Mit der Kettensäge gegen den Sozialstaat? Stoppt Mileis ultraliberalen Großangriff!

von Jona Everdeen, Januar 2024

Mit der Kettensäge wolle er den Sozialstaat bearbeiten: Das hat der ultra-liberale Javier Milei in seinem rechtspopulistischen Wahlkampf um die argentinische Präsidentschaft angekündigt. Gewonnen hat er vor allem aufgrund der Perspektivlosigkeit der vorherigen peronistischen Regierung, deren Sparmaßnahmen nicht im Stande waren, die heftige Wirtschaftskrise in Argentinien, die Inflation von bis zu 160% und damit einhergehende Massenverarmung zu stoppen.

Nun als Präsident tut Milei das, was einige, vor allem die peronistische Opposition, zuvor als unwahrscheinlich abgetan hatten: Er lässt seinen Worten Taten folgen.

Mit einer „Schocktherapie“ will er die argentinische Wirtschaft vollständig privatisieren, Arbeiter:innenrechte gänzlich abschaffen. Da er für solch umfangreiche Maßnahmen keine nötige Mehrheit im Parlament hat, hat er nun den Notstand ausgerufen. Spätestens jetzt sollte sein Plan klar sein: Die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zur Durchsetzung der „libertären“ Träume der Bourgeoisie.

Mileis Agenda und Sofortprogramm

Der Ökonom und Politikneuling Javier Milei ist ein durchaus ungewöhnlicher Politiker, gerade für einen Rechtspopulisten. Zwar steht auch er für gesellschaftspolitische Rückschrittlichkeit und griff im Wahlkampf seine Gegner:innen aus der alten Regierungspartei mittels Anti-Establishment Rhetorik an, jedoch spricht er anders als Trump, Bolsonaro oder die AfD ganz unverblümt aus, wer für ihn der Hauptfeind ist: die Arbeiter:innen. Während Weidel, Le Pen und Co. den radikalen Neoliberalismus eher durch die Hintertür einführen oder einführen wollen, warb er ganz offen für eine ultra-liberale „Schocktherapie“ als einzige Lösung für die Krise.

So will er innerhalb kurzer Zeit mit 350 Gesetzesänderungen die Arbeits- und Mietrechte quasi aushebeln und Preisregulierungen abschaffen. Auch Änderungen im Wahlrecht sollen vorgenommen, Steuerlasten zugunsten der Reichen umverteilt und die Privatisierung staatlicher Unternehmen massiv vereinfacht werden. Außerdem, und hier zeigt sich der autoritäre Charakter Mileis am deutlichsten, soll das Demonstrationsrecht massiv eingeschränkt werden, alle Versammlungen ab 3 Menschen sollen laut seinen Vorstellungen künftig genehmigungspflichtig sein und ohne weiteres verboten werden können. Außenpolitisch hat er ein populistisches Wahlversprechen abgegeben, den argentinischen Peso durch den US-Dollar als direkte Landeswährung zu ersetzen, um sich damit fest an die USA zu binden, was aber weder IWF, USA noch Unternehmerverbände wollen und deswegen wahrscheinlich nicht kommt.

Der neue Pinochet? Warum Argentinien uns alle angeht!

Mileis Programm eines radikalen Angriffs auf das argentinische Proletariat, im Zweifel auch mit diktatorischen Mitteln, ist im Grunde gar nicht so neu, wie sie scheint. So gab es ähnliches bereits in Argentiniens Nachbarland Chile. Damals durch einen Putsch gegen die linksreformistische Regierung Salvador Allendes, gelangte der General Augusto Pinochet an die Macht und verwandelte das Land von einer Musterbeispiel für linke Sozialdemokrat:innen und Stalinist:innen, die in Allende den Beweis sahen dass Sozialismus mit Reformen erreicht werden könne, zu einer extrem brutalen Rechtsdiktatur, in der tausende ermordet und zehntausende gefoltert wurden. Auch Pinochet wollte die schwache chilenische Bourgeoisie, deren politische Macht er wieder vollends hergestellt hatte, ökonomisch mit einer „Schocktherapie“ zu neuen Profiten führen. Dafür lud er die „Chicago Boys“ ein, ultra-liberale Ökonomen aus den USA, um die Wirtschaft des Landes nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Chile wurde zum Labor des Neoliberalismus. Für die chilenische Bourgeoisie gelang dieses Experiment, denn unter massiver Ausbeutung der Arbeiter:innen und brutalster Unterdrückung jeder proletarischen Opposition wurde sie zu einer der ökonomisch erfolgreichsten Lateinamerikas. Mit den Regierungen von Reagan und Thatcher in den USA und Britannien, beide enge Verbündete des Diktators Pinochet, und dem Verrat des Sozialdemokraten Mitterand in Frankreich, breitete sich der Neoliberalismus in der gesamten westlichen Welt aus und wurde später auch zum Leitfaden der kapitalistischen Restauration in den degenerierten Arbeiter:innenstaaten. Heute dominiert der in Chile geborene Neoliberalismus noch immer die Wirtschaftspolitik der kapitalistischen Welt.

Sollte es Milei nun gelingen, Argentinien zu dem Labor für einen neuen, noch radikaleren, Ultra-Liberalismus zu machen und dabei die argentinische Arbeiter:innenklasse mit diktatorischen Mitteln zum Gehorsam zu zwingen, könnte das durchaus eine Dynamik entfachen und den weltweiten Rechtsruck beschleunigen, indem Argentinien zur Blaupause eines autoritären Ultraliberalismus wird. Dass dies kein abwegiges Szenario ist, zeigen die Reaktionen von westlichen Rechten, von liberal bis rechtsradikal, die Mileis Politik des radikalen Sozialkahlschlags mit der Kettensäge feiern und unterstützen und dabei auch seine autokratischen Vorhaben mindestens akzeptieren, wenn nicht sogar offen gutheißen. Doch ein entscheidender Unterschied ist, dass Pinochet mit staatlicher Gewalt jegliche Opposition zerschlagen konnte, während Milei nicht einfach so durchgreifen kann: Dass er mit Notstandsverordnungen seine Maßnahmen durchzusetzen versucht, zeigt, dass die entscheidenden Kämpfe vor uns nicht hinter uns liegen. In Argentinien steht Milei einer noch nicht geschlagenen Gewerkschaftsbewegung und Linken wie auch bürgerlichen Opposition gegenüber, er kontrolliert wichtige Teile des Staatsapparates nicht, das Parlament ist nicht ausgeschaltet, sondern kann theoretisch auch viele seiner Maßnahmen kassieren. Ein Sieg des argentinischen Proletariats gegen Milei könnte zum Fanal des proletarischen Widerstands gegen den Rechtsruck werden und eine neue Zeit der Klassenkämpfe nicht nur in Lateinamerika, sondern womöglich gar in der ganzen Welt einläuten.

Doch wie könnte ein solcher Sieg errungen werden?

Wie kann das Proletariat Milei besiegen?

Zwar erlitt Milei jüngst einen Dämpfer in der Umsetzung seiner Pläne, denn ein Arbeitsgericht befand, dass die Durchsetzung seiner radikalen Arbeitsmarktreformen per Notstandsverordnung nicht zulässig ist. Jedoch dürfen sich die Arbeiter:innen darauf nicht verlassen. So kündigte Mileis Partei bereits an, das Urteil auf höherer Instanz anzufechten und es ist Milei auch durchaus zuzutrauen, dass er die Gewaltenteilung einfach gänzlich ignoriert und neben der Legislative auch die Justiz auszuhebeln versucht. Gleichzeitig gibt es, seit Milei seine radikalen Angriffe verkündet hat, im ganzen Land und vor allem in der Hauptstadt Buenos Aires große Proteste durch die argentinische Arbeiter:innenbewegung. Am 24. Januar hat der argentinische Gewerkschaftsbund CGT gar zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen.

Wie jedoch bereits Erfahrungen in anderen lateinamerikanischen Ländern sowie auch in Griechenland oder Frankreich gezeigt haben, reichen solche eintägigen Generalstreiks in der Regel nicht aus, um Angriffe der Bourgeoisie und ihrer Handlanger:innen zurückzuschlagen. Was es stattdessen braucht, ist ein unbefristeter Generalstreik, der offen die Frage der Macht im Staat aufwirft und diese vom Parlament auf die Straße verlagert.

Um dann bestehen zu können, und um überhaupt erst in diese Situation zu kommen, braucht das Proletariat jedoch eine Führung, die dazu bereit ist, die Frage nach der Macht zu stellen und entschlossen sie dann auch revolutionär zu beantworten! Die vorhandenen linken Kräfte in Argentinien müssen die Gewerkschaften, die Arbeitslosenorganisationen und bürgerlichen Arbeiter:innenparteien zu einer Arbeiter:inneneinheitsfront herausfordern, und mit genügend Druck in diese zwingen, um die Arbeiter:innen in der Konsequenz vom Peronismus zu brechen und für die Revolution zu gewinnen. Das Ziel muss dabei sein, von der Abwehr der Angriffe durch Mileis Regierung zu einer wirklichen Lösung der Krise übergehen. Die Verursacher:innen der Krise müssen auch für diese aufkommen, also die argentinische Bourgeoisie und internationalen Konzerne. Diese müssen unter Kontrolle der Arbeiter:innen enteignet werden! Die Schulden müssen gestrichen und Forderungen der IWF ignoriert werden! Milei und andere Büttel des Imperialismus, ob nun des US-Amerikanischen oder Chinesischen, müssen verjagt und die Macht im Staat an Arbeiter:innen- und Bäuer:innen-Räte übergeben werden! 




Solidaritätserklärung mit Solid Berlin: Sozialistische Positionen gegen bürokratische Angriffe verteidigen!

Der Berliner LINKE-Vorstand plant, die Finanzierung der Jugendorganisation Solid Berlin zu streichen. Solidaritätserklärung linker, sozialistischer und gewerkschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen mit Solid Berlin.

Seit Längerem schon kritisiert die Linksjugend Solid Berlin, der Jugendverband der Berliner Linkspartei, den Regierungskurs der Mutterpartei. Am Sonntag, den 10. April, bekräftigte die Landesvollversammlung von Solid Berlin die Gegnerschaft zur Regierungsbeteiligung und forderte den Austritt der LINKEn aus dem Berliner Senat. Ebenso positionierte sich der Verband gegen Krieg und Aufrüstung ohne Unterordnung unter Russland oder unter die NATO, sowie für die entschädigungslose Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. Mit diesen Positionen wirbt die Linksjugend Solid Berlin für eine sozialistische Oppositionspolitik im Gegensatz zum Regierungskurs der Parteispitze in Berlin und bundesweit.

Kritik an der Parteispitze zu üben, ist gerade das grundsätzliche Recht des Jugendverbandes und seine Existenzberechtigung. Laut Zeitungsberichten unter anderem des Tagesspiegel vom 14. April sowie des neuen deutschland vom 19. April plant die Berliner LINKE-Landesvorsitzende Katina Schubert jedoch, die Finanzierung des Jugendverbandes zu streichen, weil sie mit den inhaltlichen Beschlüssen der Landesvollversammlung von Solid Berlin nicht einverstanden ist. Mit dieser bürokratischen Methode will die Spitze der Landespartei die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Beschlüssen der Landesvollversammlung von Solid Berlin vom 10. April verhindern, die die Positionen der Linkspartei in Berlin und bundesweit kritisieren.

Insbesondere kritisiert Schubert die beschlossene Positionierung “zur Situation in Israel und Palästina”, die unter anderem ein bedingungsloses Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen, die Benennung Israels als Apartheidsstaat sowie die Unterstützung einer binationalen sozialistischen Ein-Staaten-Lösung auf dem Gebiet des historischen Palästinas beinhaltet. Wie der Neuköllner LINKE-Bezirksverband schreibt, bewegen sich diese Positionen “im Rahmen des Parteiprogramms der LINKEN”.

Unter dem Vorwand des Antisemitismus, befeuert von einer Hetzkampagne des Springer-Blattes DIE WELT, sollen jedoch nicht nur diese Positionen unsagbar gemacht, sondern die gesamte kritische Haltung von Solid Berlin zum Regierungskurs der Mutterpartei mundtot gemacht werden. Dabei schreckten sie auch nicht davor zurück, einen Genossen als jüdische Stimme mundtot zu machen und ihn in der Springerpresse als antisemitisch zu diffamieren . Zum Jahresanfang fielen Teile des Bundessprecher:innenrats durch Hasstiraden gegen Palästinenser:innen auf. Unter anderem bezeichnete ein Mitglied des höchsten Solidgremiums Palästina als ein “Phantasialand”. Der Vorfall bleibt bis dato von der Partei unkommentiert und offensichtlich „im Rahmen des linken Parteiprogramms“.

Wir Unterzeichner:innen erklären uns solidarisch mit Solid Berlin, auch wenn wir hinsichtlich der Positionen des Verbands unterschiedlicher Meinung sein können. Wir lehnen entschieden die bürokratische Methode der Meinungsunterdrückung gegenüber dem Jugendverband ab, die eine antidemokratische Zwangsdisziplinierung darstellen und die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der Linksjugend Solid Berlin verhindern sollen. In diesem Sinne schließen wir uns den Äußerungen von Ulas Tekin sowie von Ferat Koçak im nd an, die sich klar gegen diese Methode ausgesprochen haben. Wir machen uns auch den Beschluss der LINKE-Basisorganisation Wedding vom 14. April zu eigen: Solid Berlin hat als “eigenständiger Verband, der auch das Recht über einen eigenständigen Willensbildungsprozess hat”, das Recht, die Positionen der LINKEn in Berlin und bundesweit zu kritisieren und eigene Positionen zu vertreten. “Wenn Katina Schubert und andere andere im geschäftsführenden Landesvorstand andere Meinungen vertreten, dann sollte dieser Dissens über Argumente und nicht über Repressionen geklärt werden. Wir fordern daher, dass die Autonomie der Linksjugend [’solid] Berlin vollständig erhalten bleibt und die Parteispitze Ihre Pläne zur Einschränkung der Verfügungsgewalt über die eigenen Mittel beendet.“

Erstunterzeichner:innen

Gruppen:
Migrantifa Berlin
Jewish Bund
Palästina Spricht Bewegung (Koalition für palästinensische Rechte und gegen Rassismus)
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Jüdisch-israelischer Dissens
„Bundestag 3 für Palästina“ BT3P
RIO / Klasse gegen Klasse
Gruppe ArtbeiterInnenmacht
Revolution
Ko-Kreis LINKE BO Wedding
LINKE Kreisverband Siegen-Wittgenstein
AKL Bünde
linksjugend [`solid] ROSA
linksjugend [`solid] Neuglienicke
linksjugend [`solid] Moabit / Tiergarten
linksjugend [`solid] Stuttgart
linksjugend [`solid] Heidelberg
linksjugend [`solid] Rems-Murr
linksjugend [`solid] Ortenau
linksjugend [`solid] Pforzheim
LAK Klassenkampf Niedersachsen/Bremen
linksjugend [`solid] Links der Weser
linksjugend [`solid] Salzgitter
linksjugend [`solid] Wolfenbüttel
linksjugend [`solid] Braunschweig
Jugendkommune Sara Dorşîn
Berlin for India
Wedding United
Berlin Migrant Strikers
India Justice project

Einzelpersonen:
Ferat Ali Kocak, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin
Bettina Gutperl, Ko-Kreis BO Wedding und Bundesvorstand DIE LINKE
Ulas Tekin, Mitglied im Landesvorstand von die LINKE Berlin
Leonard Diederich, Mitglied im Bezirksvorstand die LINKE Mitte und Sprecher BO Moabit
Franziska Lindner, Mitglied im Bezirksvorstand die LINKE Mitte
Marius Weichler, Vorsitzender des LinksTreff Wedding e.V.
Thierry Kruber Ko-Kreis BO Wedding
Niklas Schrader, Ko-Kreis BO Wedding
Fabian Nehring, Ko-Kreis BO Wedding
Ava Matheis, Delegierte für den Bezirk Mitte des 8. Landesparteitags die LINKE Berlin
Sungsoo Park, Mitglied in der BO Rixdorf
Robin Bitter, Kreisvorstand LINKE Düsseldorf
Michael Sappir, Mitglied bei SDS Leipzig
Yuval Gal cohen, Aktivstin bei Jüdisch-israelischer Dissens
Shira Bitan, Aktivistin bei Jüdisch-israelischer Dissens
Yossi Bartal, Die LINKE Neukölln
Judith Bernstein, BT3P
Amir Ali, BT3P
Christoph Glanz, BT3P
Yasemin Cetinkaya, Schauspielerin
Soulmade Dam, Produzent

Unterschreibt den Brief sehr gerne mit eurer Gruppe, Linksjugend- oder DIE LINKE Gliederung oder einfach als Einzelperson. Schreibt dafür eine kurze Mail an nord-berlin@solid-berlin.org