Legalize it! Und zwar alle Drogen!

von Clay Ikarus, April 2024

Seit Jahren wird auf sie gewartet und ab heute scheint sie endlich da: die Legalisierung von Cannabis. Aber ist das neue Gesetz wirklich die ersehnte Legalisierung und wieso setzen wir uns als Revolutionär:innen überhaupt für die Legalisierung von Drogen ein?

Wieso berauschen wir uns?

Diese Frage dürfte so viele Antworten haben, wie Menschen, die es gibt. Auf die ein oder andere Art und Weise berauschen sich nämlich fast alle Menschen und Rausch gehört letztendlich zum Leben dazu. Es bringt zumindest zeitweise Entlastung, Entspannung, Euphorie und außeralltägliche Erfahrungen und ist auch überhaupt nicht an Substanzen gebunden, auch wenn es in diesem Text vor allem darum gehen wird. Doch in einer unfreien Gesellschaft wie dem Kapitalismus ist letztendlich auch der Rausch unfrei: Sucht droht gerade deswegen, weil viele Menschen kaum wirkliche Erfüllung in ihrem Leben erreichen können und unter Arbeitsdruck, Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung leiden. Drogenkonsum kann kurzzeitig für Befriedigung sorgen und dabei helfen, sich aus der Realität zu flüchten. Da der Kapitalismus keinen leichten Zugang zu Hilfe in (psychischen) Notlagen liefert und dadurch eine nachhaltige Lösung unmöglich wird, kann der Drogenkonsum eine notwendige psychische Funktion übernehmen, weil sonst keine Entlastung erfahren werden kann. Doch langfristig verhindert das eine innere Aufarbeitung und bringt noch mehr Probleme mit sich, aber dann stecke viele schon drin in der Sucht nach dem kleinen bisschen Glück. Solange wir also in einer Welt leben, in der Menschen ausgebeutet und unterdrückt werden und sich nicht frei entfalten können, wird es auch Sucht geben. Und solange es überhaupt Menschen gibt, wird es auch den Wunsch nach Rausch und dementsprechend eine Nachfrage nach Rauschmitteln geben, unabhängig von irgendwelchen Verboten. Wir müssen also eine Perspektive im hier und jetzt erkämpfen, Antworten auf die Probleme geben und gleichzeitig aufzeigen, dass wir dieses mörderische System beenden müssen, damit Menschen nicht mehr in die Sucht getrieben werden. Wir stimmen also nicht nur einer Legalisierung von Cannabis zu, sondern setzen uns dafür ein, dass alle Drogen legalisiert werden, denn die Argumente sind nicht an einzelne Substanzen gebunden, sondern an die Drogenpolitik als Ganzes!

Auswirkungen der Illegalisierung

Heute existieren in der Illegalität auf der gesamten Welt milliardenschwere Märkte für illegale Drogen. Daraus ergeben sich vielfältige Probleme. Alle Arbeiter:innen, die irgendwie an diesem Geschäft beteiligt sind, arbeiten außerhalb von jeglichem Arbeitsrecht und haben keine Sozialversicherungen. Das Geschäft wird meistens von gewalttätigen Gangs kontrolliert, die ihre eigenen Mitglieder bedrohen und oftmals im Kampf um Schmuggelruten blutige Feden mit anderen Gangs austragen. Durch das lukrative Drogengeschäft können diese ihre Macht ausweiten, was mit einer Terrorisierung der Zivilbevölkerung einhergeht. Doch auch für die Konsument:innen sieht es nicht besser aus. Da es keine Qualitätskontrollen gibt werden Drogen gestreckt. Dadurch wird der Konsum extrem riskant und es kann (besonders bei Opiaten) zu tödlichen Überdosen kommen. Doch auch Gras wird gestreckt, um das Gewicht zu erhöhen, mit giftigen Substanzen optisch aufgehübscht oder mit gefährlichen synthetischen Cannabinoiden besprüht.

Die Strafverfolgung selbst stellt ein weiteres großes Problem da. So können Konsument:innen schnell ihren Führerschein verlieren, ohne durch das THC in ihrem Blut fahruntüchtig zu sein. Die Kriminalisierung kann auch weiterhin empfindliche Geldstrafen für den Besitz von Gras nach sich ziehen. Dabei ist auffällig, dass die Verfolgung von Cannabiskonsum und -besitz bis heute eine rassistische Komponente hat: Migrantisierte Menschen sind oft von Armut betroffen oder haben keine Arbeitserlaubnis, weshalb sie gezwungen sind, illegal Geld dazu zu verdienen, sei es durch Schwarzarbeit oder eben kriminalisierte Geschäfte. Menschen, die in Armut leben und so kaum die Chance haben, an der Gesellschaft teilzunehmen, gehören auch verstärkt zum Konsument:innenkreis. Durch Racial Profiling werden überdurchschnittlich viel People of Color in diesem Zusammenhang angezeigt. Sowieso ist die Geschichte der Drogenprohibition eng verknüpft mit rassistischer Unterdrückung.

Besonders international sitzen viele Menschen wegen dem Schmuggel von Cannabis und anderen Drogen im Gefängnis, wodurch ihre Biografien zerstört werden. Insgesamt sind die Kosten für die polizeiliche Strafverfolgung, die Arbeit der Gerichte und zum Teil auch den geschlossenen Vollzug im Zusammenhang mit Cannabis gewaltig. Dieses Geld könnte viel besser in Prävention und Therapie gesteckt werden. Auch eine Ausweitung von Jugendarbeit mit diesen Mitteln könnte den Konsum von Cannabis eher reduzieren als ein Verbot.

Dass ein Verbot den Konsum von Drogen reduzieren würde, ist ein Irrglaube. Studien aus den USA, die den Konsum von Cannabis nach der Legalisierung in den einzelnen Staaten untersucht haben, kamen zu dem Schluss, dass eine Legalisierung wahrscheinlich keine Auswirkung auf das Konsumverhalten hat. Und selbst wenn: Unser Ziel ist nicht, dass sich möglichst niemand berauscht, sondern unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der die Menschen möglichst wenig unter ihrem Konsum leiden! Das heißt: Ein aufgeklärtes, freies, kontrolliertes, aber selbstbestimmtes Verhältnis zum eigenen Konsum.

Inhalt und Schwächen des beschlossenen Gesetzes

Der Gesetzesvorschlag, der am 1. April in Kraft getreten ist, sieht vor, dass jede/r 3 Cannabispflanzen privat zuhause oder im Cannabis-Club mit anderen zusammen anbauen und sharen darf. Der Besitz von 50 g Cannabis ist jetzt legal, von denen 25 g mitgeführt werden dürfen. Für Vielkiffer:innen ist diese Menge allerdings zu gering, um ihren jährlichen Bedarf mit einem Anbau zu decken. Ursprünglich sollte Gras auch verkauft werden, doch dies soll zunächst nur in Modellprojekten erprobt werden, wofür es jedoch noch keinen Gesetzesentwurf gibt. Das ist problematisch, weil so immer noch viele Menschen auf den Schwarzmarkt angewiesen sind.  

In weniger als 100 m Entfernung von Schulen, Kitas und Spielplätzen darf nicht geraucht werden. Wenn man auf Karten anschaut, welche Gegenden gebannt sind, scheint es so, dass gerade in Großstädten in der Öffentlichkeit kiffen verboten bleibt. Für Jugendliche und junge Erwachsene gelten andere Regelungen, trotz der hohen Konsument:innenzahlen. Es soll wie Alkohol erst ab 18 konsumiert werden dürfen und bis 21 Jahre nur 30 Gramm besessen werden können. Der Verkauf an Minderjährige wird nun sogar härter bestraft.

Es soll zudem auch eine große Aufklärungskampagne zu den Risiken von Cannabis geben und die Länder sollen sich auch um Präventions- und Interventionsmaßnahmen kümmern, Extragelder werden hierfür jedoch nicht bereitgestellt. Das ist ein großes Problem, weil gerade hier ein großes Potential liegt, tatsächlich besonders Jugendliche über Risiken, Langzeitfolgen, Safer Use usw. aufzuklären, damit sie einen gesunden Umgang mit dem Graskonsum finden können. Obwohl wir für die Legalisierung eintreten, ist uns nämlich durchaus bewusst, dass der Konsum von Cannabis gefährlich ist und im Idealfall (wenn überhaupt) in einem sehr beschränkten Rahmen stattfinden sollte. Für Süchtige braucht es zudem eine ernsthafte Ausweitung der Suchthilfe, wie z.B. mehr Therapieplätze. Dafür muss Geld in die Hand genommen werden, welches z.B. bei den Strafverfolgungsbehörden eingespart werden kann.

Auch eine Erhöhung der Grenzwerte des THCs im Blut ist bisher nicht beschlossen, weshalb das Gesetz für alle, die ein Fahrzeug führen und mind. einmal die Woche kiffen im Prinzip wertlos ist. Der Grenzwert sollte von 1,5 Nanogram pro Mililiter auf 3,5 Nanogramm erhöht werden. Dies wurde Ende März auch von der vom Verkehrsministerium eingesetzten Arbeitsgruppe vorgeschlagen. Bleibt zu hoffen, dass eine Umsetzung dessen zeitnah erfolgt. Falls nicht, kann man den niedrigen Grenzwert als „Prohibition durch die Hintertür“ bezeichnen!

Perspektive

Auch mit dem neuen Gesetz sollte unser Engagement für eine bessere Drogenpolitik nicht aufhören. Richtigerweise wird es auch nur als eine Teillegalisierung bezeichnet und die Prohibition für alle anderen Substanzen gehen weiter inklusive Schwarzmarkt und staatlicher Verfolgung. Wichtig ist jedoch, dass die Betriebe von Herstellung bis Vertrieb durch Arbeiter:innenhand und nicht privatwirtschaftlich geregelt sind. Durch das Profitstreben des Marktes wären beschissene Arbeitsbedingungen, das Unterlaufen der Qualität und ein Interesse am Süchtigmachen der Konsument:innen nicht gebannt.

Wir fordern deshalb:

– Die Legalisierung aller Drogen, um den Schwarzmarkt und die Verfolgung der Konsument:innen zu beenden!

– Gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter:innen, die bisher auf dem Schwarzmarkt arbeiten. So könnten sie für Arbeitsrechte und auch für eine demokratische Kontrolle des Drogenmarktes gemeinsam mit Wissenschaft und Konsument:innen kämpfen. 

– Verbot von Werbung für Drogen jeglicher Art! Verkauft werden sollen sie nur im speziellen Shops, das inkludiert Tabak und Alkohol, um Menschen nicht so einfach zum Kauf zu verleiten und Support einfacher zu machen!

– Massiven Ausbau von Präventionsmaßnahmen und sinnvoller Aufklärung ohne Verteuflung oder Beschönigung!

– Massiven Ausbau und kostenloser Zugang von Suchthilfen und Therapieplätzen! 

– Gegen racial Profiling! Offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für Alle!

– Für die Freilassung aller Gefangenen! Hilfen und Resozialisierung statt Strafe!

Nachwort von der Autorin:

Ich verstehe die Debatte um Drogen sehr gut und klar am Ende ist ein aktiv süchtiger Mensch auch nur bedingt für den Klassenkampf zu gewinnen, doch die Zahlen zeigen, dass ein Weg aus der Sucht nur mehr Hilfe sein kann und eben die Überwindung dieses Klassensystems, dass uns erst in die Sucht bringt, braucht. Kriminalisierung durch den Staat muss bekämpft werden, nur die organisierte Arbeiter„lnnenbewegung sollte Verbote umsetzen und das auch nur, wo sie nötig sind!

Ich bin selbst süchtig, mein Hauptsuchtmittel ist Cannabis und ich weiß, dass es schädlich für mich und mein Leben ist. Doch ich habe jahrelang konsumiert, weil ich der Welt, meinen Traumatas und Emotionen entfliehen wollte und nie gelernt habe, wie ich das auch ohne Konsummittel hinbekomme, es fällt mir heute noch schwer. Ich habe meine politische Arbeit dadurch weniger gut ausführen können, am Ende ging kaum noch was außer konsumieren, weder Alltag noch Schlaf waren möglich nach meinen Bedürfnissen statt nach den Bedürfnissen der Sucht auszurichten und es hat mich an den Rand meines Lebenswillen geführt. Daher möchte ich hier nochmal klar sagen, dass keine Droge zu unterschätzen ist und es wichtig ist, sich mit sich selbst, seinem Leben und Gefühlen auseinanderzusetzen und bewusst zu konsumieren oder eben garnicht. Ich möchte hier auch jede„n bestärken sich Hilfe zu suchen, wenn auch ihr betroffen von Sucht seid! Es ist natürlich im Kapitalismus keine perfekte Hilfe aber ihr habt zumindest hier in Deutschland die Chance, egal bei welcher Droge, medizinische und psychische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aus der Sucht kommt man auch schlecht alleine raus, auch das hab ich versucht und nicht geschafft und auch wenn es immer mal Rückschläge geben kann, weiß ich doch, dass ich nur ohne Konsum ich selbst bin, dass ich nur ohne Konsum die Kraft und Energie entwickeln kann mir und anderen zu helfen, dass ich nur ohne Konsum gegen dieses System kämpfen kann. Daher lasse ich euch hier noch ein paar Nummern für Hilfe da:

  • Bundesweite Sucht- und Drogen-Hotline (24 Stunden): 01806 – 31 30 31 (kostenpflichtig, 0,20 € pro Anruf aus dem Festnetz und aus dem Mobilfunknetz), www.sucht-und-drogen-hotline.de
  • Die Telefonseelsorge bietet kostenlose und anonyme Beratung rund um die Uhr und kann an geeignete Beratungsstellen weiter verweisen. Telefonisch zu erreichen unter 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222;  Es gibt zudem auch die Möglichkeit einer Online- bzw. Chatseelsorge. Weitere Infos unter www.telefonseelsorge.de
  • Nummer gegen Kummer: Kinder und Jugendtelefon 116 111, Elterntelefon 0800-111 0 550. Hier kann man sich auch online beraten lassen: www.nummergegenkummer.de/online-beratung
  • Informationstelefon zur Suchtvorbeugung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) unter 0221-89 20 31. (Preis entsprechend der Preisliste Ihres Telefonanbieters für Gespräche in das deutsche Festnetz). Auf Wunsch wird Ihnen hier eine Beratungseinrichtung in Ihrer Nähe genannt.



Aktionsprogramm für trans Jugendliche

von Jaqueline Katherina Singh, März 2024

Weltweit werden trans Menschen unterdrückt.  Ob nun Konservative, die in Talkshows deren Existenz leugnen, Radikalfeminist:innen, die Geschlecht allein an Genitalien ablesen wollen oder CDU-Poliker:innen, die Gendern für das größte Problem unserer Zeit halten, weil sie die Klimakrise nicht ernst nehmen. Es wird deutlich: Die Sichtbarkeit von trans Personen in der Öffentlichkeit hat sich in den letzten Jahren zwar verbessert, doch an der Unterdrückung hat sich wenig geändert. Schließlich ist diese in der gesamten Gesellschaftsstruktur verankert. Das Erstarken der Rechten bringt zudem gesellschaftliche Rollbacks mit sich wie in den USA oder Pakistan, die dafür sorgen, dass Queer- und insbesondere Transfeindlichkeit weiter zunehmen. Das beginnt mit reaktionären Argumentationen bezüglich Dragqueens und angeblicher „woker” Indoktrination in der Schule, kann dann auch zur Rücknahme erkämpfter Rechte und schließlich auch zu einer Zunahme von körperlichen Übergriffen gegen trans Personen führen. Dass diese Stimmung längst auch in Deutschland angekommen ist, können wir daran sehen, dass 2023 die Meldungen von körperlichen Angriffen auf Paraden zum Christopher Street Day (CSDs) die Nachrichten fluteten, während die CSU in Bayern diesen Kulturkampf der US-Amerikaner:innen versuchte zu adaptieren, indem auch sie gegen Auftritte von Dragqueens hetzten.  Im Folgenden wollen wir uns daher die Situation von trans Jugendlichen anschauen, die von vielen Unterdrückungsmechanismen nochmal stärker betroffen sind.

Unterdrückung in der Familie

Probleme mit der Familie sind für viele Jugendliche Alltag. Doch trans zu sein, kann diese noch mal verschärfen. Denn es geht nicht darum, einfach „nur” nicht verstanden zu werden.  Stell dir vor: Du kannst dich nicht so kleiden, wie du willst. Alle sprechen dich mit einem Namen an, der nicht dein eigener ist. Kurzum – man sieht dich nicht so, wie du wirklich bist. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts 69,4 % der trans Jugendlichen befürchten, dass ihre Familie sie nicht akzeptieren wird. Doch was bedeutet das konkret?

Das Coming-out kann eine große Hürde sein, da die finanzielle und juristische Abhängigkeit von der Familie es nahezu unmöglich machen kann, sich frei auszudrücken oder notwendige medizinische Behandlungen wie Hormontherapie zu erhalten. Denn letzten Endes bestimmst nicht du über deinen Körper, sondern deine Erziehungsberechtigten. Das ist der Kern des Problems: Wenn deine Eltern kein Verständnis haben (wollen), dich nicht ernst nehmen – oder einfach nur hilflos sind, dann wird es schwierig. Die juristische, sowie finanzielle Abhängigkeit erschwert es vielen trans Personen massiv, einfach so das Elternhaus zu verlassen und auszuziehen. Ganz zu schweigen von der emotionalen Belastung, die damit einhergeht, wenn die eigenen Eltern/Erziehungsberechtigten einen nicht unterstützen können oder wollen. rans Menschen, v.a. Jugendliche haben eine viel zitierte enorm hohe Rate an Suizidversuchen (je nach Studie um die 40%). Wenn mindestens eine erwachsene Person sie unterstützt, sinkt die Wahrscheinlichkeit um etwa 30% Doch die Beratungsangebote für trans Jugendliche sowie ihre Eltern sind selten – und die wenigen, die es gibt, sind oft überlastet oder gar nicht unvoreingenommen. Deswegen treten wir nicht nur für den Ausbau von Beratungsstellen ein, für Jugendliche braucht es auch die Möglichkeit, bei Bedarf ihr Leben unabhängig vom Elternhaus gestalten zu können!

  • Für die ökonomische Unabhängigkeit von Schüler:innen, Studierenden und Jugendlichen in Ausbildung! Für ein monatliches Mindesteinkommen, angepasst an die Inflation, von 1.100 Euro plus Warmmiete, finanziert durch Besteuerung von Reichtum und Kapital!

  • Für selbstverwaltete Freiräume für Jugendliche, den massiven Ausbau von Jugendzentren und kostenlose Zugang zu einem ausgebauten Freizeit- und Kulturangebot, bezahlt durch die Besteuerung der Reichen!

  • Ausbau von flächendeckenden Beratungsstellen von und für LGBTIA+ und ihre Angehörigen!

  • Für den Ausbau von Schutzhäusern für Kinder und Jugendliche! Niemand soll bei seiner Familie bleiben müssen, wer das nicht möchte! Für die Förderung neuer Formen des Zusammenlebens, beispielsweise durch den Ausbau und die Weiterentwicklung des sozialen Wohnungsbaus! 

Schule und Ausbildung

Doch nicht nur in der Familie, sondern auch an Orten, wo man den Großteil seiner Lebenszeit verbringen muss – also Schule oder Ausbildungsstätte – wird man eingeschränkt. Eine weitere Studie des Bundesverbands Trans* aus dem Jahr 2017 zeigt, dass fast 90 % der trans Schüler:innen in Deutschland in der Schule diskriminiert werden. Dazu gehören u. a. die Verwendung des Deadnames und von falschen Pronomen, Belästigungen, Mobbing und auch physische Übergriffe. Die Studie zeigt auch auf, dass nur ein Bruchteil der betroffenen Schüler:innen sich an Lehrkräfte oder Schulleitungen wendet, da sie Angst haben, dadurch noch stärker stigmatisiert zu werden. Denn die wenigsten Schulen bieten Unterstützung gegen Mobbing und Diskriminierung an, auch wenn sich viele von ihnen das Abzeichen von Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage ans Tor hängen lassen. Aus einer weiteren Studie des Bundesverbandes geht hervor, dass nur 18 % der trans Schüler:innen das Gefühl haben, dass ihre Schule ein sicherer Ort für sie ist. Dies liegt auch daran, dass die Idee des binären Geschlechtersystems in der Gesellschaft vorherrschend ist und ebenso in der Schule reproduziert wird. Sei es durch Unterrichtsinhalte, bei denen Frau Meier den Wocheneinkauf für ihre Familie tätigt als Einleitung für eine Textaufgabe in Mathe, die klassische, heteronormative Sexualkunde im Biologieunterricht, lediglich ausgelegt auf Verhütung und Reproduktion, oder die Abwesenheit von queeren Lebensrealitäten in der Pflichtlektüre, die wir in Deutsch oder Englisch lesen müssen. Das gilt auch für Regelungen, die über den bloßen Unterricht hinausgehen, aber den Schulalltag prägen wie z. B. fehlende geschlechtsneutrale Toiletten oder Umkleideräume sowie die allgemeine Adressierung der Schüler:innenschaft in Rundbriefen. Das Verbot. an Schulen zu gendern, wie es in Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits umgesetzt wurde, oder in Berlin durch die CDU-Regierung zumindest diskutiert wird, tut sein Übriges. Auch wenn Gendern nicht automatisch zur Befreiung von trans Personen führt, so ist dennoch die Repräsentation in der Sprache auch ein mögliches Kampffeld.

  • Schluss mit Deadnames auf Klassenarbeiten, Schüler:innenausweisen und Klassenbüchern! 

  • Für die Möglichkeit, den Namen und Geschlechtseintrag in der Schule einfach und unbürokratisch zu ändern! 

  • Wir bestimmen, was wir lernen wollen: Rahmenlehrpläne unter Kontrolle der Lernenden, Lehrenden, Arbeiter:innenbewegung und Vertreter:innen von Diskriminierten! Für angemessenen, verpflichtenden Aufklärungsunterricht vor der Geschlechtsreife und die gleichberechtigte Darstellung aller Formen von Geschlecht, Geschlechtsidentität, Sexualität und des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs!

  • Kampf der Diskriminierung an der Schule: Für breite Aufklärungskampagnen durch die Gewerkschaften von Lehrkräften und Schüler:innen und für eine von der Schulleitung unabhängige Antidiskriminierungsstelle, kontrolliert von Lernenden, Lehrenden und Organen der Arbeiter:innenklasse, die jederzeit wähl- und abhwähbar sind!

  • Von Schüler:innen selbstorganisierte Freiräume, die in den Pausen für alle frei zugänglich sind, an jeder Schule und den Ausbau von Unisextoiletten sowie Umkleideräumen!

Ähnlich sieht die Situation in der Ausbildung aus. Hier kommt jedoch der ökonomische Druck hinzu, der es vielen erschwert, sich selbst auszuleben oder dies sogar komplett unmöglich macht. Eine Studie – ebenfalls aus dem Jahr 2017 – von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat ergeben, dass trans Personen in der Ausbildung häufiger diskriminiert werden als ihre cis-geschlechtlichen Kolleg:innen. 48 Prozent der befragten trans Personen gaben an, bereits Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt zu haben, während es bei cis Personen nur 24 Prozent waren. 

Die Diskriminierung reichte von Mobbing über das Ausgrenzen aus dem Team bis hin zu sexueller Belästigung. Dabei ist klar: Ob nun Kolleg:innen, die durch mangelndes Wissen mit Stammtischparolen um sich werfen, oder beispielsweise Kund:innen, die eine/n missgendern oder gar offen ausgelebte Transfeindlichkeit: Als Azubi für die eigenen Rechte einzustehen, ist um ein Vielfaches vertrackter. Das liegt aber nicht (nur) am Alter an sich, sondern der Status als Azubi ist hier das entscheidende Moment – Lehrjahre sind schließlich keine Herrenjahre. Dass man als ungleiche Arbeitskraft angesehen wird, die erstmal „richtig ausgebildet” werden muss, bevor man als gleichrangig angesehen wird, wirkt sich auch auf den Umgang miteinander aus. Herablassende Bemerkungen, gar Beleidigungen statt konstruktiver Kritik sind in bestimmten Branchen ganz offen an der Tagesordnung, in anderen existieren sie eher versteckt. Das kann soziale Unterdrückung verstärken und den Rahmen, wie man sich dagegen wehren kann, erheblich einschränken. Wenn wir also in der Ausbildung gegen Transfeindlichkeit kämpfen wollen, dann müssen wir das mit dem Kampf für bessere Ausbildungsrechte verbinden!

  • Tarifliche und rechtliche Gleichstellung aller Auszubildenden! Mindestausbildungsvergütung in Höhe des Mindestlohns und Anhebung dessen auf 15 Euro die Stunde!

  • Gegen alle Versuche und Regelungen wie „Job aktiv“ und „Kombilohn“, die den Billiglohnsektor ausweiten! Übernahme aller befristeten und Leiharbeits- in Normalarbeitsverhältnisse statt Ausdehnung der Flexibilisierung und des Niedriglohnsektors!

  • Probezeit? Nein Danke: Volle wirtschaftliche Rechte – inklusive des auf Streik – für Azubis!

  • Übernahme garantiert: Volle und unbefristete Übernahme aller Jugendlichen nach der Ausbildung – bei Verweigerung der Übernahme Strafzahlung! Für die Abschaffung aller Quoten, die die Übernahme beschränken! 

  • Für das Recht, in Job und Ausbildung den gewählten Namen zu nutzen, auch wenn dieser noch nicht im Ausweis steht!

Um die Situation am Arbeitsplatz nachhaltig zu verbessern, muss sich auch was in den Gewerkschaften ändern. Es ist ein erster Schritt gewesen, dass man auch „divers” im Mitgliedsausweis angeben kann – aber mal ehrlich, ausreichend ist das nicht. Erstmal sollte es nicht verpflichtend sein, das eigene Geschlecht überhaupt angeben zu müssen. Darüber hinaus müssen Gewerkschaften an Betrieben und Berufsschulen präsent sein. Das heißt, zum einen Aufklärungskampagnen gegen Diskriminierung an Betrieben, Schulen und Unis organisieren und zum anderen auch, die Präsenz durch Beratungsstellen an Berufsschulen sowie die Vertrauenskörperstruktur in den Betrieben flächendeckend auszubauen. Zusätzlich ist es ein Problem, dass für Länder wie Deutschland Datenerhebungen fehlen, wenn es darum geht, die Verbindung von Einkommen und Unterdrückung zu erfassen. Zahlen aus den USA belegen, dass dort insbesondere schwarze trans Frauen weniger als der US-Durchschnitt verdienen. Solche Erhebungen wären ein erster Schritt, um auch passende Forderungen aufwerfen zu können und würde zudem klar zeigen, dass Gewerkschaften sich bewusst positionieren.

  • Flächendeckender Ausbau der Vertrauenskörperstrukturen und Antidiskriminierungsstellen!

  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter:innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!

  • Breite Kampagnen zur gewerkschaftlichen Organisierung von Jugendlichen! Wir wollen uns nicht bevormunden lassen: Gerechte Repräsentanz in den Gremien der Gewerkschaften! 

  • Regelmäßige Erhebungen bzgl. Einkommen und Diskriminierungserfahrungen, kontrolliert durch Gewerkschaften!

Medien, Alltag und Gewalt

Ob Bahnhofstoiletten, Behördengänge, Bekleidungsgeschäfte oder das umfangreiche Sortiment an Waren, die man erwerben kann: Wenn man mal darauf achtet, dann wird deutlich, wie viel in unserer Gesellschaft eigentlich von der binären Geschlechterordnung bestimmt wird. Daraufhin einfach mal abschalten und eine Serie schauen, um den Stress in der Schule oder Familie zu vergessen? Das ist aber nur bedingt möglich. In den letzten Jahren wurden zwar immer mehr trans Charaktere in Serien und Filme integriert. Dennoch: Die Sichtbarkeit ist umkämpft und noch längst nicht ausreichend. Diversität heißt übrigens nicht, so viele unterdrückte Gruppen wie möglich zu zeigen, sondern auch eine Varianz dieser mit einzubeziehen. 

Ansonsten werden immer wieder Stereotype reproduziert. Was bedeutet das in der Praxis? Es ist legitim, sich mit dem Thema Transition auseinanderzusetzen. Aber genauso notwendig ist es, unterschiedliche Erfahrungen mit einzubeziehen: Nicht-binäre trans Personen sind eher unterrepräsentiert und Menschen, die trans sind, aber sich nicht in die jeweilige Geschlechterrolle stecken lassen wollen, werden meistens negativ dargestellt. Die Charaktere, die am positivsten wegkommen, sind jene, die der binären Geschlechterordnung am meisten entsprechen. Das zu zeigen, ist nicht per se falsch, das ausschließlich zu zeigen, allerdings schon. Flache Charakterarchs hin zur Akzeptanz der eigenen Transidentität oder das bloße Darstellen von körperlicher und sozialer Transition oder dem Umgang mit Diskriminierung sind vielleicht für cis Personen interessante Geschichten, aber für trans Menschen ist das einfach unser selbstverständlicher Alltag und damit totlangweilig. Wir wollen trans Held:innen, Bösewichte, Mütter, Nebencharaktere, Kolleg:innen etc. in Serien und Filmen, deren Transidentität sie nicht definiert – aber eben selbstverständlicher Teil ihrer Geschichte und Lebensrealtität ist.

Besser wird es jedoch auf keinen Fall, wenn man die meisten Nachrichtenseiten aufruft. Die vermehrte Repräsentation von trans Personen, die Bevormundung von Jugendlichen, die Krise der bürgerlichen Familie, der allgemeine gesellschaftliche Rechtsruck und der Misserfolg des bürgerlichen Feminismus hinsichtlich der Überwindung von Frauenunterdrückung, haben unter anderem dazu geführt, dass (vermeintliche) Feminist:innen wie Alice Schwarzer vom „Transtrend“ sprechen. In Nachrichten – insbesondere in populistischen Blättern –   werden fiktive Szenarien beleuchtet, in denen angebliche Feminist:innen vor allem trans Frauen unglaubliche Dinge unterstellen, anstatt über die reale Gewalt, die trans Personen angetan wird, zu berichten. Die Kriminalstatistik zeigt jedoch: Zwischen 2018 und 2021 hat sich die Gewalt gegen queere Menschen mehr als verdoppelt. Das führt uns zur eigentlichen Gefahr: Während man in größeren Städten zwar etwas „sicherer” als in ländlicheren Gegenden ist, so ist es nicht gegeben, dass man mal „einfach so” Bahn fahren kann. Komische Blicke, Beleidigungen und die Angst vor Gewalt gehören in der Regel dazu, wenn man nicht so aussieht, wie die klassischen Geschlechterrollen es verlangen.  Das wird verstärkt durch den stetigen Rechtsruck, den wir erleben, und so steigt auch die Gefahr für gezielte Übergriffe. Selbst in vermeintlich „queerfreundlichen” Großstädten wie Berlin kommt es mittlerweile nicht nur zu verbalen, sondern auch körperlichen Angriffen.

  • Enteignet die „kulturschaffende“ Industrie (Gameentwickler, Filmproduktionen, …) und organisiert die Produktion durch Räte aus Arbeiter:innen, Zuschauer:innen und Unterdrückten!

  • Gewalt stoppen: Demokratisch organisierte und gewählte Selbstverteidigungskomitees gegen Übergriffe auf LGBTIA+! Für den Ausbau von Schutzräumen für LGBTIA+ und Unisexorte in der Öffentlichkeit!

Medizinische Versorgung

Arz-/Ärztinttermine sind generell ein rares Gut. Wer versucht hat, einen Beratungstermin beispielsweise beim/bei der Endokrinolog:in zu bekommen, weiß, dass Wartezeiten von über einem halben Jahr keine Seltenheit sind. Deswegen bedeutet der Kampf für Selbstbestimmung auch ein Kampf für die Verbesserung des Gesundheitssystems insgesamt. Das bedeutet:

  • Weg mit Privatisierung der Krankenhäuser! Nein zu deren Schließungen auf dem Land!

  • Für einen höheren Personalschlüssel und Verkürzung der Arbeitszeit für alle Beschäftigten bei  vollem Lohnausgleich!

Finanziert werden sollte das Ganze durch die Abschaffung des DRG-Systems, Abschaffung des Zweiklassen-Gesundheitssystems (also nur gesetzliche Krankenkassen statt privater), Besteuerung der Reichen und Enteignung der Klinik- und Pharmaziekonzerne. So können eine schnellere Terminvergabe sowie qualitativ bessere Betreuung gewährleistet werden. Doch nicht nur Termine sind ein Problem: Arzt-/Ärztinbesuche bei Gynäkolog:innen sowie Urolog:innen sind für viele nicht nur mit emotionalem Stress verbunden sind – sondern können auch mit Ablehnung und Unverständnis seitens Praxismitarbeitenden oder anderen Patient:innen begleitet werden. So hat laut einer Studie der deutschen AIDS-Hilfe und des RKI von 2023 fast jeder fünfte nicht-binäre oder trans Mensch (17 Prozent) bereits aus Angst vor Diskriminierung lieber auf bestimmte medizinische Leistungen verzichtet. Auch in der Apotheke kann es unangenehm werden, wenn die Mitarbeiter:innen beispielsweise einem trans Mann keine Pille danach rausgeben möchten, da in manchen Apotheken die Vorgehensweise üblich ist, dass sie Pille nur an die betroffene Frau verkauft wird. In einer Situation, wo sich viele sowieso schon gedemütigt aufgrund des gesellschaftlichen Stigmas bei Notfallverhütung fühlen, müssen trans Personen nun auch noch ihr Anliegen zusätzlich begründen.

Die Transition an sich ist auch mit vielen Hindernissen verbunden. So müssen sich trans Menschen vor einer Hormonbehandlung oder chirurgischen Eingriffen in zwei unabhängigen Gutachten unangenehmen psychosozialen Befragungen stellen, wo unter anderem intime Details über das Sexualleben und den mentalen Gesundheitszustand abgefragt werden, damit Ärzt:innen bestätigen können, dass die Person für eine solche Behandlung in Frage kommt. Das kann auch dazu führen, dass nicht-binäre trans Personen, welche den Wunsch nach einer Hormonbehandlung hegen, ihre Ärzt:innen anlügen müssen, da sie diese Hormone nur bei einer binären Transgeschlechtlichkeit verschreiben (können). Mit diesem unnötigen und beschämenden Herumstochern im Privatleben muss Schluss sein! Beratungsstellen müssen ausgebaut werden, aber die Beratung sollte sich nicht wie eine Prüfung anfühlen und letztendlich sollte es keine Fremdbestimmung durch das ärztliche Personal geben.

Für trans Jugendliche spielt auch die Frage von Pubertätsblockern eine Rolle, die verhindern sollen, dass sie in die Pubertät kommen und diesem Leidensdruck, der damit einhergeht, ausgesetzt werden, obwohl sie bereits beginnen, ihre Geschlechtsidentität zu hinterfragen. Es zu begrüßen, dass trans Jugendlichen so eine Möglichkeit geboten wird, die Selbstbestimmung über die Entwicklung ihres Körpers erlangen zu können. Statt Panikmache von Alice Schwarzer und Co. und Bevormundung durch die Eltern, braucht es gute Aufklärung über die bestehenden Studien (die existieren, da Hormonblocker schon seit Jahrzehnten in anderen medizinischen Fragen eingesetzt werden) und einfach medizinische Studien für Hormon Replacement Therapie. 

Zudem ist – wie auch woanders – die Medizin von gesellschaftlicher Unterdrückung geprägt. Das wird deutlich daran, dass viele Patient:innenstudien, Symptome und Medikamentenvorgaben auf Basis cis-männlicher Körper stattfinden – was beispielsweise dazu führt, dass Personen mit biologisch weiblichem Körper vermehrt an Herzinfarkten sterben, weil sie andere Symptome aufweisen oder nicht ernst genommen werden, insbesondere wenn sie nicht-weiß sind. Falsche Kategorisierung des Geschlechts der Betroffenen oder die Annahme, es würde sich um einen cis Körper handeln, können auch fatale Folgen hinsichtlich der Beratung bei Verhütungsmethoden sowie der Behandlung von Geschlechtskrankheiten oder der HIV-Prävention haben, da manche Beratungen aufgrund der Vermutung einer Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung nicht durchgeführt werden und auch hier die Präparate unterschiedlich auf die Körper wirken. Nach einer Personenstands- und Namensänderung zahlt die Krankenkasse teilweise „geschlechtsspezifische“ Behandlungen wie HPV Impfungen nicht mehr (bzw. man muss sich ihnen extra erklären und damit rumschlagen). 

Viele Ärzt:innen wissen außerdem schlicht nicht, was eine HRT (Hormone Replacement Therapy) an einem Körper ändern kann und ignorieren z.B. dass bei einer Testosterontherapie das Risiko von Herzerkrankungen auf das eines cis Mannes steigt, andere körperliche Vorgänge eher wie bei cis Frauen funktionieren und wieder andere Dinge mit beidem nur noch wenig zu tun haben. Faktisch führt das dazu, dass trans Menschen oft zu Ärzt:innen gehen und ihnen erstmal ihren Körper erklären müssen. Da an der Stelle aber zu wenig Forschung existiert, es sehr kompliziert werden kann, die Beschäftigung mit dem eigenen Körper mental schwierig sein kann und die Ressourcen begrenzt sind, sind viele trans Menschen dazu verständlicherweise nicht in der Lage. Der erschwerte Zugang führt aber dazu, dass manche trans Personen sich über inoffizielle Wege Hormone besorgen müssen. Ohne medizinische Überwachung der Dosierung und Nebenwirkungen kann das aber auch sehr gefährlich für die Betroffenen enden. Das heißt, wir brauchen Forschung, Lehre und Praxis, die die Auswirkungen gesellschaftlicher Diskriminierung mit einbeziehen, sowie eine Medizin, die eine biologische Bipolarität  der Geschlechter anerkennt! Des Weiteren brauchen wir auch eine Auseinandersetzung mit der Produktion von Medikamenten und Präparaten in der Pharmazie. Die Devise heißt hier Enteignung unter Arbeiter:innenkontrolle und die Aufhebung des Patentrechts, um zu gewährleisten, dass die Produktion von Pubertätsblockern und Hormonpräparaten nicht unter Profitinteresse steht und sie auch in einer Langzeitanwendung so sicher wie möglich sind!

  • Für Selbstbestimmung über den eigenen Körper: Für das Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zu medizinischer Geschlechtsangleichung!

  • Schluss mit Diskriminierung: Rahmenlehrpläne in der medizinischen Ausbildung unter Kontrolle von Ärzt:innen, Arbeiter:innen und Vertreter:innen von Unterdrückten! Für breite Sensibilisierungskampagnen gegen Diskriminierung im Gesundheitssystem und den Ausbau von Gesundheitszentren speziell für Frauen und LGBTIA+! 

  • Intersex vollständig legalisieren: Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer
    Genitaloperationen an Kindern!

  • Rekommunalisierung und Verstaatlichung aller privatisierten Kliniken unter Kontrolle der Beschäftigten und Patient:innen, die ein Interesse an guten Arbeitsbedingungen und guter Gesundheitsversorgung haben!

  • Freier und kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln! Massiver Ausbau der Beratung und Forschung in diesem Bereich!

Staatliche Diskriminierung

Seit August 2023 ist das TSG (Transsexuellengesetz) Geschichte und wurde durchs sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz” ersetzt. Erst einmal das Positive: Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Namen und Geschlechtseintrag auf Antrag beim Standesamt zu ändern. Während man früher vor Gericht gehen musste sowie zwei psychologische Gutachten brauchte , nur um die Personenstandsänderung durchzusetzen, kann man ab Herbst 2024 Namen und Geschlecht angleichen, indem man sich 3 Monate vor der sogenannten „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt anmeldet. Doch für Minderjährige ist der Prozess der „Selbstbestimmung“ weitaus weniger frei und eigenständig möglich. Personen ab 14 Jahren haben zwar das Recht, ihren Antrag auf Geschlechtsänderung selbst einzureichen. Seine Wirksamkeit hängt jedoch von der Zustimmung der sorgeberechtigten Person oder des Familiengerichts ab. 

Alle jüngeren Personen dürfen nicht mal den Antrag selber einreichen und haben wenig mitzureden, welches Geschlecht oder welcher Name angegeben wird. Ausgeschlossen werden ebenso Personen, deren Visum bald abläuft – um zu verhindern, dass sie sich vor der Abschiebung „drücken” können. Auch im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ kann die Angleichung auch „ausgesetzt” werden, um Menschen in den Wehrdienst einzuziehen. Besonders fatal ist, dass mit dem Selbstbestimmungsgesetz eine Liste erstellt wird. Das heißt: Alle trans Personen (mit ihren Deadnames und Adressen) sind den staatlichen Strukturen wie BKA, Polizei und Geheimdienst bekannt. Man benötigt keine Datenschutzexpertise, um zu wissen, dass das überhaupt nicht nötig ist, sondern vielmehr eine Gefährdung darstellt .

  • Für Selbstbestimmung über die eigene Geschlechtsidentität: Für Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zur offiziellen Namens- und Personenstandsänderung! Gegen den Zwang, das Geschlecht in amtlichen Dokumenten anzugeben!

  • Keine Weitergabe dieser Informationen an Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst!

  • Volle rechtliche Gleichstellung von LGBTIA+! Gleichstellung aller Partnerschaften und Lebensgemeinschaften mit der Familie! Für die automatische Eintragung queerer Eltern auf die Geburtsurkunden ihrer Kinder: mit ihren gewünschten Namen und Geschlecht!

Ursprung der Unterdrückung

Die Beispiele zeigen: Die Unterdrückung von trans Menschen ist überall zu finden. Doch wenn wir sie nicht nur oberflächlich bekämpfen wollen, müssen wir uns fragen: Woher kommt sie eigentlich?  Für uns als Marxist:innen ist die Diskriminierung von trans und anderen queeren Personen eng mit der Frauenunterdrückung verbunden. Letztere wird in der kapitalistischen Gesellschaft durch die Auslagerung von Reproduktionsarbeit (beispielsweise Kindererziehung, Pflege, Kochen, Waschen etc.) ins Private manifestiert. Kollektive Küchen, Waschhäuser oder auch Pflege könnte man gesamtgesellschaftlich organisieren und dadurch massiv Zeit einsparen (und so auch die Qualität verbessern). Doch um Kosten zu sparen, wird diese Arbeit in das Privatleben von Individuen gedrängt. Frauen tragen dabei oftmals die Hauptlast der reproduktiven Arbeit aufgrund der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die vorherrscht. Der Stereotyp der bürgerlichen Familie macht das besonders deutlich: 

Hier hat „alles seine Ordnung” und die Rollen sind klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert. Wer sich jetzt denkt, dass die 1960er Jahre angerufen haben und ihre verstaubte Lebensrealität zurückhaben wollen, hat recht. Jedoch wird diese Aufteilung nach wie vor vielerorts reproduziert: Sei es in Medien, durch Religionen, konservative Politiker:innen oder durch Gesetze, die Hetero-Zweierbeziehungen bevorzugen. Kurzum: Die bürgerliche Familie nimmt im Kapitalismus einen ideologischen Stellenwert ein, der geschützt wird. Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftsverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze Reproduktionsarbeit der Arbeiter:innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge. Denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich„ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder bekommen. Das erklärt auch, warum insbesondere Rechte und andere Reaktionär:innen so vehement gegen Queers eintreten.  Gleichgeschlechtliche Partner:innen lieben, mehr als eine/n Partner:in haben oder eben das eigene Geschlecht angleichen lassen – all das greift die geschlechtliche Arbeitsteilung an. Diese ist jedoch notwendig, um die Familie und somit die Auslagerung der Reproduktionsarbeit ins Private aufrechtzuerhalten und somit auch der Ursprung der Unterdrückung von LGBTIA+.

  • Kampf für Reduzierung der Arbeitszeit für die gesamte Arbeiter:innenklasse, damit die
    Reproduktionsarbeit auf alle  verteilt werden kann und den Frauen die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben erleichtert wird!

  • Kampf den Geschlechterrollen: Schluss mit geschlechtlicher Arbeitsteilung: Für die Vergesellschaftung der Haus- und Reproduktionsarbeit; gleichmäßige Aufteilung der übrigbleibenden privaten Tätigkeiten!

Was tun?

All diese Forderungen zu erkämpfen, wäre ein wichtiger Schritt in der Verbesserung der Situation von trans Personen. Unser Ziel muss jedoch sein, der Unterdrückung die materielle Grundlage zu entziehen. Deswegen ist für uns der Kampf für die Befreiung von LGBTIA+ verbunden mit der Notwendigkeit, die Reproduktionsarbeit zu vergesellschaften und die kapitalistische Gesellschaft zu zerschlagen!

In der Praxis setzen wir uns für einen gemeinsamen Kampf von Frauen-, LGBTIA+- und Arbeiter:innenbewegung ein. Zum einen, weil Erstere genauso Teil der Arbeiter:innenklasse sind und das Bild des „Arbeiters im Blaumann” als diese vollständig repräsentierendes veraltet ist. Zum anderen nimmt die Arbeiter:innenklasse eine Schlüsselposition ein, wenn es darum geht, Forderungen durchzusetzen. Durch ihre Stellung im Produktionsprozess kann sie durch Streiks ökonomischen Druck aufbauen und so sichern, dass Reformen durchgesetzt werden können. Sie ist auch zentral, wenn es darum geht, den Kapitalismus zu zerschlagen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, revolutionäres Bewusstsein in die Klasse zu tragen und den gemeinsamen Kampf zu führen, um gegen existierende Vorurteile sowie Diskriminierung zu kämpfen und letzten Endes die Grundlage von LGBTIA+-Unterdrückung zu beseitigen. Um das zu ermöglichen, glauben wir, dass es notwendig ist, dass in den Organisationen der Arbeiter:innenklasse – ob nun Gewerkschaft, revolutionärer Organisation oder Partei – das Recht für gesellschaftlich Unterdrückte besteht, einen Caucus zu bilden, d. h. einen Ort, an dem sie sich unter ihresgleichen treffen können, um sich über erlebte Unterdrückung auszutauschen, ob nun innerhalb oder außerhalb der Strukturen. Dafür benötigen wir auch ein revolutionäres Programm, welches alle Forderungen, die sich auf die unterschiedlichen Ausgebeuteten und Unterdrückten beziehen, zu einem gemeinsamen Kampf verbindet.




Gegen Diskriminierung kämpfen heisst Gegenmacht aufbauen!

von Dilara Lorin, März 2023

Als Jugendliche sind wir gezwungen, uns tagein tagaus in der Schule aufzuhalten. Doch obwohl wir einen Großteil unserer aktuellen Lebenszeit dort verbringen und zahlenmäßig die größte Gruppe sind, die sich dort aufhält, haben wir kaum Rechte zu bestimmen, wie unsere Schule aussieht und was dort passiert. Lerninhalte, Pausenzeiten, Essen, die Gestaltung des Schulgebäudes … – alles wird jenseits unserer Kontrolle von anderen bestimmt. Dass das eine große Scheiße ist, merken wir gerade jetzt, wo der gesellschaftliche Rechtsruck und die Krise des Kapitalismus dafür sorgen, dass sich unsere Lernbedingungen durch Sozialkürzungen, Krieg, Sexismus und Rassismus stetig weiter verschlechtern. Doch wir werden den transfeindlichen Spruch eines Lehrers nicht widerstandslos hinnehmen und auch nicht schweigend zusehen, wenn unsere Mitschüler:innen aufgrund von Rassismus gezwungen werden, ihre Kuffiyas nicht mehr zu tragen. Unsere individuelle Empörung braucht einen Ort, an dem sie gebündelt und in einen kollektiven Kampf dagegen übersetzt werden kann. Lasst uns deshalb gemeinsam Antidiskriminierungsstellen in den Schulen erkämpfen – eine selbstverwaltete Stelle, in der Schüler:innen und Schulbeschäftigte anonym über diskriminierendes Verhalten und Situationen berichten und gemeinsam dagegen vorgehen können.

Was bedeutet Gegenmacht?

Gegenmacht bedeutet im Allgemeinen, eine demokratische und kollektive Macht durch Organisationen und Strukturen aufzubauen, die parallel zur autoritären und herrschenden Macht von Staaten und Regierungen existiert. Dabei ist die von Revolutionär:innen aufgebaute Gegenmacht jene, die von der Arbeiter:innenklasse, der Bauernschaft und den Unterdrückten gebildet wird. Ihr Ziel ist es, die Macht der Herrschenden für ihren Sturz herauszufordern und im Kern schon die Perspektive für eine demokratischere und freiere Gesellschaft darzustellen. Das bedeutet, dass die Organe der Gegenmacht politische Fragen gemeinsam entscheiden und verfolgen müssen. Sie müssen eine Einheit der Interessen der Arbeiter:innen und Unterdrückten wiederspiegeln und der vereinzelnden Macht der Herrschenden ihre kollektive Stärke entgegensetzen. Solche Gegenmachtorgane haben aber auch im Kleinen die Aufgabe, eine Alternative zu bestehenden Strukturen und Herrschaftsformen darzustellen.

Das Prinzips des Aufbaus von Gegenmacht stammt historisch von den Räten oder Sowjets. Ein bekanntes Beispiel sind die russischen Sowjets von 1905-1917, welche die Keimzellen der sozialistischen Oktoberrevolution waren. Die Bolschewiki betrachteten den Sowjet als den besten und direktesten organisatorischen Ausdruck der Macht des Proletariats und seiner Verbündeten. Der Sowjet war ein Rat, der alle ausgebeuteten und unterdrückten Gruppen repräsentierte und auf dem Prinzip der direkten Wahl, ständiger Abwählbarkeit und Abschaffung bürokratischer Privilegien beruhte. Er bildete die bestmögliche Grundlage für die Diktatur des Proletariats – für den demokratischen Rätestaat. Im Kampf um die Macht ist der Rat das Werkzeug, um alle gegen den Kapitalismus kämpfenden Kräfte zu vereinen und dem parlamentarischen System der bürgerlichen Klassenherrschaft die proletarische Macht der demokratischen Räte entgegenzustellen. Die Räte zeichnet ebenfalls aus, dass sie Wirtschaft und Politik nicht künstlich trennen, wie es im kapitalistischen politischen System der Fall ist. Hier werden im Parlament nur politische Reglungen und Gesetze festgelegt und wird die Masse der Menschen der Anarchie des Marktes unterworfen. Die Räte dagegen vereinen politischen und ökonomischen Kampf, denn nur durch das Mittel des Streiks kann die Arbeiter:innenklasse sich ihrer eigenen Stärke bewusst werden. Auch in Deutschland gab es im Zuge der Novemberrevolution 1919 eine starke Rätebewegung und sogar kurzzeitig eine Räterepublik, welche jedoch durch den Verrat der SPD gemeinsam mit kaisertreuen Kräften zum Erhalt der kapitalistischen Ordnung blutig gestürzt wurde. Die Beispiele der russischen Sowjets oder deutschen Räte zeigen auch, dass bürgerliche Macht und proletarische Gegenmacht in sogenannten „Doppelmachtsituationen“ nie beide über einen längeren Zeitraum parallel existieren können, sondern sich das herrschende Kräfteverhältnis immer zu Gunsten des Einen oder des Anderen auflösen muss.

Wichtig ist dabei zu verstehen, dass der Aufbau von Gegenmacht kein Selbstzweck ist. Er ist eingebettet in den Kampf für die Zerschlagung des Kapitalismus und den Aufbau einer befreiten Gesellschaft. Dafür braucht es ein revolutionäres Programm, für das auch in den Räten gekämpft werden muss. Denn nur weil diese demokratischer sind als das bürgerliche Parlament bedeutet das nicht, dass sie automatisch die richtigen Entscheidungen treffen. So haben die Bolschewiki vorerst eine Minderheit in den Sowjets dargestellt, sodass viele Sowjets lange auch eine nicht-revolutionäre Linie vertreten haben. Erst durch ihr unermüdliches Eintreten für ihr revolutionäres Programm ist es ihnen gelungen, die Sowjets in eine siegreiche sozialistische Revolution zu führen.

Was hat das mit Antidiskriminierungsstellen zu tun?

Das Prinzip des Aufbaus von Gegenmacht wurde in der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung nicht nur den in revolutionären Räten angewendet, sondern auch auf kleineren Ebenen: in den Schulen, Unis und Betrieben. Für uns bedeutet das, den Kampf um Antidiskriminierungsstellen als Kampf um Gegenmacht in den Schulen zu verstehen. Deshalb ist es wichtig zu betonen, dass solche Stellen unabhängig von Staat, Schulaufsicht und Schulleitung sein müssen, denn diese sind es, die in Zeiten von Druck und Krisen jede erkämpfte Chance wieder zurücknehmen würden. Fortschrittliche Reformen, die in Schulen umgesetzt werden, können vom Staat also auch wieder zurückgenommen werden, wenn sich Regierungen und damit zusammenhängend auch Kräfteverhältnisse ändern. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Genderverbot in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und Schleswig-Holstein, das zwischen Juli 2023 und März 2024 in den Schulen eingeführt wurde. Lehrpersonen ist es damit untersagt ihre Sprache zu gendern. Vorsichtige Versuche ein kleines bisschen Antisexismus in der Schule zu etablieren, will der Staat rigide zerschlagen. Im Kampf gegen Diskriminierung können wir uns also nicht auf den Staat und seine Institutionen verlassen. Wenn fortschrittliche Reformen erkämpft werden, dürfen diese also nicht aus der Hand gegeben werden, sondern wir müssen auch um ihre Kontrolle kämpfen. Der Kampf um die Kontrolle geht einher mit dem Kampf um die Durchsetzungsfähigkeit. Unser Kampf für Antidiskriminierungsstellen muss also mit den Forderungen nach Unabhängigkeit von der Schulleitung und den nötigen Mitteln, um beschlossene Maßnahmen auch im Schulalltag umsetzen zu können, verbunden werden.

Klar ist aber auch, dass es unter den Jugendlichen und Lehrer:innen unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wie Diskriminierung definiert wird, welche Konsequenzen diskriminierendes Verhalten haben sollte und wie damit umgegangen wird. Deshalb muss es auch hier offene Debatten darüber geben. Historisch hat schon die Oktoberrevolution gezeigt, dass Räte allein nicht ausreichen, weil auch superdemokratische Räte falsche Entscheidungen treffen können. Darum ist es die Aufgabe von Revolutionär:innen innerhalb von Gegenmachtstrukturen, egal ob in der Schule oder im Betrieb, auch für ein revolutionäres Programm zu kämpfen. Dies bedeutet in diesem Fall konkret die Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle zu verteidigen und für eine materialistische Analyse von Diskriminierung einzutreten. Dem Definitionsmachtansatz setzt diese das doppelte-Beweislastausgleichverfahren entgegen.

Wie kann die Praxis von Antidiskriminierungsstellen aussehen?

Ein Beispiel für diskriminierendes Verhalten brauchen wir hier wahrscheinlich nicht zu nennen, denn jedem:jeder von uns fällt nach kurzem Nachdenken sicher eines ein und niemand wird behaupten können: „Meine Schule ist frei von Sexismus/Rassismus/Querfeindlichkeit etc“. Denn auch die Schule befindet sich nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil des kapitalistischen Systems, das die Wurzel aller Unterdrückungsformen darstellt. Somit ist es eine Frage des Willens aller von uns, unseren Alltag in der Schule selbst in die Hand zu nehmen und sich diesen nicht bestimmen zu lassen.

Im Idealfall gibt es an deiner Schule ein Schulkomitee oder eine linke und antirassistische Schulgruppe, die die miserablen und diskriminierenden Zustände an der Schule erkennt und handeln will. Wenn nicht, lässt sich diese mit ein paar Gleichsinnten schnell etablieren. Diese Struktur ruft eine Vollversammlung an deiner Schule ein und organisiert sie. Vollversammlungen sind schulrechtlich abgesicherte Versammlungen aller Schüler:innen der Schule und können prinzipiell an jeder Schule stattfinden. Von wem und in welchen Abständen ist jedoch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Bei diesen Vollversammlungen kommt die ganze Schule zusammen, was die Möglichkeit bietet, mit allen über Formen der Diskriminierung zu diskutieren und aufzuklären. Wenn entschieden wird, dass man dies nicht mehr einfach so hinnehmen möchte, sollte es die Möglichkeit geben, auf einberufenen Vollversammlungen als Schüler:innen und Lehrer:innen für eine Antidiskriminierungsstelle zu kandidieren. Alle potenziell von Diskriminierung Betroffenen sollten sich zur Wahl aufstellen und abstimmen können: Das heißt mit Ausnahme der Schulleitung alle Schüler:innen, Lehrer:innen und anderen Schulbeschäftigten (Hausmeister, Mensapersonal, Reinigungskräfte, Sekretariar etc.). Gemeinsam können wir entscheiden, wen wir mit welchen Ansichten für die Arbeit in der Antidiskriminierungsstelle für geeignet halten. Wichtig ist jedoch, dass die gewählten Personen rechenschaftspflichtig und jederzeit auch abwählbar sind und der Schule in einem bestimmten Zeitraum Bericht erstatten müssen. Dadurch kann die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle kontrolliert werden und es besteht die Möglichkeit, sie neu zu wählen und zu besetzen, wenn sie Fehleinschätzungen oder falsche Entscheidungen trifft. Es ist wichtig, dass sie Entscheidungen über Fälle trifft und auch klare Konsequenzen für die Täter:innen bestimmt, damit sie nicht zu einem reinen Kummerkasten verkommt. Aus der Antidiskriminierungsstelle können dabei auch Entscheidungen getroffen werden, die einen Großteil der Schüler:innen und Lehrer:innen betreffen kann, ein Beispiel können Präventionsworkshops sein.

Wir sehen, die Antidiskriminierungsstelle kann sich zu einem festen Bestandteil im Schulalltag formieren, in welchem durch die Frage des Kampfes gegen Diskriminierung und die Frage der Kontrolle darüber auch die Macht von Schulleitung und Staat, alles bestimmen zu können, herausgefordert wird. Isoliert kann der Kampf um demokratische Gegenmacht in der Schule jedoch nicht allein durch Antidiskriminierungsstellen gewonnen werden. Er muss eingebettet werden in den Kampf um eine demokratische Kontrolle der Lehrpläne durch Schüler:innen und Lehrer:innen sowie die Verwaltung des Schulgebäudes. Dafür braucht es Schul(streik)komitees, welche einen Pol bilden für Aktivist:innen in der Schule, um für sämtliche ihrer Interessen und politischen Fragen im Schulalltag zu kämpfen. Die Rolle der Schulstreikkomitees ist dabei anleitend und intervenierend. Der Pol an linken, antikapitalistischen Aktivsit:innen muss seine Aufgabe darin sehen, mit einer materialistischen Analyse in die Debatten der Antidiskriminierungsstelle einzuwirken, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen und diese auf weitere Felder wie die Kontrolle über die Lehrpläne oder das Schulgebäude auszudehnen. Lasst uns gemeinsam der Fremdbestimmung ein Ende bereiten und Gegenmacht aufbauen!




Von Problemvierteln und Brennpunktschulen: Gegen bürgerliche Klischees!

von Jona Everdeen, März 2024

„Das ist aber eine ganz üble Gegend, in der du wohnst!“ oder „Von der Schule hört man auch nur Schlechtes!“ So wird immer wieder über bestimmte Stadtteile oder Schulen gesprochen. Und zwar nicht über die Parallelgesellschaften der Superreichen, sondern über die Viertel, in denen wir leben.

Doch woher kommt der Mythos vom „Brennpunkt“, über den es regelmäßig BILD-Schlagzeilen gibt? Und welche Rolle spielt die Stigmatisierung von Stadtteilen und ihren Bewohner:innen für die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft?

„Ghetto“ als Stigma

Als Ghetto, Problemviertel oder Brennpunkt werden in der Regel Orte benannt, die unterdurchschnittliche Sozialindexwerte aufweisen, z.B. ein geringes Durchschnittsgehalt oder eine hohe Arbeitslosigkeit. Allerdings muss das Stigma nicht an reale Gegebenheiten gekoppelt sein, bzw. ist keine unmittelbare Folge davon. Es gibt Orte mit niedrigen Werten, die nicht als „Problemviertel“ bekannt sind, sowie unauffällige Viertel, die den Ruf eines „Brennpunkts“ haben.

Entscheidend dafür sind in erster Linie Medienberichte, von Dokumentationen bis Reality-TV, über eine vermeintlich hohe Kriminalität sowie andere „katastrophale Zustände“, wie Müll auf der Straße. Dabei werden Ursache und Wirkung vertauscht: Wenn im „Ghetto“ Müll auf der Straße liegt, während es im Reichenviertel sauber ist, dann liegt das in der Regel an der unterfinanzierten Stadtreinigung, die im Zweifelsfall die Viertel der Armen zuerst vernachlässigt.

Wenn an Schulen Mülltonnen umgetreten, Wände beschmiert und Scheiben eingeworfen werden, dann ist das auch keine jugendliche Willkür, sondern ein fehlgeleiteter Akt des Protests, gerichtet gegen die Orte, die sowieso schon dreckig und abgenutzt sind und für die keine bessere Zukunft vorstellbar scheint.

Häufig werden arme Stadtteile als „riskant“ oder „gefährlich“ dargestellt, weil es dort mehr Kriminalität geben soll. Doch diese Statistiken werden durch ungleich verteilte Polizeiüberwachung sowie auch Fahrkartenkontrollen verzerrt. In ärmeren Stadtteilen, in denen die Menschen dicht an dicht leben und kaum Rückzugsmöglichkeiten haben, ist Kriminalität einfacher zu entdecken. Doch auch in den reichen Stadtteilen wird mit Drogen gehandelt – nur dass die Bonzen sich dafür ins Private zurückziehen können, während arme Menschen dafür keinen anderen Ort haben als das Gebüsch im Park.

Auch hinter den Zäunen der Stadtvillen schlagen und vergewaltigen Männer ihre Frauen – nur dass bürgerliche Frauen eher als proletarische Frauen die finanziellen Mittel haben, um der Situation zu entfliehen. Und ganz generell findet im bürgerlichen Verständnis Kriminalität ja sowieso nur dort statt, wo im Supermarkt geklaut wird, und nicht dort, wo Steuerhinterziehung und Kunstraub auf der Tagesordnung stehen.

Die realen Gefahren der ärmeren Stadtteile werden in den Brennpunkt-Darstellungen hingegen einfach ignoriert, zum Beispiel, dass Kinder aus armen Familien sehr viel häufiger Opfer von Verkehrsunfällen werden, weil sie häufiger an großen Straßen mit viel Verkehr leben.

Doch wenn die Faktenlage so dürftig ist, warum schreiben dann Zeitungen wie die BILD andauernd über angebliche Problemviertel, und welchen Zweck verfolgen sie damit?

Sozialchauvinismus und Klassenspaltung

Stadtteile, die den Ruf haben, „Elendsviertel“ zu sein, gibt es schon, seit das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital zum dominanten Widerspruch der Gesellschaft geworden ist. Bereits damals hatten diese Viertel und ihre Bewohner:innen einen üblen Ruf.

Bessergestellte Arbeiter:innen bildeten sich etwas darauf ein, nicht ganz so weit unten zu stehen. Lieber zahlten sie für ähnliche Lebensbedingungen mehr Miete, wenn es bedeutete, dort nicht leben zu müssen. Hier haben wir die ideologische Funktion des Geredes vom Brennpunkt: Es soll die Klasse spalten.

So wird die Grenze gezogen zwischen den „normalen“ Stadtteilen und den „Problemvierteln“, welche negativ aus der Norm herausstechen. Die bürgerliche Klasse versucht, den bessergestellten Teil des Proletariats auf ihre Seite zu ziehen, als Teil eines „Volkes“ oder eben der „Normalen“. So sollen sie dazu gebracht werden, ihre Faust nicht nach oben zu richten, wo ihre Unterdrücker:innen und Ausbeuter:innen in ihren Villen sitzen. Ihre Wut soll sich stattdessen gegen diejenigen richten, die in schimmligen Altbauten und sanierungsbedürftigen Platten noch etwas schlechter dastehen als sie selbst. Diese werden als „Asoziale“ stigmatisiert, die nicht dazu bereit oder in der Lage wären, sich in die Gesellschaft einzugliedern, sondern in einer nach bürgerlicher Moral verachtenswerten Parallelgesellschaft leben würden.

Die Wahrheit ist eine andere. Es ist die bürgerliche Klasse, die freiwillig und beabsichtigt in Parallelgesellschaften lebt, in Villenvierteln wie Blankenese oder Grunewald, abgetrennt von der gesellschaftlichen Mehrheit der Arbeiter:innen, Armen und Mittelständler:innen.

Gegen diese reichen Ausbeuter:innen gilt es, alle Arbeiter:innen und Armen, ganz gleich ob sie aus Charlottenburg, Pankow, Neukölln oder von sonst wo kommen, zu vereinen. Der zentrale Klassenwiderspruch zwischen Produktionsmittelbesitzenden und Lohnabhängigen muss aufgelöst werden, indem das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft und diese unter Kontrolle der Arbeiter:innen vergesellschaftet werden!

Standortbezogener Rassismus

Auch früher schon war das Stigma des „Elendsviertels“, das genutzt wurde um Arbeiter:innen in prekarisierte und bessergestellte zu spalten, mit Rassismus aufgeladen. Ein Beispiel dafür ist die Ansiedlung von jüdischen Geflüchteten, die in Lübeck kein Aufenthaltsrecht bekamen, in Moisling. Antisemitische Arbeitsverbote und Gewalt ließen die Gemeinde vor den Stadttoren der Hansestadt zu einem Zwangsghetto verarmen, das einen extrem schlechten Ruf hatte.

Heute wird gerade in der Debatte um Kriminalität das Klischee von kriminellen Ausländer*innen bedient, die sich in „Ghettos“ aktiv von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen und die „Integration“ verweigern würden.

Viel seltener wird darauf hingewiesen, dass gerade Geflüchtete häufig gar nicht arbeiten dürfen, und dass Jugendliche in der Perspektivlosigkeit versinken, weil sie aufgrund der andauernden kapitalistischen Krise wenig Aussichten darauf haben, ihre miesen Lebensbedingungen zu verbessern.

Es wird nicht davon gesprochen, dass die Mieten in den Städten so teuer sind, dass Menschen mit Migrationsgeschichte, die in mies bezahlte Jobs gedrängt werden, sich gar keine andere Wohnung leisten können als die in den heruntergekommenen und günstigeren Vierteln. Denn dann müsste man ja zugeben, dass Rassismus und das kapitalistische System, das ihn hervorgebracht hat, Schuld an den Missständen sind.

Deutschen Arbeiter:innen soll suggeriert werden, dass sie mehr mit ihrem deutschen Boss vereint, als mit ihrem türkischen Kollegen aus Wilhelmsburg. Die Klassenspaltung des Rassismus bekommt eine räumliche Komponente.

Bildungskrise: Sind die „Assis“ Schuld?

Auch das Gerede von „Brennpunktschulen“ reiht sich in die Stigmatisierung und Spaltung ein. Zusätzlich soll von der neoliberalen Sparpolitik abgelenkt werden, die zu Kürzungen in der Bildung sowie sämtlichen sozialen Bereichen führt. Diese werden demnächst wohl noch verstärkt werden, denn während die Doktrin der „Schwarzen Null“ weiter Bestand hat, wird eine Menge zusätzliches Geld für die Aufrüstung der Bundeswehr „benötigt“.

Aber warum sollte man sich ernsthaft Gedanken machen, wie man die Bildungskrise mit Investitionen in Lehrmaterial und Mensaessen bekämpfen kann, wenn man die Schuld auch einfach den Jugendlichen geben kann?

In Springerblättern liest man durchgehend, dass die Jugendlichen aus den „Assivierteln“ sich einfach nicht benehmen können. Mobbing unter Schüler:innen wird als Naturzustand dargestellt, nicht als Folge von Konkurrenz- und Leistungsdruck, Zukunftsangst und verinnerlichter Unterdrückung.

Wenn das mit einer rassistischen Komponente gepaart wird, kann man leicht dem Glauben verfallen, dass das Problem nicht Lehrkräftemangel und marode Gebäude wären, sondern respektlose und faule Jugendliche, die sich nicht bilden wollen. Daraus wird der Schluss gezogen, dass es einfach mehr Disziplinierung und Drill bräuchte, um den „Ghettokids“ Manieren beizubringen.

Anstatt materielle Armut beim Namen zu nennen, wird immer weiter von „bildungsfernen“ oder „sozial schwachen“ Milieus gesprochen. Es wird als Tatsache dargestellt, dass als „Ghettoschulen“ gebrandmarkte Bildungseinrichtungen dreckig sind, weil das eben dem „asozialen“ Charakter der Schüler:innen entspräche – irgendetwas an den Lernbedingungen in Billstedt verbessern zu wollen, wäre also völlig sinnlos.

Der Begriff „asozial“ ist dabei kein lustiges Klischee, sondern steht eng in Verbindung mit dem Hitlerfaschismus und der sogenannten „Aktion Arbeitsscheu Reich“, bei der 20.000 Menschen, darunter z.B. Süchtige, Bettler*innen und Prostituierte unter dem „Schwarzen Winkel“ in Konzentrationslager deportiert wurden. Die Vorstellung, dass das Elend einiger Menschen „genetisch programmiert“ wäre, ist keine neue, dafür aber eine sehr gefährliche.

Für solidarische und selbstorganisierte Stadtteile!

So wie die Arbeiter:innen, die sich gemeinsam gegen ihre Bosse organisieren müssen, müssen auch wir zusammenstehen, gegen den Versuch der bürgerlichen Propaganda, uns bereits in der Jugend zu spalten. Wir müssen als Jugendliche vereint stehen und die Hetze gegen bestimmte Schulen und ihre Schüler:innen energisch zurückweisen. Stattdessen müssen wir uns schul- und stadtteilübergreifend organisieren. Wir müssen für gerechte Bildung für alle kämpfen, anstelle von Investitionen in die Kriegstüchtigkeit der imperialistischen BRD. Für die Kontrolle der Schüler:innen und Lehrer:innen über die Lehrpläne!

Um dafür zu sorgen, dass es keine benachteiligten Stadtteile mehr gibt und dass wir als Arbeiter:innen und Jugendliche gut in unseren Vierteln leben können, ist es nötig, dass wir die Infrastruktur unter unsere Kontrolle bringen. Wir müssen die Immobilienhaie und Großkonzerne enteignen und unsere Wohnungen unter Kontrolle von Mieter:innenkomitees stellen. Es ist nötig, dass städtischen Dienstleistungen, wie Stadtreinigung, ÖPNV, Verwaltung etc. unter die Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden, damit wir uns auch für abgelegene und isolierte Stadtteile eine zuverlässige Anbindung an U- und S-Bahn erkämpfen können.

Des Weiteren sollten wir auch Stadtteilkomitees einberufen, die selbst demokratisch entscheiden und planen, wie ihr Viertel aussehen soll. Teil dieser Komitees sollten auch Ausschüsse gesellschaftlich Unterdrückter sein, z.B. Queers und Migrant:innen, die ihre Bedürfnisse und Interessen einbringen können, um die Reproduktion bürgerlicher Unterdrückungsverhältnisse zu verhindern.

Lassen wir uns nicht spalten – Kämpfen wir dafür, dass unsere Viertel und Städte uns gehören!




Nein zum Gender-Verbot an Schulen!

von Erik Likedeeler, REVOLUTION, Fight! März 2024 (aufgrund der Gesetzesänderung in Bayern leicht angepasst am 21. März 2024 im Vergleich zur Print-Ausgabe )

Es klingt absurd, ist aber wahr: der bayerische Ministerrat und Sachsens Kultusministerium haben sich dazu entschieden, eine geschlechtergerechte Sprache in Form von Sternchen, Doppelpunkt und Binnen-I an Schulen, in Unis und an Behörden (Bayern) sowie an Schulen und deren Behörden (Sachsen) zu verbieten. Der thüringische Landtag hat beschlossen, dass Landesregierung, Ministerien, Schulen, Universitäten und der öffentliche Rundfunk nicht mehr „gendern“ dürfen. Auch in Niederösterreich haben ÖVP und FPÖ durchgesetzt, dass die Nutzung von Sternchen und Binnen-I in den Landesbehörden untersagt wird. Ein FPÖ-Sprecher betonte, es gehe darum, den „Wahnsinn des Genderns“ zu beenden. Diese Gender-Verbote stellen eine weitere Folge des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks in unseren Schulen dar. Sie sind eingebettet in einen internationalen Rollback gegen die Rechte von Frauen und queeren Personen, wie die Angriffe auf das Recht auf Abtreibung in den USA oder Italien oder gesetzliche Verbote für geschlechtsangleichende Maßnahmen oder Verbote von gleichgeschlechtlichen Ehen/Partnerschaften in osteuropäischen Staaten. So haben Rechtspopulist:innen auf der ganzen Welt die sogenannte „Trans- und Gender-Lobby“ zu einem ihrer Hauptfeinde erklärt. Auch unsere Schulen werden zur Zielscheibe ihrer Angriffe. Die zunehmenden Verwerfungen der kapitalistischen Krisen machen Teile des Kleinbürgertums und deklassierter Arbeiter:innen anfällig für diese Ideologie. So sorgen Inflation, zunehmende Konkurrenz, drohender Arbeitsplatzverlust und Sozialabbau dafür, dass viele Cis-Männer ihre zugewiesene Rolle des heldenhaften und starken Ernährers nicht mehr erfüllen können. Die Angst vor dem männlichen Macht- und Identitätsverlust wird zu einem rechten Kulturkampf umgeformt. Die Rückkehr zu konservativen Wertvorstellungen, zu einer Welt, in der doch alles noch besser war, wird ihnen dabei als Lösung verkauft. Der Wirbel um den angeblichen „Wahnsinn des Genderns“ dient als Ablenkung vom eigentlichen sozialen Elend. Doch auch die klassenlose Individualisierung des Kampfes um symbolische Repräsentation soll uns davon abhalten, die eigenen Klassenunterdrückungen zu erkennen. 

Den Rechtspopulist:innen geht es also nicht um eine vermeintlich „richtige“ oder „einfachere“ Sprache. Es geht ihnen darum, Frauen und Queers unsichtbarer zu machen und zurückzudrängen. Dabei greifen sie tief in die Mottenkiste der homophoben und sexistischen Vorurteile, indem sie ihre Gender-Verbote damit begründen, dass es angeblich die Kinder verwirre oder in ihrer Entwicklung beeinträchtige. Unter dem Schlagwort „Frühsexualisierung“ wird nicht nur Jagd auf Gender-Sternchen, sondern auch auf die gleichberechtigte Darstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungsmodelle im Unterricht gemacht. Die angeblichen Interessen der Schüler:innen werden hier argumentativ ins Feld geführt, ohne dass überhaupt die Schüler:innen gefragt wurden. Für den Kampf in der Schule bedeutet dies, dass wir uns nicht auf die Bildungsministerien verlassen können. Jede Errungenschaft kann scheinbar mit einem Regierungswechsel wieder zunichte gemacht werden. Schüler:innen müssen also selbst die Frage der Kontrolle über Lehrpläne und Verhaltensregeln in den Schulen stellen, um das Vordringen rechter und queerfeindlicher Ideologie in unsere Schulen zu stoppen. Was wir für eine gerechte und inklusive Bildung wirklich brauchen, sind Lehrpläne unter demokratischer Kontrolle von Organisationen der Arbeiter:innenklasse sowie Lehrer:innen und Schüler:innen. Selbige müssen selbstverwaltete Antidiskriminierungsstellen an den Schulen erkämpfen, um den Schutz von Mädchen, Frauen und queeren Personen an den Schulen zu garantieren. Es ist nicht das Gendern, was Schüler:innen Probleme bereitet, sondern es ist ein kaputtgespartes Bildungssystem, Lehrer:innenmangel und steigender Leistungsdruck. Doch die bayerische Regierung, das sächsische Bildungsministerium oder die FPÖ denken nicht einmal im Traum daran, an dieser Bildungsmisere etwas zu verändern. Dieser Umstand entlarvt nur noch mehr, dass es ihnen lediglich um den Kampf um ideologische Vorherrschaft und das Zurückdrängen von Frauen und LGBTIA geht. Doch auch Sachsens Lehrerverband (nicht jedoch die Gewerkschaft GEW!) sieht positiv, dass das Gender-Verbot „Klarheit“ und „Barrierefreiheit“ bringen würde. Der Sprecher der FPÖ führte sogar die „Integration“ von Migrant:innen als Grund dafür an, wieso die Partei es bei „einfachen und verständlichen“ Sprachregeln belassen will.

In sprachwissenschaftlichen Studien konnte das Argument jedoch widerlegt werden, dass Gendern für das Gehirn mühsam wäre oder zusätzlichen Aufwand bedeuten würde. Anders als häufig angenommen führen geschlechtergerechte Formulierungen nicht zu langsamerer Verarbeitung, schwächerer Erinnerungsleistung oder schlechterer Lesbarkeit. Das Maskulinum hingegen führt durchaus zu Zögern bei der Verarbeitung und langsamer Reaktion, sobald es geschlechtsübergreifend gemeint ist.

Gleichzeitig sollten wir auch als Linke nicht der Illusion verfallen, dass ein bloßes Ändern unserer Sprache automatisch zu einer tatsächlichen Überwindung gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse führt. Selbst, wenn nun mehr Leute geschlechtergerechte Sprache benutzen, ändert dies leider wenig am Gender-Pay-Gap oder an der Tatsache, dass Frauen immer noch einen Großteil der Haus- und Care-Arbeit leisten.

Anstatt jedoch wie manche Linke den “Kampf um eine inklusive Sprache” abzulehnen, sollten wir diesen viel eher in den Klassenkampf einbinden. Denn in Begriffen stecken implizite Sichtweisen und Wertungen, die beeinflussen können, wie wir bestimmte Gruppen und Ereignisse betrachten. Im besten Fall kann das Verwenden einer bestimmten Sprache unsere Sichtweisen einer breiteren Masse leichter zugänglich machen. Zudem vermittelt inklusive Sprache zusätzlich diskriminierten Personen, dass wir ihre Unterdrückung anerkennen und unsere Befreiungsbewegungen zusammendenken. In diesem Sinne dürfen wir uns keinesfalls der rechten Verbotskultur beugen, sondern müssen dem Gender-Verbot den Kampf ansagen! Denn das, was der bürgerliche Staat als Vertreter des Kapitals am meisten zu fürchten hat, ist eine Arbeiter:innenklasse und Jugend, die sich ihrer gemeinsamen Interessen bewusst ist und gegen die wahren Ursachen ihres Elends ankämpft.

Seid ihr an eurer Schule davon betroffen? Organisiert euch gegen das Verbot und werdet an eurer Schule aktiv! Wir unterstützen euch gerne, auch bei allen anderen politischen Fragen an der Schule!




Gefangen im Schatten der Unterdrückung: Patriarchale Gewalt an Dalit-Frauen in Indien

von Night Ophelia, REVOLUTION, FIGHT! März 2024

Die Situation von Frauen in Indien ist alles andere als homogen. Ihre Realität wird von Faktoren wie gesellschaftlicher Herkunft, Klassen- und Kastenzugehörigkeit, Nationalität und Religion geprägt. Ein kritischer Blick offenbart, dass insbesondere Dalit-Frauen, Angehörige der untersten Kaste, einer besonders unsicheren Lage ausgesetzt sind.

Allgemeines zum Kastenwesen

Das indische Kastensystem ist ein soziales Hierarchiesystem, das die Gesellschaft in verschiedene Gruppen oder Kasten einteilt, basierend auf Beruf und sozialer Stellung. Der Begriffe Kaste selbst stammt ursprünglich aus dem Portugiesischen und überlappt sich nur teilweise mit den indischen Begriffen jati (Gattung, Wurzel) und varna (Farbe), was der Einteilung in vier große Kasten am nächsten kommt: Brahmanen (traditionell intellektuelle Elite, Priester:innen), Kshatriyas (traditionell Krieger:innen, höhere Beamt:innen), Vaishyas (traditionell Händler:innen, Kaufleute, Grundbesitzer:innen, Landwirt:innen) und Shudras (traditionell Handwerker:innen, Pachtbauern/-bäuerinnen, Tagelöhner:innen).

Darunter stehen die Dalits und Adivasi (Indigene). Dazu ist zu sagen, dass die jeweiligen Kasten sich auch noch mal in Subkasten teilen können und das Kastensystem bereits jahrtausende vor der Kolonialisierung zurückreicht. Die Einteilung der Gesellschaft in Kasten entspricht historisch einer Produktionsweise, die selbst auf Gemeineigentum an Produktionsmitteln, einer relativ statischen Arbeitsteilung unter den Gemeindemitgliedern, die Agrikultur und Manufaktur verbindet, sowie einem zentralisierten Staatsapparat, der Beamte, Heer und allgemeine Infrastruktur zur Verfügung stellt, fußt.

Durch die Kolonisierung seitens der Brit:innen wird das Kastensystem keineswegs abgeschafft, sondern vielmehr für die Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse umgewandelt, in gewisser Weise noch prägender. Während der Kastenwesen in der vorkapitalistischen Gesellschaft, die von Marx an mehreren Stellen als „asiatische Produktionsweise“ charakterisiert wurde, Ausdruck eine Gesellschaftsformation war, die auf dem Gemeineigentum an Grund und Boden basierte, so wurde das Kastensystem mit der Kolonisierung, mit der ökonomischen und gewaltsamen Zerstörung der traditionellen Dorfgemeinschaften zu einem Mittel, die privilegierte Rolle der nun mit der kolonialen Herrschaft verbundenen Eliten und das Privateigentum an Grund und Boden (wie an allen andere wichtigen Produktionsmitteln) zu legitimieren.

Vereinfacht gesagt sichert das Kastenwesen die Klassenverhältnisse, erschwert bis verunmöglicht sozialen Aufstieg und verfestigt somit die Spaltung der Gesellschaft wie auch innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen. Klasse und Kaste sind miteinander verwoben, jedoch nicht als Synonym zu verwenden, da  die kapitalistische Produktionsweise selbst Druck auf das Kastenwesen ausübt und es formt.

Dies wird beispielsweise daran deutlich, dass in Indien Diskriminierung aufgrund der Kastenherkunft zwar formal verboten ist (Artikel 15 der indischen Verfassung oder bswp. Scheduled Castes and Scheduled Tribes [Prevention of Atrocities] Act). In Wirklichkeit verhindert aber ungleiche Kastenherkunft oft Heiraten und bestimmt generell Bildungschancen, Gesundheitsversorgung sowie rechtlichen Schutz.  Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Situation von Dalit-Frauen, auch als „Unberührbare“ bekannt, näher anschaut. Sie stehen am untersten Ende dieser Hierarchie und wurden historisch marginalisiert und diskriminiert.

Wer sind Dalit-Frauen?

Laut Zensus (Volkszählung) des indischen Staates von 2011 machen Dalits 16,6 % der indischen Bevölkerung aus, also rund 240 Millionen. Diese sind vor allem in den Bundesstaaten Uttar Pradesh (21 %), Westbengalen (11 %), Bihar (8 %) und Tamil Nadu (früher: Madras; 7 %) konzentriert und machen dort zusammen fast die Hälfte der Dalit-Bevölkerung des Landes aus. Gleichzeitig leben sie auch häufig in ländlichen Regionen und sind deswegen infrastrukturell schlechter angebunden.

Rund die Hälfte der Dalitbevölkerung sind Frauen und auch wenn sich die Diskriminierung auf beide Geschlechter erstreckt, sind diese doppelter Benachteiligung ausgesetzt. Die Verbindung zwischen dem Kastensystem und Patriarchat zeigt sich durch die Kontrolle über die weibliche Sexualität. Das Kastensystem wird durch die Einschränkung der sexuellen Autonomie von Frauen aufrechterhalten. Dies führt zu einem Klima, in dem sexuelle Gewalt und Vergewaltigung als Mittel der Unterdrückung und Machtausübung eingesetzt werden. Diese Gewaltakte dienen nicht nur der physischen, sondern auch der symbolischen Kontrolle, um die soziale Hierarchie aufrechtzuerhalten. Der Widerstand gegen diese Unterdrückung nimmt zu, da Dalit-Frauen und ihre Gemeinschaften für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung kämpfen. Doch bevor wir dazu kommen, ein paar Fakten.

Ökonomische Lage

Das Kastenwesen im Kapitalismus hat eine gesellschaftliche Arbeitsteilung manifestiert, die die unterste Kaste als landlos zurücklässt. So arbeitet der Großteil im informellen Sektor und Dalits sowie Adivasi stellen landesweit den größten Anteil an temporären Arbeitsmigrant:innen dar. Obwohl sie nur 25 % der Bevölkerung ausmachen, stellen sie offiziellen Schätzungen zufolge mehr als 40 % der saisonalen Migrant:innen. Praktisch arbeiten sie in der Landwirtschaft sowie im Baugewerbe und werden häufig in den gefährlichsten, anstrengendsten und umweltschädlichsten Bereichen der Wirtschaft eingesetzt. Auch Anstellung in Bereichen wie der Abwasserreinigung sind nicht untypisch,  die vor allem für den Status der „Unreinheit“ gesorgt haben, da diese von den oberen Kaste als entwürdigend angesehen wurden. Insbesondere diese Arbeit, die zwar gesetzlich verboten wurde, wird heute mehrheitlich von Frauen verrichtet und sorgt dafür, dass sie weniger verdienen als Männer.

Durch die strukturelle Einstellung in schlechter bezahlte, prekäre Jobs kommt es zu größeren Einkommensunterschieden zwischen den Kasten. Zwar hat sich das in den vergangenen Jahren geringfügig verbessert – an der generellen Ungleichheit ändert das jedoch wenig. Für Frauen kommt noch der Gender Pay Gap hinzu, der dafür sorgt, dass sie im gleichen Beruf weniger verdienen.

Ebenso problematisch ist Schuldknechtschaft, die nicht anderes ist als Zwangsarbeit oder moderne  Sklaverei. So können jüngere Mädchen beispielsweise – um Kosten für die Mitgift zu bezahlen – in Spinnereien angeworben werden. Die Eltern warten oft mehrere Jahre, bevor sie das Geld erhalten, das in der Regel niedriger ist als ursprünglich vereinbart. Aber auch die Vererbung von Schulden über Generationen  ist möglich.

Grundsätzlich dient das Kastenwesen dazu, einen segregierten Arbeitsmarkt zu verfestigen und reproduzieren, auf dem die Dalits einen Kern einer permanent überausgebeuteten Arbeiter:innenschaft darstellen, die strukturell gezwungen ist, in ihrer großen Mehrheit unter den Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft zu leben. Allein schon deshalb bildet das Kastensystem keineswegs einen „Überrest“ der Vergangenheit, sondern vielmehr einen integralen Bestandteil des indischen Kapitalismus.

Bildung

Eine Analyse der ILO auf Basis der Daten der Nationalen Stichprobenerhebung

(NSS) deutet darauf hin, dass der Bildungsstand unter Dalits zugenommen hat, jedoch nicht in demselben Tempo wie bei den oberen Kasten. Während in den zwei Jahrzehnten nach 1983 Dalit-Männer eine Verbesserung von 39 Prozentpunkten (56 Prozentpunkte bei anderer Kastenzugehörigkeit) des Bildungsniveaus nach der Grundschule erreichten, sind es bei Dalit-Frauen nur 21 (38 Prozentpunkte bei Angehörigen der oberen Kaste). Ebenso ist die Abbruchquote innerhalb des Grundschulzeitraums hoch. Laut einer Analyse des IndiaGoverns Research Institute machten Dalits im Zeitraum 2012 – 2014 fast die Hälfte der Grundschulabbrecher:innen in Karnataka (früher: Mysore) aus. Das liegt jedoch nicht nur an der Diskriminierung, die während des Schulalltags passiert. Eine 2014 von ActionAid finanzierte Stichprobenerhebung ergab, dass von den staatlichen Schulen in Madhya Pradesh 88 Prozent Dalit-Kinder diskriminieren: So war es in 79 % der untersuchten Schulen Dalit-Kindern verboten, das Mittagessen anzurühren, und in 35 % befohlen, beim Mittagessen getrennt sitzen.

Der Hauptgrund dafür ist, dass die Einkommen der Familien nicht ausreichen, um diese zu ernähren und Kinder somit gezwungen werden, zu arbeiten, was wiederum schlechtere Anstellungsverhältnisse begünstigt.

Gewalt

Während Gewalt gegenüber Frauen ein Klassen (und Kasten) übergreifendes Problem und kastenbasierte Gewalt ebenfalls Alltag sind, wird hier das Ausmaß der gesellschaftlichen Stellung von Dalit Frauen sichtbar. Eine dreijährige Studie über die Erfahrungen von 500 Dalit-Frauen mit Gewalt in vier indischen Bundesstaaten zeigt, dass die Mehrheit mindestens eine der folgenden Erfahrungen gemeldet hat:

– verbale Gewalt (62,4 %),

– körperliche Übergriffe (54,8 %),

– sexuelle Belästigung und Übergriffe (46,8 %),

– häusliche Gewalt (43,0 %),

– Vergewaltigung (23,2 %).

Ebenso werden nach Angaben des National Crime Records Bureau jeden Tag mehr als vier Dalit-Frauen vergewaltigt. Die Dunkelziffer ist jedoch viel höher, da viele solcher Verbrechen nicht gemeldet werden aufgrund Angst vor Gewalt und Einschüchterung sowie Tatenlosigkeit der Polizei und Gerichte. Die mangelnde Erfassung solcher Daten ist dabei ein großes Problem. Zwar gibt es lokale Statistiken, die aufzeigen, dass Sexualstraftaten mehr geahndet und verurteilt werden, wenn die Betroffenen höheren Kasten angehören, das Ausmaß lässt sich aber nur vermuten. Gleiches gilt für Zwangsheiraten sowie verbindliche Aussagen, wie viele Frauen als Devadasis (Prostituierte; ursprünglich bezeichnete der Begriff Tempeltänzerinnen; d. Red.) arbeiten müssen. Ein Bericht von Sampark (niederländische Stiftung für Bildungsfragen; d. Red.) aus dem Jahr 2015 an die ILO stellt fest, dass 85 % der befragten Devadasis aus Dalit-Gemeinschaften stammen. Wie viele es jedoch an sich gibt, ist unklar aufgrund der Weigerung mancher Bundesstaaten, zuverlässige Daten zu erfassen.

Widerstand

Der Widerstand gegen das Kastensystem an sich existiert schon lange. So engagierten sich in den 1920er Jahren beispielsweise Dalit-Frauen in Bewegungen gegen Kasten und Unberührbarkeit, in den 1930er Jahren in der Non-Brahman-Bewegung und haben dafür gekämpft, dass die eigenen Forderungen auch in der Frauenbewegung Indiens aufgenommen werden, was seit den 1970er Jahren auch Wirkung zeigt. Während der Widerstand gegen die gesellschaftliche Unterdrückung von Dalits in Indien zunehmend an Bedeutung gewinnt, steigt jedoch auch die Gewalt gegen diese, vor allem durch Unterstützer:innen der BJP und faschistische Kräfte. Nach besonders schockierenden Vorfällen von Gewalt, Femiziden oder Sexualstraftaten finden dabei regelmäßig Protestbewegungen statt wie im Fall von Manisha. Sie wurde am 14. September 2020 von vier Männern vergewaltigt, ihre Zunge durchgeschnitten und Wirbelsäule gebrochen, sodass sie nach 15 Tagen ihren Verletzungen erlag. Solche Taten sind keine Einzelfälle und führen regelmäßig zu Mobilisierungen und Aufschrei, gegen die anhaltende Gewalt und Unterdrückung vorzugehen. Auch am 4. Dezember 2023 gab es in Jantar Mantar einen größeren Protest, bei dem verschiedene Organisation für die Rechte von Dalits auf die Straße gingen. Ihre Forderungen waren mitunter: Schutz der bestehenden Wohlfahrtsprogramme für Dalits, Anerkennung von Dalit-Siedlungen, indem Eigentumsrechte eingeräumt werden. Landlose sollten für Wohngrundstücke identifiziert und der Besitz sollte für ihre Erben gesichert werden. Ferner wurde die sofortige Umsetzung des Gesetzes zur Abschaffung der Schuldknechtschaft (Bonded Labor Abolition System Act, 1976). 

Was tun?

Die Realität zeigt: Formale Gleichheit auf dem Papier ist zwar ein wichtiger Schritt, reicht aber lange nicht aus, um diese auch in der Praxis umzusetzen. Dabei muss auch klar sein, dass der Kampf gegen den Chauvinismus, den das Kastensystem mit sich bringt, notwendig ist. Schulungen und Aufklärungskampagnen alleine werden jedoch nichts verändern.

Aufgabe muss sein, das Kastenwesen zu zerschlagen und mit ihm die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die es aufrechterhält. Große Worte, die in der Praxis bedeuten, für ein Sozialversicherungssystem, kollektive Organisation der Reproduktionsarbeit sowie ein Mindesteinkommen, gekoppelt an die Inflation, für alle zu kämpfen. Verbunden werden müssen diese Forderungen mit dem Kampf um ein Programm gesellschaftlich nützlicher öffentlicher Arbeiten unter Arbeiter:innenkontrolle, finanziert aus den Profiten der Unternehmen, um für alle freie, kostenlos zugängliche Bildungs-, Gesundheits- und Altenvorsorge zu gewährleisten.

Denn nur wenn die grundlegende Lebensabsicherung für alle gegeben ist, kann die Ungleichheit anfangen zu verschwinden. Dies umzusetzen, ist jedoch einfacher geschrieben als getan. Zum einen kann das Vertrauen, wenn es darum geht, solche Maßnahmen umzusetzen, nicht bei Regierung und Staat liegen. Vielmehr braucht es Komitees von Arbeiter:innen und Unterdrückten, die die Umsetzung kontrollieren. Dabei muss durch eine Quotierung sichergestellt werden, dass auch aus den untersten Schichten Repräsentant:innen sicher vertreten sind.

Zum anderen sorgt Indiens Stellung auf dem Weltmarkt für die massive Überausbeutung großer Teile der Bevölkerung. Um die Kosten der Ausweitung der Sozialversicherung und die Abschaffung des informellen Sektors zu tragen, muss man mit der Politik, die die Überausbeutung schützt, brechen. Das heißt: Schluss mit der Politik für die Interessen von Weltbank, Währungsfonds, USA, Japan und EU! Schuss aber auch mit einer Politik, die die indischen Großkapitale und Monopole fördert! Ansonsten wird es nie möglich sein, fundamentale Verbesserung für die Mehrheit der Bevölkerung einzuführen.

Kurzum: Der Kampf für konkrete Reformen muss mit dem gegen Kapitalismus und Imperialismus verbunden werden. Um die Umsetzung sicherzustellen, braucht es Selbstverteidigungskomitees von Arbeiter:innen und Unterdrückten, die sich gegen die Angriffe von jenen wehren, die das System der Unterdrückung aufrechterhalten wollen.

Der Kampf für die Verbesserung der Situation von Dalit-Frauen ist darin unmittelbar eingebunden. Er bedeutet, für jene Forderungen zu mobilisieren, aktiv zu kämpfen und den Protest zu nutzen, um seitens der Gewerkschaften für organisierte Kampagnen in Stadtvierteln und Dörfern einzutreten, die über den Chauvinismus, der mit dem Kastensystem einhergeht, sowie Sexismus aufklären.

  • Für regelmäßige statistische Erhebungen über die Auswirkungen des Kastenwesens, Geschlecht, sowie Religion auf Beschäftigung und Lebensqualität – kontrolliert durch Gewerkschaften und Ausschüsse der Dalit!
  • Weg mit dem informellen Sektor! Für die flächendeckende Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Berufen!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Weg mit dem Gender Pay Gap, Einführung eines Mindestlohns sowie Mindesteinkommen, das automatisch an die Preissteigerung angepasst wird!
  • Schluss mit Chauvinismus: Zerschlagung des Kastensystems, Kampf dem Hinduchauvisismus und Sexismus, für Aufklärungskampagnen seitens der Gewerkschaften in den Wohnvierteln und Dörfern!
  • Kampf gegen die Reproduktion des Kastensystems in der Linken und den Gewerkschaften, Recht auf gesonderte Treffen von Dalit und Frauen!
  • Kein Vertrauen in die Polizei: Für demokratisch gewählte sowie organisierte  Selbstverteidigungskomitees sowie Meldestellen für Diskriminierung von Organisationen der Arbeiter:innenbewegung!
  • Nein zur Doppelbelastung: Für die Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit unter Arbeiter:innenkontrolle!

Ein solches Programm, das wir hier nur knapp skizzieren können, ist unvereinbar nicht nur mit der Herrschaft der hinduchauvinistischen BJP, sondern mit dem indischen Kapitalismus selbst. Es muss daher im Rahmen eines Programms der permanenten Revolution mit dem Kampf um die Enteignung des indischen und imperialistischen Großkapitals und die Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft verbunden werden. Dazu braucht es den revolutionären Sturz der bürgerlichen Herrschaft in Indien und die Errichtung einer Arbeiter:innen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung, die sich auf Räte stützt.




Der Tradwives-Trend: Hausfrauenromantik und die Rechten

Von Isma Johnson, Revolution, FIGHT! März 2024

Habt ihr schon mal auf TikTok oder Instagram ein Video von jungen Frauen gesehen, die ganz ästhetisch Haushaltstätigkeiten wie Kochen, Putzen oder Kinderbetreuung nachgehen? So kommen viele Menschen, vor allem junge Frauen, das erste Mal mit „Tradwives“ in Kontakt. „Tradwives“ ist die Kurzform für „traditional wives“ und diese „traditionellen Frauen“ wollen den überholten Rollenbildern für Hausfrauen der 1950er Jahre nacheifern. Manche von ihnen tragen auch gleich die Mode dieser Zeit mit Petticoatkleidern und Lockenwicklerfrisuren. Andere orientieren sich eher am Landleben (oder daran, was sie sich darunter vorstellen, Stichwort: die Internetästhetik Cottagecore). Viele von ihnen behaupten, es ginge ihnen nur darum, zu Hause zu bleiben und nicht arbeiten gehen zu müssen, für ihren Mann und ihre Kinder zu sorgen und ihren Lebensstil nach außen zu tragen. Aber neben Kochvideos, Babyinhalten und ästhetischen Bildern tauchen etwa bei Estee Williams, einer Tradwife mit über 140 Tausend Follower:innen auf TikTok, Videos mit ganz anderen Inhalten auf. So erzählt sie ihren Follower:innen z. B.: „Gott erschuf zwei Geschlechter zu unterschiedlichen Zwecken“ und „Die Frau, die Ehefrau ist eine Hausfrau“, erklärt, wie sie den richtigen maskulinen Mann anziehen können, und fordert sie auf, sich ihm nach den Prinzipien der Bibel zu unterwerfen.

Warum sind Tradwives so gefährlich?

Tradwives definieren sich aber nicht nur über die Rolle als Hausfrau. Auch wenn sie diese Tätigkeit ausüben, macht eines sie viel mehr aus: warum sie das tut. Denn hinter der harmlos erscheinenden, ultrafemininen Ästhetik steckt meist, wie bei Williams, die Vorstellung, dass Frauen sich selbst hintanstellen und ihrem Mann unterwerfen sollten. Manche Tradwives distanzieren sich zwar ausdrücklich vom ultrarechten Teil der Bewegung und hängen verschiedenen (konservativen) Ideologien an, aber immer beruhen diese darauf, Geschlechterrollen zu festigen. Das zeigt sich schon darin, dass eine „traditionelle Frau“ ganz andere Aufgaben übernehmen soll als ein „traditioneller Mann“. Wie sie sich verhalten soll, ist festgeschrieben und etwas dazwischen soll es erst recht nicht geben.

Das Spektrum von Tradwifethemen beginnt bei eher konservativen Frauen, deren Fokus vor allem auf „traditionellen“ Rollen, konservativen Werten und Hausarbeit liegt, welche subtil in Vergleich zur abgelehnten modernen Welt gesetzt werden. Von da aus besteht ein fließender Übergang zu solchen mit größerem Fokus auf Tradition und Nationalismus, die offen Antifeminismus, Queerfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus und antiwissenschaftliche Standpunkte (insbesondere gegen Impfungen) vertreten und via Social Media bewerben. Also alles, was die extreme Rechte und Verschwörungstheorien zu bieten haben, aber eben unter dem Deckmantel einer harmlosen „Stay-at-Home-Mom“. Die Hyperfeminität dient also dazu, die dahinterstehende autoritäre Ideologie zu verschleiern und so massentauglicher zu werden. Der religiöse Teil der Bewegung versucht auch, durch Bibelverse Frauen von ihrer aufgezwungenen Geschlechterrolle zu überzeugen, zum Beispiel durch Epheser 5.22: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn.“

Auch haben die unterschiedlichen Regulationen von Plattformen eindeutig einen Einfluss auf den Inhalt der Posts. Das etwas weniger regulierte und moderierte TikTok wird beispielsweise eher genutzt, um ideologische Inhalte zu posten, wohingegen auf Instagram eher ästhetische Inhalte verbreitet werden sollen und somit auch oftmals als Startpunkt für eine Radikalisierung dienen können. Auch die sind aber keineswegs harmlos, da neben #traditionalwomen auch rechte Dogwhistles (Nutzung einer Sprache, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden werden kann) wie #redpillwomen unter den Posts genutzt werden – ein Hashtag der auf radikalen Antifeminismus und Incels verweist und den Abstieg in die Alt-Right-Bubble bedeuten kann. Nicht zufällig ist die Tradwife-Bewegung in den USA nach den Wahlen 2016, aber auch aus der europäischen Identitären Bewegung entstanden, um das sogenannte „Frauenproblem“ zu lösen, also bewusst mehr Frauen für die männerdominierten Bewegungen anzuwerben. Dabei ist die Beteiligung von Frauen an der extremen Rechten nichts Neues. Schon der Ku-Klux-Klan der 1960er Kahre hatte eine Frauenorganisation, die Männer bei rassistischen Angriffen bis zu Vergewaltigungen und Morden unterstützte, indem die Frauen aktiv ihre Ideologie verbreiteten, neue Mitglieder anwarben und Proteste organisierten. Sie halfen auch an der Schule, beispielsweise durch Bibelkunde, ihre Ideologie bereits in der Jugend zu verbreiten, und traten im Wahlkampf für ihre Kandidat:innen ein, indem sie negative Propaganda über die Gegner:innen verbreiteten, um sie auszustechen.

Auch manche Radikalfeministinnen oder TERF’s (trans exkludierende Radikalfeminist:innen) entwickeln sich in die Richtung von „Tradwifery“, obwohl sie zunächst entgegengesetzt erscheinen. Denn Tradwives wollen sich ja eigentlich von den „Ketten“ des modernen Feminismus befreien und ihren Follower:innen erzählen, die Ablehnung von Femininität, Häuslichkeit und Familie würde sie erst so derart depressiv machen und dafür sorgen, dass sie nicht als heiratsfähig angesehen werden würden. Trotzdem sind sich die beiden Gruppen in einer Hinsicht einig: dem biologischen Essentialismus. Beide behaupten, Frauen und Männer hätten tiefer liegende Eigenschaften durch ihre Biologie oder Genitalien, feiern die Rolle der Mutter (die für sie nur Frauen einnehmen können) und lehnen Geschlechtsidentitäten ganz ab.

Warum liegen Tradwives auf einmal so im Trend?

Aber warum bekommen Tradwives überhaupt so viel Aufmerksamkeit und Zuwachs? Sie stellen eine vermeintliche Flucht aus den Tiefen des Kapitalismus dar. Wer möchte nicht dem ständigen Stress des Alltags mit Leistungsdruck am Arbeitsplatz und der gleichzeitig ständig anfallenden Haus- und  Carearbeit entfliehen? Es ist ein Fakt, dass Frauen am Arbeitsmarkt und zuhause in der Reproduktionsarbeit mehr ausgebeutet werden als Männer, da sie einerseits nach wie vor weniger verdienen und andererseits aufgrund der Geschlechterrollen den Großteil der anfallenden Reproduktionsarbeit planen und durchführen. Sie müssen also arbeiten gehen und sich und ihre Familie in der „Freizeit“ wieder arbeitstauglich machen, indem sie die Ware Arbeitskraft reproduzieren. Das schließt das Kochen, Putzen etc. mit ein, aber auch emotionale Sorgearbeit und die Reproduktion der Klasse an sich, indem neue Kinder, später dann Arbeiter:innen, herangezogen werden. Tradwives wissen, dass das schwer möglich ist und für viele eine extrem Anstrengung darstellt, die sie bis zum Burnout bringen kann. Und so behaupten sie ganz nach dem Motto „Früher war alles besser“, Frauen sollten ihre Ausbeutung verringern, indem sie die Arbeitswelt einfach wieder verlassen. Hinzu kommen die Unsicherheiten des modernen Kapitalismus, dass man vielleicht auch erstmal gar nicht weiß, wer man sein will und was man mit sich und seiner Arbeitskraft anfangen soll, also z. B. welchen Job man ausführen soll. Das ist das Dilemma der doppelt freien Lohnarbeit, welches sich mit der Ausdifferenzierung des Kapitalismus immer weiter zugespitzt hat: frei von eigenen Produktionsmitteln, aber auch in der Entscheidung, wem eigentlich die Arbeitskraft verkauft werden soll. Tradwives bieten dagegen eine feste Rolle statt dieser Unsicherheiten und stellen die traditionelle Familie als Lösung für das ganze Dilemma dar. Damit soll ein Halt in dem ganzen Chaos geboten werden.

Außerdem sollen Kinder und Jugendliche durch die mütterliche Betreuung vor „schlechtem“ Einfluss geschützt werden. Müttern, besonders in den USA, wird Angst gemacht, dass ihre Kinder in der staatlichen Schule nur etwas über „woke Ideologie“, Genderwahn und letztendlich Kommunismus lernen würden, was natürlich weit von der Wahrheit entfernt ist. Aber auch sehr reale Probleme bewegen (werdende) Mütter dazu, sich nach anderen Modellen als der staatlichen Schule und der Kita zu sehnen. In Deutschland etwa Angst vor schlechter Betreuung durch überlastete Kitas und schlechte Betreuungsschlüssel.

Hausfrau werden ist nicht die Lösung!

Aber kann das Leben als Tradwife diese Probleme wirklich lösen? Bietet die Alt-Right wirklich eine Alternative zur modernen kapitalistischen Ausbeutung an? Natürlich nicht, denn sie will den Kapitalismus nicht überwinden. Vielmehr ist die Reproduktionsarbeit, die größtenteils die Frauen der Arbeiter:innenklasse verrichten, notwendig, damit der Kapitalismus funktioniert, denn ohne sie würde sich niemand mehr regenerieren und dann arbeiten gehen können. Die traditionelle, bürgerliche Familie, die Tradwives mit aller Kraft als das ideale Leben bewerben, ist entscheidend für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft im Kapitalismus und auch in rechten Ideologien spielt sie eine Schlüsselrolle. Dort soll nämlich das „Volk“ durch Fortpflanzung in der Kleinfamilie erhalten werden, ohne dass wiederum laut Rechten die Nation untergeht. Die Alt-Right sieht Tradwives als Lösung an, da sie genau ihr essentialistisches Weltbild, ihre Vorstellung davon, was eine Frau „natürlicherweise“ ist, ausleben.

Dass das ganze Konzept einen augenscheinlichen Klassencharakter beinhaltet, dürfte klar sein. Denn welche Familie der Arbeiter:innenklasse kann sich bitte eine Frau, die gar nicht arbeiten geht, leisten? Gerade in Zeiten von Krise, Inflation und massivem Reallohnverlust ist das vor allem ein Lebensentwurf des Kleinbürger:innentums und der lohnabhängigen Mittelschichten, was sich auch in der Verbindung zu rechten Bewegungen zeigt, für die, wie im Fall des Faschsimus, das Kleinbürger:innentum die Klassenbasis darstellt. Für die unteren Klassen – vor allem in Halbkolonien – ist es eher eine Utopie, die sich im Kapitalismus nicht erfüllen lässt. Für die herrschende Klasse stellt das Ganze sowieso nichts Erstrebenswertes dar, denn die lässt die Reproduktionsarbeit sowieso von Angestellten erledigen, da für sie kein Arbeitszwang besteht und die ganze Familie von der Ausbeutung anderer lebt. Früher war das etwas anders. Da konnten auch besserverdienende Schichten der Arbeiter:innenklasse, zum Beispiel die Arbeiter:innenaristokratie, in den imperialistischen Kernzentren und in einigen Halbkolonien ihre Familie mit ernähren, ohne dass die Frau selber einer Lohnarbeit nachgehen musste. Aber das ist spätestens seit Beginn der Phase des Neoliberalismus in den 1980er Jahren immer weniger möglich, da das Profitstreben des Kapitals danach verlangte, auch Frauen immer mehr in den Arbeitsmarkt zu integrieren, während gleichzeitig die Löhne immer weiter sanken. Daher ist klar, dass dass das Ideal der bürgerlichen Familie für die Arbeiter:innenklasse noch nie vollumfänglich erreichbar war, heutzutage allerdings weniger denn je. Dennoch wurde die bürgerliche Familie zur prägenden ideellen und materiellen Form und damit auch zu einem Kern reaktionärer Geschlechterrollen. Diese Verallgemeinerung basiert auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Und durch die Tradwive-Bewegung kann es auch hier die Auswirkung haben, dass Geschlechterrollen wieder weiter gefestigt werden, indem die Arbeiterinnen weiterhin bzw. wieder vermehrt der Reproduktionsarbeit nachgehen, während sich ihre Lohnarbeit im vermeintlich flexiblen Niedriglohnsektor ansiedelt, da sie so eben auch in der Lage sind, neben ihr auch der Reproduktionsarbeit nachgehen zu können, da sie nicht Vollzeit arbeiten.

Obwohl argumentiert wird, dass das Hausfrau-Sein an sich unproblematisch ist und erst die Ideologie von Tradwives das Problem darstellt, muss ganz klar unterstrichen werden: Eine Hausfrau ist materiell abhängig. Frauen, welche Hausfrauen werden („wollen“), indem sie gar nicht arbeiten gehen oder auf Teilzeit- bzw. Minijobbasis angestellt werden, werden nach wie vor ausgebeutet, bekommen kein oder nur viel weniger Geld und werden so um einiges abhängiger von ihren Männern. Und das geben Tradwives auch offen zu und finden das sogar super: „Er überwacht die wichtigsten Finanzen. Wenn ich Geld und Kleingeld für ein Sofa ausgeben will, sagt er ,Nein’, denn er weiß, was rein- und rausgeht“, schreibt die britische Tradwife Alena Pettitt. Aber das ist wirklich gefährlich: Aus finanziellen Gründen schon können Frauen sich hier zum Beispiel nicht mehr trennen, und ihre Männer können mehr Kontrolle über sie ausüben – ihre „frei gewählte“ Ideologie wird also durch ihre materiellen Umstände zum Zwang. Es ist auch so, dass manchen Männern das sehr deutlich bewusst ist und sie dann teilweise (körperliche) Gewalt anwenden, um zu bekommen, was sie wollen, ohne sich darüber Sorgen zu machen, dass ihre Frau sich trennen wollen könnte. Auch das Thema Altersarmut darf nicht unterschätzt werden. In Deutschland beispielsweise bekommt man erst eine gesetzliche Rente, wenn man mindestens 5 Jahre gearbeitet und Beitrag gezahlt hat. Das kann zwar durch einen Anspruch auf Mütterrente oder diverse staatliche Zuzahlungen auch erreicht werden, jedoch fällt die Altersrente dann trotzdem deutlich geringer aus als bei Männern, die Vollzeittätigkeiten nachgegangen sind. Da Frauen häufiger im Niedriglohnsektor tätig sind und oftmals nicht Vollzeit arbeiten, bekommen sie in Deutschland durchschnittlich monatlich 314 Euro weniger Rente (Stand für das Rentenjahr 2022). Doch das ist natürlich nur ein Durchschnitt, wo es auch mitunter deutliche Schwankungen gibt.

Für eine echte Perspektive gegen Frauenunterdrückung!

Der bürgerliche Feminismus kann die aufstrebende Tradwife-Bewegung jedoch nur bedingt bekämpfen und gibt ihr sogar einen gewissen Aufschwung. Er bietet nämlich keine (langfristige) Lösung gegen Ausbeutung und Reproduktionsarbeit, sondern kann diese höchstens auf mehr Menschen verteilen. Doch hier zeigen sich bereits die Grenzen der kapitalistischen Wirtschaftsweise: So leisten Frauen täglich immer noch durchschnittlich 74 Minuten mehr Hausarbeit in Deutschland als ihre Männer. Diese Messung bezieht sich jedoch nur auf ausgeführte Tätigkeiten und klammert das äußerst anstrengende Planen und Delegieren von Aufgaben aus, was auch zumeist Frauen übernehmen müssen. Hinzu kommen Reiche, die sich Angestellte holen und keinen Finger im Haushalt krümmen. Eine gerechte Aufteilung sieht wirklich anders aus. Denn selbst zu einer besseren Umschichtung von Reproduktionsarbeit ist insbesondere der liberale Feminismus überhaupt nicht in der Lage. Die Märchen des Girlboss-Feminismus und des Choice-Feminismus individualisieren die Frauenunterdrückung und zeigen als vermeintliche Lösung nur auf, dass jede sich ihren eigenen Platz im System erkämpfen solle und ihr freistünde, ob sie sich für Kinder, Küche oder Karriere (oder am besten alles zusammen) entscheidet. Auch die anderen Feminismen haben keinen Lösungsentwurf parat, da sie die Klassengesellschaft, auf der die Frauenunterdrückung basiert, nicht mit einbeziehen und das Patriarchat als etwas vom Kapitalismus bzw. der Klassengesellschaft Losgelöstes betrachten. So kommt es aber dazu, dass Arbeiterinnen und auch schon ihre Töchter sich eine Zukunft im Kapitalismus mitsamt Lohn- und Reproduktionsarbeit nicht vorstellen können und verzweifelt nach Alternativen suchen. Es ist unsere Aufgabe, ihnen eine echte Perspektive aufzuzeigen.

Dafür müssen wir das traditionelle Rollendenken hinter uns lassen, zusammen mit dem kapitalistischen System an sich. Auch einfach Lohn für Hausarbeit zu zahlen, würde das Problem nicht auflösen: Die ökonomische Abhängigkeit würde bedingt besser werden, aber die geschlechtliche Arbeitsteilung, sowie die Isolation von Frauen als Hausfrauen würden weiter bestehen bleiben. Deswegen muss unsere Lösung eine andere sein: Wir müssen die Reproduktionsarbeit auf alle Schultern der Gesellschaft aufteilen. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass statt individuellem Essen Mensen eingerichtet werden, wo jede/r lecker und gesund essen kann, aber auch jede/r mal für die Zubereitung und das Aufräumen zuständig ist. Ähnliche Konzepte muss es dann auch für das Putzen und die Kinderbetreuung geben.

Denn nur, wenn wir das kapitalistische System überwinden und Wohnraum sowie Hausarbeit vergesellschaften, die Betriebe unter Arbeiter:innnekontrolle stellen und massiv in Bildung, Soziales und Gesundheit investieren, können wir Frauen (und letztendlich auch alle anderen Menschen) entlasten und so auch die Gesamtarbeitszeit reduzieren. Nur indem wir als Arbeiter:innenklasse und Jugend gemeinsam und demokratisch die Arbeit aufteilen und die Produktion planen und verwalten, können wir der doppelten Ausbeutung von Frauen nachhaltig entgegenwirken und strukturelle Überlastung bekämpfen. Dafür müssen wir uns an Schulen, Unis und in Betrieben organisieren und Aktionskomitees aufbauen. Auch braucht es die Bekämpfung von Vorurteilen gegenüber Frauen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung sowie einen internationalen Zusammenschluss, der die Kämpfe koordiniert. Nur so können wir eine internationale multiethnische antikapitalistische Frauenbewegung aufbauen, die eng mit der Arbeiter:innneklasse zusammenarbeitet, welche dann gemeinsam mit allen Unterdrückten und Ausgebeuteten in der Lage ist, den Kapitalismus zu überwinden. Gleichzeitig besteht auch die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen kommunistischen Partei und einer neuen Internationale, die die Kämpfe anführen und zuspitzen kann.

Auch Social Media – ein beispiellos falscher Begriff für die Datenkraken und Geldmaschinen im kapitalistischen Internet – müssen wir den Multimilliardär:innen und ihrem für uns schädlichen Profitinteresse entreißen und stattdessen demokratisch als Arbeiter:innen und Jugendliche überwachen und kontrollieren, damit niemand von uns mehr in eine Alt-Right-Falle tappt, nur weil wir ein Kochrezept geliket haben. Für ein sicheres Social Media für alle, statt maximalen Profiten für einige, müssen wir Konzepte entwickeln, die unseren Bedürfnissen als Gesellschaft entsprechen und ihre Rolle im Kapitalismus hinterfragen.




Bundeswehr raus aus der Schule – Katastrophenschutz sieht anders aus!

von Leonie Schmidt, März 2024

Die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) macht aktuell auf sich aufmerksam, indem sie sich für mehr „Zivilschutzübungen“ an Schulen einsetzt. In Zeiten von Kriegen, Umweltkatastrophen und Pandemien ist das auf den ersten Blick ein nachvollziehbares Anliegen. Doch was zunächst vielleicht harmlos erscheint, soll ganz andere Ausmaße annehmen. Stark-Watzinger möchte nämlich, dass auch die Bundeswehr sich an die Schulen begibt und diese ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ entwickeln müssten. Die Bedrohung der Freiheit solle so uns Jugendlichen nähergebracht werden. Aber hey, wenn wir dann weniger Mathe-Aufgaben lösen müssen, ist das doch voll entspannt, oder nicht?! Wir finden, die Bundeswehr hat an der Schule nichts verloren. Warum, wieso und weshalb, lest ihr hier in diesem Artikel.

Jugend im Krieg – voll normal und niemand kann was dafür?

Die Forderungen von Stark-Watzinger reihen sich ein in eine Vielzahl von Stimmen, die mit aller Kraft uns Jugendliche für eine Tätigkeit bei der Bundeswehr rekrutieren wollen. Minister:innen, die über die Wiedereinführung der Wehrpflicht plaudern, eine KIKA-Show, die Panzer über deutsche Waffenlieferungen in die Ukraine reden lässt,  oder auch die Bundeswehr selber, die auf Gaming-Messen Stände unterhält und das Ermorden von „menschlichen Zielen“ dort als Spielspaß für Nerds darstellt (schließlich ist der asymmetrische Krieg durch Drohnen jetzt voll digital). Selbst bei den Kleinsten unserer Gesellschaft wird schon angesetzt: zum Tag der Bundeswehr gibt es immer ein familienfreundliches Programm in den Kasernen mit Hüpfburgen, Kinderschminken und natürlich Panzerbesichtigungen, damit auch Generation Alpha schon den Traum entwickeln kann, später einmal das deutsche Kapital zu beschützen. Denn die Bundeswehr hat Personalmangel und wer könnte besser deutsche Interessen verteidigen, als Jugendliche, die nicht wirklich wissen, was sie später beruflich einmal machen wollen? Das ist natürlich problematisch, denn so werden wir jungen Menschen mit absurden Versprechungen und viel Geld an die Front gelockt. Wir dürfen mit 17 Jahren noch nicht mal wählen, aber uns für eine Ausbildung bei der Bundeswehr verpflichten und mit Schusswaffen üben geht klar. Mit 17 dürfen wir zwar noch nicht in den Einsatz geschickt werden, sobald wir 18 sind, ist das aber im „Spannungs- oder Verteidigungsfall“ durchaus schon möglich. All das bedeutet in Folge meist Posttraumatische Belastungsstörung, Mobbing und sexualisierte Gewalt inklusive, wenn wir nicht vorher schon für unser Heimatland verreckt sind.

Aufrüstung soweit das Auge reicht

Die Bundeswehr muss wieder kriegstüchtig werden, so ist sich zumindest die herrschende Klasse einig. In den letzten Wochen wurde sogar über eine deutsche bzw. europäische atomare Aufrüstung debattiert. Aus der Sicht der Imperialist:innen völlig nachvollziehbar, denn die Blockbildung und die Konflikte im Kampf um die Neuaufteilung der Welt nehmen jährlich zu, wie wir es unter anderem in der Ukraine beobachten können, aber auch z.B. in Taiwan oder Palästina. Als Neuaufteilung der Welt bezeichnen wir die Bestrebungen der imperialistischen Mächte, wie z.B. der USA, China und der EU, die Welt und somit ihre Einflusssphären neu aufzuteilen. Sie tun dies, da das Zeitalter der Globalisierung vorbei ist und es keine neuen Märkte mehr zu erschließen gibt, was aber für anhaltende Profite, aufgrund der fallenden Tendenz der Profitrate, von Nöten wäre. Die EU, unter anderem also auch Deutschland, steht da aktuell eher schlecht da, da sie in den letzten Jahren deutlich an Einfluss verloren hat. Aufgrund der ideologischen Verschleierungen rund um den Ukraine Krieg scheint es, als ob sich der Krieg nicht um die verschiedenen internationalen Einflusssphären, Kapitalinteressen und deren Verteidigung drehe, sondern dass es sich hier um einen Kampf zwischen Demokratie und Autokratie handeln würde. Für viele Teile der Bevölkerung, ist dieser Gedanke scheinbar unterstützenswert und sie sind der Ansicht, dass eine Demokratie auch wehrhaft sein müsste. Das liegt in großen Teilen an der ideologischen Aufladung des Ukraine-Krieges, der in den bürgerlichen Medien vielerorts den Stempel eines „Neuen Kalten Kriegs“ bekommen hat. Bei einer repräsentativen Befragung von Menschen ab 16 Jahren in Deutschland befürworteten 57 % weitere Erhöhung des Verteidigungsetats sowie der Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (ZMSbw 2023). Nur 8% forderten eine Abrüstung (ebenda). Des Weiteren standen 9 von 10 Befragten der Bundeswehr positiv gegenüber (ebenda). Kein Wunder also, dass die Stimmen der Kriegsminister:innen aktuell wenig Gegenwind erfahren. So mischt zum Beispiel auch die Gewerkschaft IG Metall munter mit, in dem sie sich zu Beginn des Jahres den Aufrüstungsvorhaben der Bundeswehr anschloss und so die Interessen von Arbeiter:innen und uns Jugendlichen verriet. Damit stellt sie sich nicht nur auf die Seite der Regierung, sondern auch auf die der sogenannten Arbeitgeber:innen: so befindet sich der Rüstungskonzern Rheinmetall nun kurz vor der Verzehnfachung ihrer Artillerieproduktion.  Die Ampel selber konnte schließlich auch 100 Milliarden für die Aufrüstung aus dem Ärmel schütteln, während in den meisten sozialen Bereichen massiv gekürzt wurde. Kürzungen betreffen die Hilfen für Kinder und Jugendliche aus ärmlichen Verhältnissen, Frauenhäuser, das Gesundheitssystem aber auch den Umwelt- und Katastrophenschutz. Nebenbei bedeutet der massive Reallohnverlust für viele Arbeiter:innen und ihre Kinder, dass sie sich Alltägliches nicht mehr leisten können und überall sparen müssen. Aber Hauptsache, niemand geht der Freiheit und der demokratischen Grundordnung an den Kragen! Dieses ideologische Einstimmen auf die Militarisierung soll nun an unseren Schulen zur Realität werden. Doch die Kriege nützen nur der herrschenden Klasse. Auch aus einer ökonomischen Perspektive macht Kriegsführung für sie Sinn, denn so können sie in Krisenzeiten, in denen die Absatzmärkte einbrechen, überflüssiges Kapital vernichten, indem sie dieses z.B. in Aufrüstung stecken und dann im Falle eines erfolgreichen Kriegs auch noch ihre Einflusssphäre ausweiten. Doch im Interesse von uns Jugendlichen und der Arbeiter:innenklasse ist das alles nicht: Es ist nicht die herrschende Klasse, die im Waffen- und Bombenfeuer sterben wird oder die aufgrund von Ressourcenknappheit hungern muss, sondern wir sind es! Daher sagen wir ganz klar: Kein Cent, kein Mensch dem Militarismus.

Die Bundeswehr könnte in Fällen von Aufständen und Unruhen im Landesinneren natürlich ebenso gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, auch wenn das niemand gerne zugibt. Gerade in Zeiten von Krisen sollten wir jedoch vor dieser Möglichkeit nicht die Augen verschließen. Zwar ist die Bundeswehr hauptsächlich für die Verteidigung nach Außen eingesetzt, jedoch ist ihre Aufgabe der Schutz des Landes und der demokratischen Grundordnung. Ein Generalstreik umzingelt von Leopard-Panzern? Nicht so der Vibe!

Da in Deutschland bald Wahlen anstehen, werfen wir hierauf noch einen kurzen Blick: Die AfD fordert besonders aktiv die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Da mit dem Rechtsruck Abschottungspolitik und Nationalismus noch mehr in den Fokus rücken, als es jetzt ohnehin schon der Fall ist, muss uns klar sein, dass wir uns nicht nur gegen die Militarisierung, sondern auch gegen den Rechtsruck im Allgemein organisieren müssen.

Katastrophenschutz? Der Kapitalismus ist die Katastrophe!

Bevor wir zu unserer Perspektive kommen, wollen wir hier noch kurz auf die Doppelmoral des Katastrophenschutzes schauen. Erstmal ist es natürlich nicht grundsätzlich abzulehnen, dass die Bevölkerung in der Lage versetzt werden soll, sich zu schützen, und dies auch schon in der Schule thematisiert werden soll. Ironischerweise wird gerade das jedoch immer wieder skandalisiert, wenn auf die Geschichte der degenerierten Arbeiter:innenstaaten, wie der DDR oder der UdSSR geblickt wird, in denen solche Übungen gängige Unterrichtsinhalte waren. Doch selbst, wenn wir den Krieg mal ausblenden, so sind auch die anderen möglichen Katastrophen solche, die uns der Kapitalismus und die herrschende Klasse bescheren. Insbesondere bei der Umweltkrise leuchtet das schnell ein. Natürlich ist es für die Bourgeoisie bequemer, uns darauf zu drillen uns im Falle einer Umweltkatastrophe so oder so zu verhalten, anstatt die Ursachen für diese Katastrophen und das Leid selber aufzuheben. Es ist jedoch nicht nur bequemer, sondern es wäre auch gar nicht in ihrem Interesse, denn den Katastrophen kann letztlich nur ein Systemwechsel ein Ende setzen, was für die Kapitalist:innen bedeuten würde, ihre Privilegien und ihren Besitz an Produktionsmitteln aufgeben zu müssen.

Okay – und jetzt?

Wir finden, die Bundeswehr sollte sich nicht vor unsere Schulklassen stellen und das Morden in aller Welt im Interesse des deutschen Kapitals als etwas Erstrebenswertes verkaufen. Falls ihr also hört, dass die Bundeswehr in eurer Schule vorbeischauen will, sagt uns und eueren Mitschüler:innen Bescheid, damit die Veranstaltung blockiert werden kann. Dafür kann man sich erstmal in der Schule treffen, Flyern, einen Bannerdrop planen oder auch eine Vollversammlung ausrufen. Damit das klappt, ist es auch sinnvoll, eine antikapitalistische, linke Schulgruppe aufzubauen. Sagt uns gerne Bescheid, wenn ihr Hilfe braucht! Als kommunistische Jugendorganisation haben wir damit schon viel Erfahrung sammeln können.

Doch nur an der Schule können wir die Militarisierung nicht aufhalten. Wir müssen uns in allen Teilen unseres Lebens organisieren, als Jugend und zusammen mit der Arbeiter:innenklasse. Wir müssen daher auch eine neue Jugendinternationale und eine neue revolutionäre Partei aufbauen. Außerdem braucht es eine massenhafte Anti-Militarisierungsbewegung, an der auch die Gewerkschaften und die reformistischen Arbeiter:innenparteien teilnehmen, auch wenn sie uns gerade massiv in den Rücken fallen. Die Gewerkschaften müssen durch Basisoppositionen zurückerobert werden. Nur mit ihnen und der Arbeiter:innenklasse lässt sich das Morden beispielsweise durch Blockaden von Waffenlieferungen beenden und letztlich der Kapitalismus durch eine revolutionäre Systemüberwindung zerschlagen. Denn: wahren Frieden kann es in der Klassengesellschaft nicht geben, erst der Sozialismus kann diesen uns und allen Menschen auf der Welt ermöglichen. Lassen wir nicht zu, dass wir, unsere Freund:innen, unsere Mitschüler:innen, unsere Bekannten, unsere Familien und unsere Nachbar:innen zu Kanonenfutter werden. Konkret setzen wir uns für die folgenden Forderungen ein:

  • Für eine revolutionäre Jugendinternationale! Die Jugend braucht eine unabhängige und internationale Vertretung. Für den Aufbau einer Schüler:innengewerkschaft, die unsere Interessen gemeinsam mit der Arbeiter:innenklasse vertritt und durchsetzt!
  • Nein zur Wehrpflicht! Wir wollen kein Kanonenfutter sein!
  • 100 Milliarden für Soziales, Bildung und die Jugend und nicht für die Bundeswehr! Gegen jede Aufrüstung aller imperialistischen Nationen, ob Russland oder Deutschland!
  • Für eine Antikriegsbewegung international! Nur die Arbeiter:innen können den Konflikt lösen.



Statement zu Angriffen auf uns und ein Outing von Aktivist:innen in Lüneburg

Von REVOLUTION Lüneburg, März 2024

Seit November ziehen sich durch die linke Szene in Lüneburg Gerüchte über ein Outing von zwei Aktivist:innen aus den lokalen Antifa-Gruppen, das von unserer Organisation ausgehen würde. Seit November letzten Jahres versuchen unsere Genoss:innen vor Ort die Situation aufzulösen. Gesprächsangebote jeglicher Art, auch E-Mails usw. blieben bis heute ohne Antwort.
Vor einer Woche bekamen wir das Outing das erste Mal auf einem Treffen zu sehen. Dieses Outing hatte eine Reihe an antisemitischen Beleidigungen, sowie physische Angriffe auf die Aktivist:innen, die darin erwähnt werden, zur Folge. Diese Angriffe verurteilen wir zutiefst und sind durch nichts zu entschuldigen! Wir distanzieren uns in jeder Form von diesen Angriffen und den Beleidigungen und machen an dieser Stelle nochmal deutlich: Wir stecken weder hinter dem Outing noch hinter den Angriffen und heißen beides nicht gut!
In einer auf das Outing folgende Stellungnahme beschreibt ein Aktivist der Antifa Lüneburg/Uelzen, auch mit Messern bedroht worden zu sein. Wir stehen solidarisch mit allen Antifaschist:innen, die von solchen Übergriffen betroffen sind.
Bei aller Solidarität müssen wir trotz alledem einige Dinge, die von den Betroffenen in die Welt getragen werden, ganz klar verurteilen und richtigstellen.
In einer Mail an das „Lüneburger Netzwerk gegen Rechts“ sind viele Lügen vorhanden, zu denen wir hier Stellung beziehen wollen.

1. REVOLUTION sind Antisemit:innen & Hamas-Freunde

Wir haben uns in unseren Reden, durch unsere Banner und Materialien klar gegen Antisemitismus positioniert und werden dies auch weiterhin tun. Unsere Perspektive und Vorstellung für eine Lösung des Nahost-Konfliktes ist sicherlich eine andere, als die der Antideutschen. Wir stehen weiterhin und offen: Für eine freie, sozialistische und säkulare Perspektive und einen Staat in dem alle Menschen, unabhängig von Ethnie und religiöser Zugehörigkeit gleichberechtigt leben können. Dass das nicht antisemitisch ist, sollte klar sein und die Diffamierung dieser Perspektive als Antisemitisch macht tatsächlichen Antisemitismus unsichtbar. Zu diesem Vorwurf haben wir schon oft Stellung bezogen, für eine Ausführliche Stellungnahme wollen wir auf diesen Artikel von uns verweisen: https://onesolutionrevolution.de/unsere-solidaritaet-mit-palaestina-war-niemals-antisemitisch-ist-nicht-antisemitisch-und-wird-auch-nie-antisemitisch-werden/
Zu Hamas haben wir uns zuletzt in unserem Artikel „Hamas = ISIS?!“ wie folgt geäußert:
„Das offensichtliche zuerst: Fortschrittliche Kräfte sollten weder die Ideologie, das politische Programm noch die Kampfmethoden der Hamas supporten. Verbunden mit der undemokratischen und elitären Ausrichtung auf den Kampf einiger Tausend Milizionäre sowie der wachsendem Strategielosigkeit, führte das zum sinnlosen Massaker an hilflosen israelischen Zivilist:Innen, was nicht nur menschlich schockierend und militärisch sinnlos war, sondern auch die Reihen im israelischen Staat geschlossen und die Bevölkerung dahinter weitestgehend geeint hat.“ ~ https://onesolutionrevolution.de/hamas-isis/

2. Revolution ist verantwortlich für die Angriffe auf die Aktivist:innen der lokalen Antifa-Strukturen

Zitat: „Außerdem sind die beiden Revo-Leute für verschiedene Angriffe auf Antifaschist*innen in Lüneburg verantwortlich. In den vergangenen Monaten gab es mehrere Bedrohungen und Beleidigungen. Trauriger Höhepunkt war eine Bedrohung mit einem Messer am 8. März 2024.“
Auch davon distanzieren wir uns entschieden! Wir heißen diese Taten nicht gut, warum also sollten wir sie begehen?!

Am 04. November bemerkten unsere Genoss:innen, dass einer der Aktivist:innen die vom Outing betroffen sind Fotos von einer Kundgebung in Solidarität mit den Menschen in Gaza anfertigt. Da persönlicher Kontakt zu Personen aus diesen Strukturen bestand, fragte ein Genosse, was mit den Fotos passieren solle und ob diese hochgeladen werden. Als Genoss:innen, die in der Vergangenheit bereits mehrfach von Antideutschen geoutet wurden, als auch im Rahmen einer rechten Anschlagsserie Namentlich erfasst wurden, sehen wir das als nachvollziehbaren und berechtigten Schritt.

Am 8. November soll eine Facebookseite erstellt worden sein, in dem ein Bild des Fotografen veröffentlicht wurde, das nach eigenen Angaben von Nazis stammt. Von dieser Facebookseite haben wir am 23. November erfahren. Um dem Vorwurf, wir würden dahinter stecken entgegenzutreten, stellten wir nachfragen an das „Anna&Arthur“, Bündnisse und Gruppen. Diese blieben unbeantwortet.

In den Wochen und Monaten nach der Veröffentlichung, wurde der Geoutete mehrfach auf offener Straße angegangen, teils antisemitisch beleidigt und am 8. März mit einem Messer bedroht. In dem schon genannten Statement werden diese Vorwürfe direkt mit uns in Verbindung gebracht, auch mit der Begründung, dass einzelne Genoss:innen von uns, die bei den Kundgebungen organisatorische Aufgaben übernommen haben, Teilnehmer:innen und Organisator:innen der Demo über die Antideutschen, die die Kundgebungen beobachteten, informiert haben. Wir sehen es als unsere Pflicht an, die Kundgebung zu informieren, wenn potentielle Provokateur:innen in der Nähe sind, um die Kundgebung zu schützen. Das als Aufstacheln zu Angriffen zu bewerten, ist reine Diffamierung unserer Genoss:innen!

Arbeit gegen Existenzen

Durch die Anschuldigungen in so einer kleinen Stadt und den Einfluss und die Reichweite der Person, die diese nach Außen trägt, haben die Vorwürfe auch die Arbeits- und Ausbildungsbetriebe einiger Genoss:innen erreicht. Dort hat sich durch stille Post und die Formulierungen in der Stellungnahme die Annahme, wir wären für Messerangriffe auf „die Antifa“ verantwortlich herumgesprochen. Diese grausamen und unhaltbaren Vorwürfe gegen uns werden in der Lüneburger Szene als Fakt aufgenommen. Dass unsere Genoss:innen massiv damit gefährdet werden, spielt für die Aktivist:innen offensichtlich keine Rolle. Wohl wissend, dass die Adresse von den Genoss:innen bekannt ist, dass die Genoss:innen mit ihren Kindern unterwegs sind.

Bei aller Solidarität, die wir und unser Umfeld mit den Opfern dieser physischen, verbalen und psychischen Gewalt haben, verurteilen wir auch die Leichtfertigkeit, mit der hier nicht nur mit der politischen Existenz von uns als Organisation in Lüneburg, sondern auch mit den Existenzen unserer Genoss:innen gespielt wird.

Die Personen hier haben sich nicht einmal die Zeit genommen ein Gespräch zu führen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Jederzeit wären wir dazu bereit gewesen diese Taten öffentlich zu verurteilen und die ganze Zeit haben wir unsere Solidarität trotz der Vorwürfe gegen uns ausgesprochen.

Im Kampf gegen den Rechtsruck werden wir nur erfolgreich sein können, wenn wir es schaffen, auf der Basis einer offenen demokratischen Diskussion und solidarischer Kritik eine linke Aktionseinheit aufzubauen.

Für eine Einheitsfront gegen den Rechtsruck aus Gewerkschaften , sozialdemokratischen Parteien, Jugendorganisationen, Antifagruppen, Migrant:innenvereinen und linken Aktivist:innen!

Solidarität mit allen Antifaschist:innen, die von Outings, Gewalt und Repression betroffen sind!

Solidarität mit unseren Genoss:innen und Freund:innen, die durch die Vorwürfe in ihrem täglichen Leben und ihrer Arbeit behindert werden!

Solidarische Grüße!




Warum die Klimakrise auch ein Rassismusproblem ist

Von Jona Everdeen, März 2024

„Die Klimakrise, als ultimative Naturkatastrophe, betrifft uns alle gleich, egal, welches Geschlecht, welche Herkunft, ob arm oder reich.“ Dieser Mythos ist in der bürgerlichen Gesellschaft sehr verbreitet, bis hinein in die bürgerliche Klimabewegung. Allerdings ist er falsch.

Nicht nur, dass ausschließlich die Bourgeoisie in der Lage ist, sich mittels ihrem Geldbeutel vor den meisten Folgen der Umweltkrise zu schützen. Auch muss die Klimakrise im Kontext der jahrhundertealten rassistischen Weltordnung betrachtet werden, die ihren Ausdruck zunächst im Kolonialismus fand und heute im postkolonialen Imperialismus findet.

Umweltimperialismus: Warum nicht alle gleich betroffen sind

Von weiten Teilen der Klimabewegung wird erkannt, dass die „most affected areas“ der Folgen der Klimakrise im Globalen Süden liegen. Der Grund dafür ist jedoch weniger geläufig. Dieser ist nicht in erster Linie geographisches „Pech“, sondern das imperialistische System.

Den verschuldeten, ökonomisch abhängigen, halbkolonialen Ländern Afrikas, Lateinamerikas, etc. ist es nicht möglich, effektive Maßnahmen zum Schutz vor Umweltkatastrophen zu ergreifen. Länder wie Deutschland oder die Niederlande können sich z.B. mit Deichen einigermaßen gegen das Steigen des Meeresspiegels schützen, Länder wie Bangladesch oder die Philippinen können das nicht.

Hinzu kommt, dass die schmutzigsten Industrien, die große Schäden an Ökosystemen verursachen, gezielt in diese halbkolonialen Länder ausgelagert werden. So findet fast der gesamte umweltschädliche Bergbau, der für die moderne Industrie essentiell ist, außerhalb der imperialistischen Zentren statt, wie die Goldminen in Südafrika oder Mali, der Kobaltabbau im Kongo oder der von Kupfer in Peru.

Auch die Steinkohle, die in deutschen Kohlekraftwerken verfeuert wird, kommt nicht mehr aus den Zechen im Ruhrgebiet, sondern aus riesigen Tagebauen vor allem in Kolumbien. In diesen Minen sind die Arbeitsbedingungen katastrophal und häufig werden für ihre Errichtung Indigene und andere ländliche Communities vertrieben. Zudem werden die regionalen Ökosysteme massiv zerstört.

An Gold aus Südafrika und Kohle aus Kolumbien profitieren hauptsächlich Konzerne aus den USA oder Deutschland. Die halbkolonialen Länder sehen von dem enormen Wert ihrer Ressourcen herzlich wenig, abgesehen von einer sehr kleinen aber dafür sehr korrupten nationalen Bourgeoisie.

Das funktioniert durch die ökonomische Abhängigkeit dieser Länder, welche sie dazu zwingt, die wirtschaftliche Forderungen umzusetzen, die von imperialistischen Ländern und ihren Organen wie dem IWF (Internationaler Währungsfonds) gestellt werden.

Dazu gehört der Zwang, zu akzeptieren, dass die eigene Umwelt für die Profitinteressen von deutschen, US-amerikanischen und chinesischen Konzernen zerstört wird, und dass das Land seine Bevölkerung nicht effektiv vor Umweltkatastrophen schützen kann, weil das dafür nötige Geld gebraucht wird, um Banken aus London und New York Schulden zurückzuzahlen.

Das System der Überausbeutung großer Teile der Welt, endete nicht mit dem Kolonialismus, sondern ging nahtlos in neuer Form weiter. Damals wie heute soll es durch Rassismus legitimiert werden, wie den Mythos der „Unterentwicklung“ dieser Teile der Welt gegenüber den imperialistischen Zentren Europas, Nordamerikas und Ostasiens.

Dabei hat die reale ökonomische Unterlegenheit der Länder Afrikas, Lateinamerikas und weiter Teile Asiens eine ganz andere Ursache: Dass die imperialistischen Staaten ihre Wirtschaft gezielt unterentwickelt haben, um sie weiter auspressen zu können.

Rassismus gegen Klimaflüchtende

Durch die Umweltzerstörung im Globalen Süden sowie die fehlenden Möglichkeiten, sich effektiv vor den Folgen der Klimakrise zu schützen, müssen zahlreiche Menschen ihre Heimat verlassen. Bereits jetzt wird geschätzt, dass der Wegfall der ökologischen Lebensgrundlagen die häufigste Fluchtursache ist, noch vor Krieg.

Bislang drückt sich dies vor allem in einer Binnenflucht aus: von ländlichen Regionen, die aufgrund von Dürren und Überschwemmungen nicht mehr genug Ernte bringen in stetig anwachsende Großstädte.

Spätestens, wenn sich die Menge der Gebiete dramatisch ausweitet, die mindestens saisonal nicht mehr bewohnbar sind, werden Menschen ihre Heimat ganz verlassen. Sie werden sich in Regionen und Länder aufmachen, die bessere Bedingungen bieten, also die imperialistischen Zentren, die in der Lage sind, die Folgen von Umweltkatastrophen verhältnismäßig klein zu halten.

Bereits jetzt führen vor allem die EU und die USA eine brutale Migrationspolitik. Für imperialistische Staaten ist dies nötig, da ihre imperialistische Herrschaft untergraben werden würde, wenn überdurchschnittlich stark ausgebeutete Menschen einfach aus den Halbkolonien wegziehen könnten. Mit Klimaflüchtenden wird es nicht anders sein.

Die imperialistischen Staaten sind für die übermäßige Umweltzerstörung in ihrer Heimat verantwortlich, so wie für die übermäßige Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zu miesen Löhnen. Damit diese Ausbeutung weitergeführt werden kann, müssen Deutschland, die USA und Co. mit eiserner Hand und eisernem Stacheldraht verhindern, dass diese Menschen ihre Grenzen überqueren.

Eine solche brutale Migrationspolitik ist nur möglich durch das zunehmende Propagieren von Rassismus, den wir nicht nur von Seiten der Rechten beobachten können, sondern auch von liberalen bürgerlichen Kräften wie den Grünen.

Nur auf diese Art können sie begründen, warum sie die Menschen, deren Heimat durch die von Konzernen aus dem eigenen Land verursachte Krise zerstört wurde, an den eigenen Grenzen abweisen oder mit Gewalt an deren Überquerung hindern.

Rassismus und die Klimabewegung

Der Kampf gegen die Klimakrise ist ein Kampf gegen das imperialistische Weltsystem und gegen den Rassismus, der ihm dient.  Während seit Jahrzehnten viele Kämpfe gegen die Umweltzerstörung in Halbkolonien von Indigenen und anderen besonders stark vom Umweltimperialismus Betroffenen ausgefochten werden, kommt dieses Bewusstsein in den weiß dominierten Klimabewegungen des Globalen Nordens nur verspätet an.

In einigen imperialistischen Ländern wie Frankreich, den USA oder Britannien positioniert sich die Klimabewegen inzwischen recht deutlich gegen den Imperialismus, doch in Deutschland sieht es besonders schwierig aus.

Das liegt vor allem daran, dass Fridays for Future Deutschland durch seine starke Bindung zu der fest in den deutschen Imperialismus integrierten Grünen Partei häufig die außenpolitischen Interessen dieses Staates verteidigt. Dazu gehört die Aufrechterhaltung der imperialistischen Überausbeutung und des Umweltimperialismus.

Das drückt sich in der Unterstützung der deutschen „Staatsräson“ aus. Die koloniale Politik Israels, die auch mit massiver Umweltzerstörung verbunden ist, sowie dessen Menschrechtsverbrechen, werden von großen Teilen der Bewegung ohne Kritik akzeptiert oder aktiv unterstützt.

Diese rassistische, pro-imperialistische Position ist nicht nur bei Luisa Neubauer und Co. vertreten, sondern auch bei der sich selbst als „antikolonial“ verstehenden Gruppe Ende Gelände, die Positionen der Unterstützung des israelischen Kolonialismus toleriert und Antizionismus sowie die Unterstützung des palästinensischen Widerstands mit bewegungsinternen Repressionen überzieht.

Was es stattdessen braucht, ist eine Klimabewegung, die versteht, dass der Kampf für Klimagerechtigkeit nur internationalistisch geführt werden, kann, in Solidarität mit allen Unterdrückten auf der Welt. Es ist die Verantwortung von Aktivist:innen in den imperialistischen Ländern, ihre Genoss:innen in den Halbkolonien aktiv zu unterstützen.

Die Klimabewegung im Globalen Norden braucht Organe, in denen von Rassismus Betroffene ihre Anliegen und Perspektiven diskutieren können, damit rassistische Ideologien in der mehrheitlich weißen Bewegung bekämpft werden.

Rassismus wird durch die Umweltkrise verstärkt und die Umweltkrise ist in ihrer Form Folge des rassistischen Weltsystems. Umweltkrise wie (moderner) Rassismus sind Produkte einer Gesellschaftsform, die auf der Ausbeutung von Mensch und Natur basiert: dem Kapitalismus.

Nur wenn dieser überwunden wird, wenn Arbeiter:innen, Jugendliche und die unterdrückte Landbevölkerung sich global zusammenschließen, eine neue Internationale aufbauen und in den Kampf gegen den Imperialismus ziehen, für die Errichtung einer neuen sozialistischen Weltordnung, kann Klimagerechtigkeit erreicht werden.

Nur dann können die Folgen der Umweltkrise bestmöglich reduziert werden, die Überausbeutung von Menschen beendet und somit auch die Wurzel des Rassismus abgesägt werden!

Wir als Kommunist:innen fordern:

  • Offene Grenzen sowie Staatsbürger:innenrechte für alle, an dem Ort, wo sie leben!
  • Die sofortige Streichung der Schulden für alle halbkolonialen Länder und die Enteignung der Konzerne aus den imperialistischen Zentren unter Kontrolle der Arbeiter:innen!
  • Unterstützung der Länder des Globalen Südens, damit sie sich so effizient wie möglich gegen Umweltkatastrophen schützen können. Für globale Einrichtungen zum Katastrophenschutz und den Wiederaufbau von Ökosystemen unter der Kontrolle der Arbeiter:innen und der Landbevölkerung!
  • Das Ende der imperialistischen Überausbeutung, das Ende des Umweltimperialismus sowie das Ende des Kapitalismus, der die Wurzel der Ausbeutung von Mensch und Natur darstellt!