Crash, Kürzung und Corona

Christian Mayer & Felix Ruga

Nachdem die Kursverläufe an der Börse in den letzten Jahren vergleichsweise stabil verlaufen sind, brechen sie seit ca. einem Monat weltweit rapide ein. Und spätestens mit der Ausbreitung des Corona-Virus‘ zur Pandemie wird die globale Krise immer greifbarer. Doch betrachtet man zentrale Wirtschaftszweige in Deutschland wie Autos oder Chemie, war es nur eine Frage der Zeit, denn der Niedergang war dort schon in vollem Gange.

Was zuvor geschah: Die deutsche Industrie baut auch ohne Virus ab.

In den letzten sechs Monaten wurden von verschiedenen mittelgroßen bis großen Unternehmen Stellenabbau und Sparprogramme angekündigt, nachdem ständig das Wirtschaftswachstum nach unten korrigiert wurde und sich überall die Sorge um eine kränkelnde Industrie breit machte. Hauptsächlich kündigten die großen Autobauer diese Sparprogramme an, die sehr harte Einschnitte bei der Belegschaft darstellen. Egal ob nun VW, Daimler, Audi oder auch Zulieferer wie Bosch, Continental, Mahle, Brose; ja sogar der Chemiekonzern BASF hat Personalabbau von insgesamt mehreren 10.000 Beschäftigten angekündigt.

Die offiziellen Begründungen seitens der Kapitalist_Innen waren damals zumindest in der Automobilindustrie immer dieselben: Neben den Altlasten des „Abgasskandals“ müsse man auf die aktuellen Entwicklungen des Weltmarktes reagieren, bzw. Geld für die bevorstehende „Transformation“ beiseitelegen. Mit „Transformation“ ist hier die Umstellung auf E-Mobilität gemeint, wie auch die Einführung von Industrie 4.0 im Zuge einer weiter voranschreitenden Digitalisierung der Produktionsprozesse. Laut Studien werden mehrere 100.000 Arbeitsplätze allein durch die Einführung vollständig automatisierter Fertigungsprozesse überflüssig, die ohne menschliches Zutun auf Basis der Nutzung von künstlicher Intelligenz ablaufen und bei der die Maschinen mittels Datennetzen miteinander kommunizieren. Nichts anderes bedeutet die Einführung von Industrie 4.0: Es wird ein riesiges Heer an Arbeitskräften freigesetzt, die alle auf den Arbeitsmarkt drängen und nach Ersatzbeschäftigungen suchen. Diese kann aber das bestehende System nicht anbieten, da mögliche Umschulungsprogramme aus Kostengründen abgelehnt werden.

In den letzten 10 Jahren, also seit der letzten großen Finanzkrise, hat sich die Weltwirtschaft sehr unterschiedlich entwickelt. Zwar konnten sich große Binnenwirtschaften wie die der USA wieder erholen und Länder wie China verzeichnen seit Jahren ein permanent hohes Wirtschaftswachstum. Allerdings konnten andere Wirtschaftsräume wie die EU kaum bis gar kein Wachstum erzielen, die gegenteilige Entwicklung ist der Fall. Auch Lateinamerika, das eine Zeit lang der Hoffnungsträger für die positive Entwicklung der Weltwirtschaft war, steckt seit Jahren in einer zunehmenden Krise fest. Allein Staaten wie Venezuela oder auch Argentinien stehen am Rande des Staatsbankrotts mit noch nicht absehbaren Folgen für die lokale wie auch die Weltwirtschaft und das trotz eines Freihandelsabkommens zwischen den Staaten des Mercosur-Raumes und der EU. Dies wurde noch mit einem beschleunigenden Niedergang an den Rohstoffmärkten verstärkt. Vor allem der Ölpreis fiel schon seit letztem September im Zuge fehlgeschlagener Verhandlungen zwischen den ölfördernden Ländern rapide und man sprach schon von einer neuen Ölkrise. Dies stellt eine existentielle Bedrohung für die Länder dar, die von dessen Förderung abhängig sind. Hinzu kommen auch die nach wie vor unklaren Auswirkungen des Brexits, bei dem die Feinarbeiten an der Entflechtung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den EU-Staaten und Großbritannien erst begonnen haben.

Die Corona-Pandemie ist also letztlich nur ein Auslöser aber nicht die Ursache der Wirtschaftskrise. Diese liegt weitaus tiefer in der kapitalistischen Produktionsweise selber. 2007/2008 ist sie in eine tiefe Absatzkrise geraten, sodass die Produktivität und die Investitionen massiv gesunken sind. Diese Krisenursachen wurden jedoch nicht behoben, sondern nur durch Niedrigzinspolitik und riesige Bankenrettungspakete abgefedert und das hat bis heute destabilisierende Auswirkungen auf die Wirtschaft, indem sich zum Beispiel durch Spekulation in einigen Sektoren große Blasen bilden.

Und dann auch noch Corona

In diese Schwächelage hat nun Anfang diesen Jahres ein weiterer Faktor die Karten neu gemischt: das Corona-Virus. Die Auswirkungen und dabei vor allem die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung sorgen seitdem dafür, dass die so empfindliche globalisierte Marktwirtschaft vollends crasht. Wir sollten uns jedoch nichts vormachen: Die Quarantänemaßnahmen, die in vielen kapitalistischen Staaten beschlossen wurde, sind nicht aus Menschenliebe passiert. Vielmehr drücken sie Kalkulationen des Kapitals aus, dass eine ungehemmte Ausbreitung der Pandemie die Wirtschaft mehr kosten würde, als es aktuellen Schutzmaßnahmen tun. Das ewige Hinundher und das lange Zögern der bürgerlichen Regierungen widerspiegeln diesen Abwägungsprozess, der darüber hinaus auch schnell zu anderen Resultaten kommen kann.

Die Rezession hat sich jedoch schon vor der Pandemie abgezeichnet: China als Lokomotive des Weltmarktes wurde als erstes in der Millionenstadt Wuhan getroffen und hat Ende Januar begonnen, riesige Gebiete vom Verkehr abzuriegeln und mit Essen und medizinisch zu versorgen, was sowohl Kapital als auch Arbeitskraft band. Das öffentliche Leben vor Ort kam durch Ausgangssperren zum erliegen und in ganz China wurden Wirtschaftsabläufe gestört und teilweise heruntergefahren, wenn deren Produktion mit den abgeriegelten Gebieten zusammenhing. Dadurch sank zunächst der Ausstoß und bald auch die Nachfrage des chinesischen Marktes und damit kamen auch weltweite Produktions- und Lieferketten zum Erliegen. Ironischer Weise kann etwa das Organisieren von Nachschub für Atemschutzmasken schwieriger sein, da diese überwiegend in China produziert werden. Auch Apple spürte die ersten Auswirkungen schon damals, da z.B. der Elektronik-Riese Foxconn ebenfalls überwiegend in China produzieren lässt und Apple mit massenhaft Teilen beliefert. Daher wurde auch der Produktionsbeginn für ein neues Smartphone um Monate verschoben. Gerade anhand der Ausfälle in der Produktion kann man sehr gut sehen, wie stark die Abhängigkeit von China als Produktionsstandort weltweit geworden ist.

Diese Belastung wurde selbstverständlich ungleich verstärkt, indem sich Covid-19 von einer lokalen Massenerkrankung zur Pandemie entwickelt hat und nun vor allem Europa und die USA betrifft. Dadurch bricht nun Panik aus, jedes Land fährt einen nationalen Alleingang und die Grenzen werden dicht gemacht. Dies blockiert nun auch hier die Produktions- und Lieferketten. Dazu werden wie auch in China heftige und sehr autoritäre Einschränkungen des öffentlichen Lebens wie Ausgangssperren und Zwangsschließungen öffentlicher Treffpunkte verordnet. Zwar werden die meisten Industriestandorte nicht zwangsgeschlossen, doch aus Gewinneinbrüchen fahren Stück für Stück alle großen Betriebe runter: Zunächst die Flug- und Reiseunternehmen, nun auch die Autoindustrie, Zulieferer, Chemieunternehmen und weite Teile der restlichen Industrie. Wenige schaffen es, dann doch noch mit der Krise ihre Profite zu machen: Trigema macht jetzt Atemschutzmasken, BASF Desinfektionsmittel, Maschinenbauunternehmen wechseln zu Beatmungsgeräten. Selbstverständlich ist das bloß ein Tropfen auf den heißen Stein, die deutsche Industrie hat momentan nichts zu lachen und die Börsen befinden sich auch im freien Fall. Wie tief der Fall wird, kann natürlich niemand voraussehen.

Wie die Staaten reagieren und was wir machen müssen!

Die staatlichen Hilfsmaßnahmen für das nationale Kapital sind dabei weitestgehend ausgereizt: Der Leitzins kann nicht mehr gedrückt, die Steuern für’s Kapital kaum noch herabgesenkt werden. Klar ist, dass die Unternehmen versuchen werden, die Kosten der Krise auf die Arbeiter_Innenklasse abzuladen. Wenn wir keinen Widerstand organisieren, warten also massive Entlassungswellen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Sozialkürzungen und der weitere Abbau öffentlicher Dienstleistungen auf uns.

Ebenso werden die kapitalistischen Staaten, die zur Eindämmung der Pandemie dringend nötigen Einschränkungen von Produktion und öffentlichem Leben nicht solange aufrechterhalten können, wie es aus medizinischer Sicht notwendig wäre. Kein kapitalistischer Staat kann über mehrere Monate oder gar Jahre hinweg mit einem so niedrigen Produktionsniveau überleben. Da im Kapitalismus Profite mehr als Menschenleben zählen, werden die Infektionsschutzmaßnahmen spätestens dann zurückgefahren, wenn sie für die Kapitale zu teuer werden. Und, wenn ein Staat beginnt die Wirtschaft wieder hochzufahren, müssen die anderen nachziehen, da ein derartiger Konkurrenznachteil ihr volkswirtschaftliches Todesurteil bedeuten könnte. Es warten also nicht nur massive soziale Angriffe, sondern auch ein tausendfaches Sterben auf uns.

Eine internationale sozialistische Planwirtschaft könnte dagegen über längere Zeit hinweg mit dem rein gesellschaftserhaltenden Produktionsniveau überleben, da es in ihr ja keinen konkurrenzbedingten Zwang zur Profitmaximierung gibt. Ebenso wäre sie weitaus schneller und effektiver in der Lage, die Produktion auf die dringend notwendigen Güter wie Beatmungsgeräte, Desinfektionsmittel, Atemschutzmasken etc. umzustellen. Es gäbe genug Intensivbetten für alle, da das Gesundheitssystem als gesellschaftliche Aufgabe verstanden wird, in der Sparmaßnahmen, Privatisierungen, Pflegemangel oder Fallpauschalen keinen Sinn ergeben. Auch die ökonomische Existenz eines jeden Menschen wäre gesichert, da niemand um seinen_ihren Arbeitsplatz oder seine_ihre Miete fürchten müsste. Da es auch keine nationale Abschottung und Konkurrenz um das Patent für Impfstoffe gäbe, wäre auch (im Gegensatz zu den aktuellen nationalen Alleingängen) ein koordiniertes internationales Vorgehen gegen die Pandemie möglich.

Der Kampf für ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem beginnt damit, dass wir uns den geplanten Angriffen auf unsere Klasse entgegenstellen. Die Gewerkschaften und Arbeiter_Innenparteien sind dagegen aktuell eher auf nationalistischen Kuschelkurs mit dem Kapital aus. Aus den Reihen der Linkspartei wurde geäußert, dass es aktuell „nicht die Zeit für Oppositionspolitik“ sei. Wir Arbeiter_innen, Jugendliche und Migrant_innen müssen unsere Interessenvertretungen durch eigene Forderungen unter Druck setzen und selber die Initiative ergreifen, wenn wir das Schlimmste verhindern wollen. Wir fordern:

  • Keine Entlassungen während der Pandemie! Volle Lohnfortzahlung aus den Profiten der Kapitalist_Innen!
  • In Berufen, die die gesellschaftliche Grundversorgung garantieren, müssen die Arbeiter_Innen ausreichenden Arbeitsschutz, Arbeitszeitverkürzungen und massive Lohnerhöhungen erhalten!
  • In allen Berufen 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich!
  • Kostenlose Test-Kits, Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel, Seife und Handschuhe für alle! Die dafür notwendigen Fabriken müssen sofort entschädigungslos enteignet und unter Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden, um die Produktion auf die notwendigen Güter umzustellen. Für Beatmungsgeräte statt SUVs!
  • Verstaatlichung aller Kliniken, Pharmakonzerne, Forschungsinstitute und Labore!
  • Für offene Grenzen, um auch Menschen aus anderen Ländern vor Corona retten zu können!
  • Corona war nur Auslöser der Krise, nicht die Ursache! Das Problem liegt im kapitalistischen System!
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