FASCHIST_INNEN BLOCKIEREN: Gemeinsam gegen die Naziaufmärsche in Dresden!

Aus: Widerworte #2, Januar 2023 – Bild von Twitter @tmoeritz

Dieses Jahr finden am 10./11./12./13.2. wieder die alljährlichen rechtsextremen Proteste in Dresden statt, die das Thema der Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg für sich instrumentalisieren. Hierbei betreiben die Nazis offenen Geschichtsrevisionismus und nennen die Bombardierung Dresdens „Den Bombenholocaust“, der 250.000 Opfer gefordert haben soll, so zumindest laut dem Fronttransparent vom letzten Jahr. Dabei ist die Bombardierung Dresdens ein Ereignis, das tatsächlich stattgefunden hat: Im Jahre 1945, am Ende des 2. Weltkrieges bombardierten britische Flugzeuge in der Nacht zum 13. Februar Dresden. Über Jahre hinweg gab es verschiedenste Schätzungen zu Opferzahlen mit den unterschiedlichsten Ergebnissen, doch laut Ermittlungen starben bei der Bombardierung etwa 22.700 – 25.000 Menschen.

Diese Fakten interessieren die Nazis aber nicht, sie haben in der Bombardierung Dresdens ein Ereignis gefunden, das man mit verdrehten Fakten für sich instrumentalisieren & emotionalisieren kann. Denn das, was sie machen, das Sprechen von einem angeblichen „Bombenholocaust“, relativiert schlicht und ergreifend den Holocaust, indem es einen übertriebenen Opfermythos erzeugt, der die Bombardierung Dresdens mit dem Holocaust gleichsetzt.

Doch mit diesem Thema haben es die Nazis in den letzten Jahrzehnten geschafft, rund um den 13.2. viele Rechte auf ihre Demo zu mobilisieren. Begonnen hat diese Tradition 2000 mit einem durch eine rechtsextreme Organisation initiierten „Trauermarsch“. Lagen die Teilnehmer_Innenzahlen 2000 noch bei knapp 500 stiegen sie bis zu ihrem Höhepunkt im Jahre 2005 auf 6500 Teilnehmer_Innen an und stellten den zur damaligen Zeit größten Neonazi-Aufmarsch in Europa dar. In den darauffolgenden Jahren verkleinerte sich die Zahl der rechten Demonstranten, auch aufgrund des Gegenprotestes, der immer präsenter wurde. Vor allem während der Pandemie sanken die Teilnehmer_Innenzahlen immer mehr, sodass auf rechter Seite im letzten Jahr lediglich 400-750 Menschen mobilisiert werden konnten.

Warum betrifft uns der Rechtsruck als Jugendliche und Schüler_Innen?

Dass es seit den späten 00ern in ganz Europa einen starken Rechtsruck gibt und dass dieser in den letzten Jahren noch mal einen gewaltigen Aufschwung erlebt hat, ist kein Zufall. Das lag an der Finanzkrise 2008, die nie wirklich aufgelöst wurde und dem erneuten Zusammenbrechen der Wirtschaft im Zuge der Corona Pandemie. In Zeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unsicherheit wie Kriegen oder Krisen des Kapitalismus beginnen mehr und mehr Menschen am „Weiter wie bisher!“, am kapitalistischen Status Quo zu zweifeln.

Leider führen diese Zweifel nicht bei allen dazu, das gesamte System zu hinterfragen und sich für eine komplett neue gerechtere Gesellschaftsordnung einzusetzen. Bei vielen anderen ist der Glaube an den Kapitalismus als Naturgesetz so tief verankert, dass sie nach anderen Erklärungen suchen. Für sie leben wir in einem fundamental gerechten System. Wenn es ihnen und ihrem Umfeld beginnt, schlechter zu gehen, dann liegt das nicht am System selbst, sondern daran, dass es missbraucht wird. An einzelnen korrupten Politiker_Innen, einer großen Verschwörung, ‚Eliten‘, Schattenregierungen und „Globalisten“ (womit übrigens fast immer Jüdinnen und Juden gemeint sind). Für sie müssen einfach die richtigen starken Männer an die Macht, die all die Verschwörer_Innen verjagen und wieder Frieden und Wohlstand ins Reich einkehren lassen.

Und die, die gerne solche starken Männer wären, wissen, wie sie die Zeiten der Unsicherheit nutzen können. Indem sie weiter Angst und Hass schüren, um Menschen zu sich zu treiben.

Und sollten sie das tatsächlich schaffen, sieht es für uns Jugendliche finster aus. Was noch mehr und offener Rassismus für nichtweiße Jugendliche bedeutet, muss man gar nicht erst ausführen, aber auch darüber hinaus ist mit Einigem zu rechnen. So greifen Rechte auch massiv in jedes einzelne Leben ein. Sie propagieren die bürgerliche Kleinfamilie mit der fürsorglichen und aufopfernden Mutter, dem strengen, gerechten Vater, der als allmächtiger Patriarch über die Familie verfügt und ihren braven weißen Kindern. Platz für abweichende Geschlechtsidentitäten, Sexualitäten oder schlicht und einfach Jugendliche mit einem eigenen Willen ist hier nicht.

Die finanzielle und rechtliche Abhängigkeit Jugendlicher von den Eltern und von Frauen gegenüber ihren Ehemännern ist für sie begrüßenswert und alles was sie schmälern könnte, lehnen sie ab. Sie versuchen uns Rollenbilder aufzuzwingen und all die bereits erkämpften Fortschritte wieder einzustampfen.

Auch die Krise selbst, für die die Rechten keine Lösung haben, trifft uns als Jugendliche besonders hart. Bildung ist das Erste, an dem gespart wird und auch die Jugendarbeitslosigkeit liegt meist noch deutlich über dem Durchschnitt. Azubis und studentische Hilfskräfte sind die ersten, die gefeuert werden und dadurch auch oft gezwungen, zu ihren Eltern zurückzuziehen oder gar nicht erst auszuziehen. So können sie sich nicht frei entfalten und ins selbständige Leben übergehen. All das sind Konsequenzen von Krise, Kapitalismus und Rechtsruck und sie treffen uns alle. Deswegen müssen wir uns auch alle kollektiv dagegen wehren!

Geht auf die Gegenkundgebungen und beteiligt euch an Aktionen rund um den 13.2., um den Nazis zu zeigen, dass wir ihnen ihren Opfermythos nicht abnehmen. Zur Vorbereitung darauf findet morgen (4.2.) um 16 Uhr ein Demotraining in Dresden (Zentralwerk, Riesaer Str. 32) von uns statt!

Aber lasst es nicht dabei! Wir müssen auch selbst Perspektiven aufzeigen und eine internationale Bewegung als Antwort auf die Krise aufbauen. Wir müssen uns organisieren, an Schulen, Unis und Betrieben. Antirassistische Komitees gründen, uns kollektiv selbst schützen und Nazis keinen Raum mehr lassen, auf der Straße oder anderswo. Wir müssen ankämpfen gegen Sparmaßnahmen in der Bildung und im Sozialen. Nicht wir sollten die Krise zahlen, sondern die, die an ihr noch reicher geworden sind! Gegen sexuelle Unterdrückung und für die körperliche Selbstbestimmung aller! Gegen aufgezwungene Rollenbilder, unausweichliche Ausbeutung und unfreiwillige Abhängigkeit von einer Familie, die man sich nicht selbst ausgesucht hat!




Gegen jeden Antisemitismus!

Statement von anti-imperialistischen Kräften in FridaysForFuture, erschienen im Januar 2023

Unsere Anmerkungen

Wir solidarisieren uns mit den anti-imperialistischen Kräften in FridaysForFuture, die Klimagerechtigkeit auch wirklich

Wir solidarisieren uns mit den anti-imperialistischen Kräften in FridaysForFuture (FFF), die Klimagerechtigkeit auch wirklich ernst meinen und nicht einzelne Bevölkerungsgruppen davon ausschließen. Der unten dargestellte Fall reiht sich ein in mehrere undemokratische und rassistische Äußerungen der Führung von FFF, sei es gegenüber „Palästina spricht“ in Bremen, gegenüber Ali Kocak in Berlin oder in zahlreichen Tweets und Posts im Internet. Um so wichtiger ist es, dass wir uns nicht mundtot machen lassen und die Politik der Führungsfiguren von FFF gemeinsam in Frage stellen und eine internationalistische Perspektive aufwerfen.
Deshlab spiegeln wir an dieser Stelle das folgende Statement von antirassistischen Aktivist_innen innherhalb von FFF. Dabei möchten wir jedoch darauf verweisen, dass wir einen anderen Antisemitismusbegriff haben und halten einige Darstellungen in dem Statement für verkürzt. Deshalb sei an dieser Stelle auf unseren Artikel „Was ist Antisemitismus?“ verwiesen. In unserem Programm findet ihr außerdem, was eigentlich unsere Position zum Nah-Ost-Konflikt ist. Wir stehen den Autor_innen des Statements jedoch solidarisch zur Seite und fordern alle Internationalist_innen in FFF auf, die rassistische und undemokratische Politik der Führung von FFF offen zu kritisieren. What do we want? Climate Justice!

https://onesolutionrevolution.de/smash-fascism/

https://onesolutionrevolution.de/was-ist-antisemitismus-und-wie-kann-er-bekaempft-werden/

Statement:

Seit Beginn des Jahres wurden min. 32 Palästinenser*innen von der IDF ermordet, dass sind mehr Menschen als das Jahr Tage hat. Trotzdessen hat sich FFF Deutschland (@FridayForFuture) erneut von einem Tweet von FFF International (@fridays4future) distanziert, welcher diese Fakten auf den Tisch gelegt und sich hinter widerständige Palästinenser*innen gestellt hat. Sie unterstellen FFF Int. Antisemitismus und verschieben den Diskurs, indem sie behaupten, dass verkürzte Darstellungen gemacht würden und der Konflikt „zu komplex“ sei.

Es handelt sich um einen Konflikt mit einer unterdrückenden und einer unterdrückten Partei. Die Toten werden schlichtweg ignoriert.

Da fragen wir uns, sind die Almans mit ihrem Lastenrad gegen eine Wand gefahren? Hat der Grünen-Sticker jetzt einen Kratzer? Das würde ihnen wahrscheinlich mehr bedeuten als 32 ermordete Menschen.

Kritik an Apartheid und Siedlungskolonialismus ist kein Antisemitismus, sondern „antikoloniale Pflicht“. So formulierten es unsere Genoss*innen von BiPoC for Future unter dem Tweet von FFF Deutschland, & dem können wir uns nur anschließen.

Israel ist, um es einmal ganz deutlich auszudrücken, ein neokolonialer Apartheidsstaat¹ mit einer rechtsextremen Regierung!

Die neue israelische Regierung hat kein Interesse an einer 2-Staaten-Lösung und macht diese zunichte. Gerade wird mehr über das Wort „Intifada“ geredet als über Apartheid. Um das eben abzuschließen: „Intifada²“ ist ein arabisches Wort und steht für „Aufstand“ bzw. „sich erheben“.

Die palästinensischen Intifadas waren Aufstände gegen ihre Unterdrückung und Ermordung. Sie machten Gebrauch von Massenprotesten, Generalstreiks, Frauenkomitees, selbstversorgenden Rätestrukturen von unten, Massenboykott bis hin zu militantem Widerstand. Angriffe auf Zivilist*innen unterstützen wir natürlich nicht. Intifada hat nichts mit „Vernichtungsantisemitismus“ oder gar „alle Jüd*innen ermorden“ zu tun. Hier wird Staat und Religion gleichgesetzt. Es möge argumentiert werden, dass Israel aber ein oder gar der einzige Safe-Space für Jüd*innen sei. Doch ein kapitalistischer Staat kann niemals ein Safe-Space sein. Es geht der israelischen Regierung nicht um die Menschen, sondern um Zahlen & Prozente. Auch sind einige Jüd*innen in Israel nicht sicher, jene, die arabisch-sprachig und oder Schwarz sind.

Und was ist eigentlich mit den Jüd*innen in Israel und auf der ganzen Welt, welche die Idee des Zionismus ablehnen? Auch diese sind dort keinesfalls sicher. Unser Ziel sollte sein, eine intersektionale Gesellschaft aufzubauen, in der alle Menschen sicher sind.

Erwähnenswert ist auch, dass selbst Shoa-Überlebende, wie Esther Bejarano, zu Lebzeiten von den gleichen Leuten als „Antisemitin“ diffamiert wurde, weil sie sich für palästinensische Menschenrechte eingesetzt hat.

Übrigens:

Die Distanzierung von dem Tweet wurde mit der FFF-Bewegung in Deutschland nicht einmal abgesprochen. Das, was die deutsche Fridays for Future-„Bundesebene“ gerade abzieht, ist schlichtweg undemokratisch. Das zeigt einmal wieder die extremen Machtstrukturen innerhalb von FFF Deutschland. Auch behauptet die Bundesebene, dass FFF Deutschland die IHRA-Definition von Antisemitismus übernommen hätte, was zu keinem Zeitpunkt besprochen oder beschlossen wurde. Sogar Jüd*innen die eine andere Meinung vertreten, werden nicht gehört. Zur IHRA-Definition hat auch die Rosa Luxemburg Stiftung eine empfehlenswerte Analyse gemacht³.

Es hat sich ein weiteres Mal gezeigt, wenn die deutsche FFF-Bundesebene int. Klimagerechtigkeit sagt, meint sie das nicht wörtlich, schon gar nicht, wenn es um antikoloniale Klimagerechtigkeit geht.

Vertraut den Drecksliberalen nicht!

Hoch die internationale Solidarität!

Yallah Intifada!

¹ 1. https://www.un.org/en/genocideprevention/documents/atrocity-crimes/Doc.10_International%20Convention%20on%20the%20Suppression%20and%20Punishment%20of%20the%20Crime%20of%20Apartheid.pdf

2. https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apartheid/#:~:text=This%20is%20apartheid.,order%20to%20benefit%20Jewish%20Israelis

3. https://www.hrw.org/report/2021/04/27/threshold-crossed/israeli-authorities-and-crimes-apartheid-and-persecution

4. https://www.btselem.org/apartheid

²Arabisch – Sich erheben, loswerden, abschütteln

³https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/rls_papers/Papers_2-2019_Antisemitismus.pdf




Silvester 2022: Nach den Böllern kommt der Rassismus

145 Menschen hat die Polizei lt. Tagesschau bundesweit im Zusammenhang mit Silvesterkrawallen festgenommen, rund zwei Drittel entfielen auf Berlin. Diese sollen nicht nur Einsatzkräfte der Polizei, sondern auch der Feuerwehren, teilweise auch Passant:innen gezielt mit Böllern und Feuerwerkskörpern beschossen haben.

Silvesterkrawalle sind nun nichts total Neues in Deutschland – und erst recht nicht zahlreiche Verletzungen, Schlägereien, Unfälle bei den Neujahrsfeiern. Und ebenso wenig neu ist die fast schon alljährliche Debatte um das Verkaufsverbot von Böllern und Feuerwerkskörpern.

Es mag auch gut sein, dass die Zahl der Einsätze der Polizei und auch direkter bewusster Übergriffe und Angriffe auf Beamt:innen in diesem Jahr nach der Coronapandemie nach oben ging. Dass es sich dabei um eine neue Qualität handelt, muss aber in Zweifel gezogen werden. Bevor wir uns jedoch damit beschäftigen, müssen wir darauf eingehen, was wirklich neu ist: das Ausmaß an offen rassistischer Zuschreibung durch die bürgerliche Politik.

Rassismus und Law and Order

Nachdem sich der Rauch der Feuerwerke längst verzogen hat, legen Politiker:innen und sog. Expert:innen nach. CDU-Fraktionsvize Spahn, einst ein Shootingstar seiner Partei, bringt sich mit rassistischen Zuschreibungen und Law-and-Order-Parolen ins Gespräch – und macht auch gleich die Ursachen für eine angeblich neue Qualität von Rowdytum aus: „ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat“. Die Berliner CDU und FDP legen nach:

„Der CDU-Bezirksstadtrat für Soziales in Neukölln, Falko Liecke, wurde der Berliner Zeitung gegenüber deutlicher. In Neukölln sei eine ‚komplette Parallelgesellschaft herangewachsen, die mit unseren Staatsorganen, der Polizei und unserem Bildungssystem nichts zu tun hat’. Die FDP-Bundesabgeordnete Katja Adler sprach auf Twitter von ‚kultureller Überfremdung’. Der innenpolitische Sprecher der Jungen Union NRW, Manuel Ostermann, ging noch weiter. Das Problem seien ‚nicht die Böller, sondern der asoziale Mob, der damit nicht umgehen kann’, schrieb er. Im Gespräch mit der Bild-Zeitung bedauerte er den Mangel deutscher Grenzkontrollen. Der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries scheint bisweilen die Rassentheorie für sich wiederentdeckt zu haben: Wollen wir Krawalle in Großstädten bekämpfen, schrieb er auf Twitter, ‚müssen wir auch über die Rolle von Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp sprechen’.“ (https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/silvesternacht-die-boeller-debatte-ist-rassistisch-li.303337)

Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft DPolG im Deutschen Beamtenbund, Rainer Wendt, stößt ins selbe Horn und verweist auf das „Migrantenmilieu“ als Hort mangelnder Staatstreue. Zudem fordern Polizei- und Feuerwehrgewerkschaften stärkere Überwachung und Videocams.

Da fällt es der AfD und wohl auch so manchem Hardcorenazi schwer, sich nach rechts abzusetzen. AfD-Vorsitzende und -Bundessprecherin Alice Weidel versucht es dennoch und wendet sich gegen jede Erleichterung der Einbürgerung: „Ab diesem Jahr werden all die ‚Menschen‘ eingebürgert. Dann können die Medien ohne schlechtes Gewissen schreiben, dass ‚Deutsche‘ Einsatzkräfte attackierten.“ (https://www.belltower.news/rassistische-narrative-nach-silvester-neues-jahr-alte-hetze-144885/)

Laut Weidel und Co. kann es sich beim „Mob“ überhaupt um keine echten Deutschen, allenfalls nur um „Passdeutsche“ gehandelt haben. Selbst von Menschen mag sie nur unter Anführungszeichen sprechen – und setzt so den rassistischen Zuschreibungen von Liberalen und Konservativen noch eins drauf.

Bürgerliche Öffentlichkeit und Expert:innen

Während ein Teil der bürgerlichen Medien vor rassistischen Zuschreibungen warnt, fordern sog. Qualitätsmedien wie die FAZ, dass nicht weiter abgewiegelt werde, wenn es um Gewalt und Migration gehe. So lobt ihr Redakteur Jasper von Altenbockum den „Mut“ von Spahn und NRW-Innenminister Herbert Reul. die entgegen einer angeblichen Relativierungskultur die „Wahrheit“ ausgesprochen hätten. Schelte gibt es für den Berliner Senat, dem „in solchen Situationen die Worte ‚Linksextremisten’ oder ‚Migranten’“ nicht über die Lippen kommen könnten.

Doch nicht nur die bürgerliche Presse verkehrt die Lage so, also würden über Jahre Migrant:innen oder auch „Linksextreme“ diskursiv geschont, also würden jene, die die veröffentlichte Meinung privatkapitalistisch oder staatlich kontrollieren, vor lauter „Gutmenschen“ nicht mehr zu Wort kommen.

In solchen Situationen werden auch vorgebliche Expert:innen wie der Psychologe Ahmad Mansour gern in der Tageschau und anderen Medien zu Rate gezogen. Sie fabulieren dann von einer „puren Lust an Gewalt“, die auf den Straßen ausgelebt würde. Und weiter: „Es hat aber auch mit patriarchalischen Strukturen zu tun, die dazu führen, dass diese Menschen unseren Rechtsstaat, unsere Polizei, unsere Rettungskräfte als etwas Schwaches wahrnehmen, das man attackieren darf.“ (https://www.tagesschau.de/inland/silvester-gewalt-gegen-polizisten-101.html)

Lassen wir einmal beiseite, dass es an „patriarchalen Strukturen“ auch in „deutschen Milieus“ nicht mangelt, so erhebt sich doch die Frage, warum „unsere Polizei“ nur für wenige Stunden zu Silvester als „etwas Schwaches“ wahrgenommen wird, warum beim racial profiling in Neukölln und anderswo migrantische Jugendliche schikaniert, unterdrückt und Opfer von polizeilicher Gewalt werden?

Die These von der „Schwäche“ des Staates stellt die realen Verhältnisse einfach auf den Kopf. In Wirklichkeit leben die Menschen in keiner „Parallelgesellschaft“, sondern am Rand einer Gesellschaft, die sie nur als Marginalisierte, als billige, entrechtete Arbeitskräfte braucht, deren Wohnviertel gentrifiziert werden (auf Berlin-Kreuzberg folgt zur Zeit Neukölln). Nicht mangelnde „Integrationsbemühungen“, sondern systematische Diskriminierung und Verweigerung realer Integration prägen den Alltag. Die „Silvesterkrawalle“ sind kein Zeichen der Machtlosigkeit des Staates, sondern kurzfristige, emeutenhafte Äußerung der realen Machtlosigkeit Jugendlicher.

Verkehrung

Das polizeiliche, konservative, liberale und rassistische Narrativ stellt das faktisch auf den Kopf. Wer auf gesellschaftliche Ursachen auch nur im bürgerlich-demokratischen Sinn verweist, wird von der FAZ und anderen der Relativierung bezichtigt.

Zugleich werden einzelne, aus der Lebenssituation entrechteter und marginalisierter Jugendlicher entstehende gewaltsame Ausbrüche zu einem „kriminellen Migrantenmilieu“ konstruiert, das vorzugsweise vom Islam geprägt sein soll. Kriminalität, Angriffe auf die Polizei werden zur Tat von Migrant:innen.

Warum eigentlich sollen Menschen einen Staat und seine Repressionsorgane „respektieren“ und schätzen, der sie bei der streng reglementierten Einreise bürokratisch schikaniert und als Menschen 2. Klasse behandelt? Warum sollen Menschen einen Staat „respektieren“, der Geflüchteten über Jahre einen sicheren Aufenthaltsstatus, einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt und gleiche demokratische Rechte verwehrt? Warum sollten Menschen einen Staat „respektieren“, der Immobilienhaie schützt, wenn sie deren Wohnungen räumen? Warum sollen Menschen einen Staat „respektieren“, dessen Beamt:innen in der Regel als verlängerter Arm der Unterdrückung fungieren?

Es ist nichts „Überraschendes“ an solchen gelegentlichen Gewaltausbrüchen. Auch dass diese unter anderem in Berlin-Neukölln und Kreuzberg stattfanden, sollte niemanden verwundern – schließlich sind dies auch Zentren der Verdrängung der Armen. Im Grunde handelt es sich dabei um eine gewaltsame Äußerung von Wut und Frustration Marginalisierter, um einen, wenn auch blinden Ausbruch gesellschaftlicher Ohnmacht. Daher auch deren politisch unbestimmter Charakter, daher auch Angriffe nicht nur auf die Polizei, sondern auch auf Feuerwehren oder sogar einzelne Passant:innen. Sie sind Zeichen von Perspektivlosigkeit sowie einer systematischen rassistischen und damit verbundenen sozialen Marginalisierung eines Teils der Arbeiter:innenklasse und eines entstehenden Subproletariats. Der Hass auf „den Staat“, der selbst ihre Unterdrückung exekutiert und täglich befestigt, ist nicht verwunderlich, ja durchaus nachvollziehbar, auch wenn er politisch ohnmächtig in Erscheinung tritt.

Der Trick der rassistischen, konservativen und polizeilichen Zuschreibung besteht nun gerade darin, diese spezifischen, gewaltsamen Ausbrüche von Wut herzunehmen und als Ausdruck der Kriminalität und Asozialität „integrationsunwilligen“, „kulturfremden“, „islamisch“ und „patriarchal“ geprägten „Migrantenmilieus“ zuzuschreiben.

So wird eine direkte Linie zur Silvesternacht von Köln gezogen, so wird der Jahreswechsel herangezogen, um vorzugsweise jungen, männlichen Migranten Kriminalität zuzuschreiben.

Die Jahresstatistik spricht eine andere Sprache. Lt. einem Lagebericht des Innenministeriums wurden 2021 rund 88.600 Übergriffe auf Polizeibeamt:innen erfasst. „Von den bekannten Tätern seien 84 Prozent männlich und 70 Prozent deutsche Staatsbürger.“ (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-01/silvester-gewalt-jens-spahn) Von einem besonders hohen migrantischen Anteil an den Angriffen auf Polizist:innen kann also keine Rede sein.

Doch das kümmert nicht weiter. Schließlich geht es bei der aktuellen politischen Diskussion um die Silvesternacht nicht um Fakten, sondern um rassistische Stimmungsmache. Die Verschärfung bestehender Gesetze, die geradezu obligatorische Forderung nach rascherer und härterer Aburteilung der Täter:innen bildet dabei nur einen Teilaspekt.

Nicht minder wichtig ist es, den Verweis auf gesellschaftliche Ursachen der Ausschreitungen und auf den staatlichen Rassismus selbst zu diskreditieren. Beispielhaft dafür schlussfolgert ein Kommentar der FAZ:

„Der Gipfel der Relativierung ist erreicht, wenn nicht die Minderheit der Kriminellen, sondern ‚die Gesellschaft’ verantwortlich gemacht wird. Geht es um Migranten, soll das wohl heißen: Staat und Polizei sind selbst schuld, weil sie nicht genug Willkommenskultur gezeigt haben. Das eigentliche Übel beginnt aber in dem Augenblick, in dem politisch nicht wichtig genommen wird, was im Leben ganzer Stadtteile nicht wichtiger sein könnte. ( …  )

Kriminelle Jugendliche, die ‚ihren’ Kiez in Geiselhaft nehmen, rückt man weder mit Wattebäuschchen noch mit der Schweigespirale zu Leibe. Nichts feuert Respektlosigkeit in diesen Milieus mehr an als ein Opfer, das selbst keine Selbstachtung ausstrahlt. Selbstvertrauen, Durchsetzungsfähigkeit und Stärke zeigen Staat und Parteien aber viel zu wenig. Die Innen- ist in diesem Punkt ein Spiegel der Außenpolitik.“

Hier werden die Verhältnisse im Kiez noch einmal auf den Kopf gestellt, ganz so als würden Menschen, die sich als Billigjobber:innen oder Arbeitslose durchs Leben schlagen müssen, hierzulande mit „Wattebäuschchen“ angefasst. Dafür ereifert sich der FAZ-Autor schon über die Vorstellung, dass Staat und Polizei irgendwie für ihr Handeln, für eine rassistische Migrationspolitik und deren Umsetzung verantwortlich sein sollten. Die Schuldumkehr, die die FAZ beklagt, nimmt sie in Wirklichkeit selbst vor, indem in guter alter konservativer Manier gefordert wird, dass endlich Schluss sein müsse mit der Relativierung von Gewaltausbrüchen, die Migrant:innen und/oder Linksradikalen zugeschrieben werden.

Der Staat wird so zum „Opfer“, das endlich mehr „Selbstachtung“ an den Tag legen müsse, mehr Selbstvertrauen, Durchsetzungsvermögen, Stärke – mit anderen Worten mehr Willkür, und das nicht nur im Inland, sondern auch auf der ganzen Welt. Dort gibt es schließlich noch mehr „kriminelle Ausländer:innen“, die dem deutschen Imperialismus nicht den nötigen Respekt entgegenbringen.

Ohnmacht von Rot-Grün-Rot und das Böllerverbot

SPD und Grüne, aber im Grunde auch die Linkspartei stellen sich natürlich auch hinter „unsere Polizei“. Allzu offenen Rassismus der Marke CDU und Co. wollen sie aber auch nicht an den Tag legen. Daher folgen die üblichen Forderungen nach mehr Überwachung und verbesserter Ausrüstung der Polizei durch SPD und Grüne. Die Berliner Regierende Bürgermeisterin Giffey will außerdem auch einen „runden Tisch“ zur Kriminalitätsbekämpfung einberufen. Die Berliner Linkspartei hält sich mit total einseitiger Polizeilobhudelei etwas zurück.

Dafür setzen SPD, Grüne und Linkspartei umso euphorischer auf die Wunderwaffe „Böllerverbot“. Campact hat nach der „Nacht des Grauens“ auch einen Onlineappell für das Verbot gestartet.

Sicherlich lässt sich über Sinn und Unsinn von Feuerwerken und Böller streiten. Unbestreitbar gehören sie aber auch zu der Neujahrsfeier für breite Teile der Bevölkerung. Die Forderung nach einem Totalverbot trifft nicht nur diese Menschen und gängelt sie noch mehr. Sie zieht auch die Forderung nach Stärkung der polizeilichen Befugnisse und zur Vergrößerung des Personals zur Durchsetzung eines solchen Verbotes nach sich. Sie läuft also, ob gewollt oder nicht, auf eine Stärkung des Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates hinaus.

Gegen unverantwortlichen und gefährlichen Umgang mit Feuerwerkskörpern und Böllern braucht es in Wirklichkeit keine Polizei – schließlich provoziert die Präsenz der sog. Sicherheitskräfte oft gerade jene Ausschreitungen, die sie angeblich verhindern soll. Statt der Polizei könnten von der Wohnbevölkerung selbst organisierte Selbstschutzgruppen, die von den verschiedenen Communities getragen werden, dafür sorgen, dass alle friedlich und ohne Polizei feiern können.

Der Ruf nach dem Böllerverbot stärkt hingegen die bürgerliche Polizei. Er erweist sich vor allem als völlig hilflos angesichts der rassistischen Hetze. Lahm fordern zwar Campact und Vertreter:innen von SPD, Grünen und Linkspartei ihre bürgerliche und offen rassistische Konkurrenz dazu auf, die Silvesterausschreitungen nicht zu rassistisch „aufzuladen“ oder zu „missbrauchen“. Doch dieser Appell erweist sich als wirkungslos, wenn die Ursache dieser ohnmächtigen Ausbrüche der Wut nicht thematisiert wird, wenn der Zusammenhang zwischen Zusammenstößen mit der Polizei, Rassismus, Ausbeutung migrantischer Arbeitskraft und Perspektivlosigkeit der Jugend selbst nicht in den Blick genommen wird.

Dies ist jedoch für die reformistischen und linksbürgerlichen Parteien schlechthin unmöglich. Schließlich haben sie selbst jene Politik mitzuverantworten, die Millionen rassistisch diskriminiert, die die Zahl der von Armut bedrohten Menschen in Deutschland auf 13 Millionen steigen ließ. Wer über Jahre der Immobilienlobby zuarbeitet, deren Enteignung bekämpft, den Billiglohnsektor ausweitet, hat auch keine Antworten, die Lage von Millionen in Armutsvierteln zu verbessern. Der ruft allenfalls nach dem Placebo Böllerverbot. Im Kampf gegen Rassismus, Armut und kapitalistische Ausbeutung brauchen wir keine Placeboparteien, wir brauchen Kampforgane und eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei, so dass anstelle der Wut, der Verzweiflung der Kampf der Unterdrückten treten kann.

Diesen Artikel vom 05.01.23 haben wir von Martin Suchanek von der Gruppe ArbeiterInnenmacht gespiegelt.




Razzia bei militanten Reichsbürger_Innen: 52 weitere rechtsextreme „Einzelfälle“

von Jona Everdeen

Was ist passiert?

Heute Morgen führte die Polizei eine großangelegte Razzia gegen eine Zelle aus Reichsbürger_Innen durch, die beschuldigt werden, eine terroristische Vereinigung zum Sturz der Regierung und des parlamentarischen Systems gegründet zu haben.

Die Gruppe soll sich bewaffnet und darauf vorbereitet haben, den Reichstag zu stürmen und somit einen Putsch gegen die Regierung und das System der BRD durchzuführen.

Ihr Ziel? Einen Staat im Stile des Deutschen Kaiserreichs von 1871 bis 1918 errichten.

Die Gruppe zählt somit zum Spektrum der Reichsbürger_Innen, einer sehr reaktionären politischen Strömung, die, oftmals Hand in Hand mit haarsträubenden Verschwörungsmythen, die BRD ablehnt und behauptet, das Deutsche Reich, das 1945 endgültig untergegangen ist, sei immer noch der rechtmäßige deutsche Staat oder die zumindest die Bundesrepublik durch ein neues Deutsches Reich ersetzen wollen.

Dabei gibt es zwar durchaus Überschneidungen ins Neonazi-Spektrum, jedoch sind die meisten Reichsbürger_Innen nicht wirklich faschistisch, sondern verfolgen eher eine klassisch-reaktionäre monarchistische Ideologie, die ideologisch anknüpft an in der Weimarer Republik weit verbreitete reaktionäre Strömungen wie die monarchistische Partei DNVP.

Damals (1920) kam es tatsächlich zu einem Putsch durch den reaktionären Intellektuellen Kapp sowie den Freikorps-General Freiherr von Lüttwitz, sowie zu mehreren weiteren Verschwörungen und Putschversuchen.

Doch wer genau will heute, mehr als 100 Jahre später, immer noch den Schritt weit zurück ins Kaiserreich machen?

Der mutmaßliche Kopf der Gruppe, Heinrich Reuss von Greiz, ist der Erbe einer alten thüringischen Adelsfamilie der, wie viele andere Adelige, genannt seien Beatrix von Storch, Gloria von Thurn und Taxis oder August von Finck, nach wie vor davon träumt, zumindest einen Teil der alten adeligen Klassenprivilegien zurück zu gewinnen und entsprechend für eine stramm reaktionäre Politik eintritt.

Ansonsten prominent ist die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, die wohl als „Justizministerin“ für das neue Deutsche Reich angedacht war.

Die anderen Mitglieder des Zirkels sind ehemalige wie wohl auch aktive Bundeswehr- und KSK-Soldat_Innen, teilweise auch Offiziere, sowie Kleinunternehmer_Innen.

Trotzdem kein Grund zum Aufatmen

In der aktuellen Lage ist es nicht allzu wahrscheinlich, dass sich ein Möchtegern-Monarch, General oder klassischer Faschist an die Macht putscht, da die herrschende Klasse im Moment großen Nutzen von der parlamentarischen Demokratie hat, die generell die stabilste Form bürgerlicher Herrschaft ist.

Jedoch könnte sich das auch ändern. In Zeiten großer Krisen, in der die Macht der Kapitalist_Innen auf der Kippe steht, neigt diese immer mehr dazu, eine Rechtsdiktatur anzustreben um diese dadurch zu „lösen“, die Arbeiter_Innen-Bewegung mittels teils extremer Gewalt zu unterdrücken, Opposition zu verbieten und häufig auch eine aggressivere Außenpolitik zu führen.

Sicher ist aber, dass diese Razzia keinen schweren Schlag gegen die rechtsextreme Szene in Deutschland darstellt. Die Pläne für den Zugriff standen seit einer Woche fest- bei einer Gruppe, die gezielt Mitglieder aus Polizei und Bundeswehr rekrutierte, ist also davon auszugehen, dass sie vorher Bescheid wussten.

Gleichzeitig machen die militanten Umsturzpläne der Rechten klar, wie lächerlich die Hetze gegen die linke Klimaaktivist_Innen der Letzten Generation in den vergangenen Wochen wirklich war. Wer sich friedlich auf die Autobahn klebt, kommt direkt in U-Haft und soll künftig sogar vorsorglich in Präventivhaft gesteckt werden können, während Rechtsextreme sich bewaffnen und Anschläge planen.

Doch was können wir als Arbeiter_Innen und Jugendliche gegen die Gefahr von Rechts tun?

Um diese Frage beantworten zu können, ist es wichtig einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, zum bereits erwähnten Kapp-Lüttwitz-Putsch.

Als dieser die Regierungsgewalt in Deutschland an sich riss, folgte der größte Generalstreik der deutschen Geschichte, 12 Millionen Arbeiter_Innen legten ihre Beschäftigungen nieder, es wurden bewaffnete Milizen wie die Rote Ruhrarmee gebildet und nach 4 Tagen musste die Putschistenregierung aufgeben und die alte Regierung kam zurück.

Erwähnt werden muss dabei allerdings auch, dass diese Weimarer Regierung, kaum war sie zurück an der Macht, die Rote Ruhrarmee, die weiter streikte und umfassende Veränderungen bis hin zum Sozialismus wollte, von den selben Reaktionären zerschlagen ließ, die zuvor geputscht hatten.

Aus dieser Geschichte lässt sich jedoch sehr gut lernen was wir in einer vergleichbaren Situation heute tun könnten: Wir treten als Arbeiter_Innen und Jugendliche in einen Generealstreik, schließen sämtlich Betriebe, Universitäten und Schulen und zwingen somit die Reaktionäre zur Kapitulation!

Jetzt und hier werfen wir die folgenden Forderungen auf:

  • die Abschaffung von Polizei und Bundeswehr, die Magneten sind für rechte Personen und in denen sich reaktionäre Ideologie leicht verbreiten kann, sowie deren Ersetzung durch Arbeiter_Innen-Milizen!
  • Antifaschistischer Selbstschutz gegen Angriffe von Rechts! Kein falsches Vertrauen in symbolische Razzien!
  • Schluss mit der Repression gegen die Klimabewegung und die sofortige Freilassung aller Gefangenen!
  • Ebenfalls fordern wir die Rückerlangung des politischen Streikrechts, dessen „Verbot“ noch aus dem Hitlerfaschismus stammt! Dazu fordern wir Gewerkschaften sowie SPD und Linke auf, dieses aktiv, auch mittels Streiks, zu erkämpfen!



Warum der Ukrainekrieg in Afrika eine Hungerkrise auslöst

Von Jona Everdeen

Wir alle haben schon mitbekommen, dass die Preise für Lebensmittel in Folge der aktuellen Krise immer weiter angestiegen sind und dass ein Ende aufgrund der zunehmenden Inflation noch nicht in Sicht ist. Für uns als Arbeiter_Innen und als Jugendliche ist das ein großes Problem, da wir uns vieles, was früher zu unseren Grundnahrungsmitteln gehörte, so zum Beispiel den Döner in der Mittagspause, nicht mehr leisten können und für viele Familien besteht die reale Gefahr, in diesem Winter teilweise hungern zu müssen. Doch auch wenn die Lage hier in Europa ernst ist, sind diese Probleme im Vergleich zu den katastrophalen Folgen der Krise für die Ernährung im globalen Süden noch relativ überschaubar. Ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine und verstärkt durch die Klimakrise, die auch in Afrika für eine Dürreperiode sorgte, droht vielen Menschen eine katastrophale Hungerkrise. Doch wie konnte es soweit kommen?

Was ist eine Hungerkrise?

Von einer Hungerkrise kann man dann sprechen, wenn signifikante Teile der Bevölkerung eines Landes oder einer Region nicht mehr in der Lage sind, ausreichend Nahrung zu sich zu nehmen, weil diese entweder nicht verfügbar oder nicht bezahlbar ist. Menschen sind dann akut von Unterernährung betroffen und vom Hungertod bedroht. Traditionell waren und sind Hungerkrisen meist das Resultat von Kriegen oder schweren Naturkatastrophen vor Ort, doch in der Welt des globalisierten Imperialismus können auch externe Einflüsse für Länder im globalen Süden katastrophale Folgen haben, so wie in diesem Fall die russische Invasion auf die Ukraine und der daraus resultierende Krieg.

Was hat der Ukrainekrieg damit zu tun?

Russland und die Ukraine sind weltweit die beiden größten Exporteure für Getreide. Zusammen stellen sie ein Drittel der Weizen- und Gerstenproduktion, also von Grundnahrungsmitteln, die vor allem für Länder ohne eigene Produktion unverzichtbar sind. Gleichzeitig ist Russland auch noch der weltweit größte Exporteur für in der Landwirtschaft benötigte Düngemittel.

Nun konnten jedoch große Teile der ukrainischen Ernte durch die Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen nicht exportiert werden, während gleichzeitig die Ausfuhr russischer Lebens- und Düngemittel von westlichen Sanktionen erschwert wird. Durch diese verfahrene Situation entsteht eine Verknappung, wodurch die Preise für Lebensmittel massiv in die Höhe geschnellt sind. Und auch wenn sich die Situation der ukrainischen Getreideexporte inzwischen etwas entspannt hat, bleibt die Lage extrem kritisch.

Doch dabei stellt sich vor allem eine Frage: Warum sind Länder im globalen Süden, vor allem in Afrika, von Lebensmittelexporten aus Russland und der Ukraine abhängig, obwohl es dort doch auch jahrhundertelang gut funktionierende Landwirtschaft gab? Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie bitter: Imperialismus.

Was war nochmal Imperialismus?

Imperialismus bedeutet, in sehr verkürzter Darstellung, die wirtschaftliche Unterwerfung eines Landes durch das Kapital eines (oder mehrerer) anderer Länder. Man spricht dann davon, dass das wirtschaftlich abhängige Land eine Halbkolonie des anderen Landes ist.

Viele Länder des globalen Südens sind in irgendeiner Form von eben dieser imperialistischen Ausbeutung durch Länder des globalen Nordens betroffen. Konzerne aus imperialistischen Ländern wie den USA, der EU, China auch Russland kontrollieren de facto die Wirtschaft des jeweiligen Landes und passen sie mittels ökonomischer Zwänge, vor allem Verschuldung und Handelsabkommen, ihren Bedürfnissen an.

Die beiden wohl wichtigsten Arten imperialistischer Ausbeutung sind einmal die Schaffung eines billigen Absatzmarktes für Produkte aus der Produktion des imperialistischen Staates und andererseits die Ausbeutung der Ressourcen des halbkolonialen Staates.

Und genau das sind die Gründe warum viele Staaten des globalen Südens so stark von Lebensmittelimporten abhängig sind: Einerseits wurde in vielen Regionen des globalen Südens bereits zur Kolonialzeit die lokale Landwirtschaft durch Monokulturen von im globalen Norden nicht verfügbaren pflanzlichen Ressourcen ersetzt, so zum Beispiel Zuckerrohr, Kaffee oder Ölpalmen. Andererseits werden die Lebensmittelmärkte der betroffenen Länder von wesentlich günstigeren Produkten aus der Produktion von Konzernen des globalen Nordens überschwemmt. Durch Handelsabkommen mit entsprechenden Knebelverträgen sichern sich imperialistische Länder die optimalen Bedingungen für den Export und Verkauf ihrer Produkte in der halbkolonialen Welt und verhindern deren eigenständige und profitable Produktion.

Konsequenzen:

Das Resultat dieser Praxis ist dann unter anderem, dass in den fruchtbarsten Regionen Kenias zu großen Teilen keine Lebensmittel für die Bevölkerung vor Ort angebaut werden, sondern hier stattdessen Zierpflanzen für den westlichen Blumenmarkt wachsen, da die Klima- und Lohnbedingungen den Blumenkonzernen besonders hohe Profite versprechen.

Und selbst wenn doch Lebensmittel von westlichen Großkonzernen in Afrika produziert werden, werden diese nur selten auf dem lokalen Markt verkauft, sondern meist nach Europa, Nordamerika oder China verschifft und auf den dortigen Märkten profitabel verkauft. Dadurch, dass sie großenteils für internationale und nicht für den eigenen Markt produzieren, sind Länder im globalen Süden und vor allem in Afrika, unglaublich stark abhängig vom Weltmarkt. Ist die ökonomische Lage gerade schlecht, bricht einerseits der Absatzmarkt für viele Produkte, wie eben Blumen, Kaffee und ähnliches, ein, andererseits werden die notwendigen Importe von Grundnahrungsmitteln und anderen essentiellen Gütern teurer.

Manche Länder des globalen Südens versuchen, um der Ausbeutung durch die imperialistischen Westmächte zu umgehen, neue Bündnisse mit China oder Russland zu schmieden, so zum Beispiel Sambia mit China oder die Zentralafrikanische Republik mit Russland, jedoch ist auch dies keine Lösung. Zwar gelingt es den Ländern dadurch die Beherrschung durch die westlichen Imperialisten abzuschütteln oder zumindest zu verringern, dafür werden sie nun zu Halbkolonien der nicht weniger ausbeuterischen östlichen Imperialisten.

Zusätzliche Faktoren für die Krise sind auch noch einerseits die Klimakrise, an deren Entstehung die Länder des globalen Südens kaum beteiligt waren, von der sie jedoch bereits jetzt extrem stark in Form von Dürreperioden betroffen sind. Andererseits aber auch die extreme Abhängigkeit der noch existierenden regionalen Landwirtschaft von Großkonzernen, die ein Monopol auf Saatgut und Düngemittel besitzen (so zum Beispiel Bayer/Monsanto). Besonders schwer trifft diese Abhängigkeit zum Beispiel indische Bäuerinnen und Bauern, die sich von Bayer die Kaufpreise für das benötigte Saatgut diktieren lassen müssen, um weiter Landwirtschaft führen zu können. Dies führte in jüngerer Vergangenheit zum Bankrott zigtausender Höfe und einer massiv überproportionalen Suizidrate unter indischen Bäuerinnen und Bauern.

Für eine eigenständige Lebensmittelproduktion unter Arbeiter_Innenkontrolle!

Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Probleme zu lösen und die aktuelle Hungerkrise nachhaltig zu bekämpfen: Die Arbeiter_Innen in halbkolonialen Ländern müssen die Kontrolle über ihre Produktion zurückerkämpfen und diese planwirtschaftlich gestalten, nach dem Prinzip der Bedürfnisbefriedigung und nicht der Profitmaximierung.

Um dies zu erreichen, muss die Macht der imperialistischen Staaten, ihrer Banken und ihrer kapitalistischen Großkonzerne gebrochen werden. Bayer, Monsanto, Nestle und Co. müssen international vertrieben und enteignet werden. Bäuerinnen und Bauern, Arbeiter_Innen, Jugendliche und alle Ausgebeuteten müssen sich zusammenschließen und die meist autokratischen Kollaborationsregierungen zu Fall bringen und durch sozialistische Räteregierungen ersetzen. Diesen Bewegungen müssen wir uns mit unseren lokalen Antikrisenbewegungen anschließen und unsere Kämpfe zusammenführen!

Im Moment werden genug Nahrungsmittel produziert, um damit 10 Milliarden Menschen zu versorgen. Dass es zu Hunger kommt, dass immer noch Millionen Menschen unterernährt und vom Hungertod bedroht sind, und dass sich diese Zahl bald massiv erhöhen könnte, ist keine Folge von realem Ressourcenmangel, es ist eine Folge der kapitalistischen Eigentumsordnung, eine Folge des Systems, in dem tonnenweise essbare Lebensmittel eher vernichtet werden, als sie unter dem Marktpreis zu verkaufen. Wenn wir wirklich den Welthunger ein für alle mal beseitigen wollen, dann ist es unsere einzige Möglichkeit dieses System, den Kapitalismus, ein für alle mal zu beseitigen!

Wir sind solidarisch mit den möglichen und teilweise bereits stattfindenden Hungerrevolten, sowie mit allen progressiven antiimperialistischen und sozialistischen Kräften des globalen Südens und fordern deshalb:

  • die Einführung eines Mindestlohns gemessen an den Lebenserhaltungskosten und mit Inflationsbindung für alle Arbeiter_Innen weltweit!
  • die Enteignung der Großkonzerne und die Überführung der Produktionsmittel, sowohl in Landwirtschaft als auch in Bergbau, Industrie und Dienstleistung, in Arbeiter_Innen-Kontrolle!
  • Internationale Handelsabkommen zur Ausbeutung halbkolonialer Länder müssen sofort aufgekündigt werden und imperialistische Länder sich aus deren Märkten zurückziehen!
  • Schluss mit Patenten auf Saatgut und Düngemittel!
  • die sofortige Streichung aller Schulden, die Länder des globalen Südens an westliche, russische oder chinesische Banken binden, sowie die Bereitstellung von Soforthilfen finanziert durch Besteuerung und Enteignung der Profiteure imperialistischer Ausbeutung!



Antislawischer Rassismus: Geschichte und Perspektiven

Von Sani Meier

In aktuellen Debatten um Rassismus wird dieser häufig als Phänomen beschreiben, welches People of Color abwertet, unterdrückt und ausbeutet. Dass diese Definition in vielen Fällen zwar zutrifft, aber dennoch, vor allem in Europa, nicht ausreicht, soll dieser Artikel herleiten. Es geht im Folgenden um die Geschichte und die Merkmale des Antislawischen Rassismus in Deutschland, welcher bis heute nicht aufgearbeitet oder anerkannt wird und im Zuge des Krieges um die Ukraine erneuten Aufschwung erfährt.

Um wen geht es eigentlich?

In Europa bilden die sogenannten „slawischen Völker“ die zahlenmäßig größte Gruppe von Ethnien. Dazu zählen die ostslawischen Staaten Russland, die Ukraine und Belarus, die westslawischen Staaten Polen, Tschechien und die Slowakei und die südslawischen Staaten Bulgarien, Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Montenegro. Zusätzlich leben bis heute große slawische Minderheiten in den ehemals zur Sowjetunion gehörigen Staaten Litauen, Lettland, Estland, Kasachstan und Moldau. In Deutschland machen Menschen aus Osteuropa die Hälfte aller Menschen mit Migrationshintergrund aus. Ihre rassistische Unterdrückung wird als antiosteuropäischer / antislawischer Rassismus oder Antislawismus bezeichnet und äußert sich durch abwertende Zuschreibungen zum geografischen Raum Osteuropas und seinen (ehemaligen) Bewohner_Innen. Damit einhergehend kommen unter anderem eine wirtschaftliche Benachteiligung, verstärkte Ausbeutung, Vertreibung, Ausgrenzung und andere Gewalterfahrungen.

Geschichte des antislawischen Rassismus:

Die Zeugnisse für die Existenz von antislawischem Rassismus in Deutschland reichen zurück bis ins Mittelalter. Da Slawen zu dieser Zeit in den Gebieten des heutigen deutschen Ostens lebten, wurden sie immer wieder Opfer germanischer Raubzüge und Kriege. Die Versklavung, Unterwerfung und Vertreibung der slawischen Stämme stellte eine Haupteinnahmequelle für die Ritter dar und ist auch heute noch in der Ähnlichkeit der Worte (Slawe/Sklave) sichtbar.

Im Deutschen Kaiserreich wird diese Tradition durch die kolonialen Interessen Deutschlands in Osteuropa wiederbelebt und der Erste Weltkrieg soll den uneingeschränkten Zugriff auf slawische Arbeitskräfte sichern. Da solch brutale und menschenverachtende Pläne immer nach einer vermeintlichen Legitimierung fordern, blühen die rassistischen, pseudo-wissenschaftlichen Diskurse im 19. Jahrhundert besonders auf und konstruieren die Slawen als eigene „Rasse“, die gegenüber den Deutschen abgewertet wird. Besonders eindrücklich wird dies durch die Etablierung des Begriffs des „slawischen Untermenschen“. Dass diese Form des Rassismus auch oft Hand in Hand mit anderen Unterdrückungsformen wie dem Antisemitismus und dem Antiziganismus (Diskriminierung von Sinti*ze und Rom*nja) geht, zeigt sich an stigmatisierenden Begriffen wie dem des „Ostjuden“.

Obwohl der Erste Weltkrieg für Deutschland scheitert, lebt der Traum vom „Deutschen Osten“ im Nationalsozialismus weiter und erreicht im Vernichtungskrieg seinen negativen Höhepunkt. Ideologisch wird der slawischen Bevölkerung durch das NS-Regime die Rolle minderwertiger Sklaven zugewiesen und deren Genozid zur Bedingung einer erfolgreichen Expansionspolitik erklärt. Die ohnehin als „Untermenschen“ betrachteten Menschen seien der nationalsozialistischen Ideologie gemäß durch den Bolschewismus zu „zurückgebliebenen Tieren“ mutiert. Der faschistische Vernichtungskrieg wurde in kolonialer Manier zur „Zivilisierungsmission“ verklärt. Die Blockade Leningrads, bei welcher über eine Millionen Menschen erfroren und verhungerten, weil die Deutschen sie für „unnötige Esser“ hielten, stellt nur eine von vielen Gräueltaten gegenüber der slawischen Bevölkerung dar. Auch in der Ukraine vernichteten die deutschen Besatzer ganze Dörfer. Nachdem die Rote Armee die Faschist_innen jedoch erfolgreich zurückschlug und zurück nach Westen drängte, wurde das Stereotyp der „feigen Halbtiere“ durch die „asiatischen wilden Horden“, die über das arme Deutschland herfallen, ausgetauscht.

Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs wird der Rassismus gegenüber Osteuropäer_Innen weder aufgearbeitet und entschädigt, noch bekämpft und bekommt in Zeiten des Kalten Krieges im Antikommunismus ein neues Gewand. Zuwander_Innen aus dem Osten Europas werden massiv abgewertet und das Stereotyp der „wilden und invasiven Horden“ bleibt bestehen: Immer noch begegnen uns die Vorurteile von angeblich „klauenden Polen“, „saufenden Russen“ oder „arbeitsscheuen Bulgaren“. Diese Formen der rassistischen Abwertung legitimierten Gesetze, die die Einreise nach Deutschland massiv erschwerten, sowie berufliche Dequalifizierungen, durch welche Osteuropäer_Innen in der deutschen Arbeitshierarchie weit nach unten gedrängt wurden. Bis heute sind sie am stärksten in Branchen wie der Lagerlogistik, der Fleischindustrie, der Landwirtschaft und als Reinigungs- oder Pflegekräfte tätig, welche am rücksichtslosesten von deutschen Kapitalist_Innen ausgebeutet werden. Hinzu kommen Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund von Sprache, Akzent oder kulturellen Traditionen, welche vor allem russischsprachige Menschen seit Beginn des Ukrainekrieges verstärkt zu spüren bekommen. Obwohl der russische Angriffskrieg klar zu verurteilen ist, werden nun alle Menschen, die man (oft fälschlicherweise) für Russ_Innen hält, für diesen verantwortlich gemacht. Russische Restaurants und Geschäfte werden mit Drohungen überhäuft und mitunter auch angegriffen. Menschen, die Russisch sprechen werden beleidigt. Schüler_Innen berichteten uns davon, in der Schule mit Fragen wie „Und wie sehen deine Eltern das eigentlich?“ konfrontiert zu sein und sind einem konstanten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Damit wird auch implizit die Erwartung ausgedrückt, alle Russ_Innen wären zwangsläufig Unterstützer_Innen Putins, was die Einbeziehung dieser Menschen in den Widerstand gegen den Krieg verhindert und Schüler_Innen in ihrem Alltag unnötig unter Druck setzt und zu sozialer Ausgrenzung führen kann.

Also doch Rassismus gegen Weiße?

Aber Moment mal: Das heißt also, es gibt doch Rassismus gegen weiße Menschen? Die Aussage, dass es diesen nicht geben könne, wird meistens dann getroffen, wenn Phänomene, die eindeutig keine strukturelle rassistische Unterdrückung darstellen, als solche betitelt werden. Zum Beispiel, wenn Linke sich gegen das Zelebrieren von Nationalstolz während der Fußball-WM aussprechen oder wenn in den USA im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung gefordert wird, dass weiße Menschen sich in dieser zurücknehmen sollen, um Betroffenen Raum für den Ausdruck ihrer Erfahrungen zu geben. In diesen Fällen liegt natürlich eindeutig kein Rassismus gegen Deutsche oder weiße US-Amerikaner_Innen vor- aber dennoch ist die Analyse von Rassismus, als einer Unterdrückungsform, die zwangsläufig und primär aufgrund einer dunkleren Hautfarbe oder anderen äußerlichen Merkmalen ausgeübt wird, ungenügend.

Rassismus ist ein soziales Phänomen, welches von der besitzenden Klasse eingesetzt wird, um bestimmte Arbeiter_Innen möglichst effizient ausbeuten zu können- dies kann über biologische Merkmale legitimiert werden, muss es aber nicht zwangsläufig. In Bezug auf Osteuropäer_Innen wird dies vor allem durch die Zuschreibung eines niedrigeren sozialen Status gemacht und nicht durch die Hautfarbe. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass der Kapitalismus auf dem Streben nach maximalem Profit und internationaler Konkurrenz beruht: Kapitalist_Innen sind also darauf angewiesen, möglichst kostengünstig zu produzieren, um ihre Gewinne zu steigern. Ein sehr effizienter Weg ist dabei die Einsparung von Lohnkosten, welche sich am besten rechtfertigen lässt, indem die Arbeitskraft bestimmter Menschen dequalifiziert wird. Dass diese Ungleichbehandlung als „natürlich“ angesehen werden kann, wird durch die Einteilung der Welt in Nationalstaaten und die Konkurrenz zwischen diesen erleichtert. Hierarchisierung und Ausbeutung erscheint in diesem Zuge als notwendig und legitim und verhindert zusätzlich eine effektive Solidarisierung innerhalb der weltweiten Arbeiter_Innenklasse gegen die Kapitalist_Innen. Letztendlich kann Rassismus prinzipiell jede Gruppe treffen, die im Kapitalismus zu einer anderen Gruppe in ökonomischer Konkurrenz steht. Wie flexibel und wandelbar die Darstellung bestimmter Nationen in den deutschen Medien ist, zeigt sich momentan am Beispiel der Ukraine: Während Ukrainer_Innen über Jahrzehnte hinweg den Stereotyp der billigen Reinigungskraft, Feldarbeiter_In, Bauarbeiter_In oder Sexarbeiter_In verkörpern mussten, sind sie nun innerhalb weniger Wochen zu heroischen Freiheitskämpfer_Innen der Demokratie im Osten Europas geworden. Dass dieser Wandel zeitgleich mit einem gesteigerten Interesse des deutschen Imperialismus an der ukrainischen Wirtschaft und deren geopolitischer Lage von statten geht, ist kein Zufall, sondern Taktik.

Als Revolutionär_Innen ist es unsere Aufgabe, die Rolle des Rassismus innerhalb des Kapitalismus aufzuzeigen und zu benennen: Er ist eines der Werkzeuge, welches die Kapitalist_Innen einsetzen, um möglichst effizient auszubeuten und eine gemeinsame Organisierung der Arbeiter_Innen und der Jugend zu verhindern. Doch davon dürfen wir uns nicht blenden lassen: Die Aufteilung der Welt in Nationalstaaten und die ihnen zugeschriebenen Attribute sind weder natürlich, noch notwendig und unsere Solidarität muss sich in all unseren Kämpfen über sie hinwegsetzen. Sei es im Widerstand gegen die rassistische und mörderische Politik an den europäischen Außengrenzen oder im Kampf gegen den Krieg in der Ukraine und überall sonst auf der Welt. Auch die russische Arbeiter_Innenklasse muss sich dazu gegen ihre nationalistische Führung erheben und in die weltweiten Kämpfe dagegen einbezogen werden!

  • Weder Putin, noch NATO! Für eine internationale Antikriegsbewegung der Arbeiter_Innen und Jugend!
  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter_innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommen!
  • Kein Mensch ist illegal! Staatsbürger_Innenrechte & Zugang zu Sozialleistungen für alle!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Gegen die Überausbeutung migrantisierter Arbeiter_Innen und für die Integrierung dieser in Gewerkschaften und Streiks!
  • Für die lückenlose Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialismus an Osteuropäer_Innen, Sinti*ze und Rom*nja!



Soziale Proteste müssen internationalistisch sein!

Gemeinsame Stellungnahme von REVOLUTION, Gruppe ArbeiterInnenmacht, SDAJ, DKP, MLPD, Zora, Internationale Jugend und Handala zu dem Angriff auf palästinensische Genoss:innen in Leipzig

Was ist passiert?

Am 15.10.22 organisierte das Bündnis „Jetzt reicht’s!“ eine Demonstration gegen die Teuerungen. Gemeinsam als Internationale Jugend, Solidaritätsnetzwerk, ZORA, Revolution, GAM und der palästinensischen Gruppe Handala organisierten wir hierfür einen klassenkämpferischen Block. Dem Aufruf folgten einige Palästinenser:innen, die die Krisenpolitik in Deutschland mit Antikriegspositionen, internationaler Solidarität und dem eigenen Kampf gegen die Unterdrückung durch den Staat Israel verbanden. Auf einem Pappschild wurde das Ende der Besatzung palästinensischer Gebiete gefordert und die Landkarte in den Farben Palästinas gezeigt.

Daraufhin wurde der klassenkämpferische Block umzingelt, bedrängt und mit der Parole: „Kannibalismus gehört zu unsern Riten – esst mehr Antisemiten!“ beschallt, was mit palästinasolidarischen Parolen beantwortet wurde. Aufgrund der zunehmend aggressiver werdenden Stimmung, stellte sich der Block schützend um „Handala“ auf. Anschließend erschienen auch mehrere Polizist:innen, wohl von den Ordner:innen gerufen. Nach kurzer Zeit und einigen Diskussionen schnitt Handala die Landkarte aus der Pappe heraus und hielt das angepasste Schild nach oben, inzwischen konform mit dem „Demokonsens“. Juliane Nagel (Die Linke) reichte das allerdings nicht aus. „Verpisst euch!“, „Ich hol die Polizei!“, „Ihr nutzt meine Strukturen aus!“ waren nur einige der von ihr getroffenen Aussagen. Unsere Kommunikationspersonen verhielten sich jederzeit deeskalierend und gingen nicht weiter auf die Aussagen ein.
Dabei blieb es jedoch nicht. Juliane Nagel drang in den Block ein, schubste Genoss:innen zur Seite und entriss dem palästinensischen Genossen gewaltsam die Pappe, mit dem Ziel diese zu zerstören. Teilnehmer:innen des Blocks wurde außerdem aggressiv und aus nächster Nähe eine Handykamera vors Gesicht gehalten. Auf die Bitte, das zu unterlassen, argumentierte einer der filmenden Personen, Marco Dos Santos, lediglich mit der „Pressefreiheit“, die dieses Verhalten rechtfertigen würde. Letztlich konnten wir durchsetzen, alle gemeinsam, auch mit unseren palästinensischen Freund:innen, einen sichtbaren und lautstarken Block auf der Demo zu bilden und gemeinsam gegen Krieg und Krise zu kämpfen.

Das Argument mit dem Demokonsens

Auf der Demonstration gab es den Demokonsens, dass keine Nationalfahnen gezeigt werden dürfen. Palästina ist jedoch, genauso wie Rojava, kein Staat, was einen qualitativen Unterschied bedeutet. Es ist ein Unterschied, ob man die Fahne kapitalistischer Unterdrückerstaaten zeigt oder die Fahnen von nationalen Freiheitsbewegungen wie in Rojava oder Palästina. Außerdem ist es nicht verhältnismäßig, einen Demokonsens wegen einer kleinen Pappe mit solchen aggressiven Maßnahmen durchzusetzen. Trotzdem wurden die palästinensischen Farben von unseren Genoss:innen zur Deeskalation aus der Pappe herausgeschnitten. Und siehe da: es wurde weiter aggressiv und gewaltsam gegen uns vorgegangen. Der Demokonsens war also nur ein vorgeschobenes Argument. Es ging ganz offensichtlich um etwas anderes: Migrantische, israelkritische Stimmen sollten zum Schweigen gebracht und sozialer Protest von internationalen Kämpfen künstlich getrennt werden.

„Das Thema hat hier nichts zu suchen!“

Wer internationale Kämpfe, Antikriegskämpfe, antirassistische Kämpfe und antikoloniale Kämpfe von sozialen Protesten „im eigenen Land“ trennt, hat es offensichtlich nicht geschafft, die Wirtschaftskrise in einen globalen Kontext zu setzen. Krise und Krieg hängen unweigerlich miteinander zusammen und gehören zum kleinen Einmaleins einer linken Analyse, die über die eigenen Staatsgrenzen hinaus reicht. Das ist genau das, was uns von reaktionären Kräften unterscheidet, die mit ihrem Nationalismus die Arbeiter:innenbewegung spalten möchten. „Internationalismus“ bedeutet das Kontextualisieren und Verbinden von verschiedenen globalen Kämpfen der Ausgebeuteten und Unterdrückten!

Gerade linke Gruppen sind es doch, die Mantra mäßig fordern, die Kämpfe gegen den Kapitalismus zu verbinden und vor allem auch marginalisierte Gruppen miteinzubeziehen! Die Geschehnisse von Samstag beweisen allerdings: Manche Organisationen und Personen haben wohl keinerlei Interesse an bestimmten internationalistischen und migrantischen Perspektiven in ihrem Aktivismus. Der palästinensische Befreiungskampf wird kategorisch ausgeschlossen und zusätzlich als „Antisemitismus“ diffamiert. Dadurch werden zum einen migrantische Stimmen unterdrückt und zum anderen die Bewegung gespalten und geschwächt. Das nützt alleine der Rechten und dem Kapital!

Anstatt sich also darüber zu freuen, dass Palästinenser:innen Teil der Bewegung gegen die Krise in Deutschland sein möchten, wird unterstellt, dass das Thema „Palästina/Israel“ keinen Bezug zu dem Motto der Demonstration gehabt hätte. Dabei sind es gerade die Länder des globalen Südens, die durch die Ausbeutung und Unterdrückung durch imperialistische Staaten, wie z.B. Deutschland, von der aktuellen Krise in viel schlimmerem Ausmaß getroffen werden. Sie haben jedes Recht dagegen aufzubegehren, auch und gerade in Deutschland. Die Gruppe „Handala“ hat auf ihrer Instagramseite eine genauere Ausführung dazu, was ihr Kampf mit den sozialen Protesten auch in Deutschland zu tun hat.

Der Kampf der Palästinenser:innen und die fehlende Solidarität deutscher Linker

Dass deutsche Linke von palästinensischen Symboliken bis hin zur äussersten Aggressivität getriggert werden, ist ein bekanntes Muster und überrascht uns nicht. Dennoch müssen wir die Heuchelei offenlegen, die die Ereignisse von vergangenem Samstag zeigen. Die Heuchelei einer deutschen Linken, die am laufenden Band die internationale Solidarität mit Befreiungskämpfen verrät und diffamiert, wenn sie nicht in die eigenen Vorstellungen passen. Denn die internationalen Kämpfe im Iran, in Rojava und in Palästina hängen zusammen und lassen sich nicht von den sozialen Kämpfen in Deutschland isolieren. Während erstere Kämpfe von diesen Gruppen ohne Vorbehalt unterstützt werden, ignorieren sie bewusst die Besetzung und Unterdrückung Palästinas.

Wir stehen zum palästinensischen Befreiungskampf!

Für uns internationalistische und antikapitalistische Gruppen in Leipzig ist dieser Angriff auf unsere palästinensischen Freund:innen nicht akzeptabel! Wir werden auch in Zukunft solidarisch mit der palästinensischen Befreiungsbewegung bleiben und dafür sorgen, dass deren Kampf in Leipzig weiterhin präsent ist und mit dem Kampf gegen die Krise des Kapitalismus verbunden wird. Alle Kräfte, die den ernsthaften Anspruch haben internationalistische Politik zu praktizieren, rufen wir dazu auf, sich mit den angegriffenen Menschen zu solidarisieren und Stellung zu dem Vorfall zu beziehen!




Wahl in Italien: Ist Italien wieder faschistisch?

Am Montag war es soweit: Die Prognosen hatten Recht und eine ultrarechte Koalition hat die absolute Mehrheit bei den italienischen Wahlen erlangt. Damit löst sie die neoliberale Technokraten-Regierung unter Mario Draghi ab. Diese Wahlen fanden in einer krassen Krisensituation statt: Nachdem Italien besonders stark von der Pandemie betroffen war (wir erinnern uns an die schrecklichen Bilder), schlägt nun mit voller Breitseite die Inflation zu. Überdies hat auch der Klimawandel große Schäden für Mensch und Natur in Italien angerichtet.

Klimakrise
Seit 13.09.2022 gilt in Norditalien der Dürrenotstand. Der Fluss Po ist fast ausgetrocknet, es kommt zu massiven Ernteausfällen, die Gletscher in den Alpen schmelzen, 27.000 Hektar Wald sind abgebrannt, der Grundwasserstand sinkt erheblich, es kommt zu extremen Überschwemmungen, Menschen, Tiere und Pflanzen sterben. Während der Bevölkerung der Zustand am eigenen Leibe bewusst wird, ignoriert und schweigt die Regierung seit Jahren dazu. Aber wie auch, wenn der Energiesektor auf Erdgasindustrien aufgebaut ist, die eine starke Lobby mit sich bringen. 2019 gab es einen Plan bis 2050 auf Null-Emissionen zu kommen, dafür wurden Prämien auf Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und plastikfreie Lebensmittelverkäufe ausgestellt und 55 Milliarden für den „Green New Deal“ investiert, doch die scheinen verdampft zu sein.

Wirtschaftliche Krise
In Italien liegt die Inflation derzeit bei 9%. Das hochverschuldete Land schlittert dabei weiter in eine wirtschaftliche Rezession. Dies war schon durch die Corona-Pandemie absehbar und wird durch die weltweite Wirtschaftskrise noch einmal beschleunigt. Schon nach der Finanzkrise 2008 lag die Staatsverschuldung mit 133% (den BIP) weit über dem europäischen Durchschnitt und ist seitdem auch nicht wirklich gesunken. Die EZB (Europäische Zentralbank) hat massive Sparmaßnahmen zur Bedingung für die vergebenen Gelder gestellt, z.B. Privatisierungen, Lohnkürzungen, Reformen der öffentlichen Dienste und Tarifvertragssysteme sowie Einschränkungen der Staatsausgaben. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bereits bei 8,4 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 24 Prozent. Darüber hinaus sind 3,4 Millionen Arbeitskräfte prekär beschäftigt. Seit der Pandemie stieg die Zahl der Armen auf 5,6 Millionen. Und wer zwang Italien als Chef der EZB diese harten „Reformen“ auf? Draghi himself, der nun abgewählte Ministerpräsident Italiens von Februar 2021 bis zu seinem Rücktritt am 21. Juli 2022. Zuvor arbeitete er bei Goldman Sachs und der Bank Italiens.

Regierungskrise

Die Regierung unter diesem Großkapitalisten setzte sich aus einer Koalition der nationalen Einheit von linken, konservativen bis nationalistischen, rechten Parteien zusammen: Eine populistische Front, die in sich verstritten war. Die Streitpunkte drehten sich darum wie groß Hilfspakete für die italienische Wirtschaft sein sollten oder ob Italien Waffen in die Ukraine liefern sollte. Letztendlich gelang es Draghi nicht die widcrsprüchlichen Interessen zu vereinen, er trat in zwei Anläufen von seinem Amt zurück und es wurden Neuwahlen für den 25. September angesetzt.

Vom Versagen Draghis und seiner Helfer_innen konnte die relativ neue Partei „Brüder Italiens“ unter Giorgia Meloni, als die großen Gewinner der Wahl am stärksten profitieren. Mit 26 Prozent der Stimmen haben sie das beste Ergebnis eingefahren. Zu den großen Verlierer_innen zählt dagegen die sozialdemokratische Partito Demokatico, die weniger als 20 Prozent der Menschen wählten. Im Gegensatz zu den anderen rechten Parteien und auch der populistischen „5-Sterne-Bewegung“ verhalf Melonis Schachzug, nicht in die Regierung unter Dragho einzutreten, ihr dazu, sich als einzige Opposition gegen das verfehlte Krisenmanagement der alten Regierung darstellen zu können. Fast alle Parteien der alten Regierungskoalition wurden 2018 gewählt, weil sie versprachen der Sparpolitik ein Ende zu setzen. Doch letztlich arbeiteten sie alle mit dem Menschen zusammen, der für diese Sparpolitik hauptverantwortlich war und halfen ihm weitere Kürzungen und Sparmaßnahmen durchzusetzen.

Sieg der Rechten

Um die absolute Mehrheit zu erlangen, schmiedete Meloni ein reaktionäres Bündnis mit der Lega (Rechtspopulist_innen) und Forza Italia (rechts-konservative Partei Berlusconis). Zusammen kamen sie auf 44% der Stimmen. Die geringe Wahlbeteiligung zeigt jedoch auch auf, dass viele Menschen generell vom Regierungssystem enttäuscht zu sein scheinen, oder es ihnen mittlerweile egal geworden ist, welche Partei die Sparpolitik weiter durchdrücken wird. Gerade mal 63,8% Wahlberechtige nahmen teil.

Meloni hat ihre politische Sozialisierung im Neofaschismus Italiens durchlaufen. Ihre politische Herkunft ist die Movimento Sociale Italiano hat, welche aus der Verwaltung der durch Hitler besetzten Gebiete in Norditalien hervorgegangen ist. Nach einem Marathon durch die faschistischen Organisationen Italiens versucht sie ihre neue Partei „Brüder Italiens“ nun als gemäßigt darzustellen. Dabei unterhält sie beste Verbindung ins europäische rechtsextreme Milieu, von der spanischen Vox, über die polnische PiS, hin zur ungarischen Fidesz.

Um das von EU-Geldern abhängige italienische Großkapital nicht zu vergraulen, hat sie ihre ursprüngliche Forderung eines Italexits (Austritt Italiens aus der EU) bewusst hinterm Berg gehalten. Vielmehr beschränkt sie sich nun darauf, „Italiens nationale Interessen in der EU in Zukunft stärker durchsetzen“ zu wollen. Gleichzeitig kann die krisengeschüttelte EU auch nicht auf ihre drittgrößte Volkswirtschaft Italien verzichten, was Meloni andererseits auch Möglichkeiten der Druckausübung gegenüber der EU gibt.

Meloni verkörpert ein ultrakonservatives Programm. Sie will die europäischen Außengrenzen noch stärker abschotten und die menschenverachtenden Hürden für die Migration über das Mittelmeer weiter erhöhen, indem gigantische Lager außerhalb Europas errichtet werden sollen. Einen großen Fokus legt sie auf ihre Feindschaft zum Recht auf Abtreibung und Selbstbestimmung von gebährfähigen Menschen über den eigenen Körper. Bereits vor ihrer Regierungszeit hatte ihre Position zu „Gott, Familie, Vaterland“ in den Lokalregierungen, an denen die Brüder Italiens beteiligt sind, praktische Auswirkungen auf die Zugänglichkeit von Abtreibungen. Ebenso hat sie bereits in neoliberaler Manier Steuergeschenke für Unternehmen angekündigt.

Unklar bleibt, wie stabil das rechte Regierungsbündnis tatsächlich sein wird. In einer zentralen politischen Frage unterscheiden sich die regierenden Rechten nämlich sehr stark: Die Haltung zum Ukrainekrieg. Während Meloni klar pro-NATO und pro-Waffenlieferungen an die Ukraine ist, sind Berlusconi und Salvini alte Buddies von Putin. Da Melonis Partei jedoch mehr Stimmen erlangte, als die beiden anderen Regierungsparteien zusammen, sollten diese kaum Möglichkeiten haben, ihre Positionen durchzusetzen. Vielmehr ist zu erwarten, dass Meloni die beiden mit Regierungsposten ruhigstellt, sodass diese kein Interesse daran haben, eine Regierung zu blockieren, die ihnen gute Posten bereitstellt.

Die Regierung Melonis ist klar ultrarechts und stellt eine große Bedrohung für Arbeiter_innen, Jugendliche, Migrant_innen, FLINTA und LGBTIA dar. Obwohl Meloni ihre politischen Wurzeln eindeutig im italienischen Faschismus hat, ist es, aufgrund der Abhängigkeit des hochverschuldeten Großkapitals von ausländischen Geldflüssen, aktuell unwahrscheinlich, dass sie Italien mit Unterstützung der Bourgeoisie in unmittelbarer Zeit in eine faschistische Diktatur verwandeln wird.

Versagen der Linken
Die linken Parteien haben allesamt einen riesen Fehler begangen: Nämlich in Zeiten der Krise in eine vom Kapital geführte Koalition gegangen zu sein. Dort hatten sie nichts zu melden und konnten nicht an die Streiks und Proteste auf der Straße anknüpfen. Sie trugen die Politik, die diese Proteste verursachten mit und haben sogar bei deren Kriminalisierung geholfen! Damit haben sie den Rechten das Feld überlassen und sich das Vertrauen der Bevölkerung verspielt.

So zum Beispiel beim Angriff auf die Gewerkschaften am 19. Juli 2022. Es gab Streiks im Logistiksektor gegen Arbeitsplatzverluste, niedrige Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen, sowie Blockaden von Waffenlieferungen in die Ukraine. Mehrere Gewerkschaftsfunktionär_Innen und führende Kräfte aus SI Cobas und USB wurden daraufhin festgenommen und Wohnungen durchsucht. Kurz zuvor hat die Regierung Draghi durch einen parlamentarischen Coup den großen  Logistikunternehmen völlige Straffreiheit für alle Lohndiebstähle bei ihren Zulieferbetrieben gewährt. Sie hat es legalisiert, den Lohn der Fahrer_Innen zu kürzen oder einzubehalten und den Schutz des Arbeitsplatzes im Falle von Vertragswechseln abgeschafft.

Dabei hatte Italien mal eine der größten und stärksten  Arbeiter_Innenbewegungen Europas! Leider ging diese in die linksliberale demokratische Partei und die Partei der „kommunistischen“ Wiedergründung über, die beide mit kapitalfreundlichen Regierungen gemeinsame Sache machten und so dabei halfen, neoliberale Reformen durchzusetzen.

Perspektive
Die italienische Linke muss aus ihren Fehlern lernen! Es braucht jetzt umso mehr eine unabhängige Position der Arbeiter_innenklasse ohne jegliche Einflüsse kapitalistischer Organisationen oder Parteien. Es braucht eine Einheit aller Organisationen der Arbeiter_innenklasse, welche die Forderungen der Arbeiter_Innen auffängt und den Kampf gegen Rechts organisiert.

Es muss gefordert werden:

– Ende der Sparmaßnahmen!

– Stoppt die Entlassung und passt die Löhne an die Inflation an!

– Vergesellschaftung der Energiekonzerne unter Arbeiter_innenkontrolle!

– Kein Cent, Kein Mensch für die Kriegsindustrie!

– Investitionen in Bildung, Gesundheit, Maßnahmen gegen den Klimawandel und Ausbau der öffentlichen Infrastruktur!

– Bleiberecht für alle! Stoppt die Abschiebung in außereuropäische Lager!

– Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees von sexistisch und rassistisch unterdrückten Menschen!

Diese Forderungen können nur gemeinsam erkämpft werden. Dafür braucht es kein ultralinkes Sektierertum, sondern Druck auf die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie. Nur gemeinsam können wir das Potenzial unserer Klasse nutzen und die Rechten vom Thron stoßen. Die kommende Regierung wird noch heftigere Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse durchführen und vor allem auch ihre Organisierung mit harten Mitteln zu verhindern versuchen. Zudem wurden durch die neue Regierung auch faschistische Gruppen ermutigt mit mehr Gewalt linke, rassistisch und sexistische unterdrückte Menschen anzugreifen, weil sie sich in ihrer menschenverachtenden Ideologie gestärkt sehen. Wir stehen in Solidarität mit den Revolutionär_Innen, Arbeiter_Innen und Unterdrückten in Italien! Auf zum internationalen Klassenkampf gegen Krise und Rechtsruck!

Bildquelle: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/parlamentswahl-italien-reaktionen-bw-100.html




Nakba-Tag – 5 Fragen 5 Antworten

Von Leila Cheng, Mai 2022

Am 15. Mai ist der Tag der Nakba. Ein Tag, an dessen Gedenken wir uns beteiligen wollen und an dessen Kampf der unterdrückten Palästinenser_Innen wir anknüpfen wollen.

  1. Aber was ist überhaupt die Nakba und warum sollten wir ihr Gedenken?

Nakba = Katastrophe und beschreibt die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem historischen Gebiet Palästina mit der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 und dem Krieg der umliegenden Staaten gegen Israel am folgenden Tag, den Israel als Begründung für die Vertreibung nutzte. Die Lage hat sich im historischen Gebiet Palästina seitdem natürlich verändert. Gegen die Vertreibung von ca. 5 Millionen Palästinenser_Innen (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Palästinensisches_Flüchtlingsproblem*) und die Kolonialpolitik Israels gab es zwei große Aufstände (Intifadas). In Folge dessen entstand die Idee der 2 Staaten Lösung, also dass ein palästinensischer und ein israelischer Staat gegründet wurden. Diese scheiterte jedoch. Heute gibt es nur noch „autonome“ palästinensische Gebiete, den Gazastreifen und das Westjordanland. Diese werden aber immer weiter verdrängt durch die Siedlungspolitik und militärischen Angriffe Israels.

  1. Doch warum vertreibt und diskriminiert Israel die Palästinenser_Innen?

Der israelische Staat baut auf der Ideologie des Zionismus muss auf. Zionismus sagt aus, dass Jüd_Innen für ihre Befreiung und als Schutzraum gegen Antisemitismus einen bürgerlichen Staat für sich bräuchten. Aus diesem Prinzip heraus glauben Zionist_Innen, dass es einen Staat mit einer mehrheitlich jüdischen Bevölkerung braucht. Damit rechtfertigen sie die Vertreibung der palästinensischen Menschen aus ihrem Land. So gibt es nur für mehrheitlich jüdische Menschen Staatsbürger_Innenrechte in Israel. Eine Minderheit von größtenteils muslimischen Palästinenser_Innen werden im Land zwar geduldet, jedoch systematisch diskriminiert, z.B. von rechten Zionist_Innen aus ihren Häusern geworfen, angegriffen oder von staatlichen Behörden entrechtet und als Bürger_Innen zweiter Klasse behandelt. Deswegen bezeichnet sogar schon Amnesty International nach bestimmten internationalen Prinzipien Israel als Apartheidsstaat. (Quelle: https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apartheid/**)

Aber das ist nicht alles. Auch in dem palästinensischen Autonomiegebiet Westjordanland findet israelischer Kolonialismus statt. Siedler_Innen siedeln sich dort an und versuchen auch mit Waffengewalt die einheimische Bevölkerung immer mehr zu vertreiben, dadurch wird das Westjordanland immer kleiner. Außerdem erschießt das Militär wahllos palästinensische Menschen oft mit vorgeschobenen Begründungen. So wie erst vor ein paar Tagen die bekannte Journalistin Schirin Abu Aqla des palästinensischen Senders Al-Dschasira (Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/426409.bewaffnet-mit-einer-kamera.html). Gleichzeitig haben es die Menschen im Jordanland noch schwerer, weil die Fatah und die durch sie dominierte palästinensische Autonomiebehörde komplett von Israel gekauft wurden und kaum noch Widerstand gegen die Entrechtung leisten. Zudem stecken sich führende korrupte Politiker_Innen der Fatah alle internationalen Hilfsgelder in ihre Taschen, weshalb nicht mehr viel bei der einfachen Bevölkerung ankommt.

Der Gazastreifen ist wirklich autonom von Israel, jedoch sind dort viel zu viele Menschen auf engem Platz eingepfercht und vom Rest der Welt abgeschottet. Dort herrscht die islamistische Hamas. Um sich vor der Bevölkerung zu legitimieren, leisten sie scheinbaren „Widerstand“ und schießen recht ziellos Raketen nach Israel, wenn Israel wieder Palästinenser_Innen angreift, die aber fast alle vom israelischen Raketenabwehrsystem abgefangen werden. Israel schießt deutlich effektiver Raketen zurück, zerstören Häuser und tötet Tausende damit.

  1. Wie ist die aktuelle Lage im historischen Gebiet Palästina?

Im letzten Monat während des Ramadans (dem muslimischen Fasten) kam es vermehrt zur Eskalation: Im Westjordanland wurden mehrere Menschen erschossen, einige unorganisierte Palästinenser_Innen verübten Anschläge in Israel und die israelische Polizei griff palästinensische Demonstrationen in Jerusalem an. Daraufhin kam es auch zu vereinzelten Raketenschüssen von und in den Gazastreifen. Weiterhin marschierten rechte Zionist_Innen zusammen mit der israelischen Armee ins Westjordanland und besetzten neue Gebiete. Außerdem wurde die für muslimische Menschen sehr wichtige Al-Aksa-Moschee in Jerusalem erneut angegriffen (Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/424890.provokation-auf-westbank.html). Die Lage ist jetzt erstmal wieder ein bisschen entspannter geworden, aber mit der Ermordung der Journalistin im Westjordanland (siehe vorheriger Abschnitt) könnte es sich wieder zuspitzen.

Letztes Jahr hatte es eine starke militärische Eskalation gegeben und sehr viel Zerstörung durch Israel in Gaza. Dieser Krieg war ausgebrochen aufgrund eines brutal niedergeschlagenen Aufstandes der palästinensischen Bevölkerung in Sheikh Jarrah in Jerusalem, die sich gegen die Vertreibung aus ihren Häusern und den Angriff rechter Zionist_Innen auf die Al-Aksa-Moschee wehren wollten.

  1. Kann der Zionismus Jüd_Innen von Antisemitismus befreien?

Nein, natürlich nicht. Rassismus und Antisemitismus als besondere Form davon werden ja erst durch den Kapitalismus und bürgerliche Nationalstaaten erzeugt. So kann natürlich kein bürgerlicher Staat die Jüd_Innen vom Antisemitismus befreien. Der Kapitalismus braucht den Antisemitismus zum einen als Südenbock in Krisenzeiten (z.B. in Form von Verschwörungstheorien), um die Arbeiter_Innenklasse zu spalten und einen anderen vermeindlichen Feind als die Kapitalist_Innen zu erzeugen. Und ein bürgerlicher Staat ist immer pro kapitalistisch, denn er stellt das Interesse das Gesamtkapitals auf nationaler Ebene dar. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass Israel Antisemitismus nicht bekämpfen kann, sondern ihn nur durch Rassismus gegen Muslime und arabische Menschen zu ersetzen versucht. Diesen bekommen dann in Israel sogar jüdische Menschen ab. Natürlich geht der Zusammenhang von Kapitalismus und Antisemitismus noch viel weiter, jedoch lässt sich das nicht in so einem kurzen Artikel erklären. Wenn ihr euch mehr dafür interessiert, empfehlen wir euch unseren Artikel zu „Was ist Antisemitismus und wie kann er bekämpft werden?“ oder den etwas längeren aber sehr guten Revolutionären Marxismus-Band 51 zu Antisemitismus (https://arbeiterinnenmacht.de/2019/09/12/antisemitismus-zionismus-und-die-frage-der-juedischen-nation/).

  1. Doch was ist aus unserer Sicht die Lösung des Nahostkonfliktes?

Wie wir schon gehört haben scheiterte die Zwei-Staaten-Lösung, denn die israelische Siedlungspolitik ist gnadenlos und rassistisch. Deswegen sind wir für eine sozialistische Einstaatenlösung, wobei weder Jüd_Innen noch Muslim_Innen diskriminiert werden. Ein sozialistisches und säkulares und geeintes Palästina ist also das, was wir anstreben. Dafür bräuchte es allerdings einen gemeinsamen Kampf der israelischen und palästinensischen Arbeiter_Innenklasse gegen die israelische Apartheid, den US-Imperialismus, der diese aus ökonomischen Interessen stützt und das dahinterstehende Kapital. Bis dieser Kampf möglich ist, gilt es in Israel für eine starke linke und antizionistische Opposition einzutreten. Außerdem stehen wir an der Seite des palästinensischen Volkes und ihrem Kampf gegen den Kolonialismus und die Vertreibung Israels mit all ihren Facetten. Deswegen unterstützen wir den Widerstandskampf, wo wir können, auch wenn wir natürlich Kritik an der Korruption durch die Fatah und der reaktionären Politik der Hamas. Nichtsdestotrotz stehen wir als Kommunist_Innen an der Seite aller Unterdrückten Völker der Welt, also auch der Palästinenser_Innen.

Deshalb stellen wir folgende Forderungen auf:

  • Hoch die internationale Solidarität, für die Solidarisierung aller Linken und Arbeiter_Innen wie Unterdrückten mit dem palästinensischen Widerstandskampf
  • Gegen Waffenlieferung an Israel und gegen die Unterstützung des israelischen Kolonialismus‘
  • Für eine gemeinsamen Kampf für ein sozialistisches-säkulares Palästina (Einstaatenlösung)
  • Gemeinsamer Kampf aller Unterdrückten und Ausgebeuteten gegen Antisemitismus, Rassismus und ihre Ursache den Kapitalismus

*„Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) definiert (weltweit einzigartig) nicht nur die aus Palästina geflohenen und vertriebenen Araber, sondern auch ihre anderswo geborenen Nachkommen in väterlicher Linie als palästinensische Flüchtlinge. Derzeit zählt es rund fünf Millionen Menschen dazu, darunter auch im und nach dem Sechstagekrieg 1967 geflohene Palästinenser. Rund 1,5 Millionen davon leben in 58 von der UNRWA verwalteten Flüchtlingslagern (Palestine refugee camps) in JordanienSyrien, im LibanonGazastreifen und Westjordanland. Die übrigen 3,5 Millionen leben in Orten der arabischen Gastländer, oft in der Nähe der Flüchtlingslager.[2] Als Staatenlose besitzen sie dort meist keine staatsbürgerlichen Rechte und werden als Minderheit teilweise systematisch diskriminiert.“

** „Amnesty International’s new investigation shows that Israel imposes a system of oppression and domination against Palestinians across all areas under its control: in Israel and the OPT, and against Palestinian refugees, in order to benefit Jewish Israelis. This amounts to apartheid as prohibited in international law.“




Corona und Querdenken: Von gesellschaftlicher Durchseuchung und Hygienemaßnahmen

von Linda Loony

Schaltet man den Fernseher oder das Radio ein, so fällt auf, dass der thematische Dauerbrenner „Corona“ weitestgehend abgelöst wurde. In der Tagesschau bekommt selbst der Wetterbericht inzwischen beinahe mehr Sendezeit als die Berichterstattung rund um Hygienemaßnahmen und Pandemieverlauf und die knappe Zusammenfassung des täglichen Infektionsgeschehens wird in den Ohren der pandemiemüden Zuhörer_Innen nahezu bedeutungslos. Hört man sich in seinem Umfeld um, haben vermutlich viele bereits den Faden verloren, welche Maßnahmen eigentlich gelten – aber Corona ist doch vorbei, oder? Zumindest scheint dies die zentrale Botschaft zu sein, die mit der Aufhebung nahezu aller Beschränkungen nach dem sogenannten „Freedom Day“ am 20. März gerade von der Regierung propagiert wird. Obwohl die Zahlen der Neuinfektionen in Deutschland täglich neue Rekorde erreichen, lautet die Devise „Zurück zur Normalität“. Statt effektiver, kurzzeitiger Shutdowns und dauerhaftem Schutz durch gezielte Hygienemaßnahmen, entschied sich die Bundesregierung längst dafür, geld- und ressourcen-„sparend“ das Pandemietreiben sich selbst zu überlassen.

Durchseuchung und Profite statt Gesundheitsschutz

In den letzten Monaten wurde durch die verhängten Maßnahmen der Regierung immer offensichtlicher, dass es hierbei vor allem um die kurzfristige Verhinderung wirtschaftlicher Einbußen geht, die stets das Wohl der Bevölkerung zu überwiegen scheinen. So ist es bspw. bereits üblich, dass in der Schule nur bestätigte Covid-erkrankte Schüler_Innen isoliert werden – nicht aber ihre direkten Banknachbar_Innen oder engen Kontaktpersonen. Gleiches gilt für das Arbeitsleben: Isoliert werden nur nachweislich erkrankte Personen, für deren Haushaltsmitglieder wird hier keine Notwendigkeit mehr gesehen, sich ebenfalls zu isolieren. Die Folgen der immer weiter zurückgenommenen Maßnahmen sind deutlich im Infektionsgeschehen sichtbar. So hat Deutschland laut der offiziellen Statistik der WHO aktuell die weltweit dritthöchste absolute Zahl der Neuinfektionen pro Woche gemessen. Auch die Anzahl der durchgeführten PCR-Tests, die ein positives Ergebnis lieferten, kletterte laut RKI seit Anfang dieses Jahres von ihren üblichen rund 20% auf knapp 51%. Dies führt zu nie dagewesenen Anzahlen von Krankschreibungen. In ohnehin schon von Personalmangel und Unterfinanzierung gebeutelten Bereichen wie der Pflege oder pädagogischen Arbeit ist dies fatal. Auch die Annahme, mit der Omikron-Variante lediglich einen leichten Schnupfen zu bekommen, verharmlost reale Folgen die das Long-Covid-Syndrom und ignoriert vulnerable, aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpfte Gruppen. Insgesamt wurde in 2 Jahren Pandemie kein nachhaltiges, internationales Lösungskonzept etabliert. Sinnvolle Schritte wie das regelmäßige und niedrigschwellige Testen, der unbeschränkte Zugang zu PCR-Tests oder das Tragen von Masken werden weiter zurückgenommen. Statt die in der Gesundheitskrise deutlicher denn je zu Tage getretene Unterfinanzierung von Gesundheitswesen, Betreuung und Bildung anzugehen, weil es dazu angeblich nicht genug finanzielle Mittel gebe, müssen wir nun zuschauen, wie von denselben Verantwortlichen Milliarden für den Krieg und die Aufrüstung in Rekordzeit bereitgestellt werden.

Die Nebelkerze “Impfkampagne”

Auch wurde bis heute das wirksamste Mittel gegen Corona – die Schutzimpfung – in Deutschland, aber vor allem international unzureichend eingesetzt. Dabei lässt sich die Wirksamkeit der Impfung im Pandemiegeschehen deutlich beobachten: Die Sterblichkeit, auch wenn sie in Deutschland mit 200-300 Menschen täglich noch immer erschreckend hoch ist, sank in den letzten Wochen – zumindest in Relation zu der steigenden Zahl der Erkrankten. Doch der Anteil der geimpften Bevölkerung bleibt seit Februar auf dem Niveau von 76% und stieg seit November letzten Jahres kaum mehr an. Auch die Zulassung des Hoffnungsträger-Impfstoffes Novavax als Alternative zum mRNA-Vakzin brachte nicht den gewünschten Aufschwung für die Impfkampagne. So bleibt infolgedessen auch die Diskussion um die allgemeine Impfpflicht heiß. Doch eine national begrenzte Impfpflicht hilft uns aus einem globalen Gesundheitsnotstand, in dem vor allem in den Halbkolonien weiter nur Impfquoten im unteren Prozentbereich ermöglicht wurden, nicht heraus. Ohne eine international gerechte Verteilung der Impfstoffe, eine dafür notwendige Aufhebung der Patente und die Weitergabe von Produktionsanlagen in die Halbkolonien wird das Infektionsgeschehen dort weitertoben, wodurch neue Virusvarianten entstehen und sich erneut ausbreiten können. Somit bleibt die Pandemie ein fortwährendes, sich immer weitertragendes Problem und das sogenannte „Pandemiemanagement“ der Regierung eine einzige Niederlage ohne Perspektive.

Zwischen notwendiger Kritik und Leugnung von Notwendigkeiten

Wirft man einen Blick auf die Übersicht aller von Maßnahmen betroffenen Bereiche der Gesellschaft und des täglichen Lebens, so fällt für Deutschland rasch eine überproportional hohe Restriktion für das private Leben der Menschen auf. Während in Unternehmen und Schulen lediglich partiell mit einschneidenden Maßnahmen reagiert wurde, waren private Zusammenkünfte, Bewegungsfreiheit oder bspw. die Nutzung von Sport- und Begegnungsstätten lange Zeit und wiederkehrend massiv eingeschränkt worden. Auch im internationalen Vergleich waren laut WHO in Deutschland Beschränkungen in Betrieben und Schulen recht lasch. Es gibt also durchaus berechtigte Kritik an den Maßnahmen der Regierung, die stets so ausgelegt waren, dass sie den Großbetrieben ja keinen Schaden zufügen und vor allem möglichst wenig Geld dafür in die Hand genommen werden musste. Doch diese Kritik und der daraus erwachsende Unmut der Bevölkerung wurde nicht durch eine starke linke Bewegung abgefangen und kanalisiert. Zwar gab es bspw. mit ZeroCovid anfangs gute Initiativen, doch auch diese konnte keinen Massencharakter entwickeln und verschwand nach relativ kurzer Zeit wieder von der öffentlichen Bildfläche. So wurde es den Verschwörungsideolog_Innen von Querdenken besonders leicht gemacht, sich als angebliche Alternative zum desaströsen Pandemiemanagement der Herrschenden zu inszenieren.

Der Bodensatz der Krisenpolitik

Bereits vor dem Ausbruch der Coronapandemie gab es einen gesellschaftlichen Rechtsruck, welcher selbst eine unmittelbare Folge der anhaltenden Weltwirtschaftskrise 2008 war. Im Windschatten dieser Krise konnten sich rechtspopulistische Parteien und rassistische Bewegungen erfolgreich etablieren, während zeitgleich der Aufbau einer sozialen Antikrisenbewegung, getragen von den Gewerkschaften, Arbeiter_Innenparteien und linken Gruppierungen, verpasst wurde. Die widersprüchliche Politik der Herrschenden, die halbherzigen Lockdowns und die hierdurch aufgeschobene Notwendigkeit, Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus zu beschließen, welche jedoch größtenteils auf den privaten Bereich beschränkt blieben, sorgten dafür, dass die Querdenkenbewegung immer weiter an Zulauf gewinnen konnte. Während die scheinbar harmlosen Kernthemen der Querdenker_Innen, die Kritik an der Einschränkung von Grundrechten, die Ablehnung der Maskenpflicht und von Impfungen, ihren Teil dazu beitrugen, dass ihr rechtes Potential unterschätzt wurde, hat sich die Querdenkenbewegung längst als rechtes Sammelbecken entpuppt. Je länger der Zickzack-Kurs während der Pandemie andauerte, desto mehr radikalisierten sich nennenswerte Teile der Bewegung immer weiter und die Rechten konnten sich im Zuge dieser andauernden Proteste erfolgreich weiter aufbauen und führen diese mittlerweile zum Großteil offen an. Auch wenn die Coronamaßnahmen nun immer weiter zurückgefahren werden, ist nicht davon auszugehen, dass die Schwurbler_Innen einfach verschwinden. Selbst wenn sich Querdenken endlich “totläuft“, bleibt zu befürchten, dass der Schaden, welche die massive verschwörungsideologische und in Teilen antisemitische Propaganda der Rechten angerichtet hat, ein längerfristiges, anhaltendes Problem bleibt. So wie PEGIDA nicht einfach nach der sogenannten „Flüchtlingskrise“ verschwunden ist, sondern im Gegenteil nachhaltig ein rassistisches Klima und einen festen Bodensatz an AfD-Wähler_Innen produziert hat und mittlerweile mit Querdenken nahezu fusionierte, werden auch nach Querdenken neue rechte Bewegungen immer wieder entstehen, solange wir als Linke diesen nicht effektiv etwas entgegensetzen und den Nährboden, auf dem solche erst entstehen können, den Kapitalismus, für immer austrocknen.

Deswegen fordern wir:

  • Freigabe der Impfstoffpatente international und eine internationale Impfpflicht, um der Pandemie endlich wirksam entgegen zu treten, das gilt auch für regelmäßige Auffrischungsimpfungen!
  • Schluss mit der Rücknahme aller Maßnahmen, vor allem denen, die noch notwendig sind (wie z.B. kostenlose Tests oder Maskenpflicht).
  • Kostenlose Bereitstellung von PCR Tests überall, denn Schnelltests stellen nun mal Omikron nicht fest.
  • Stellen wir uns den Rechten auf der Straße entgegen, und blockieren wir ihre Demonstrationen!
  • Aufbau einer Antikrisenbewegung, die eine antikapitalistische Alternative zur Regierung, aber auch zu den rechten Verschwörungstheoretiker_Innen darstellt!