Interview mit venzolanischem Aktivisten

Interview mit Stalin Pérez

06.09.2007

Nationaler Koordinator der UNT (Nationaler Verband der Arbeiter, Gewerkschaftsdachverband) (1) und von C-CURA (Klassenkämpferische, vereinigte, revolutionäre und autonome Strömung) (2)

Wie ist Eure Argumentation, der PSUV (3) (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas) beizutreten?

In Venezuela herrscht eine relativ offene Situation seit 1989, die sich im Verlauf der Jahre vertieft hat. Die Massen haben sich entschlossen, nicht mehr so regiert zu werden, wie sie von den 2 berühmten Parteien 4 hier regiert worden waren, die sich 37 Jahre lang an der Macht abwechselten. Und eines schönen Tages 1989, aufgrund einer Krise, beendeten das die Massen. Es folgte eine Regierung, die Regierung vor Chávez, die angeblich dem gerecht werden sollte, aber das passierte nicht und die Regierung setzte auch die Pläne des Imperialismus um. Die Massen machten ihre Erfahrungen, und sie machen heute ihre Erfahrungen mit Chávez. Der Imperialismus und die Bourgeoisie, weil sie Chávez nicht kontrollieren konnten, haben in wiederholten Gelegenheiten versucht, gegen ihn zu putschen, ihn mit Gewalt zu stürzen, sogar über den Weg der Wahlen. Und während dieser 9 Jahre haben sie ihn nicht wegbekommen. Und sie konnten es nicht, nicht etwa weil Chávez so ein großer Stratege ist, oder weil die Streitkräfte ihn beschützt haben, oder weil es keine Widersprüche zwischen seinen Mitstreitern gab, sondern weil diese Massen, die 89 in Erscheinung traten, nicht erlaubt haben, dass sich die Pläne des Imperialismus konkretisieren. Es existiert die Möglichkeit, weiter zu gehen, als wir jetzt sind, wir befinden uns immer noch in einem kapitalistischen System, und Chávez hat sich auf verschiedene reformistische Parteien gestützt 5 , die Sitze in der Regierung haben. In der Praxis zeigen diese Parteien ein hohes Maß an Bürokratie und Korruption, in allen Institutionen des Staates. Aber die Massen waren auch damit nie einverstanden. Jetzt kommt Chávez; und nach ihm wird sich der Prozess in Venezuela vertiefen, der Weg zum Sozialismus, er nennt es Sozialismus des 21.Jahrhunderts, obgleich ich wiederhole dass es keinen Sozialismus in Venezuela gibt, es ist eine kapitalistische Regierung an der Macht; und die Massen haben begeistert diesen anfänglichen Vorschlag begleitet (der Aufbau der PSUV, Anm. d. R.). Bei den letzten Wahlen erreichte Chávez fast 7 Millionen Stimmen, und die Intention Kandidaten für die Partei zu sein, unterschrieben 5.700.000, fast 6 Millionen. Deswegen haben wir, da wir, die revolutionäre Linke, keine eigene Arbeiterpartei haben, die immense Möglichkeit gesehen, den Prozess der Massen zu begleiten. Wenn ich von Massen rede, meine ich grundsätzlich die „Volksschichten“ 6, und darüber hinaus die ArbeiterInnen, FacharbeiterInnen, Jugendliche, BäuerInnen, aber im Speziellen war bis jetzt der führende Bereich die „Volksschichten“. Also haben wir entschieden, zu sehen wie es uns ergeht, welche Erfahrung wir aus der Absicht, die Partei aufzubauen, die sich jetzt in diesem Prozess befindet, gewinnen können, um zu sehen was man machen kann. Die Massen in ihrem Bewusstsein voranbringen und bewirken, dass die Partei weiter geht, weiter wie es die Absicht von Chávez und seinen Mitstreitern sein wird, oder einen Dialog ermöglichen, den wir bis heute noch nicht etablieren konnten, mit BäuerInnen, indigenen Bevölkerungsschichten, „Volksschichten“ und der Mittelschicht. Zu sehen, ob, wenn es der Fall ist dass die PSUV nicht konsequent ist, eine andere organisatorische Alternative entsteht, eine soziale Bewegung oder eine neue politische Partei. Uns würde es gefallen wenn die Bedingungen vorhanden wären, die wir nicht sehen, eine eigene Organisation der ArbeiterInnen und des Volkes zu haben. Aber es ist eine Tatsache, dass es immer noch eine große Illusion in den Präsidenten Chávez gibt, und die Massen werden diese Art Erfahrungen machen. Der Fehler wäre, wenn wir erkennen, dass es eine große Gefahr gibt; denn es ist offensichtlich dass die Partei kein klar sozialistisches Projekt ist, sie richtet sich nicht exakt nach dem historischen Programm, welches wir vorgebracht haben; wegen dieser Befürchtung und der Gefahr, dass sie nicht Richtung Sozialismus geht, dass ein bürgerlicher Staat weiterregiert wie in den vergangenen neuen Jahren, wenn wir die revolutionären Teile und die ArbeiterInnen dort ohne eine Gegenstimme alleine lassen. Ich glaube dass es möglich ist, dass wenn wir in der Partei sind und ein kritisches Verhalten gegenüber den vorhandenen Gefahren beibehalten, dass wir dann einen Teil von ihnen gewinnen können. In der Partei, was am wenigsten wahrscheinlich ist, dessen sind wir uns bewusst, oder außerhalb, mit einer anderen Organisation, eine Art soziale Bewegung, oder mit einer neuen politischen Partei. Und ich sage das so, weil ich will dass wir eines verstehen, ich glaube dass die Revolution nicht von Parteien gemacht wird. Die mobilisierten ArbeiterInnen und das Volk machen die Revolution, keine Organisation. Die Partei kann dazu beitragen, und sie trägt dazu bei, die Revolution durchzuführen. Aber wer die Revolution macht, das sind die Massen. Die Ausgebeuteten. Die Revolution ist ein Werk von ihnen selbst. Hier sind wir konsequent mit unseren Überlegungen und das wandelt sich in eine Idee, dass die Massen sich in einer Partei organisieren, und danach kann sich diese Partei durch eine soziale Bewegung verändern. Das kann hier in Lateinamerika passieren oder wo anders auf der Welt. Also, konkret gehen wir in die PSUV, wissend über die Gefahren die existieren, aber um die Massen zu begleiten und in einen Dialog mit ihnen zu treten, um sie zu gewinnen für eine neue Art von Organisation.

Beschreibe mir ein bisschen den Charakter der PSUV. Denn es gibt einige GenossInnen, die sagen dass sie von Anfang an eine bürgerliche Partei ist, dass bereits zu viele schlechte Faktoren beinhaltet sind, dass ihre Struktur und ihr Programm schon ausgemacht sind und es keine Demokratie in dieser Partei gibt.

Okay, ich schließe nicht aus dass es so kommen kann. Aber die Partei, jetzt gerade als man anfängt sie zu organisieren, hat man ihr eine Struktur gegeben, da Chávez der große Ideologe der Partei ist nannte er es „batallones“ 7, wo eine Anzahl von bis zu 300 Personen aktiv sein sollten, um zu diskutieren wie die Partei aussehen wird, was ihr Statut ist, was der Charakter sein soll den sie haben wird, welche ethischen Grundsätze sie haben wird. Also sind wir da dabei. Was die GenossInnen gesagt haben, dass bereits alles ausgemacht ist, dass es eine bürgerliche Partei ist, oder klassenübergreifend, mit einem nicht revolutionären Programm, es kann sein dass sie der Realität vorauseilen. Das soll nicht heißen dass es nicht so kommen kann. Und es gibt Anzeichen, da sogar einige Unternehmer ihre Absicht geäußert haben, auch Teil der Partei zu sein. Trotzdem, diejenigen die heute in die „batallones“ kommen sind dieselben Leute, die den Prozess gegen die Angriffe des Imperialismus verteidigt haben. Man kann nicht ausschließen, dass dort auch Kapitalisten teilnehmen können, aber ich glaube, dass sie in der aktuellen Fase keinen Einfluss haben, nach den Erfahrungen die wir mit den „batallones“ haben. Es existiert ein hohes Bewusstsein, dass es eine Partei der Armen, der „Nicht-Ausbeuter“, sein soll. Sie können aus der Mittelschicht kommen, aber keine Personen, die Ausbeuter sind. Also, das Programm wird definiert. Natürlich glaube ich dass es kein „echtes“ 8 sozialistisch revolutionäres Programm sein wird. Es könnte ein nationalistisches Programm sein, oder ein links-nationalistisch revolutionäres, oder sogar, ich weis es nicht, was sie sagen in dem Sinne wie du deine Frage gestellt hast, sie sagen dass es eine nationalistisch bürgerliche Partei sein wird, wie Chávez selbst ist. Wir müssen abwarten. Ich sage nicht, dass die Partei nicht so enden kann, wie es die GenossInnen sagen. Ich glaube dass es so kommen könnte. Aber wir müssen die Ereignisse abwarten. Ich glaube dass wir auf diese Art eine verfrühte Position einnehmen würden. Ich bevorzuge, wenn wir mit den Ereignissen sehen dass es so ist, gut, dann müssten wir natürlich diskutieren was wir machen, mit einer Partei mit einem bürgerlichen Programm, einer bürgerlichen Ausrichtung, oder nationalistisch bürgerlich. Es ist schwierig, dass wir viel Leben in solch einer Partei haben werden, denn wir wollen eine Partei aufbauen, die die Revolution vertieft, die weiter geht wie bisher, und es ist anzunehmen, dass, wenn sie diese Charakteristika haben wird, sie nicht dazu beitragen wird, die Revolution zu vertiefen. Und nicht nur wir. Ich glaube, dass das ein großes Problem der Partei sein und dass es Spaltungen und viele Krisen geben würde, wenn das auf halbem Weg zum Gründungskongress bereits klar wäre, so wie du sagst dass die GenossInnen sagen wie die Partei sein wird.

Ihr, als Revolutionäre, als revolutionäre Strömung, werdet Ihr eine Art Organisation innerhalb der PSUV aufrechterhalten?

Wir machen keinen Entrismus. Ganz klar ist es kein Entrismus. Wir sind als C-CURA organisiert, und um eine Zeitung, die wir innerhalb der Partei haben, die „MAREA clasista y socialista“ heißt. Wir haben ein internes Bulletin, wir haben regelmäßige Diskussionen, was wir in der Zeitung veröffentlichen diskutieren wir mit vielen GenossInnen, die wir über Internet oder manchmal durch Versammlungen erreichen können, und wir werden diese Art von Organisation, von Einbeziehung beibehalten. Aber, eine Partei in der Partei sind wir nicht. Sondern wir sind eine Bewegung mit einem gewissen Grad an Organisation. Ja das sind wir durch unsere Zeitung, denn wir müssen unsere Vorschläge veröffentlichen, die das
Produkt einer kollektiven Diskussion sind.

Werdet ihr ein revolutionäres Programm als Alternative zum „chavismo“ (9) einbringen?

Natürlich. Wir werden ein revolutionäres Programm einbringen, um zum Sozialismus zu gehen. Im Moment gibt es eine große Verfassungsreform, welche die große Diskussion ist, die beginnt sich über das Land auszuweiten. Chávez und die wichtigsten Führer seines Vertrauens argumentieren, dass die Reform das Ziel hat, zum Sozialismus zu gehen. Wir glauben nicht, dass man über die Verfassung zum Sozialismus gelangt. Man erreicht ihn durch politische und ökonomische Maßnahmen. Und nach der Verfassung kommt bereits das „Nachwort“ 10, der Klassencharakter, der Charakter des Staates, der Regierung. Aber trotzdem, da sie aus dieser Perspektive argumentieren, machen wir unsere Vorschläge aus der gleichen Perspektive. Und wenn die Diskussion in die Partei kommt, in die „batallones“, werden wir dafür argumentieren, was wir unter der Vertiefung der Revolution verstehen, ausgehend von dieser Verfassung, welche Art von Eigentum existieren sollte, das kollektive Eigentum der Produktionsmittel. Wir werden uns auf das konzentrieren. Um die Macht auszuüben, hat diese Verfassungsreform klar einen präsidialen Charakter. Wir wollen dem entgegenstellen, dass die Regierung nicht nur von dem Präsidenten bestimmt werden soll, sondern dass es einen Organismus geben soll. Welcher auch immer. Ein großer Rat, aus den kommunalen Räten zusammengestellt, aus den Arbeiterräten, Räten von BäuerInnen und StudentInnen, oder einer neuen Nationalversammlung wo diese Räte repräsentiert sind, oder diese sozialen Schichten, welche die Ausgebeuteten sind. Also werden wir für das kämpfen. Wir werden dafür kämpfen, weil das auch ein großer Teil der Diskussion sein wird, der demokratische Charakter den die Partei haben soll. Wir werden für ein demokratisches Statut stehen, das die Pluralität erlaubt. Eine der Sachen, die wir immer gesagt haben, ist dass jene die sich auf den „chavismo“ berufen, oder die an der Seite des Präsidenten stehen, ein bisschen intolerant gegenüber den demokratischen Diskussionen sind. Also wird für uns einer der grundlegenden Bestandteile der demokratische Charakter der Organisation sein. Wird man die Dinge diskutieren, wird die Mehrheit entscheiden? Oder wird die Bürokratie die Kontrolle haben? All das ist Bestandteil der Diskussion. Und die andere Sache, was scheinbar immer in der Mehrheit der Parteien ein Thema ist, die ethischen Grundsätze, das wird für uns eine hohe Wichtigkeit haben, weil exakt eine der Dinge die bei der Regierung Sorgen bereiten, ist dass es eine Regierung ist, die nicht nur bürokratisch sondern auch sehr korrupt ist. Sie nutzen die hohen Einnahmen aus, die in den letzten Jahren durch den gestiegenen Ölpreis gemacht wurden, die enorme Menge an Geld, die benutzt werden sollte, um die großen ökonomischen und sozialen Probleme dieses Landes zu lösen. Wie du gesehen hast gibt es weiterhin viel Armut. Um zu einem Schluss deiner Frage zu kommen, im Moment sind wir dabei, die GenossInnen von der Zeitung MAREA, die FührerInnen von C-CURA die wir in die PSUV gehen, ein revolutionäres Programm zu diskutieren. Es ist nicht sicher, was dabei herauskommen wird, aber wenigstens weis ich, dass viele, viele uns bei diesem Vorschlag begleiten werden, sogar die uns heute nicht kennen.

Wie meint Ihr, gegen die reaktionären Strömungen, die Kapitalisten, Bürokraten, Reformisten, „Chavisten“ in der Partei kämpfen zu können?

Wir werden die Zeitung beibehalten. Wir haben nicht nur einen Plan für die Zeitung, wir haben auch sogar einen Plan für ein alternatives Radio. Wir werden frei aussprechen, was wir über die Situation des Landes und der Welt denken. Natürlich ist es unangenehm für die Regierung wenn wir unsere Meinungen aussprechen. Die Meinung, die wir gegen Kirchner haben, gegen Lula, stört die Anhänger der Regierung. Na gut, wir werden weiterhin unsere Meinung haben von diesen bürgerlichen Regierungen, ganz klar bürgerlich. Und jede Position die wir haben werden wir frei aussprechen. Wir werden versuchen das in einer pädagogischen Art und Weise zu tun, oder… ohne Besserwisserei, und dass wir es schaffen an die immense Anzahl von Leuten heranzukommen, die sicherlich dafür sind, dass es in Venezuela einen wirklichen Sozialismus gibt, demokratisch, dass die Kapitalisten enteignet sind, dass es wirklich einen antiimperialistischen Plan gibt, ein konsequentes antiimperialistisches Programm. Das große Problem ist, dass sie heute in ihrer Mehrheit immer noch Chávez vertrauen. Also haben wir eine Zeit lang eine Redensweise, die dazu da ist, dass sie uns Ernst nehmen, dass sie sehen dass wir verantwortungsbewusst sind. Wenn wir konsequent unsere Standpunkte einbringen, können wir Land gewinnen, können wir ihnen helfen, die Realität in der Partei und in dem politischen Leben national und international zu erkennen. Das werden wir öffentlich tun. Im Klassenkampf gibt es immer ein Thermometer, das allen auf den Geist geht. Wenn die Dinge geschehen, die Ereignisse, artikulieren wir uns richtig oder auch nicht. Ich ziele darauf ab, dass wir mit internationaler Hilfe und Beziehungen, die sich aufrechterhalten werden, Diskussionen bereichern können, wenn wir einmal inmitten des Hurrikans sind. Manchmal kann man von außen die Feuer nicht erkennen, und manchmal sieht man sie von außen besser. Also glauben wir, dass wir die Symbiose zwischen uns innen und den Beobachtungen von Freunden erreichen sollten, auch sogar mit kritischen Personen, die wir auch beachten werden. Wir werden nicht zwischen konstruktiven und destruktiven Kritiken unterscheiden. Denn manchmal ist eine Kritik logisch, hat sie Recht. Wir werden sie beachten, um zu versuchen sie bestmöglich zu verstehen. Wir wissen dass das eine Herausforderung ist. Es ist eine sehr schwierige Situation, sie ist nicht einfach. Es gibt wenig positive Erfahrungen in diesem revolutionären Sinn, dass man in einer Organisation aktiv sein kann, die viele reformistische Elemente hat, oder klein-bürgerliche, dass man erfolgreich dabei heraus kommt. Auf was wir am meisten vertrauen sind die Massen und auch die Perspektive, Kontakte mit den RevolutionärInnen der Welt aufrecht zu erhalten, die uns dabei helfen diese Aufgabe zu meistern.

Mit Hinblick auf all das, wie siehst du die Formation der Partei bis jetzt und in den nächsten Monaten? Denn man hat bereits angekündigt, dass man in einem Monat beginnen wird, die Sprecher zu wählen, die Delegierten für den Kongress.

Schau, die Erwartungen waren enorm. Trotzdem war die Diskussion am Anfang mager. Das hat einige dazu gebracht, zu sagen, kann es sein dass sie die Anzahl angeblicher KandidatInnen aufgebauscht haben? Ich weis nicht ob sie das haben oder nicht, aber ich weis dass die Anzahl enorm ist. Wenn es keine 5.7 Mio. waren, lass es 3 Mio. gewesen sein, das ist in Wirklichkeit eine Sache von Spekulation. Heute gibt es auf der Welt ein enormes Misstrauen gegenüber den politischen Parteien. Wenn jetzt in einem Land wie Venezuela 3, 4 oder 5 Mio. von Armen, ArbeiterInnen, BäuerInnen ihren Wunsch ausdrücken, einer Partei anzugehören, ist das enorm. Aber in den ersten Versammlungen der PSUV nehmen 10 bis 20% der 5.7 Mio. teil, die ihren Beitrittswunsch geäußert haben. Die Mehrheit ältere Menschen, aus der Mittelschicht, einige ArbeiterInnen, einige Jugendliche. Wenn man so will, sind die Jugendlichen und die ArbeiterInnen nicht die mehrheitlichen Schichten gewesen. Aber es gibt sie. Es gibt von allem. Und bis jetzt war die Erfahrung, die die meisten von uns, die wir in den „batallones“ sind, gemacht haben, positiv. Positiv in dem Sinne dass es Demokratie gab, die Leute können ihre Meinungen aussprechen. Viele von uns wurden aufgrund der Erfahrung die wir haben zu Diskussionsleitern ernannt, welche die wöchentlichen Versammlungen leiten. Man kann den Sozialismus erklären. Eine der großen Sachen, die man in Venezuela diskutiert wie in keinem anderen Land auf der Welt, ist der Sozialismus. Was ist Sozialismus? Welche Art Sozialismus soll es sein? Wird er demokratisch sein? Wird es eine Öffnung für die mittleren und kleinen Produzenten geben? Welchen demokratischen Charakter wird er haben? All das diskutiert man enorm. Und wo diese Diskussionen am besten geführt werden, ist in den „batallones“, welche der einzige Organismus in der Partei sind, der funktioniert. Es gibt keine andere Struktur. Die Erfahrung war positiv in diesem Sinne, demokratisch. Das soll nicht heißen, dass die Apparate, welche in den alten Parteien wie dem MVR vorhanden waren, oder in den anderen Parteien die heute Teil der neuen Partei sind, und auch in den enormen Apparaten die es in den Institutionen des Staates gibt, Bürgermeisterämter, Landesregierungen, Ministerien, Vizepräsidentschaft, nicht versucht hätten, zu beeinflussen was man diskutiert und was man macht. Natürlich haben sie das. Aber die Antwort der Leute ist, dass es eine Autonomie der AktivistInnen in jedem „batallon“ geben muss. Das ist enorm positiv. Dass sich das mit der Zeit aufrechterhalten wird, das kann man nicht mit Sicherheit sagen. Bis zu diesem Moment ist es eine Tatsache, dass es in diesem Sinne Demokratie gibt. Wenn übermorgen eine Kampagne gegen uns beginnt, die wir die Kritischsten sind, wenn sie sagen, dass wir Instruktoren sind, dass wir einen Plan haben, dass wir Entrismus machen, gut, ich weis nicht. Wir werden sehen. Aber wir hoffen dass wir uns das Vertrauen der Leute gewinnen, dass sie sehen dass wir ernsthafte Personen sind, verantwortungsbewusst, und dass wir konsequente Revolutionäre sind. Dass wir für den revolutionären, demokratischen Sozialismus stehen, den wir als einzige wirkliche Alternative betrachten. Dass wir Leute erreichen werden, die sagen dass es
Sozialismus gibt, die das mit den Kapitalisten messen wollen, die Reformisten sind, die das Überleben des Kapitalismus sichern wollen. Gut, und wir werden eine permanente Debatte gegen diese Sektoren führen, die es gibt. Es ist wahrscheinlich, dass es sie innerhalb den „batallones“ gibt.

Haben die Diskussion in der PRS (11) und die Spaltung die es gab in irgendeiner Weise die PSUV beeinflusst, oder gab es irgendeinen Effekt auf die Formation der Partei? Oder hat das keinen Einfluss?

Unsere Diskussion in der PRS hat uns in allen Bereichen betroffen. Einmal in der Frage, in die PSUV zu gehen oder nicht. Wir teilen nicht, dass man nicht gemeinsam in die PSUV gegangen ist. Wir haben großen Respekt gegenüber den GenossInnen, die heute diese Position beibehalten. Viele von ihnen waren mit uns ihr ganzes Leben lang aktiv. Wir stimmen programmatisch in 80 oder 90% der Sachen überein. Und in 50 oder 60% in der Methodik. Wir haben die C-CURA aufgebaut, die eine große Errungenschaft der ArbeiterInnen, der klassenkämpferischen und revolutionären Sektoren in Venezuela ist. Also hat uns diese politische Spaltung, die sie machen, getroffen. Einige von uns, von C-CURA, nicht alle, sind Teil des Förderkomitees, von dem was die Absicht war, die Partei Revolution und Sozialismus (PRS) aufzubauen. Sie arbeiten jetzt diesen Vorschlag aus und argumentieren für die unabhängige Partei der ArbeiterInnen. In diesem Sinne betrifft es uns sehr, denn es bleiben die Unterschiede, der Kummer den man hat. Manchmal einer mehr als der andere, wegen seiner Art, wegen seinem Charakter, beurteilt er/sie nicht die Übereinstimmungen, die wir haben. Ich werde nicht sagen dass das auf der anderen Seite ist. Es kann sein dass es auf beiden Seite passiert. Nun, wenn jemand bereits mit der Kategorie eines trotzkistischen Kader kommt, aus einer anderen Partei stammend wie die Mehrheit, dass wir kritisch sind, das ist immer ein Problem für jene Personen gewesen, die in anderen Organisationen aktiv und führend waren. Aber für die Basis nicht. Denn mit der Basis stimmen wir „sauber“ 8 überein. Wir sind ArbeiterInnen und haben die gleichen Angewohnheiten wie sie. Also hat es uns betroffen. Und es betrifft ein bisschen das Leben von C-CURA. Aber die PSUV nicht, denn die PSUV ist eine Massenorganisation. Wir waren unbedeutend. Eine kleine Gruppe hat keinen Einfluss auf 5 Mio. von AktivistInnen. Aber wir sind kritisch gewesen. Wir sind immer noch kritisch mit den AktivistInnen, wir stellen Dinge in Frage. Sogar Marx und Lenin, welche die großen historischen Revolutionäre waren auf die wir uns beziehen, wir müssen auch sagen, dass sie sich in ihrem Moment in vielen Dingen irren konnten. Und von jener Epoche bis hier und heute wurden viele ihrer Ideen durch die historischen Wechsel überwunden, die in den Gesellschaften geschehen sind. Aber wenn man eine Art Verhalten aufweist in Richtung Personenkult, da gibt es Probleme. Und es gibt ein großes Problem in dem was sich der „Bolivarismus“ nennt, es gibt einen Personenkult um Chávez. Wir sehen Chávez als einen Führer, der heute eine große Unterstützung in dem Land und auf dem Kontinent genießt, aber bis jetzt regiert er eine bürgerliche Regierung, sein sozialistisches Programm ist unklar, von dem er sagt dass es sozialistisch ist. Er konnte helfen, die Diskussion über Sozialismus hierzulande zu begünstigen, unabhängig der Meinungen, die er von Sozialismus hat. Also sehen wir das Positive und das Negative, und wir sagen die Dinge. Die Personen, die Chávez nur als klein-bürgerlichen sehen, können uns von links kritisieren. Wir glauben dass wir weder Zentristen sind noch dass wir vor Chávez kapitulieren. Wir haben eine revolutionäre Position, ganz klar revolutionär. Das bedeutet nicht dass die RevolutionärInnen nicht auch Fehler begehen. Sicher haben wir Fehler begangen, und begehen immer noch Fehler. Das Verhalten wäre, wenn jemand sich irrt muss man es korrigieren.

Was passiert dann gerade in der C-CURA?

Es gibt gerade viele Sorgen, denn die GenossInnen, welche nicht in die PSUV gehen, da sie eine Charakterisierung haben, dass diese Regierung bürgerlich ist, dass sie die Interessen eines Bereiches der Kapitalisten verteidigt, dass die Reform (der Verfassung, Anm. d. R.) dazu da ist diese Macht welche die Bourgeoisie weiterhin hat aufrecht zu erhalten, dass Chávez ein Demagoge ist, und da weite Teile der ArbeiterInnen die mit uns sind oder auch nicht weiterhin Erwartungen in Chávez haben, das alles führt dazu dass viele KollegInnen meinen, dass uns diese Argumentation nicht dabei hilft, große Teile der ArbeiterInnen zu gewinnen oder die Anzahl an GewerkschaftsführerInnen zu halten, die wir heute haben. Wir waren und sind noch immer die Mehrheitsströmung in der UNT. Wir sind in allen Bereichen präsent. Also bringt uns das dieses Problem. Orlando Chirino ist der beste Führer den wir haben. Der bekannteste Führer unserer Strömung. Also, wenn er jetzt z.B. sagt, dass er nicht für die Reform (der Verfassung, Anm. d. R.) ist, dass er gegen die Reform ist. Er kritisiert z.B. die Wiederwahl von Chávez. Das teilen wir nicht, die in die PSUV eingeschrieben sind. Uns würde gefallen, dass die Wiederwahl nicht existierte, aber es ist eine Tatsache, dass es heute in diesem Land, in dem revolutionären Prozess, keinen Führer über Chávez hinaus gibt, der garantieren würde, weiter zu gehen als das was man mit Chávez erreichen kann. Mit wem man am meisten erreichen könnte, ist Chávez. Es gibt niemand anderes. Deshalb können wir nicht die Dinge erfinden. Der „caudillo“ existiert, und hier gibt es einen enormen Wesenszug des „caudillo“, dass die Massen den „caudillo“ unterstützen. Wir sind dafür, dass Chávez wieder gewählt wird. Im Moment gibt es niemand anders, leider. Die Massen sehen niemand anderes. Wenn sie uns sehen würden, könnten wir geeigneter sein als Chávez, den Prozess anzuleiten, die Revolution anzuleiten, aber so ist es nicht. Also gibt es dieses Problem. Stell dir vor, es gibt GenossInnen in dem zweit wichtigsten Staat in diesem Land, GenossInnen die von einer anderen Strömung sind, die nicht von unserer historischen Strömung kommen, aber die mit uns übereinstimmen in den Fragen des Klassenkampfes, der Demokratie, des Kampfes gegen die Bürokratie und die Korruption, die sehr sauer sind, weil sie meinen dass die Aussagen von Chirino uns dabei nicht behilflich sind. Das sagen sie. Ich teile ihre Meinungen in gewissem Sinne nicht, aber ich weis dass wir Probleme in diesem Sinne haben. Es gibt diese Situation. Ich hoffe dass wir das Verständnis haben, eine hohe Anzahl von FührerInnen, dass diese politischen Meinungsverschiedenheiten, die sich gerade zeigen, nicht eine Spaltung der C-CURA nach sich ziehen. Wir sind in diesen Tagen vorsichtig gewesen, wir haben entschieden unsere Zeitung heraus zu bringen, weil wir ein Organ brauchen um uns auszudrücken, aber wir wollten nicht offensiv sein, nicht in irgend einer Weise dem widersprechen, was einer von ihnen in der Presse sagt. Vor allem um nicht eine größere Krise in der Strömung (C-CURA, Anm. d. R.) zu schaffen. Wir hoffen, dass die Mehrheit der FührerInnen die Geduld hat, C-CURA wegen dieser Differenzen, die uns heute treffen, nicht zu einer Spaltung zu führen. Und hoffentlich löst der Klassenkampf so schnell wie möglich unser Problem. Ob die PSUV wirklich ein Apparat der Bourgeoisie sein wird.

Vielen Dank.

1 Die UNT (Unión Nacional de los Trabajadores) ist der größte Gewerkschaftsdachverband in
Venezuela. Er wurde 2003 gegründet als Reaktion auf die offene Unterstützung des alten
Verbandes, der CTV (Confederación de los Trabajadores de Venezuela), für den
Unternehmerstreik in der Ölindustrie Ende 2002/Anfang 2003.

2 Innerhalb der UNT gibt es mehrere Strömungen. Eine der wichtigsten davon ist die
C-CURA (Corriente Clasista, Unitaria, Revolucionaria, Autónoma). Sie vereint die
kämpferischsten Teile der Gewerkschaftsbewegung. Auf dem Kongress im Jahr 2006
erlangte die C-CURA die Mehrheit in der UNT.

3 Nach seiner Wiederwahl im Dezember 2006 hat Hugo Chávez die Gründung einer neuen
sozialistischen Einheitspartei angekündigt, die PSUV (Partido Socialista Unido de
Venezuela). Diese Partei soll alle linken Kräfte „vereinen“. Bisher war die Regierung auf ein
Parteienbündnis gestützt.

4 AD (Acción Democrática) und Copei (Comité de Organización Política Electoral
Independiente) regierten das Land von 1958 bis 1993 abwechselnd. Sie hatten eine geheime
Übereinkunft getroffen („Pacto Punto Fijo“), sich an der Regierung abzuwechseln.

5 Die Regierungspartei von Chávez ist die MVR (Movimiento para la 5.República, Bewegung
für die 5.Republik). Sie stützte sich in der Nationalversammlung vor allem auf die Stimmen
von PPT (Patria para Todos, Vaterland für alle) und PODEMOS (dt. „wir schaffen das“),
sowie der Kommunistischen Partei.

6 Stalin spricht von „sectores populares“. Gemeint sind die marginalisierten Schichten der
Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums, die meist im informellen Sektor versuchen ihren
Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Schichten sind die Hauptstütze der Regierung Chávez.

7 Chávez hat die Ortsgruppen, die in den Dörfern oder Stadtteilen bestehen und die
Grundstruktur der PSUV sind, Bataillone „getauft“.

8 Stalin sagt „netamente“.

9 Als „chavismo“ wird die Ideologie von Hugo Chávez bezeichnet. „Chavistas“ sind
Anhänger der Regierung und des Präsidenten.

10 Stalin sagt „palabra posterior“.

11 PRS (Partido Revolucion y Socialismo), wichtigste trotzkistische Partei Venezuelas. Sie ist
teilweise an die UIT-CI (Unidad Internacionál de los Trabajadores – Cuarta Internacionál,

Internationale Vereinigung der ArbeiterInnen -Vierte Internationale) angegliedert, eine
internationale trotzkistische Strömung mit morenistischem Hintergrund. Fast alle führenden
Kader der PRS sind gleichzeitig die FührerInnen der C-CURA. Die PRS hat sich bei der
Frage der PSUV gespalten (ca. 50 zu 50). Ein Teil geht in die PSUV, der andere Teil bleibt
draußen.