Diskutieren geht nicht! Veranstaltungsreihe zum Antisemitismus wird bekämpft – Rede und Versammlungsrecht verteidigen!

Rechte Kräfte in verschiedenen deutschen Städten versuchen eine Veranstaltung der Gruppe Arbeiter_innenmacht mit aller Kraft zu unterbinden. Ihr Ziel ist es, eine materialistische Analyse von antisemitischer Ideologie zu verhindern. REVOLUTION verteidigt das Recht auf Rede- und Versammlungsfreiheit und solidarisiert sich mit der Gruppe Arbeiter_innenmacht in ihrem Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsruck! Wir teilen deshalb im Folgenden das Statement der Genoss_innen, in dem sie länger auf den Vorfall eingehen:

 

Stellungnahme der Gruppe ArbeiterInnenmacht, 3. November 2019:

Zu den wenigen „guten“ Traditionen der „Linken“ in Deutschland gehört die gemeinsame Nutzung von Veranstaltungsräumen in einer Stadt. Trotz mancher ideologischer und methodischer Differenzen versuchen Organisationen, diese Räume gemeinsam zu nutzen und auch diese zu erhalten. So geben sich bei vielen Veranstaltungsräumen Gruppierungen die Klinke in die Hand, die sonst kaum gegenseitig solidarisch wären. Das gehörte hierzulande lange zur Normalität, gewissermaßen auch eine „demokratische“ Errungenschaft.

Seit mehreren Jahren sind jedoch linke, antiimperialistische und palästina-solidarische Gruppierungen mit Versuchen sog. „antideutscher Gruppierungen“ konfrontiert, dass Veranstaltungen verhindert werden, die ihrer pro-imperialistischen Haltung zum „Nahostkonflikt“ nicht entsprechen.

Zur Zeit trifft dies auch unsere Organisation. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Antisemitismus – eine marxistische Analyse“ wollen wir in mehreren Städten die Ausgabe 51 des „Revolutionärer Marxismus“, des theoretischen Journals der Gruppe ArbeiterInnenmacht, vorstellen. Dieses Vorhaben wird zur Zeit in jeder Stadt torpediert und diffamiert, wo wir eine materialistische Kritik des Antisemitismus zur Diskussion stellen wollen. So wurden zuletzt unsere geplanten Veranstaltungen in Berlin (Mehringhof) und in Stuttgart (Falkenbüro) abgesagt.

So begründete das Falkenbüro die Absage damit, dass die „antideutsche Szene“ Druck ausgeübt habe, dem nachzugeben es sich gezwungen sah. Der Mehringhof möchte dieses „konfliktbehaftete“ Thema nicht in seinen Räumlichkeiten diskutiert haben. So argumentiert zumindest die Mehrheit der dortigen Projekte und/oder Organisationen.

In Dresden mobilisiert die antideutsche Szene unter anderem auch mit Drohungen gegen den dortigen kurdischen Verein und hat eine Demonstration gegen unsere Veranstaltung ankündigt.

Auch außerhalb der Veranstaltungsreihe nehmen diese politischen Angriffe zu. So soll in den kommenden Wochen eine Veranstaltung über den sogenannten „linken Antisemitismus“ in Kassel stattfinden, womit sie die Nichtanerkennung der zionistischen Besatzungspolitik in Palästina meinen. Hier soll die pseudowissenschaftliche Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus am Beispiel der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION und dem Friedensratschlag in Kassel konstruiert werden. In Frankfurt am Main soll es eine ähnliche Veranstaltung am Beispiel des aufgelösten und von staatlicher Repression betroffenen Jugendwiderstands geben.

Es war uns durchaus klar, dass dieses Thema polarisiert. Deswegen haben wir ja auch diesen Artikel veröffentlicht, um eben eine marxistische Analyse des Antisemitismus herzuleiten, seine rassistisch verkürzte Kapitalismus„kritik“ offenzulegen, welche Klassenbasis ihm zugrunde liegt und wie dieser von der ArbeiterInnenbewegung bekämpft werden kann. Ebenfalls haben wir im Artikel dargelegt, warum „Israelkritik“ nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen ist. So ist auch Antizionismus (sofern sich dahinter kein Antisemitismus versteckt) für jede/n internationalistische/n Aktive/n zu verteidigen, da wir den Zionismus als eine nationalistische und reaktionäre Ideologie ablehnen. Wir differenzieren in dem Artikel zwischen Antisemitismus als Kernelement jeder reaktionären rassistischen Ideologie (wie er gerade auch wieder in und um den rechten Terror in Halle deutlich geworden ist) und einer notwendigen linken Kritik am Staat Israel und seiner Rolle im neokolonialen System des Nahen Ostens. Wir lehnen gerade die Identifizierung jüdischer Menschen weltweit mit der Politik dieses Staates grundlegend ab, ja halten diese Ineinssetzung selbst für zutiefst antisemitisch. An diesem Punkt sind dann alle „antideutschen, ideologiekritischen“ Szenen und Gruppierungen alarmiert. Sie fürchten Widerspruch zu ihrer Definition von Antisemitismus, die sich mit der der Bundesregierung deckt, wie auch ihre „Israelsolidarität“ mit der israelischen Rechten von uns abgelehnt wird.

Wir halten es ebenso für ein demokratisches Recht, diese linke Kritik zu veröffentlichen und auch dies öffentlich zu vertreten wie auch konträre Positionen in der „Linken“ zu diskutieren. Wenn dies nun in Frage gestellt wird, ist es die Aufgabe der ganzen „Linken“, sich dazu zu verhalten. Wir rufen Gruppierungen, Netzwerke und Strömungen auf, das Recht auf „freie Meinungsäußerung“ gerade auch in „linken Räumlichkeiten“ zu verteidigen.

Dass wir BDS Berlin und das Palästinakomitee Stuttgart eingeladen haben, wird ebenfalls als Vorwand benutzt, um gegen unsere Veranstaltungen zu hetzen. Wir verteidigen das Recht der palästina-solidarischen Bewegung, öffentlich zu sprechen und gegen den demagogischen und verleumderischen „Antisemitismus-Vorwurf“ Stellung zu beziehen. Wir halten es für ein demokratisches Recht der Palästina-Solidarität, der migrantischen und anti-imperialistischen Organisationen, sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen und mit uns zum Thema zu sprechen.

Auch außerhalb dieser Veranstaltungen nehmen solche gezielten bürokratischen Angriffe zu. Dafür haben wir mit anderen linken Organisationen im Juni den gemeinsamen Aufruf „Antizionismus ist kein Antisemitismus“ gestartet. Wir rufen alle Linken auf, diesen gemeinsamen Aufruf zu unterzeichnen und künftig solche bürokratischen Manöver nicht unbeantwortet zu lassen. Ein gemeinsamer Widerstand gegen diese darf nicht nur dabei stehenbleiben, sondern braucht auch eine klare Perspektive, wie wir gegen den erstarkenden Antisemitismus ankämpfen wollen und müssen.

Für uns zeigt dies erneut, dass der Kampf gegen den Antizionismus, den der deutsche Imperialismus samt seiner „antideutschen“ ErfüllungsgehilfInnen führt, dem notwendigen Kampf gegen den Antisemitismus in Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks praktisch im Wege steht. In Zeiten antisemitischer Anschläge, wie dem kürzlich in Halle, offenbart sich diese politische Agenda zunehmend als reaktionär.

Wir müssen inzwischen davon ausgehen, dass nicht nur alles versucht wird, dass wir keine Räume bekommen, sondern auch die Veranstaltungen gestört werden und es zu Übergriffen kommen kann. Dies ist sicherlich beschämend für die „Linke“ insgesamt, zeigt aber deutlich, dass die antideutsche Szene einen staatstragenden, pro-imperialistischen und reaktionären Charakter trägt.

Wir wollen gerade bei „konfliktbehafteten Themen“ die Diskussion führen, sehen darin die Möglichkeit, politische Differenzen zu überwinden: Diskussion statt Verbot wäre unsere Losung. Wir hoffen auf die Solidarität der internationalistischen Linken, damit wir unsere Veranstaltungen durchführen können – ohne Störungen und ohne Gewalt.

Kontaktiert uns, wenn Ihr Interesse habt, das Thema in Eurer Stadt zu diskutieren wie auch, wenn Ihr unsere Veranstaltungen besuchen und schützen wollt!

Schließlich halten wir es für notwendig, dass nicht einfach pauschal über unseren angeblichen „Antisemitismus“ Verleumdungen verbreitet und darauf aufbauend Verbote ausgesprochen werden, sondern vielleicht erstmal unsere Thesen zu lesen: Denn gerne sind wir bereit, auch darüber zu diskutieren (http://arbeiterinnenmacht.de/2019/09/12/antisemitismus-zionismus-und-die-frage-der-juedischen-nation/). Lasst uns also nicht nur mit diesen staatstreuen RassistInnen herumschlagen, sondern gemeinsam für eine Welt kämpfen, in der Antisemitismus keinen Nährboden haben kann!

Daher laden wir auch noch einmal zur Teilnahmen an den drei Veranstaltungen ein:

Berlin, 14. November, 19.00 Uhr, Spreefeld Genossenschaft, Wilhelmine-Gemberg-Weg-14

Stuttgart, 16. November, 18.00 Uhr, Clara-Zetkin-Haus, Gorch-Fock-Straße 26

Dresden, 14. Dezember, 18.00 Uhr, Kurdischer Verein, Oschatzer Str. 26




Faschistischer Terror in Halle – Kein Einzelfall!

von Christian Mayer und Lukas Müller

Am vergangenen Mittwoch, den 09.10.2019, griff ein schwer bewaffneter Nazi eine Synagoge in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) an. Dieses Datum war kein Zufall: An diesem Tag feierten die Jüd_innen Yom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich etwa 70 bis 80 Personen in der Synagoge. Glücklicher weiße, so muss man es formulieren, hielt die Tür dem Beschuss stand und es gab kein Blutbad. Neben einigen Schusswaffen und scharfer Munition hatte der Nazi auch vier Kilo Sprengstoff in seinem Auto geladen und zudem eine Kampfmontur aus einem Stahlhelm, einer schusssicheren Weste sowie einer Art „Uniform“.

Mögliche Ziele

In seinem wirren „Manifest“ was sich über drei Seiten erstreckt, schreibt der Angreifer, dass er mehrere Ziele im Visier hatte. Zunächst, so sein ursprünglicher Plan, wollte er ein linkes Zentrum angreifen. Warum er dies nicht in die Tat umsetzte, ist unklar. Weiter schreibt er, er wollte stattdessen eine Moschee angreifen, da Muslime in seinen Worten „schlimmer sein“ als Linke. Am Ende entschied er sich allerdings aus seinem antisemitischen Hass heraus, eine Synagoge anzugreifen. Als Vorbild diente ihm hierbei offenbar der Terroranschlag eines Faschisten vor ein paar Monaten im neuseeländischen Christchurch, der in zwei Moscheen insgesamt 51 Menschen brutal ermordete.

Nachdem sein Angriff auf die Synagoge, bei dem er neben einigen antisemitischen Ausfällen auch den Holocaust leugnete, gescheitert war, flüchtete er in Richtung seines Autos. Unterwegs ermordete er beim jüdischen Friedhof noch eine Frau, die dort zufällig unterwegs war. Als Motiv kann man „Hass auf Frauen“ durchaus in Betracht ziehen, da er neben Jüd_Innen, Muslim_Innen und Linken auch den Feminismus als Ursache allen Übels in der Welt sah. Als er auf seiner Flucht quer durch Halle noch an einem Dönerladen vorbeikam, stieg er aus seinem Auto aus, stürmte auf den Laden zu und ermordete dort willkürlich einen 20-Jährigen. Nach kurzer Flucht mit seinem Auto wurde er anschließend etwa 15 Kilometer weiter von einem SEK verhaftet.

Faschistische Netzwerke

Dass Nazis mordend durch die BRD ziehen ist eigentlich nichts Neues. Spätestens seit dem Ende des sogenannten „NSU“ vor acht Jahren wissen wir, dass Nazis unbehelligt Menschen töten können, ohne dass der bürgerliche Staat etwas dagegen unternimmt. Im Gegenteil: Gerade der NSU hat sehr deutlich gezeigt, wie perfekt das Zusammenspiel von Geheimdiensten wie dem Verfassungsschutz und Nazis funktioniert. So war bei einem der NSU-Morde in einem Internetcafe in Kassel auch ein V-Mann anwesend, der von diesem Mord aber nichts gewusst haben wollte. Besondere Brisanz erhielt das Verfahren, als „plötzlich“ ehemalige V-Männer und Kronzeugen im NSU-Prozess starben und Akten, die möglicherweise brisantes Informationsmaterial enthielten, „ausversehen“ im Aktenvernichter landeten und geschreddert wurden.

Auch andere Nazi-Terrorgruppen können in aller Seelenruhe ihre tödlichen Pläne aushecken und Anschläge vorbereiten. Man braucht dabei nur an Gruppen wie „Revolution Chemnitz“ oder an „Nordkreuz“ zu denken. Dass diese Gruppen Todeslisten von ihren politischen Gegner_Innen erstellen und austauschen, sowie Material zur „Leichenbeseitigung“ erwerben, zeigt, dass die faschistischen Terrornetzwerke auf wirklich alles vorbereitet sind. Längst ist dabei auch klar geworden, dass solche Gruppen und Personen nicht nur schwer bewaffnet und maximal gewaltbereit sind, sondern dazu auch noch bestens vernetzt und auf große Unterstützernetzwerke zurückgreifen können. Die von staatlicher Seite viel beschworene „Einzeltäterthese“ und die vielen „Einzelfälle“, sind der Versuch das Ausmaß der faschistischen Netzwerke, wie die Verstrickung staatlicher Behörden in diese, zu vertuschen.

Rechtsruck

Was wir bei solchen Anschlägen sehen, ist letztlich nur der radikalste und extremste Ausdruck des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks. Vor allem der AfD kommt hier eine entscheidende Rolle zu. Diese Partei ist es, die durch ihr Erstarken und ihre Polarisierung den gesellschaftlichen Diskurs und alle anderen Parteien nach rechts vor sich hertreibt. Diese Partei bereitet den ideologischen Boden für Terroranschläge wie in Halle oder in Kassel am dortigen Regierungspräsidenten. Durch die massive Hetze gegen Migrant_Innen, Refugees, PoC’s, die LGBTTIQA-Community und ihre Unterstützer_Innen, ermutigt die AfD Leute wie Stefan Ernst, Stephan Baille und andere Nazis, zur Tat zu schreiten und ihre mörderischen Phantasien umzusetzen. Nicht zuletzt ihrem faschistischen Vordenker Bernd Höcke vom rechtsextremen „Flügel“ und seinem Gefolge in den Parlamenten wie Andreas Kalbitz ist es zu verdanken, dass sich faschistische Kräfte wie etwa Freie Kameradschaften, Autonome Nationalisten oder auch die Nazi-Hipster der Identitären wie auch die verwirrten Pegida-Naziomas und -opas zu dieser Partei hingezogen fühlen.

Widerstand und Selbstschutz

Was wir gegen den Rechtsruck im Allgemeinen und gegen faschistischen Terror im Besonderen brauchen, ist eine bundesweit gut vernetzte und lokal verankerte Bündnisstruktur aus allen linken Organisationen und Organisationen der Arbeiter_Innenklasse. Unabhängig von inhaltlichen Differenzen muss eine solche Einheitsfront gemeinsam und massenhaft Widerstand auf allen Ebenen organisieren, auch durch militante Selbstverteidigungsstrukturen. Auf den Staat und seine Behörden, wie Polizei oder Verfassungsschutz, ist dabei kein Verlass. Im Gegenteil, diese sind selbst von faschistischen Netzwerken durchzogen.

Kampf dem Rassismus und Antisemitismus auf allen Ebenen!

Für massenhafte gemeinsame Aktionen der gesamten Linken und der Arbeiter_Innenbewegung!

Kein Vertrauen in staatliche Behörden! Zerschlagt die faschistischen Netzwerke selbst und organisiert militante Selbstschutzstrukturen!