Innenbewegung!



Landtagswahlen im September: Mach dich fit für Diskussionen mit „besorgten Bürgern“

4 Thesen der AfD und warum sie falsch sind!

Leonie Schmidt und Ljudmila Barrett

Vielen von uns Jugendlichen dürfte wohl klar sein, dass die AfD ziemlich scheiße ist. Und gerade mit den bald stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen rücken sie und ihre Aussagen wieder ins Rampenlicht. Was aber macht man, wenn sie und ihre Anhäger_Innen oder Leute, die politisch noch nicht so richtig gefestigt sind, anfangen, ihre Meinungen zum Thema Geflüchtete, Familienpolitik, Sozialabbau und Umweltzerstörung kundzutun? Einfach ignorieren, weil sind ja eh Nazis? Oder diskutieren?

Sicherlich muss man immer unterscheiden, mit wem man es zu tun hat. Mit knallharten Neonazis oder AfD-Lokalpolitiker_Innen wird sich die Diskussion wohl kaum lohnen und es wäre eher angebracht diese Leute zu bekämpfen. Aber was ist mit dem Kumpel, der dieses Jahr das erste Mal wählt und sich nicht so richtig entscheiden kann, aber mit der AfD sympathisiert? Hier kann sich diskutieren lohnen. Auch gegen die AfD-treuen Geschichtslehrerin kann man argumentieren und so die ganze Klasse auf seine Seite ziehen.

Aus diesem Grund haben wir hier für euch einige Positionen der AfD auseinandergenommen.

1. Die AfD interessiert sich 0 für ernsthaften Umweltschutz. Die AfD will aus allen staatlichen Programmen und Vereinbarungen aussteigen, die zur Reduzierung der Umweltzerstörung führen. Begründet wird das so: hohe CO²-Werte in der Luft seien gar nicht so schlimm für die Umwelt, sondern seien die Quelle für Nährstoffe für Pflanzen und Bäume – ergo je mehr CO², umso mehr Pflanzen.

Auch behaupten sie, dass der Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte völlig natürlich und keinesfalls menschengemacht sei und dass, wer wirklich etwas für die Umwelt tun will, es doch bitte im heimatlichen Schrebergarten tun sollte.

Die AfD will sich durch ihre Argumentation aus der Verantwortung ziehen. Wenn es keine menschengemachte Klimaveränderung gibt, brauchen wir Menschen auch nichts dagegen zu tun.

Wissenschaftlich betrachtet ist ihre Aussage Bullshit. Es stimmt zwar, dass CO² ein relevanter Nährstoff fürs Pflanzenwachstum ist. Jedoch verstärkt die aktuell stetig steigende durch Menschen verursachte Konzentration von CO² in der Atmosphäre den Treibhauseffekt erheblich und kann gerade einmal zur Hälfte von Pflanzen und Ozean absorbiert werden.

Auch die Aussage, dass Warm- und Kaltzeiten völlig normal seien, ist nicht 100 prozentig falsch, jedoch verläuft der gegenwärtige globale Temperaturanstieg erwiesenermaßen schneller als die Erwärmungsphasen während der letzten zwei Jahrtausende. Außerdem deuten viele Merkmale der aktuellen Erwärmung (etwa das räumliche Trendmuster) auf den Menschen als Ursache.

Umweltschutz im heimatlichen Garten – für die Bienen und so – klingt doch erstmal gut? Naja, so einfach ist das nicht. Der Kapitalismus ist ein weltweites System und somit ist es unmöglich in seinem sächsischen Schrebergarten die Umwelt vor den bevorstehenden massiven Zerstörungen zu retten. Der Rückzug in die Dorfidylle ändert nichts an den Umweltzerstörung in nicht-imperialistischen Ländern (Halbkolonien). Diese sind hauptsächlich die Leidtragenden der Klimakatastrophe, die im Wesentlichen von imperialistischen Ländern wie Deutschland verursacht wird. Dieser Prozess sorgt auch für neue Fluchtursachen: Naturkatastrophen und verschwendete Ressourcen werden im Jahre 2050 vermutlich für 200 Millionen Geflüchtete sorgen.

2. Die AfD ist homophob und sexistisch. Die AfD ist dagegen, dass homosexuelle Paare dieselben Rechte haben wie heterosexuelle Paare. Das betrifft Erleichterungen bei der Steuerzahlung und das Adoptionsrecht. Auch spricht sich die AfD gegen das sogenannte Gender-Mainstreaming aus. Hinter dem Begriff steht, dass gesellschaftspolitische Entscheidungen die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern gleichermaßen berücksichtigen, um auf diese Weise die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen.

Die AfD hat Angst, dass die klassische Familienstruktur „ausstirbt“. Diese bürgerliche Familie, bestehend aus Mann, Frau und Kind(ern) ist weiterhin die idealtypische Vorstellung in unserer Gesellschaft. Laut rechtsradikalen und konservativen Kräften werde diese immer wieder durch Feminismus, Abtreibungen und nicht-heterosexuellen Menschen und ihren Beziehungsmodellen angegriffen.

Die AfDler_Innen leben aber nicht nur ein bisschen in der Vergangenheit. Die bürgerliche Familie hat nämlich auch einen realen Nutzen im Kapitalismus: die unbezahlte Hausarbeit. Damit Menschen arbeiten gehen und ihre volle Arbeitskraft ausschöpfen können (und somit volle Gewinne für die Bosse einfahren können), müssen sie natürlich einigermaßen gut genährt, gesund und ausgeruht sein. Damit dies gewährleistet werden kann, braucht es Hausarbeit. Obwohl es also für die Kapitalist_innen zwingend notwendig ist, dass die Arbeiter_innen wieder am nächsten Tag auf der Matte stehen können, bezahlen sie nicht dafür. Traditionell bekommt dann die Frau in der bürgerlichen Familie die Aufgabe, für Kindererziehung, Küche, Haushalt und emotionale Arbeit zu sorgen, heutzutage meist auch neben der eigentlichen Lohnarbeit. Kinder erziehen. Das bringt den Kapitalist_Innen also noch mehr Profit ein, da sie sich nicht um die Regenerierung und Reproduktion ihrer Arbeiter_Innen finanziell kümmern müssen. Mit der Emanzipation der Frau und LGTBIA*-Menschen wird dieses traditionelle Familienbild aber aufgebrochen, klar also, dass die AfD, die die Interessen der Kapitalist_Innen vertritt, etwas dagegen hat! Logischerweise ist unbezahlte Arbeit aber super scheiße und LGTBIA*-Menschen und Frauen unterdrücken natürlich auch. Deswegen sind wir für die Vergesellschaftung der Hausarbeit – raus aus der einzelnen Familie, rein in die solidarische Gesellschaft!

3. Die AfD ist neoliberal. Die AfD versucht sich immer wieder als neue Partei des kleinen Mannes darzustellen. Ob durch Gauland, der die AfD konkret als „Partei der kleinen Leute“ bezeichnete oder auf Wahlplakaten mit Aufschriften wie „Vertritt die Interessen der kleinen Leute, statt sie zu verraten“ oder „Grenzen sichern. Sozialstaat schützen.“ Leider war sie damit oft erfolgreich.

Gegen das „Establishment“, gegen die „Lügenpresse“, gegen die „herrschende Elite“: bei vielen Lohnabhängigen, die sich von ihren traditionellen Interessenvertreter_Innen im Stich gelassen fühlen, fallen diese Slogans auf fruchtbaren Boden. Mit dem Wahlkampfmotto „Wende 2.0“ stellt sie sich nun vor den Landtagswahlen als die einzige Partei dar, die die Sorgen und Nöte der Menschen im Osten Deutschlands aufgreife. Dabei entspringt die Partei genau der Elite, gegen die sie anzukämpfen scheint. In der Gründungssituation verstand sich die AfD nicht als „Anti- Establishmentpartei“, sondern als nationalkonservativ und neoliberal orientierte Partei, gegründet von Professor_Innen und Wirtschaftsführer_Innen. Mitgründer Bernd Lucke trat schon etwa 2005 mit dem „Hamburger Appell“ in Erscheinung, unterstützt von hunderten Wirtschaftswissenschaftler_Innen, die die Agenda 2010 verschärfen wollten, also für massive Kürzungen für Arbeitslose und Streichung von Urlaubsansprüchen für Geringverdiener_Innen eintraten.

Ganz im Gegensatz hat die AfD nämlich in der Gesamtheit ihrer formulierten Ziele etwa jeder sozialen Gruppe außer den deutschen Unternehmer_innen übel mitgespielt Die AfD möchte den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft insgesamt erheblich schwächen und den Unternehmen mehr Spielraum geben. Sie tritt für eine Rückbesinnung auf seine 4 Grundpfeiler, die „innere und äußere Sicherheit, Justiz, auswärtige Beziehungen und Finanzverwaltung“, ein. Je mehr Wettbewerb, desto besser. Also: Deregulierungen des Marktes, Steuerungerechtigkeit, finanzielle Abstrafung von Alleinerziehenden, weitere Ausweitung von Leih- und Zeitarbeit und Erleichterung von Entlassungen.

Ginge es nach der AfD, würde die Bundesagentur für Arbeit aufgelöst und ihre übrigen Aufgaben von kommunalen Ämtern, Krankenkassen und privatwirtschaftlichen Versicherungen getragen werden. Der Bezug von Arbeitslosengeld I soll für Menschen, die nicht jahrzehntelang gearbeitet haben, eingeschränkt, vor allem aber das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) durch eine „aktivierende Grundsicherung“ ersetzt werden. Das heißt: Sanktionen bis zum Entzug des Geldes, kombiniert mit „Beschäftigungsanreizen“. Dazu gehört die Nichtverrechnung von Teilen des Einkommens von Hartz IV-Bezieher_Innen, die einen Teilzeitjob haben oder einer prekären Beschäftigung nachgehen.

Arbeitslose sollen kein Geld vom Staat erhalten, sondern für zwangsweise verrichtete gemeinnützige Arbeit 1000 Euro im Monat erhalten. Durch privatisierte Arbeitslosen- und Unfallversicherung bliebe es Arbeitnehmer_Innen selbst überlassen, sich gegen Arbeitslosigkeit oder Unfälle zu versichern. Je höher das Risiko, desto höhere Beiträge würden die Versicherungen erheben, wodurch gerade diejenigen, die besonders vom Risiko betroffen sind, Probleme mit der Finanzierung der Versicherung bekämen.

Das Rentenalter soll parallel zum Anstieg der Lebenserwartung erhöht werden. Pflege von Alten und Kranken soll im Rahmen der familiären Umgebung erfolgen. Die AfD greift damit alle Lohnabhängigen massiv an und unterstützt die weitere Verarmung der Bevölkerung.

Für die Reichen hingegen hat die AfD mehrere Geschenke im Programm: die Vermögens- und Erbschaftssteuer soll komplett abgeschafft sowie die Gewerbesteuer massiv gekürzt werden. Das Steuersystem will sie dahingehend ändern, dass der Spitzensteuersatz bei 25 prozentiger Besteuerung stehen bleibt, während er jetzt bei 45% liegt. Durch die umfassende Steuersenkung verlöre der Staat eine seiner wichtigsten Einnahmequellen, weshalb das Ziel der AfD, die Staatsschulden zu liquidieren, also zwangsläufig über Kürzungen von Sozialleistungen und Infrastrukturausgaben erreicht werden müsste. Die AfD weiß jedoch, dass sie als politische Akteure erst zu umfassendem Einfluss gelangen können, wenn ihnen die Verklärung ihres Eigeninteresses als Interesse der Allgemeinheit gelingt. Sie wissen diesen Effekt geschickt durch die Darstellung aller feindlichen politischen Akteure als dem allgemeinen Interesse bewusst zuwiderhandelnd zu verstärken. Die Partei will den Eindruck erwecken, gegen die gesellschaftliche Spaltung anzugehen, wobei sie tatsächlich die Spaltung zwischen Arm und Reich weiter verstärken möchte.

Wie schafft die AfD es, diese Widersprüche zu kaschieren?

4. Die AfD ist rassistisch. Die ekelhafte Hetze der AfD gegen Geflüchtete ist nichts Neues. Seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 hat die Partei diese zu ihrem Hauptthema gemacht. Einzelne Aussagen von Politiker_Innen der AfD sorgten immer wieder für Aufsehen, wie etwa von Poggenburg, der die hier lebenden Deutsch-Türk_Innen als „Kümmelhändler“ und „Kameltreiber“ bezeichnete oder Beatrix von Storch, die sich für den Schießbefehl an der Grenze aussprach, um sie am Grenzübertritt zu hindern. Frau von Storch zog sich mit der Aussage, sie sei auf der Maus ausgerutscht, aus der Verantwortung, und auch andere solche demaskierenden Ereignisse wurden versucht als Einzelaussagen, teils als Ausrutscher, zu vertuschen. Doch uns ist klar, dass sich nicht zufällig Politiker mit solchen Einstellungen in der AfD tummeln – kein Teil der AfD kommt ohne Rassismus aus, jeder Flügel der Partei ist davon durchzogen.

Die AfD lenkt die berechtigte Unzufriedenheit von sozial Schwachen und Abstiegsgefährdeten gegenüber dem Staat auf Menschen mit Migrationshintergrund. Die Darstellung von Zuwanderung und Flucht als gesteuerte und von etablierten Parteien und Medien geförderte Bedrohung für das „deutsche Volk“ und dessen Kultur verstärkt und festigt den Ausländerhass von AfD-Anhänger_Innen, der seinen Ausdruck in Hetzjagden und Anschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte fand. Die angebliche Ausbreitung des Islams und die „Präsenz einer ständig wachsenden Zahl von Muslimen“ stellt laut dem Grundsatzprogramm der AfD „eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung“ dar. Diese konstruierte Bedrohung dient als Legitimation für diverse rassistische Maßnahmen: die AfD will beispielsweise islamischen Verbänden ihren Körperschaftsstatus absprechen, Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst durchsetzen und den Bau und Betrieb von Moscheen beschränken.

Die wirtschaftlichen Interessen bieten dem Rassismus einen hervorragenden Anknüpfungspunkt. In der Asylpolitik bezieht sich die Partei positiv auf die australischen und kanadischen Einwanderungsgesetze, in denen die wirtschaftliche Verwertbarkeit ausdrücklich im Zentrum der Einwanderungspolitik steht. Sie soll sich ausschließlich an der Integrationsfähigkeit und den Bedürfnissen der eigenen Wirtschaft orientieren. Die Aufweichung des Abstammungsprinzips beim Einbürgerungsrecht wird kritisiert, die Zulassung einer doppelten Staatsbürgerschaft bis auf wenigste Ausnahmen abgelehnt. Im Programm wird von einer tödlichen Bedrohung des Fortbestands von Nation und kultureller Einheit durch die „Ideologie des Multikulturalismus“ gesprochen. Höcke spricht sich für eine Obergrenze unter 200.000 und eine massive Ausweitung der Abschiebungen aus.

Mit dem Rassismus nutzt die Partei ein umfassendes Mittel zum Ansprechen von Wählern_Innen aus verschiedensten Interessensgruppen. Die beängstigten Kapitalist_Innen und Kleinbürger_Innen beruhigt sie mit dem Gedanken an Schutz vor weiterer Konkurrenz durch die Abschottung der deutschen Wirtschaft durch den Ausstieg aus dem Euro. Den Lohnabhängigen wird gemäßigter Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt durch weniger Geflüchtete und Migrant_Innen versprochen. Auch den Erwerbslosen oder prekär Beschäftigten erscheint es als Verbesserung der Konkurrenzsituation, wenn der Sozialstaat sich weniger um die Geflüchteten, mehr um sie kümmern kann.

Die AfD organisiert die soziale Unzufriedenheit ihrer Wähler_Innenschaft mit der Verbreitung nationalistischer, völkischer und rassistischer Hetze. Von solchen Kräften, die die Solidarität der Arbeiter_Innenklasse zu untergraben suchen und breite Teile ihrer Wähler_Innenschaft taktisch gezielt täuschen, um an Macht zu kommen, geht die eigentliche Bedrohung aus.




Sexismus & Influencer_Innen

von Svea Hualidu

Wo guckst du nach, wenn dein Laptop ein Problem hat, dein_e Lieblingssänger_In einen neuen Track rausbringt oder du dir die neuesten Trailer von Game of Thrones angucken willst? Richtig, YouTube. Das sind nur wenige Beispiele, wofür wir diese Webseite täglich nutzen. Aber YouTube ist mittlerweile mehr als nur eine bloße Informationssammlung. Zusammen mit Streamingseiten hat es das Fernsehen fast ersetzt.  Angefangen hat es mit Let’s Plays, Schminktutorials oder Vloggern, die unterhalten wollen, doch seitdem die Influencerbranche immer größer wird, setzen auch Unternehmen immer stärker auf dieses Medium.

Dabei ist eines besonders markant: Die klischeehafte Geschlechterrollenverteilung. Anfang diesen Jahres veröffentlichte die Malisa Stiftung eine Studie zum Thema „weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien“. Hierbei wurden bei den 100 größten Youtubekanälen die prozentualen Geschlechteranteile verglichen. Demnach machen Frauen eher Content im Bereich Schminken, Basteln, Nähen und Männer vorwiegend Videos im Bereich Comedy, Gaming und Politik. Auch bei  Apps wie Instagram geht es auf den meisten weiblichen Accounts nur um Outfits, die neuesten Beauty-Produkte und was eine Frau eben (essen) darf und was nicht. Das ist eigentlich kein Wunder: Die gleiche Darstellung spiegelt sich in der gesamten Entertainmentbranche wider, in der Frauen beispielsweise selten starke Hauptrollen besetzen oder weibliche Rapperinnen eine Rarität sind. Das Reduzieren von Frauen auf ihren Körper ist Alltag – ob nun in Werbung, einem Musikvideo oder in Filmen.

Warum ist das so?

Wir glauben nicht daran, dass Social-Media-Kanäle Schuld daran sind. Sicherlich beeinflussen sie viele von uns, aber sie sind ein Produkt von den gesellschaftlichen Verhältnissen in denen wir leben. Wenn junge Frauen, um erfolgreich zu sein, sich hauptsächlich mit kochen, basteln und gut aussehen beschäftigen, dann reproduzieren sie dabei die Rollenteilung, die es in der bürgerlichen Familie gibt. Hier geht der Mann arbeiten, da er oftmals mehr verdient und die Frau bleibt zu Hause oder ist teilzeitbeschäftigt und kümmert sich um Angehörige und schmeißt den Haushalt. Dies liegt daran, dass diese Form der Familie mehrere Funktionen erfüllt. Während sie für die Kapitalist_Innen die Weitergabe von Besitz durch Vererbung klärt, dient sie für die Arbeiter_Innenklasse als Ort zur Reproduktion. Das ist für die Kapitalist_Innen sehr günstig – denn sie müssen die Kosten für die Arbeit für’s kochen, Wäsche waschen, der Kindererziehung oder auch der emotionalen Arbeit nicht bezahlen. Dies ist Teil der systematischen Frauenunterdrückung, die sich der Kapitalismus zu Nutze macht und die er auch ideologisch reproduziert – auch durch Social Media. Leider können wir an dieser Stelle nicht ausführen, wie diese entstanden ist, doch wer mehr dazu lesen will findet auf unserer Homepage den Artikel „Was ist Sexismus?“, der dies näher erläutert.

Wie ändern wir das?

Sicherlich gibt es auch fortschrittlichere Kanäle oder Accounts, die sich kritisch mit Rollenbildern oder Konsum auseinander setzen. So sind sogenannte „Body-Positivity“- oder „Self-Love“-Accounts, auf denen Themen wie Diversity, Depression oder Essstörungen angesprochen werden, ein Anfang.

Doch wir können die Gesellschaft nicht allein damit verändern, indem wir fortschrittliche Dinge posten. Zwar kann auf der einen Seite dies das gesellschaftliche Bewusstsein nur minimal beeinflussen, auf der anderen Seite haben sie auch keine unendliche Reichweite: Faktoren wie der Algorithmus, der uns immer nur eine Art von Accounts vorschlägt und der Einfluss von Unternehmen in Instagram,Youtube & Co. werden dafür sorgen. Deswegen müssen gleichzeitig das Problem an der Wurzel packen. Der Kampf gegen Rollenbilder & nervige Klischees, die uns einzwängen, müssen mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbunden werden!

Deswegen fordern wir:

  • Gegen unterdrückerische Schönheitsideale in Werbung und Medien! Enteignet die großen Medienhäuser und die „kulturschaffende“ Industrie (Gameentwickler, Filmproduktionen,..) genauso wie Google, Facebook und Co.!
  • Für organisierte Medienarbeit durch Räte aus Zuschauer_Innen, Arbeiter_Innen und Kreative ohne die Reproduktion von Unterdrückung!
  • Für eine internationale, proletarische Frauenbewegung!