Die Rote Armee – Befreiungsarmee gegen den Faschismus

Wilhelm Schulz

Am 9. Mai jährt sich zum 75. Mal der Sieg der Sowjetunion über den deutschen Faschismus. Die Rote Armee stellte hierbei eine besondere, gar die bedeutendste Kraft in der Befreiung vom Faschismus dar. Sie kämpfte an der sogenannten Ostfront fast vier Jahre lang. Hier wurden der Wehrmacht die stärksten Verluste zugefügt, die Sowjetunion hatte mit rund 25 Millionen Toten die größten Opferzahlen des Krieges zu beklagen, ein Großteil waren zivile Verluste.

Heute werden die
Leistungen der Roten Armee zumeist gegenüber denen der
Westalliierten heruntergespielt oder „vergessen“, deswegen werden
wir hier auf diese Leistungen eingehen und damit verbunden die
Sowjetunion als eine außerordentliche Kriegspartei beleuchten.

Die Rote Armee

Sie wurde am 28.
Januar 1918 gegründet, um die Errungenschaften der Oktoberrevolution
gegen die die kapitalistische Weiße Armee zu verteidigen. In der
Eidesformel verpflichtete sie sich der internationalen
sozialistischen Revolution. Die Rote Armee war keine bürgerliche
Armee. Die innere Hierarchie wurde auf das Nötigste begrenzt, z.B.
gab es keine Unterschiede in den Uniformen. Die Rotarmist_Innen
konnten ihre Vertreter_Innen wählen und es gab demokratische
Kongresse, dies wurde jedoch bereits Anfang der Zwanziger aufgrund
des schweren Krieges gegen die Weiße Armee ausgesetzt. Bis 1925 war
Leo Trotzki der Volkskommissar für Kriegswesen. Zu Zeiten des
Bürger_Innenkriegs gab es auch weibliche Kommissarinnen, ein
bekanntes Beispiel ist Larissa Reissner.

Doch mit dem Sieg der
Konterrevolution durch Stalins Bürokratie in der Kommunistischen
Internationalen (KomIntern) und der Sowjetunion (SU), wurden diese
Errungenschaften angegriffen. Die Rangzeichen wurden wieder
eingeführt. Die Eidesformel wurde so verändert, dass fortan auf das
Vaterland statt auf die internationale Befreiung der Arbeiter_Innen
geschworen wurde. Im Rahmen von
Stalins Säuberungen (u.a. Moskauer Prozesse) wurden knapp ein
Viertel der Offiziere bis zur untersten Ebene abgesetzt oder
ermordet, was für die Rote Armee eine deutliche Schwächung im Kampf
gegen den Faschismus bedeutete.

Die Sowjetunion im zweiten Weltkrieg

In
der Zeit von 1928 bis ’33 lehnte die bürokratisierte KomIntern jede
Einheitsfrontpolitik mit der Sozialdemokratie ab und verleumdete die
SPD als „Zwillingsgesicht des Faschismus“. Die Folge war eine
Isolation der Kommunist_Innen und der Sieg Hitlers über die deutsche
Arbeiter_Innenbewegung.

Anstatt daraus eine korrekte Einheitsfrontpolitik als Lehre zu ziehen, arbeite die KomIntern nach 1933 nicht nur mit der Sozialdemokratie zusammen, sondern auch mit angeblich progressiven Teilen der Bourgeoisie – ohne offenen politischen Kampf zu führen. Auch das führte zu Niederlagen wie z.B. in Spanien 1939 gegen den Franco-Faschismus.

Am
24. August 1939 unterzeichnete die SU den
Ribbentrop-Molotow-Nichtangriffspakt, auch bekannt als
Hitler-Stalin-Pakt. Dieser verschaffte der SU zwar Zeit bis zu ihrem
wirklichen Kriegseintritt, jedoch auf Kosten der Niederschlagung
weiter Teile Osteuropas, darunter die Aufteilung Polens zwischen der
SU und Nazi-Deutschland. Das NS-Regime überfiel am 22. Juni 1941 die
SU und beendete somit den Pakt. Zwei Tage später propagierte die
Prawda (sowjetische Tageszeitung) den „heiligen Krieg“ – später:
„Großer vaterländischer Krieg“ – gegen das „faschistische
Böse“. Die Losung der sozialistischen Revolution gegen den
Faschismus wurde nicht aufgeworfen. Hingegen wurde in der
faschistischen Propaganda der Krieg in Osteuropa als „Rassenkrieg“
dargestellt.

Bis
zum Sieg der Roten Armee in Stalingrad im Februar 1943 befand sich
die SU weitgehend in der Defensive, sodass die Wehrmacht kurz vor
Moskau stand. Mit dem heldenhaften Sieg in Stalingrad wendete sich
das Blatt und die Wehrmacht konnte über die kommenden Jahre bis nach
Berlin zurückgedrängt werden. Hier ist auch die Bedeutung der
Partisan_InnenkämpferInnen hervorzuheben, die in den vom deutschen
Faschismus besetzten Gebieten im Widerstand standen und dabei oftmals
ganze Divisionen banden.

Die
gigantischen Potentiale der Planwirtschaft, selbst in ihrer
bürokratischen Abart, zeigte die kurzfristige Reorganisation der
Produktion beim Ausbruch des zweiten Weltkriegs. Nicht nur die
Produktion wurde schnell auf Kriegsmaschinerie umgerüstet, sondern
auch 1.300 Betriebe innerhalb weniger Jahre weg von der drohenden
Front in den Osten des Landes verlagert.

Am
8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht bedingungslos gegenüber den
Westmächten und dann am 9. Mai gegenüber der Sowjetunion. Der
imperialistische Vernichtungskrieg kostete 60 Millionen Menschen das
Leben. In seinem Schatten fand die verbrecherische industrielle
Massenvernichtung politischer Gegner_Innen und vor allem von
Jüd_Innen in der Shoa statt.

KASTEN: Die Rote Armee und die Frauen

Etwa 800.000 Frauen kämpften in der Roten Armee, ob im Heer, in der Luft, zur See oder im Innendienst. Ab 1941 begann die Anwerbung von Frauen, die bis dato die „traditionellen Männerberufe“ an der „Heimatfront“ übernehmen sollten, zuerst nur in Zuarbeit als Funkerinnen oder Sanitäterinnen, wurde ab ’42 die Ausbildung ausgeweitet. Die Möglichkeit für Frauen für einen, wenn auch degenerierten, Arbeiter_Innenstaat zu kämpfen, ist eine Errungenschaft, die keine andere Armee in dieser Form freiwillig einführte. Es gab aber auch negative Seiten. So mussten sich Frauen vor allem gegenüber den männlichen Rotarmisten und deren Vorurteilen durchsetzen. Viele gingen aus Angst vor Vergewaltigungen und Übergriffen ‚Liebesbeziehungen‘ ein. So stellte die Menstruation als auch ihr Ausbleiben im Gefecht eine hohe Gefahr für die Soldatinnen dar. Nach dem Krieg hielten viele ihre Vergangenheit geheim, um weiterhin als heiratsfähig, somit weiblich, zu gelten. Ausführlicher hierzu, aber auch zu Heldinnentaten, können wir „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ von Swetlana Alexijewitsch empfehlen.

Die Rote Armee gegenüber zivilen Frauen

Es wird geschätzt, dass zwei Millionen Frauen und Mädchen im Zuge der Felderoberungen der Roten Armee Vergewaltigungen zum Opfer gefallen sind. Dies ist ein abscheuliches Verbrechen und zeigt die Verrohung der Roten Armee im Krieg, doch im Nachhinein wurde dies oft als antikommunistisches Argument benutzt, indem es verzehrt dargestellt wird, denn die Gewalttaten der Faschisten und des gesamten imperialistischen Krieges waren unbeschreiblich und haben erst zu dieser Verrohung beigetragen.

Der Umgang unter den Rotarmisten mit Frauen ist ein Beispiel für den Bruch mit der alten Eidesformel des Rates der Volkskommissare, hier hieß es u. a. „Ich verpflichte mich, mich selbst und die Genossen von Handlungen abzuhalten, die die Würde eines Bürgers der Sowjetrepublik herabsetzen, und mein ganzes Tun und Denken auf das große Ziel der Befreiung aller Arbeitenden zu richten.“

Rote Armee eine besondere Kraft

Die
Sowjetunion war keine Kriegspartei wie die anderen kapitalistischen
Staaten. Die Politik der anderen Alliierten bestätigt das: Neben dem
Sieg über den Faschismus (der in erster Linie eine wild gewordene
imperialistische Konkurrenz darstellte) war auch die Schwächung der
Sowjetunion ihr Ziel. Die SU war zu dieser Zeit ein sogenannter
degenerierter Arbeiter_Innenstaat: Die Fabriken und Ländereien waren
zwar verstaatlicht und die Bourgeoisie entmachtet, jedoch lag die
Kontrolle über die Produktionsmittel nicht in den demokratischen
Händen der Arbeiter_Innen, sondern in denen einer Bürokratie. Diese
verfolgte ihre eigenen privilegierten Interessen und wurde so zu
einem Hindernis in der internationalen Revolution. Vielmehr ging es
der Bürokratie um einen Kompromiss mit dem Imperialismus – der
Hitler-Stalin-Pakt, aber auch die Zusammenarbeit mit den Alliierten
zeigen das. Dies bedeutete einen Verrat an der Losung Lenins der
„Umwandlung des
gegenwärtigen imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg
[,
als] […]

die einzig richtige proletarische Losung.“

Wir kritisieren dabei nicht die taktisch-militärischen Absprachen,
sondern die politische Dimension dieses Paktes. Letztlich schloss die
Bürokratie ihren Frieden mit dem Kapitalismus auf Weltebene.

Im
Februar 1946 wurde die Rote Armee in Sowjetarmee umbenannt, was den
falschen Frieden der Sowjetunion mit dem kapitalistischen Ausland
unterstreicht. Leo Trotzki analysierte in seinem Werk „Die
verratene Revolution“ von 1936 die Sowjetunion als einen
degenerierten Arbeiter_Innenstaat, in der die Bürokratie der
Arbeiter_Innenklasse die politische Macht entrissen hat. Die SU
verharrte in einem Zwischenstadium zwischen Kapitalismus und
Sozialismus und in nationaler Isolation. Dieser Zustand musste
entweder zum Sturz der Bürokratie durch eine politische Revolution
mit Wiedereinführung einer Arbeiter_Innendemokratie und zur
Internationalisierung der Revolution führen oder zur
konterrevolutionären Restauration des Kapitalismus – die 1989
eintrat.

Trotzdem
war die Sowjetunion mit dem vergesellschafteten Eigentum eine
historische Errungenschaft, die es auch für Internationalist_Innen
und Gegner_Innen Stalins zu verteidigen galt. Deshalb war auch der
Kriegseintritt berechtigt und notwendig. Er führte zur Zerschlagung
des Faschismus als Rammbock gegen die Arbeiter_Innenbewegung,
beendete den Völkermord und erhielt zeitweilig die Errungenschaften
der Oktoberrevolution. Deshalb sagen wir, damals, wie heute: Dank
euch ihr Sowjetsoldat_Innen!