Warum Identitätspolitik so gut in die neoliberale Verwertungslogik passt und wir trotzdem etwas daraus lernen können

Worum geht’s?

Unter dem Begriff „Identitätspolitik“
verstehen verschiedene Leute verschiedene Sachen. Die Rechten
verwenden den Begriff, um ihrem völkischen Rassismus und
Nationalismus ein schickes Outfit zu verpassen. Die einen Linken
benutzen ihn dagegen als Wort für Empowerment und Kampf gegen
Unterdrückung, die anderen Linken als Kritik an linker Politik, die
ökonomische Verhältnisse völlig aus den Augen verloren hat.

Wenn Linke über Identitätspolitik
diskutieren, geht es darum, ob z.B. der Erfolg der AfD etwas damit zu
tun hat, dass sich weiße männliche Arbeiter in ihrer Identität
durch das vermeintlich Fremde bedroht fühlen, oder damit, dass
bestimmte soziale Gruppen Angst vor Abstieg und Armut haben. Es geht
darum, ob Sexismus im Kopf oder in der kapitalistischen
Produktionsweise entsteht. Es geht darum, ob der antirassistische
Kampf von Black Lifes Matter durch Empowerment und Privilegienchecks
oder durch kollektive soziale Organisierung erfolgreich sein kann.

Identitätspolitik versus
Klassenpolitik

Aber geht es uns nicht letztlich allen
nur darum, Unterdrückung aufzuheben? Warum überhaupt diese Spaltung
zwischen Identitätspolitik und Klassenpolitik? Die Antwort auf diese
Frage müssen wir vor allem in den Fehlern der Linken selbst suchen.
Obwohl Marx, Engels, Lenin und Trotzki die spezifische Unterdrückung
von Frauen und Migrant_innen immer wieder betont haben und für das
Recht auf unabhängige Organisierung eingetreten sind, wurden diese
Fragen durch die Degeneration des Marxismus in Form des Stalinismus,
Maoismus und der Sozialdemokratie immer wieder außen vor gelassen.
So haben viele Aktivist_innen der 68er-Bewegung den Rassismus zum
sogenannten „Nebenwiderspruch“ erklärt, der sich mit der
kommunistischen Revolution schon von alleine beseitige. Sie waren
aufgrund ihrer hierarchischen Vorstellung, welche die „wichtigeren
Kämpfe“ sind, nicht der Lage, Übergangsforderungen aufzustellen,
mit denen antisexistischer und antirassistischer Widerstand mit der
Arbeiter_innenbewegung verknüpft und der gemeinsame Kampf gegen den
Kapitalismus hätte zugespitzt werden können.

Die Gewerkschaften und die
Sozialdemokratie haben sich dagegen lange Zeit nur auf die meist
männlichen und weißen Arbeiter in Schwerindustrie, Chemie und
Bergbau konzentriert und die anderen Arbeiten, die hauptsächlich von
Migrant_innen oder weißen Frauen verrichtet wurden
(Dienstleistungen, Erziehung, Bildung, Hausarbeit), vernachlässigt.
Die Unterdrückung bestimmter Gruppen wie Frauen, Migrant_innen und
LGBTIAs wurde also für lange Zeit von Organisationen der sogenannten
„Linken“ reproduziert.

Kein Wunder also, dass sich diese
Gruppen von der klassischen Arbeiter_innenbewegung nicht vertreten
gefühlt haben. Hinzu kam der Umstand, dass sich die diktatorisch
geführte Sowjetunion im Osten selber todgewirtschaftet hat und die
Sozialdemokratie im Westen immer mehr Kämpfe verraten und sich an
den kapitalistischen Nationalstaat angebiedert hat. Klasse als
analytische Kategorie und Marxismus als Wissenschaft und
Befreiungsprogramm erschienen vielen deshalb nicht mehr als zeitgemäß
oder in der Lage, etwas zu reißen. Identitätspolitische Ansätze
lieferten zu diesem Zeitpunkt vielen sexistisch oder rassistisch
unterdrückten Menschen, neue Ansätze ihre Unterdrückung zu
verstehen und etwas dagegen zu tun. Auch praktisch konnten
beispielsweise durch die „Black Power Bewegung“ oder die
LGBTIA-Bewegung viele politische Erfolge eingefahren werden.

Repräsentation statt Klassenkampf

Ob gegen den Paragraphen 218 oder die
sogenannte „Rassentrennung“: Diese Kämpfe waren Klassenkämpfe,
denn sie haben sich dagegen gewehrt, von der Gesellschaft spezifisch
ausgegrenzt zu werden, um in dieser marginalisierten Position stärker
ausgebeutet zu werden. So spricht die Identitätspolitik in der
Praxis meistens auch implizite Klassenfragen an. Die Kapitalist_innen
freuen sich natürlich darüber, wenn der Klassenaspekt dieser Kämpfe
von Identitätspolitiken unsichtbar gemacht wird, sodass es so
aussieht, als wäre es lediglich um Chancengleichheit gegangen. Waren
sie nicht explizit antikapitalistisch ausgerichtet, hat der
Kapitalismus identitätspolitische Kämpfe immer wieder aufs Neue für
sich vereinnahmt. So konnten Großkonzerne wie H&M, Adidas oder
Gilette Identität als Marketingkonzept nutzen, um noch größere
Gewinne einzufahren. Und ein Barack Obama als erster schwarzer
Präsident der USA afroamerikanische Jugendliche durch seine Polizei
erschießen lassen.

Ein Problem an der Identitätspolitik
ist also, dass sie ihre Analyse von Unterdrückung (z.B. Sexismus,
Rassismus, Heteronormativität, …) von den materiellen
Verhältnissen trennt. Identitätspolitische Kämpfe gegen
Unterdrückung erscheinen somit immer nur als Kämpfe um
Repräsentation und Sichtbarkeit im Rahmen des Bestehenden. Indem sie
Unterdrückung lediglich als Produkt von Diskursen, Bildern, Sprache,
kulturellen Praktiken und Denkweisen begreifen, erkennen sie nicht,
welche Funktion diese Unterdrückungsformen im Kapitalismus
eigentlich haben. Der marxistische Grundsatz, dass das
gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimme, wird also von der
Identitätspolitik umgedreht. Es geht ihr deshalb nicht darum, dass
System, dass tagtäglich diese Unterdrückung produziert aus den
Angeln zu heben, sondern darum innerhalb dieses Systems unterdrückte
Identitäten sichtbarer zu machen. Identitätspolitik geht davon aus,
dass Unterdrückung nur erkennbar ist, wenn man sie selber erfährt
und dass deshalb nicht Klassenkämpfe sondern Repräsentationskämpfe
das treibende Element der gesellschaftlichen Entwicklung sind.

Individuelle Reflexion statt
kollektiver Organisierung

Die Unterdrückung aufgrund von
Geschlecht, Hautfarbe, Herkunftsland, Behinderung, sexueller
Orientierung etc. ist jedoch keine alleinige Frage der Identität
sondern immer auch eine ökonomische Beziehung. Ob wir zu dieser oder
jener Gruppe gezählt werden, bestimmt unsere spezifische Stellung im
Produktionsprozess. Durch tagtägliche Ausgrenzungserfahrung bei der
Lohnauszahlung, der Jobsuche, Wohnungssuche oder Bahnfahren wird uns
diese Unterdrückung aufgezwungen, sodass wir beinahe glauben, sie
wäre Teil von uns, Teil unsere Identität. Obwohl uns die
rassistischen Sprüche von Mitschüler_innen manchmal eher als das
trennende Moment zwischen uns und dem Rest der Gesellschaft
vorkommen, ist es letztlich eigentlich die Klassenfrage, ob wir
Produktionsmittel besitzen oder gezwungen sind, unsere Arbeitskraft
zu verkaufen, die die Gesellschaft spaltet. So kann eine schwarze
Milliardärin aus München wesentlich mehr Macht besitzen, als ein
weißer Arbeiter aus Eisenhüttenstadt.

Im Kern geht es also um die Frage, ob
wir Unterdrückung als individuelles Problem und die Summe der
verschiedenen individuellen Einzelunterdrückungen betrachten, oder
als allumfassende Struktur im kapitalistischen System. Daraus ergeben
sich nicht nur die verschiedenen Antworten, ob sich der Kampf gegen
Unterdrückung gegen den Kapitalismus oder um Repräsentation drehen
muss. Es steht ebenso zur Debatte, ob dieser Kampf kollektiv oder
individuell geführt werden muss.

Da die Identitätspolitik Unterdrückung
als individuelle Erfahrung(en) begreift, schlussfolgert sie daraus
auch, dass die Kämpfe gegen Unterdrückung auf individueller Basis
erfolgen müssen. Ihr Verständnis von Unterdrückung beruht darauf,
dass Privilegien in der Gesellschaft ungleich verteilt sind. Das
bedeutet, dass die Privilegierten (also meistens weiße,
heterosexuelle Cis-Männer) ihre Privilegien mal „checken“
sollten, um reflektierter damit umzugehen. In unseren Augen sollte es
jedoch kein Privileg sein, über einen Platz laufen zu können, ohne
in eine rassistische Polizeikontrolle zu geraten. Es sollte kein
Privileg sein, problemlos eine Wohnung zu bekommen. Was die
Identitätspolitik als Privilegien versteht, sind also eigentlich
Rechte, die wir für alle erkämpfen sollten! Es sollte uns nicht
darum gehen, die kleinen Brotkrumen, die der Kapitalismus für einige
von uns abwirft, fairer unter allen aufzuteilen sondern darum, uns
die ganze Bäckerei zu holen. Natürlich ist die individuelle
Reflexion darüber, dass es innerhalb unserer Klasse besser gestellte
und unterdrücktere Teile gibt, auch ein wichtiger Bestandteil
revolutionärer Analyse und Praxis. Jedoch sollten wir es nicht dabei
belassen daraus eine individuelle Reflexionsübung zu machen, die uns
noch dazu in Wettbewerb zu einander versetzt, wer seine_ihre
Privilegien am besten „checkt“. Denn auch so schafft es der
Neoliberalismus erneut Kämpfe zu vereinnahmen und aus
Identitätspolitik ein Tool der individuellen Selbstoptimierung zu
machen (z.B. kann man auf Online-Dating-Plattform nun sein
Dating-Profil mit dem Banner „Black Lives Matter“ upgraden).

Den scheinbaren Widerspruch zwischen
Identität und Klasse durch revolutionäre Praxis auflösen!

Opfer von Rassismus oder Sexismus
brauchen keine Weißen oder Männer, die das auch alles ganz schlimm
finden und sich für sie einsetzen. Was wir brauchen sind Leute, die
gemeinsam mit uns auf Augenhöhe für dieselben Ziele kämpfen! Keine
geflüchtete Person soll in Lagern leben, sondern das Recht auf eine
Privatwohnung haben. Aber auch weiße Arbeiter_innen finden in
gentrifizierten Städten nur noch schwer bezahlbaren Wohnraum. Lasst
uns also gemeinsam und auf Augenhöhe für die Enteignung von
Leerstand und großen Immobilienkonzernen kämpfen! Die Polizei führt
nicht nur rassistische Kontrollen durch, sondern schlägt uns auf der
nächsten Demo allen ins Gesicht. Lasst uns gemeinsam kollektiv gegen
Polizeigewalt organisieren und Selbstschutzstrukturen aufbauen!

Der Kapitalismus ist die Wurzel von
Sexismus, Rassismus sowie sonstigen Unterdrückungsformen und basiert
auf der privaten Aneignung gesellschaftlich geleisteter Arbeit. In
diesem Widerspruch liegt auch die Auflösung des Problems begründet,
weshalb wir ohne Klassenpolitik auch den Kapitalismus nicht
abschaffen können. Die Identitätspolitik hat eine von Stalinismus
und Sozialdemokratie degenerierte Linke darauf hingewiesen, dass
nicht nur weiße, männliche Arbeiter zur Arbeiter_innenklasse
gehören. Dies müssen sich revolutionäre Linke zu Herzen nehmen und
ein neues vielfältigeres Bild von der Arbeiter_innenklasse
entwerfen, indem sie Forderungen gegen verschiedenste
Unterdrückungsgformen aufstellen, die Kämpfe auf ihre gemeinsame
Grundlage im Kapitalismus zurückführen und eine schlagfertige
antikapitalistische Bewegung aufbauen.

Auch wenn viele identitätspolitische Ansätze ins Leere laufen oder
schon komplett Teil der neoliberalen Verwertungslogik geworden sind,
müssen wir die Probleme, auf die sie hingewiesen haben,
berücksichtigen. In revolutionären Organisationen müssen wir
deshalb für das Recht auf Schutzräume eintreten, in denen
Angehörige unterdrückter Gruppen gesondert und geschützt vor
potentiellen Unterdrücker_innen diskutieren können. Wichtig ist
trotzdem, dass wir uns gemeinsam organisieren auf der Basis eines
klassenkämpferischen revolutionären Programms, mit dessen Hilfe wir
die Produktion vergesellschaften und durch die basisdemokratische
Organisation von Produktion und Reproduktion Unterdrückung in der
Gesellschaft überflüssig machen. Es geht nicht darum, wer
unterdrückter ist, sondern darum, in was für einer Gesellschaft wir
alle zusammen leben wollen!




What the Fuck is wrong in the USA?!

Jan Hektik

Wenn bloß ein wenig darauf geachtet wird, was gerade in den USA so alles abgeht, verliert man schnell den Überblick. Es kommt einem so vor, als ob dort alles gleichzeitig zusammenbricht, sich aber trotzdem nicht wirklich etwas ändert. In diesem Artikel möchten wir kurz beschreiben, was eigentlich in den USA gerade schiefläuft. Kurze Antwort: Alles! In diesem Artikel wollen wir aber drei der Konflikte näher beleuchten. Erstens Corona und das Gesundheitssystem, zweitens die Wirtschaftskrise und das Sozialsystem und drittens Black Lives Matter und Rassismus. Alle diese Konflikte finden ihren Ausdruck auch im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, also wird auf diesen auch in einem Abschnitt eingegangen werden.

Corona und Gesundheit

Die USA sind eines der am härtesten von der Pandemie getroffene Land mit Zehntausenden von Neuinfektionen täglich und massenhaft Toten. Warum ist das so?

Die einfache Antwort, die insbesondere die Demokraten gerne geben, ist wegen Trump. Doch auch wenn diese Aussage einen wahren Kern hat, so ist sie zumindest nicht ausreichend. Viel liegt auch an dem Gesundheits- und Sozialsystem, welches auch vor Trump in den Vereinigten Staaten schon bestand.

Das Gesundheitssystem in den USA basiert auf einer sehr starken und einflussreichen Pharmalobby (Big Pharma), welche ein gigantisches und profitables Netzwerk aus Versicherungen aufgebaut hat. Anders als in Deutschland gibt es keine staatliche Gesundheitsversicherung und auch keine Versicherungspflicht. Dadurch haben viele Menschen in den USA überhaupt gar keine Versicherung, besonders nicht die ärmeren. Gleichzeitig sind Preise für Medikamente und Behandlungen exorbitant hoch. 41% aller amerikanischen Personen im arbeitsfähigen Alter haben Probleme mit medizinischen Rechnungen oder zahlen medizinische Schulden ab.

Sind Menschen versichert, so sind sie es erstens meistens über ihren Job, zweitens unter strengen Bedingungen und drittens meist mit Selbstbeteiligung. D.h. auch wenn du versichert bist, kannst du trotzdem an den Kosten einer Krankheit zugrunde gehen.

Die Versicherungen funktionieren nach Netzwerken. Jede Versicherung hat ein Netzwerk. Ärzte, Krankenhäuser etc. können Teil dieses Netzwerk sein. Brauchst du eine Behandlung, geh besser in ein Krankenhaus, dass Teil des Netzwerks ist, ansonsten zahlt die Versicherung nicht.

Durch den Affordable Healthcare Act (Obamacare) wurde manche Missstände zwar abgeschwächt, in der Grundstruktur sind sie aber immer noch stark vorhanden.

Weiterhin trifft die Pandemie die USA so stark, weil im Gesundheitssektor durch die Ausrichtungen auf Wirtschaftlichkeit für die Bevölkerung relativ wenig Kapazitäten freistehen. Und schließlich wurde auf die Pandemie politisch von der Regierung langsam, zögerlich und minimal reagiert. Dies hat seinen Grund jedoch sehr stark in den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in den USA.

Die Wirtschaftskrise und das Sozialsystem in den USA

In den USA gibt es auch außerhalb des Gesundheitssystems kaum soziale Absicherungen, keine gesetzliche Rente (nur private Rentenversicherungen), sehr begrenzte und viel zu geringe Arbeitslosenversicherungen usw.

Das führt dazu, dass die Leute noch viel stärker auf ihre Jobs angewiesen sind als hier. Weiterhin gibt es auch keinen Kündigungsschutz und auch sonst kaum arbeitsrechtliche Regelungen zum Schutz der Beschäftigten, sowie generell eher schwache gewerkschaftliche Organisierung und kaum einheitliche Kämpfe. Das führt dazu, dass die Unternehmen in den USA, wenn sie ihre Produktion wegen Corona runterschrauben müssen, einfach massenhaft Leute entlassen können.
Die Gesundheitsversicherung über den Job ist dann weg.

Die Regierung hat den Lockdown lange hinausgezögert, ihn dann so minimal wie möglich durchgeführt, sodass die Infektionen trotzdem in die Höhe schossen (z.B. weil bei Amazon massenhaft Menschen unter massiven Zeitdruck arbeiten und keine Zeit haben sich die Hände zu waschen), woraufhin massenhaft Menschen entlassen wurden und ihre Versicherung verloren haben. Somit ist ein sich gegenseitig befeuerndes Verhältnis aus wirtschaftlicher und gesundheitlicher Krise entstanden woraus ein krasser Angriff auf die ärmsten Teile dieser Gesellschaft entstand.

In den USA stehen auf der einen Seite die Bourgeoisie (Corporate America) und ihre (offenen) Vertreter Trump, die Republikaner und die Rechte und auf der anderen Seite das Proletariat und in ihm besonders die unterdrücktesten Teile (People of Color, LGBTIA, Frauen). In den USA kann man besonders stark die Auswirkungen von wirtschaftlichen Nachteilen auf soziale und gesundheitliche Aspekte sehen. Gleichzeitig besitzen die Reichsten 1% mehr als die Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung.

All diese Probleme haben sich mit dem Eintritt der Krise, ausgelöst durch die Pandemie, plötzlich massiv verschärft. Besonders hart hat es People of Color und besonders die Schwarze Bevölkerung getroffen. Sie sind häufiger in schlechter bezahlten Berufen, schlechterer Gesundheitsversorgung, leben in infrastrukturell schlechteren Gebieten enger zusammen, haben weniger Absicherung bei Lohnausfällen oder Jobverlust und arbeiten überwiegend in Berufen die eine erhöhte Ansteckungsgefahr aufweisen. Der Rassismus in den USA hat somit eine ökonmoische Grundlage…und viel Sprengkraft.

Rassismus

Rassismus in den USA hat eine lange Geschichte und tiefe Verwurzelung. Er drückt sich neben der wirtschaftlichen in vielen anderen Formen aus. Eine ist die überproportionale Verfolgung von Schwarzen durch den Staat. 38,4% von allen Häftlingen in den USA sind Schwarz bei 12,7% der Bevölkerung, daneben sind 57,7% der Häftlinge weiß bei 72% der Bevölkerung.

In der Geschichte der USA gab es viele Bestrebungen den Gedanken der „weißen Rassenüberlegenheit“ (white supremacy) in der Gesetzgebung und der Exekutive zu verankern.

Die Polizei ist überproportional von Weißen besetzt wird, Tötungen durch die Polizei treffen unverhältnismäßig oft Schwarze Personen und Todesurteile treffen überproportional Schwarze Personen bei weißen Opfern. Rassismus durchzieht die gesamte Staatlichkeit der USA. Die Vorfälle in Kenosha, wo Jacob Blake von der Polizei ermordet wurde und in dem darauf folgenden Protest ein Rechter zwei BLM-Demonstrant_Innen ermordete, sind nur die Spitze des Eisbergs.

Der US-Amerikanische Wahlkampf

Im Sud dieser Konflikte brodelt der US-Amerikanische Wahlkampf. Für die Demokraten tritt Joe Biden an und für die Republikaner Donald Trump. Während die Republikaner die rechten Teile der Gesellschaft und den rechten Flügel der Bourgeoisie vertreten, versuchen die Demokraten, welche den etwas linkeren Teil der Bourgeoisie vertreten, gleichzeitig möglichst viele progressive Stimmen abzufangen.

Die Republikaner

Zunächst zum Wahlkampf der Republikaner, dieser stützt sich vor allem auf drei Punkte: Law and order (Recht und Ordnung), Kampf gegen den Sozialismus und Garant der individuellen „Freiheit“ (der Reichen und Weißen).

Law and Order ist der republikanische Propagandabegriff für die brutalste Niederschlagung jeglichen Widerstandes gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sowie die Art und Weise der Durchsetzung der oben genannten Krisenlösung von Kürzungen und Angriffen auf die ärmsten Teile der Bevölkerung.

Die Kosten der Krise auf die unterdrückten Teile der Gesellschaft abwälzen, das wollen beide Parteien. Die Fragen, über die sie sich uneinig sind, drehen sich nur um die Intensität und die Durchführung dessen.

Die BLM-Proteste werden als Plünderer bezeichnet und rechte Milizen und Polizei zu Hütern von Recht und Ordnung verklärt. Das Ganze eben unter dem Deckmantel gesellschaftlicher Regeln und wer sich nicht an diese halte, müsse hart bekämpft werden.

Im Kampf gegen den Sozialismus wird sich im Endeffekt auf Bernie Sanders bezogen und die Politik der Bewegung, die ihn unterstützt hat, auf Biden übertragen, ohne dass dafür eine tatsächliche Grundlage besteht. Biden ist ein Musterschüler des US-Imperialismus, Sanders ein sozialdemokratisch angehauchter Reformer.

Weiter geht’s mit der individuellen „Freiheit“ als klassischem Thema der Rechten in den USA. Patriotismus und Nationalismus sind eng verbunden mit diesem Begriff von Freiheit. Hier verbindet sich auch Law and Order mit Antisozialismus. Soziale Programme werden als Eingriffe in die Freiheit dargestellt, Privateigentum der Kapitalist_Innen und damit verbundene Ausbeutung als Ausdruck dieser Freiheit.

Die Demokraten

Biden dagegen stützt sich eigentlich nur auf zwei Punkte: Anti-Trump und im Winde wehen.

Biden und Trump führen den Wahlkampf der Persönlichkeiten. Viel der Debatte geht um das Alter von Biden oder die Unfähigkeit von Trump. Eigentlich ist Bidens Hauptargument: „Wählt mich, denn ich bin nicht Trump“ und „Ich war Vize unter Obama“.

Das sind vermutlich auch die beiden Hauptpunkte, mit denen er sich gegen Sanders durchsetzen konnte. Einerseits hatte er insbesondere unter älteren Menschen hohe Zustimmungswerte, besonders unter Schwarzen über 40, andererseits kam sein plötzlicher Zuwachs nachdem Obama dazu aufgerufen hat für ihn zu stimmen. Obama wird von vielen als linker wahrgenommen als er eigentlich war, insbesondere im Kontrast zu seinem Nachfolger. Die Hauptauseinandersetzung zwischen Biden und Sanders war Bidens Argument, Sanders sei zu links, um gegen Trump zu gewinnen. Dass dies nicht zutrifft, zeigt sich auch schon an der großen Zustimmung, die Sanders unter eher republikanisch geprägten Teilen der Bevölkerung hatte aufgrund der hohen Beliebtheit seiner Gesundheitsreform und einem stärkeren Klassenbezug.

Sanders großes Problem war eigentlich nicht mit der Demokratischen Partei zu brechen. Zwar ist er an sich ein Unabhängiger, der nur 2016 und 2020 jeweils zu den Wahlen den Demokraten beitrat. Jedoch hat er erst Hillary Clinton und dieses Mal Biden unterstützt, nachdem er die Wahl um die Kandidatur verloren hat. Jeder Beobachter_In klar ist, dass seine Ziele und erst recht die weitergehenden Ziele der Bewegung niemals mit dem Establishment der Demokraten, welches durch Clinton und Biden repräsentiert wird, umsetzbar sind.

Die DSA

Durch die Kandidatur zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten von Bernie Sanders wurde 2016 in den USA eine Debatte gestartet, die zu einer gesteigerten Popularität sozialistischer Begriffe, Phrasen und Politik geführt hat. Er hatte damals (und erneut dieses Jahr) unter anderem gefordert, alle privaten Krankenversicherungen abzuschaffen und durch eine staatliche zu ersetzen, welche bessere Bedingungen als in den meisten europäischen Ländern geschaffen hätte, eine stärkere Besteuerung der Reichen, verbunden mit großen Sozialprogrammen, und sich explizit an die arbeitende Bevölkerung und die Gewerkschaften gewandt und mit ihnen zusammen gearbeitet.

Gleichzeitig hat sich die Bewegung um ihn mit Black Lives Matter und Protesten von Latinos vernetzt. Dies ist der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung, die mit den Protesten von Occupy Wallstreet begann und die Organisierung und den Klassenbezug stetig erhöht hat. Auch untypisch für den US-Wahlkampf war Sanders‘ Methode nicht auf seine Persönlichkeit, sondern auf seine Forderungen und eine Bewegung zu setzen. Auch dies hat ermöglicht, dass die Democratic Socialists of America (DSA) in 2016 von unter 10.000 auf 35.000 und 2019 auf 55.000 Mitglieder anwuchsen.

Die DSA ist eine Partei, deren Politik in Deutschland als sozialdemokratisch gelten würde. Sie stützt sich auf die Arbeiter_Innenklasse und benennt diese klar als Bezugspunkt. Auch ihre Versuche sich mit Gewerkschaften zu vernetzen und eine Verbindung der Kämpfe von Antisexismus, Antirassismus und gewerkschaftlichen Kämpfen herzustellen sind vielversprechend. Einerseits stellt dies eine große Chance für Kommunist_Innen dar, Menschen für die kommunistischen Ideen zu begeistern und andererseits ist eine unabhängige Organisierung auch ein notwendiger Schritt zu einer klassenunabhängigen, wenn auch noch nicht unbedingt revolutionären Politik. Alleine schon die Existenz einer unabhängigen Massenarbeiter_Innenpartei in den USA wäre ein großer Fortschritt und die Bereitschaft in den linken Teilen der Gesellschaft und auch in der DSA, mit den Demokraten zu brechen, ist hoch wie nie. Gerade die Konflikte um Sanders und die Demokraten haben dies verstärkt.

Verhältnismäßig viele der linkeren Teile der demokratischen Basis sind dazu geneigt Unabhängige zu wählen. Das ist für die USA besonders bedeutsam, da historisch nie mehr als zwei große Parteien ernsthafte Chancen auf die Präsidentschaft hatten. Dies wird immer als Totschlagargument gegen die Gründung und Wahl neuer Parteien benutzt. Doch es geht in Wirklichkeit darum einen gesellschaftlichen Wandel zu bewirken und das ist nur durch die Aktion möglich, durch die Organisierung von Protesten, Strukturen und Streiks. Mit der wachsenden sich als sozialistisch verstehenden Bewegung, Black Lives Matter, Solidaritätsstreiks im Profisport und vielen Produktionszweigen und der Debatte um Krise von Wirtschaft und Gesundheit, die durch die Pandemie losgetreten wurde, ist dies eine der besten Gelegenheiten für den Aufbau einer unabhängigen Arbeiter_Innenpartei, die es jemals gab.

Wer gewinnt, Biden oder Trump?

Das ist schwer zu sagen, da ihre Prognosen eng beieinander liegen. Es wird an den Zielen ihrer Politik aber nicht viel ändern. Beide beabsichtigen die Krise mit Förderung der Kapitalist_Innen und Angriffen auf die Arbeiter_Innenklasse zu beantworten. Der Unterschied liegt hauptsächlich in der Art und Weise. Unter Trump werden die Angriffe mit härteren Mitteln und offenerem Rassismus durchgeführt werden. Man kann auch nicht sagen, dass es überhaupt keinen Unterschied macht, wer gewinnt, allein schon weil die Wahl eines offenen Rassisten wie Trumps auch als Gradmesser für das Bewusstsein der US-amerikanischen Bevölkerung verstanden werden muss. Aber an den kapitalistischen Grundbedingungen wird sich nichts ändern, keiner von beiden wird das Gesundheitssystem reformieren, keiner wird Streikende unterstützen oder Klasseninteressen ansprechen und keiner von beiden wird den rassistischen Polizeiapparat angehen. Biden sagte dazu bloß, es sei ja ein Unterschied, ob man Polizisten beibringe auf den Kopf oder die Beine zu schießen. Und genau diese Art von Kandidat stellt er dar. Er ist der Einen-Schuss-in-die-Beine-statt-in-den-Kopf-Kandidat.

Warum kein Schuss in die Beine?

Immer noch besser als ein Kopfschuss, also Biden wählen. Könnten wir jetzt sagen. Sagen wir aber nicht, denn wie sollen wir als Revolutionär_Innen die Klasse für unsere Ideen gewinnen, wenn wir sie dazu aufrufen sich für einen Schuss in ihre Beine stark zu machen. Und wir haben ja oben ausführlich geschildert, dass Biden eben nicht die Interessen der Arbeiter_Innenklasse vertritt, sondern nur eine andere Strategie der bürgerlichen Klassenherrschaft, die sich eher zufällig an manchen Punkten mit progressiver Politik verwechseln lässt.

Was jetzt in den USA notwendig bleibt, ist das Nutzen von Wahlkampf und den Bewegungen, um eine Organisation aufzubauen, die die Interessen der Klasse und der Unterdrückten auch außerhalb von Wahlen unterstützt. Die es z.B. fördert, wenn Schwarze Communities selbst Patrouillen durch ihre Nachbarschaft schicken, um sich vor Rechten, Kriminalität aber auch der Polizei zu schützen. Oder die Gewerkschaften dazu drängt den Schulterschluss mit den antirassistischen und antisexistischen Kämpfen zu suchen. Und zu guter Letzt braucht es den Kampf um eine unabhängige Arbeiter_Innenpartei, in der Kommunist_Innen für ein revolutionäres Programm kämpfen, die die Kosten der Krise Trump, Biden und Co. zahlen lässt!




Revo4Ort: Dresden

Der Mord an George Floyd erschütterte die Welt und führte
zu massiven Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt. International finden
gerade Demonstrationen in Solidarität mit den rassistisch Unterdrückten in den
USA statt. Doch Rassismus ist natürlich nicht nur dort ein Problem. Erinnern
wir uns nur an den 19. Februar 2020, an dem der Rechtsradikale Tobias Rathjen
neun Menschen in zwei Shishabars und einem Kiosk in Hanau ermordete. Erinnern
wir uns an den 9. Oktober 2019, an dem der Antisemit Stephan Balliet einen
Anschlag auf eine Synagoge in Halle verübte. Oder erinnern wir uns an Oury
Jalloh, der 2005 in Polizeigewahrsam verbrannte. Hinzu kommen rassistische
Aufmärsche, wie die Montagsdemonstrationen von Pegida hier in Dresden.
Rassismus ist ein internationales Problem, sowohl institutionell in staatlichen
Strukturen wie der Polizei, als auch in unserem Alltag. Der Mord an George
Floyd ist hier nur die Spitze des Eisbergs, der Tropfen, der das Fass der
tagtäglichen Benachteiligung, Misshandlung und Diskriminierung zum Überlaufen brachte.

Tagtäglich sind Menschen mit „anderer“ Herkunft, „anderer“
Hautfarbe, Migrationshintergrund, usw. benachteiligt und werden geächtet. Ein
großer Teil von ihnen gehört zur unterdrückten Klasse in der bürgerlichen
Gesellschaft, der Arbeiter_Innenklasse. Oft sind sie selbst in den prekärsten
Beschäftigungsverhältnissen angestellt und erreichen, aufgrund von
Sprachproblemen oder Vorurteilen, keinen so hohen
Abschluss. Von Nazis und Rechtsradikalen werden sie dann als dumm und
Schmarotzer dargestellt, obwohl sie oft zu denen gehören, die am meisten für
ihre Existenz kämpfen müssen. Viele Menschen mit Migrationshintergrund werden
nach Jahren wieder in vermeintlich sichere Herkunftsländer abgeschoben. Zu
diesen Ländern gehört z.B. auch Lybien. Ein Land in dem Bürgerkrieg herrscht.

Doch woher stammt dieser Rassismus? Die
herrschende Klasse – die Kapitalist_Innen – und der Staat als ihre nationale
Vertretung und als Instrument der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft stehen
stets in internationaler Konkurrenz. Dafür müssen sie das Wirtschaftswachstum
im Land ankurbeln, um Profite zu steigern, die höher als die der anderen
nationalen Wirtschaften sind. Zu diesem Zweck werden auch andere Länder und
ihre Bevölkerung geplündert und wenn es notwendig ist auch militärisch
unterjocht. Insbesondere
Deutschland und die USA, als imperialistische Staaten, beuten andere
wirtschaftlich aus und beteiligen sich an Kriegen um Ressourcen wie Erdöl und
Absatzmärkte für ihre Billigprodukte. Die Menschen, die dann vor Krieg und
Armut fliehen, werden aus Europa abgeschoben oder ertrinken im Mittelmeer.
Dafür ist Rassismus eine Rechtfertigung. Weiterhin dient dieser Rassismus und
die nationale Abschottung natürlich auch der Spaltung der Arbeiter_Innenklasse,
damit sie nicht in einem internationalen Kampf den Kapitalismus überwinden
kann. So können z.B. in Deutschland Saisonarbeiter_Innen aus der Ukraine oder
Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus besonders gut ausgebeutet werden,
weil viele deutsche Arbeiter_Innen, die von der bürgerlichen Ideologie beeinflusst
wurden, nicht mit ihnen in den Streik treten.

Dadurch, dass Rassismus ein gesellschaftliches Problem
ist, sind auch staatliche Institutionen wie Schulen nicht frei von
strukturellem und alltäglichem Rassismus. Hast du schon mal Rassismus an deiner
Schule, Uni oder in deinem Umfeld erlebt? Willst du dich klar dagegen positionieren
und für diese Menschen einsetzten? Bist du vielleicht sogar selbst davon
betroffen?

Dann beteilige dich an unserer Kundgebung „Jugend gegen
Rassismus“

 Am 18.7. Samstag
15 Uhr am Jorge-Gomondai Platz, Dresden




„Black Lives Matter“- Wie ein Polizeimord zum antirassistischen Widerstand führen konnte: 5 Fragen, 5 Antworten

Leila Cheng

In den USA wird an den momentanen Black-Lives-Matter-Protesten sichtbar, dass Polizist_Innen eben nicht unsere Freund_Innen und Helfer_Innen sind. Die Aufgabe der staatlichen Exekutive ist es, die Herrschaftsverhältnisse, also die Herrschaft der Kapitalist_Innen und des Staates, aufrechtzuerhalten und das natürlich auch mit Gewalt. Neben der Gewalt gegen politische Gegner_Innen der bürgerlichen Ordnung, kommt auch immer wieder Rassismus in den staatlichen Strukturen auf. Das ist einerseits ein Resultat der Konkurrenz zwischen den Staaten und andererseits ein Mittel der Herrschenden, die Arbeiter_Innenklasse zu spalten. Hier zeigt sich, was bereits der afro-amerikanische Bürgerrechtsaktivist Malcolm X in den 1960gern sagte: „You can´t have capitalism without racism“ (Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus.) In dieser Analyse stellen wir uns 5 Fragen zu den antirassistischen Protesten in den USA.

1.Was ist der Auslöser der Proteste?

25. Mai 2020, Minneapolis, Minnesota, die Vereinigte Staaten von Amerika. Eine alltägliche Situation. Ein weißer Police Officer, Derek Chauvin, greift zusammen mit seinen Kollegen Tou Tha, Thomas Lane und J. Alexander Kueng den 46-jährigen Afroamerikaner George Floyd auf. Ein Ladenbesitzer, bei dem Floyd Zigaretten kaufte, hat wegen angeblicher Verwendung von Falschgeld angerufen. Die Polizisten, die sich daraufhin auf den Weg machen, gehen wie gewohnt mit einem Afroamerikaner um. Sie bedrohen ihn mit einer Waffe und nehmen ihn gewaltsam fest, indem er gewürgt und ihm die Luft abgedrückt wird. Das Ganze dauert 9 Minuten an. Später wird ein Krankenwagen gerufen, doch Floyd stirbt, bevor sie das Krankenhaus erreichen. Eine alltägliche Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika, wäre das ganze nur nicht als Video in der ganzen Welt publik geworden.

Eine alltägliche Situation? Ja, dieser Mord ist kein Einzelfall! Man muss sich nur die rassistischen Morde von Polizist_Innen in den letzten Jahren anschauen, denn die Liste der schwarzer Opfer von Polizeigewalt ist lang: 2014 wurde der 18-jährige Schüler Michael Brown von dem Polizisten Darren Wilson in Missouri (USA) erschossen, März 2020 wurde Breonna Taylor in Louisville (USA) oder wie  vor wenigen Tagen, am 12. Juni 2020, wo der vierfache, afroamerikanische Vater Rayshard Brooks in Atlanta von Polizist_Innen erschossen wurde. 2019 war es in den USA zweieinhalb so wahrscheinlich als Afroamerikaner_In erschossen zu werden als als Weiße_R.

Das sind nur
wenige Beispiele einer Mordserie, die bis in die Zeit vor dem amerikanischen
Bürgerkrieg, also vor der Abschaffung der Sklaverei in den USA, zurückgeht.

2. Wie entwickelten sich die Proteste?

Das Video verbreitete sich rasant in den sozialen Medien und die Proteste entzündeten sich schnell und kraftvoll. So mussten die vier beteiligten Polizisten innerhalb kürzester Zeit aus dem Dienst entlassen werden, um die Menschen zu besänftigen.[3]  Doch Proteste wurden über die folgende Woche immer kämpferischer. Diese hatten ihren Höhepunkt in der Nacht vom 28. zum 29. Mai, in der Aktivist_Innen den 3. Polizeibezirk der Stadt niederbrannten, was schließlich (ebenfalls am 29. 05.) zur Anklage gegen den Polizisten Derek Chauvin wegen Totschlag führte. Die Familie von Floyd lehnte dies zurecht ab und forderte eine Anklage zu Mord und dass auch Chauvins Komplizen angeklagt werden sollen. Und auch die Demonstrant_Innen gaben sich damit nicht zufrieden. Die Proteste entwickelten sich zu einer Rebellion, die sich mit enormer Geschwindigkeit auf die gesamte USA ausweitete. So gab es z.B. Proteste in den Städten San Diego, Washington, New York, Los Angeles, Denver, Columbus.

Initiiert und angeführt werden die Proteste von Black Lives Matter (BLM), die in den vergangenen Jahren zur Speerspitze des Widerstandes gegen rassistische Polizeigewalt geworden ist. BLM ist selbst heterogen und dezentral, aber weit verbreitet und bringt immer wieder zehntausende Menschen auf die Straße.  Dazu beteiligen sich linke und antifaschistische Gruppen, ihr Umfeld, eher unpolitische Menschen und ein großer Teil der Black Community. Aber auch die Demokratische Partei solidarisierte sich mit den Protesten, so zum Beispiel der Bürgermeister von Minneapolis Jacob Fray. Das ist aber eigentlich höchst widersprüchlich, hat die Demokratische Partei doch in den vorherigen Jahren selbst rassistischer Polizeigewalt Vorschub geleistet hat (stop-and-frisk, Broken-Windows-Theorie) und dass auch in demokratischen Bundesstaaten der größte Teil der Gelder in die Polizei fließt. Eine andere Kraft, die die Proteste unterstützt und auch dazu aufruft, sind die Gewerkschaften. So unterzeichneten gewerkschaftlich organisierte Busfahrer_Innen von Minneapolis eine Petition, in der sie sich für die Demonstrationen aussprachen, und verweigerten gleichzeitig, Polizist_Innen zu transportieren und Verhaftete ins Gefängnis zu bringen. Was hier durchgeführt wurde, war eine Form des politischen Streiks, der sich klar gegen die staatlichen Strukturen richtete und nichts mit einfachen Lohnkämpfen und Sozialpartnerschaft gemein hat. Auch andere Gewerkschaften solidarisierten sich mit diesen Protesten. Hier zeigt sich, dass durchaus ein Versuch gestartet wird, einen Schulterschluss mit der Arbeiter_Innenklasse zu suchen. So sprachen sich z.B. auch Lehrer_Innen und Lagerarbeiter_Innen bei Amazon für die Proteste aus. Am 09.06.2020, dem Tag der Beerdigung von George Floyd, legten U-Bahn- und Hafenarbeiter_Innen in New York und San Francisco sogar die Arbeit nieder.

Ein
wichtiger Faktor beim Gelingen der Bewegung ist die weltweite Solidarität.
Nicht nur in den USA, sondern weltweit schlossen sich Millionen von Menschen
der Black Lives Matter-Bewegung an. So zum Beispiel in Frankreich,
Großbritannien, Griechenland, Deutschland, Österreich, Mexiko, Südkorea,
Italien, Kanada, Brasilien, Spanien,…. Hierbei spielten für die Mobilisierung
auf Demonstrationen und Kundgebungen auch die sozialen Medien eine wichtige
Rolle. All diese Proteste haben die Gemeinsamkeit, dass sie sich gegen Rassismus
in staatlichen Strukturen und Polizeigewalt richten und diesen Fakt
international kritisieren. Denn nicht nur amerikanische Polizist_Innen begehen
Morde aus rassistischen Hintergründen. So ereignete
sich 2005 in Deutschland, dass der westafrikanische Einwanderer Oury Jalloh in
einer Zelle in Dessau (Sachsen-Anhalt) verbrannte, wobei der Polizeibeamte
freigesprochen wurde, weil Jalloh sich angeblich selbst angezündet habe. Ein
weiteres Beispiel in Israel, wo ebenfalls 2020 der 32-jährige Palästinenser Iyad Halak von der Polizei erschossen wurde. Man hielt
ihn an einem Checkpoint in Ostjerusalem fälschlicherweise für bewaffnet und
erschoss ihn auf seiner Flucht.

3. Was ist die Situation zwischen den Protesten und dem Staat?

In der Gemengelage der Proteste werden einige Forderungen klarer: Die erste ist die Gerechtigkeit für George Floyd in Form einer Anklage gegen alle beteiligten Polizisten wegen Morde. Die zweite ist das Ende rassistischer Polizeigewalt und rassistischer Morde in den USA. Weitere Forderungen sind unter anderem: Das Ende der Ungleichbehandlung von Afroamerikaner_Innen im Bildungs-, Gesundheitswesen und Beruf, öffentliche Gelder von der Polizei in die Versorgung zu verschieben (#defundthepolice) und so weiter. Einige Forderung deuten auch auf die sich aktuell anbahnende Wirtschaftskrise hin. Insgesamt haben sich seit Ausbruch von Corona in den USA 41 Millionen Menschen offiziell arbeitslos melden lassen. Arbeitslosenzahlen, die es seit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre nicht mehr gab. Bei den momentan durchgeführten Massenentlassungen wurden Afroamerikaner_Innen und andere People of Colour meist zuerst entlassen. Hier zeigt sich auch, weshalb viele Arbeiter_Innen in Solidarität mit der Bewegung stehen.

Afroamerikaner_Innen
sind neben den Arbeiter_Innen ebenfalls eine unterdrückte Gruppe in der
kapitalistischen Ordnung. So sollte man die Proteste nicht bloß isoliert als
rechtmäßiger Widerstand gegen einen autoritären und rassistischen Staat
verstehen, sondern die lebensbedrohende Aussicht der Wirtschaftskrise für die
Unterdrückten und unteren Schichten der Arbeiter_Innenklasse treibt die Leute
auf die Straße und das Gefühl der Ohnmacht und Unterdrückung wird für viele
jetzt besonders greifbar und kristallisiert sich an den Attacken der Polizei.

Der Staat
hingegen reagierte sofort mit massiven Repressionen: Massenhafter Einsatz von
Tränengas und Gummigeschossen, Aufmarsch der Nationalgarde plus die Drohung mit
der Armee, Einschränkungen von Grundrechten in vielen Städten, Gewalt und
Verhaftungen auch bei friedlichen Demonstrant_Innen begleitet von Hetze und
Diffamierungen durch Präsident Trump und den Republikaner_Innen. Zusätzlich
drohte er damit, die „Antifa“ als terroristische Organisation einzustufen, was
eine unsägliche Entrechtung wäre, weil damit jede_R Antifaschist_In ohne
Prozess weggesperrt werden könnte. So wie die Unterdrückten von der Krise
bedroht sind, so ist es auch die Vormachtstellung der US-amerikanischen
Bourgeoisie und das lässt ihr wenig Spielraum für jegliche soziale Reformen und
tatsächlicher Abbau von Unfreiheit und Ausbeutung. In der wirtschaftlichen
Konkurrenz mit China oder der EU wird die herrschende Klasse nur mit großem
Unwillen auf die Massen an extrem billigen Arbeiter_Innen im
durchökonomisierten Gefängnissystem und die Vorteile einer Steueroase
verzichten wollen. Und da die Krise die Konkurrenz nur verschärft, ist die
einzige Möglichkeit der Herrschenden die gewaltsame Zerschlagung der Proteste.

4. Warum wird es keinen Kapitalismus ohne Rassismus geben?

Wir leben nicht nur im Kapitalismus, sondern, wie Lenin es beschreibt, im Imperialismus: der höchsten Phase des Kapitalismus. Neben der einfachen Ausbeutung der Arbeiter_Innen durch die Kapitalist_Innen kommt hier noch eine weitere Form der Ausbeutung hinzu: Die imperialistischen Industriestaaten beuten halbkoloniale, also formal unabhängige, aber wirtschaftlich abhängige Staaten aus. So wird sowohl die dreckige und billige Arbeit in diese Länder verlagert und als auch die erstellten Produkte wiederum dort verkauft, sodass diese auch arm und abhängig bleiben und wer sich dagegen wehrt, dabei mitzumachen, wird durch militärische oder wirtschaftliche Erpressung dazu gezwungen. Rassismus, also die systematische Unterdrückung von nationalen, ethnischen oder religiösen Bevölkerungsgruppen, die meist anhand äußerer Merkmale, z.B. der Hautfarbe, festgemacht wird, spielt da eine zentrale Rolle, denn sie legitimiert dieses menschenverachtende Vorgehen gegen die Halbkolonien und ihren Einwohner_Innen. So können die Vorurteile vom „kriminellen Ausländer“ und „Terroristen“ dazu herhalten, Menschen an den Grenzen Europas zu ermorden, sie schlechter zu bezahlen und durch sonstige Benachteiligung von der restlichen Gesellschaft auszuschließen. So entsteht der institutionelle Rassismus innerhalb des Staates, der Justiz, als seine richterliche Gewalt, und natürlich auch der staatlichen Exekutive, der Polizei. Hinzu kommt, dass die Herrschenden damit die Klassenwidersprüche, die international existieren, verschleiern und stattdessen Konkurrenz zwischen den Nationen fördern, was im Zweifel die Kampfkraft der Unterdrückten spaltet und die weißen Arbeiter_Innen sich mit ihren weißen Bossen verbünden, obwohl auch diese in Wirklichkeit nur ein Ausbeutungsverhältnis verbindet!

5. Wie kann der Protest zum Sieg führen?

Diese Proteste machen auf eine zentrale Form der Unterdrückung aufmerksam und führen gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen zum öffentlichen Druck auf Staat und Kapital. Sie erreichten, dass die Mörder von Floyd entlassen wurden und dass es eine Anklage gegen Chauvin gab. Andere beteiligte Beamte wurden jedoch nicht angeklagt, auch wenn anzunehmen ist, dass aufgrund des starken Drucks und der internationalen Solidarität mit den Protesten wohl noch eine ordentliche Anklage gegen alle Beteiligten errungen wird. Aber die Frage ist nun, auf welchem Weg man die allgemeinen Probleme wie der institutionelle Rassismus bekämpfen kann.

Eine
zentrale Frage der Bewegung ist die Gewaltfrage und auch in der deutschen
Linken gibt es seit Beginn der Proteste eine Debatte um „sinnlose Gewalt“ auf
den US-amerikanischen Straßen. Viele verurteilen diese Gewalt und werben für
„friedliche“ Proteste. Wenn man die Proteste genau betrachtet, fällt auf, dass
der größte Teil der Gewalt von den Repressionen durch den US-amerikanischen
Staat ausgeht und dass ein großer Teil der Gewalt durch Demonstrant_Innen erst
eine Folge der Reaktion ist. Sowieso stehen kleine Plünderungen oder
Vandalismus in keiner Relation zur tagtäglichen Gewalt des Staates und des
kapitalistischen Systems und wir sollten es als legitimen Ausdruck von Wut und
Verzweiflung nicht moralisch verurteilen. Und nicht jede Gewalt dort ist
sinnlos. Beispiele sind die Angriffe auf die Polizeiwache oder koloniale
Denkmäler. Wir wollen aber über die individuellen und oftmals ziellosen
Aktionen hinaus und stattdessen demokratisch wähl- und abwählbare, bewaffnete
(Selbstverteidigungs-)Milizen aus Arbeiter_Innen, Afroamerikaner_Innen und
anderen in der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückten Gruppen aufbauen, um
dabei eine rechenschaftspflichtige und taktische Kraft zu kreieren. Dafür sind
die existierenden Ansätze von Selbstverwaltung und massenhafter Militanz gute
Möglichkeiten.

Doch um sich
effektiv gegen die Gefahr der Zerschlagung durch Staat und faschistische
Milizen zu wehren und die oben besprochene kapitalistische Grundlage des
Rassismus‘ zu überwinden, braucht es auch eine klare antikapitalistische
Perspektive, also auch die klare Ablehnung des bürgerlichen Staates an sich.
Stattdessen setzen bislang viele Demonstrant_Innen auf Reformen innerhalb von
Polizei und Justiz, die aber zu kritisieren sind. Reformen können erstens immer
wieder abgeschafft werden und zweitens greifen sie die objektive Grundlage, den
Privatbesitz an den Produktionsmitteln und eine Wirtschaft, die auf Tausch und
Leistung beruht (Kapitalismus), nicht an.[8]  Die kürzlichen vorgebrachten Reformpakete
sowohl von den Demokrat_Innen aber erst recht von den Republikaner_Innen sind
mehr als unzureichend und sind eher Kaschierung des Problems, indem sie meinen,
das Problem sei die Praxis des Würgegriffs an sich und ist sie erstmal eingeschränkt,
ist es halb so wild.

Es gibt
jedoch auch Teile der Bewegung, die sehr wohl offen die Polizei und den Staat
zerschlagen wollen und diese müssen dafür nun ein klares Bild zeichnen, wie das
geht: Wir brauchen eine Bewegung, die sich auf weitere Teile der Gesellschaft
und damit auch auf weitere Themen ausbreitet, sodass ein Kampf aller
Unterdrückten unter Führung der Arbeiter_Innen gegen die Krise und das gesamte
System geführt wird. Forderungen wie bedingungsloses Recht auf Wohnraum,
Krankenversorgung, Arbeit und kollektiven Selbstschutz müssen aufgestellt
werden und größere Organisationen wie Gewerkschaften und progressive Bewegungen
offen dazu aufgerufen werden, sich an den Kämpfen zu beteiligen. Darum braucht
es auch eine solidarisch und zielstrebig geführte Debatte innerhalb der BLM-Bewegung,
die sich in einer demokratischen Konferenz konstituiert und damit wehrhafter
und taktischer vorgehen kann und es einen Raum gibt, in dem sich die wirklich
radikalen Forderungen beweisen können. Mit einer größeren gesellschaftlichen
Basis sind neben Demonstrationen auch weitere massenhaften Widerstandsformen
wie der politische Streik oder Betriebsbesetzungen verteidigt durch die
demokratischen Selbstverteidungsstruktuen möglich, mit
denen man die herrschende Klasse dazu zwingen kann, unsere bitternötigen
Forderungen umzusetzen und eben Platz zu machen für eine neue, solidarische und
soziale Gesellschaft!

Daher treten
wir ein für:

  • Aufbau von
    antifaschistischen, bewaffneten Milizen aus Arbeiter_Innen, Afroamerikaner_Innen
    und anderen in der bürgerlichen Gesellschaft unterdrückten Klassen gegen
    Rassist_Innen und Faschist_Innen auf der Straße und in staatliche Strukturen
    (insbesondere bei der Polizei und im Militär)
  • Wahl von
    Volkstribunalen, um kein Vertrauen in bürgerliche Gerichte setzten zu müssen
  • Zusammenarbeit
    mit den Gewerkschaften, soweit es mit der reformistischen Gewerkschaftsführung
    möglich ist, ansonsten Herausforderung und Sturz dieser durch die Basis
  • Aufbau einer
    antirassistischen Massenbewegung, die den Kampf in den Stadtteilen, Betrieben,
    Universitäten, Schulen und auf den Straßen mit einer sozialistischen
    Perspektive verbindet
  • Aufbau einer
    revolutionären Arbeiter_Innenpartei in den USA, die sich international
    vernetzt, und mit einem klaren revolutionären Programm an die Spitze der
    Bewegung stellt
  • Weiterhin
    internationale Vernetzung von antirassitischen und antikapitalistischen
    Massenbewegungen (Internationale Solidarität!)




Warum Rassismus und Polizei nicht voneinander zu trennen sind

Jonathan Frühling

Der Mord an George Floyd erschütterte die Welt und führte zu massiven Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt. International fanden Demonstrationen in Solidarität mit den rassistisch Unterdrückten in den USA statt, jedoch verbanden die Protestierenden ihre Forderungen auch mit lokalen Themen. Den Menschen wird international immer klarer, dass die Arbeit der Polizei maßgeblich für die Reproduktion und Institutionalisierung von Rassismus verantwortlich ist. Mit institutionellem Rassismus ist ein Rassismus gemeint, der strukturell und gemeinschaftlich von Institutionen durch Anordnungen und Praktiken reproduziert wird.

Die Funktion der Polizei wurde in Deutschland mit dem sogenannten
Kreuzbergurteil von 1882 eindeutig als die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung definiert. Mit „Ordnung“ ist vor allem der Privatbesitz
an Produktionsmitteln und die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse und
Unterdrückung der nicht-weißen Bevölkerung gemeint, die unsere heutige
kapitalistische Gesellschaft prägen. Zu Beginn war die Polizei hauptsächlich
für die Niederschlagung von Arbeiter_Innenunruhen, wie z.B. Streiks, oder
Aufständen von anderen Unterdrückten zuständig. Sie hatte also von Anfang an
eine klassenpolitische Ausrichtung.

Polizei und Rassismus

Eine Studie von der Europäischen Grundrechtsagentur aus 2010 besagt, dass in Deutschland fast doppelt so häufig Personen mit türkischem oder ex-jugoslawischen Migrationshintergrund kontrolliert werden wie die durchschnittliche Bevölkerung. Bei solchen Personenkontrollen ist die Polizei auf Oberflächlichkeiten angewiesen und dementsprechend kommt ein rassistisches Bewusstsein hier sehr zu tragen und wird sogar Vorschub geleistet, man bezeichnet dies als „Racial Profiling“ und wird später noch genauer besprochen. Nicht nur bei Kontrollen, sondern allgemein kommt es sehr auf das Bewusstsein der einzelnen Beamt_in an, wie sie/er auf der Straße vorgeht. Damit ist auch gemeint, wie genau Gesetze ausgelegt, bzw. inwiefern sie bewusst überschritten werden, wen sie kontrolliert oder wie sie People of Colour behandelt.

Seit Marx wissen
wir, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein eines Menschen prägt. Es
wird also durch die soziale Stellung und die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen gebildet. Wir müssen uns außerdem anschauen, was die Polizei
praktisch auf der Straße tut, um bestimmen zu können, welches Bewusstsein sie
hat.

In unserer heutigen Gesellschaft herrscht eine rassistische Ideologie vor. Grundlage dafür sind teilweise die Mechanismen des Kapitalismus, dass wer arm ist, arm bleibt und dass oftmals Migrant_innen davon betroffen sind. Teilweise aber auch der Wille des Kapitals, die Bevölkerung anhand von ethnischen, religiösen und nationalen Unterschieden zu spalten, um so ihre eigene Herrschaft zu sichern. Die tatsächliche Teilung der Gesellschaft auf Grundlage von ökonomischen Klassen wird somit verschleiert. Um es knackig zu sagen: Eine entlassene Person wird nicht gegen die Firmenleitung protestieren, wenn sie für die Entlassung „die Ausländer“ verantwortlich macht.

In diesem Sinn sind auch z.B. die Aushebelung des Asylrechts
und die rassistische Hetze durch alle bürgerlichen Parteien zu verstehen. Die
Gesetzesverschärfungen werden mal eben mit der rassistischen Aussage erklärt,
dass man sich damit gegen die Massen an Terrorist_innen unter den Flüchtenden
schütze. Und mit der islamophoben These, dass der Islam das Hauptproblem
Deutschlands sei, lässt sich auch insgesamt von den katastrophalen Auswirkungen
der kapitalistische Politik Deutschlands ablenken und Kriege wie in
Afghanistan, Syrien und Mali rechtfertigen.

Die Polizei hat dabei direkt die Funktion die rassistische Regierungspolitik
in die Tat umzusetzen. Sie schließt die Grenzen, greift „illegale“
Migrant_Innen auf und führt Abschiebungen durch. Sie ist also direkt mit der
Aufgabe betraut, gegen den rassifizierten Feind vorzugehen. Die Polizei ist deshalb
in ihrer Funktion, ihrem Denken und Handeln einer der extremsten Ausdrücke
dieser Politik. Das rassistische Bewusstsein materialisiert sich so bei der
Polizei in einer verschärften Form. Menschen, die damit ein Problem hätten,
werden auch nicht zur Polizei gehen wollen, sodass man vor allem autoritäre und
ohnehin rechte Personen anzieht.  Für
hohe Polizeibeamt_Innen, die mit ihren Handlungen das Bewusstsein des Apparates
durchdringen, gilt dies in besonderem Maße.

Polizei und Rassismus in den USA

Auch bei der Betrachtung der Geschichte der Polizei in den
USA, wird ihre Funktion in der Gesellschaft augenscheinlich. Die Wirtschaft der
Südstaaten basierte bis zur Aufhebung der Sklaverei 1865 auf der Ausbeutung von
Sklavenarbeit. Im 17. und 18. Jahrhundert begannen die Regierungen damit,
sogenannte Sklavenpatrouillen einzurichten. Diese sollten die versklavte
Bevölkerung in Unterdrückung halten und notfalls Aufstände niederschlagen. Ihre
Aufgabe war also schlicht und ergreifend, die Vorherrschaft der weißen
Bevölkerung aufrechtzuhalten. Nach dem Ende des Bürger_Innenkrieges 1865 wurden
diese Milizen in die offiziellen Polizeiorgane überführt. Deren ideologisches
Vermächtnis besteht bis heute in der modernen US-amerikanischen Polizei fort.

Der Mord an Floyd George war deshalb auch kein Einzelfall. Wenn ein Bulle am helllichten Tage und vor laufender Kamera einen Menschen kaltblütig ermordet, dann muss er sich sehr sicher sein, dass Richter und Staatsanwälte ein derartiges Verhalten decken. Tatsächlich landen in den USA nach einer Tötung durch die Polizei nur 4 von 400 Polizist_Innen vor Gericht, nur eine Person davon wird verurteilt.

Das rassistische Polizei- und Justizsystem führt dazu, dass
schwarze Menschen prozentual doppelt so oft wie alle anderen Teile der Gesellschaft
eingesperrt werden. Dadurch erfahren sie zusätzliche gesellschaftliche
Diskriminierung. Zudem verringert sich so die Chance, in Freiheit wieder einen
Job zu bekommen. Es gibt sogar Bundesstaaten in den USA, die ehemaligen
Sträflingen lebenslang das Wahlrecht verwehrt.

In vielen Städten in den USA ist die schwarze Bevölkerung in
Viertel zusammengedrängt, in denen fast ausschließlich schwarze Menschen
wohnen. Die USA ist bis heute ein stark segregiertes Land (Schlagwort:
Redlining). Da die schwarze Bevölkerung ökonomisch benachteiligt ist, sind
diese Viertel verarmt. Drogenabhängigkeit, Kriminalität und andere soziale
Verwerfungen sind Begleiterscheinungen dieser Umstände. In den entsprechenden
Viertel führt sich die Polizei eher wie eine Besatzungsmacht, denn als
„normale“ Polizei auf. Hier muss sie sich für rassistisches Vorgehen besonders
wenig rechtfertigen und nutzt das auch vollständig aus.

Dass es heute in die USA auch Polizist_Innen of colour gibt, ändert nichts an dem Charakter der Polizei. Zudem übernehmen Polizist_Innen of colour rassistische Verhaltensweise und führen nachweislich genauso oft Racial Profiling durch. Die Existenz von Polizist_Innen of colour spiegelt nur die Integration Teile der kleinbürgerlicher schwarzen Community in den bürgerlichen Staat wieder, vor allem vermittelt durch die Demokratische Partei. An dem Rassismus in den USA hat der schwarze Präsident Obama von der Demokratischen Partei übrigens auch rein gar nichts geändert

Racial-Profiling

Mit Racial-Profiling sind staatliche Maßnahmen gemeint, bei denen als Opfer gezielt People of Colour ausgewählt werden. Der Begriff meint sich jedoch nicht nur Kontrollen, sondern bezieht auch rassistische Wahrnehmungs- und Ermittlungsperspektiven mit ein. Richter, Staatsanwälte und die Presse nutzten Racial Profiling ebenfalls, um Rassismus zu institutionalisieren.

Die rechtliche
Grundlage für Racial Profiling auf der Straße ist das Werkzeug der „verdachtsunabhängigen“
Kontrollen. Zwar darf die Hautfarbe offiziell nicht als Grund für eine
Kontrolle angegeben werden, doch wer kontrolliert wird und was letztlich in dem
Polizeibericht steht, entscheidet der/die einzelne Beamt_in (bzw. deren
rassistisches Bewusstsein).

Racial Profiling
nehmen bei der Reproduktion des strukturellen und institutionalisierten
Rassismus eine sehr wichtige Funktion ein. Zum einen setzen sie People of
Colour massiv unter Druck, die sich der Schikane der Kontrolle hingeben müssen
und sich nirgendswo vor der Polizei sicher fühlen können. Zudem ist die Gefahr
z.B. mit einer geringen Menge Cannabis erwischt zu werden, dadurch natürlich
für diese Menschen deutlich höher. Dies kann den Verlust des Führerscheins und
damit des Jobs zur Folge haben. Zudem suggeriert Racial Profiling Passanten,
dass von People of Colour eine höhere Gefahr ausgeht. So reproduziert Racial
Profiling Rassismus in der gesamten Gesellschaft.

Die ständige
Verfolgung, öffentliche Demütigung und Bloßstellung können zudem zu psychischen
Schäden, wie Depressionen und/oder Verfolgungswahn führen. Darüber hinaus
schränkt Racial Profiling die Bewegungsfreiheit von People of Colour und damit
ihre gesellschaftliche Teilhabe ein. Auch die Zeit, die die Kontrollen kosten
und die Termine, die sie dabei möglicherweise verpassen, sind ein starke
Einschränkung für sie.

Gegen Racial
Profiling gerichtlich vorzugehen ist wenig sinnvoll. Polizist_Innen decken sich
dabei immer gegenseitig und die (zumeist weißen) Richter und Staatsanwälte
decken die Polizei. Letztlich sind nämlich alle diese Instanzen Akteure
desselben rassistischen Systems. Deshalb ist ein Vorgehen gegen die Polizei
mittels der Gerichte auch allgemein faktisch unmöglich. Zudem kann es zu
Gegenanzeigen durch die Polizei kommen, weshalb der/die Kläger_In oft selbst
auf der Anklagebank landet und abgeurteilt wird.

Will man etwas gegen
Racial Profiling tun, dann sollte man nach Situationen des Racial Profilings Ausschau
halten und den Vorgang sichtbar beobachten. Dies übt Druck auf die handelnden
Beamten aus, wie einige selbst vor Gericht angaben.  Eine verbale Einmischung, z.B. mit der Frage:
„Wieso wird diese Person kontrolliert?“, kann diesen Druck erhöhen und die
polizeiliche Arbeit behindern. Auch das Filmen oder vermeintliche Filme kann
dabei helfen, der Polizei ihr rassistisches Gebaren unangenehm zu machen.

Polizei, Grenzen und Geflüchtete

Wie bereits erwähnt ist die Polizei das Werkzeug, mit dem der Staat ihre rassistische Abschottungspolitik umsetzt. Nationale Polizeikräfte organisieren sich in der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex. Diese setzt mit ihren Maßnahmen das theoretisch geltende Asylrecht fast vollständig außer Kraft. Sie sorgen dafür, dass Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen, als feindliche Invasoren gebrandmarkt werden. Legitimiert wird diese Politik mit dem angeblichen Schutz unserer Kultur und dem Kampf gegen Terrorismus. Diese Rechtfertigungen triefen vor offenen rassistischen Lügen.

Doch auch national wird die Polizei für die
Abschottungspolitik eingesetzt. Sie überwacht z.B. die nationalen Grenzen und
kann Menschen willkürlich an der Einreise hindern. Zudem führt sie
Abschiebungen aus und fliegt dabei auch Länder, wie Afghanistan an. Im Inland
setzt sie Residenzpflichten durch, die aus dem rassistischen Asylgesetz
resultieren. 

Forderungen im Kampf gegen die Polizei

Im Kampf gegen das rassistische Repressionsorgan Polizei stellen wir folgende Forderungen auf:

  • Defund the police! Keine
    Finanzierung der Polizei. Das Geld brauchen wir für Sozialleistungen, Bildung
    oder sozialen Wohnungsbau!
  • Keine Militarisierung der
    Polizei. Sofortige Entwaffnung der Polizei, vor allem, was Taser,
    Maschinenpistolen und Handgranaten angeht!
  • Schränkt den Handlungsraum
    der Polizei ein: Keine verdachtsunabhängige Kontrollen, kein Begriffe, wie „drohenden
    Gefahr“, keine Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren!
  • Keine Massenüberwachung
    z.B. durch Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Videoüberwachung!
  • Kein Racial Profiling! Hartes
    Aburteilen von Bullen, die Racial Profiling anwenden!
  • Organisiert militanten Selbstschutz:
    Niemand beschützt uns vor den Angriffen von Sexist_Innen, Rassist_Innen, Faschos
    (und der Polizei), das müssen wir schon selber tun!
  • Für eine Zerschlagung des
    Polizeiapparates und des Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates! Für die Ersetzung
    dessen durch bewaffnete Verteidigungsstrukturen der Lohnabhängigen,
    Jugendlichen, Frauen, LGBTIA und Migrant_innen, die demokratisch kontrolliert
    sowie wähl- und abwählbar sind!