Wieso ist der Rechtsruck im Osten besonders stark?

von Jonathan Frühling

„Der Rechtsruck ist bloß ein Phänomen des Ostens!“ wäre wohl die Folgerung aus den ständigen Witzen und Beiträge über die Rechte in Ostdeutschland. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit, denn auch im Westen gibt es wachsende Probleme mit Nazis, AfD & Co! Hingegen stimmt es aber, dass die Rechten in Ostdeutschland stärker als in Westdeutschland sind. So hatte die AfD bei den Bundestagswahlen 2017 im Osten (ohne Berlin) jeweils um die 20% der Stimmen bekommen; im Westen waren es „nur“ um die 10%. In Dresden ist die PEGIDA-Bewegung ansässig, die zu Spitzenzeiten zehntausende Rassist_Innen auf die Straße brachte. Bis die AfD kam, saß die NPD sogar in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag. Ebenso sind Nazikameradschaften und rechte Fußballfankultur vermehrt im Osten anzutreffen und die rechte Gewalt ist in den östlichen Bundesländern pro Einwohner oft 3-5 mal höher als im Westen. Woher kommt das?

Wirtschaftliche Lage im Osten

Die Wiedervereinigung war für die Wirtschaft in der DDR eine totale Katastrophe. Profitieren sollte davon nämlich vor allem der Westen. Genauer gesagt: Die westdeutsche Bourgeoisie. Sie eignete sich die profitablen Firmen an und erschloss mit ihren Produkten den Absatzmarkt in Ostdeutschland. Selbst profitable Unternehmen, wie z.B. das Kohlekraftwerk „Schwarze Pumpe“ wurden abgerissen, damit Firmen aus dem Westen den Markt bedienen konnten. Die Wirtschaftsleistung der DDR sank deshalb Anfang der 90er um ca. 35%. Dies befeuerte die Abwanderung aus dem Osten massiv und sorgte dafür, dass bis Mitte der 90er Jahre 1,4 Millionen Leute aus dem Osten in den Westen gingen.Bis heute hat sich Ostdeutschland nicht von diesem wirtschaftlichen Schock erholt. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 9,2 % immer noch fast doppelt so hoch wie im Westen (5,7%). Auch die Armut wächst in Ostdeutschland schneller als im Westen. Die Zahl der Erwerbstätigen im Osten hat erst 2004 ihren Tiefpunkt erreicht und konnte bis heute nicht mehr auf das Niveau der DDR steigen. Die Löhne sind ca. 20% niedriger als in den alten Bundesländern. Selbst die Lebenserwartung ist im Osten geringer als im Westen. Doch die Stärke der Rechten muss auch politisch erklärt werden. Der Stalinismus war vielen in der DDR verhasst. Die offensichtlichen Privilegien der Bürokrat_Innen und die gesellschaftliche Kontrolle durch die Polizei taten dort ihren Dienst. Nach dem Zusammenbruch wandten sich die Menschen trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage von der DDR ab, da diese eben auch auf der ökonomischen Ebene abgewirtschaftet hatte. Zudem wurde der Nationalismus von der Wiedervereinigung befeuert, woran sich die Leute in ihrer verzweifelten Situation klammerten. Dies ist auch der Weg, mit dem die AfD und andere rechte Gruppen auch heute noch versuchen, die Menschen um sich zu scharren.

Schwäche der Linken

Bis zum heutigen Tage findet aber auch noch eine zweite wichtige politische Entwicklung im Osten statt: Das Versagen des Reformismus. In den beiden rot-roten Regierung in Berlin von 2001-2011 wurden die Schulden der Bankengesellschaft Berlin auf die Steuerzahler_Innen umgelegt, massiven Angriffe auf den öffentlichen Dienst gefahren und massenweise staatliche Wohnungen abgestoßen. Momentan erleben wir übrigens eine Wiederauflage dieser Politik. In Brandenburg hat die Linkspartei ihre Oppositionspolitik wie so oft als Regierungspartei in ihr Gegenteil verkehrt. Gegen Braunkohleabbau und repressive Polizeigesetze wetterte man in der Opposition, führte jedoch beides weiter, sobald man an der Regierung war. Deshalb wird die Linkspartei im Osten schon seit Jahren als keine richtige Alternative gesehen. Ähnliches gilt für die SPD. Gerade auch durch die Regierung Schröder verlor die SPD massiv an Rückhalt im Osten, sodass sie in den neuen Bundesländern in dieser Zeit teilweise fast 16% einbüßte. Grund waren die Kriege im Kosovo und Afghanistan, die Fortsetzung der Nutzung von Atomstrom und die Einführung der Agenda 2010, die die Anzahl der Armen in Deutschland explodieren lassen hat. Auch die Gewerkschaften haben in der DDR abgewirtschaftet. Nach der Wende traten die Hälfte der Arbeiter_Innen in den DGB ein. Da der DGB aber nicht viel gegen den wirtschaftlichen Verfall ausrichten konnte, traten fast die Hälfte der 4,2 Millionen Mitglieder nach kurzer Zeit wieder aus dem DGB aus. Seitdem haben die Gewerkschaften unzählige Male die Schließung von Werken mitgetragen oder verkauften Streiks. Eine weitere große Austrittswelle musst der DGB nach dem abgebrochenen Kampf um die 35-Stunden-Woche 2003 hinnehmen. 2012 lag der Organisierungsgrad der Beschäftigten im Osten nur noch bei 17,2 %. Da also die reformistische Linke so kläglich scheiterte, haben die Rechten leichtes Spiel, mit ihren rassistische Erklärungen für diese miserable Lage Erfolg zu haben und den Wut der Menschen zu bündeln, ohne dabei wirklich ihre Lage verbessern zu können oder zu wollen! Der massive Rechtsruck in den neuen Bundesländern ist also keine Entwicklung, die nur an der Vergangenheit während der DDR festgemacht werden kann oder daran liegt dass die Leute „dümmer“ sind. Entscheidend ist vielmehr die Vergangenheit Ostdeutschlands seit der Wiedereinführung des Kapitalismus, von dem sich die Region nicht wieder erholt hat. Ebenso hat der jahrelange soziale Ausverkauf  dazu geführt, dass die Menschen den Glauben an die politischen Kräfte verloren haben. Deshalb kann nur ein entschlossene revolutionäre Linke, die hält, was sie verspricht, eine Perspektive gegen die Misere seit der Einheit darstellen!