Linke Politik in der Pandemie?! (TEIL 1)

Florian Hiller

In
einem anderen Artikel haben wir bereits die Gefahren analysiert, wie
rechte Parteien und faschistische Strukturen die Corona-Krise für
sich nutzen könnten. Pünktlich zum 1. Mai, dem internationalen
Kampftag der Arbeiter_Innenklasse, startet nun unsere Artikelreihe
zum Thema linke Politik in Zeiten von Corona. In 3 Teilen wollen wir
untersuchen, welche Fragen sich welche Teile der Linken stellen, was
sie fordern und wie sie ihre Forderungen umsetzen. Los geht es heute
mit dem 1. Teil zum Thema Gewerkschaftspolitik.

Was
macht die Klasse?

Die
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Deutschland sind noch nicht ganz
zu erfassen. Die aktuellste Erhebung der Arbeitslosenzahl geht auf
den 12. März zurück, also bevor in Deutschland das Corona-Virus so
stark ausbrach. Fest steht allerdings bereits, welche Maßnahmen
ergriffen werden: Die Bundesregierung setzt, wie schon bei der
Finanzkrise ab 2008/2009, auf Kurzarbeit. Das bedeutet, dass der_die
Arbeiter_In nur noch maximal 67% ihres Gehalts bekommt, nach einer
neuen Regelung erhöht sich der Prozentsatz aber nach 4 Monaten auf
77 % und nach 7 Monaten auf 80% . Zum 14. April haben bereits 725.000
Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Das sind jetzt schon 30 mal so viel
wie 2009. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass es im Verlauf dieses
Jahres auch zu Massenentlassungen kommen kann. Wer sich davon ein
Bild machen möchte, schaue auf die Zahlen der USA. Dort haben
innerhalb von einem Monat mehr als 26 Millionen Menschen ihren Job
verloren. Das sollte uns aber nicht zu dem Gedanken verleiten lassen,
in Deutschland würde, anders als in den USA, im Sinne der
Arbeiter_Innenklasse gehandelt werden. Das Kurzarbeiter_Innengeld
wird ebenso wie die Finanzhilfe für klamme Unternehmen über
Arbeitslosenversicherung bzw. Steuern finanziert – die Kosten also
überwiegend auf die ArbeiterInnenklasse und Mittelschichten
abgewälzt.
Während viele Arbeiter_Innen aufgrund von
Lohneinbußen um ihre Existenz bangen, lockerte die Bundesregierung
das Arbeitsschutzgesetz damit Unternehmen ihre Arbeiter_Innen länger
zur Arbeit zwingen können. Dabei soll nicht nur die
Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche
angehoben werden, sondern gleichzeitig die Ruhezeit von 11 auf 9
Stunden verkürzt werden. Besonders unterdrückte Teile unserer
Klasse wie Frauen, Migrant_Innen, LGBTIA und Jugendliche sind noch
zusätzlich von den Folgen betroffen. So sind wir häufig die ersten
die entlassen oder in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gezwungen
werden. Auch müssen wir die aktuell besonders sichtbaren akuten
Mängel im Gesundheitssystem als Angriffe auf unsere Klasse
verstehen, da dieses über Jahrzehnte hinweg zu Spottpreisen an
private Investor_Innen verkauft wurde. Ebenso trägt die Tatsache,
dass beispielsweise Schulen wieder eröffnet werden sollen aber das
Demonstrationsrecht weiter eingeschränkt bleibt, einen klaren
Klassencharakter, da uns hier Rechte genommen werden, die sich die
Arbeiter_Innenklasse lange erkämpfen musste, während gleichzeitig
Unternehmensprofite über unsere Gesundheit gestellt werden.

Sozialpartnerschaft,
Standortnationalismus und rassistische Ausgrenzung

Damit
sind nur die schärfsten Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse
genannt. Angesichts der Situation müssten doch diejenigen, die die
Arbeiter_Innenklasse vertreten wollen, laut aufschreien –

angefangen
mit den Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)
verkündetet bereits Mitte März: „Die
Sozialpartner stellen gemeinsame Verantwortung in der Coronakrise
über Differenzen“. Diese Aussage klingt erst einmal ganz nett aber
zeigt bei genauerem Hinschauen sein wahres Gesicht: Im Klartext
bedeutet das nämlich, dass sich die Gewerkschaften (als einer von 2
Sozialpartnern) nicht gegen die geplanten Angriffe der Unternehmen
(dem anderen Sozialpartner) wehren werden und alles hinnehmen,
solange es nur dem ach so tollen Wirtschaftsstandort Deutschland
nutzt. Ganz in diesem Sinne wirkt die Internetseite des DGB eher wie
ein Informationsportal, das die kommenden Einschnitte für
Arbeiter_Innen erklärt, aber nicht wie ein Sprachrohr für eine
kämpferische Arbeiter_Innenklasse. Sozialpartnerschaft bedeutet
also, dass die „Arbeitnehmer_Innen“ gemeinsam mit den
„Arbeitgeber_Innen“ als Sozialpartner kooperativ Entscheidungen
treffen. Was als Stütze einer sozialen Politik verkauft wird, führt
letztendlich vor allem dazu, dass die Klassengegensätze verschleiert
werden. Die einen entlassen, um Kosten einzusparen, die anderen
lassen es mit sich machen. Unterdrücker_In und Unterdrückten wird
ein gemeinsames Interesse zugeschrieben, so auch jetzt, wenn davon
gesprochen wird, dass wir vor Corona alle gleicht wären und wir
gemeinsam (gemeinsam endet dabei auch an den Nationalstaatsgrenzen)
durch diese Krise gehen müssen. Diese Politik wird auch als
„Burgfriedenpolitik“ bezeichnet. Der Begriff entstand im 1.
Weltkrieg, als die Regierung die Bevölkerung davon überzeugen
wollte, dass Sie in den Krieg ziehen müsste, um das „Vaterland“
zu verteidigen. Bis auf den linken Teil um Karl Liebknecht und Rosa
Luxemburg, schloss sich die SPD damals dieser nationalistischen
Politik an und sprach auch damals von einem „gemeinsamen
Interesse“, das vor die Differenzen gestellt werden muss.
Belege
dafür, dass es aktuell vor allem um die Interessen der Unternehmen
geht, gibt es genug (wie bereits im ersten Teil beschrieben):
Kurzarbeiter_Innengeld, 12-Stunden-Tag, aber auch viele andere
Probleme, die damit einhergehen, wie zum Beispiel die Frage wie
Geringverdiener_Innen ihre Miete in Zukunft zahlen sollen.
Die
IG Metall feiert sich derweil, dass sie die Erhöhung des
Kurzarbeiter_Innengeldes mit ausgehandelt hat. Wie mit dem Loch in
der Arbeitslosenversicherung, das dadurch entsteht, umgegangen werden
soll, wird dabei jedoch nicht geäußert.
Aber nicht nur, dass
die Gewerkschaften ungenügend auf die Angriffe durch die
„Corona-Maßnahmen“ reagieren, werden auch andere Kämpfe, die
schon vor Corona liefen, ausgesetzt. In der Automobilbranche sind
nämlich schon seit letztem Jahr Arbeitsplätze bedroht. Darüber
sollte auch in der aktuellen Tarifrunde gesprochen werden, diese
wurden jetzt aber abgesagt.
Die Niederlegung von Streiks und
Tarifverhandlungen trifft auch andere Branchen, wie zum Beispiel die
Arbeiter_Innen aus der Ernährungsindustrie in Sachsen, die zuletzt
Aufmerksamkeit erregten, weil sie zum ersten Mal seit der Wende
streikten, um für einen gleichen Lohn für die Beschäftigten im
Osten zu kämpfen. In Betrieben im Westen verdienen Menschen für die
gleiche Arbeit bis zu 760€ mehr im Monat. Alle Arbeitskämpfe
wurden nun abgesagt.
Auch abgesagt wurden alle Veranstaltungen
vom DGB zum 1. Mai. Was auf den ersten Blick als Aufgabe des
wichtigsten Kampftages der Arbeiter_Innenklasse erscheint, ist
letztendlich nur konsequent. Von Klassenpolitik haben sich die
Gewerkschaften, aber auch SPD und die Linke sowieso schon lange
verabschiedet. Bierzeltpartys müssen nun wirklich nicht sein in der
aktuellen Situation. Für alle anderen, die diesen Tag nutzen wollen,
um für die Arbeiter_Innenklasse zu kämpfen, ist dies natürlich
eine traurige Entscheidung.

Klassenkampf
ist möglich!

Dass
es auch anders gehen kann zeigen Beispiele in Italien. Nachdem die
Regierung verkündete, dass alle Firmen schließen sollen, die nicht
„systemrelevant“ seien, kam es in einigen Fabriken zum Streik.
Denn das Label „systemrelevant“ wurde hier sehr großzügig im
Interesse der Kapitalist_Innen verliehen, sodass ArbeiterInnen aus
der Metall- und Chemieindustrie zum Streik aufriefen, unterstützt
von den Gewerkschaften.
Auch in Spanien kam es zu ähnlichen
Situationen. Dort legten 5000 Arbeiter_Innen eines Mercedes-Werks die
Arbeit nieder, um die Schließung zu erzwingen. Währenddessen riefen
auch Mieter_Innengewerkschaften zum Streik gegen fehlende
Notmaßnahmen der sozialdemokratischen Regierung auf.
Das zeigt
auch, dass Hoffnungen auf anhaltende Verbesserungen durch Reformen
von Sozialdemokrat_Innen und Linkspopulist_Innen vergeblich sind, da
sie letztendlich der Profitlogik eines globalisierten Kapitalismus
nicht entkommen können.

Für
einen konsequenten Internationalismus!

Was
all den linken Kräften besonders fehlt ist ein
internationalistischer Standpunkt. Wenn nun viel von „wachsender
Solidarität“ gesprochen wird, z.B wenn alle Parteien gemeinsam
hinter dem Corona-Paket stehen, wird oft vergessen, dass eine
wachsende Solidarität innerhalb eines Nationalstaats auch schnell
mit wachsender Ausgrenzung gegenüber Nicht-Staatsbürgern
einhergeht. Der Begriff der „Burgfriedenpolitik“ entstand ja auch
während des Weltkrieges, dort war auch eine wachsende Solidarität
innerhalb Deutschlands zu beobachten. Ein Zusammenhalten gegen den
äußeren Feind. Auch bei der Bekämpfung von Corona passiert genau
das: Grenzen werden geschlossen, jeder Staat probiert für sich
bestmöglich die gesundheitlichen Folgen der Bevölkerung, aber vor
allem die wirtschaftlichen Folgen für die nationale Bourgeoisie,
abzuwehren. Daran droht aktuell auch das Projekt der Europäischen
Union weiter zu zerfallen. Dazu kommt die verheerende Situation in
den Geflüchtetenlagern in Griechenland. Noch vor der Corona-Pandemie
war dies ein großes Thema. Obwohl es gerade jetzt noch deutlich
wichtiger geworden ist, die Camps zu evakuieren, wird das Thema kaum
von den Gewerkschaften angesprochen. Klassenkämpferische Politik
sollte sich aber auch nicht nur auf Europa beschränken, sondern auch
die weltweiten Folgen der Pandemie analysieren. Auch wenn der
befürchtete schwere Ausbruch in den meisten halbkolonialen Ländern
bisher ausgeblieben ist, heißt das nicht, dass sie die Pandemie
nicht trotzdem hart treffen wird. Krisen treffen im Kapitalismus
immer die wirtschaftlich schwachen, das gilt nicht nur innerhalb
eines Staates, sondern auch weltweit. Die wirtschaftlichen
Auswirkungen werden deshalb besonders halbkoloniale Länder treffen
und zu einem starken Anstieg von an Hunger leidenden Menschen führen.
Hierzu braucht es eine internationale Vernetzung der
Gewerkschaftsbewegung und gemeinsame Forderungen!

Konzerne
Enteignen und unter ArbeiterInnenkontrolle!

Wenn
Linken-Vorsitzende Katja Kipping vom „sozialen Fortschritt“ durch
das „Corona-Paket“ spricht, dann meint sie vielleicht
auch die wachsende Möglichkeit Firmen, die jetzt in Probleme
geraten, zu verstaatlichen. In Anbetracht der starken
Privatisierungen der letzten Jahre, die uns ja gerade die Probleme im
Gesundheitssystem gebracht haben, kann wirklich von Potentialen für
einen „sozialen Fortschritt“ gesprochen werden. Dabei muss aber
auch beachtet werden, dass das nicht bedeutet, dass sich das
verstaatlichte Unternehmen komplett der Profitlogik des Kapitalismus
entziehen kann. Der Staat kann das
Kapitalismus-Game genauso gut spielen wie ein privater Konzern.
Außerdem kann es nach der Corona-Krise
auch schnell wieder zu einer Welle von Privatisierungen kommen „um
die Wirtschaft zu stärken“. Den Kapitalist_Innen wird dann
eigentlich nur geholfen durch die Krise zu kommen, um ihnen
anschließend wieder zum Profit zu helfen. Deshalb muss die
Verstaatlichung auch immer mit der Frage der Arbeiter_Innenkontrolle
verbunden werden. Zum Einen, damit die Arbeiter_Innen gemeinsam die
Vergesellschaftung verteidigen können. Zum Anderen können sie sich
so organisieren, um letztendlich wirklich eine Produktion für die
Bedürfnisse aller Menschen und nicht nur zum Profit einer Minderheit
zu erkämpfen. Um das zu erreichen, müssen sich die kontrollierten
Firmen untereinander vernetzen, um die Revolution im ganzen Staat und
letztlich international auszuweiten. Dazu braucht es eine
kämpferische Gewerkschaftspolitik, die, gemeinsam mit einer
revolutionären Partei, den Kampf gegen das Kapital organisiert.