Grundlagen des Marxismus: Der Staat – Teil 2: Der proletarische Staat

Für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine soziale Revolution und eine Übergangsphase, die wir als Sozialismus bezeichnen, ist die Frage des Staates von zentraler Bedeutung. Sich mit ihr intensiv auseinanderzusetzen ist für jede revolutionäre Organisation unerlässlich. Wir widmen dieser Thematik innerhalb unserer Rubrik „Grundlagen des Marxismus“ eine dreiteilige Serie.

Marx und Engels haben ihre Staatstheorie nie in einem einheitlichen Buch niedergeschrieben. Sie berühren diese Frage in verschiedenen Texten, die zu unterschiedlichen Zeiten und Sachverhalten verfasst wurden, vor allem in „Der Bürgerkrieg in Frankreich“, Marx und Engels Kritiken an den Programmen der SPD, aber auch im „Manifest der kommunistischen Partei“. Später, kurz vor der russischen Oktoberrevolution 1917, veröffentlichte Lenin sein Schrift „Staat und Revolution“. In dieser legt er das marxistische Verständnis vom Staat anschaulich dar und untermauert es mit verschiedenen Zitaten von Marx und Engels.

Proletarischer Staat und sozialistische Umwälzung

Der bürgerliche Staat ist für Marx und Engels eine Diktatur der Bourgeoisie. An seine Stelle kann aber nach der Revolution nicht sofort eine Gesellschaft ohne Staat treten, wie es sich die Anarchist_innen vorstellen und wie es für Kommunist_innen das Endziel ist. Die Anarchist_innen wollen zur herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft ohne Übergangsphase. Ihre Theorie scheitert, da sie den Staat abschaffen wollen noch bevor die sozialen Verhältnisse verschwunden sind, die ihn hervorbrachten. Zur Umwälzung der Verhältnisse braucht es aber eine Übergangsphase, in der sich die Arbeiter_innenklasse selber des Staates bemächtigt und die Bourgeoisie niedergehalten wird. So wie die Bourgeoisie den Staat zur Unterdrückung der Arbeiter_innenklasse braucht, braucht das Proletariat den Staat während dem Umwerfen der sozialen Verhältnisse zur Niederhaltung der Bourgeoisie. Diese wird auch nach der Revolution noch alles daran setzen das Rad der Zeit wieder zurück zu drehen, um ihre Privilegien und ihren Besitz zurückzuerlangen.

Diese Phase, des bewaffneten, zur herrschenden Klasse organisierten Proletariats, nennen Marx und Engels die „Diktatur des Proletariats“. Marx:

„Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“(1)

Da die herrschende Klasse nicht bereit sein wird ihre Privilegien freiwillig aufzugeben, ist es nötig, dass das Proletariat die Staatsgewalt gegen deren gewaltsamen Widerstand erkämpft und verteidigt. Dafür muss sich dieses seine eigenen Milizen aufbauen. Für Marx war die Gewalt „der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.“(2)

Die Arbeiter_innenklasse kann nicht einfach die bürgerliche Staatsmaschine, wo vieles nicht wählbar (Armeeführung, Beamte, Polizei) ist, von Vertreter_innen der Bourgeoisie kontrolliert wird und die auf Kosten der Arbeiter_innen lebt, für sich nutzen, sondern muss sich ihre eigene schaffen. Das haben für Marx die Erfahrungen der Pariser Kommune gezeigt:

„Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, dass die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann.“(3)

Was Marx hier meint ist, dass die Arbeiter_innen die Staatsmaschine zerschlagen und ihre eigene erschaffen müssen, um politische Gewalt in ihrem Interesse ausüben zu können.

Ein weiterer Grund, warum ein Staat auch nach der Revolution noch bestehen muss ist nicht nur die Niederhaltung konterrevolutionärer Kräfte im Inneren. Auch die Aggression imperialistischer Mächte von Außen stellt eine große Gefahr für jedes Land mit Arbeiter_innenregierung da. Diese werden nicht tatenlos zusehen, wenn das Proletariat eines Landes seine Herrschaft errichtet, die Bourgeoisie enteignet und zu beweisen droht, dass eine andere Welt, ohne Ausbeutung und Unterdrückung möglich ist. Daher werden die Herrschenden angrenzender Länder versuchen die Revolution im Blut zu ertränken, so z.B. kurz nach der Oktoberrevolution der Arbeiter_innen, Bauern und Soldaten in Russland, als imperialistische Mächte Europas gegen den ersten sozialistischen Staat in den Krieg zogen.

Die Bourgeoisie muss zwar niedergehalten werden, um die Möglichkeit einer Konterrevolution zu verhindern, aber es wird schon dann kein besonderer Repressionsapparat (Polizei, stehendes Heer) mehr nötig sein. Die Diktatur des Proletariats ist aber die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit und in dem Augenblick, wo der Staat keinen besonderen Repressionsapparat mehr braucht ist er schon kein eigentlicher Staat mehr im Sinne eines dauerhaften Unterdrückungsinstrument. Der Staat stirbt in dem Maße ab, in dem die Klassengesellschaft selbst durch das Verschwinden der sozialen Unterschiede abstirbt.

Struktur des sozialistischen Staates

Wie der proletarische Staat aussieht haben die Erfahrungen der Pariser Kommune gezeigt. Nach allgemeinem Stimmrecht wurden Räte in den Bezirken aufgebaut. Die Beamten der Kommune waren für ihre Arbeit rechenschaftspflichtig und konnten jederzeit wieder abgewählt und durch andere Personen ersetzt werden. Ihre Mehrheit bestand logischerweise aus Arbeiter_innen bzw. anerkannten Vertreter_innen ihrer Klasse. Mitarbeiter_innen im öffentlichen Dienst bekamen einen normalen Arbeitslohn bezahlt und genossen keine besonderen Privilegien.

Marx sagt über die Kommune, der sozialistische Staat sollte die Parlamente in „arbeitende Körperschaften“ statt Redebühnen verwandeln, „vollziehend und gesetzgebend zugleich“.(4)

Für den proletarischen Staat ist es außerdem von zentraler Bedeutung möglichst viele, später alle, Menschen an der Ausführung der staatlichen Funktionen zu beteiligen. So verwandeln sich alle Menschen zu Arbeiter_innen und Angestellte einer Fabrik, eines Büros unter völliger Selbstverwaltung. Jede Person soll gesellschaftlich notwendige Arbeit nach einem demokratisch aufgestellten Produktionsplan leisten, welcher die Steigerung der Produktivität zum Ziel hat.

Die Übergangsphase von der kapitalistischen zur kommunistischen Gesellschaft geht für die vorher unterdrückte Mehrheit des Volkes mit einer unglaublichen Erweiterung der Demokratie einher. Doch die Übergangsphase ist kein Kommunismus, da gleichzeitig die demokratischen Rechte der vorher unterdrückenden Minderheit beschränkt werden müssen, um ihren Widerstand zu brechen. Engels:

„Solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner und sobald von Freiheit die Rede sein kann, hört der Staat als solcher auf zu bestehen.“(5)

Recht im proletarischen Staat

Auch das bürgerliche Recht wird nicht sofort und komplett aufgehoben werden können. Erst mal wird nur das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben.

Die Konsummittel werden aber nach der Arbeitsleistung verteilt, gleicher „Lohn“ für gleiche Arbeit. Doch das ist kein kommunistisches Prinzip(wo jede_r soviel arbeitet, wie gearbeitet werden kann und sich jede_r soviel nimmt, wie gebraucht wird), denn es übersieht die Verschiedenheit der einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft (z.B. Frauen und Männer). Gleiches Recht für alle ist also immer noch bürgerliches Recht. Da es illusionär wäre zu glauben, die Menschen würden von heute auf morgen ohne jegliche Rechtsnormen und Erziehung für die Gesellschaft arbeiten, muss der Staat auch bestehen bleiben, um gleiche Verteilung und Leistung zu garantieren, das gesellschaftliche Eigentum zu wahren und um die Produktion auszuweiten bis ein dauerhafter Überfluss herrscht.

Ein Artikel von Lukas Müller, REVOLUTION Kassel

Teil 1 – Der bürgerliche Staat: http://www.onesolutionrevolution.de/marxismus/grundlagen-des-marxismus-der-staat-teil-1-der-buergerliche-staat/

(1) Marx, Engels, MEW 19 S. 28

(2) Marx, Engels, MEW 23 S. 779

(3) Marx, Engels, MEW 18 S. 96

(4) Marx, Engels, MEW 17 S. 339/340

(5) Marx, Engels, MEW 19 S. 7