Präsidentschaftswahl in Frankreich – Stich(Wahl) in den Rücken der Arbeiter_Innenklasse

VON ALEX METZGER

 

Seit Anfang des Jahres war die Wahl des französischen Staatsoberhauptes ein großes Thema in den bürgerlichen Medien. Nach der Stichwahl Ende April gab es laut der Presse „ein Rennen zwischen Gut und Böse“. Auf der einen Seite Marine Le Pen (Front Nationale), Rassistin und Gegnerin der EU, auf der anderen Seite Emanuel Macron (En Marche), ein Liberaler, dessen Wahlerfolg zum Großteil darauf basiert, dass er nicht Marine Le Pen ist. Vorab: nicht zum ersten Mal stand ein_E Le Pen zur Stichwahl. Jedoch stand zum ersten Mal eine Front National zur Wahl, die den Wahlkampf nicht ausschließlich am rechten Rand sondern in der bürgerlichen Mitte, welche auf gesamteuropäischer Ebene zusehends nach rechts driftet, geführt hat. Und das mit Erfolg! Zumindest kann so das erschreckende Ergebnis der Stichwahl gewertet werden, bei der eine rassistische, rechtskonservative Populistin 35% der Wählerstimmen in einem Land bekommen hat, dessen Arbeiter_Innenklasse kämpferischer und organisierter ist als die der meisten europäischen Länder.

 

Wie konnte es soweit kommen?

 

Im letzten Jahr gab es wie so oft eine Reihe von Streiks in Frankreich. Die Streiks richteten sich gegen die brutalen Angriffe auf die Rechte von Arbeiter_Innen, welche von der französischen sozialdemokratischen Partei (Parti Socialiste) unter Francois Hollande an der Regierung, durchgesetzt werden sollten. Kern dieser Angriffe (auch El-Khomri-Reform genannt) waren die Streichung der 35 Stunden Woche in der Industrie, ohne Lohnausgleich(!), die Aufweichung des Kündigungsschutzes und Lohnverhandlungen an den Gewerkschaften vorbei, direkt mit den Arbeitnehmer_Innen. Alles für die Reduzierung der Kosten für die Ware Arbeitskraft, um die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie wieder herzustellen, natürlich im Interesse der französischen Kapitalist_Innen. Denn die französische Wirtschaft befindet sich in einer Krise. So werden systematisch französische Firmen an ausländische Investor_Innen verkauft, die öffentliche Infrastruktur wie beispielsweise die Autobahnen sind privatisiert und die Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung steigen scheinbar unaufhaltsam an. Beispielsweise liegt der Anteil arbeitsloser Jugendlicher bei 25% (zum Vergleich: in Deutschland ca. 7%). Um Frankreich wieder fit für den internationalen Wettbewerb zu machen, hat also die Sozialdemokratie, welche sich als Führung der Arbeitenden gibt, eine Reihe von Kürzungen durchgewinkt – zu Lasten von Arbeiter_Innen und Jugendlichen. Das reiht sich ein in weitere Schweinereien der Regierung Hollande.

 

Parti Socialiste im Überlebenskampf

 

Eineinhalb Jahre schon befindet sich Frankreich im Ausnahmezustand. Seit den Terroranschlägen in Paris im November 2015 können ohne richterliche Beschlüsse Hausarreste, Durchsuchungen, Versammlungsverbote oder Ausgangssperren verhängt werden. Diese einschneidenden Maßnahmen stellen eine massive Einschränkung des Versammlungsrechts dar und werden gleichermaßen gegen Terrorist_Innen wie auch gegen Linke eingesetzt. Nachdem Hollande als Kandidat der PS im Jahre 2012 mit einer knappen Mehrheit von über 52 Prozent aus der Stichwahl gegangen war, schaffte es Benoit Hamon, der Kandidat der PS im Jahre 2017, nicht einmal in die Stichwahl. Trotz seines linken Wahlkampfes voller Versprechungen an die Arbeiter_Innen, welche einen Wandel in der Partei zumindest vortäuschen sollten, konnte er keine Massen davon überzeugen. Im Gegenteil! Mit knappen 7 % versagte der Kandidat der Sozialdemokratie kläglich. Ein Wahlergebnis, welches mit einem Todesstoß für die PS gleichzusetzen ist. Er ist die Folge ihres Konsequenten Verrats an der Klasse. Die harte Kante gegen illegale Flüchtlingscamps und die rigorose Abschiebungspolitik stellen dabei sogar eine deutliche Annäherung der PS ans rechte Lager dar, jedoch konnte hier Marine Le Pen einen deutlich erfolgreicheren Wahlkampf führen.

 

Französischer Protektionismus und Härte zeigen

 

Als Kandidatin des französischen Mittelstandes will sie den Wähler_Innen ihre Politik als „die Politik des kleinen Mannes“ verkaufen. So fordert sie Arbeitsplätze zuerst für Franzos_Innnen, staatliche Aufträge zuerst für französische Firmen und will Zölle für ausländische Produkte einführen. Außerdem möchte sie der EU, von der Frankreich in einem viel geringeren Maß als Deutschland profitiert, weit weniger Rechte gewähren und eigene Wirtschaftsabkommen, beispielsweise mit Russland oder den USA, schließen. Frankreich soll so unabhängiger von der EU unter deutscher Vorherrschaft werden, um die eigene Stellung im globalen Verteilungskampf aber auch die Stellung in der EU gegenüber Deutschland zu stärken. Gleichzeitig inszeniert sie sich als Garant für innere Stabilität und will diese über die Beschränkungen in der Migration und durch die Stärkung der französischen Polizei durchsetzen. Ein Prestigeprojekt soll dabei das „Aufräumen“ in den Randbezirken der Großstädte sein. In diesen kommt es immer wieder zu großen und kämpferischen Demonstrationen, gegen Polizeigewalt, gegen Rassismus oder für die Rechte von Arbeiter_Innen. Diese Kampfansage an die Banlieues ist somit auch eine direkte Kampfansage an die radikale Linke, aber auch an die Migrant_Innen Frankreichs.

 

Ein Lichtblick?

 

Ihr Gegenspieler, Emmanuel Macron, darf in diesem nicht als Licht im Schatten oder als das kleinere Übel gesehen werden! Natürlich bedient er sich nicht Le Pens rechter Rhetorik oder macht offene Kampfansagen gegenüber Linken. Jedoch wäre es fatal der Politik eines Kandidaten zu trauen, der gleichermaßen eine Fraktion der gespaltenen Kapitalist_Innenklasse zu vertreten versucht. In seinem neoliberalen Programm fordert er, die Unternehmenssteuern zu senken, den französischen Staat abzuspecken und Staatsfirmen an Investor_Innen zu verkaufen, um mit diesem Geld die Wirtschaft anzukurbeln. Macron steht also gewiss nicht auf der Seite der Arbeiter_Innen. Auch sein Anteil an der El-Khomri-Reform, welche ohne parlamentarische Mehrheit per Dekret durchgepeitscht wurde, ist nicht zu unterschätzen. Schließlich war er doch der Wirtschaftsminister der Regierung Hollande.

 

Auch wird er in Sachen Flüchtlingspolitik, wobei er sich klar für den Abschiebekurs Merkels ausspricht, keine progressiven Forderungen aufstellen. Die Unterstellungen, Macron würde mit seinem Kurs gegen die europäische Sparpolitik einen linken Standpunkt vertreten, verzerren das Bild der Realität weiter. So ist er nicht der erste EU Politiker, der den Sparkurs in Griechenland, Zypern oder weiten Teilen im Osten der EU als absurd und schädlich brandmarkt und ein Investitionsprogramm zur Stärkung der Binnenmärkte fordert.

 

Selbst zentrale Spieler der EU wie EZB-Chef Marion Draghi, seines Zeichens liberaler Manager, haben diese Forderung schon oft geäußert. Macron ist als Kandidat des europäischen Finanzkapitals einzustufen, der als gleichberechtigter Partner zusammen mit Merkel über die EU regieren möchte. Im Gegensatz zu Le Pen ignoriert er aber nicht die Vorteile, die sich auch für die französische Wirtschaft aus der Kooperation innerhalb der EU ergeben. Ein kleiner Blick auf die Namenslisten der Fördermitglieder der deutsch-französischen Industrie- und Handelskammern genügt, um die unmittelbare Zusammenarbeit beider Nationen nachzuvollziehen.

 

Gegen die Einheit der Demokrat_Innen

 

Ohne Macron politisch zu beurteilen, sprachen sich nahezu alle linken Verbände und Parteien, alle liberalen und alle Konservativen für Macron als Garant der Demokratie und als Garant für die EU aus. Schnell werden die undemokratischen, militaristischen und neoliberalen Aspekte der EU vergessen, wenn man sie verteidigen muss. Wir sagen ganz klar: Nein zur Einheit der Demokrat_Innen, Nein zur neoliberalen EU! Für uns gibt es kein kleineres Übel, denn das Übel ist der Kapitalismus. So positionierten sich leider nur wenige Linke in Frankreich. Positiv ist hier der Präsidentschaftskanditat der NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste), Philippe Poutou zu nennen. Allerdings sieht das nicht die gesamte NPA so. So gaben Großteile der Leitung ein Statement heraus, in dem sie sich zwar von Macron distanzierten, aber nicht zum Wahlboykott aufriefen. Auch die fortschrittlichsten Teile der CGT sprachen sich nicht für eine klare Kante gegen den Kapitalismus aus. Sie fordern, so wie auch der linke Populist Melenchon, eine Volksfront gegen Rechts. Diese soll bewusst auch antiliberale bürgerliche Kräfte ansprechen um gemeinsam gegen den größeren Feind, die Front National zu kämpfen. Diese klassenübergreifende Linke ist aber nichts als ein Hirngespinst, welches schon wegen der grundlegendsten politischen Fragen, wie zum Beispiel der nach offenen Grenzen oder der nach uneingeschränkten Staatsbürger_Innenrechten für alle, zum Scheitern verurteilt ist. Und letztlich keine Politik für die Arbeiter_Innenklasse machen kann oder will.

 

Was tun?

 

Nur eine Partei mit einem klaren und revolutionären Programm, die die fortschrittlichen Teile der französischen Gesellschaft, Gewerkschaften und Parteien sammelt, kann eine Perspektive für die französische Arbeiter_Innenklasse bieten. Dabei muss bewusst auf die radikalen Teile der CGT und weiteren linken französischen Gewerkschaften, auf die französische kommunistische Partei, auf die verschiedenen Gruppen der Vierten Internationalen, die desillusionierten Teile der französischen Sozialdemokratie und auf die fortschrittlichen Teile der NPA zugegangen werden. Es bedarf eines Bruchs mit der liberalen Politik der Bürokrat_Innen aus Gewerkschaften, PS & Co und dem rechten Flügel der NPA. Denn diese haben schon in der Vergangenheit wie bei den Kämpfen gegen die Arbeitsmarktreformen ihre Basis verraten. Wir müssen den offenen Chauvinismus von Macron, aber auch von Melenchon, an den Pranger stellen und selbst eine revolutionäre Perspektive aufzeigen. Denn die kommenden Jahren werden von Angriffen auf die Rechte und Errungenschaften der Arbeiter_Innen aller Länder geprägt sein, sowie einem weiteren Erstarken des Rassismus. Dabei dürfen wir nicht den Fehler begehen, politische Zugeständnisse an das bürgerliche Lager zu machen! Wir dürfen auch nicht zulassen, dass die Front National es schafft die Situation für sich zu nutzen und mehr und mehr die französische Arbeiter_Innenklasse zu vereinnahmen. Deswegen bedarf es Streiks gegen die neoliberale Politik der EU, die Macron vertritt. Wir müssen die Rücknahme der El-Khomri-Reformen und die Beendigung des Notstandes fordern. Ebenfalls bedarf es eines aktiven Kampfes gegen Rassismus, denn in den letzten Jahren hat sich der Rassismus in Frankreich verstärkt. Speziell der antimuslimische Rassismus und das harte Vorgehen gegen Geflüchtete darf nicht ignoriert werden, sondern muss aktiv mit den Kämpfe gegen die Angriffe auf Arbeiter_Innen und Jugendliche verbunden werden.

 

Wir müssen mit der Ideologie der Trennung von wirtschaftlichen und politischen Kämpfen brechen. Konkret heißt das: Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen ist nicht nur reine Gewerkschaftssache, während der Kampf gegen beispielsweise Militarisierung nur von Parteien getragen wird. Es bedarf einer Verbindung der beiden Elemente. Denn letztlich kann nur der politische Generalstreik zusammen mit massenhaften Mobilisierungen der Klasse den Kapitalismus und damit auch seinen parlamentarischen Überbau stürzen und gleichzeitig die Rätedemokratie als Alternative zur bürgerlichen anbieten. Um das zu erreichen reicht es aber nicht „einfach nur“ die fortschrittlichen Kräfte zu sammeln. Wir müssen unsere Kämpfe an die Orte tragen an denen wir tagtäglich gezwungen werden uns aufzuhalten, also in die Schulen, die Unis und Betriebe. Um das zu erleichtern, wären zentrale Mobilisierungen, die folgende Forderungen aufgreifen ein Schritt in die richtige Richtung:

 

  • Für die Rücknahme des El-Khomri Gesetzes und für einen flächendeckenden Mindestlohn für Alle! Lasst die Reichen für ihre Krise selber zahlen!
  • Schluss mit dem Notstandsgesetz, für sofortige Demonstrations- und Bewegungsfreiheit! Kampf gegen den Terror heißt nicht Aufrüstung & mehr Sicherheit, sondern raus mit den Truppen aus anderen Ländern!
  • Kampf dem Rassismus, ob nun von Le Pen oder dem Staat! Für ein Europa mit offenen Grenzen, Staatsbürger_Innenrechten für Alle und gegen Burkaverbot & Abschiebungen!
    Nein zur EU der Bonzen! Schluss mit der Politik im Interesse Weniger, für ein Europa, dass auf die Bedürfnisse der Mehrheit achtet!