Das Ende von zwei Jahren Genozid? Wir müssen weiter kämpfen!
Titelbild: Foto von Dan Scavino, gemeinfrei (Public domain), Quelle: Wikimedia Commons
Von Jona Everdeen
Ziemlich genau zwei Jahre nach Beginn des Genozids in Gaza gibt es zum ersten Mal zarte Hoffnung, dass das Morden ein Ende haben könnte. Wir dürfen uns davon nicht trügen lassen. Wir sollten Donald Trump keinen Glauben schenken, er würde für alle nur das Beste wollen.
Zwei Jahre lang wurden die Palästinenser:innen in Gaza täglich ohne jede Hemmung von Bomben des zionistischen Terrorstaates namens Israel getötet. Es waren Bomben aus den USA und aus Deutschland. Fast zwei Jahre hat es gebraucht, bis sich Kräfte wie die Linkspartei und Fridays for Future positioniert haben. Sie stehen mittlerweile, wenn auch immer noch zaghaft und unter Vorbehalten, auf der richtigen Seite. Fast zwei Jahre hat es gebraucht, bis die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen den Völkermord in Gaza steht und ein Ende der deutschen Unterstützung fordert. Diese Ablehnung ist so laut, dass selbst die rechte Merz-Regierung gewisse Zugeständnisse machen musste. Dazu zählt der Stopp neuer Genehmigungen für Waffenlieferungen nach Israel. Es hat viel zu lange gedauert. Und doch ist jetzt die Zeit gekommen, in der wir laut bleiben müssen, um die deutsche Beihilfe zu israelischen Verbrechen endlich zu beenden. Wie können wir das tun? Wie können wir in Deutschland für ein dauerhaftes Ende des Gaza-Genozids und für Freiheit für Palästina kämpfen?
Ein Ende des Schreckens in Sicht?
Seit dem von der Hamas angeführten Ausbruch des palästinensischen Widerstands aus dem Freiluftgefängnis Gaza am 7. Oktober 2023 führt Israel einen barbarischen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung Gazas. Das explizit formulierte Ziel ist, diese dauerhaft zu vertreiben. Meist international unausgesprochen gilt: Sollte das nicht funktionieren, folgt die physische Vernichtung. Dieser Krieg wurde nur von zwei etwas längeren Waffenstillständen unterbrochen. Dazwischen gab es immer wieder Phasen höherer oder niedrigerer Kampfintensität. Die IDF zerstört systematisch die Grundlage für ein Leben in Gaza. Inzwischen wurden rund 70.000 Menschen direkt durch Waffengewalt ermordet, und wohl Hunderttausende mehr starben durch indirekte Folgen: Dazu zählen die Zerstörung des Gesundheitssystems, der Wasserversorgung und das gezielte Aushungern. Das offizielle Ziel, die Hamas militärisch zu vernichten, hat das zionistische Terrorregime damit nicht geschafft und wird es wohl auch nicht schaffen. Das war auch nie das eigentliche Ziel. Wie die Befreiung der Geiseln diente es nur als Vorwand für den Vernichtungskrieg mit dem Ziel, Palästina als Nation zu zerstören, wozu zentral dessen Widerstandsorganisationen gehören.
Zuvor hatte die IDF in ihrer jüngsten Offensive versucht, Gaza-Stadt, die größte Agglomeration im Gazastreifen, zu erobern. Die Bevölkerung sollte vertrieben werden. Vermutlich wäre die Stadt anschließend, wie bereits in Rafah geschehen, dem Erdboden gleichgemacht worden. Nun musste Israel anhalten. Der Grund dafür ist, dass Donald Trump wohl der Geduldsfaden gerissen ist. Zunächst unterstützte er Netanjahus Vorgehen in Gaza noch deutlich stärker als „Genocide Joe“ Biden, indem er von der Planierung des ganzen Streifens und von einer neu zu errichtenden „Riviera des Nahen Ostens“ schwadronierte. Jetzt fordert er Israel auf, dem von ihm, oder vermutlich eher von seinen Beratern, entworfenen Plan zuzustimmen. Es geht um eine Normalisierung zwischen den arabischen Staaten, insbesondere den Golfmonarchien, und Israel. Der Gaza-Genozid hatte diesen Plan weit zurückgeworfen. Trump hofft nun, ihn wieder aufnehmen zu können. Er will arabische Staaten wie Ägypten, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie womöglich auch die Türkei in den Plan einbinden. Diese Staaten sollen in Einheit mit den USA eine gewisse Mitverwaltung über Gaza erhalten. Sie sollen dort „die Sicherheit garantieren“ durch die Entsendung von Besatzungstruppen. Zudem sollen sie den Wiederaufbau organisieren und vor allem finanzieren. Und tatsächlich: Diese Staaten schienen recht überzeugt davon zu sein, denn sie waren es, die die Hamas dazu brachten, den für sie sehr harschen Bedingungen zuzustimmen. Für Gaza ist der geplante neue Zustand sicherlich keine Befreiung, sondern eher offene Kolonialisierung. Zwar soll eine palästinensische „Technokraten-Regierung“ eingesetzt werden. Es ist jedoch relativ klar, dass andere die Macht haben werden. Das sind die USA, die Golfstaaten, vielleicht die Türkei und letztendlich natürlich weiterhin Israel. Die Technokraten werden lediglich als Marionetten fungieren. Der einzige Hoffnungsschimmer besteht darin, dass das tagtägliche Morden vielleicht tatsächlich vorerst aufhören könnte.
Doch sicher ist selbst das nicht. Wir kennen Israels Umgang mit Waffenstillständen zu gut. Um zu beweisen, dass es jederzeit weitermachen kann wie zuvor, bombardierte Israel direkt nach Inkrafttreten des Waffenstillstands den Libanon. Dort herrscht eigentlich seit Ende 2024 ein Waffenstillstand, den Israel schon Hunderte Male gebrochen hat. Auch Trump ist nicht gerade dafür bekannt, eisern auf seiner Position zu bleiben. In der Westbank hat Israel seinen Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung zuletzt intensiviert. Selbst wenn Trump eine Annexion der Westbank verbietet, ist klar, dass Israel kaum deeskalieren wird. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass Repression und Terror der IDF sowie Angriffe faschistischer, vom Staat gedeckter Siedler:innen weiter zunehmen werden.
Ein Ende der kolonialen Unterdrückung Palästinas ist also noch lange nicht in Sicht. Höchstens beginnt eine neue Phase dieser Unterdrückung, die selbst auch wieder in eine weitere Intensivierung des Genozids münden kann. Was aber macht der internationale Widerstand, der nun bereits seit zwei Jahren gegen den zionistischen Vernichtungskrieg mobilisierte?
Wie die Bewegung langsam vorwärts geht
Im Fahrwasser der Global Sumud Flotilla erlebte die Palästina-Bewegung einen sichtbaren Aufschwung. In jedem westlichen Land lehnt inzwischen der Großteil der Menschen die Unterstützung des israelischen Vernichtungskriegs ab. Viele Regierungen wurden zu gewissen Zugeständnissen und zu einer symbolischen Verurteilung Israels gezwungen. Gerade jetzt ist es nötig, den Druck erst so richtig zu erhöhen.
Ein Beispiel, wie das gehen kann, konnten wir am 22. September in Italien erleben. In einem politischen Generalstreik fluteten Hunderttausende Menschen die Straßen. Häfen, Bahnhöfe und Straßen wurden blockiert. Von der Regierung forderten die Streikenden den Bruch mit Israel. Das setzte die rechtspopulistische italienische Regierungschefin Giorgia Meloni so sehr unter Druck, dass die Regierung daraufhin symbolisch eine Fregatte der Marine kommandierte, um die „Sicherheit italienischer Staatsbürger“ auf der Flotilla zu gewährleisten. In italienischen Häfen zeigt sich in jüngerer Zeit zudem eine Entwicklung, die, wenn sie Schule macht, tatsächlich die Fähigkeit Israels zum Genozid untergraben könnte: Die Waren, die für das israelische Militär bestimmt sind, wie Sprengstoff oder selbst Kerosin, können in italienischen Häfen immer schlechter verladen werden. In den letzten Wochen kam es immer wieder zu Blockaden. Es gab zudem die schlichte Weigerung der Hafenarbeiter:innen, solche Güter zu verladen. Damit zeigt Italien, was in den meisten anderen Ländern, auch dort mit großer Palästina-Solidaritätsbewegung, bisher fehlt. Es macht einen realen Unterschied, wenn man nicht nur in Massen demonstriert, sondern aktiv versucht, die Logistik des Genozids anzugreifen. An der Spitze müssen die Arbeiter:innen in diesen Bereichen stehen.
Davon, was in Italien passiert ist, ist Deutschland sehr weit entfernt. Doch selbst hier wendet sich langsam das Blatt: Die Palästina-Bewegung gewinnt neue Dynamik und eine wesentlich größere Unterstützung. Diese gilt es zu nutzen. Wie oben beschrieben, ist mit einem Waffenstillstand der Kampf für ein freies Palästina noch lange nicht vorbei.
Die größte Demo für Palästina in Berlin
Mehr als 100.000 Menschen waren es, die am 27. September bei der „All Eyes on Gaza“-Demo durchs Zentrum Berlins zogen. Es war damit die größte Demonstration in Solidarität mit Palästina in der Geschichte Deutschlands. Möglich gemacht wurde das, indem die Linkspartei nun, relativ geschlossen, zu den Fahnen gerufen hatte. Der Schwenk in Richtung Palästina-Solidarität scheint vollzogen, zumindest vage. Ines Schwerdtner, Vorsitzende der Partei, sagte auf der Bühne der Anfangskundgebung: „Es ist ein Völkermord.“ Sie räumte ein, dass ihre Partei, und auch sie persönlich, zu lange still gewesen seien.
Zumindest damit hat sie zweifelsohne recht. Jetzt ist nicht die Zeit, all jene Kräfte, die zu lange nichts gemacht haben, abzuweisen, wie es die Paralleldemo am Moritzplatz getan hat. Sektierertum bringt uns sicher nicht weiter. Wir sehen, dass eine vage Palästina-Solidarität in immer größeren Teilen der Bevölkerung offen artikuliert und normalisiert wird. Das finden wir sehr gut. Darauf müssen wir aktiv weiter aufbauen. Wir müssen diese Menschen real in die Bewegung einbinden. Das gilt insbesondere für diejenigen, die aus reformistischen Massenorganisationen kommen und Teil ihrer Strukturen sind. Gleichzeitig ist es richtig, unseren neuen Verbündeten nicht blind zu vertrauen. Wenn sie versprechen, von nun an an unserer Seite zu stehen, nehmen wir sie beim Wort. Die Linkspartei muss nicht nur auf unseren Demos, sondern auch in den Parlamenten endlich konsequent den Genozid und Deutschlands Beihilfe daran an den Pranger stellen. Sie muss die Interessen, welche das deutsche Kapital verfolgt, schonungslos entlarven. Sie muss Aufklärungskampagnen in den Gewerkschaften initiieren und den Einfluss der prozionistischen Bürokratie zurückdrängen. Ziel sollte sein, mit Streiks und Blockaden jegliche militärische und ideologische Unterstützung aktiv zu unterbrechen. Auch Fridays for Future Deutschland fragen wir, nachdem sie 2023, statt mit den Grünen zu brechen, Greta Thunberg und FFF International auf das Schändlichste in den Rücken gefallen und sie verraten haben: Meint ihr es jetzt ernst mit eurer Solidarität? Dann tragt mit uns den Kampf für ein freies Palästina in die Jugend, in die Schulen.
Was können wir als Jugendliche und Schüler:innen für Palästina tun?
In vielerlei Hinsicht kann Italien als Vorbild dienen. Dort waren Schüler:innen massiv an den Streiks beteiligt. Es gilt, um dauerhaften und gerechten Frieden zu bringen, das System zu unterbrechen, das den Genozid in Gaza überhaupt erst ermöglicht hat. In der besten Position dafür sind ohne Zweifel die Arbeiter:innen, die in den kritischen Bereichen arbeiten. Das sind die Häfen, die Flughäfen und die Produktion von Waffen oder potenziellen Waffenteilen selbst.
Auch wir Schüler:innen können einen realen Unterschied machen. Nicht durch direkte Blockade, aber durch die Unterbrechung des kapitalistischen Bildungssystems. Fridays for Future hat 2019 gezeigt, was passiert, wenn der Unterricht nicht wie gewünscht stattfindet. Es wird darüber geredet. So können wir Schüler:innen die Avantgarde in einem viel größeren Kampf sein. Der Schulstreik kann der erste Schritt sein zum unbefristeten Generalstreik. Das gilt, bis alle Verbindungen zum zionistischen Regime gebrochen sind. International betrachtet bedeutet es, bis der Zionismus besiegt und Palästina frei ist.
Um dahin zu kommen, ist es zunächst nötig, uns an unseren Schulen selbst zu organisieren. Es ist nötig, Schulkomitees für Palästina aufzubauen, in denen wir unsere Mitschüler:innen versammeln, die ebenfalls aktiv werden wollen. Dann können wir zunächst kleinere Aktionen planen, wie bereits in Berlin und in München geschehen. Wir machen auf den anhaltenden Genozid in Gaza und auf die deutsche Mittäter:innenschaft aufmerksam. Wir kämpfen dafür, dass die Staatsräson-Propaganda aus den Lehrplänen verschwindet. An ihre Stelle muss die Aufklärung über Apartheid, Besatzung, Kolonialismus und Völkermord treten. Schließlich streben wir an, an unserer Schule eine Vollversammlung einzuberufen. In ihr klären wir über die Lage in Gaza auf und planen die nächsten Schritte. Dazu zählen ein Schulstreik oder die Besetzung der Schule. Solche Basisstrukturen müssen überall geschaffen werden. Sie müssen an unseren Schulen, an den Universitäten und in den Betrieben entstehen. Sie sind nötig, um die Gegenmacht aufzubauen, die es braucht, um den deutschen Imperialismus und seine sogenannte Staatsräson real herausfordern zu können.
Fakt ist: Schüler:innen sind nicht machtlos, wenn wir uns zusammentun. Wenn wir gemeinsam kämpfen, können wir gemeinsam siegen. Wir können eine Welt ohne Krieg und Genozid schaffen, ohne Rassismus und Unterdrückung. Wir kämpfen für Frieden, Freiheit und Sozialismus. Das gilt in einem säkularen sozialistischen Palästina vom Fluss bis zum Meer als Teil einer sozialistischen Föderation Westasiens und überall sonst auf der Welt, Deutschland inbegriffen.