Grundlagen des Marxismus: Was ist Bonapartismus?

VON JONATHAN FRÜHLING


Der Marxismus geht davon aus, dass die jeweilige herrschende Klasse Gesellschaft nach ihren Bedürfnissen formt um ihre Herrschaft zu festigen und zu erhalten. So ist die Gesellschaft der heute herrschenden Klasse der Kapitalisten (Bourgeoisie) mit Marktwirtschaft, Konkurrenz sowie einem Staatsapparat verbunden. Die parlamentarische Demokratie ist in stabilen Zeiten der bequemste Weg für die Bourgeoisie ihre Herrschaft auszuüben, da diese die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse verschleiert. In einer Phase, die von schweren Krisen und heftigen Klassenkämpfen geprägt ist, kann sich die Bourgeoisie auch anderer Herrschaftsformen bedienen, wie z.B. des Faschismus oder des Bonapartismus. Letzterer soll hier näher betrachtet werden.


Was ist Bonapartismus?


Der Bonapartismus ist eine Form der Diktatur der Bourgeoisie, bei der sie in einer sehr instabilen Situation ihre politische Macht an einen autoritären Alleinherrscher abtritt. Eine solche Situation kann zum Beispiel entstehen, wenn sich keine Fraktion der herrschenden Klassen entscheidend durchsetzen kann oder kein Kompromiss innerhalb der parlamentarischen Demokratie zwischen den Klassen und Fraktionen möglich ist. Dabei stützt sich das bonapartistische Regime auf Teile aller Klassen und Schichten – meist jene, die sich ihrer Klassenzugehörigkeit am wenigsten bewusst sind. Auf Seiten der Arbeiter_Innen drückt sich in der Unterstützung des Bonaparte eine gewisse Verzweiflung aus. Daher werden auch teilweise soziale Forderungen der Arbeiter_Innen erfüllt.


Wie lange sich ein Bonaparte hält, hängt davon ab, wie gut er auf dem Seil zwischen den Klassen und Klassenfraktionen balancieren kann. In der Geschichte war der Bonapartismus als Übergangsregime hin zum Faschismus (z.B. Brüning in Deutschland vor Hitler) zu finden. Auf der anderen Seite gingen aus dem Bonapartismus auch stabilere gesellschaftliche Verhältnisse hervor (z.B. Russland unter Putin).


Die Programme der Bonaparten können sehr beliebig sein – von linkspopulistisch (Chavez – siehe unten) bis zu stocknationalistisch (Erdogan – siehe dazu in dieser Zeitung) variiert die Rhetorik sehr stark.


Erste Darstellung des Bonapartismus durch Marx


Das erste bonapartistische Regime kam in Frankreich zwischen 1851 und 1870 unter Louis Bonaparte (Napoleon III.) auf – daher auch der Begriff Bonapartismus. Seine Regentschaft ging eine über 60 Jahre lange Phase von Revolutionen und Konterrevolutionen voraus, in denen es keine Klasse schaffte eine stabile Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu errichten. So konnte die Alleinherrschaft Louis Bonapartes entstehen, die mit Repression und Kompromissen die Klassenkämpfe vorerst befriedete – freilich innerhalb des Kapitalismus. Für eine detailliertere Beschreibung von bonapartistischen Regierungen sollen jedoch aktuellere Beispiele dienen.


Bonapartismus für Imperialismus: Putins Russland


Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 war die russische Gesellschaft von wilden Privatisierungen, ökonomischen Verfall und Armut geprägt. Alte Bürokraten sowie Vertreter der bereits neu entstehenden bürgerlichen Klasse, teilten die Besitzungen unter sich auf. Das Land drohte daran vollständig zu zerbrechen und in die Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dadurch wäre Russland unter Umständen zur Halbkolonie abgestiegen. Das imperialistische Russland von heute, das auf weiten Teilen der Welt Einfluss ausübt, wäre so wahrscheinlich nicht entstanden.


Da trat 1999 Wladimir Putin auf den Plan, der wieder stabile kapitalistische Verhältnisse schaffen sollte. Er bediente sich dafür eines bonapartistischen Programms: Durch eine massive Erhöhung von Renten und Lohnen wurde das Leiden der arbeitenden Bevölkerung gemildert. Demgegenüber wurden kämpferische Arbeiter_Innen massiv unterdrückt.
So hat Putin für die Bourgeoisie um die 2000 Jahre Russland wieder geeint, wobei er sich eines ausgeprägten Nationalismus bedient. Dafür wurde die Staatskontrolle über Teile der Wirtschaft wieder ausgeweitet und die repressiven Funktionen des Staates in Gang gesetzt. Dies entsprach dem Gesamtinteresse der herrschenden Klasse, musste jedoch auch gegen einzelne Kapitalisten durchgesetzt werden, z.B. Michail Chodorkowski. Auch heute noch ist die Bourgeoisie relativ schwach und der Staat spielt eine dominantere Rolle als in westlichen Staaten.


Die linke Spielart des Bonapartismus: Venezuela unter Hugo Chavés


Venezuela war nach Jahrzehnten neoliberaler Politik, Fehlwirtschaft und Korruption Anfang der 90er Jahre bankrott und völlig abgewirtschaftet, große Teile der Bevölkerung lebten in bitterster Armut.
Die Lösung wurde gefunden in der Wahl Hugo Chavés 1998. Er trat mit einem linksreformistischen (ähnlich dem der Linkspartei) Programm an, welches demokratische Teilhabe, Kampf gegen Korruption, Verstaatlichung und soziale Sicherungen beinhalteten. Finanziert wurden dies Errungenschaften mit Einnahmen aus Rohstoffexporten (vor allem Öl und Gas).


Unterstützt wurde Chavés von den Bäuerinnen und Bauern, der Arbeiter_innenklasse und Teilen der Bourgeoisie. Die Wirtschaft wurde so beispielsweise durch Investitionssicherheit stabilisiert. Streiks, mit weitergehenden Forderungen, wurden dagegen mittels der Polizei brutal niedergeschlagen. So war klar, dass Chavés Bonapartismus im Rahmen des Kapitalismus bleiben wurde, trotz sozialistischer Phrasen. Seit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 und dem Verfall des Ölpreise gerät der sogenannte Chavismus an seine Grenzen: Die Bourgeoisie setzt wieder vermehrt auf rechte Regierungen, weshalb die Menschen in Südamerika sich mit einem massiven reaktionäres (rückschrittliches) Rollback konfrontiert sehen. Hier offenbart sich die zentrale Schwäche des Bonapartismus: Er gerät in Krisenzeit sehr schnell ins Wanken.


Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Bonapartismus und Faschismus


Zunächst die Gemeinsamkeiten: Bonapartismus und Faschismus sind beides Spielarten der Herrschaft der Kapitalistenklasse. Die herrschende Klasse greift nur in sehr schwierigen Zeiten zu einem der beiden Mittel und in der Regel geht ein deutlicher Zuwachs an Repression damit einher. Außerdem tritt in beiden Fällen die Kapitalist_Innenklasse ihre politische Macht an den Staatsapparat ab.


Es gibt jedoch überwiegende, deutliche Unterschiede: Während der Bonapartismus eine Art Befriedung des Klassenkampfes und der Fraktionskämpfe innerhalb der Klassen sucht, so richtet sich der Faschismus mit aller Macht gegen die Arbeiter_Innenklasse mit dem Ziel diese zu zerschlagen. Dabei stützt sich die faschistische Partei vor allem auf eine unabhängige, militante Bewegung des ruinierten Kleinbürgertums. Der Bonapartismus stützt sich von Anfang an auf Teile des Staatsapparates und Teile aller Klassen.


Es muss hier eines klar herausgestellt werden: Ob ein Staat faschistisch oder bonapartistisch oder parlamentarisch-demokratisch oder sonst was ist, lässt sich NICHT daraus erklären, wie repressiv der Staat ist und wie groß sein Gewaltapparat ist! Dafür müssen die Verhältnisse im Klassenkampf betrachtet werden und nicht gegen wen und wie oft der Staat auf wenn schießen lässt.


Unsere Antwort auf den Bonapartismus


Klar ist, dass unsere Politik darauf abzielt die Interessen der Arbeiter_Innenklasse zu verwirklichen und sie nicht in einem faulen Kompromiss mit einem Bonaparte aufzugeben. Das beinhaltet tagespolitische Forderungen, wie soziale Reformen und Übergangsforderungen, wie Selbstorganisation. Letztlich können wir unsere Ziele aber nur durch die Abschaffung des Privateigentums und die planmäßige und demokratische Errichtung einer neuen Gesellschaft und Wirtschaft erreichen. Unsere Aufgabe ist deshalb die Arbeiterklasse zu organisieren und alle Zwischenklassen in eine Bewegung in Betrieben, Schulen, Unis und der Straße hineinzuziehen. Dafür müssen wir vom Kapital unabhängige Organisationen aufbauen und instabile Zeiten dafür nutzen, um eine sozialistische Alternative zu formulieren. Nur so können wir der vermeintlichen Lösung von Krisen innerhalb des Kapitalismus z.B. durch einen Bonapartismus entschlossen entgegentreten!