Notstand im Krankenhaus: Was hat sich im Verlauf der Pandemie geändert?

Interview mit Anne Moll, Krankenschwester in Bremen, Fight!
Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9, März 2021

Fight Wie stellt sich im Moment bei Euch die
Situation im Krankenhaus ganz konkret dar?

Ich arbeite im Klinikverbund Gesundheit Nord gGmbH in Bremen,
einem kommunalen Krankenhausverbund der Maximalversorgung. Es gehören
vier Häuser, über die Stadt verteilt, dazu, die über 3.000 Betten
verfügen. Dort arbeiten 8.000 Menschen zur Versorgung der Bremer
Bevölkerung und der aus dem niedersächsischen Umland.

Arbeitsüberlastungen und Personalmangel gehören seit Jahren zum
Alltag.

Mit Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 wurde deutlich, dass
das Krankenhaus nicht über genügend Intensivplätze für
beatmungspflichtige Patient_Innen verfügte . Außerdem stand der
Mangel an Schutzausrüstung für die Beschäftigten  ganz oben
auf der Liste der Probleme neben dem an gut ausgebildeten
Fachkräften, um die intensivpflichtigen Patient_Innen zu versorgen.

Seit November, mit der sogenannten 2. Welle, war es eine
Erleichterung, dass neue Intensiveinheiten aufgebaut worden waren.
Auch an Schutzkleidung gibt es quantitativ keinen Mangel mehr. Die
Qualität ist aber oft ungenügend, weil Schutzmasken teilweise nicht
auf Virenschutz getestet wurden oder Schutzkleidung schon beim
Anziehen reißt.

Das Hauptproblem bildet jetzt noch mehr der Notstand an
Fachkräften zur Versorgung. Das betrifft vor allem das ärztliche,
die Pflege und das Reinigungspersonal. Es wurde über die
Sommermonate so gut wie nichts zum Aufbau von mehr gut ausgebildetem
Personal unternommen. Außerdem sind in diesem Bereich nicht wenige
Fachkräfte abgewandert, weil sie den Arbeitsdruck nicht aushielten.
Und natürlich erkranken auch weiter Beschäftigte an Covid-19.

Fight: Wie kam es zu der Entwicklung? Worauf ist
zurückzuführen, dass das Gesundheitswesen sich in den Sommermonaten
nicht besser vorbereitet hat auf eine mögliche 2. Welle ?

Hier in Bremen wie in allen Krankenhäusern ging es darum, die
Kosten des Lockdowns wieder einzufahren. Zudem wurden auch in den
Sommermonaten starke Einschränkungen aufrechterhalten. Nur sehr
begrenzt wurden wichtigste Fortbildungen angeboten, oft dann doch
kurzfristig wieder abgesagt. Das Klinikum Bremen Nord hat bis heute
keine Alternativen zu Präsenzfortbildungen entwickelt.

Fight: Was hat sich bei den
Beschäftigtenvertretungen seit dem Sommer verändert?

Der Betriebsrat wirkt wie abgetaucht. Es gab im Sommer eine
Einladung zu einer Betriebsversammlung, die dann wieder abgesagt
wurde, weil der Versammlungsraum doch nicht den Hygienevorschriften
entsprach. Auch hier werden keine Alternativen entwickelt.

Die Gewerkschaft ver.di fordert ja schon seit Jahren bessere
Arbeitsbedingungen mit der Kampagne „Der Druck muss raus“, tut
aber wenig dafür. So hat sie die Tarifverhandlungen im Herbst 
nicht mit Arbeitszeitverkürzung oder der Kampagne „Mehr Personal
im Krankenhaus“ verbunden. Auch hat sie nicht flächendeckend
bundesweit zu Warnstreiks mobilisiert.

Die Beschäftigten selbst schaffen es in Bremen bis heute nicht,
sich selbst zu organisieren. Dabei gibt es bundesweit einige gute
Ansätze, darunter zwei bundesweite Vernetzungen. Einmal die zur
Forderung einer Aktivenkonferenz, die sich im Sommer formiert hat.
Daneben die für mehr Personal im Krankenhaus, die es jetzt schon 4–5
Jahre gibt.

Die Beschäftigten gehen aber überall vor allem einen
individuellen „Lösungs“weg:

Sie arbeiten Teilzeit, wenn das möglich ist, wechseln die
Abteilungen, zu möglichst weniger belastender Arbeit und gehen vor
allem ganz aus den Krankenhäusern und oft auch aus den Berufen raus.

Fight: Welche sofortigen Maßnahmen wären aus
Deiner Sicht nötig, um mit der zusätzlichen Belastung klarzukommen?

Die Sofortmaßnahme heißt gestern wie heute : MEHR PERSONAL,
bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen wie z. B.
Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, sichere Dienstpläne,
sichere Pausen.

In Bremen gibt es eine Studie der Arbeitnehmerkammer
(„Pflegepersonal entlasten, halten und gewinnen“ von Dr. Jennie
Auffenberg), die besagt, dass eine geschätzte Anzahl von zwischen
120.000 und 200.000 Pflegekräften, die den Beruf verlassen haben,
wiederkommen könnten, wenn sich die Bedingungen ändern.

Als erste Schritte wären sofort umzusetzen :

  • Lohnsteigerung von 500 Euro
    monatlich für die unteren Gehaltsstufen
  • Arbeitszeitverkürzung, den 3-Schicht- auf einen
    4-Schichtbetrieb umstellen, bei vollem Lohnausgleich

Zur Zeit passiert gerade das Gegenteil. Die Beschäftigten in den
Krankenhäusern  und Pflegeeinrichtungen sollen trotz ihrer
schon chronischen Überlastung auch noch die Covid-19-Schnellteste
durchführen und wurden für Impfungen angefragt.

Frage: Welche lang-/mittelfristigen Maßnahmen
sind deiner Meinung nach nötig, um den Pflegenotstand insgesamt zu
beseitigen?

Die Krankenhäuser, aber auch die Pflegedienste, Altenheime,
Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sowie der Jugendhilfe
müssen in öffentlicher Verantwortung geführt werden. Nur so kann
die Voraussetzung geschaffen werden, dass das Personal nach
Tarifvertrag bezahlt wird und Arbeitsschutzmaßnahmen umgesetzt
werden. Es braucht einen Flächentarifvertrag für alle, die im
Gesundheitssystem arbeiten, auch für die sogenannten patientenfernen
Berufe wie Reinigung und Logistik. Es ist dringend notwendig, dass
die Beschäftigten mit entscheiden über die Gestaltung ihrer
Arbeitsbedingungen, d. h. die Gesundheitsversorgung gehört
unter Kontrolle der Beschäftigten und Patient_Innen.

Dafür brauchen wir eine Basisopposition, die Aktionen
organisieren kann und für eine antibürokratische,
klassenkämpferische Neuausrichtung der Gewerkschaften kämpft.

Dafür trete ich in bestehenden Bündnissen und Vernetzungen aktiv
ein. Vielleicht bist Du demnächst dabei?

Fight: Vielen Dank für das Interview und viel
Erfolg.

Das Interview wurde im Januar 2021 geführt.