Arbeitskampf und Klimastreik – One Struggle, One Fight?
Von Stephie Murcatto, April 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023
Die Klimabewegung ist an einem Wendepunkt angekommen. Die großen Mobilisierungen der Klimabewegung, so wie der Fridays For Future Global Strike, stagnieren seit Corona. Die Partei „die Grünen“ hat sich lange als Verbündete der Proteste präsentiert und ist nun an der Regierung dabei, alles zu verraten, wofür die Klimabewegung einsteht. Viele Aktivist_Innen greifen zu verschiedenen neuen Strategien, um den Klimawandel aufzuhalten. Die „Letzte Generation“ verwendet Straßenblockaden mit dem berühmten Festkleben. End Fossil Occupy besetzte Schulen und Unis. Dazu kam jüngst auch die Abbaggerung Lützeraths, die zwar von massiven kämpferischen Protesten begleitet wurde, aber schlussendlich die Abbaggerung des Dorfs, welches für Jahre als Symbol der Klimabewegung gestanden hat, nicht verhindern konnte. Dennoch ist das 1,5 Grad Ziel in weitere Ferne gerückt und die Proteste blieben gesellschaftlich isoliert. So unterschiedlich die Forderungen und Taktiken von FFF, EG, Letzte Generation, XR usw. auch sein mögen, ähnlich sind sie sich in dem Punkt, dass sie den Staat mit Appellen und der Erzeugung medialer Aufmerksamkeit von der Wichtigkeit der Reduktion von CO2 überzeugen möchten. Dass ihre Aktionsformen viele Menschen mobilisieren können, haben sie bewiesen. Jedoch haben sie auch gezeigt, dass sich die politischen Entscheidungsträger_Innen trotz aller tollen Worte nicht durch symbolische Appelle von ihrer klimaschädlichen Politik abbringen lassen. Wir müssen also aus den letzten 3 Jahren Klimaaktivismus die Bilanz ziehen, dass unsere Bewegung neue Aktionsformen braucht, die über Aufforderungen an die Politiker_Innen und symbolische medienwirksame Aktionen hinausgehen. Das geht unserer Meinung nach nicht mit, sondern nur gegen den Staat.
Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Klassenkampf!
Anstatt also die Politik zu bitten, dieses und jenes zu tun, müssen wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das Mittel dafür stellt die Vergesellschaftung dar: Indem wir Energieproduktion, Verkehr oder Landwirtschaft demokratisch organisieren, kontrollieren und planen, entreißen wir sie der egoistischen und widersprüchlichen Marktlogik und können so ein Wirtschaften, orientiert an unseren Bedürfnissen und der Erhaltung des Planeten anstatt an der Vermehrung von Profiten, umsetzen. Durch unsere aktuelle profitbasierte Wirtschaftsweise können sich Reiche viel besser vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen, während wir insbesondere in ärmeren Ländern seinen Folgen schutzlos ausgesetzt sind. Wer wie unter der Klimakrise leidet ist eine Klassenfrage, weshalb wir den Kampf dagegen auch als Klassenkampf verstehen müssen. So müssen wir dafür eintreten, dass die Kosten der Klimakrise nicht auf dem Rücken der Arbeiter_Innen und der Jugend ausgetragen werden (z. B. durch Ökosteuern oder Massenentlassungen in umweltschädlichen Industrien). Wir müssen dafür sorgen, dass die Klimafrage und die soziale Frage nicht gegeneinander ausgespielt, sondern miteinander verbunden werden. Das heißt also, neue Jobs in der Gewinnung regenerativer Energien zu schaffen und durch Umschulungen, höhere Löhne und Arbeitszeitverkürzungen gleichzeitig für bessere Arbeit und ein besseres Klima zu kämpfen. Dafür brauchen wir jedoch auch in der Klimabewegung ein Verständnis für die existenziellen Sorgen und Nöte der Beschäftigten und keine abgehobene Ignoranz, wie sie in der Debatte manchmal vorkommt. Sprüche wie „Sucht euch doch einfach nen‘ Job in nem Öko-Startup!“ helfen da wenig weiter und spiegeln vielmehr die privilegierte Position einiger Aktivist_Innen wider. Doch am letzten FFF Global Strike am 03.03.2023 haben in verschiedenen Orten FFF und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di gemeinsam gestreikt. Dies stellt einen absolut notwendigen Schritt der Klimabewegung in die richtige Richtung dar!
Was macht die Streiks so besonders?
Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen wir erstmal klarstellen, inwiefern ein Streik einen Unterschied dazu darstellt, wie FFF vorher ihre Aktionen gestaltet hat. Auf der Straße mag es nämlich gar nicht so anders aussehen, aber in der Realität ist es ein qualitativer Unterschied zu den vorherigen FFF-Demos, wenn die Gewerkschaften ihre Streiks auf den gleichen Tag legen und sich hinter die Forderungen von FFF stellen. Dieser besteht darin, dass, wenn die Gewerkschaften streiken, ein ökonomischer Druck aufgebaut werden kann. Im Extremfall kann durch einen Generalstreik im wahrsten Sinne des Wortes ein komplettes Land lahmgelegt werden. Keine U-Bahnen fahren, keine Autos werden produziert, du kannst dir nicht bei McDonald‘s nen‘ schönen Cheeseburger kaufen, Amazon liefert nicht und keine Güter werden im Hamburger Hafen entladen. Kurzum: Alles, was den Kapitalismus zum Funktionieren bringt, steht still.
In einer solchen Situation muss man auch nicht mehr an die Regierung appellieren, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Zum einen steht sie dadurch unter einem wahrhaftigen Druck zu handeln. Zum anderen entsteht durch Streiks das Bewusstsein unter den Beschäftigten, dass sie selbst es sind, weswegen der gesamte Laden überhaupt laufen kann. Revolutionär_Innen müssen ihnen dann im Zuge der Streiks aufzeigen, dass im nächsten Schritt sie selbst es sind, die demokratischer Kontrolle über die Produktionsmittel übernehmen müssen. So weit sind wir jetzt im Fall des gemeinsamen Streiks von FFF und Ver.di noch nicht. Jedoch ist es ein erster wichtiger gemeinsamer Schritt, dass die Gewerkschaft ihren Warnstreiktag auf das Datum des Klimastreiks gelegt hat, dass in vielen Städten gemeinsam protestiert wurde und ein symbolischer Schulterschluss stattgefunden hat.
Aber welchen Schritt machen wir als nächstes?
Allein dieses Minimum an öffentlicher Solidarität hat in den bürgerlichen Medien schon einen Shitstorm gegen die Gewerkschaft ausgelöst. “Das ist ja politischer Streik!“ hier.. und „das ist doch verboten!“ dort. Um einen politischen Streik handelt es sich hier jedoch (leider) keinesfalls, denn ver.di hat lediglich den Termin für ihren Warnstreik für den Tarifkampf im Öffentlichen Dienst (TV-ÖD) auf denselben Termin wie FFF gelegt, jedoch keine ökologischen Forderungen in den Tarifvertrag mit aufgenommen.
Doch tatsächlich hat Deutschland ein extrem rückschrittliches Streikrecht, in dem politische Streiks verboten sind. Damit macht sich Deutschland zu dem Land, mit dem rückschrittlichsten Streikrecht in ganz Europa – gleich scheiße ist nur der Vatikan. Gewerkschaften in Deutschland dürfen Streiks lediglich als letztes Mittel nutzen, um Druck in Tarifverhandlungen auszuüben. Prinzipiell sind politische Streiks aber nicht von der Verfassung verboten. Es gibt lediglich eine Tradition in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, die Streiks ohne Bezug zu laufenden Tarifverhandlungen häufig mit Einschränkungen und Repression belegt. Politische Streiks sind also trotzdem möglich, wenn die Gewerkschaftsbürokratie dazu bereit wäre. Denn eigentlich ist es auch gar nicht wichtig, ob ein politischer Streik oder gar ein Generalstreik im Einklang mit dem geltenden Recht in Deutschland steht. Die großen Generalstreiks in der Geschichte der Arbeiter_Innenbewegung in Deutschland waren es zumindest auch nicht: Ob die Massenstreiks zur Beendigung des Ersten Weltkrieges, oder der Generalstreik, der die Weimarer Republik vor einem faschistischen Putsch 1920 gerettet hat. Was soll auch so ein Stück Papier gegen die geballte Kraft der Arbeiter_Innenklasse ausrichten? Schließlich hat ein Generalstreik mit Millionen Unterstützer_Innen auch eine viel höhere demokratische Legitimität als irgendein von Juristen konstruiertes Urteil. Die Herrschenden sind dadurch gezwungen, auf die Interessen der streikenden Massen einzugehen und können, sollten sie dies nicht tun, durch weitere Aktionen sogar entmachtet werden.
Die Bürokraten in den Gewerkschaften stehen uns im Weg
Dass heute nicht alle Arbeiter_Innen und Gewerkschaftsmitglieder so Feuer und Flamme für politische Streiks fürs Klima und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel eintreten, hat viel mit den desillusionierenden Erfahrungen der Gewerkschaftsbewegung in den letzten Jahrzehnten zu tun. So hat die Gewerkschaftsführung mit ihrer Politik der Sozialpartnerschaft (was so viel wie Kooperation zwischen Kapital und Arbeit anstelle von Klassenkampf heißt) für Vertrauensverlust, Trägheit und Passivität unter den Gewerkschaftsmitgliedern gesorgt. Und das, obwohl Umweltschutz seit dem Entstehen der Arbeiter_Innenbewegung eigentlich immer ein zentrales Thema der Gewerkschaften war. Im Zuge der Sozialpartnerschaft haben die Gewerkschaften dann das Umweltthema und viele andere politische Fragen nach und nach im Aktenschrank der Geschichte verstaut und sich von den Unternehmen aus der Sphäre der Politik drängen lassen, sodass sie sich heute nur noch für Tarifverhandlungen zuständig fühlen. In diesem Aktenschrank müsste sich auch ein Schredder befinden, dem die internationale Solidarität zum Opfer gefallen ist. Mit der Sozialpartnerschaft ging nämlich auch die Entfaltung der nationalistischen Orientierung der Gewerkschaften einher, die den Ausbau Deutschlands zur Exportmacht der Solidarität mit Arbeiter_Innen weltweit vorzieht. Doch da der Kampf gegen die Klimakrise global stattfinden muss, brauchen wir internationale Solidarität statt nationalistischer Spaltung.
Die Gewerkschaftsführungen werden sich vermutlich leider nicht so leicht von unseren Argumenten überzeugen lassen. Das liegt daran, dass sie selber viel zu tief in der Scheiße mit drinstecken und ihre eigenen Privilegien verlieren könnten. Es braucht also aktiv Druck aus der Gewerkschaftsbasis gegen die Führung. Beschäftigte, die bei ver.di organisiert sind, müssen in ihren Betrieben Streikkomitees aufbauen, die wähl- und abwählbare Delegierte in die Streikversammlungen entsenden, und selbst die Kontrolle über den Fortgang des Streiks übernehmen, sowie über weitere Maßnahmen entscheiden. Ebenso darf beispielswiese der aktuelle Kampf für Lohnerhöhungen im Nahverkehr nicht bei einem schlechten Kompromiss mit den Bossen stehenbleiben, sondern muss den Ausbau des Streckennetzes, Solidarität mit Streiks in anderen Branchen und Übergangsforderungen auf die Tagesordnung setzen. In allen für den Kampf gegen den Klimawandel strategisch wichtigen Sektoren, ob in der Autoindustrie, dem Nahverkehr oder der Energieindustrie braucht es eine kämpferische Basisbewegung gegen die verräterische Politik der Gewerkschaftsbürokratie.
Schüler_Innen und Beschäftigte: Schulter an Schulter!
Als Schüler_Innen haben wir leider nur begrenzten Einfluss darauf, was in den Gewerkschaften passiert. Ein erster Schritt wäre es aber zum Beispiel schon einmal, Streikposten zu besuchen und mit den Streikenden in Diskussion zu treten. Was wir außerdem machen können, ist innerhalb der Klimabewegung weiterhin für die Notwendigkeit der Solidarisierung mit Streiks, das Verständnis vom Kampf gegen den Klimawandel als Klassenkampf und die Perspektive von sozial-ökologischen Verbesserungen für alle, statt Verbote und Green New Deal einzutreten. Dafür ist es wichtig, dass wir uns an unseren Schulen organisieren und die Klimafrage vor Ort an unsere Mitschüler_Innen tragen. Gemeinsam können wir diskutieren, welche Probleme an der Schule existieren und wie diese mit dem Klima zusammenhängen. Warum ist zum Beispiel Geld dafür da, dass Bundeswehroffiziere in den Politikunterricht kommen, um fürs Sterben zu werben, während veganes Essen in der Mensa angeblich viel zu teuer ist? Und wer bestimmt in der Schule überhaupt darüber, wie das Geld ausgegeben wird? Wir müssen uns zusammensetzen und diese Fragen diskutieren. Durch Vollversammlungen können wir die gesamte Schüler_Innenschaft erreichen. Dabei können zum Beispiel auch Beschäftigte von ver.di eingeladen werden, um gemeinsam in Diskussion zu treten. Wie ihr eine Vollversammlung an eurer Schule organisieren könnt, erfahrt ihr in einem anderen Artikel („Versammeln wir unsere Mitschüler_Innen gegen die Klimakrise!“) in dieser Zeitung.