Solidarität mit der Jugend in Sheikh Jarrah! Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand!

Zuerst veröffentlicht unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2021/05/11/solidaritaet-mit-der-jugend-in-sheikh-jarrah-solidaritaet-mit-dem-palaestinensischen-widerstand/

Dilara Lorin, Martin Suchanek, Infomail 1149, 11. April 2021

Seit Montag, den 10. Mai, bombardiert die israelische Luftwaffe
Gaza. Mindestens 24 Menschen, darunter 9 Kinder, wurden nach Angaben
des palästinensischen Gesundheitsministeriums bis zum Morgen des 11.
Mai getötet, 109 wurden verletzt. Insgesamt flogen die israelischen
Streitkräfte 150 Angriffe.

Die Regierung Netanjahu und die Armeeführung präsentieren und
rechtfertigen die Bombardierungen einmal mehr als Akt der
Selbstverteidigung – und in ihrem Gefolge auch die westlichen
imperialistischen Schutzmächte und Verbündeten Israels. Die Aktion
wird als Reaktion auf den Abschuss von über 100 Raketen aus Gaza
dargestellt, als Vergeltung auf eine vorhergehende Aktion der Hamas
und des palästinensischen Widerstandes, die als „Terrorist_Innen“,
„Islamist_Innen“ oder blutrünstige „Antisemit_Innen“
diffamiert werden.

Kurzum, der ideologischen Rechtfertigung der zionistischen
Regierung wie ihrer westlichen Unterstützer_Innen gelten die
Palästinenser_Innen als Aggressor_Innen. Die Vergeltungsschläge
sollen bloß „verhältnismäßig“ bleiben und, so das
stillschweigende Kalkül, nach einigen Tagen verebben.

Verschwiegen wird, worum es im „Konflikt“ eigentlich geht,
worin seine Ursachen eigentlich bestehen. Dabei verdeutlicht der
Kampf gegen die Räumung palästinensischer Wohnungen und Häuser im
Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah exemplarisch, worum es sich
dreht: um die fortgesetzte, systematische Vertreibung und nationale
Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung. Ostjerusalem soll
die nächste Etappe der Vertreibung und Annexion durch den
zionistischen Staat darstellen – eine fortdauernde, die mit der
Gründung Israels und dessen Expansion untrennbar verbunden ist.

Sheikh Jarrah

Auch wenn mittlerweile die internationalen Medien voll sind mit
Berichten über Sheikh Jarrah, die Zusammenstöße von Polizei,
zionistischen, rechten Siedler_Innen und palästinensischen
Jugendlichen, so dienen diese wohl eher dem Einschwören auf die
israelische und westliche politische Linie denn der Information.

Es wird nicht erwähnt, dass der zionistische Staat seit seiner
Gründung unablässig fortfährt, Palästinenser_Innen aus ihren
Wohnungen und Häusern zu vertreiben und dadurch in die Flucht zu
zwingen. Es werden die ultraorthodoxen und rechten Gruppierungen
nicht erwähnt, die friedlich Fasten brechende oder protestierende
Palästinenser_Innen angreifen, sie aus ihren Häusern werfen und
tatkräftig von den staatstragenden Parteien hofiert und unterstützt
werden. Es wird beim Lob für Israels  Impfkampagne nicht
erwähnt, dass in den vom Staat besetzten israelischen Gebieten die
Bevölkerung nicht nur keinen Zugang zum Impfstoff erlangt, sondern
auch das gesamte Gesundheitssystem permanent vor dem Zusammenbruch
steht. Palästinenser_Innen sind faktisch Menschen zweiter Klasse.
Ihnen werden gleiche bürgerliche Rechte vorenthalten, Westbank und
Gaza werden immer mehr von der Außenwelt abgeschottet.

Die rechte Regierung Netanjahu setzt seit Jahren auf einen
aggressiveren Kurs der Vertreibung und der Annexion von Land in der
Westbank infolge des Siedlungsbaus. Unter der Administration Trump
und deren „The Deal of the Century“ wurde Jerusalem offiziell als
Hauptstadt Israels anerkannt, eine Einladung an die zionistische
Regierung, an Behörden und Gerichte sowie an rechte Siedler_Innen,
die Annexion Ostjerusalems voranzutreiben.

Was hat all dies mit Sheikh Jarrah zu tun?

Sheikh Jarrah ist ein Viertel in Ostjerusalem, welches auch nach 
1948, der Gründung des israelischen Staates, mehrheitlich von
Palästinenser_Innen bewohnt war, während im Westen mehrheitlich
israelische Staatsbürger_Innen wohnen und Palästinenser_Innen
diesen Teil der Stadt nicht einfach so betreten dürfen. Diese
Aufteilung und das Verbot für die palästinensische Bevölkerung
sind Teil einer bewussten Politik, die immer mehr versucht, den
Wohnraum und die Existenz von Palästinenser_Innen einzuschränken.
Zwischen 2004 bis 2016 wurden 685 palästinensische Häuser in
Jerusalem zerstört. 2513 Menschen wurden obdachlos.

Heute leben mehr als 700.000 israelische Siedler_Innen in
illegalen Siedlungen in Palästina und Ostjerusalem. Aber damit
leider nicht genug, denn die Situation um Sheikh Jarrah hat 
kein Alleinstellungsmerkmal. Diese Zwangsräumungen der dort seit
Jahrhunderten ansässigen Palästinenser_Innen hat israelische
Tradition und ist tragische Geschichte von mehr als 538 Städten und
Dörfern. Den Bewohner_Innen dieses Stadtteils droht Vertreibung und
die damit einhergehende Flucht – entweder auf „legalem“ Weg,
indem israelische Gerichte Ansprüche von Siedler_Innen auf Häuser
legitimieren, die seit Jahrzehnten von Palästinenser_Innen bewohnt
wurden, oder auf „illegalem“, indem der Bau von Häusern und
Wohnungen durch Siedler_Innen nachträglich anerkannt wird. Die
Besatzungsbehörden planen außerdem den Bau von 200
Siedlungseinheiten auf dem Land und in den Häusern der Bevölkerung
von Sheikh Jarrah. Diese Vertreibung ist seit mehr als 40 Jahren ein
Teil des israelischen Siedlungsplans, um auf diesen Flächen
Siedlungen zu errichten, so wie es im Westjordanland tagtäglich
geschieht.

Al-Aqsa, Jerusalem und der Widerstand

Gegen die Räumung palästinensischer Häuser und Wohnungen wehren
sich seit Tagen vor allem Jugendliche in Ostjerusalem. Dagegen ging
die Polizei mit äußerster Brutalität, mit Blendgranaten und
Wasserwerfern vor. Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt, um
Unrecht und die Ordnung der Herrschenden aufrechtzuerhalten.

Anlässlich des „Jerusalem-Tages“, an dem in Israel die
Annexion Ostjerusalems im Zuge des 6-Tage-Krieges von 1967 gefeiert
wird, eskalierten rechte Siedler_Innen am 10. Mai bewusst die Lage,
indem sie trotz der Spannungen ihren jährlichen reaktionären
Fahnenmarsch durchführten. Diesmal wurde aus der gezielten
Provokation faktisch ein Angriff auf die Al-Aqsa-Moschee. Diese
befindet sich auf der Westseite Jerusalems in der Altstadt und bildet
für die Muslime/a eines der 3 wichtigsten Heiligtümer. Tage zuvor
schon hingen Plakate an den Wänden der Stadt, welche diese Angriffe
seitens rechter Siedler_Innen propagierten und dazu aufriefen, sich
daran zu beteiligen.

Während sich ein Teil der Palästinenser_Innen noch im
Fastenmonat Ramadan befindet, kämpfen diese und andere gegen die
Angriffe und Attacken. Es verbreiteten sich Bilder wo in der
Al-Aqsa-Moschee Jugendliche Steine sammeln, Barrikaden bauen, um dem
angekündigten Angriff entgegenzuwirken, und ein wütender Mob
Siedler_Innen an den Türen und Toren der Altstadt rüttelt. Die
Situation dauert schon seit mehreren Tagen an und es wurden mehr als
300 Palästinenser_Innen verletzt.

Der Angriff auf die Al-Aqsa-Moschee stellt dabei eine gezielte
Provokation nicht nur der Palästinenser_Innen, sondern aller
Muslime/a, ja aller Unterdrückten im Nahen Osten dar.

Dabei wurden bewusst und provokant religiöse Gefühle verletzt.
Im Kern geht es aber um keine Glaubensfrage, sondern darum, den
national und rassistisch Unterdrückten ihre Ohnmacht, ihre
Chancenlosigkeit vorzuführen.

Der Widerstand gegen die Räumungen bildet daher nur einen Aspekt
eines größeren Kampfes gegen ein System der Unterdrückung, der
Vertreibung, der fortgesetzten Kolonisierung und imperialistischen
Ausbeutung. An vorderster Front bei den Demonstrationen und Kämpfen
steht dabei oft die palästinensische Jugend.

Flächenbrand

Der Kampf um Sheikh Jarrah und um Al-Aqsa wirkt wie der berühmte Funken, der das Pulverfass zu entzünden droht. In zahlreichen Städten in der Westbank gingen Jugendliche, Arbeiter_Innen, Bauern/Bäuerinnen und die verarmten Massen auf die Straße. In Nazareth, Kafr Kana oder Schefar’am brachen in der Nacht vom Montag zum Dienstag lokale Aufstände aus. In Gaza marschieren Hunderte, wenn nicht Tausende, an die von der israelischen Armee hermetisch abgeriegelte und hochmilitarisierte Grenze.

Hamas und verschiedene Gruppen des palästinensischen Widerstandes
feuern Raketen auf Israel, wohl wissend um die blutige Antwort von
dessen Luftstreitkräften. Doch diese verzweifelten Aktionen in einem
asymmetrischen Krieg verdeutlichen auch die Entschlossenheit des
palästinensischen Volkes, dessen Würde und Existenz untrennbar mit
dem Widerstand gegen die Besatzung verbunden ist.

Dieser Widerstand gegen die Besatzung ist in all seinen Formen
legitim. Auch wenn die taktische und strategische Nützlichkeit von
Raketenangriffen auf Israel fraglich ist, so unterscheiden wir als
Revolutionär_Innen klar zwischen der Gewalt der Unterdrücker_Innen,
des israelischen Staates und seiner Armee, und der Unterdrückten und
solidarisieren uns mit dem Widerstand.

Eine neue Intifada liegt in der Luft. Die entscheidende politische
Frage ist jedoch, wie sich diese ausweiten, wie sie siegen kann. Die
zionistische Vertreibung und Expansion und die offene Unterstützung
durch Trump haben schon in den letzten Jahren die Palästinenser_Innen
in eine immer verzweifeltere Lage gebracht und auch die politische
Führungskrise in der Linken und Arbeiter_Innenklasse massiv
verschärft. Auch wenn die Palästinensische Autonomiebehörde und
die Hamas die Bewegung in Ostjerusalem unterstützen, so kollaboriert
erstere nach wie vor mit dem zionistischen Staat und jagt einer
Verhandlungslösung nach. Auch die Hamas verfügt über keine
Strategie zum Sieg und bietet eine reaktionäre, religiöse und keine
fortschrittliche, demokratische oder gar sozialistische Perspektive
im Interesse der Arbeiter_Innenklasse.

Die zentrale Frage besteht daher darin, wie die fortgesetzten
Bombardements Israels gestoppt und die lokalen Aufstände der Jugend
verbreitert werden können und in diesem Zug auch eine neue,
revolutionäre Kraft in Palästina aufgebaut werden kann. Dies ist
nicht so sehr eine organisatorische, sondern vor allem eine
programmatische Frage.

Um den Widerstand gegen die zionistische Aggression
voranzutreiben, braucht es eine neue Intifada, die die Form eines
Generalstreiks in den Werkstätten und auf den Feldern sowie der
Einstellung jeder Kooperation mit den Institutionen der
Besatzungsmacht annimmt. Die Möglichkeiten des rein ökonomischen
Drucks in Palästina sind aufgrund der Ersetzung palästinensischer
Arbeitskraft in vielen israelischen Unternehmen erschwert, wenn auch
nicht unmöglich.

Von entscheidender Bedeutung könnte und müsste die Solidarität
der Arbeiter_Innenklasse und Unterdrückten in den Ländern des Nahen
Ostens sein, indem sie Israel und seine militärische Maschinerie
durch Streiks und Weigerung, Waren zu transportieren oder
Finanztransaktionen durchzuführen, unter Druck setzt. Dies könnte
in Verbindung mit massenhaften Solidaritätsdemonstrationen auch die
reaktionären arabischen Regime in Ägypten und Saudi-Arabien oder
die vorgeblichen Freund_Innen der Palästinenser_Innen wie Erdogan
oder Chamenei entlarven und die Arbeiter_Innenklasse zur führenden
Kraft im Kampf gegen den Zionismus machen.

Dieser Druck kann auch die klassenübergreifende Einheit zwischen
Kapital und jüdischer Arbeiter_Innenklasse in Israel unterminieren
und damit die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von
palästinensischer Arbeiter_Innenklasse und Bauern-/Bäuer_Innenschaft
mit der jüdischen Arbeiter_Innenklasse gegen Zionismus und für
einen gemeinsamen, multinationalen Staat unter Anerkennung des
Rückkehrrechts aller Palästinenser_Innen eröffnen.

Schließlich müssen die Arbeiter_Innenklasse und die Linke in den
imperialistischen Ländern selbst in Solidarität mit dem
palästinensischen Volk auf die Straße gehen und mit Streik und
Boykott von Transporten den Druck auf Israel erhöhen, die
Luftangriffe auf Gaza und die Repression in Ostjerusalem
einzustellen. Solidaritätskundgebungen und die Unterstützung von
Demonstrationen zum Nakba-Tag wären dazu ein erster Schritt.

Die Bombardements seitens Israel, die Belagerung Gazas und die
Siedlungsbauten in der Westbank haben auch jede Hoffnung auf die
Zwei-Staaten-Lösung begraben. Angesichts der Vertreibung, der
Aggression und Unnachgiebigkeit der israelischen Regierungen erweist
sie sich nicht nur als reaktionär, sondern schlichtweg auch als
komplett illusorisch, als diplomatische Farce. Die einzig mögliche
demokratische Lösung besteht in der Zerschlagung des Systems der
Apartheid und der rassistischen Grundlage des zionistischen Staates,
im Recht auf Rückkehr für alle Palästinenser_Innen und in der
Errichtung eines binationalen Staates auf der Basis vollständiger
rechtlicher Gleichheit aller. Die imperialistischen Staaten wie die
USA, Deutschland, Britannien und die EU müssen dazu gezwungen
werden, die Kosten für diese Rückkehr und den Aufbau der nötigen
Infrastruktur und Wohnungen zu tragen. Damit diese ohne
nationalistische Gegensätze erfolgen kann, muss diese demokratische
Umwälzung mit einer sozialistischen, mit der Enteignung des
Großkapitals und Großgrundbesitzes verbunden werden.

  • Schluss mit der Besatzung! Keine Bomben auf Palästina!
  • Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand!
  • Für einen binationalen Staat, in dem alle Staatsbürger_Innen
    gleiche Rechte haben unabhängig von ethnischer Herkunft und
    Religion!
  • Für ein sozialistisches Palästina als Teil Vereinigter
    Sozialistische Staaten des Nahen und Mittleren Ostens!



#freepablohasél – Warum der Spanische Staat es mit der Meinungsfreiheit nicht ganz so genau nimmt…

Von Christian Mayer

Am Dienstag, den 16.02.2021, wurde in der katalanischen Stadt Lleida der linke Rapper Pablo Hasél festgenommen, nachdem gegen ihn ein Haftbefehl wegen „Majestätsbeleidigung, Verunglimpfung der Verfassungsinstitutionen“ sowie angebliche „Terrorpropaganda“ erlassen wurde. Für einige Tweets, die er abgesetzt haben soll, in denen er u.a. die Guardia Civil für ihre Folterpraktiken kritisierte und den ehemaligen spanischen König Juan Carlos I. als Mafiaboss bezeichnete, soll er nun neun Monate im Knast sitzen.

Hintergrund

Hasél hat mit seiner Kritik nicht ganz unrecht, sowohl im Bezug auf die Folterpraktiken der Guardia Civil, die eine paramilitärische Gendarmerie-Einheit ist, als auch auf seine Kritik am spanischen ex-König Juan Carlos I.

Erstere
genannte Gruppierung ist vor allem durch ihr brutales Vorgehen im
spanischen Bürgerkrieg von 1936 – 1939 bekannt, in der sie als
willige Erfüllungsgehilf_Innen Franco die Widerstände niederschlug
(von Andalusien aus kommend über die Landesmitte bis in die
östlichen Provinzen Valencia und Katalonien sowie in den nördlichen
Provinzen Navarra, Baskenland, Asturien und Galicien). Neben der
tatkräftigen Unterstützung italienischer Bodentruppen und der
„Legion Condor“ der deutschen Wehrmacht war die Guardia Civil der
entscheidende militärische Faktor für Francos Siegeszug.

Später, während des spanischen Faschismus, war die Guardia Civil vor allem für den Terror gegenüber den Minderheiten in den „abtrünnigen“ Provinzen Katalonien, Baskenland und Galicien zuständig. Ihre Aufgabe in der Gegenwart besteht darin, Flüchtlinge in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika abzuwehren, in der „Aufstands- und Terrorismusbekämpfung“, sowie in der allgemeinen „Grenzsicherung“ (sowohl an den Landesgrenzen wie auch an Flughäfen bzw. im Dienste von Frontex). Die von Hasél und anderen Gegner_Innen der Guardia Civil erhobenen Foltervorwürfe sind dabei nicht aus der Luft gegriffen, wie schon u.a. der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) in verschiedenen Gerichtsurteilen bestätigt hat. Dass diese allerdings nicht weiter geahndet werden liegt daran, dass sich der Spanische Staat bis heute konsequent weigert, die Antifolterkonvention der EU zu unterschreiben und umzusetzen.

Meinungsfreiheit?

Vor dem kurz dargestellten Hintergrund ist es also wenig verwunderlich, dass die Policia National Pablo Hasél mit einem Großaufgebot auf dem Campus der Uni von Lleida festnehmen ließ, schließlich ist er ja „gefährlich“, zumindest für die Repressionsorgane des Spanischen Staates.

Gerade die absurden Gesetze gegen angebliche „Majestätsbeleidigung“ und die extrem harten „Anti-Terrorgesetze“, die vorwiegend vor dem Hintergrund des Konflikts mit der baskischen Organisation E.T.A. (Euskadi Ta Askatasuna – Baskenland und Freiheit) erlassen wurden, um in paranoider Art alles, was auch nur im Ansatz nach Unterstützung dieser Gruppierung aussah, zu verbieten und massenhaft baskische Linke zu kriminalisieren und einzusperren, spielen eine wichtige Rolle. Sie zeigen recht deutlich, dass es mit der Meinungsfreiheit in der viertgrößten Volkswirtschaft der EU nicht arg weit her ist. Die Verhaftung Haséls erfolgte dann unter dem begeisterten Jubel von pro-spanischen Aktivist_Innen der neurechten Partei „Vox“, die sich selbst in bester Tradition der „Falange Espanola“ sehen, also jener Partei, die unter Franco Staatspartei war.

Auch
im Bezug auf den ex-König Juan Carlos I. hat Hasél nicht unrecht,
da dieser Steuergelder im großen Stil veruntreut hat und durch einen
dubiosen Deal mit dem saudi-arabischen Königshaus für den Bau einer
Hochgeschwindigkeitsstrecke von Mekka nach Medina Bestechungsgelder
von seinem saudischen Amtskollegen in Höhe von Umgerechnet 100 Mio.
Euro annahm.

Das allein sorgte schon für einen medialen Aufschrei der selbst sonst so königstreuen PP (Partido Popular, Volkspartei und offizielle Nachfolgepartei der „Falange Espanola“(Francos Staatspartei)) dazu veranlasste, von eben jenem König abzurücken. Für Juan Carlos I. endete diese Angelegenheit schließlich neben ein paar anderen Gründen im Rücktritt von seinem Amt und der Übergabe an seinen Sohn, Felipe VI., der seit 2015 König ist. Doch damit nicht genug kam vor nicht allzu langer Zeit heraus, dass eben jener Felipe von seinem Vater als Erbe einer Tarnstiftung eingesetzt wurde, die den 100 Millionen-Deal verdecken sollte. Doch dem Sohn gefiel das gar nicht und er lehnte dieses Erbe öffentlichkeitswirksam ab.

Nebeneffekt:
Die spanische Antikorruptionsstaatsanwaltschaft darf sich seither mit
diesem Fall befassen. Ob der ex-König jedoch angeklagt wird, ist
mehr als fraglich, nicht nur wegen seines Alters, sondern weil man es
sich rein aus Imagegründen nicht leisten kann, ein ehemaliges
Staatsoberhaupt einzubuchten (auch wenn der König in erster Linie
rein repräsentative Aufgaben hat, wie etwa der deutsche
Bundespräsident).

Doch
zurück zu Hasél. Dass dieser nun für das Aussprechen von einer
simplen Tatsache eingeknastet werden soll, zeigt, dass die spanische
Justiz nicht nur wie die Justiz eines jeden bürgerlichen Staates
recht willkürlich vorgeht. Es geht viel mehr darum, eine weitere
linke, kritische Stimme verstummen zu lassen und soll damit die
gesamte spanische Linke einschüchtern.

Widerstand

Dass die Justiz in einem bürgerlichen Staat immer die Interessen der herrschenden Klasse vertritt und warum sie das tut, haben wir schon in anderen Artikeln dargelegt. Diese Klassenjustiz stützt aber nicht nur die bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse, sondern sorgt auch für eine härtere Bestrafung linker, kritischer Kräfte durch die gleichen Gesetze (in dem Sinne, dass Gesetze unterschiedlich ausgelegt werden können). Generell geht es darum linke, insbesondere antikapitalistische und antibürgerliche Kritik zu kriminalisieren, um die bürgerliche Ideologie aufrecht zu erhalten. So ist es nicht verwunderlich, dass Pablo Hasél 2014 schon einmal, für einen Song über die Grapo (Grupos de Resistencia Antifascista Primero de Octubre), zu 2 Jahren Haft verurteilt wurde. Spanien hat dafür sogar ein extra Gesetz „zur Sicherheit der Bürger“, im Volksmund auch „Knebel- und Maulkorbgesetz“ genannt. Im bürgerlichen Spanien gibt es einige Gründe, weshalb die Gesetze so extrem sind. Einerseits natürlich die allgemeine Klassenjustiz, hinzu kommt das Erbe, auch gesetzlich, der Franco-Diktatur, die nur durch seinen Tod und nicht durch einen Sturz des Faschismus beendet wurde. Im Falle des Spanischen Staates kommt hier allerdings dann noch hinzu, dass es es hier auch darum geht, die Einheit des Zentralstaates zu bewahren, und die Unabhängigkeitsbestrebungen z.B. im Baskenland und Katalonien zu unterdrücken. Dies zeigten nicht zuletzt die Ereignisse rund um das als „illegal“ eingestufte Unabhängigkeitsreferendum Kataloniens im Jahre 2017. Damals wurde mit brutalen Mitteln versucht, eben jenes Referendum zu verhindern, in dem z.B. Menschen, die an diesem Referendum teilnehmen wollten, von Einheiten der Policia National zusammengeschlagen und die Wahllokale teilweise gestürmt und verwüstet wurden.

Unsere
Position zur Unabhängigkeitsfrage wollen wir an dieser Stelle
nochmals kurz darstellen:

„Diese wirtschaftlich stärkste Region (Katalonien, Anm. d. Autors) des krisengeschüttelten Spanischen Staates führte im siebten Jahr der erbitterten Kürzungspolitik ein Referendum über die Abtrennung zur Errichtung eines unabhängigen Kataloniens durch. Trotz des Verbotes durch die staatlichen Repressionsorgane nahmen 2,3 Millionen Katalan_Innen am Referendum teil und stimmten mit ca. 80% für ein unabhängiges Katalonien. Obwohl REVOLUTION keine Illusionen in ein unabhängiges kapitalistisches Katalonien hat, stellen wir uns gegen die anti-katalonische und kleinbürgerliche Haltung der spanischen Linken und unterstützen das Selbstbestimmungsrecht der Katalan_Innen, welche insbesondere während der faschistischen Diktatur Francos brutal unterdrückt wurden. Wie in Schottland ist jedoch von der Abspaltung keine Verbesserung für die Arbeiter_Innenschaft zu erwarten, stattdessen treibt sie einen Keil zwischen die spanischen Werktätigen.“ (aus: http://onesolutionrevolution.de/revolution-und-die-nationale-frage/)

Trotzdem
ist der Widerstand, wie nun im Falle des Katalanen Hasél,
gerechtfertigt. Gerade, weil es nicht nur um die Unterdrückung von
nationalen Minderheiten geht, sondern auch um das grundlegende Recht
auf Meinungsfreiheit, sind die Proteste dieses Mal auf das ganze Land
verteilt. Selbst in der Hauptstadt Madrid, die sonst nicht unbedingt
dafür bekannt ist, sich mit der katalanischen Bewegung oder der von
anderen Minderheiten (Bask_Innen, Galicier_Innen) zu solidarisieren
gegen die reaktionäre Hetze seitens Vox und anderer Rechter, gingen
deshalb Menschen auf die Straße.

Das zeigt, dass es durchaus möglich ist, endlich die Spaltung der spanischen Linken nicht nur anhand der Frage von Minderheiten und deren Recht auf Selbstbestimmung, sondern auch anhand anderer Fragen, zu überwinden und den Kampf gegen den spanischen Staat und seine verbrecherischen Institutionen zu koordinieren und schlagkräftig werden zu lassen. Nichts desto trotz bleibt aber noch ein weiter Weg zu gehen, um dies zu verdeutlichen und die Notwendigkeit zu verdeutlichen eine neue, revolutionäre Organisation aufzubauen, die alle von Unterdrückung Betroffenen organisiert und den Kampf für demokratische Rechte (wie die freie, politische Meinungsäußerung) und gegen Sexismus, Patriarchat, Rassismus, nationale Unterdrückung und kapitalistische Ausbeutung, auf der Grundlage eines Programms, das den Weg hin zur Revolution zeigt, führt.




1 Jahr Hanau- Wie Rassismus effektiv bekämpfen?

Von Leila Cheng

Dieses Jahr am 19./20. Februar jährt sich der rassistische Anschlag in Hanau, der zehn Menschen das Leben kostete. Ihre Namen sind inzwischen Deutschland weit bekannt: Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu, Gabriele Rathjen. Was aber auch inzwischen jedem bekannt sein sollte ist, dass es sich bei Hanau um keinen Einzelfall handelte. Die Anschläge in Rostock-Lichtenhagen August 1992 gegen Asylbewerber_Innen und vietnamesische Vertragsarbeiter_Innen, der NSU und seine Attentate an migrantischen Ladenbesitzer_Innen, der Anschlag auf eine Synagoge letztes Jahr in Halle und die zahlreichen Brandanschläge auf Asylheime, wo es allein 2015 mehr als 1000 Stück in Deutschland gab. Dies sind nur einige Beispiele einer Mordserie gegen Migrant_Innen, gesellschaftlich Unterdrückte, aber auch Linke seit dem 2. Weltkrieg in der BRD. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch Polizei, Gerichte und der Verfassungsschutz. Zum Beispiel bei der Verbrennung Oury Jallohs 2005 durch die Polizei selbst, beim NSU 2.0, dessen Drohnachrichten von Polizeicomputern kamen, bei der Ermordung Jorge Gomondais, als gerichtliche und polizeiliche Daten einfach verschwanden oder auch bei den NSU Morden, bei denen V-Männer teilweise anwesend waren oder Informationen nicht rausgegeben wurden. Aber auch die Ermordung von Migrant_Innen an den Außengrenzen Europas, dass sie in Lagern wie das auf Moria gesperrt und menschenunwürdig behandelt werden, ist ein Teil dieser Mordserie.

Doch was müssen wir tun, damit dies endet?

Zuerst einmal ist es
wichtig den Zusammenhang nicht nur zwischen dem bürgerlichen Staat
und Rassismus, sondern auch der kapitalistischen Wirtschaftsweise und
dem Rassismus zu verstehen.

Rassismus hat seine
Wurzeln im kapitalistischen Nationalstaat: Mit der kapitalistischen
Wirtschaftsweise und der Ersetzung der feudalen durch die
industrielle Gesellschaft, mit der Ersetzung der Adelsherrschaft
durch die Bürgerliche entstanden neue Formen der Unterdrückung. Der
bürgerlich kapitalistische Staat steht stets in Konkurrenz mit
anderen Nationalstaaten um den größten Profit. Er vertritt dabei
das Gesamtinteresse der Kapitalist_Innen auf nationaler Ebene. Mit
der Kolonialisierung entstanden große imperialistische Mächte, wie
Deutschland, die USA oder Frankreich und ausgebeutete
Kolonialstaaten. Heute sind die meisten dieser Staaten zwar formal
selbstständig, aber politisch und wirtschaftlich immer noch
abhängig, weshalb wir sie Halbkolonien nennen. Die Kapitalist_innen
in den imperialistischen Staaten sammeln in ihrer Konkurrenz immer
mehr Kapital an, sodass die Anlagemöglichkeiten im eigenen Land
nicht mehr ausreichen. Deswegen müssen sie Ihr
Kapital auslagern. Viele investieren in
Halbkolonien, kaufen Fabriken, Land und Infrastruktur dort auf, wo
sie hohe Profite einfahren, Mensch und
Natur unter unwürdigen Bedingungen ausbeuten können. Dieses
Vorgehen muss mit diplomatischer, wirtschaftlicher oder mit
militärischer Gewalt durchgesetzt werden, wobei der bewaffnete Krieg
der krasseste Auswuchs ist. Rassismus legitimiert sowohl
Unterdrückung als auch ihre Durchsetzung,
indem er Menschen in rassische Kategorien einteilt, bei denen alle
nicht-weiße unzulänglich und damit zurecht benachteiligt oder
beherrscht sind. Aber er legitimiert damit auch die Ausbeutung
von z.B. Leiharbeiter_Innen im eigenen Land. Da er in die gesamte
Gesellschaft vordringt, also auch die Arbeiter_Innenklasse, sorgt er
für ihre Spaltung in Nationalitäten, den Ausschluss von
Migrant_Innen aus Gewerkschaften und sozialchauvinistische Ideologien
und verhindert somit einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten.
Das kommt der herrschenden Klasse sehr gelegen.

Im imperialistische
Weltsystem rechtfertigt der Rassismus die Überausbeutung großer
Teile der Welt, die
Entsolidarisierung weiter Teile der Arbeiter_Innenklasse in
imperialistischen Nationen, sowie Kriege um Ressourcen
und Vorherrschaft.

Um Rassismus zu bekämpfen, müssen wir
daher auch den Kapitalismus bekämpfen. Dafür haben wir drei
wichtige antirassistische Forderungen aufgestellt, die erklären, wie
man vorgehen sollte.

  1. Offene
    Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für Alle!

An den Grenzen Europas werden derzeit
tausende Menschen ermordet. Sie ertrinken im Mittelmeer, sterben in
Lagern oder werden von rassistischen Milizen oder der Grenzpolizei
selbst angegriffen. Wir müssen diesen Morden ein Ende setzen, genau
wie dem EU-Imperialismus. Deswegen fordern wir die Zerschlagung von
Frontex oder ähnlichen Grenzpolizeieinheiten, genau wie die
Auflösung aller Lager an den europäischen Außengrenzen und die
uneingeschränkte Aufnahme der Geflüchteten in Europa. Um dies zu
ermöglichen brauchen wir eine
europaweite Vernetzung der antirassistischen und
Arbeiter_Innenbewegung. Aber warum gerade die Arbeiter_Innen? Bei
ihnen kommen einige wichtige Aspekte zusammen: Erstens sind sie keine
Nutznießer des Rassismus, ganz im Gegenteil, wie schon gesagt,
werden sie dadurch eher gespalten und gegeneinander ausgespielt,
während sie genau denen gegenüberstehen, die vom Imperialismus und
Rassismus profitieren, nämlich den Kapitalist_Innen. Zweitens haben
sie sehr mächtige Kampfmethoden, um Forderungen umzusetzen, nämlich
Streiks und Besetzungen von Betrieben, welche großen
wirtschaftlichen Schaden anrichten können. Drittens und am
wichtigsten schlummert in den Arbeiter_Innen die Grundlage für eine
solidarische Gesellschaft, da sie im Stande sind, eine Produktion
fernab von Profitzwang und Ausbeutung aufzubauen, sobald die Mittel
dazu aus den Händen der Kapitalist_Innen gerissen wurden. Die
Arbeiter_Innenbewegung muss sich dessen bewusst werden und sich aus
internationaler Solidarität für offenen Grenzen einsetzen!

Aber
auch die Menschen, die hier herkommen, werden noch ungleich
behandelt. Der staatliche Rassismus in Deutschland spiegelt sich
nicht nur darin wider, dass es rassistische Polizeikontrollen gibt,
oder Menschen bei der kleinsten Straftat, wie einem Ladendiebstahl,
abgeschoben werden können. Es gelten unter anderem auch
Arbeitsverbote für Migrant_Innen, die noch keine
Staatsbürger_Innenschaft haben. Nun ist Lohnarbeit natürlich
Ausbeutung und es gilt diese zu überwinden, aber innerhalb des
Kapitalismus sind alle Arbeiter_Innen abhängig von ihr. Viele
Migrant_Innen bleiben direkt abhängig vom Staat und dürfen nicht
arbeiten. Das verbreitet und reproduziert wieder rassistische
Klischees in der Arbeiter_Innenklasse und im Kleinbürger_Innentum
von den angeblich so „faulen“ Migrant_Innen. Außerdem drängt es
viele Migrant_Innen in die unterbezahlte Schwarzarbeit oder in
bestimmte Formen der Gang- und Drogenkriminalität. Deswegen ist es
mehr als nötig die Abschaffung jeder rechtlichen Benachteiligung von
Migrant_Innen und insbesondere der Arbeitsverbote zu fordern. Zudem
ist auch die Isolation in Sammelunterkünften ein großes Problem,
weil Geflüchtete dadurch kein selbstbestimmtes Leben führen können
und nur schwierig am öffentlichen Leben teilnehmen können. Her mit
der dezentralen Unterbringung durch Enteignung des leerstehenden
Wohnraumes, Spekulationsobjekte und Hotels!

Menschen sind oft aus bestimmten Gründen auf der Flucht. Viele fliehen vor Armut, Umweltkatastrophen oder Kriegen. Deutschland spielt dabei mit der Beteiligung in der NATO und mit massiven Waffenexporten, aber auch als führender Imperialist in der EU bei der Ausbeutung von afrikanischen Wirtschaften, eine zentrale Rolle. Deswegen müssen wir hier anfangen, um Fluchtursachen ein Ende zu setzen! Eine weitere zentrale Forderung ist die Vergesellschaftung von Rüstungskonzernen und allen weiteren Konzernen/ Unternehmen, die von Krieg, Flucht und dem rassistischen Lagersystem profitieren. Sie müssen unter Kontrolle der Belegschafteb zu einer Produktion umgebaut werden, die unsere Bedürfnisse befriedigen, statt nur für Krieg und Leid zu sorgen! Zudem müssen die NATO und andere imperialistische Militärbündnisse zerschlagen werden, denn sie stehen für ständiges Aufrüsten zwischen imperialistischen Machtblöcken, Kriege um Ressourcen, Einfluss und weltweite Durchsetzung von Unterdrückung.

2. Schluss mit Angriffen und Terrorismus Migrant_Innen und Linke!

Hanau, Halle, Rostock-Lichtenhagen.
Jorge Gomondai, Silvio Meier, Amadeu Antonio Kiowa. Rassistische
Angriffe und Terrorismus gegen Linke und Migrant_Innen sind in der
BRD Alltag. Im Kampf dagegen können wir uns auf Staat und Justiz
nicht verlassen. Stattdessen müssen wir uns dagegen organisieren.
Wir brauchen
Arbeiter_Innenmilizen
zur Selbstverteidigung. Diese müssen kollektiv, massenhaft
organisiert und vor allem wähl und abwählbar sein. Sie sind
notwendig, wenn wir uns effektiv gegen neonazistische Angriffe wehren
wollen.

Weiterhin muss der Verfassungsschutz
zerschlagen werden, denn er hat unfassbar viele Agenten in den Reihen
von Neonazi-Gruppen. Das Problem ist, dass dies auch Doppelagenten
der Neonazis sein könnten und es oft schon waren. Außerdem schützt
der Verfassungsschutz seine Agenten/Ansprechpartner so sehr, dass
selbst der Tod anderer Menschen in Kauf genommen wird. Bei den
NSU-Morden hatte der Verfassungsschutz viele Infos, die über Jahre
einfach nicht herausgegeben wurden. Bei einem der letzten Morde war
ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter anwesend und wollte angeblich
nichts gesehen haben. Dieser wurde wegen Zeugenschutz nie verurteilt.

Lasst uns den antirassistischen mit dem antikapitalistischen Kampf verbinden, denn die massenhafte Unsicherheit und Angst gerade in kapitalistischen Krisen sind Anknüpfungspunkte für die rücksichtslosen Ideen faschistischer Ideologien. Da es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen kommt, müssen wir den Kapitalismus selbst überwinden und dafür sorgen, dass kein Mensch mehr in Angst oder Unsicherheit leben muss! Da die Arbeiter_Innenklasse die Kraft ist, die diese neue Gesellschaft aufbauen kann, müssen ihr Organe auch alle rassistisch Unterdrückte sowie deren Organisationen ansprechen, indem ihnen alle nötigen Rechte darin zugestanden werden und der gemeinsame Kampf zwischen weiße und nicht-weiße Arbeiter_Innen den Rassismus dahingehend überwindet, dass der eigentliche Gegner Kapitalismus heißt! Wir wollen den Aufbau einer internationalen Antikrisenbewegung angehen, die sich gegen Militarismus, Rassismus, imperialistische Kriege und die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter_Innenklasse und Halbkolonien einsetzt. Wir müssen dafür vor allem auf die Führung von Linkspartei und SPD Druck ausüben, und deren Basis selbst ein solides revolutionäres Programm vorschlagen, für dass wir in den Gewerkschaften und auf der Straße eintreten.

3. Abschaffung von rassistischer Polizei und Gerichten!

Polizei, Gerichte, aber auch die
staatliche Gesetzgebung sind die nationale Vertretung des Kapitals.
Sie sind es auch, die strukturell rassistisch sind. Das liegt nicht
daran, dass dort nur rechte Menschen arbeiten würden. Vielmehr ist
es so, dass sie das nationale Interesse des Kapitals zuerst vertreten
müssen. So werden Waffenexporte abgesichert, Migrant_Innen als
„Kostenfaktor“ abgeschoben, die Ausbeutung von billigen
Leiharbeiter_Innen legitimiert
und so weiter. Dies alles führt, neben der allgemeinen
Sozialisierung in der bürgerlichen Gesellschaft, zu einem
chauvinistischen und rassistischen Weltbild.

Deswegen fordern wir die Abschaffung/
Zerschlagung von der Polizei und ihre Ersetzung durch kollektive,
demokratische, organisierte Selbstverteidigung
(Arbeiter_Innenmilizen). Auch Gerichte schützen allzu oft
rassistische Gesetze und bürgerliche Eigentumsverhältnisse und sind
nicht demokratisch legitimiert, obwohl sie viel Macht haben. Deswegen
wollen wir sie durch gewählte
(und abwählbare) sowie rechenschaftspflichtige Tribunalen ersetzen,
die im Sinne unserer internationalen Klasse entscheiden. Dahingehend
soll ein Sofortprogramm der Arbeiter_Innenklasse unter Kontrolle von
Gewerkschaften, Komitees und Räten erarbeitet werden.

Da bürgerliche Staaten im Kapitalismus
sich immer durch strukturellen Rassismus auszeichnen, müssen wir sie
durch einen revolutionären Umsturz abschaffen und durch eine
international vernetzte Rätedemokratie ersetzten. Dafür müssen
alle internationalen Kernindustrien enteignet und unter
Arbeiter_Innenkontrolle vergesellschaftet werden. Denn die politische
und militärische Macht ist immer ein Resultat der ökonomischen
Bedingungen. Eine Gesellschaft nach dem Kapitalismus würde eine
demokratische Planung der Wirtschaft nach Bedürfnissen statt Profit
umsetzen. Dies wird die Überausbeutung der halbkolonialen Länder
abschaffen, weil sich das Kapital nicht mehr in den Händen weniger
Großkonzerne in imperialistischen Staaten konzentrieren würden und
weil die Wirtschaft nicht mehr auf Profit ausgelegt wäre. Dem
Rassismus wäre seine Grundlage entzogen, denn seine unmittelbaren
Ursachen wären abgeschafft!




Die Radikalisierung der Querdenkenbewegung.

von Felix Ruga

Kannst du dich erinnern? Vergangenen
März, bald ein Jahr ist es her, gab es in einigen Städten
sogenannte „Hygiene-Demos“, bei denen sich meist kaum hundert
Leute versammelt haben. Es ging vor allem darum, sich gegen die
Einschränkung der Versammlungsfreiheit genau diese zu nehmen.
„Hygiene“ hieß damals, dass man dabei Abstand hielt, nur in
kleinen Gruppen war und später dann auch Maske trug, weil man sich
über die Ansteckungsgefahr bewusst sei, jedoch trotzdem
demonstrieren wolle. Auch schon damals war es ein Sammelbecken
verschiedenster Strömungen, zunächst vor allem
Menschenrechtler_Innen und Verschwörungsideolog_Innen, später kamen
dann auch Nazis dazu und verdrängten dabei Stück für Stück alle,
die ein Problem mit ihnen haben könnten.

Seit einigen Monaten zeichnet sich ein
grundlegend anderes Bild: Neben einigen ursprünglichen Symboliken
wie Regenbogen, Frieden und Grundgesetz, gibt es jetzt zunehmend
Reichsflaggen, Nazi-Ordner, militantere Ausschreitungen wie in
Leipzig Anfang November, Ablehnung von Hygienekonzepten und eine
klare Verschiebung des Inhalts zu: Corona-Lüge – Neue Weltordnung
– Lügenpresse – Coronadiktatur – BRD-GmbH – Illuminaten –
Trump – Deutschland – Volk. Die Radikalisierung nach rechts ist
unübersehbar, doch woher kommt sie? Wer treibt sie nach rechts? Und
was können wir tun, damit die Querdenker_Innen zurückgedrängt
werden?

Querdenken driftet zwar nach rechts,
bleibt aber heterogen

Zunächst ist es wichtig, anzuerkennen,
dass die gesamte „Querdenken-Bewegung“ und alles, was sich darum
gruppiert, weiterhin heterogen ist und sich darin viele Menschen
tummeln, die politisch eigentlich normalerweise nichts miteinander zu
tun haben. Diese Gegensätzlichkeiten werden zumindest während der
großen Aktionen hintangestellt. Doch das heißt keineswegs, dass
diese Strömungen wie in Stein gemeißelt und voneinander isoliert
sind. Es gibt weiterhin Machtkämpfe darum, wie klar man z.B. eine
rechte Ausrichtung nach außen trägt, nachdem es jetzt schon mal
klar ist, dass man Nazis mitlaufen lässt. Rechte versuchen ständig,
Menschen auf ihre Seite zu ziehen, indem sie großflächig in der
Bewegung intervenieren: Auf Aktionen halten sie Reden, verteilen
Flyer, moderieren auf der Bühne, machen sich durch ihre Mitarbeit zu
unerlässlichen Partner_Innen, in den vielen Chat-Kanälen machen sie
Stimmung und verbreiten ihr Gedankengut. Weniger nationalistische
Kräfte, die sich vielleicht mehr auf das Grundgesetz als auf
Deutschland beziehen, versuchen, ihre Sicht der Dinge zu verteidigen,
geben dabei in Rhetorik und Argumentation aber auch oftmals nach. Das
Gesamtbild ist zwar noch recht heterogen, doch es gibt diverse
Punkte, die Querdenken anschlussfähig für rechte Ideologien machen
und ein Einfalltor dafür darstellen.

Ein wichtiger Aspekt für
Radikalisierung ist es, dass zunächst verhältnismäßig moderate
Einstellungen bestimmte Fragen aufwerfen, die man eigentlich zu
beantworten hat, wenn man ein geschlossenes Weltbild haben möchte.
In dem Fall ist diese zunächst die Aussage: Corona ist eigentlich
gar nicht so schlimm und die Regierung verhält sich da komplett
übertrieben. Darauf folgt die Frage: Ok, aber warum macht die
Regierung das, wenn es doch eigentlich gebildete Leute sind? Dazu
könnten die Leute sich jetzt auf parlamentarische und
gesellschaftliche Komplexitäten beziehen, aber viel öfter wird es
deutlich einfacher beantwortet: Die Regierung, Presse und sonstige
Eliten lügen uns mit Absicht an, weil sie damit einen großen Plan
verfolgen, zum Beispiel eine „Corona-Diktatur“ einzuführen oder
mit Zwangsimpfungen Bill Gates reich zu machen oder sowas. Damit
landet man relativ schnell schon bei verschwörungsideologischen
Inhalten.

Es wächst zusammen, was
zusammengehört: Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus

Verschwörungsideologien sind meist auf
eine Art und Weise gestrickt, dass einige zentrale Charakteristika
mit rechtsextremen Ideologien gut zusammenpassen. Zuerst wäre dabei
der gesellschaftliche Grundwiderspruch gleich: Es ist das (deutsche)
Volk, was gegen den Staat und die Eliten aufbegehren muss, weil diese
lügnerisch, unanständig oder fremdgesteuert sind. Wer dieser Elite
nun konkret angehört, wird passend konstruiert und unterscheidet
sich teils deutlich je nach dem, wen du fragst. Manchmal sind es
politische Mächte wie die „linksgrünen Meinungsdiktator_Innen“
oder „undeutsche“ Politiker_Innen, aber meistens eher versteckt
handelnde Intrigant_Innen wie die Rothschilds, Freimaurer_Innen,
Illuminat_Innen, die Besatzungsmacht in der BRD-GmbH oder
irgendwelche bösen Einzelpersonen wie Bill Gates oder Georg Soros.
Zwar sind hiervon einige Jüd_Innen, aber selten wird offen gesagt,
dass es hierbei um Jüd_Innen im Allgemeinen ginge. Es ähnelt dem
Antisemitismus jedoch in dem Aspekt sehr stark, dass wir angeblich
eine eigentlich intakte (deutsche) Gesellschaft haben, diese jedoch
durch eine außenstehende Kraft vergiftet werde, die wir nur
ausmerzen müssten, dann sei wieder alles ok.

Wer zu der „Elite“ oder zum „Volk“
gehört, wird weder bei Rechten noch bei klassischen
Verschwörungsideolog_Innen an die Klassenzugehörigkeit gebunden.
Das ist ein typisches Merkmal für kleinbürgerliche Bewegungen, also
jenem Teil der Gesellschaft, der zwischen den Hauptklassen
(Arbeiter_Innen und Kapitalist_Innen) steht, z.B. kleine
Solo-Selbstständige, Laden- oder Restaurantbesitzer_Innen. Den
Standpunkt, den man vertritt, wird auch nicht als Teil einer Klasse
dargestellt, sondern als die Interessen „der Deutschen“ oder „der
Menschen“, weil man als Zwischenklasse Schwierigkeiten hat, eine
eigenständige Position zu finden. Beispiel: Auf der einen Seite will
man nach unten seinen Reichtum verteidigen, auf der anderen Seite
nicht von oben durch anderen Reichtum verdrängt werden. Wie soll man
da Klarheit zum Schutz von Eigentum finden? Also spricht man lieber
nicht drüber. Trotzdem scheint es bei Querdenken oft durch, wessen
wirtschaftliche Notlage ein besonderes Problem ist: Gegen die
Schließung der kleinen Betriebe wird die Aufhebung des Lockdowns
gefordert. Über Massenentlassungen bei Galeria oder Lufthansa oder
gar über die Kurzarbeit wird selten gesprochen.

Eine Sache, die die Rechten aber den
klassischen Verschwörungsideolog_Innen voraushaben, ist es, dass sie
direkt noch eine politische Perspektive parat haben, wie man die
Bewegung zum Sieg führt: Wir befinden uns schon seit Jahren in einem
Rechtsruck und es gibt einige Parteien und Personen im rechten Lager,
die Öffentlichkeit haben und die man jetzt nur weiter pushen muss,
damit sie der Corona-Politik ein Ende setzen. Neben dem
parlamentarischen Weg z.B. durch die AfD, gäbe es natürlich noch
das „Führer-Prinzip“, in dem ein starker Mann jetzt dafür
sorgen solle, dass die Ordnung wiederhergestellt werde. Durch diese
Perspektive können sie die Bewegung als Ganzes immer weiter nach
rechts treiben. Doch wer treibt da genau nach rechts? Eine kleine
Auswahl der wichtigsten rechten Kräfte folgt im nächsten Kapitel.

Who Is Who der rechten
Querdenker_Innen

AfD: Nachdem die
Euro- und Geflüchtetenthematik etwas an Zugkraft verloren haben,
versuchen nun Teile der AfD bei den Corona-Skeptiker_Innen zu landen.
Wobei sich diese Haltung
erst im Laufe des Jahres ergab. Zu Beginn der Pandemie rief man, nur
um die Regierung als unfähig dastehen zu lassen, noch nach
schärferen Maßnahmen und schnellerem Eingreifen. Bei allem,
was die AfD so macht, lässt sich immer wieder das gleiche Muster
finden: Sie präsentieren ihre Meinung durch unbequemes Auftreten als
besonders antielitär, vertreten dabei eigentlich aber nur in einem
aggressiven Ton einen Teil des Kapitals. Nun vertreten sie eben das
Kapital, das gerade sehr unter den Maßnahmen ächzt, aber eigentlich
genauso wenig das Interesse der Massen im Sinn hat wie jenes, das
diese Maßnahmen noch ok findet. Funktioniert bislang nur mäßig,
die Partei ist tief zerstritten.

Faschist_Innen: Hier
gibt es einige Kräfte (III.Weg, NPD, Reichsbürger_Innen, kleinere
Gruppen…), die sich teilweise in der Bewegung befinden, teilweise
jedoch das friedliche Auftreten von Querdenken ablehnen und eine
Spaltung suchen. Sie reden zwar auch von Frieden und Freiheit, aber
eher in dem Sinne, dass sie Freiheit für Deutschland (vom äußeren
Feind, s.o.), vielleicht auch durch Abschaffung der parlamentarischen
Demokratie, fordern und dass es dann erst Frieden für das deutsche
Volk gäbe. Die Faschist_Innen sind meist auch jene, die die
Reichsflaggen mitschleppen, um sich positiv auf das „freie
Deutschland“ in Form des Kaiserreichs zu beziehen.

QAnon: Da es sich
hierbei eher um eine US-amerikanische Internetbewegung handelt, ist
es schwierig, den Einfluss auf Deutschland einzuschätzen, aber man
sieht auf Querdenken-Protesten viel Symbolik: ein simples Q oder die
Abkürzung WWG1WGA („Where We Go One We Go All“; so viel wie
„alle für einen, einer für alle“) oder die Glorifizierung von
Trump. Es ist eine Art „Verschwörungsideologie zum Mitmachen“,
bei der eine angebliche Person aus dem Elitenkreis auf Reddit oder
4Chan kryptische Fragen stellt und die Leute sollen selbst im
Internet auf die Suche nach den Antworten gehen. Ergebnis dieser
Suche ist es, dass praktisch alle bekannteren Personen Satanist_Innen
seien, die sich durch das Essen von Kindern ewiges Leben verschaffen
wollen. Diese stecken alle unter einer Decke und kontrollieren das
Weltgeschehen. Und um nun auch die Menschen zu kontrollieren, soll
durch 5G und Chips, die beim Impfen eingepflanzt werden,
Gedankenkontrolle möglich werden. Vorkämpfer gegen die
satanistischen Eliten ist Donald Trump, der uns wieder in eine
anständige und gottesfürchtige Gesellschaft führen soll. Die
Wesensähnlichkeiten zum Faschismus (Antisemitismus, konservatives
Gesellschaftsideal, Führer-Prinzip, Bewegungscharakter…) sind
nicht zu übersehen.

und was machen wir jetzt?

Spätestens seitdem sich im großen
Stil Rechte unter die Querdenker_Innen gemischt haben, werden die
Aktionen auch immer von antifaschistischen Gegenprotesten begleitet.
Und das ist gut so, sie sollen wissen, dass wir sie nicht wollen und
wir müssen uns dagegen organisieren und vernetzen! Doch wird das
wohl allein nicht ausreichen. Der gesellschaftliche Nährboden von
Querdenken ist massenhafte Unzufriedenheit von Arbeitslosen,
Kurzarbeiter_Innen, vom Abstieg Bedrohten, während der Krise
Alleingelassenen. Querdenken ist dabei der einzige Pol, in dem sich
diese Unzufriedenheit entladen kann, obwohl es ihnen kaum mehr als
eine „Rückkehr zur Normalität“ versprechen kann, die wegen der
Wirtschaftskrise sicherlich nicht durch ein Ende des Lockdowns zu
erreichen ist, denn die Krise wird weitergehen, mit oder ohne Corona!

Wir müssen eine eigenständige
Antikrisenbewegung aufbauen, die dazu im Stande ist, eigene
Forderungen aufzuwerfen und durchzusetzen. Diese muss es sich zum
Ziel machen, dass die Lebensumstände aller Menschen gesichert sind
und zwar durch ein Verbot von Jobstreichungen und hohe
Sozialleistungen auf Kosten der Reichen und Krisengewinner_Innen! Um
die Versorgung und Pflege der Menschen abzusichern, muss der
Gesundheitssektor und die Pharmaindustrie enteignet werden. Corona
muss entschlossen und nachvollziehbar angegangen werden, ohne dabei
nur einseitig unsere Freizeit einzuschränken, aber keine Hand an die
Wirtschaft zu legen! Diese und weitere wichtigen Forderungen findet
ihr unserem Corona-Programm! Wenn wir statt Verschwörungsideologien
und leeren Versprechen der Normalität eine sichtbare Perspektive auf
ein gutes Leben aufwerfen, können wir Querdenken und all die Rechten
mit ihnen hinwegfegen!




USA: Stellungnahme zu Trumps faschistischer Provokation

Zuerst veröffentlicht unter: Workers Power (USA) und Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1133, 7. Januar 2021 / https://arbeiterinnenmacht.de/2021/01/08/trumps-faschistische-provokation/

Die Erstürmung des US-Kapitols durch einen Mob von Faschist_Innen, auf Veranlassung von Donald Trump, war ein gescheiterter Versuch des in die Enge getriebenen, aber immer noch bissigen Präsidenten, den Kongress (und den Vizepräsidenten) zu zwingen, die Anerkennung des demokratischen designierten Präsidenten Joe Biden aufzugeben.

Vor, während und nach der Wahl peitschte Trump den harten Kern seiner Anhänger_Innen mit der Behauptung auf, dass die Demokratische Partei im Begriff wäre, die Wahl zu „stehlen“, und dies dann in die Tat umgesetzt hätte. Eine kleine Ironie daran, dass Trump selbst dabei ertappt wurde, als er den  Republikaner aus dem Bundesstaat Georgia, Brad Raffensperger, anbettelte, 11.000 Stimmen zu „finden“, um ihm den Sieg in diesem Staat zu gewähren.

In mehreren Tweets rief er seine Anhänger_Innen am 6. Januar zu einem „wilden“ Versuch, Biden aufzuhalten, nach Washington auf. Am Tag selbst sprach er persönlich auf der Kundgebung, forderte seine Anhänger_Innen auf, „stark zu sein“ und stachelte sie an, die Pennsylvania Avenue hinunter zum Sitz des Kongresses zu „laufen“, um die Minderheit der Republikaner_Innen zu unterstützen, die versuchten, die Bestätigung der Wahl von Joe Biden zu verhindern. Sein persönlicher Anwalt, Rudy Giuliani, rief sogar zu einem „Prozess durch Kampf“ auf.

Offensichtlich war es kein Zufall, dass der normalerweise schwer bewachte Capitol-Komplex nur mit einer symbolischen Polizeipräsenz versehen war, um mit einer Massendemonstration fertig zu werden, die von Trump zur Raserei aufgepeitscht worden war. In der Tat: Bilder zeigen, dass die Polizei Metallbarrieren öffnet, um den Mob durchzulassen.

Welche Intrigen auch immer hinter diesem höchst verdächtigen Einsatz der Sicherheitskräfte steckten, der in lebhaftem Kontrast zu den schwer bewaffneten paramilitärischen Kräften stand, die im Juni letzten Jahres friedliche Black-Lives-Matter-DemonstrantInnen angriffen, das Ergebnis war die weite Öffnung der Gräben innerhalb der Republikanischen Partei zwischen Trump-Anhänger_Innen und einem Großteil des republikanischen Establishments. Es hat auch die Übereinkunft des Kapitals herbeigeführt, wenn nicht hinter Joe Biden, so zumindest in der Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung.

Vier Jahre lang hat sich das „respektable“ republikanische Establishment auf einen unberechenbaren Demagogen verlassen müssen, um die WählerInnen für sich zu mobilisieren. Viele von ihnen haben seinen vergeblichen Versuch, das Wahlergebnis zu unterlaufen, gerne mitgemacht. Eine große Anzahl von republikanischen Abgeordneten stimmte noch gegen die Ratifizierung.

Das Lancieren von lästigen Klagen, das Aufstellen von nachweislich falschen Behauptungen über Betrug, das Auffordern von Generäl_Innen zum Eingreifen und sogar der Versuch einer dreisten Wahlmanipulation waren für viele von ihnen offenbar akzeptabel.

Aber zu einer Demonstration aufzurufen, um den Sitz der bürgerlichen
Vertretung einzuschüchtern und das heilige Ritual der Übertragung der
Exekutivgewalt von einer Partei auf die andere mit einer gewalttätigen
Provokation zu unterbrechen, ging zu weit, wie die Kader des „tiefen
Staates“ zweifellos deutlich machten.

Trotz des schmachvollen Scheiterns des Putsches hat er eine zweifache
Bedeutung. Wie der Münchner Bierkeller-Putsch von 1923 hat er allen
AnhängerInnen der „white supremacy“ (Überlegenheit der weißen „Rasse“)
und faschistischen Gruppen einen gemeinsamen Bezugspunkt gegeben und sie
in eine rechtsextreme Massenbewegung gezogen. Es bleibt abzuwarten, wie
sich diese entwickeln wird, aber es ist sicher, dass Biden und die
DemokratInnen an der Regierung, die die Politik des
Wirtschaftsliberalismus verfolgen, den rassistischen Sumpf, in dem sie
gedeiht, nicht trockenlegen werden.

Trotzdem hat Joe Biden die Kontrolle über beide Häuser gewonnen, und nun wird sein Programm auf die Probe gestellt. Es ist unvermeidlich, dass er wenig oder nichts für die Gesundheitsversorgung für alle tun wird, die bei der Pandemie so lebenswichtig ist, wenig, um die Killer-Cops zu kontrollieren, wenig, um die Massenwelle der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Nicht zuletzt wird sich die Demokratische Partei als völlig nutzlos erweisen, wenn es darum geht, die demokratischen Rechte zu verteidigen, sei es gegen die staatlichen Kräfte oder gegen die wachsenden der Faschist_Innen.

Der erste Test, den faschistischen Provokationen zu widerstehen, könnte schon bei Bidens Amtseinführung kommen. Die Arbeiter_Innenbewegung, BLM und die Jugend, die DSA (Demokratische Sozialist_Innen), müssen mächtige Selbstverteidigungskräfte mobilisieren, um die FaschistInnen von den Straßen zu fegen, wo und wann immer sie auftauchen.

Aber alle Ausgebeuteten und Unterdrückten brauchen ein Programm der Arbeiter_Innenklasse, um mit den miteinander verbundenen Covid-, ökonomischen, Klima- und Demokratiekrisen fertig zu werden: ein Programm der Hoffnung, das auf der Enteignung des Reichtums der Bosse und einer demokratischen Planung im Weltmaßstab beruht und die einzige Alternative zu den neoliberalen DemokratInnen und der rechtsextremen Politik der Verzweiflung darstellt.

Dies zu tun bedeutet, eine Partei der Arbeiter_Innenklasse aufzubauen, unabhängig von den prokapitalistischen Fälscher_Innen Bernie Sanders und der „Riege“ (prominenter demokratischer SozialistInnen); eine Partei, deren Mitglieder die ArbeiterInnenklasse am Arbeitsplatz, in den Gemeinden und auf der Straße organisieren, als Teil des Klassenkampfes, um den Kapitalismus zu stürzen und zur sozialistischen Revolution zu führen.




Kampf dem antimuslimischen Rassismus! Wir lassen uns nicht durch Terror spalten!

REVOLUTION Austria, 9. November 2020

Der Terroranschlag vom 2. November war und ist weiterhin ein großer Schock für uns alle. Unsere volle Solidarität und Anteilnahme gelten den Betroffenen und Angehörigen. Gleichzeitig müssen wir auch leider feststellen, dass das politische Klima seither gerade für Muslim_Innen bzw. jene die als solche wahrgenommen werden äußerst beängstigend geworden ist. Ob auf der Straße, auf sozialen Netzwerken oder in den politischen Antworten der Regierungsparteien – überall ist zu sehen, wie Hass und Hetze sowohl unterschwellig als auch in ganz offener Form zunehmen. Daher legen wir den folgenden Artikel aus dem vergangenen Jahr in einer aktualisierten Fassung neu auf.  Wir lassen uns durch den Terror weder spalten noch einschüchtern – der Kampf gegen Terrorismus muss mit dem antirassistischen Kampf Hand in Hand gehen.

Der antimuslimische Rassismus erlebt seit Jahren einen enormen gesellschaftlichen Aufschwung. Es ist auch längst kein Problem mehr, das sich auf rechte bis rechtsradikale Fanatiker_Innen beschränkt, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, das die sogenannte politische Mitte ebenso betrifft, und selbst in linken Spektren ein großes Problem darstellt. Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem rassistische Übergriffe gegen Muslim_Innen und im Speziellen gegen muslimische Frauen, zur tagtäglichen Realität geworden sind. Vor allem jetzt nach dem Anschlag fluten schockierende Berichte über ekelhafte Angriffe und Diskriminierung die sozialen Netzwerke. Von tätlichen Angriffen, Beschimpfungen auf offener Straße, bis hin zu Schweinekadavern die an Orten hinterlassen werden, wo Muslim_Innen sich befinden ist alles mit dabei. In Kärnten zwang sogar eine Lehrkraft eine muslimische Schülerin ein Referat über Terrorismus zu halten und sich dabei ausdrücklich davon zu distanzieren, so als ob sie dafür verantwortlich wäre. Das ist rassistisch, ekelhaft und psychischer Terror. Die Situation war davor ohnehin schon nicht einfach. Das hat auch der 2019 veröffentlichte Report der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus deutlich belegt: Von 2017 auf 2018 gab es einen Anstieg von 74% (!) der dokumentierten rassistischen Vorfälle und ganze 83% richteten sich gegen Frauen. Doch woher kommt der antimuslimische Rassismus? Was sind seine besonderen Qualitäten?

Der
moderne antimuslimische Rassismus ist ein relativ neues Phänomen.
Zugleich wurzeln viele der heute präsenten Bilder jahrhundertelang in
die europäische Geschichte zurück. Darstellungen des sogenannten Orients
als primitiv, rückständig und despotisch im Vergleich zum modernen und
aufgeklärten Westen oder das in Europa verbreitete Schreckbild des
expandierenden Osmanischen Reiches als Bedrohung des christlichen
Abendlands haben eine lange Geschichte und werden im modernen
antimuslimischen Rassismus oftmals wieder aufgegriffen und auf die
„Rasse“, „Natur“ oder „Kultur“ der Betroffenen zurückgeführt.

Mit dem „Krieg gegen den Terror“ ab Anfang des Jahrtausends wurden in Europa alte Feindbilder wie Rassismus gegen Osteuropäer_Innen oder Jüd_Innen vermehrt durch einen Rassismus gegen Muslim_Innen abgelöst. Rassismus selbst hat seinen Ursprung im Kolonialismus des 19. Jahrhunderts in dem weiße Europäer_Innen den “unterentwickelten Völkern” vermeintlich Kultur und Zivilisation bringen würden. Natürlich ging es aber darum die brutale Ausbeutung und Versklavung sowie die hierarchische Überlegenheit zu legitimieren und zu festigen. Dabei hatte auch der antimuslimische Rassismus im Zuge der Kolonisierung der islamischen Welt seine Funktion als Rechtfertigungsideologie zu erfüllen. Ein angeblich seit Jahrhunderten existierender Kulturkampf wie er teilweise von Rechten wie u.a. den Identitären oder dem Christchurch-Attentäter beschworen wird, ist reine Fiktion. Willkürlich werden geschichtliche Ereignisse wie die Türkenbelagerungen oder die Reconquista zu einem geschichtlichen Motiv vermischt. Mit historischer Realität hat das wenig zu tun. Die allermeisten und auch die blutigsten Kriege wurde nämlich nicht zwischen Europa und dem Islam ausgefochten, sondern zwischen den diversen europäischen Mächten.

Die Gefahr einer angeblichen ständigen Bedrohung einer Invasion oder Umvolkung ist nicht ohne Grund auch ein Bild das häufig von rechten, wie der FPÖ, AfD, Identitären etc. quasi in einer Dauerschleife gebracht wird. Dabei spielt die tatsächliche Religionszugehörigkeit oder -ausübung keine Rolle. Die Betroffenen werden als homogene Masse bzw. als „Rasse“ wahrgenommen. Um ihren Rassismus zu verschleiern versteckt man sich dann oft hinter kulturalistischen Verklärungen, die dann von deren Werten, Bräuche, Traditionen etc. sprechen, wo jedoch klar ist, dass die Begriffe nur den verpönten Rassebegriff ersetzen. Rassistische Übergriffe werden auch so gut wie nie als solche behandelt, sondern unter dem Deckmantel der Fremdenfeindlichkeit verharmlost. Nun ist es aber so, dass nur bestimmte „Fremde“ angegriffen werden. Weiße Europäer_Innen mit anderen Staatsbürger_Innenschaften sind nicht Ziel von Übergriffen; der Begriff Fremdenfeindlichkeit verschleiert echten Rassismus. Gerade in Bezug auf Religion wird auch oft das Argument gebracht, dass man nicht von Rassismus sprechen könne, weil Religion eine individuelle Entscheidung bzw. keine biologische Tatsache ist. Das Individuum und sein Verhalten spielt aber kaum eine Rolle. Betroffene werden auf Basis rassistischer Kategorien (Aussehen, Kleidung, Sprache etc.) als solche wahrgenommen und diskriminiert, unabhängig davon ob und wie religiös sie nun tatsächlich sind. Bei Übergriffen werden die Betroffenen ja auch nicht im Vorhinein gefragt wie sie es nun mit der Religion halten würden. Das öffentliche Ausleben der Religion bzw. das Tragen religiös konnotierter Kleidung erhöht jedoch beträchtlich die Gefahr rassistisch angegriffen zu werden und führt zu einer Situation in der Betroffene oftmals sich nicht mehr trauen in die Öffentlichkeit zu treten, wie auch die Gegenwart gerade auf erschreckende Art und Weise zeigt.

Eine Besonderheit des antimuslimischen Rassismus ist die Verschränkung mit dem Terror. Insbesondere seit 9/11 kann man einen qualitativen Umbruch beobachten. Sicherheitspolitik, Verschärfungen im Flugverkehr etc. wurden stets mit einer „islam(isti)ischen Gefahr“ in Verbindung gebracht. Durch die ständige mediale Verschränkung, dem sog. Framing, wurde ein Bild geprägt, das den Islam als „böse Terrorreligion“ darstellt, und Betroffene unter den Generalverdacht, Terrorist_Innen zu sein, stellt. Letztes Jahr sprach die FPÖ unter ihrem damaligen Parteichef H.C. Strache bspw. davon, dass es in Wien „150 islamische Kindergärten, wo mit Hasspredigten die Kinder zu Märtyrern erzogen werden sollen“ gäbe.

Es ist unglaublich frustrierend mitzuverfolgen, wie auch aktuell viele Muslim_Innen sich in der Rolle sehen sich für diesen Anschlag entschuldigen zu müssen oder überhaupt erst bezeugen zu müssen, dass man diesen Terror ablehnt. Der Anschlag galt uns allen, und trotzdem attackierten viele Menschen Muslim_Innen, die ihre Anteilnahme, Trauer oder Angst ausdrückten. Schlimmer noch nutzen gerade Rechte wie die FPÖ oder die Identitären den Anschlag um ihre rassistische Propaganda zu befeuern.

Die zutiefst rassistischen und reaktionären Antworten auf solche Anschläge verschleiern zudem das Muslim_Innen selbst am allermeisten betroffen sind von extremistischen Terror. Von 2001 bis 2014 sind in Westeuropa 420 Menschen durch Terror gestorben. Allein im Irak sind in demselben Zeitraum 42.759 Menschen wegen Anschlägen gestorben. In Afghanistan waren es 16.888, in Pakistan 13.524, in Nigeria 11.997 – die Zahlen zeigen eindeutig: Weder ist es so, dass der “islamistische” Terror die größte Gefahr Europas sei (es ist statistisch um einiges wahrscheinlicher in einen tödlichen Autounfall zu geraten als durch einen Terroranschlag zu sterben), noch ist es so, dass es ein Kampf zwischen dem „Islamismus“ und dem Westen ist. So fand auch am selben Tag in Afghanistan ein widerwärtiger Terroranschlag auf dem Gelände der Universität Kabul statt, bei dem über 35 Menschen ums Leben gekommen sind.

Sicherlich mögen Zahlen, Vergleiche und Wahrscheinlichkeiten
den Betroffenen hier aktuell wenig bringen, doch eins ist klar: Wir
dürfen uns jetzt nicht spalten lassen, denn das spielt dem IS in die
Hände und schafft nur noch mehr Nährboden für seine Ideologie. Der
Anschlag hat Menschen das Leben gekostet, viele traumatisiert und ein
Klima von Angst und Verunsicherung geschaffen. Die Frage nach den
Ursprüngen von Terroranschlägen und wieso nach außen hin diese scheinbar
fast immer im Namen des Islams ausgeübt werden, beschäftigt gerade
viele. Dem müssen wir zweierlei entgegnen.

Erstens liegens die Ursprünge von Terrororganisationen und Netzwerken wie Al-Qaida oder dem IS in Ländern wie dem Irak, Afghanistan, Syrien etc. also allesamt Regionen die durch jahrelange imperialistische Kriege (man denke bspw. an den Irak-Krieg wo es primär um geopolitische sowie US-amerikanische Erdölinteressen ging) nahezu komplett zerstört und zerbombt wurden und Generationen an Menschen hinterließen, die jegliche Perspektive verloren haben. Die desaströse politische, wirtschaftliche und soziale Lebensrealität der Betroffenen bietet einen Nährboden, unter dem sich Menschen schnell radikalisieren lassen, den Terrorrist_Innen auch bewusst ausnutzen. Ihre Ideologie gibt solchen Menschen vermeintliche Erklärungen für die Zustände unter denen sie leben müssen und eine übergeordnete Identifikation mit einem höheren Ziel dem sie ihr Leben nun wieder verschreiben können. Der absolute Großteil der in diesen Regionen ansässigen Zivilbevölkerung lehnt aber diese Netzwerke und Organisationen komplett ab, da sie die Länder genauso mit Terror, Tod und Schrecken übersäen.

Zweitens mag nach außen die Ideologie des IS, der Dschihadismus, sich zwar als Religion präsentieren, doch hier muss in aller Klarheit gesagt werden, dass es sich nur einen Deckmantel handelt. Es geht hier um beinharte politische Machtansprüche und ideologische Kämpfe. Viel eher muss man sagen, dass der Dschihadismus den Islam, so wie er von Muslim_Innen weltweit ausgeübt wird, eigentlich fast gänzlich ablehnt. In vielen ideologischen Schriften sehen sie Muslim_Innen, als die weitaus schlimmeren Feinde als bloße „Ungläubige“. Sie gelten als Verräter an der Sache, Sünder und als ideologische Gefahr, zumal die meisten offiziellen islamischen Institutionen und Glaubensgemeinschaften allesamt den Dschihadismus verurteilen.

Das
Religionen als Vehikel für politischer Machtkämpfe genutzt werden, ist
auch keine Neuheit in der Menschheitsgeschichte. Gerade das Christentum
hat eine lange Geschichte von Kreuzzügen, und kriegerischen
Auseinandersetzungen – der dreißigjährige Krieg oder auch in jüngerer
Geschichte der Nordirlandkonflikt können hierfür als Beispiele dienen.
Auch die Methode des Terrors ist keine Eigenheit des Dschihadismus. In
der Region um Uganda verübt die „Lord‘s Resisstance Army“ seit den 80ern
regelmäßig Terroranschläge mit dem Ziel einen christlichen Gottesstaat
zu etablieren. In den 90ern machte eine in Asien ansässige religiöse
Gruppe, die dem Shintoismus-Buddhismus zuzuordnen ist, durch
Giftgasanschläge in Tokyo auf sich aufmerksam. Der seit Jahren
fortlaufende Rechtsruck in Europa hat auch hier zufolge gehabt, dass es
zu mehr rechtsradikalen Terroranschlägen (wie in Utöya, Christchurch
oder Hanau) kam – die Täter sprachen in ihren Manifesten auch stets
davon, das christliche Abendland retten zu müssen.

Um es nochmal
zu betonen, die inhaltliche Qualität von Religionen spielt dabei kaum
eine Rolle für den Terrorismus, da sie primär politische Ideologien
sind, die Religionen als Deckmantel und Projektionsfläche nutzen. Unsere
Aufgabe muss sein solidarisch gegen religiösen Terror zu kämpfen und
die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme anzusprechen,
die dahinterstecken. Ein konsequenter Kampf gegen den Terror kann daher
auch nur internationalistischer und vor allem antiimperialistischer
Kampf sein!

Zurück zum antimuslimischen Rassismus, denn eine weitere Besonderheit sieht man bei dem Vergleich mit rechtsradikalen Terroranschlägen. Während bei jedem “islamistischen” Terroranschlag die Täter_Innen als diabolische Märtyrer_Innen bezeichnet, alle rassistischen Klischees ausgepackt und wiederum die größte Gefahr für Europa beschworen wird, wird bei rechtsradikalen Anschlägen ungemein verharmlost und psychologisiert. Rechtsradikale Anschläge, wie der des Attentäters von Christchurch, der bei einem Angriff auf zwei Moscheen 50 Menschen tötete, werden als individuelle Tragödien dargestellt. Die Taten werden entpolitisiert, und mehr als Ergebnis psychologischer Probleme verklärt. In der Berichterstattung wird nach der Kindheit, der Lebensgeschichte etc. gefragt und es entsteht letztlich der Eindruck, dass solche Täter_Innen bemitleidenswerte Opfer der Gesellschaft wären. Es passt nun mal nicht in das jahrelang von Medien und Politiker_Innen geschaffene Bild des „islamistischen“ Terrors, dass auch rechtsradikale und christlich geprägte Menschen Terroranschläge ausüben. Das Leid der wahren Betroffenen geht dabei komplett unter. Die Message ist klar: Die Betroffenen sind weniger wert, ihr Leid unwichtiger, weil sie nun mal nicht zu dem völkisch bzw. rassistisch gedachten „uns“ gehören. Außerdem wird die Gefahr des Faschismus deutlich und bewusst verklärt, der deutliche Anstieg verschwiegen und der politische Kontext des internationalen Rechtsrucks verschleiert.

Antimuslimischer
Rassismus, ob in Österreich oder anderswo, muss bekämpft werden –
gemeinsam, solidarisch und internationalistisch. Wir dürfen uns nicht in
rassistische, völkische oder nationalistische Kategorien spalten lassen
– auch jetzt angesichts des Terroranschlags erst recht nicht – und
müssen stattdessen aufzeigen, dass die sozialen und ökonomischen
Probleme in unserer Klassengesellschaft wurzeln. Wir müssen an den Orten
wo wir uns befinden, egal ob Schule, Uni oder Arbeit uns organisieren
und dürfen zugleich den internationalen Rechtsruck und die rassistischen
Angriffe nicht mehr so einfach hinnehmen. Antirassistisch zu sein,
bedeutet auch konsequent Widerstand zu leisten und dem antimuslimischen
Rassismus den Kampf anzusagen!




#ENDSARS: Nigerias Jugendbewegung gegen Polizeigewalt & ihre Perspektive

Vor
circa 2 Wochen brachen in Nigeria im ganzen Land Proteste aus.
Tausende junge Menschen wehren sich gegen die anhaltende und brutale
Polizeigewalt, die vor allem von der Sondereinheit „SARS“
ausgeht.
Sie
werfen der „Anti-Überfalleinheit“ wiederholte
Raubüberfälle und Misshandlungen von Zivilist_Innen vor und fordern
deren Auflösung. Nach einer Woche heftiger Proteste, in denen auch
eine Polizeistation in Flammen aufging, kündigte Nigerias Präsident
Muhammadu Buharu an, dieser Forderung nachzukommen. Doch darauf kann
man sich nicht verlassen! Dies ist bereits die 4. Ankündigung dieser
Art in den letzten Jahren. Und passiert ist nichts! Die Menschen sind
wütend, der Protest richtet sich längst auch schon gegen die
Regierung als Ganzes.

Diese
scheint mit der Situation sichtlich überfordert zu sein, denn auch
wenn dies von offizieller Stelle geleugnet wird, eröffnete das
Militär in Lagos das Feuer auf friedliche Demonstrant_Innen. Sie
schossen auf die mutigen Menschen, die sich dem ungerechten und
mörderischen System widersetzen. Über 50 Zivilist_Innen wurden
mittlerweile im Zuge der Proteste getötet. Die Regierung hat eine
Ausgangssperre verhängt, nachdem in Benin fast 2.000 Häftlinge aus
einem Gefängnis befreit wurden, doch die Menschen lassen sich nicht
einschüchtern und kämpfen weiter! Richtete sich ihr Protest anfangs
allein gegen SARS, wurden die Forderungen mittlerweile ausgeweitet.
Sie fordern den Rücktritt des Präsidenten und ein Ende der massiven
Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig absurd hohen Gehältern der
PolitikerInnen. Diese Protestwelle ist vor allem ein Protest der
Jugend, denn mit einem Durchschnittsalter von 18 Jahren ist Nigeria
die jüngste Region der Welt und Jugendliche leiden besonders unter
den prekären ökonomischen Verhältnissen: Nur eine Minderheit der
Schul- und Hochschulabsolvent_Innen hat eine Arbeit, von der sie
leben kann und Migrationswege in den Rest der Welt sind dank der
europäischen Grenzpolitik mittlerweile versperrt. Diese
Perspektivlosigkeit einer ganzen Generation hat sich nun in Wut
umgewandelt. Dabei ist es sicherlich kein Zufall, dass die politische
Krise Westafrikas mit der schwersten Wirtschaftskrise dieses
Jahrhunderts zusammenfällt: Durch die enormen Einbrüche im
Außenhandel des Ölstaates hat sich die Lebenssituation vieler
Menschen noch einmal drastisch verschlechtert. Millionen von
Menschen, die vorher knapp über dem Existenzminimum lebten, rutschen
nun darunter und die ohnehin hohe Arbeitslosenquote von 27% steigt
weiter an. Die Übergriffe der SARS-Einheit haben nun das Fass zum
Überlaufen gebracht und eine Jugendbewegung geschaffen, die
entschlossen ist, sich nicht länger ihrer Ausbeutung zu beugen und
ihre Zukunft selbst gestalten will. Jetzt ist es an der Zeit, den
aufgeworfenen sozialen Forderungen eine antikapitalistische
Perspektive zu geben und die Massen der Arbeiter_Innen und
Student_Innen in Räten zu organisieren. Es darf kein Vertrauen mehr
in die Reformen der Regierung gesetzt werden. Stattdessen müssen die
AktivistInnen selbst demokratisch über ihre Zukunft entscheiden!

Wir,
von REVOLUTION solidarisieren uns ausdrücklich mit der kämpfenden
Protestbewegung in Nigeria! Das Regime, das brutal mit Waffengewalt
gegen die eigene Bevölkerung vorgeht muss entmachtet werden und die
Verantwortlichen zur Rechenschafft gezogen werden! Für eine
demokratische Bewegung der Arbeiter_Innen und Student_Innen, die der
Polizeigewalt & der Krise den Kampf ansagt!

Hoch die
internationale Solidarität!




What the Fuck is wrong in the USA?!

Jan Hektik

Wenn bloß ein wenig darauf geachtet wird, was gerade in den USA so alles abgeht, verliert man schnell den Überblick. Es kommt einem so vor, als ob dort alles gleichzeitig zusammenbricht, sich aber trotzdem nicht wirklich etwas ändert. In diesem Artikel möchten wir kurz beschreiben, was eigentlich in den USA gerade schiefläuft. Kurze Antwort: Alles! In diesem Artikel wollen wir aber drei der Konflikte näher beleuchten. Erstens Corona und das Gesundheitssystem, zweitens die Wirtschaftskrise und das Sozialsystem und drittens Black Lives Matter und Rassismus. Alle diese Konflikte finden ihren Ausdruck auch im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, also wird auf diesen auch in einem Abschnitt eingegangen werden.

Corona und Gesundheit

Die USA sind eines der am härtesten von der Pandemie getroffene Land mit Zehntausenden von Neuinfektionen täglich und massenhaft Toten. Warum ist das so?

Die einfache Antwort, die insbesondere die Demokraten gerne geben, ist wegen Trump. Doch auch wenn diese Aussage einen wahren Kern hat, so ist sie zumindest nicht ausreichend. Viel liegt auch an dem Gesundheits- und Sozialsystem, welches auch vor Trump in den Vereinigten Staaten schon bestand.

Das Gesundheitssystem in den USA basiert auf einer sehr starken und einflussreichen Pharmalobby (Big Pharma), welche ein gigantisches und profitables Netzwerk aus Versicherungen aufgebaut hat. Anders als in Deutschland gibt es keine staatliche Gesundheitsversicherung und auch keine Versicherungspflicht. Dadurch haben viele Menschen in den USA überhaupt gar keine Versicherung, besonders nicht die ärmeren. Gleichzeitig sind Preise für Medikamente und Behandlungen exorbitant hoch. 41% aller amerikanischen Personen im arbeitsfähigen Alter haben Probleme mit medizinischen Rechnungen oder zahlen medizinische Schulden ab.

Sind Menschen versichert, so sind sie es erstens meistens über ihren Job, zweitens unter strengen Bedingungen und drittens meist mit Selbstbeteiligung. D.h. auch wenn du versichert bist, kannst du trotzdem an den Kosten einer Krankheit zugrunde gehen.

Die Versicherungen funktionieren nach Netzwerken. Jede Versicherung hat ein Netzwerk. Ärzte, Krankenhäuser etc. können Teil dieses Netzwerk sein. Brauchst du eine Behandlung, geh besser in ein Krankenhaus, dass Teil des Netzwerks ist, ansonsten zahlt die Versicherung nicht.

Durch den Affordable Healthcare Act (Obamacare) wurde manche Missstände zwar abgeschwächt, in der Grundstruktur sind sie aber immer noch stark vorhanden.

Weiterhin trifft die Pandemie die USA so stark, weil im Gesundheitssektor durch die Ausrichtungen auf Wirtschaftlichkeit für die Bevölkerung relativ wenig Kapazitäten freistehen. Und schließlich wurde auf die Pandemie politisch von der Regierung langsam, zögerlich und minimal reagiert. Dies hat seinen Grund jedoch sehr stark in den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in den USA.

Die Wirtschaftskrise und das Sozialsystem in den USA

In den USA gibt es auch außerhalb des Gesundheitssystems kaum soziale Absicherungen, keine gesetzliche Rente (nur private Rentenversicherungen), sehr begrenzte und viel zu geringe Arbeitslosenversicherungen usw.

Das führt dazu, dass die Leute noch viel stärker auf ihre Jobs angewiesen sind als hier. Weiterhin gibt es auch keinen Kündigungsschutz und auch sonst kaum arbeitsrechtliche Regelungen zum Schutz der Beschäftigten, sowie generell eher schwache gewerkschaftliche Organisierung und kaum einheitliche Kämpfe. Das führt dazu, dass die Unternehmen in den USA, wenn sie ihre Produktion wegen Corona runterschrauben müssen, einfach massenhaft Leute entlassen können.
Die Gesundheitsversicherung über den Job ist dann weg.

Die Regierung hat den Lockdown lange hinausgezögert, ihn dann so minimal wie möglich durchgeführt, sodass die Infektionen trotzdem in die Höhe schossen (z.B. weil bei Amazon massenhaft Menschen unter massiven Zeitdruck arbeiten und keine Zeit haben sich die Hände zu waschen), woraufhin massenhaft Menschen entlassen wurden und ihre Versicherung verloren haben. Somit ist ein sich gegenseitig befeuerndes Verhältnis aus wirtschaftlicher und gesundheitlicher Krise entstanden woraus ein krasser Angriff auf die ärmsten Teile dieser Gesellschaft entstand.

In den USA stehen auf der einen Seite die Bourgeoisie (Corporate America) und ihre (offenen) Vertreter Trump, die Republikaner und die Rechte und auf der anderen Seite das Proletariat und in ihm besonders die unterdrücktesten Teile (People of Color, LGBTIA, Frauen). In den USA kann man besonders stark die Auswirkungen von wirtschaftlichen Nachteilen auf soziale und gesundheitliche Aspekte sehen. Gleichzeitig besitzen die Reichsten 1% mehr als die Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung.

All diese Probleme haben sich mit dem Eintritt der Krise, ausgelöst durch die Pandemie, plötzlich massiv verschärft. Besonders hart hat es People of Color und besonders die Schwarze Bevölkerung getroffen. Sie sind häufiger in schlechter bezahlten Berufen, schlechterer Gesundheitsversorgung, leben in infrastrukturell schlechteren Gebieten enger zusammen, haben weniger Absicherung bei Lohnausfällen oder Jobverlust und arbeiten überwiegend in Berufen die eine erhöhte Ansteckungsgefahr aufweisen. Der Rassismus in den USA hat somit eine ökonmoische Grundlage…und viel Sprengkraft.

Rassismus

Rassismus in den USA hat eine lange Geschichte und tiefe Verwurzelung. Er drückt sich neben der wirtschaftlichen in vielen anderen Formen aus. Eine ist die überproportionale Verfolgung von Schwarzen durch den Staat. 38,4% von allen Häftlingen in den USA sind Schwarz bei 12,7% der Bevölkerung, daneben sind 57,7% der Häftlinge weiß bei 72% der Bevölkerung.

In der Geschichte der USA gab es viele Bestrebungen den Gedanken der „weißen Rassenüberlegenheit“ (white supremacy) in der Gesetzgebung und der Exekutive zu verankern.

Die Polizei ist überproportional von Weißen besetzt wird, Tötungen durch die Polizei treffen unverhältnismäßig oft Schwarze Personen und Todesurteile treffen überproportional Schwarze Personen bei weißen Opfern. Rassismus durchzieht die gesamte Staatlichkeit der USA. Die Vorfälle in Kenosha, wo Jacob Blake von der Polizei ermordet wurde und in dem darauf folgenden Protest ein Rechter zwei BLM-Demonstrant_Innen ermordete, sind nur die Spitze des Eisbergs.

Der US-Amerikanische Wahlkampf

Im Sud dieser Konflikte brodelt der US-Amerikanische Wahlkampf. Für die Demokraten tritt Joe Biden an und für die Republikaner Donald Trump. Während die Republikaner die rechten Teile der Gesellschaft und den rechten Flügel der Bourgeoisie vertreten, versuchen die Demokraten, welche den etwas linkeren Teil der Bourgeoisie vertreten, gleichzeitig möglichst viele progressive Stimmen abzufangen.

Die Republikaner

Zunächst zum Wahlkampf der Republikaner, dieser stützt sich vor allem auf drei Punkte: Law and order (Recht und Ordnung), Kampf gegen den Sozialismus und Garant der individuellen „Freiheit“ (der Reichen und Weißen).

Law and Order ist der republikanische Propagandabegriff für die brutalste Niederschlagung jeglichen Widerstandes gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sowie die Art und Weise der Durchsetzung der oben genannten Krisenlösung von Kürzungen und Angriffen auf die ärmsten Teile der Bevölkerung.

Die Kosten der Krise auf die unterdrückten Teile der Gesellschaft abwälzen, das wollen beide Parteien. Die Fragen, über die sie sich uneinig sind, drehen sich nur um die Intensität und die Durchführung dessen.

Die BLM-Proteste werden als Plünderer bezeichnet und rechte Milizen und Polizei zu Hütern von Recht und Ordnung verklärt. Das Ganze eben unter dem Deckmantel gesellschaftlicher Regeln und wer sich nicht an diese halte, müsse hart bekämpft werden.

Im Kampf gegen den Sozialismus wird sich im Endeffekt auf Bernie Sanders bezogen und die Politik der Bewegung, die ihn unterstützt hat, auf Biden übertragen, ohne dass dafür eine tatsächliche Grundlage besteht. Biden ist ein Musterschüler des US-Imperialismus, Sanders ein sozialdemokratisch angehauchter Reformer.

Weiter geht’s mit der individuellen „Freiheit“ als klassischem Thema der Rechten in den USA. Patriotismus und Nationalismus sind eng verbunden mit diesem Begriff von Freiheit. Hier verbindet sich auch Law and Order mit Antisozialismus. Soziale Programme werden als Eingriffe in die Freiheit dargestellt, Privateigentum der Kapitalist_Innen und damit verbundene Ausbeutung als Ausdruck dieser Freiheit.

Die Demokraten

Biden dagegen stützt sich eigentlich nur auf zwei Punkte: Anti-Trump und im Winde wehen.

Biden und Trump führen den Wahlkampf der Persönlichkeiten. Viel der Debatte geht um das Alter von Biden oder die Unfähigkeit von Trump. Eigentlich ist Bidens Hauptargument: „Wählt mich, denn ich bin nicht Trump“ und „Ich war Vize unter Obama“.

Das sind vermutlich auch die beiden Hauptpunkte, mit denen er sich gegen Sanders durchsetzen konnte. Einerseits hatte er insbesondere unter älteren Menschen hohe Zustimmungswerte, besonders unter Schwarzen über 40, andererseits kam sein plötzlicher Zuwachs nachdem Obama dazu aufgerufen hat für ihn zu stimmen. Obama wird von vielen als linker wahrgenommen als er eigentlich war, insbesondere im Kontrast zu seinem Nachfolger. Die Hauptauseinandersetzung zwischen Biden und Sanders war Bidens Argument, Sanders sei zu links, um gegen Trump zu gewinnen. Dass dies nicht zutrifft, zeigt sich auch schon an der großen Zustimmung, die Sanders unter eher republikanisch geprägten Teilen der Bevölkerung hatte aufgrund der hohen Beliebtheit seiner Gesundheitsreform und einem stärkeren Klassenbezug.

Sanders großes Problem war eigentlich nicht mit der Demokratischen Partei zu brechen. Zwar ist er an sich ein Unabhängiger, der nur 2016 und 2020 jeweils zu den Wahlen den Demokraten beitrat. Jedoch hat er erst Hillary Clinton und dieses Mal Biden unterstützt, nachdem er die Wahl um die Kandidatur verloren hat. Jeder Beobachter_In klar ist, dass seine Ziele und erst recht die weitergehenden Ziele der Bewegung niemals mit dem Establishment der Demokraten, welches durch Clinton und Biden repräsentiert wird, umsetzbar sind.

Die DSA

Durch die Kandidatur zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten von Bernie Sanders wurde 2016 in den USA eine Debatte gestartet, die zu einer gesteigerten Popularität sozialistischer Begriffe, Phrasen und Politik geführt hat. Er hatte damals (und erneut dieses Jahr) unter anderem gefordert, alle privaten Krankenversicherungen abzuschaffen und durch eine staatliche zu ersetzen, welche bessere Bedingungen als in den meisten europäischen Ländern geschaffen hätte, eine stärkere Besteuerung der Reichen, verbunden mit großen Sozialprogrammen, und sich explizit an die arbeitende Bevölkerung und die Gewerkschaften gewandt und mit ihnen zusammen gearbeitet.

Gleichzeitig hat sich die Bewegung um ihn mit Black Lives Matter und Protesten von Latinos vernetzt. Dies ist der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung, die mit den Protesten von Occupy Wallstreet begann und die Organisierung und den Klassenbezug stetig erhöht hat. Auch untypisch für den US-Wahlkampf war Sanders‘ Methode nicht auf seine Persönlichkeit, sondern auf seine Forderungen und eine Bewegung zu setzen. Auch dies hat ermöglicht, dass die Democratic Socialists of America (DSA) in 2016 von unter 10.000 auf 35.000 und 2019 auf 55.000 Mitglieder anwuchsen.

Die DSA ist eine Partei, deren Politik in Deutschland als sozialdemokratisch gelten würde. Sie stützt sich auf die Arbeiter_Innenklasse und benennt diese klar als Bezugspunkt. Auch ihre Versuche sich mit Gewerkschaften zu vernetzen und eine Verbindung der Kämpfe von Antisexismus, Antirassismus und gewerkschaftlichen Kämpfen herzustellen sind vielversprechend. Einerseits stellt dies eine große Chance für Kommunist_Innen dar, Menschen für die kommunistischen Ideen zu begeistern und andererseits ist eine unabhängige Organisierung auch ein notwendiger Schritt zu einer klassenunabhängigen, wenn auch noch nicht unbedingt revolutionären Politik. Alleine schon die Existenz einer unabhängigen Massenarbeiter_Innenpartei in den USA wäre ein großer Fortschritt und die Bereitschaft in den linken Teilen der Gesellschaft und auch in der DSA, mit den Demokraten zu brechen, ist hoch wie nie. Gerade die Konflikte um Sanders und die Demokraten haben dies verstärkt.

Verhältnismäßig viele der linkeren Teile der demokratischen Basis sind dazu geneigt Unabhängige zu wählen. Das ist für die USA besonders bedeutsam, da historisch nie mehr als zwei große Parteien ernsthafte Chancen auf die Präsidentschaft hatten. Dies wird immer als Totschlagargument gegen die Gründung und Wahl neuer Parteien benutzt. Doch es geht in Wirklichkeit darum einen gesellschaftlichen Wandel zu bewirken und das ist nur durch die Aktion möglich, durch die Organisierung von Protesten, Strukturen und Streiks. Mit der wachsenden sich als sozialistisch verstehenden Bewegung, Black Lives Matter, Solidaritätsstreiks im Profisport und vielen Produktionszweigen und der Debatte um Krise von Wirtschaft und Gesundheit, die durch die Pandemie losgetreten wurde, ist dies eine der besten Gelegenheiten für den Aufbau einer unabhängigen Arbeiter_Innenpartei, die es jemals gab.

Wer gewinnt, Biden oder Trump?

Das ist schwer zu sagen, da ihre Prognosen eng beieinander liegen. Es wird an den Zielen ihrer Politik aber nicht viel ändern. Beide beabsichtigen die Krise mit Förderung der Kapitalist_Innen und Angriffen auf die Arbeiter_Innenklasse zu beantworten. Der Unterschied liegt hauptsächlich in der Art und Weise. Unter Trump werden die Angriffe mit härteren Mitteln und offenerem Rassismus durchgeführt werden. Man kann auch nicht sagen, dass es überhaupt keinen Unterschied macht, wer gewinnt, allein schon weil die Wahl eines offenen Rassisten wie Trumps auch als Gradmesser für das Bewusstsein der US-amerikanischen Bevölkerung verstanden werden muss. Aber an den kapitalistischen Grundbedingungen wird sich nichts ändern, keiner von beiden wird das Gesundheitssystem reformieren, keiner wird Streikende unterstützen oder Klasseninteressen ansprechen und keiner von beiden wird den rassistischen Polizeiapparat angehen. Biden sagte dazu bloß, es sei ja ein Unterschied, ob man Polizisten beibringe auf den Kopf oder die Beine zu schießen. Und genau diese Art von Kandidat stellt er dar. Er ist der Einen-Schuss-in-die-Beine-statt-in-den-Kopf-Kandidat.

Warum kein Schuss in die Beine?

Immer noch besser als ein Kopfschuss, also Biden wählen. Könnten wir jetzt sagen. Sagen wir aber nicht, denn wie sollen wir als Revolutionär_Innen die Klasse für unsere Ideen gewinnen, wenn wir sie dazu aufrufen sich für einen Schuss in ihre Beine stark zu machen. Und wir haben ja oben ausführlich geschildert, dass Biden eben nicht die Interessen der Arbeiter_Innenklasse vertritt, sondern nur eine andere Strategie der bürgerlichen Klassenherrschaft, die sich eher zufällig an manchen Punkten mit progressiver Politik verwechseln lässt.

Was jetzt in den USA notwendig bleibt, ist das Nutzen von Wahlkampf und den Bewegungen, um eine Organisation aufzubauen, die die Interessen der Klasse und der Unterdrückten auch außerhalb von Wahlen unterstützt. Die es z.B. fördert, wenn Schwarze Communities selbst Patrouillen durch ihre Nachbarschaft schicken, um sich vor Rechten, Kriminalität aber auch der Polizei zu schützen. Oder die Gewerkschaften dazu drängt den Schulterschluss mit den antirassistischen und antisexistischen Kämpfen zu suchen. Und zu guter Letzt braucht es den Kampf um eine unabhängige Arbeiter_Innenpartei, in der Kommunist_Innen für ein revolutionäres Programm kämpfen, die die Kosten der Krise Trump, Biden und Co. zahlen lässt!




Woher kommen eigentlich Verschwörungsideologien?

von
J.J.Wendehals

Bei
den “Querdenker”-Demos kommen aktuell so viele Leute auf die
Straße wie sogar die Rassist_Innen von Pegida selbst zu ihren
Hochzeiten nur hätten träumen können. Dabei handelt es sich zwar
keineswegs um eine einheitliche Masse aus knallharten Faschist_Innen,
aber es gibt doch ein ideologisches Dach, unter dem alle diese
verschiedenen Leute (auf eine infektionspolitisch nicht vertretbare
Nähe) zusammenkommen: Es handelt sich um (mal mehr und mal weniger)
wilde Theorien darüber wie mystische Kräfte oder Personen die
Geschicke der Welt lenken und sie gegen den “kleinen Mann”
lenken, der sein einfaches Leben unterhalten will. Wir nennen diese
Verschwörungsideologien.

Woran glaubt ein_e
Verschwörungsideolog_In?

Typischer
Weise richten sie sich gegen tatsächlich relativ einflussreiche
Personen wie Konzernchefs (Bill Gates) oder Regierungsangehörige
(Merkel, Obama) aber es gibt auch weitaus phantastischere Ziele
(Echsen, außer- oder überirdische Wesen) und offen rassistische
(Juden und Jüdinnen, Geflüchtete). In den einzelnen Theorien sind
dann diese verschiedenen Feindbilder oft miteinander kombiniert und
verflochten wie z.B. im Fall von antisemitischen Verleumdungen des
George Soros (ein Investor jüdischer Abstammung, der sein Vermögen
auch für Bildungs- und bürgerrechtliche Zwecke einsetzt) oder wenn
behauptet wird Bill Gates (eigentlich ein getarntes Echsenwesen)
stehe hinter der Coronapandemie, um damit Geld in die Taschen der
Pharmakonzerne zu lenken, an denen er beteiligt ist. So absurd und
lächerlich diese Theorien einstweilen wirken, so real sind aber
offenbar doch ihre Auswirkungen und Hintergründe, dafür sind die
Mobilisierungen in Berlin nur der aktuellste von vielen Belegen.
Schon der Hitlerfaschismus verband seinen Antikommunismus mit
antisemitischen Motiven, wenn er die Gefahr einer
“bolschewistisch-jüdischen Weltverschwörung” an die Wand malte
und hatte am Ende den unfassbaren Terror von Zweitem Weltkrieg und
Shoah zur Folge. Wir wollen also in diesem Text das Phänomen ein
wenig analysieren.

Was
ist die ideologische Struktur der Verschwörungstheorien?

Auch
wenn Bebel sagte, Antisemitismus sei der “Sozialismus der dummen
Kerls”, beschränken Verschwörungsideologien sich nicht darauf
Hirngespinste “dummer” Menschen zu sein. Als Ausgangspunkt haben
sie tatsächlich oft eine reale Ungerechtigkeit der kapitalistischen
Verhältnisse, so z.B. die sich öffnende Schere zwischen Arm und
Reich, die Profitmacherei in der Pharmaindustrie, Arbeitslosigkeit
oder das zu Grunde gehen von kleinen Unternehmen. Jedoch bleiben sie
unfähig die systematischen Ursachen dieser Missstände in der
Struktur des Kapitalismus’ zu erkennen. Stattdessen greifen sie zu
vereinfachten Modellen, die allerdings jene mystischen Elemente
benötigen, um eine lückenlose “Argumentation” bilden zu können.
Wenn beispielsweise nicht erkannt wird, dass die kapitalistische
Konkurrenz die Kapitalist_Innenklasse dazu zwingt, ihre Profite immer
weiter zu maximieren oder unterzugehen, dann muss das Verhalten der
Konzerne in dem bösartigen Charakter liegen, den gewisse Personen
haben sollen, die für diese Konzerne verantwortlich gemacht werden.
Oder eben darin, dass diese Personen von Echsen kontrolliert werden
usw. usf. Dies ist auch oft ein Punkt, an dem Antisemitismus Einzug
erhält in jene Ideologien, da das Bild vom “gierigen Juden”, der
für seine eigenen Ziele bereit ist “die ganze Gemeinschaft” zu
betrügen, schon seit vielen hundert Jahren genutzt wird, um die
verschiedenen Formen des Judenhass’ zu begründen, die über die
Geschichte aufgetreten sind. So auch die Nationalsozialist_Innen, die
unterschieden zwischen einem “schaffenden” Kapital und einem
(jüdischen) “raffenden” Kapital, das für die kapitalistischen
Missstände wie Arbeitslosigkeit und insbesondere die
Weltwirtschaftskrise Ende der 20er verantwortlich sei. Seitdem sind
Wirtschaftskrisen, die die kapitalistischen Widersprüche auf die
Spitze treiben, immer wieder ein fruchtbarer Nährboden für
Verschwörungsideologien gewesen, der seine Wirksamkeit besonders
dann entfalten kann, wenn durch Schwäche und Niederlagen der Linken
Raum dafür gemacht wird (Was hat eigentlich die Linkspartei zum
Coronamanagement der Bundesregierung zu sagen?).

Es
sei an sich durchaus möglich, so ist das Fazit dieser Theorien, ein
gutes Leben im Kapitalismus zu führen, wenn nicht gewisse böse
Elemente vorhanden wären, die dem immer wieder entgegen wirken,
entweder durch Zersetzung von innen oder Fernsteuerung von außen.
Demnach ist die logische Konsequenz auch nie der vollständige
Umsturz des kapitalistischen Systems, sondern immer nur die
Beseitigung dieses oder jenes spezifischen Phänomens, das für alles
Übel verantwortlich sei, wie einzelne Kapitalist_Innen, die Jüdinnen
und Juden oder Geflüchteten. Um das zu erreichen werden Appelle an
den Staat gerichtet (z.B. Merkel und Spahn sollen vor Gericht) und im
schlimmsten Fall wird zu „Selbstjustiz“ gegriffen wie bei
dem Anschlag in Halle.

Welches
Sein steht hinter diesem falschen Bewusstsein?

Als
Marxist_Innen spielen für uns jedoch nicht nur die ideologischen
Merkmale einer Bewegung eine Rolle, sondern vor allem auch die Frage,
wer vertritt diese Ideologie und in welchem Zusammenhang steht sie zu
den materiellen Verhältnissen, mit einem Wort was ist ihr
Klassencharakter? Zwar ist die Soziologie der “Hygienedemos” noch
wenig erforscht, allerdings zeichnet sich eine Tendenz ab, die auch
bei NSDAP und gewissen Teilen der AfD zu beobachten ist. Neben
besonders prekarisierten Teilen der Arbeiter_Innenklasse wird der
hauptsächliche Anteil durch das Kleinbürger_Innentum ausgemacht,
also z.B. Besitzer_Innen von kleinen Läden oder Betrieben aber auch
Selbstständige im Handwerk, in der Gastro- oder Kulturbranche. Das
Kleinbürger_Innentum steht im Kapitalismus zwischen den Fronten der
beiden Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat. Es kann daher auch
kein konsistentes Klasseninteresse entwickeln, sondern schwankt
vielmehr die ganze Zeit zwischen den beiden Polen von Bourgeoisie und
Proletariat. Wenn sich ihm auch immer wieder kleine Nischen öffnen,
in die das große Kapital (noch) nicht vorgedrungen ist (Beispiele
sind bei Start-Ups oder im Dienstleistungssektor zu finden), so ist
es doch der Konkurrenz eines großen Konzerns niemals gewachsen.
Insbesondere in Krisenzeiten ist es anfällig, es fehlen ihm
Verteidigungsmittel wie Rücklagen und viele werden zerrieben und in
das Proletariat hinabgedrückt.

Möglich
ist dann, dass Teile von ihm sich der Arbeiter_Innenbewegung
anschließen, die gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die
Bevölkerung ankämpft. Da das Kleinbürger_Innentum nämlich nicht
nicht nur Produktionsmittel besitzt, sondern sich gleichzeitig auch
selber ausbeuten muss, kann ihre Situation nur so positiv aufgelöst
werden. Aber diese Möglichkeit besteht natürlich auch nur, falls so
eine Bewegung überhaupt existiert und es schafft ein revolutionäres
Programm aufzuwerfen. Andernfalls können daraus große reaktionäre
Bewegungen werden, die gefährlich sind für die Arbeiter_Innenklasse
und alle anderen unterdrückten Gruppen.

Keinen
Boden, keine Straße den Rechten!

Als
Revolutionär_Innen ist es also unsere Aufgabe für die Entstehung
jener linken Bewegung einzutreten. Wir müssen die Gewerkschaften und
Arbeiter_Innenparteien unter Druck setzen, dass sie linke Antworten
auf die Angriffe der Herrschenden formulieren und für diese auf die
Straße gehen sollen, anstatt sich klein zu machen und die Interessen
der eigenen Basis zum Teilbedürfnis der Konzerne zu pervertieren,
wie es die IG Metall vormacht, wenn sie sich für die unsägliche
Abwrackprämie einsetzt.

Jenen
Verschwörungsideologien muss aber eine Bewegung der
Arbeiter_Innenklasse eine unmissverständliche Absage erteilen. Den
Rechten und Verwirrten sollten wir jetzt vor allem keinen Raum auf
der Straße lassen. Blockieren wir sie, wo sie mobilisieren und bauen
wir dabei eine Gegenbewegung auf, die die Fragen der Krise von links
beantwortet!




„Lesbos ist für uns ein Gefängnis!“

„Lesbos ist für uns ein Gefängnis!“Nach dem Brand im Lager Moria: Das vieler Geflüchteter
hat sich trotz hehrer Versprechen weiter verschlechtert. Wir sprachen vor Ort
mit Bahal über die aktuelle Situation auf der griechischen Insel Lesbos.

REVO: Die Lage auf der Insel ist nach dem Brand in Moria besorgniserregend. Aber kannst du zuerst erzählen, wie dein Leben auf der Insel bisher verlaufen ist, ehe wir über die aktuelle Situation sprechen?

Als ich damals mit meiner Familie auf einem Schlauchboot mit
35 weiteren Menschen von der Türkei auf die griechische Insel Lesbos gekommen
bin, war ich 21 Jahre alt. Heute bin ich 25 und ich habe das Gefühl, den
Großteil dieser Zeit allein mit Warten verbracht zu haben: Stundenlanges Warten
in der Essensschlange auf eine Mahlzeit; Warten auf eine freie Toilette;
Warten, dass wieder ein Monat vorbei ist, damit ich die rationierte Dusche
benutzen darf; Warten, dass ich aus der Zelle entlassen werde, in die ich grundlos
inhaftiert wurde; Warten, dass die Nacht vorbei geht, die mich vor Angst nicht
schlafen lässt; Warten bis mein Asylantrag bearbeitet wird.

REVO: Wo hast du in dieser Zeit des Wartens gelebt?

Über mehrere Jahre hinweg haben meine Familie und ich in
einem Zelt in „Moria“, dem größten Camp der Insel, gelebt. Neben mangelnder
Nahrungsversorgung und schlechten Hygienebedingungen hatte ich dort als Frau
zusätzliche Probleme. Sexuelle Gewalt ist nämlich Alltag im Camp: Ob durch
nächtliche Überfalle oder in der Essensschlange. Ich habe mich nicht getraut,
nachts auf die Toilette zu gehen.

REVO: Wo lebst du heute und hat sich deine Situation dort verändert?

Seit 3 Monaten wohnen meine Familie und ich im
selbstorganisierten Camp „PIKPA“. Solidarische Inselbewohner und Geflüchtete
haben das Camp vor einigen Jahren zusammen aufgebaut und für bis zu 100 Menschen
dort einen Ort zum Leben geschaffen. Und mit „Ort zum Leben“ meine ich wirklich
einen Ort, an dem ich mich halbwegs sicher fühle. Dieses Gefühl hatte ich,
seitdem ich in Europa bin, noch nie. Ich konnte viel Kraft aus meiner neuen
Lebenssituation schöpfen. „PIKPA“ bedeutet für mich, dass „Moria“ nicht
alternativlos ist. Das Camp wurde speziell für besonders schutzbedürftige
Menschen wie schwangere Frauen, Menschen mit Behinderung, Familien mit mehreren
kleinen Kindern und Opfer von Folter errichtet.

REVO: Der griechische Migrationsminister Panagiotis Mitarakis hat vor Kurzem verkündet, „PIKPA“ bis zum 31.10.20 räumen zu wollen. Sein Ziel scheint es zu sein, jede menschlichere Alternative zu „Moria 2.0“ aus dem Weg zu räumen. Wie haben du und die anderen Bewohner_innen diese Ankündigung aufgenommen?

Ich würde sagen, dass ich seit einer Woche nur weine, aber
dafür reichen meine Tränen nicht. Seitdem wir davon gehört haben, müssen wir
nun auch hier in Angst und Verzweiflung leben. Unsere Sorge ist groß, dass wir
nun auch im neu errichteten Camp „Moria 2.0“ untergebracht werden. Niemand
sollte in diesem Gefängnis leben müssen und umso gefährlicher ist es dort für
die Leute aus „PIKPA“, die eigentlich besonders schutzbedürftig sind.

REVO: Nachdem das ursprüngliche Massencamp „Moria“ im September dieses Jahres abgebrannt ist, haben die griechischen Behörden mit Hilfe der EU ein neues Camp („Moria 2.0“) auf einem ehemaligen Schießübungsplatz des Militärs errichtet. Über 10 000 Menschen wurden bereits dort untergebracht. Was weißt du über die Situation dort?

Im Gegensatz zum abgebrannten „Moria-Camp“ wurde das
provisorische Zeltlager als eine geschlossene Einrichtung gebaut. Die Bewohner
dürfen es nur mit schriftlicher Ausgangserlaubnis verlassen. Ihre Situation hat
sich deshalb sogar noch verschlimmert. Die ärztliche Versorgung wurde bis auf
ein Team, das für Corona-Tests zuständig ist, quasi eingestellt. Es herrscht
ein großes Chaos und die griechische Polizei agiert sehr respektlos gegenüber
den Bewohnern. Freunde von mir, die nun dort wohnen müssen, durften sich noch
kein einziges Mal duschen. Hinzu kommt, dass es auch sehr wenige Toiletten
gibt, was angesichts der Pandemie-Gefahr ein besonders großes Problem darstellt.
Mittlerweile gibt es mehrere hundert Infizierte im neuen Camp.

REVO: Obwohl die EU und die griechische Regierung den Geflüchteten auf Lesbos nach dem Brand in „Moria“ versprochen haben, die Situation zu verbessern, haben sich eure Lebensbedingungen tatsächlich verschlechtert. Was würdest du den EU-Politiker_innen gerne sagen?

Ich würde mir wünschen, dass diese Leute mal einen einzigen Tag in „Moria 2.0“ verbringen. Vielleicht würde das ihre Meinung ändern. Die ganze Insel Lesbos ist für uns ein Gefängnis. Doch wir haben nichts verbrochen. Niemand hat es deshalb verdient, hier eingesperrt zu werden. Wir haben ein Recht auf Bildung, Arbeit, Sicherheit und ein Dach über dem Kopf. Für alle Geflüchteten auf den griechischen Inseln sollte es die Möglichkeit geben, sicher auf das Festland weiterreisen zu können!

Interview erschien zu erst in der Jungen Welt vom 7.10.2020, Online unter: https://www.jungewelt.de/artikel/387801.festung-europa-lesbos-ist-f%C3%BCr-uns-ein-gef%C3%A4ngnis.html