Hände weg von Rojava!

Lukas Müller

Seit Montag hat der türkische Staat unter Führung des Diktators Recep Tayyip Erdogan von Trump grünes Licht: Die USA werden sich aus dem Nordosten Syriens vollständig zurückziehen und der Türkei freie Hand für einen Krieg gegen die Kurd_Innen in Rojava lassen.

Nachdem die USA die Kurd_Innen für den Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ einige Zeit unterstützt haben, wurden diese nun fallen gelassen. In den Augen von Trump haben die Kurd_Innen ihre Rolle gespielt: Der IS ist für Amerika keine direkte Gefahr mehr und der Stellvertreterkrieg gegen Assad und Russland ohnehin verloren. Interesse an einer Unterstützung des basisdemokratischen, feministischen und internationalistischen Projekts Rojava hatten die USA sowieso nie. Warum also einen Konflikt mit dem NATO-Partner Türkei riskieren, der schon seit Monaten klar macht, dass er sich von einem weiteren Krieg nicht abhalten lassen wird?

Aus der Administration von Erdogan wurde diese Woche verkündet, der Krieg werde in Kürze beginnen. Die Türkei kann dabei auf die Unterstützung allermöglichen islamistischen Milizen zählen, welche bereits im letzten Jahr Seite an Seite mit türkischen Truppen den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung des Kanton Afrin führten. Nichts ist Erdogan mehr ein Dorn im Auge, als das in den Wirren des syrischen Bürgerkriegs entstandene kurdische Autonomieprojekt. Zu groß ist für ihn die Gefahr, die Unabhängigkeit der syrischen Kurd_Innen werde die kurdische Minderheit im eigenen Land stärken und den gemeinsamen Kampf gegen Unterdrückung und für einen eigenen Staat, ein freies Kurdistan, neu entfachen.

Das Projekt Rojava ist in dieser Form auf der Welt etwas Einmaliges, gerade für den Nahen Osten. Auch wenn es kein wirklich sozialistisches Projekt ist, das heißt ein Projekt unter dem der Privatbesitz an Land, Rohstoffen und Maschinen vergesellschaftet ist, so ist es doch der Versuch die Gesellschaft basisdemokratisch und im Interesse aller zu organisieren. Rojava verfügt auf verschiedenen Ebenen über eigene Frauenstrukturen und hat den Anspruch diese in der Gesellschaft gleichberechtigt zu stellen. Außerdem versuchen die Kurd_Innen explizit alle anderen ethnischen und religiösen Gruppen der Region in das Projekt und die Strukturen miteinzubeziehen – eine Grundbedingung, um Frieden im Nahen Osten zu schaffen. Die Niederlage des Projekts wäre deshalb nicht nur ein schmerzhafter Rückschlag für die Kurd_Innen und ihren Befreiungskampf, es wäre eine Niederlage für den gesamten Nahen Osten und alle fortschrittlichen Kräfte auf der Welt.

Das Gebot der Stunde ist nun weltweit und massenhaft Solidarität zu organisieren und praktisch werden zu lassen. Nur mit vereinten Kräften haben die Genoss_Innen vor Ort eine Chance zu bestehen. Lasst uns Öffentlichkeit schaffen und Druck auf die Regierungen ausüben.

Hände weg von Rojava! Kein türkischer Einmarsch in Nordost-Syrien!

Solidarität mit den Menschen und Kämpfer_Innen vor Ort!

Für den Abzug aller Truppen aus Syrien! Kein Vertrauen in die USA oder andere Mächte!

Für weltweiten und massenhaften Widerstand zur Verteidigung des Projekts!




Afrin: Was passiert eigentlich gerade in Syrien?

von Jonathan Frühling, REVOLUTION Kassel

Seit dem 20. Januar 2018 rollen Panzer, schwere Artillerie und hunderte Fahrzeuge mit türkischen Soldaten und islamistischen Milizionären über die Grenzen des mehrheitlich kurdisch bewohnten Kantons Afrin. Seitdem wird ein erbitterter Kampf um das ca. 30 x 40 km große Stück Land geführt, den die kurdisch dominierten „Syrian Demokratic Forces“ (SDF) wegen zahlenmäßiger und waffentechnischen Unterlegenheit kaum gewinnen können. Ihr erbitterter Widerstand machen die Kämpfe jedoch deutlich langwieriger und verlustreicher, als der türkische Diktator Erdogan geplant hatte.

Vorgeschichte

2011 entwickeltet sich die syrische Revolution in einen Bürgerkrieg, indem das Assad-Regime schnell die Kontrolle über ein Großteil des Landes verlor. Die kurdischen Siedlungsgebiete im Norden machten sich sowohl vom syrischen Staat als auch von den Zielen der syrischen Revolution unabhängig. Dort wird seit dem ein System aufgebaut, welches demokratisch ist und in dem Frauen Mitbestimmungsrecht genießen. Auch gegen die Angriffe des IS konnte das Kanton Rojava erfolgreich verteidigt werden.

Ein Zusammenschluss mit dem am nord-westlich gelegenen Kanton Afrin gelangte 2017 allerdings nicht, weil von der Türkei gesteuerte Rebellen die Gebiete zwischen den Kantonen vom IS eroberten. Die Türkei sieht in dem Aufstieg der kurdischen Befreiungsbewegung in Syrien eine Bedrohung, auch, weil er Angst hat, dass sie die kurdische Bewegung in der Türkei stärken könnte. In der Türkei selbst hat sich Erdogan 2016 mit einem Krieg und der fast vollständigen Zerschlagung kurdischer Medien und der pro-kurdischen Partei HDP die Gefahr einer mächtigen Autonomiebewegung vorerst vom Hals geschafft. Der Angriff auf Afrin ist nun der Versuch die kurdische Autonomie auch im Nachbarland mit militärischer Gewalt zu unterbinden.

Aktuelle Entwicklung

Die Türkei greift Afrin von nahezu allen Seiten gleichzeitig an. Jeden Tag werden ein paar mehr Hügel und Dörfer erobert, auch wenn die Fortschritte der Offensive glücklicherweise sehr langsam sind. Erdogan schickt jedoch hunderte neue Panzer und Spezialeinheiten, um einen Sieg zu erzwingen. Obwohl hunderte Jugendliche aus ganz Rojava und Afrin in die Reihen der SDF ziehen, wird deshalb eine Niederlage immer wahrscheinlicher.

Die Ereignisse können nicht getrennt vom gesamten Bürgerkrieg gesehen werden. Anfang des Jahres startete das syrische Assad-Regime eine gewaltige Offensive, in dessen Zuge weite Teile Provinz Idlib erobert wurden, welche das Kernland verschiedenster bewaffneter, islamistischer Oppositionsgruppen darstellt. Die Türkei hat, als einer der entschiedensten Gegner Assads, damit begonnen Panzer zu schicken und Militärbasen in Idlib aufzubauen, um ein weiteres Vorstoßen Assads zu erschweren. Im Gegenzug schicken die Rebellen immer wieder hunderte Fußsoldaten, um die türkische Offensive in Afrin zu unterstützen. Nun zeigt sich, wie bitter es sich rächt, dass die Kurd_Innen 2011 nicht für eine Revolution in ganz Syrien eingetreten sind. So konnten sich reaktionären Islamisten als führenden Kräfte im Bürgerkrieg etablieren. Von den revolutionären Deserteuren der syrischen Armee, die nicht mehr auf ihr eigenes Volk schießen wollten, ist nichts mehr übrig. Im Gegenteil: Mit der Schändung der Leiche einer SDF-Kämpferin zeigen die islamistischen Kettenhunde Erdogans, was für reaktionäre Ansichten sie vertreten.

Eine türkischer Sieg in Afrin würde ein Ende des demokratischen und emanzipatorischen Projektes in Afrin und damit eine Niederlage der Linken weltweit bedeuten.

Die Rolle der Imperialisten

Russland stellt einen mächtigen Verbündeten Assads dar. Es lässt die Türkei in Syrien gewähren, indem sie den Luftraum über Afrin für die türkischen Jets freigab. Grund dafür ist vor allem die Wichtigkeit der russichen Öl- und Gasexporten in die Türkei. Assad dagegen ist über die türkische Präsenz in Syrien weniger erfreut und lässt SDF-Konvois von Rojava nach Afrin über sein eigenes Territorium passieren.

Am interessantesten ist jedoch die Rolle der USA. Sie unterstützen den Kampf der Kurd_Innen gegen den IS und schafften es so in Syrien mit zahlreichen Militärbasen oder sogar Militärflughäfen Fuß zu fassen.

Da die USA am allermeisten von der NATO profitiert, ist ihre Angst groß, dass es eine offene Konfrontation mit der Türkei gibt, die die gesamte NATO in Frage stellen könnte. Die Türkei weiß darum und droht deshalb ganz offen auch US-Soldat_Innen abzuschießen, wenn sie ihren Zielen in Syrien im Weg stehen. Das wäre eine Demütigung der USA und würde ihre ohnehin schon massiv angekratzten Stellung als Weltmacht weiter untergraben. Das ist auch der Grund, wieso die USA Afrin fallen gelassen hat. Im östlichen Rojava halten sich jedoch nach wie vor US-Soldaten auf, um ein Angriff der von der Türkei unterstützen Milizen zu verhindern. Welchen faulen Deal es letztlich zwischen den beiden Ländern gegeben wird sich erst zeigen.

Welches Interesse die USA wirklich hat, zeigt sich sehr deutlich im Osten des Landes nahe der Stadt Deir ez-Zor. Dort helfen sie dabei die Angriffe regierungstreuer Milizen auf die SDF abzuwehren. Grund für die Angriffe ist der Versuch die von der SDF kontrollierten Ölfelder zu erobern. Die USA unterstützt die kurdische Bewegung also vor allem aus geostrategischen Gründen und, um Kontrolle über Ölfelder in Syrien zu erhalten. Die NATO ist der USA aber zweifelsohne wichtiger.

Der Widerstand und Repression in Deutschland

Wenn auch nicht in der bürgerlichen Presse, ist der Aufschrei gegen die türkische Aggression in Syrien innerhalb der Linken und der kurdischen Bevölkerung in Deutschland enorm. Laufend finden lokale und überregionale Demonstrationen statt.

Der deutsche Staat reagiert darauf mit Repression: Vor ca. 1,5 Jahren wurde ein Verbot fast aller Fahnen des kurdischen Befreiungskampfes erlassen. Bis Anfang diesen Jahres wurden das Verbot allerdings faktisch nicht durchgesetzt. Anfang des Jahres jedoch wurde eine Großdemo in Köln wegen verbotener Fahnen aufgelöst. Andere Demos wurden gleich ganz Verboten, weil man während Karneval angeblich überfordert sei.

Perspektive

Natürlich gilt unsere Solidarität dem kurdischen Befreiungskampf im Nahen Osten, auch wenn es selbst ohne das Eingreifen der Türkei noch ein langer Weg bis zum Sozialismus wäre. Abstrakte Forderungen die Waffen niederzulegen und Appelle an die UN bringen uns hier nicht weiter. Nur ein militärischer Sieg der SFD-Milizen, einschließlich der Rückeroberung der in den letzten Wochen von der Türkei besetzten Gebiete, können wahren Frieden bringen.

Weiterhin treten wir für den Abzug aller ausländischen Truppen ein, ohne deren Hilfe Syrien heute kein Trümmerhaufen wäre. Obwohl die USA Rojava vor dem Untergang gerettet hat, vertritt sie in Syrien einzig die Interessen der us-amerikanischen Bourgeoisie und ist deshalb kein zuverlässiger Verbündeter.

Die Forderung nach Befreiung und Sozialismus muss, um erfolgreich zu sein, auf alle Völker und Religionen des Nahen Ostens ausgedehnt werden. Die einzigen wahren Verbündeten sind die Bäuerinnen, Bauern und Arbeiter_Innen, die sich endlich gemeinsam gegen ihre Unterdrücker erheben und eine kommunistische Partei aufbauen müssen. Nur eine solche Organisation kann in der Lage sein die vereinzelnden Kämpfe zu einer mächtigen Massenbewegung gegen die Kapitalismus zusammenzuführen.




Interview mit Syrer – "Warum ich mich dem Aufstand anschloss."

Wir veröffentlichen hier ein Interview mit „Muhamed“, Mitglied der Freien Syrischen Armee, das am 11. September an der türkisch-syrischen Grenze von unserem Genossen Reimund Fleck (Gruppe Arbeitermacht, deutsche Sektion der LFI und REVOLUTION – internationale kommunistische Jugendorganisation) geführt wurde.

Reimund Fleck: Wie kam es, dass Du dich dem Aufstand gegen das Regime von Baschar al-Assad angeschlossen hast?

Patient stirbt nachdem die syrische Armee ein Krankenhaus blockiert.

Muhamed: Ich war als Militärarzt der Assad-Armee in einem Lazarett in Homs stationiert. Was ich dort gesehen habe, hat mich dazu gebracht, zu desertieren und mich der FSA anzuschließen. Ich habe viele tote Zivilisten gesehen, und sogar die Leichen wurden unwürdig behandelt. Ich habe gesehen, wie ungefähr 100 Leichen zu einem Haufen aufgetürmt wurden. Diese Armee behandelt unsere Leute wie Tiere – ich konnte nicht mehr daran glauben, dass es eine gute Armee ist. In meinem Krankenhaus waren Gefangene, die gegen die Regierung demonstriert hatten – sie wurden an ihre Betten gefesselt, die Krankenschwestern traten sie mit Stiefeln und folterten sie, anstatt sie zu versorgen. Sie durften nicht einmal zur Toilette gehen. In meiner Stadt habe ich viele friedliche Demonstrationen gesehen.

Sie riefen: „Wir wollen Assad nicht, wir wollen Freiheit“. Dafür wurde auf die Demonstranten geschossen. Auch einer meiner Freunde wurde erschossen, nur weil er auf die Straße gegangen war und „Weg mit Assad“ forderte. Ich wollte nicht mehr an der Seite derer stehen, die meine Leute ermorden, mein Gewissen konnte das nicht mehr ertragen. So habe ich beschlossen, zu desertieren.

Reimund Fleck: Warum setzt man das eigene Leben aufs Spiel, um einen Aufstand zu unterstützen, dessen Sieg nicht sicher ist?

Muhamed: Bei der Armee war ich ja auch in Gefahr. Bei einem Angriff der FSA hätte ich auch ums Leben kommen können. Ich hätte nicht das Feuer erwidert, denn ich wusste, dass sie meine Leute sind. Dann wäre ich aber von meinem Kommandeur erschossen worden. Das Risiko ist also auf beiden Seiten dasselbe – es macht keinen Unterschied. Aber ich denke, es ist besser zu desertieren. Ich habe jetzt ein gutes Gefühl, das ist wichtig, auch wenn ich in Gefahr bin. Es ist egal, wenn ich sterbe. Jetzt unterstütze ich die Freie Syrische Armee mit dem, was ich kann. Ich bin im Sanitätsdienst und kümmere mich um die Verwundeten und um die Flüchtlinge.

Reimund Fleck: Was sind die wichtigsten Ziele der Revolution?

Muhamed: Ich denke, Demokratie ist die wichtigste Forderung in unserem Kampf. Ich möchte meine Meinung sagen können, ohne mich in Gefahr zu begeben, zum Beispiel ob ich für den Präsidenten bin oder nicht. Seit 50 Jahren haben wir keine freien Wahlen mehr gehabt. Wenn Du gegen Assad stimmst, bist Du in Gefahr, glaub mir. Wir wollen selbst unseren Präsidenten bestimmen können und keine Sklaven für den Präsidenten sein. Es ist also eine Art „französische“ Revolution.

Reimund Fleck: Erschöpft sich die Revolution im Kampf für demokratische Freiheit? Was ist mit der sozialen Situation?

 

Die beste Hilfe für die syrische Revolution ist die Unterstützung durch die Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen und Arbeiterorganisationen mit Nahrungsmitteln, Medizin und Waffen – unabhängig von den Imperialisten!

Muhamed: In Syrien leben 80 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Es ist sehr schwer, genügend, Nahrung zu bekommen. Die Leute schuften den ganzen Tag, um ihren Familien etwas zu Essen mitbringen zu können. Der Grund ist, dass Baschar die Erlöse aus Öl und Landwirtschaft einsteckt und nichts für die Bevölkerung übrig lässt. Es ist also auch eine wirtschaftliche Frage. Wir brauchen eine starke Wirtschaft, um die Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllen zu können.

Reimund Fleck:  Es gibt Stimmen, die militärische Hilfe vom Westen oder Lieferung von Ausrüstung befürworten, andere befürchten, diese Länder würden dann über die Zukunft Syriens entscheiden. Was denkst Du?

Muhamed: Bei manchen Gütern brauchen wir unbedingt Unterstützung von außen. Im Moment gibt es aber keinerlei derartige Unterstützung. Die Medien sagen, der Westen schicke uns Waffen, aber das ist falsch. Die Freie Syrische Armee erbeutet ihre Waffen bei Angriffen auf Assads Armee. In den Flüchtlingslagern haben wir nicht genügend Nahrungsmittel. 7.000 Flüchtlinge warten an der Grenze zur Türkei, sie werden nicht hereingelassen. Wo bleiben die angeblichen Hilfslieferungen? Waffenlieferungen brauchen wir nicht. Wir brauchen Nahrung und Medikamente, und bis jetzt kommt nichts an. Hilfslieferungen gibt es nur in den Medien.

Reimund Fleck:  In Europa gibt es viele, die in der Revolution keinen legitimen Volksaufstand sehen. Sie behaupten, es sei in Wirklichkeit eine Verschwörung westlicher Länder, die den Nahen Osten ins Chaos stürzen wollen. Was würdest Du antworten?

„Nieder mit dem Regime“ – steht auf den Händen eines jungen Mädchens, das gegen Assads Diktatur demonstriert.

Muhamed: Verzeih mir diese Antwort – es ist einfach dumm, zu bestreiten, dass diese Revolution von der syrischen Bevölkerung ausgeht. Was würdest Du tun, wenn deine Eltern getötet werden? Du würdest Dich der Revolution anschließen, weil Du den Terror beenden und Freiheit haben möchtest. Lass mich den Anfang der Revolution erzählen. Die Revolution hat ihren Anfang in Daraa genommen. Neun Kinder waren festgenommen worden, sie wurden gefoltert. Hamza Ali Al-Khabeer wurde getötet. Als die Leute daraufhin zur Polizeistation gingen, wurden auch sie verprügelt. Die Polizei sagte zu ihnen: „Haut ab, sonst holen wir auch noch eure Frauen.“ Das war der Auslöser dieser Revolution. Seit 50 Jahren leben wir in Angst und Unterdrückung. Man musste nur den Deckel anheben, um eine Explosion auszulösen. Genau das ist die Revolution. Es stecken nicht die Geheimdienste dahinter.

Reimund Fleck:  Manche Leute meinen, es handle sich um einen „Religionskrieg“.

Muhamed: Selbst wenn das der Fall wäre, so würde einzig und allein Baschar Al-Assad die Schuld dafür tragen. Die Alawiten waren 30 Jahre lang unsere Brüder und Schwestern. Aber seit Beginn des Aufstandes gibt Baschar ihnen Geld, damit sie uns töten – und sie tun es. Sie bekommen auch Häuser dafür, und die Einrichtungen, die er von uns geraubt hat. Dafür töten sie uns. Aber wenn die Revolution gesiegt hat, würde ich sie verschonen, denn unser ursprüngliches Verhältnis war von Toleranz geprägt – wir leben im selben Land. Ich hoffe nur, dass sie aufhören, uns zu massakrieren. In Wirklichkeit ist Baschar Al-Assad nicht nur unser Feind, er ist ebenso ihr Feind – denn eines Tages wird Assad sich in ein Flugzeug nach Russland setzen und sie unter uns zurücklassen.

Reimund Fleck:  Was wird deiner Einschätzung nach auf Assads Sturz folgen?

Muhamed: Meine große Angst ist, dass es einen Bürgerkrieg geben könnte. Aber man sieht, dass in dieser Revolution die Menschen auch zusammenrücken. Das ist der Fall in Aleppo und auch in Damaskus. Ich glaube nicht, dass es einen solchen Bürgerkrieg geben wird. Ich denke wir sollten eine demokratische Regierung haben, vielleicht eine islamische wie in Ägypten. Aber hierzu muss ich sagen: wirkliche Muslime töten sich nicht gegenseitig, wie es Al-Quaida tut. Das Bild über den Islam ist völlig entstellt. Glaub mir, wir sind nicht so, wie die Medien uns darstellen. Wirkliche Muslime sind sehr gastfreundlich. Wenn Du nach Syrien gehst, sind die Menschen dort bereit, ihr eigenes Leben zu riskieren, um Deines zu schützen – ob Du Christ bist oder was auch immer. Die Menschen aller Religionen sind unsere Brüder und Schwestern. Auch Baschar ist Muslim – aber nur in Worten, in Wahrheit tötet er uns. Das eigentliche Problem ist also nicht die Religion, sondern was man daraus macht.

Reimund Fleck:  Was sollten UnterstützerInnen in anderen Ländern tun, um euch zu helfen?

Muhamed: Ihr müsst es einfach selbst anpacken, wir haben hier nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken. Wer wirklich helfen möchte, wird einen Weg finden. Ihr solltet
große Massenproteste organisieren und internationale Unterstützung für die Revolution. Die Revolution ist dem Sieg nun ziemlich nah. Baschar Al-Assad wird sich bald aus dem Staub machen. Was die FSA jetzt braucht, sind Luftabwehrraketen, das ist alles. Wir haben den Boden unter Kontrolle, aber Assad kontrolliert den Luftraum. Wenn wir die Flugzeuge vom Himmel holen, haben wir den Sieg.

Reimund Fleck:  Bekommt ihr Unterstützung aus Libyen oder Ägypten?

Muhamed: Ein paar Kämpfer sind aus diesen Ländern zu uns gekommen, aber sehr wenige, vielleicht 200. Aus Saudi-Arabien und Katar bekommen wir finanzielle Unterstützung, das ist sehr gut. Wir sind ihnen dafür dankbar.

Reimund Fleck:  Wie ist jetzt im Moment die Lage in Syrien?

Muhamed: Wir brauchen dringend Hilfe, und zwar jetzt! Die ganze Welt ist gegen uns – Russland, China und Iran, ebenso Libanon. Sie sind alle gegen uns. Dann gibt es die USA und Europa – sie sehen zu und tun überhaupt nichts. Für mich ist auch das ein Verbrechen. Sie könnten unserem Leiden ein Ende setzen, aber sie tun es nicht. Die Türkei hat ihre Grenzen dichtgemacht und will uns alle rauswerfen. Unsere Situation ist also wirklich miserabel.

Reimund Fleck: Vielen Dank für das Interview. Ihr habt unsere volle Unterstützung und wir wünschen euch einen vollständigen Sieg über Baschar Al-Assad.

Ausführliche Darstellung der Positionen von REVOLUTION zum Bürgerkrieg in Syrien unter anderem in den Artikeln Nieder mit Assad – Sieg der Free Syrian Army, Aufstand in Syrien: Nieder mit dem Assad Clan! Solidarität mit der Revolution, Für „Freiheit und Demokratie“ in Syrien – und weiter?




Interview mit Syrer – "Warum ich mich dem Aufstand anschloss."

Wir veröffentlichen hier ein Interview mit „Muhamed“, Mitglied der Freien Syrischen Armee, das am 11. September an der türkisch-syrischen Grenze von unserem Genossen Reimund Fleck (Gruppe Arbeitermacht, deutsche Sektion der LFI und REVOLUTION – internationale kommunistische Jugendorganisation) geführt wurde.

Reimund Fleck: Wie kam es, dass Du dich dem Aufstand gegen das Regime von Baschar al-Assad angeschlossen hast?

Patient stirbt nachdem die syrische Armee ein Krankenhaus blockiert.

Muhamed: Ich war als Militärarzt der Assad-Armee in einem Lazarett in Homs stationiert. Was ich dort gesehen habe, hat mich dazu gebracht, zu desertieren und mich der FSA anzuschließen. Ich habe viele tote Zivilisten gesehen, und sogar die Leichen wurden unwürdig behandelt. Ich habe gesehen, wie ungefähr 100 Leichen zu einem Haufen aufgetürmt wurden. Diese Armee behandelt unsere Leute wie Tiere – ich konnte nicht mehr daran glauben, dass es eine gute Armee ist. In meinem Krankenhaus waren Gefangene, die gegen die Regierung demonstriert hatten – sie wurden an ihre Betten gefesselt, die Krankenschwestern traten sie mit Stiefeln und folterten sie, anstatt sie zu versorgen. Sie durften nicht einmal zur Toilette gehen. In meiner Stadt habe ich viele friedliche Demonstrationen gesehen.

Sie riefen: „Wir wollen Assad nicht, wir wollen Freiheit“. Dafür wurde auf die Demonstranten geschossen. Auch einer meiner Freunde wurde erschossen, nur weil er auf die Straße gegangen war und „Weg mit Assad“ forderte. Ich wollte nicht mehr an der Seite derer stehen, die meine Leute ermorden, mein Gewissen konnte das nicht mehr ertragen. So habe ich beschlossen, zu desertieren.

Reimund Fleck: Warum setzt man das eigene Leben aufs Spiel, um einen Aufstand zu unterstützen, dessen Sieg nicht sicher ist?

Muhamed: Bei der Armee war ich ja auch in Gefahr. Bei einem Angriff der FSA hätte ich auch ums Leben kommen können. Ich hätte nicht das Feuer erwidert, denn ich wusste, dass sie meine Leute sind. Dann wäre ich aber von meinem Kommandeur erschossen worden. Das Risiko ist also auf beiden Seiten dasselbe – es macht keinen Unterschied. Aber ich denke, es ist besser zu desertieren. Ich habe jetzt ein gutes Gefühl, das ist wichtig, auch wenn ich in Gefahr bin. Es ist egal, wenn ich sterbe. Jetzt unterstütze ich die Freie Syrische Armee mit dem, was ich kann. Ich bin im Sanitätsdienst und kümmere mich um die Verwundeten und um die Flüchtlinge.

Reimund Fleck: Was sind die wichtigsten Ziele der Revolution?

Muhamed: Ich denke, Demokratie ist die wichtigste Forderung in unserem Kampf. Ich möchte meine Meinung sagen können, ohne mich in Gefahr zu begeben, zum Beispiel ob ich für den Präsidenten bin oder nicht. Seit 50 Jahren haben wir keine freien Wahlen mehr gehabt. Wenn Du gegen Assad stimmst, bist Du in Gefahr, glaub mir. Wir wollen selbst unseren Präsidenten bestimmen können und keine Sklaven für den Präsidenten sein. Es ist also eine Art „französische“ Revolution.

Reimund Fleck: Erschöpft sich die Revolution im Kampf für demokratische Freiheit? Was ist mit der sozialen Situation?

 

Die beste Hilfe für die syrische Revolution ist die Unterstützung durch die Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen und Arbeiterorganisationen mit Nahrungsmitteln, Medizin und Waffen – unabhängig von den Imperialisten!

Muhamed: In Syrien leben 80 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Es ist sehr schwer, genügend, Nahrung zu bekommen. Die Leute schuften den ganzen Tag, um ihren Familien etwas zu Essen mitbringen zu können. Der Grund ist, dass Baschar die Erlöse aus Öl und Landwirtschaft einsteckt und nichts für die Bevölkerung übrig lässt. Es ist also auch eine wirtschaftliche Frage. Wir brauchen eine starke Wirtschaft, um die Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllen zu können.

Reimund Fleck:  Es gibt Stimmen, die militärische Hilfe vom Westen oder Lieferung von Ausrüstung befürworten, andere befürchten, diese Länder würden dann über die Zukunft Syriens entscheiden. Was denkst Du?

Muhamed: Bei manchen Gütern brauchen wir unbedingt Unterstützung von außen. Im Moment gibt es aber keinerlei derartige Unterstützung. Die Medien sagen, der Westen schicke uns Waffen, aber das ist falsch. Die Freie Syrische Armee erbeutet ihre Waffen bei Angriffen auf Assads Armee. In den Flüchtlingslagern haben wir nicht genügend Nahrungsmittel. 7.000 Flüchtlinge warten an der Grenze zur Türkei, sie werden nicht hereingelassen. Wo bleiben die angeblichen Hilfslieferungen? Waffenlieferungen brauchen wir nicht. Wir brauchen Nahrung und Medikamente, und bis jetzt kommt nichts an. Hilfslieferungen gibt es nur in den Medien.

Reimund Fleck:  In Europa gibt es viele, die in der Revolution keinen legitimen Volksaufstand sehen. Sie behaupten, es sei in Wirklichkeit eine Verschwörung westlicher Länder, die den Nahen Osten ins Chaos stürzen wollen. Was würdest Du antworten?

„Nieder mit dem Regime“ – steht auf den Händen eines jungen Mädchens, das gegen Assads Diktatur demonstriert.

Muhamed: Verzeih mir diese Antwort – es ist einfach dumm, zu bestreiten, dass diese Revolution von der syrischen Bevölkerung ausgeht. Was würdest Du tun, wenn deine Eltern getötet werden? Du würdest Dich der Revolution anschließen, weil Du den Terror beenden und Freiheit haben möchtest. Lass mich den Anfang der Revolution erzählen. Die Revolution hat ihren Anfang in Daraa genommen. Neun Kinder waren festgenommen worden, sie wurden gefoltert. Hamza Ali Al-Khabeer wurde getötet. Als die Leute daraufhin zur Polizeistation gingen, wurden auch sie verprügelt. Die Polizei sagte zu ihnen: „Haut ab, sonst holen wir auch noch eure Frauen.“ Das war der Auslöser dieser Revolution. Seit 50 Jahren leben wir in Angst und Unterdrückung. Man musste nur den Deckel anheben, um eine Explosion auszulösen. Genau das ist die Revolution. Es stecken nicht die Geheimdienste dahinter.

Reimund Fleck:  Manche Leute meinen, es handle sich um einen „Religionskrieg“.

Muhamed: Selbst wenn das der Fall wäre, so würde einzig und allein Baschar Al-Assad die Schuld dafür tragen. Die Alawiten waren 30 Jahre lang unsere Brüder und Schwestern. Aber seit Beginn des Aufstandes gibt Baschar ihnen Geld, damit sie uns töten – und sie tun es. Sie bekommen auch Häuser dafür, und die Einrichtungen, die er von uns geraubt hat. Dafür töten sie uns. Aber wenn die Revolution gesiegt hat, würde ich sie verschonen, denn unser ursprüngliches Verhältnis war von Toleranz geprägt – wir leben im selben Land. Ich hoffe nur, dass sie aufhören, uns zu massakrieren. In Wirklichkeit ist Baschar Al-Assad nicht nur unser Feind, er ist ebenso ihr Feind – denn eines Tages wird Assad sich in ein Flugzeug nach Russland setzen und sie unter uns zurücklassen.

Reimund Fleck:  Was wird deiner Einschätzung nach auf Assads Sturz folgen?

Muhamed: Meine große Angst ist, dass es einen Bürgerkrieg geben könnte. Aber man sieht, dass in dieser Revolution die Menschen auch zusammenrücken. Das ist der Fall in Aleppo und auch in Damaskus. Ich glaube nicht, dass es einen solchen Bürgerkrieg geben wird. Ich denke wir sollten eine demokratische Regierung haben, vielleicht eine islamische wie in Ägypten. Aber hierzu muss ich sagen: wirkliche Muslime töten sich nicht gegenseitig, wie es Al-Quaida tut. Das Bild über den Islam ist völlig entstellt. Glaub mir, wir sind nicht so, wie die Medien uns darstellen. Wirkliche Muslime sind sehr gastfreundlich. Wenn Du nach Syrien gehst, sind die Menschen dort bereit, ihr eigenes Leben zu riskieren, um Deines zu schützen – ob Du Christ bist oder was auch immer. Die Menschen aller Religionen sind unsere Brüder und Schwestern. Auch Baschar ist Muslim – aber nur in Worten, in Wahrheit tötet er uns. Das eigentliche Problem ist also nicht die Religion, sondern was man daraus macht.

Reimund Fleck:  Was sollten UnterstützerInnen in anderen Ländern tun, um euch zu helfen?

Muhamed: Ihr müsst es einfach selbst anpacken, wir haben hier nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken. Wer wirklich helfen möchte, wird einen Weg finden. Ihr solltet große Massenproteste organisieren und internationale Unterstützung für die Revolution. Die Revolution ist dem Sieg nun ziemlich nah. Baschar Al-Assad wird sich bald aus dem Staub machen. Was die FSA jetzt braucht, sind Luftabwehrraketen, das ist alles. Wir haben den Boden unter Kontrolle, aber Assad kontrolliert den Luftraum. Wenn wir die Flugzeuge vom Himmel holen, haben wir den Sieg.

Reimund Fleck:  Bekommt ihr Unterstützung aus Libyen oder Ägypten?

Muhamed: Ein paar Kämpfer sind aus diesen Ländern zu uns gekommen, aber sehr wenige, vielleicht 200. Aus Saudi-Arabien und Katar bekommen wir finanzielle Unterstützung, das ist sehr gut. Wir sind ihnen dafür dankbar.

Reimund Fleck:  Wie ist jetzt im Moment die Lage in Syrien?

Muhamed: Wir brauchen dringend Hilfe, und zwar jetzt! Die ganze Welt ist gegen uns – Russland, China und Iran, ebenso Libanon. Sie sind alle gegen uns. Dann gibt es die USA und Europa – sie sehen zu und tun überhaupt nichts. Für mich ist auch das ein Verbrechen. Sie könnten unserem Leiden ein Ende setzen, aber sie tun es nicht. Die Türkei hat ihre Grenzen dichtgemacht und will uns alle rauswerfen. Unsere Situation ist also wirklich miserabel.

Reimund Fleck: Vielen Dank für das Interview. Ihr habt unsere volle Unterstützung und wir wünschen euch einen vollständigen Sieg über Baschar Al-Assad.

Ausführliche Darstellung der Positionen von REVOLUTION zum Bürgerkrieg in Syrien unter anderem in den Artikeln Nieder mit Assad – Sieg der Free Syrian Army, Aufstand in Syrien: Nieder mit dem Assad Clan! Solidarität mit der Revolution, Für „Freiheit und Demokratie“ in Syrien – und weiter?




Nieder mit Assad – Sieg der Free Syrian Army!

Für den Sieg der „Free Syrien Army“ und den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Arbeiterpartei!

In diesen Tagen und Wochen wird in Damaskus, Aleppo, Idlib und anderen Städten Syriens über die Zukunft des Landes entschieden. Ohne zunächst einzugehen auf die politischen Pokerzüge verschiedener regionaler oder imperialistischer Mächte und deren Ringen, sich im Syrien nach Assad schon mal einzukaufen und beliebt zu machen, muss eines betont werden: Der Ausgang der Kämpfe in Aleppo und Damaskus wird darüber entscheiden, ob die unterdrückte Bevölkerung Syriens voranschreiten und gegen Diktatur, Unterdrückung und Imperialismus siegen kann – oder ob sie für weitere Jahrzehnte unter der Gewaltherrschaft von al-Assad schmoren, hungern und leiden wird.

Die Freie Syrische Armee (FSA) muss in ihrem gerechten Kampf gegen die Regierung siegen – anderenfalls würden in Syrien bald keine Revolutionäre mehr am Leben sein, das Schlachten der al-Assad-Regierung an der syrischen Bevölkerung würde erst beginnen. Wir stehen daher in diesem Bürgerkrieg ohne wenn und aber auf der Seite der Unterdrückten und der FSA, die für ihre Rechte kämpft – und wollen alle Internationalist_innen auffordern, sich mit unseren Schwestern und Brüdern in Syrien zu solidarisieren. Sie haben jedes Recht, diese Regierung zu stürzen, und wir dürfen in dieser Frage nicht neutral sein.

Wir wollen uns noch mit den Argumenten der al-Assad-Freunde auseinandersetzen, und wir wollen keine undifferenzierte politische Unterstützung für bürgerliche und reaktionäre politische Strömungen üben – doch wir unterstützen jeden Kampf, jede Aktion, wenn sie die verbrecherische Syrische Armee schwächt und den Sturz der Regierung al-Assad näherbringt. Dies ist nicht nur im Interesse der syrischen Jugend, der Arbeiter_innen und der Armen. Es ist auch Vorraussetzung für die Befreiung der 500.000 Palästinenser_innen in Syrien. Entgegen den Behauptungen der Regierung muss der Großteil von ihnen staatsbürgerliche Rechte entbehren und seit 60 Jahren als „Flüchtlinge“ in Lagern vegetieren.

Panzerkollone des Regimes – Syrien unterhält eine der größten Armeen der Region.

Seit Beginn des Ramadan am 20. Juli haben beide Seiten – die FSA ebenso wie die Regierungsarmee – ihren Einsatz und ihre Anstrengungen nochmals erhöht. Sie kämpfen mit höchst ungleichen Mitteln: in Stärke und Ausrüstung ist die Regierung der FSA weit überlegen. Letztere verfügt kaum über schwere Waffen, ihre Strukturen sind weit weniger gefestigt und die Versorgung mit Munition und lebensnotwendigen Gütern ist nicht gewährleistet. Die Behandlung von Verwundeten – Kämpfern wie Bewohner_innen – muss in notdürftig eingerichteten Feldlazaretten stattfinden, da die Krankenhäuser regelmäßig von Assad-Milizen „gesäubert“ werden.

Umso bewundernswerter ist ihre Ausdauer und ihre Opferbereitschaft, mit der die FSA Viertel und Städte unter andauerndem Artilleriebeschuss wochen- und monatelang gegen die Armee verteidigt. Vorraussetzung dafür ist zum einen die Selbstlosigkeit und der Todesmut ihrer Kämpfer, zum anderen die Unterstützung durch die städtische und ländliche Bevölkerung. Sie kämpft seit einem Jahr mit gewaltigen Opfern, aber dennoch ungebrochen gegen einen vielfach größeren, stärkeren und professionelleren Feind. Diese Opfer, bislang beinahe 25.000 tote Kämpfer und Bewohner_innen, sind jedoch nicht umsonst: immer mehr Soldaten der Syrischen Armee wechseln die Seite, viele tausend Jugendliche schließen sich spontan der Freien Armee an.

Selbst die Assad-Führungsclique begann in den letzten Wochen zu bröckeln. Im Angesicht der drohenden Niederlage verlassen die Ratten das sinkende Schiff. Zwar hat die FSA auch empfindliche Niederlagen hinnehmen müssen – doch es ist zu beachten, dass in einem Guerilla-Kampf andere Regeln gelten als in herkömmlichen Kriegen. Ein taktischer Rückzug, wie zuletzt aus dem Viertel Al-Saladin in Aleppo, ist nicht gleichbedeutend mit einer Niederlage – Guerilla-Kämpfer sind in der Lage, unterzutauchen und an anderer Stelle oder zu anderer Zeit den Kampf fortzusetzen. Die FSA kann daher nicht besiegt werden, solange sie die Unterstützung der Bevölkerung genießt.

Aufnahme eines Massengrabes nach einem Massaker des Assad Regimes an Zivilisten.

Das ist auch der Grund für die unglaubliche Brutalität der Syrischen Armee gegen „Zivilisten“. Stets folgt auf den taktischen Rückzug der FSA ein wahlloses Massaker an Bewohner_innen. Wohnviertel in Aleppo, Homs, Idlib und vielen anderen Städten werden täglich schwer bombardiert. Bereits dies sollte allen ernsthaften Linken klarmachen, wer hier für wen kämpft. Doch was ist mit den Argumenten der Unterstützer Assads? Teile der Linken, auch in Deutschland, stellen sich auf die Seite Assads oder leugnen zumindest die Legitimität des Aufstandes. Sie behaupten, die FSA sei in Wirklichkeit ein imperialistischer Agent, wohingegen die Assad-Regierung die Interessen der syrischen Bevölkerung gegen den Imperialismus verteidige.

Selbstverständlich werden ernsthafte Revolutionäre nicht in Abrede stellen, dass die USA, die BRD und andere ihre Agenten in Syrien haben – alles andere wäre nur verwunderlich. Deren Ziel ist allerdings nicht, den Aufstand zum Sieg zu führen – vielmehr wollen sie schonmal klarmachen, wer nach Assad in Syrien mitreden darf. Sie wollen – und hier trennt sie nicht viel von den Stalinist_innen wie der DKP – einen „geordneten Übergang“ anstatt der revolutionären Machtergreifung. Sie wollen, mit einem Wort, eine bürokratische Neuordnung Syriens zu ihrem Vorteil, statt dem Sieg der Revolution im Interesse der Unterdrückten.

Dass nun Imperialisten wie die USA taktische Unterstützung für die FSA üben, delegitimiert jedoch selbstverständlich nicht die Revolution als solche. Wer so denkt, muss jede Revolution verdammen, denn nie werden Imperialisten und Reaktionäre tatenlos zusehen, wo eine Revolution sich erhebt. Mögen die Imperialisten die FSA mit Geld oder Waffen unterstützen – diese Unterstützung anzunehmen ist nicht falsch, sondern obligatorisch, solange keine Bedingungen daran geknüpft sind. Die Stalinist_innen schließen jedoch von einer Übereinstimmung in taktischen Zielen auf eine politische Übereinstimmung oder Abhängigkeit – tatsächlich tragen sie selbst die Verantwortung, sollte die Revolution von den Imperialisten okkupiert werden und in die imperialistische Konterrevolution übergehen.

Zwar stellen sich Kommunisten gegen jede Intervention der UNO/NATO. Aus dem Veto Russlands und Chinas allerdings zu schließen diese seien „Antiimperialisten“ ist nicht nur unsachlich, sondern reaktionär.

Dies kann nur verhindert werden durch volle brüderliche Unterstützung der Revolution, Kampf gegen imperialistische Einmischung, Kampf gegen Illusionen in die UNO und andere imperialistische Organe! Offensichtlich absurd wird die Politik der Stalinist_innen dann, wenn sie eine „anti-imperialistische“ Schutzallianz Russland-China behaupten – diese sind selbst imperialistische Mächte, gehören also zu den Herrschern der Welt und verteidigen nichts als ihre eigenen imperialistischen Ziele, die sie durch die Revolution gefährdet sehen.

Sich in diesem Krieg „neutral“ zu verhalten, ist nicht nur ein unverzeihlicher Verrat an der syrischen Bevölkerung, die derzeit in jeder Minute gefoltert und geschlachtet wird – es bedeutet auch, Syrien nach Assad den „Reformern“, den Islamisten und den Imperialisten zu überlassen, anstatt die Revolution voranzutreiben zur Machtergreifung der Arbeiter_innen und Unterdrückten. Dies zeigt die Entwicklung in Tunesien, Libyen und Ägypten, wo die Revolution zum Stillstand gekommen ist, nachdem Tausende ihr Blut vergossen haben für den Sturz der Diktatur.

Illusionen in die UNO, in imperialistische „Unterstützer“ oder in einen „friedlichen Übergang“ müssen bekämpft werden, indem ihnen die tatsächlichen Möglichkeiten der syrischen Jugend und Arbeiter_innen gegenübergestellt werden:

  • Demokratische Gegenmacht der Unterdrückten statt Gemauschel zwischen „Exil-Syrern“ und Imperialisten!
  • Räte in Stadtteilen, in der Freien Armee, in den Fabriken müssen gebildet werden, um die Übernahme der Macht vorzubereiten!
  • Unterstützung durch die Kämpfer der Tunesischen,
    Ägyptischen und Tunesischen Revolution!
  • In der Freien Armee selbst muss für proletarische Ziele gekämpft werden und für die demokratische Wahl der Komandeure!
  • Die Revolution beschränkt sich nicht auf demokratische Ziele – Selbstbestimmung kann nur erreicht werden, wenn Industrie, Außenhandel und Grundbesitz unter Kontrolle der Unterdrückten gestellt wird!
  • Kein Vertrauen in bürgerliche Führer_innen oder Islamist_innen! Nicht der „Syrische Nationalrat“, nicht die UNO und nicht die Regierung der Türkei dürfen über Syrien entscheiden – dies steht nur der unterdrückten syrischen Bevölkerung selbst zu und den Kämpfern, die derzeit ihr Blut vergießen für die Zukunft Syriens!
  • Für den Aufbau einer revolutionäre Arbeiterpartei, die für die permanente Revolution kämpft!

Ein Artikel von Bruno Lahrius, REVOLUTION Stuttgart




Aufstand in Syrien: Nieder mit dem Assad-Clan! Solidarität mit der Revolution!

Am 18. Juli hat die Freie Syrische Armee (FSA) mit einem gezielten Schlag gegen die Armee- und Regierungsspitze eine Offensive gegen die syrische Armee begonnen. In allen Städten des Landes kämpft sie nun für die Übernahme der Macht und den Sturz der Assad-Regierung. In Damaskus drang sie zeitweise bis dicht vor den Regierungssitz vor. Alleine in den letzten Tagen sollen viele Tausend Soldaten der Assad-Armee desertiert sein, auch hohe Befehlshaber haben sich dem Aufstand angeschlossen oder in Nachbarländer abgesetzt, um sich vor der drohenden Niederlage zu retten.

Damit ist der Sturz der Assad-Diktatur so nahe wie nie. Als internationale kommunistische Jugendorganisation stehen wir voll an der Seite der Kämpferinnen und Kämpfer, die in dieser Lage unvorstellbaren Mut und gewaltige Opfer aufbringen, um für eine bessere Zukunft der Syrer_innen zu kämpfen. Die syrische Opposition zählte bislang annähernd 20.000 getötete Kämpfer_innen und Bewohner_innen. Die Inkaufnahme solch massenhafter Opfer beweist zum einen die Ausweglosigkeit, in der sich die mörderische Assad-Regierung befindet – zum anderen die unfassbare Überzeugung der Aktivist_innen und der sie unterstützenden Bevölkerung.

Die Getöteten sind Märtyrer_innen nicht nur für die unterdrückte syrische Bevölkerung, sondern für die Unterdrückten des gesamten Nahen Ostens, die ausnahmslos unter der Gewaltherrschaft von Polizei- und Folterstaaten leben – nicht zu sprechen von der israelischen Apartheid in Palästina.

Der Sturz der Assad-Regierung wäre ein Sieg für all diese Unterdrückten. Syrien nach Assad – demokratisch geführt von den Kämpfer_innen der FSA, den Aktivist_innen in den Städten und den Arbeiter_innen – könnte zur Spitze der revolutionären Bewegung im Nahen Osten werden und beispielsweise die Palästinenser_innen in ihrem Kampf um Selbstbestimmung konkret unterstützen. Es könnte auch die Stagnation der Revolution in Ägypten durchbrechen, wo derzeit immernoch Mubaraks Militärrat regiert.

Und ein Sieg der syrischen Revolution wäre auch eine Niederlage für die Imperialisten in Deutschland oder den USA. Die Stalinist_innen und andere nationalbornierte „Revolutionäre“ mögen dies bestreiten – doch wenn die Imperialisten Assad zum Rücktritt oder zumindest zu „Reformen“ zu bewegen versuchen, sollten wir hierrauf keinesfalls mit der Verteidigung Assads reagieren. Auch die Tatsache, dass möglicherweise die Imperialisten selbst, Islamisten oder Agenten anderer Mächte (Saudi-Arabien, Iran oder andere) geheime Operationen in Syrien durchführen, ist kein Grund, der Revolution ihre Legitimität abzusprechen – dies wäre eine Verhöhnung des Massenaufstands, der sich zuallererst auf die berechtigte Empörung der Massen über ihre Verarmung durch eine selbstherrliche und korrupte Gewaltregierung stützt. Wie sollte die syrische Bevölkerung überhaupt einen Aufstand gegen die Regierung führen, ohne sich dem Versuch der Vereinnahmung durch Imperialisten oder andere Feinde auszusetzen?

Die Antwort, die Revolutionäre auf diese Einmischung geben sollten, ist vielmehr das Eintreten für völlige nationale Unabhängigkeit Syriens und der Kampf gegen alle Kräfte, die in diesem Volksaufstand für ein Bündnis mit den Imperialisten (durch UN-Resolutionen oder Kriegsbeteiligung) eintreten. Solange jedoch keine reaktionären Zugeständnisse an die Imperialisten gemacht werden, müssen wir alle nur möglichen Hebel in Bewegung setzen, den Aufstand zu unterstützen und zum Sieg zu führen. Imperialistische Spione oder Agenten müssen, sollten sie enttarnt werden, ebenso wie Assad-Treue als Kriegsverbrecher bestraft werden.

Die „Unterstützung“ durch Imperialisten ist das letzte, was die syrische Revolution braucht – sehr wohl benötigt sie jedoch die uneingeschränkte Unterstützung durch die Arbeiter_innen und Jugendlichen aller Länder. Denn ein befreites Syrien nach Assad wäre den Angriffen Israels, Irans, imperialistischer Armeen ebenso wie der Korruption und dem Ausverkauf durch „westlich-orientierte“ Führer_innen schutzlos ausgeliefert. Es könnte nur bestehen, wenn die Arbeiter_innenklasse Syriens mit der vollen Solidarität der Weltarbeiterklasse sich an die Spitze der Revolution setzt mit dem Ziel, diese auf die gesamte Region auszuweiten – und zugleich unterstützt wird von Ländern wie Ägypten oder Libyen, wo sowohl erfahrene Kämpfer_innen als auch eine weitentwickelte Industrie und Rohstoffe vorhanden sind.

Die Frage des Sieges oder der Niederlage der syrischen Revolution entscheidet sich in diesen Stunden und Tagen. Die Offensive der Aufständischen könnte Assad rasch vertreiben und durch eine demokratisch-revolutionäre Übergangsregierung ersetzen, welche die dringendsten Probleme der syrischen Bevölkerung löst: die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Behandlung der Verwundeten, Herstellung von demokratischen Rechten und die Freilassung aller vom Regime gefangenen Aktivist_innen. Es würde sich jedoch rasch die Frage stellen, welche Kraft in der Lage ist, auf Dauer der Einflussnahme und den Angriffen von Imperialisten zu widerstehen – dies kann nur die Arbeiterklasse sein. Daher zählt auch der Aufbau von unabhängigen Arbeiter_innenorganisationen, Gewerkschaften, Fabrikkomitees usw. zu den wichtigsten Aufgaben für Revolutionäre. Die Linke muss Antworten auf die Herausforderungen der Revolution finden und bspw. die verheerende Politik der „Kommunistischen Partei Syriens“, die fest in Assads Machtapparat eingebunden ist, aufs Schärfste bekämpfen. All jene „Linken“, die – beispielsweise in Deutschland – den berechtigten Aufstand gegen Assad denunzieren und damit der Konterrevolution (durch Assad, Islamisten oder den Imperialismus) das Wort reden, begehen einen unvergleichlichen Verrat an der syrischen Bevölkerung. Sie tragen täglich Verantwortung für das Morden an den syrischen Revolutionären.

  • Sieg der Syrischen Revolution – Solidarität und Unterstützung für die Freie Syrische Armee und ihre mutigen Kämpfer_innen!
  • Die Syrer brauchen keine imperialistische Hilfe – Kein NATO-Einsatz, kein Einsatz einer „Allianz der Willigen“! Stattdessen für organisierte Arbeitersolidarität – Gewerkschaften und Arbeiterparteien sollten Nahrungsmittel-, Geld- und sonstige Spenden für die Unterstützung der Rebellen sammeln!
  • Nieder mit Assad – für die permanente Revolution! Keine „Übergangsregierung“ mit Beteiligung von Assad-Nahen, so wie es manche proimerpialistische Führer der Rebellen anbieten!