Nach der Bundestagswahl: Gegen den Rechtsruck Widerstand organisieren!

Jaqueline K. Singh und Wilhelm Schulz

Am 24. September waren die Bundestagswahlen. CDU/CSU haben – wie die letzten Male – die meisten Stimmen bekommen und die SPD war so schwach wie noch nie. Daneben sind zwei Kräfte in den Bundestag eingezogen: die FDP hat ihr Comeback geschafft – Totgesagte leben bekanntlich leider länger. Die AfD hat es sogar geschafft, drittstärkste Kraft zu werden. Doch warum spielt das Ergebnis eine Rolle für uns? Wahlen sind ein Spiegel von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und der Entwicklung des herrschenden Bewusstseins. Wie stark die Rechten, die Linken sind, wie viele Nicht-Wähler_Innen es gegeben hat – all das sind kleine Puzzleteile, die wir uns im Folgenden näher anschauen wollen, um eine Frage zu klären: Was kommt nach der Wahl? Was bedeutet das Ergebnis für uns? Und vor allem: Wie geht es für uns weiter?

Wähler_Innenwanderung

Die Union ist Wahlsiegerin. Für sich selber habe sie „ihre drei Hauptziele“ erreicht: Weiterhin die Fraktion und Partei mit den meisten Stimmen zu sein, keine Regierung wird gegen sie gebildet und, ganz wichtig, die Verhinderung einer Rot-Rot-Grünen Koalition. Aber ganz so glanzvoll, wie man’s gerne hätte ist das Ergebnis dann doch nicht: Es handelt sich um das schlechteste Ergebnis der Partei seit 1949. Ganze 2,5 Mio. Stimmen verlor die CDU/CSU. Davon gingen knapp 980 000 an die AfD und mehr als 1 Million an die FDP. Dies erklärt sich auch aus dem taktischen Wahlverhalten einiger CDU-Anhänger_Innen, die sich einen koalitionswilligen, neoliberalen Partner heranzüchten wollten.

Die FDP konnte am Wahlabend ordentlich Champagner spritzen lassen, denn mit Christian Lindner an der Spitze und Wahlplakten, die einen eher an H&M-Werbung erinnerten, zogen sie zweistellig ins Parlament – viert-stärkste Kraft. Ganz im Sinne der herrschenden Klasse. Denn neben der CDU ist die FDP die Partei mit den meisten Wahlkampfspenden. Unter anderem wurden sie finanziert von Dr. Oetker und den Helios & Asklepios Kliniken. Keine Neuheit. So bekam die FDP rund um die Bundestagswahl 2009 eine Millionenspende von der Hotelkette Mövenpick, während sie sich im selben Zeitraum für eine Mehrwertsteuersenkung in der Hotelbranche stark machte.

Nicht nur im Punkt des Wähler_Innenverlustes sah es bei der SPD schlecht aus. Der Schulz-Zug, der Anfang des Jahres noch so gefeiert wurde, hat sich doch als defekt herausgestellt. Mit 20,9% hatte die SPD ihr schlechtestes Ergebnis seit dem 2. Weltkrieg. Sie ist zwar immer noch überdurchschnittlich stark vertreten bei Arbeitslosen, Angestellten und Arbeiter_Innen, aber nichts im Vergleich zu früheren Zeiten. Die knapp 1,7 Millionen Stimmen, die sie verlor gingen an AfD (500 tsd.), FDP (430 tsd.), Grüne (400 tsd.) und die Linke (380 tsd.). Über den Schulz-Zug lassen sich dabei zweierlei Dinge sagen. Zum einen handelte es sich um eine gigantische PR-Kampagne, die bewusst auf Phrasen setzte, um einen angeblichen Linksruck innerhalb der Partei vorzutäuschen, während es sich um ein geplantes Manöver des Parteiapparates handelte. So brachte Schulz keine relevante Programmänderung mit sich und wurde mit 100% zum Parteivorsitzenden gewählt. Zum anderen zeigte sich, was für ein Potential sich rund um die Partei entwickeln könnte bei der puren Erwähnung, die Agenda 2010, somit den größten Generalangriff auf die deutsche Arbeiter_Innenklasse seit der Wiedervereinigung, zurückzunehmen. Doch diese angebliche Weichenumstellung verpuffte zu heißer Luft.

Auch bei der Linkspartei sah es mal besser aus. Bundesweit gingen 400 000 ihrer früheren Stimmen an die AfD. Gerade in Ostdeutschland, wo sie ursprünglich recht stark verankert war, verlor sie. Dafür bekam sie das erste Mal auch in Westdeutschland vielerorts Zulauf. Ihre Wähler_Innen: jung und schlecht bezahlt.

Insgesamt wird aber deutlich, dass Sarah Wagenknechts Versuche im Lager der AfD Stimmen zu sammeln mit Sätzen wie „Wer Gastrecht verwirkt, dem gehört Gastrecht verwehrt“ nicht geklappt haben. Statt sich solcher Phrasen zu bedienen, hätte die Linkspartei eine klare antirassistische Perspektive bieten müssen und sie mit Fragen um Mindestlohn, Rente, bezahlbaren Wohnraum und mehr Pflegepersonal verbinden müssen.


Insgesamt verlor die Große Koalition 13,8% und ist somit die große Wahlverliererin. FDP und AfD nahmen zusammen um exakt 13,8% zu und sind somit die großen Gewinnerinnen. Zwar lassen sich die gleichen Prozentsätze nicht eins zu eins aufeinander übertragen, jedoch unterstreichen sie eines: Die Politik der letzten Bundesregierung samt ihrer großen Angriffsprogramme mit rassistischen Asyl-Gesetzen, Angriffen aufs Streikrecht,

Ausweitung des Überwachungsapparates und ihrer neoliberalen Europapolitik, hat nicht zu einer Polarisierung geführt, sondern einen zunehmenden Rechtsruck zur Schau gestellt. Ein Rechtsruck, der harte Zeiten für Revolutionär_Innen einleitet, in der wir vermehrt dazu gezwungen sind, gegen den Strom zu schwimmen.

Die Illusion, dass sich eine besonders große fortschrittliche Gruppe unter den Nichtwähler_Innen tummelt, hat die Wahl auch als realitätsfern dargestellt, denn die größte Gewinnerin unter den vorherigen Nichtwähler_Innen war mit Abstand die AfD. Die Wahlbeteiligung stieg von 71,5% (2013) auf 76,2%, somit auf Vorkrisenniveau.

Der Wahlsieg seitens der AfD, die großkotzig ankündigte, die kommende Regierung zu „jagen“ und sich „das Volk zurückzuholen“, ist der direkteste Ausdruck des Rechtsrucks. Mit ihr zieht eine offen reaktionäre Partei in den Bundestag ein. An ihr wird sich auch praktisch die Frage des Kampfes der Arbeiter_Innenbewegung gegen den aufkommenden Rassismus und die Politik der kommenden Regierung messen. Ausführlicheres zum Rechtsruck schreiben wir jedoch an anderer Stelle innerhalb dieser Zeitung.

Was bedeuten nun die ganzen Zahlen?

Die Wahlen haben die Zerfaserung des bürgerlichen Lagers deutlich heraus geschält. In Zeiten der Krise und der Notwendigkeit eines stabilen deutschen Imperialismus, der seinen Herrschaftsanspruch über die EU aufrechterhält und sich international zunehmend als verlässlichen Partner darstellen möchte, bleibt kein Raum für ernsthafte Zugeständnisse zwischen einzelnen Fraktionen des Kapitals. Zwar sind die Forderungen von FDP und vor allem AfD nach Zurückdrängung der EU-Institutionen aus dem Nationalstaat ein Dorn im Auge des deutschen Exportkapitals. Doch diese Zuspitzung in Zeiten zunehmender Unsicherheit konnte nicht durch das Aufzeigen einer linken Perspektive im Interesse der Mehrheit der Gesellschaft positiv entladen werden. Eine Perspektive, die die Fragen von Altersarmut, Jugendarbeitslosigkeit, Wohnungsmangel und Flucht nicht gegeneinander ausspielt, sondern sie als Produkt des Kapitalismus brandmarkt und der Finanzierung aus den Profiten der Konzernen eine klare Kante zeigt. Und zwar eine Kante oder Grenze zwischen der herrschenden und der unterdrückten Klasse und nicht zwischen einzelnen Nationalstaaten.

Doch an dieser Frage sind die bürgerlichen Arbeiter_Innenparteien, wie SPD und Die Linke, im Zuge des Wahlkampfes gescheitert. So zerreißt sich die Linkspartei seit der Wahl an der Frage der Geflüchtetenpolitik (siehe: Streit zwischen Gysi und Lafontaine, sowie zwischen Partei- und Fraktionsvorsitzenden). Dabei scheitert sie daran, den Kampf gegen das Programm der kommenden Regierung im Parlament, sowie vor allem auf der Straße, in den Betrieben und Schulen anzustoßen.

Das Programm der kommenden Regierung

Dabei sind viele Gefahren über die nächsten Offensiven der möglichen „Jamaika“-Koalition absehbar. Zwar befinden sich CDU/CSU, FDP und Grüne noch in den Sondierungsgesprächen, jedoch finden diese nicht unabhängig der gesellschaftlichen Realität statt. An dieser Stelle wollen wir drei vermutete Angriffe skizzieren.

Aufrüstungspolitik:

Auf dem NATO-Gipfel 2014 in Wales wurde beschlossen, dass jeder NATO-Mitgliedsstaat seinen Militärhaushalt auf 2 % des Staatshaushaltes erhöht. Momentan steht die BRD bei knapp 1,25 %. Bereits von 2016 zu 2017 stieg dieser um 1,9 Mrd EURO auf rund 37 Mrd EURO. Im Zuge des zunehmend unsicheren Verhältnis mit den USA werden die Pläne des Aufbaus einer EU-Armee oder zumindest gemeinsamer Interventionen mit Frankreich immer lauter. Dies bedarf jedoch ebenfalls einer massiven Umstrukturierung der Bundeswehr. Allein ein IT-Bataillon soll von 500 auf rund 15 000 Rekrut_Innen aufgestockt werden. Vor allem wir Jugendlichen sind die ersten, die in ihre Kriege eingezogen werden!

Schuldenbremse:

Zwar bereits 2009 im Parlament eingeführt, jedoch erst seit 2016 für den Bund geltend (maximale Neuverschuldung bei 0,35 %) und bis 2020 schrittweise in den Ländern und Kommunen in Kraft tretend. Dies stellt Kommunen, die eventuell aufgrund von Investitionen in Schulen oder Gesundheitswesen über diesen Schnitt fallen, vor eine Art Insolvenzberatung, die eine Privatisierung von Staatseigentum zur „Entschuldung“ durchsetzt, was auf Dauer eine Verteuerung sozialer Einrichtungen und einen Rationalisierungsangriff auf die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bedeutet. Vor allem wir Jugendlichen sind die ersten, die Lohnkürzungen und Entlassungen erleiden!

Rassistische Asylpolitik:

Auch die Grünen schieben ab! Diese Entwicklung ist zwar nicht neu, in Baden-Württemberg, schiebt ein grüner Ministerpräsident im eigenen Bundesland massiv ab und hat im Bundesrat die rassistischen Asylgesetze der letzten GroKo mit durchgewunken. Die FDP fordert die Einführung des „kanadischen Integrationsmodells“: Eine Art Punktesystem anhand der wirtschaftlichen Interessen der BRD, nicht aber orientiert an den Fluchtgründen geflüchteter Menschen, wie Überausbeutung, Krieg oder Klimawandel. Die CDU/CSU einigt sich während dessen auf „irgendwas wie eine Obergrenze“, die die jährliche Einwanderung auf 200 000 begrenzen soll. Wir können uns also auf Widerstand gegen die Abschiebung von unseren Mitschüler_Innen und gegen neue rassistische Asylgesetze bereit machen. Denn es sind vor allem Jugendliche, die international zur Flucht gezwungen werden!

Widerstand organisieren!

Doch was nun? Wie schon verdeutlicht, es sind vor allem wir Jugendlichen, die unter den Angriffen der kommenden Regierung zu leiden haben. Wir müssen der neuen Regierung einen klassenkämpferischen Widerstand und nicht unsere Unterordnung im vermeintlichen Kampf gegen die AfD entgegenstellen. Dafür müssen wir den gemeinsamen Kampf mit denen kämpfen, die an den Stellschrauben der kapitalistischen Produktion sitzen, der organisierten Arbeiter_Innenklasse. Denn auch wir werden in Zukunft nicht viel mehr Möglichkeiten haben, als unsere Arbeit für einen zu geringen Lohn zu verkaufen. Dabei wird uns von der kommenden Regierung nichts geschenkt werden! Was wir brauchen, ist die gemeinsame Einheitsfront von Gewerkschaften, reformistischen Parteien, Jugendorganisationen, migrantischen Initiativen gegen soziale Angriffe und staatlichen Rassismus. Dafür braucht es eine gemeinsame Aktionskonferenz, die dem Programm der kommenden Regierung einen Mobilisierungsplan entgegenstellt. Rund um Forderungen, wie die Rücknahme aller rassistischen Asylgesetze und dem Kampf für einen flächendeckenden Mindestlohn von 12 EURO, können wir den Kampf gemeinsam organisieren und offen für unsere unterschiedlichen Perspektiven eintreten. Eine Möglichkeit hierzu stellen die Tarifauseinandersetzungen in 2018 dar, diese werden nahezu den gesamten öffentlichen Dienst umfassen. Es liegt an uns diese zu politisieren und den Kampf gegen die neue Regierung, gegen ihren Rassismus und den der AfD in unsere Schulen, Unis und Betriebe zu tragen!