Frühlingsbeginn in Jordanien?

von Jona Everdeen, April 2024, zuerst veröffentlicht in der Infomail 1250 der Gruppe Arbeiter:innemacht

Die meisten von uns freuen sich vermutlich gerade sehr, dass der Frühling wieder kommt und Sonnenschein und wärmere Temperaturen mit sich bringt. Doch kann es sein, dass die Freude bald noch viel größer ausfällt, wenn auch der Arabische Frühling zurückkehrt und revolutionäre Erhebungen und internationale Solidarität mit sich bringt? Die Massenproteste, die gerade in Jordanien gegen die de facto Unterstützung Israels durch die Haschimitenmonarchie stattfinden, könnten zumindest zum Auslöser eines solches Prozesses werden.

Die Lage in Jordanien

Während die Lage im Land zwischen Jordan und Mittelmeer, in Palästina, noch immer in vielen Medien Thema ist und sich auch in den westlichen Metropolen zahlreiche Menschen mit den Palästinenser:innen solidarisieren, die noch immer unter Israels genozidalem Krieg leiden, erfährt man kaum etwas über das Land östlich des Jordans. Dabei könnten die aktuellen Ereignisse in Jordanien für die Lage in Palästina und der ganzen Region eine große Bedeutung gewinnen.

Seit etwas mehr als einer Woche demonstrieren in unmittelbarer Nähe zur israelischen Botschaft, einer von wenigen überhaupt in einem arabischen Land, täglich zigtausende Jordanier:innen in Amman, der Hauptstadt des Landes. Ihre Forderungen: die Schließung der Botschaft und das Ende der Kooperation der herrschenden Regierung um den Haschimitenkönig Abdullah II. bin al-Hussein mit Israel. Konkret fordern sie auch die Aufhebung des Friedensvertrags zwischen Israel und Jordanien, der 1994 geschlossen wurde und die Beziehungen normalisierte.

Diese Proteste sind nicht die ersten im von König Abdullah II. bonapartistisch regierten Jordanien, so war dieses bereits ein Nebenschauplatz des (ersten) Arabischen Frühlings. Massive Proteste zwangen den König, einige Reformen zuzugestehen, was damals die Lage beruhigen konnte. Im vergangenen Jahr gab es jedoch erneut große Proteste in Jordanien, die sich, wie bereits die des Arabischen Frühlings, gegen die Folgen der Krise richteten, die die Jordanier:innen hart trafen.

Wie in fast allen arabischen Ländern gab es auch hier in den ersten Wochen des Krieges riesige Solidaritätsdemonstrationen mit den Menschen in Gaza. Allerdings litten auch diese unter demselben Problem wie in anderen Ländern, indem sie sich zu großen Teilen nicht gegen die eigenen Regierungen richteten, die, mal mehr, mal weniger versteckt, mit Israel und dessen Verbündeten kooperieren.

Heute sieht das anders aus. Doch nicht nur richten sich die Demonstrationen jetzt in Amman gegen die Politik der Regierung, auch scheinen sie gut organisiert zu sein. So bilden gezielt Ärzt:innen und Anwält:innen die ersten Reihen in der Hoffnung, die Demos so vor Gewalt durch Repressionskräfte zu schützen. Diese antworten nämlich mit Härte. In den letzten Tagen kam es zu zahlreichen Verhaftungen von Demonstrierenden. Doch gelang es auch immer wieder, die Polizei zurückzudrängen. Auch sieht es nicht so aus, als würden sich die Proteste schnell beruhigen, sondern eher, als hätte die Bewegung gerade erst begonnen. Doch wer sind überhaupt die Haschimiten, die in Jordanien die Politik bestimmen? Und in welchem Verhältnis stehen sie zu Israel und der Besetzung und Unterdrückung Palästinas?

Die Haschimiten, Palästina und Israel

Jordanien und Palästina teilen sich nicht nur einen Fluss, sondern auch eine lange, gemeinsame Geschichte. Die Haschimiten spielten in dieser jedoch nie eine rühmliche Rolle. So erlangten sie die Macht über das Gebiet Transjordanien, nachdem sie eine zentrale Rolle in der arabischen Revolte gegen das Osmanische Reich gespielt hatten, welche Britannien nutzen konnte, um die mit Deutschland verbündete Regionalmacht im Ersten Weltkrieg zu besiegen. Anders jedoch als versprochen, wurde das „befreite“ arabische Gebiet nicht unabhängig, sondern in ein französisches und ein britisches Mandatsgebiet aufgeteilt, letztendlich nur ein anderes Wort für Kolonie. So wurde auch Jordanien nicht unabhängig, sondern lediglich zu einem Emirat der Haschimiten, die die Oberhoheit Britanniens anerkannten. Nach der Unabhängigkeit 1946 als Königreich intervenierte Jordanien zwar in den Krieg gegen das neu gegründete Israel, das gerade die Nakba begonnen hatte, allerdings eher aus Machtinteresse denn aus internationaler Solidarität. So verleibten sich die Haschimiten nach dem Krieg, unter Verurteilung anderer arabischer Staaten, die Westbank als eigenes Territorium ein. Im Angriffskrieg Israels gegen seine Nachbarn (Sechstagekrieg) im Jahr 1967 verlor Jordanien zwar die Westbank, seine verräterische Rolle jedoch nicht. In das Land waren nach Beginn der Nakba und im Zuge des Sechstagekriegs hunderttausende Palästinenser:innen geflohen, die einen signifikanten Teil der Bevölkerung stellten. So wurde Jordanien zum Schwerpunkt der PLO, die von hier aus den palästinensischen Befreiungskampf zu organisieren versuchte. Der Haschimitenkönig Hussein I. sah in der nationalistischen PLO eine Gefahr für seine Macht und führte einen brutalen Bürgerkrieg gegen die Palästinenser:innen (Schwarzer September 1970). 1994 dann unterzeichnete Jordanien mit Israel einen Friedensvertrag, der die Beziehungen der beiden Länder normalisierte und die israelische Herrschaft über Palästina anerkannte. Jordanien wurde zum engsten Verbündeten Israels in der Region. Das Haschimitenkönigshaus pflegt ebenfalls enge Beziehungen mit den USA. So unterhält der US- Imperialismus wichtige Militärbasen in Jordanien, die für seine Kontrolle über den Nahen Osten zentral sind.

Doch während das bonapartistische Haschimitenregime, aus Gründen seines Machterhalts, mit den Feind:innen der arabischen Völker klüngelt, sind die jordanischen Menschen mit Palästina solidarisch, nicht zuletzt auch deshalb, weil so viele wie in keinem anderen Land selber ihre Wurzeln in Palästina haben, ihre Großeltern während der Nakba vertrieben wurden und ihre Familienangehörigen heute in Gaza bombardiert oder in der Westbank von Siedler:innen angegriffen werden.

Die Haschimiten haben bisher alles getan zu verhindern, dass die Menschen östlich des Jordans ihre Geschwister westlich des Flusses in ihrem Befreiungskampf unterstützen, haben sich aktiv mit deren Unterdrücker:innen zusammengetan, um ihre Macht zu erhalten und auszubauen. Jetzt ist es an der Zeit, die Macht dieses korrupten Clans endlich zu brechen!

Nur der Frühling kann den Winter beenden

Wenn die Proteste in Jordanien siegen, die mit westlichem Imperialismus und Zionismus kooperierende Bourgeoisie absetzen wollen, muss die Bewegung Organisationen der Gegenmacht aufbauen, sich anders als die Massenproteste des Arabischen Frühlings in den Betrieben und Stadtteilen, an den Schulen, Universitäten organisieren. Die in Jordanien durchaus relevante Gewerkschaftsbewegung kann hier die entscheidende Rolle spielen, denn nur eine massive Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse ist in der Lage, einen dauerhaften Sieg des Volkes gegen seine Unterdrücker:innen zu erringen! Dabei könnte diese Bewegung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: endlich zu einer Politik der internationalen Solidarität und Unterstützung der Palästinenser:innen aus Jordanien führen und auch die Folgen der kapitalistischen Krise für die Bevölkerung reduzieren und deren Lebensbedingungen mittels einer gezielten Planung der wirtschaftlichen Produktion verbessern. Dabei spielen die Gewerkschaften zwar ein wichtige Rolle, aber im Kampf ist es vor allem Zentral, eine politische Kraft, eine Revolutionäre Arbeiter:innenpartei aufzubauen, die den Kampf gegen die Dynastie mit dem Kampf für eine sozialistische Revolution verbindet.

Doch kann dies nicht isoliert geschehen, eine kleine jordanische Arbeiter:innenrepublik wäre kaum lebensfähig, sondern nur als Teil einer erneuten revolutionären Massenbewegung im Nahen Osten und darüber hinaus – letztlich in einer Föderation sozialistischer Staaten des Nahen Ostens.

Während Jordanien vielleicht das extremste Beispiel für Kooperation eines arabischen Landes mit Israel verkörpert, ist es nicht das einzige. Auch Ägypten hat seine Beziehungen mit Israel im späten 20. Jahrhundert normalisiert und trägt die Unterdrückung der Palästinenser:innen faktisch mit. Doch auch Regierungen, die Solidarität mit Palästina vorgeben, tun dies in der Regel nur, um ihre Bevölkerung ruhigzustellen. Von praktischer Solidarität sieht man wenig. De facto haben sich alle Staaten des Nahen Ostens mit der Existenz des israelischen Staates in seiner derzeitigen Form abgefunden, das heißt mit Apartheid und Besatzung, und akzeptieren auch den genozidalen Krieg in Gaza größtenteils, bei lediglich symbolischer Verurteilung. Schließlich will man es sich ja auch nicht mit Israels westlichen Verbündeten verderben. Denn die bonapartistischen Regierungen der Region sind vom Wohlvollen imperialistischer Mächte abhängig, deren Vormachtstellung sie stützen, und von denen sie, im Gegenzug für die Durchsetzung der Ausbeutung der eigenen proletarischen Massen und die Plünderung ihrer Ressourcen durch internationale Konzerne, eine Teil der Beute erhalten.

Für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens!

Diese Unterdrückung beenden können die Ausgebeuteten und Unterdrückten im Nahen Osten, auf der arabischen Halbinsel und in Nordafrika sowie in jeder Region der Welt nur, indem sie ihre eigenen Regierungen stürzen und Regierungen der Arbeiter:innen und Kleinbäuer:innen errichten, die in Räten die Kontrolle über Politik und Wirtschaft übernehmen. Um gegen Imperialismus und von diesem unterstützte Konterrevolution gewappnet zu sein, müssen sich diese zu einer sozialistischen Förderation zusammenschließen und gemeinsame Wirtschaftsplanung und Verteidigung in Form von Arbeiter:innen- und Bäuer:innenmilizen etablieren. So kann ein zweiter Arabischer Frühling die Macht des Imperialismus in der Region brechen und zur Inspiration für Unterdrückte auf der ganzen Welt werden. Die derzeitigen Massenproteste in Jordanien haben zumindest das Potential, eine solche Dynamik anzustoßen.




Neue militärische Eskalation in Libyen!

Unser Autor Jonathan Frühling erklärt, was genau in Libyen los ist und warum niemand darüber spricht.

Während hierzulande Corona die Nachrichtenwelt dominiert,
gehen die kriegerischen Konflikte zwischen Imperialist_Innen und Regionalmächte
unvermindert weiter. Dabei ist ein alter Konfliktherd mit besonderer Heftigkeit
wieder ausgebrochen: Libyen.

Libyen ist ein weitläufiger nordafrikanischer Wüstenstaat
mit einer Bevölkerung von knapp 7 Millionen Menschen. Das BIP beträgt ca. 30
Mrd. US-Dollar, was ungefähr der wirtschaftlichen Stärke Syriens entspricht,
wobei die Wirtschaft vor allem auf der Förderung von Öl basiert.

2011 wurde der langjährige Diktator al-Gaddafi durch einen
Bürgerkrieg gestürzt. Damals zerfiel die Armee und es bildeten sich lokale
Milizen, die von der NATO aus der Luft unterstützt wurden. Recht bald nach dem
Krieg ist diese Allianz gegen al-Gaddafi jedoch zerfallen und hat zu einem bis
heute andauernden Bürger_Innenkrieg geführt.

Politische Ausgangslage

Das Land ist momentan gespalten in einen Ost- und einen
Westteil. Der Westen wird geführt von der Übergangsregierung GNA (Government of
National Accord) unter dem Ministerpräsidenten as-Sarradsch, indem er die ehemalige
Hauptstadt Tripolis und die umliegenden dicht besiedelten Gebieten kontrolliert.
Diese Regierung wird auch von der UN als die legitime Regierung anerkannt und
vom Westen unterstützt. Im Osten herrscht der General Haftar und seine Libyan
National Army (LNA), die auch einen Großteil der Ölquellen unter ihrer
Kontrolle haben. Er stützt sich auf eine Reihe von im Nord-Osten des Landes
ansässiger Stämme, die hoffen, bzw. hofften, nach seinem Sieg eine bevorzugte
Stellung im neuen Staat zu erhalten.

Neuste Entwicklungen

Vor gut einem Jahr begann das Militärbündnis von Haftar mit
einer großangelegten Offensive, die zu der Eroberung der Hauptstadt Tripolis
führen sollte. Politische Verhandlungen hatte Haftar zuvor abgebrochen. Bei der
Offensive wurden einige Erfolge erzielt und bis in die Vorstädte der Hauptstadt
Tripolis eingedrungen. Dann allerdings stoppte die Offensive, denn die GNA
bekam militärische Unterstützung vor allem durch die Türkei. Diese sendete
unzählige Schiffe mit schwerem militärischen Gerät, vor allem gepanzerte
Fahrzeuge, sowie der Türkei treuen Islamisten aus Syrien, was wohl
ausschlaggebend für die Wende im Krieg war.

Dadurch konnten die Truppen der GNA selbst offensiv werden
und Städte im Westen des Landes und südlich von Tripolis zurückerobern. Die
Rückeroberung eines großen Militärflughafens war dabei der jüngste Erfolg. Dies
hat zudem dazu geführt, dass die Türkei nun eine festere militärische Präsenz
als bisher aufbauen kann. Zudem kann die Türkei die GNA Truppen jetzt
komfortabel aus der Luft unterstützen und damit die fast vollständige Lufthoheit
Haftars Truppen brechen.

Die Militärallianz der Regierung Haftars droht aufgrund
dieser Rückschläge zu zerbrechen, da es nämlich in Libyen auf keiner Seite eine
zentral strukturierte Armee gibt. Vielmehr gibt es lokale Milizen, die vor
allem ihre eigene Macht im Auge haben und deshalb leicht die Seiten wechseln können.
In den von der GNA eroberten westlichen Städten haben die lokalen Milizen,
vorher noch auf Haftars Seite, bereits der GNA die Treue geschworen.

Doch nicht nur die lokale Unterstützung Haftars bröckelt.
Russland, welches bislang Haftar unterstützte, hat seine Militärberater_Innen
und militärisches Gerät, wie z.B. Flugabwehrraketen aus der Frontnähe in den
Osten des Landes abgezogen. Russland scheint also zumindest die Hoffnung auf
eine baldige Offensive zur Rückeroberung der verlorenen Gebiete zu bezweifeln.
Auch von Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emiraten hört man bisher zur
Unterstützung der LNA wenig. Dabei hatte Ägypten bei einer Ausweitung des
Krieges durch die Türkei vor einigen Monaten noch mit dem Einsatz von
Bodentruppen gedroht.

Hunderte Menschen haben in dem letzten Jahr der Kämpfe den Tod gefunden. 200.000 wurden gezwungen, ihre Häuser zu verlassen.

Die Lage von Flüchtenden

Das subsaharische Afrika ist von völliger Verarmung,
Rechtlosigkeit und Kriegen geprägt. Deshalb fliehen viele Menschen, um Arbeit
in Europa zu finden. Lange Zeit diente der Diktator al-Gaddafi der EU als
gutbezahlter Türsteher der Festung Europa. Nach dem Sturz Gaddafis nutzen nun
viele Flüchtende das entstandene Chaos, um in Libyen zu versuchen, illegal nach
Europa überzusetzen. Dabei müssen sie sich in die Hände von skrupellosen
Schleppern begeben. Oftmals werden sie vergewaltigt und/oder geraten in die Hände
von Menschenhändlern, die sie versklaven. In Libyen wartet eine Regierung auf
sie, die sich von der EU bezahlen lässt, mit militärischer Gewalt das
Übersetzen von Flüchtlingen zu verhindern. Viele Boote werden sogar noch
außerhalb der libyschen Gewässer zur Rückkehr gezwungen. Menschen auf der
Flucht werden gefangen genommen und interniert. Dort warten jahrelange
Inhaftierung unter erbärmlichen Bedingungen auf sie. Zudem sind Folter und
Missbrauch an der Tagesordnung, sodass nicht wenige durch Selbstmord diesem
Schrecken entfliehen.

Forderungen

Klar ist für uns als Kommunist_Innen, dass das Land in ein
solches Chaos abgedriftet ist, weil die Revolution zwar das diktatorische
Regime von Gaddafi gestürzt hat, die Eigentumsfrage aber unangetastet ließ. Wie
viele Revolutionen im sogenannten „Arabischen Frühling“ hatten auch die
Bewegungen in Libyen große Potentiale, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Ihr
trauriges Schicksal erinnert an die ägyptischen oder syrischen Aufstände, in
denen ebenfalls die Arbeiter_innenklasse nicht die programmatische Führung über
die Widerstandsbewegungen übernahm und somit den Weg für neue machthungrige
Cliquen frei machte statt ihr objektives Interesse an allgemeiner Emanzipation
zu verfolgen. Ähnliche Fragen stellen sich heute auch für die aufständischen
Bewegungen im Libanon oder im Irak.

Keine der in Libyen momentan befehlenden Milizen oder
Milizverbände hat ein Interesse daran, Verbesserungen für die lokale
Bevölkerung einzuführen. Letztlich geht es nur darum, welche kapitalistischen
Cliquen und hinter ihnen stehenden Mächte die Kontrolle über das Land, bzw. die
Ölreserven des Landes, bekommen.

Wir als Vertreter_Innen der Arbeiter_Innenklasse vertreten
eine ganz andere Position: Wir treten für eine Bewegung der Arbeiter_Innen und
Bäuer_Innen ein, die Schluss macht mit Fremdherrschaft und Ausbeutung.

Um das zu erreichen, müssen wir für folgenden grundlegenden
Forderungen kämpfen:

  • Für Versammlungsfreiheit,
    Pressefreiheit und Organisationsfreiheit
  • Regionalmächte und
    Imperialisten raus aus Libyen. Keine Kriegsunterstützung für bürgerliche
    Milizen!
  • Entwaffnet und zerschlagt
    die Milizen, die das Land seit 2011 ins Chaos getrieben haben!
  • Für eine Enteignung des
    Großgrundbesitzes. Das Land muss denen gehören, die es bestellen!
  • Für eine Vergesellschaftung
    der Industrie. Die Wirtschaft soll nach einem Plan der Produzent_Innen und
    Konsument_Innen reorganisiert werden!
  • Keine Folter und
    Internierung von Geflüchteten. Jeder Mensch, der Libyen nach Europa verlassen
    will, soll dies ohne Einschränkung tun können!
  • Für den Aufbau einer
    revolutionären Partei unter deren Banner die Unterdrückten sich sammeln,
    bewaffnen und kämpfen können!
  • Für ein sozialistische
    Föderation der Staaten Nordafrikas!



Für "Freiheit und Demokratie" in Syrien – und weiter?

Syrische Demonstranten geraten in Konflikt mit der Staatsgewalt.

Syrische Demonstranten geraten in Konflikt mit der Staatsgewalt.

Der syrischen Regierungsarmee gelingt es nicht, den Massenaufstand gegen die Al-Assad-Dynastie niederzuschlagen. Seit einem Jahr kämpfen hunderttausende gegen die jahrzehntelange Gewaltherrschaft, Massenarmut und eine Führungsclique, die sich bereichert, indem sie die Ölreserven des Landes an die Imperialisten verscherbelt.

Teile der Armee sind desertiert und haben sich in Widerstandsgruppen organisiert, u.a. der „Freien Syrischen Armee“. Dass der Aufstand seit einem Jahr andauert und trotz tausenden Opfern weitergeht, ist jedoch nur durch die Unterstützung durch die Masse der Jugendlichen, Lohnabhängigen und Prekären möglich, die den Bewaffneten Schutz und Unterstützung geben.

Das reaktionäre Assad-Regime versucht mit massivem Terror und militärischen Angriffen den Widerstand auszubluten.

Die Lage ist extrem zugespitzt: durch Belagerung und vollständige Vernichtung von Homs versucht das Regime, den Widerstand zu brechen und die Massen zur Resignation zu bringen – denn diese Taktik hat bereits einmal funktioniert. Vor genau 30 Jahren hatte die Regierungsarmee einen Aufstand in Homs niedergeschlagen und anschließend ein gewaltiges Massaker angerichtet, um die Möglichkeit des Sturz der Diktatur in den Köpfen der AktivistInnen vollständig zu zerschlagen. Eine neue Generation musste geboren werden, um den selben Kampf von neuem zu beginnen – mit Wissen um den hohen Einsatz, aber ohne eigene Erfahrung des blutigen Terrors. Nun stellt sich die Frage, ob die heutige Revolution in einem erneuten Trauma für die Unterdrückten endet oder vielmehr in der Zerschlagung der Diktatur und damit ein Vorbild und neuer Anschub der Umwälzungen in anderen Ländern.

Die Revolution in Syrien wie in Ägypten, Libyen und Tunesien sind Reaktion nicht nur auf jahrzehntelange Diktatur und Unterdrückung, sondern wesentlich durch die Auswirkungen der kapitalistischen Krise und die Schwäche des US-Imperialismus bestimmt: Nahrungsmittelkrise, Anwachsen der Massenarmut und Prekarisierung vor allem von Jugendlichen haben seit 2007 Proteste und Widerstand u.a. in Ägypten provoziert, die zum Ausbruch der Revolutionen beigetragen haben. Andererseits wurde in den letzten Jahren offensichtlich, dass der Versuch des US-Imperialismus, den Nahen und Mittleren Osten militärisch zu unterwerfen – wie in Irak und Afghanistan – eher gescheitert ist und weitere imperialistische Invasionen unwahrscheinlich sind. Ein weiterer Versuch der Bodeninvasion erschien bspw. in Libyen zu riskant.

Russland und China lehnen eine imperialistsiche Intervention nicht im Sinne der Arbeiterklasse, der Jugend und Armen Bevölkerung in Syrien ab. Ihre - von einigen Stalinisten gar als linkes Verhalten gedeutete - Verweigerung im UN Sicherheitsrat für Sanktionen lässt sich nicht auf Pazifismus, sondern auf taktische und strategische Erwägungen im Sinne des eigenen Imperialismus, erklären.

Die Imperialisten in Europa und USA sind dazu übergegangen, ein „Ende der Gewalt“ und „friedlichen Übergang zur Demokratie“ zu fordern – freilich ohne zu erklären, dass sie selbst jahrzehntelang an der Unterdrückung in Syrien und der Ausbeutung der Massen dort mitgewirkt und mitverdient haben. Das Assad-Regime nun fallen zu lassen, ist lediglich ein taktischer Zug, mit dem sie sich für den Fall eines Sieges der Revolution schon mal beliebt machen wollen. Andere Mächte wie der Chinesische Imperialismus oder Russland dagegen stehen weiter auf Seite des Regimes, da ihr Einfluss dort im Falle der erfolgreichen Revolution gefährdet wäre. Für uns sind Imperialisten wie USA, Deutschland oder Frankreich niemals Verbündete im Kampf gegen Unterdrückerregime – ein Sturz Assads durch eine imperialistische Invasion bspw. würde nicht der Revolution zum Sieg verhelfen, sondern eine neue, imperialistische Herrschaft über das Land begründen – daher lehnen wir jeden imperialistischen Angriff ab – egal, mit welch hohen „moralischen Werten“ er begründet wird.

Syrische Milizen - sollten Seite an Seite mit Freiwilligenverbänden aus Libyen oder Ägypten kämpfen.

Wir müssen auch derartige Illusionen, die teilweise in den arabischen Ländern vorhanden sind, offenlegen. Um Unterdrückerregime zu stürzen, sollte man nicht um die Hilfe anderer Unterdrücker bitten – vielmehr verdient die syrische Revolution die uneingeschränkte Unterstützung durch die unterdrückten Klassen der Welt und der anderen Länder des arabischen Frühlings! Die Rebelleneinheiten z.B. in Libyen sollten Freiwilligenverbände zur Unterstützung der syrischen Massen entsenden, die ArbeiterInnenbewegung der Welt sollte jede mögliche materielle und personelle Hilfe bieten.

Dabei kritisieren wir aufs Schärfste jene „linken“ Kräfte u.a. in Deutschland, die aufgrund der phrasenhaften und verlogenen verbalen „Unterstützung“ der Imperialisten meinen, der Aufstand sei doch eigentlich eine imperialistische Verschwörung gegen Syrien. Wir verteidigen zwar jederzeit ein unterdrücktes, d.h. halbkoloniales Land gegen imperialistische Angriffe – doch einen solchen Massenaufstand als „imperialistische Provokation“ zu denunzieren, stellt die Dinge auf den Kopf: Nicht die Imperialisten haben den Aufstand ausgelöst – sie versuchen vielmehr, die stattfindende Revolution zu vereinnahmen – mit dem Ziel, dass sie nach Al-Assads Sturz stoppt, und nicht etwa die imperialistischen Investitionen enteignet oder gar den revolutionären Flächenbrand in Arabien neu entfacht.

Letztendlich bestehen auch politische Widersprüche innerhalb der verschiedenen Oppositionsgruppen und -strömungen. Der Syrian National Council ist ein Zusammenschluss vor allem im Ausland lebender Unterstützer und handelt hauptsächlich von Istanbul aus. Er unterstützt die Einrichtung z.B. von UN-Sicherheitszonen und fordert den Rückzug der syrischen Armee, bietet aber keinerlei Perspektive zur Erringung der Macht durch die Massen – und ist daher ein optimaler Bündnispartner für die Imperialisten, um die Revolution zu kanalisieren. Andererseits gibt es das National Coordination Committe for Democratic Change, das sich eindeutig gegen militärisches Eingreifen der Imperialisten ausspricht, jedoch sowohl linke als auch bürgerliche bzw. nationalistische Kräfte vereinigt.

Wir meinen, das Ziel der syrischen Revolution muss die Erringung der Macht durch die unterdrückten Klassen, d.h. Lohnabhängige, BauerInnen, Arbeitslose und prekäre Jugendliche sein. Die politische Perspektive dieser Revolution sollte nicht nur der Sturz der Assad-Herrschaft sein – vielmehr wird nur die Nationalisierung der Wirtschaft und deren Kontrolle durch Arbeiter- und Bauernräte, Stadtteilkommitees u.ä. die grundlegenden Probleme, Massenarmut und imperialistische Einflussnahme beenden können – denn die selbstherrliche Führungsclique um Al-Assad ist letztlich nicht der Ursprung der Unterdrückung, sondern v.a. ein Vermittler zwischen verschiedenen Ausbeuterklassen: den imperialistischen auf der einen und der schwachen, kleinen syrischen Kapitalistenklasse auf der anderen Seite. Obwohl diese keinesfalls die selben Interessen vertreten, sind sie sich einig, dass die lohnabhängigen Massen und andere unterdrückte Schichten weiterhin unterdrückt und lohnabhängig bleiben sollen. Eine wirkliche Perspektive zur Befreiung der syrischen ArbeiterInnen und Armen kann daher nur eine klassenkämpferische, revolutionäre Bewegung geben, die nicht bei Teilzielen halt macht, sondern den Arabischen Frühling zum Frühling des sozialistischen Umsturzes macht.




Für "Freiheit und Demokratie" in Syrien – und weiter?

Syrische Demonstranten geraten in Konflikt mit der Staatsgewalt.

Syrische Demonstranten geraten in Konflikt mit der Staatsgewalt.

Der syrischen Regierungsarmee gelingt es nicht, den Massenaufstand gegen die Al-Assad-Dynastie niederzuschlagen. Seit einem Jahr kämpfen hunderttausende gegen die jahrzehntelange Gewaltherrschaft, Massenarmut und eine Führungsclique, die sich bereichert, indem sie die Ölreserven des Landes an die Imperialisten verscherbelt.

Teile der Armee sind desertiert und haben sich in Widerstandsgruppen organisiert, u.a. der „Freien Syrischen Armee“. Dass der Aufstand seit einem Jahr andauert und trotz tausenden Opfern weitergeht, ist jedoch nur durch die Unterstützung durch die Masse der Jugendlichen, Lohnabhängigen und Prekären möglich, die den Bewaffneten Schutz und Unterstützung geben.

Das reaktionäre Assad-Regime versucht mit massivem Terror und militärischen Angriffen den Widerstand auszubluten.

Die Lage ist extrem zugespitzt: durch Belagerung und vollständige Vernichtung von Homs versucht das Regime, den Widerstand zu brechen und die Massen zur Resignation zu bringen – denn diese Taktik hat bereits einmal funktioniert. Vor genau 30 Jahren hatte die Regierungsarmee einen Aufstand in Homs niedergeschlagen und anschließend ein gewaltiges Massaker angerichtet, um die Möglichkeit des Sturz der Diktatur in den Köpfen der AktivistInnen vollständig zu zerschlagen. Eine neue Generation musste geboren werden, um den selben Kampf von neuem zu beginnen – mit Wissen um den hohen Einsatz, aber ohne eigene Erfahrung des blutigen Terrors. Nun stellt sich die Frage, ob die heutige Revolution in einem erneuten Trauma für die Unterdrückten endet oder vielmehr in der Zerschlagung der Diktatur und damit ein Vorbild und neuer Anschub der Umwälzungen in anderen Ländern.

Die Revolution in Syrien wie in Ägypten, Libyen und Tunesien sind Reaktion nicht nur auf jahrzehntelange Diktatur und Unterdrückung, sondern wesentlich durch die Auswirkungen der kapitalistischen Krise und die Schwäche des US-Imperialismus bestimmt: Nahrungsmittelkrise, Anwachsen der Massenarmut und Prekarisierung vor allem von Jugendlichen haben seit 2007 Proteste und Widerstand u.a. in Ägypten provoziert, die zum Ausbruch der Revolutionen beigetragen haben. Andererseits wurde in den letzten Jahren offensichtlich, dass der Versuch des US-Imperialismus, den Nahen und Mittleren Osten militärisch zu unterwerfen – wie in Irak und Afghanistan – eher gescheitert ist und weitere imperialistische Invasionen unwahrscheinlich sind. Ein weiterer Versuch der Bodeninvasion erschien bspw. in Libyen zu riskant.

Russland und China lehnen eine imperialistsiche Intervention nicht im Sinne der Arbeiterklasse, der Jugend und Armen Bevölkerung in Syrien ab. Ihre - von einigen Stalinisten gar als linkes Verhalten gedeutete - Verweigerung im UN Sicherheitsrat für Sanktionen lässt sich nicht auf Pazifismus, sondern auf taktische und strategische Erwägungen im Sinne des eigenen Imperialismus, erklären.

Die Imperialisten in Europa und USA sind dazu übergegangen, ein „Ende der Gewalt“ und „friedlichen Übergang zur Demokratie“ zu fordern – freilich ohne zu erklären, dass sie selbst jahrzehntelang an der Unterdrückung in Syrien und der Ausbeutung der Massen dort mitgewirkt und mitverdient haben. Das Assad-Regime nun fallen zu lassen, ist lediglich ein taktischer Zug, mit dem sie sich für den Fall eines Sieges der Revolution schon mal beliebt machen wollen. Andere Mächte wie der Chinesische Imperialismus oder Russland dagegen stehen weiter auf Seite des Regimes, da ihr Einfluss dort im Falle der erfolgreichen Revolution gefährdet wäre. Für uns sind Imperialisten wie USA, Deutschland oder Frankreich niemals Verbündete im Kampf gegen Unterdrückerregime – ein Sturz Assads durch eine imperialistische Invasion bspw. würde nicht der Revolution zum Sieg verhelfen, sondern eine neue, imperialistische Herrschaft über das Land begründen – daher lehnen wir jeden imperialistischen Angriff ab – egal, mit welch hohen „moralischen Werten“ er begründet wird.

Syrische Milizen - sollten Seite an Seite mit Freiwilligenverbänden aus Libyen oder Ägypten kämpfen.

Wir müssen auch derartige Illusionen, die teilweise in den arabischen Ländern vorhanden sind, offenlegen. Um Unterdrückerregime zu stürzen, sollte man nicht um die Hilfe anderer Unterdrücker bitten – vielmehr verdient die syrische Revolution die uneingeschränkte Unterstützung durch die unterdrückten Klassen der Welt und der anderen Länder des arabischen Frühlings! Die Rebelleneinheiten z.B. in Libyen sollten Freiwilligenverbände zur Unterstützung der syrischen Massen entsenden, die ArbeiterInnenbewegung der Welt sollte jede mögliche materielle und personelle Hilfe bieten.

Dabei kritisieren wir aufs Schärfste jene „linken“ Kräfte u.a. in Deutschland, die aufgrund der phrasenhaften und verlogenen verbalen „Unterstützung“ der Imperialisten meinen, der Aufstand sei doch eigentlich eine imperialistische Verschwörung gegen Syrien. Wir verteidigen zwar jederzeit ein unterdrücktes, d.h. halbkoloniales Land gegen imperialistische Angriffe – doch einen solchen Massenaufstand als „imperialistische Provokation“ zu denunzieren, stellt die Dinge auf den Kopf: Nicht die Imperialisten haben den Aufstand ausgelöst – sie versuchen vielmehr, die stattfindende Revolution zu vereinnahmen – mit dem Ziel, dass sie nach Al-Assads Sturz stoppt, und nicht etwa die imperialistischen Investitionen enteignet oder gar den revolutionären Flächenbrand in Arabien neu entfacht.

Letztendlich bestehen auch politische Widersprüche innerhalb der verschiedenen Oppositionsgruppen und -strömungen. Der Syrian National Council ist ein Zusammenschluss vor allem im Ausland lebender Unterstützer und handelt hauptsächlich von Istanbul aus. Er unterstützt die Einrichtung z.B. von UN-Sicherheitszonen und fordert den Rückzug der syrischen Armee, bietet aber keinerlei Perspektive zur Erringung der Macht durch die Massen – und ist daher ein optimaler Bündnispartner für die Imperialisten, um die Revolution zu kanalisieren. Andererseits gibt es das National Coordination Committe for Democratic Change, das sich eindeutig gegen militärisches Eingreifen der Imperialisten ausspricht, jedoch sowohl linke als auch bürgerliche bzw. nationalistische Kräfte vereinigt.

Wir meinen, das Ziel der syrischen Revolution muss die Erringung der Macht durch die unterdrückten Klassen, d.h. Lohnabhängige, BauerInnen, Arbeitslose und prekäre Jugendliche sein. Die politische Perspektive dieser Revolution sollte nicht nur der Sturz der Assad-Herrschaft sein – vielmehr wird nur die Nationalisierung der Wirtschaft und deren Kontrolle durch Arbeiter- und Bauernräte, Stadtteilkommitees u.ä. die grundlegenden Probleme, Massenarmut und imperialistische Einflussnahme beenden können – denn die selbstherrliche Führungsclique um Al-Assad ist letztlich nicht der Ursprung der Unterdrückung, sondern v.a. ein Vermittler zwischen verschiedenen Ausbeuterklassen: den imperialistischen auf der einen und der schwachen, kleinen syrischen Kapitalistenklasse auf der anderen Seite. Obwohl diese keinesfalls die selben Interessen vertreten, sind sie sich einig, dass die lohnabhängigen Massen und andere unterdrückte Schichten weiterhin unterdrückt und lohnabhängig bleiben sollen. Eine wirkliche Perspektive zur Befreiung der syrischen ArbeiterInnen und Armen kann daher nur eine klassenkämpferische, revolutionäre Bewegung geben, die nicht bei Teilzielen halt macht, sondern den Arabischen Frühling zum Frühling des sozialistischen Umsturzes macht.




Marokko: Monarchen und Proteste

Marokko wird von 32,5 Millionen Menschen bewohnt, von denen zwei Drittel in Städten lebt. 1956 von Frankreich und Spanien in die Unabhängigkeit entlassen, gehört Marokko heute zwar nicht zu den ganz armen, allerdings auch nicht zu den reichsten Staaten Afrikas.

Die größten Wirtschaftssektoren im Land sind die Landwirtschaft und der Bergbau, so wird in Marokko etwa 75% des weltweit geförderten Phosphats abgebaut. Insgesamt aber hat die Industrie einen eher einen untergeordneten Status, ein Fünftel aller lohnabhängigen MarrokanerInnen arbeitet in diesem Bereich.

Das Leben in Marokko ist schwierig, durchschnittlich wird man dort 69 Jahre alt. Je nachdem, wo man wohnt, hat man mehr oder weniger Chancen einen Job zu bekommen. Da das insgesamt immer schwieriger wird, wandern viele junge MarrokanerInnen aus und versuchen ihr Glück in Europa. Die Arbeitslosenquote von offiziellen 11% liegt bei Jüngeren weit höher. Wer sichere Arbeit will, der geht zur Polizei oder zum Militär – eine Entscheidung, die bei immer höheren Lebenshaltungskosten nicht schwer fällt. Reis, Getreide, Schokolade, Brot oder Gemüse kosten in Marokko mindestens 50% mehr als in Berlin. Nur Benzin ist billiger.

Auch im Bildungsbereich sieht es nicht besonders gut aus. Offiziell besteht zwar allgemeine Schulpflicht, oft sind die Familien jedoch so arm, dass die Kinder einer Familie tagsüber arbeiten müssen, oft bleiben nur die Mutter und die älteste Tochter zu Hause, während der Rest Geld verdient.

Der Staat tritt im Land hauptsächlich in Form von Militär und Polizei auf. Auf den Straßen gibt es alle paar Kilometer Polizeisperren, in den Städten sieht man viele Soldaten.

Kriminelle Strukturen gibt es weniger als hier. Dafür ist in diesem Land ebenfalls die Polizei zuständig. Egal was man braucht, egal was man verbrochen hat: Fast alles ist eine Frage des Preises. Wer bezahlen kann, kommt mit dem Gesetz nicht in Konflikt. Ein weiterer Grund, warum die Polizei ein sehr attraktiver Arbeitgeber ist. Die Armee ist mit 230.000 Mann ein starker, aber vor allen Dingen respektierter Faktor im Land.

Soziale Probleme

Abgesehen von den bereits beschriebenen Verhältnissen im Bildungssektor und dem daraus resultierendem weit verbreiteten Analphabetismus, den mangelnden Jobaussichten und den in den letzten Jahren immer rasanter gestiegenen Preisen für Lebensmittel gibt es diverse demokratische Mängel. GewerkschafterInnen haben es in Marokko generell noch schwerer als hierzulande. Auf politische Parteien, die die Monarchie kritisieren, wird permanent Druck ausgeübt, Drohungen sind an der Tagesordnung.

Trotz solcher Umstände kommt es in Marokko immer wieder zu sozialen Bewegungen. Die Frauenbewegung ist eine, wenn nicht sogar die kontinuierlichste. Seit Jahren gibt es immer wieder Demonstrationen von Zehntausenden Frauen, die für kostenlose Kinderbetreuung, Arbeit und niedrigere Preise auf die Straße gehen. Vom Staat wird diese Bewegung toleriert, solange sie die Monarchie nicht in Frage stellt und die Proteste nicht zu weit gehen. Sollte das einmal der Fall sein, wird den Organisatoren schnell Geld angeboten, mit dem Verweis, man möge doch nun bitte Ruhe geben. Der nächste Schritt des Königs ist der Einsatz der Polizei.

Proteste

Der frühere König, Hussein der II., war ein Diktator. Das ist allen MarokanerInnen klar. Beim aktuellen König, Mohammed VI., scheiden sich die Geister. Viele betrachten den König als einen Reformer, der Einiges zum Besseren gewendet hat. Die Tatsache, dass er eine Frau aus dem Volk (seine Frau ist Ingenieurin) geheiratet hat, macht ihn für viele sympatisch. Gleichzeitig ist er als oberster geistlicher Führer der 98% Muslime im Land auf gewisse Art auch eine religiöse Instanz. Doch es gibt auch die andere Seite.

Im Zuge des Arabischen Frühlings, der aufflammenden Proteste im arabischen und nordafrikanischen Raum entstand auch in Marokko eine Bewegung. Die Tagesschau verbreitete damals nur die Meldung, dass in Marokko „alles ruhig“ sei. Doch das stimmte nicht ganz.

Angefangen mit Protesten im Februar, die sich rasend schnell ausbreiteten und zu einer Bewegung anwuchsen, nahm auch der Marokkanische Frühling seinen Lauf und wuchs zu einer Massenbewegung von Hunderttausenden an. Beteiligte politische Kräfte waren einige linke Gruppen, wie die „Vereinigte sozialistische Partei“ , „Demokratischer Weg“ und die trotzkoide „AktivistIn“. Aber auch islamische Kräfte und Gewerkschaften schlossen sich dem Protest an.

Die Monarchie schien zunächst unsicher, wie sie reagieren sollte, sah sie doch in den Nachbarstaaten, dass Repression allein nicht ausreichte. Man entschied sich zu einer Finte. Am 9. März war es so weit: König Mohammed sprach im Fehrnsehen live zu seinem Volk und kündigte demokratische Reformen an. Dazu sollte eine Kommission gebildet werden, die Verfassungsverbesserungen ausarbeitet. Ein geschickter Schachzug, um die Bewegung zu spalten. Doch bereits am 13. März kam es erneut zu Massedemonstrationen, an denen sich jedoch weit weniger Menschen beteiligten als zuvor. Zaudernde Elemente der Bewegung propagierten die angekündigte Reform als Sieg der Bewegung und warnten zugleich vor einem blutigen Ende wie in Ägypten. Die Verbliebenen, einige linke und islamistische Organisationen kritisierten, dass die Reformen nicht weit genug gehen würden. Es half nichts, die „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Politik des Königs ließ die Bewegung, die zu der Zeit noch sehr heterogene Vorstellungen davon hatte, was sie denn genau erreichen möchte, wieder abflauen. Einerseits wurden folgende Demonstrationen durch die Polizei gewaltsam beendet, andererseits ließ der König bereits am 14. April 190 Festgenommene begnadigen bzw. milderte deren Strafen ab.

Am 19. Juli sprach der König dann erneut zu seinem Volk und verkündete die Ergebnisse der Kommission. Diese sah einige Veränderungen vor, jedoch nichts, was die Monarchie in ihrer Macht in irgendeiner Art und Weise beschneiden würde. Der König beschloss, das Volk über die Gesetzesänderung abstimmen zu lassen und rief dazu am 2. Juli zur Wahl. Die Bewegung kritisierte dieses Vorgehen des Königs scharf und beschloss, die Wahl zu boykottieren.

Am 2. Juli stimmte dann – offiziellen Angaben zufolge – die Mehrheit der MarokkanerInnen für den Gesetzesentwurf des Königs, der damit hoffte, die aufkeimende Revolution gestoppt zu haben.

Seitdem gibt es immer wieder große Demonstrationen von Jugendlichen und den städtischen Armen, aber auch der Gewerkschaften, die die Ziele der Protestbewegung nicht als erreicht betrachten und eine entgültige Demokratisierung und ein Ende der Korruption fordern. Daran konnten auch die jetzt stattfindenden Parlamentswahlen nichts ändern. Diese sind insgesamt so oder so nicht als sehr repräsentativ anzusehen. Von den in Marokko lebenden 32,5 Mio. EinwohnerInnen sind lediglich 13 Millionen ins Wahlregister eingetragen, was dann bei einer angeblichen Wahlbeteiligung von 44% übrigbleibt, kann sich jeder ausrechnen.

Perspektive

Die Protestbewegung des „20. Februar“ hatte dazu aufgerufen, die Wahl zu boykottieren und stattdessen auf die Straße zu gehen. Unserer Meinung nach war es ein Fehler der Bewegung, die Wahl zu boykottieren. Sie hätte stattdessen die Wahlen als Tribüne zur Agitation und zur Entlarvung des pseudo-demokratischen Prozesses nutzen sollen. Dass nur ein Drittel der Bevölkerung wählen darf, ändert daran nichts – mit diesem Argument hätte sich auch die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts an keiner Wahl beteiligen dürfen.

Die soziale Situation hat sich noch immer nicht entscheidend verbessert und man kann davon ausgehen, dass weder der König, noch die Konservative Wahlsieger-Partei PJD in der Lage ist, die Lage der Bevölkerung zu ändern. So hat die Bewegung alle Chancen, eine Renaissance ähnlich den Ägyptischen Protesten zu erleben. In einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung unter 15 Jahre alt ist, gibt es genug sozialen Sprengstoff, der die Mauern des Regimes endgültig einreißen kann.

Die radikalen AktivistInnen der Arbeiterklasse, der Jugend, der Linken stehen dabei vor der Herausforderung, dem Kampf eine Stoßrichtung und Führung zu geben – sie stehen vor der Aufgabe, eine neue revolutionäre Arbeiterpartei zu schaffen, die ihren Kampf auf Basis eines Aktionsprogramms führt, das u.a. folgende Forderungen enthält:

– Abschaffung der Monarchie! Wahlrecht für alle! Trennung von Staat und Religion! Für eine konstituierende Versammlung!

– Abschaffung aller Beschränkungen der politischen und gewerkschaftlichen Betätigung, für das Recht auf Bildung politischer Parteien und unabhängiger Gewerkschaften! Aufbau unabhängiger, klassenkämpferischer Gewerkschaften, die allen Lohnabhängigen unabhängig von Geschlecht, Nationalität, Religion offen stehen!

– Volle Gleichberechtigung alle nationalen und religiösen Minderheiten! Nationales
Selbstbestimmungsrecht – einschließlich des Rechts auf Gründung eines eigenen Staates für national unterdrückte Völker wie die Sahauris!

– Gleiche Rechte für Frauen – Abschaffung aller Einschränkungen für die politische und öffentliche Betätigung von Frauen sowie aller Einschränkungen in Bildung und Beruf!

– Für eine Programm zur öffentlicher, gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zur Sicherung der Lebensinteressen der Massen – unter Kontrolle der Arbeitenden!

– Mindestlohn für alle – festgesetzt von den Gewerkschaften und Ausschüssen der Beschäftigten. Mindesteinkommen für RenterInnen, Arbeitslose, Studierende in gleicher Höhe

– Gegen die Inflation: Gleitende Skala der Löhne, Renten, Mindesteinkommen! Preiskontrollkomitees zur Kontrolle und Festlegung der Preise gegen mafiösen Wucher und Spekulation!

– Arbeiterkontrolle über die große Industrie und den Finanzsektor! Entschädigungslose Enteignung ausländischer Kapitale, von Großunternehmen und Großgrundbesitz! Verstaatlichung der Banken und Zentralisierung zu einer Zentralbank unter Arbeiterkontrolle!

– Streichung der Auslandsschulden wie der Privatschulden von Lohnabhängigen, Kleinhändlern und Bauern und Ermutigung zur Gründung von Genossenschaften!

– Aufbau von Räten und räteähnlichen Organen zur Organisierung der Massen! Bildung von Arbeiter- und Bauernräten in den Betrieben und Stadtteilen und auf dem Land.

– Bildung von Selbstverteidigungsorganen der Bewegung gegen die rechte/islamistische Angriffe, gegen die Polizei/Mafia und staatliche Repression!

– Für Soldatenräte in der Arme: die einfachen Soldaten sollen sich auf die Seite der Bewegung stellen. Auflösung der Polizei, Ersetzung durch eine Arbeitermiliz!

Um ein solches Programm umzusetzen, bedarf es einer Revolution und der Bildung einer Arbeiter- und Bauernregierung, die nicht nur die Monarchie beseitigt und die demokratischen Forderungen der Massen umsetzt, sondern auch gegen die Herrschaft des Kapitals vorgeht und sich auf Räte und die bewaffneten Massen stützt.

So kann auch Marokko seinen Platz in der Revolution in Nordafrika einnehmen – als Teil einer zukünftigen Förderation von Räterepubliken!

Eine Einschätzung von Felix Wolkenfuß