Linksjugend: Die Chance auf Internationalismus ergreifen – den Zionismus beenden

von J.J. Wendehals, Oktober 2025

Die Sumud Flotilla wurde gekidnappt, der Genozid in Gaza geht jeden Tag weiter. Jugendliche auf der ganzen Welt gehen auf die Straße, streiken und blockieren. In Deutschland, während man vergeblich auf eine Solidarisierung mit der Sumud Flotilla wartet, hat gestern die Jugendorganisation der LINKEN ein Statement veröffentlicht: Sie bekunden ihre Unterstützung von Trumps 20-Punkte-Plan. Dieser oft fälschlich als “Friedensplan” bezeichnete Kolonialisierungsplan ist die neueste Idee des US-Imperialismus, wie Gaza langfristig entrechtet und fremdbestimmt bleiben kann: Der Widerstand in Gaza soll entwaffnet werden, die Regierung entmachtet und stattdessen ein von Trump und seinen “Partnern” kontrolliertes Regime installiert werden. Was in Wahrheit dahintersteht: Der US-Imperialismus versucht, in der gesamten Region eine Ordnung aufrechtzuerhalten, die es ihm ermöglicht, weiterhin Bodenschätze und Arbeitskraft auszuplündern.

Linksjugend solid hingegen sieht hier “konkrete Sicherheitsmaßnahmen”, “politische sowie administrative Reformen” und “wichtige Schritte in Richtung Deeskalation und humanitärer Hilfe”. Nebenbei bemerkt wird mit dieser affirmativen Übernahme von Begriffen aus dem Vokabular der Imperialisten hier nicht nur das palästinensische Volk verhöhnt, sondern im Grunde genommen jeder antikoloniale und antiimperialistische Kampf. “Sicherheitsmaßnahmen” heißt immer militärische Intervention zur Sicherheit der Profite und Interessen des imperialistischen Kapitals. “Administrative Reformen” sind in Halbkolonien immer nur dann gute Reformen, wenn sie Marionettenregime an der Macht halten, die jeglichen Widerstand gegen den imperialistischen Raub unterbinden. Und “Deeskalation” und Entwaffnung heißt hier nur eine Umverteilung der Waffen – aus den Händen der Widerstandskämpfer:innen in die der Unterdrücker:innen.

Es gibt eine Reihe weiterer Feigenblätter, hinter denen die Solid ihre Parteinahme auf Seiten des Genozids verstecken möchte. Wie schändlich übrigens, dass hier trotz Beschlusses des letzten Bundeskongresses (BuKo) nach 2 Jahren ein Genozid immer noch nicht als ein solcher benannt wird, sondern von “militärischen Operationen” die Rede ist. Putin wäre stolz.

1. “Das Sterben muss aufhören”

Das ist natürlich richtig. So richtig, dass es sogar der Pfarrer in der Kirche sagt. Sozialist:innen jedoch werden nicht bei Moralbekenntnissen stehenbleiben. Sie werden nicht die eine Form bürgerlicher Herrschaft einer anderen vorziehen wegen eines unglaubwürdigen Versprechens nach Frieden oder “Menschlichkeit”. Sozialist:innen haben kein Vertrauen in eine kapitalistische Regierung und schon gar nicht in die von Trump oder Netanyahu. Solange dieser Besatzerstaat die Waffen in der Hand hält, werden Palästinenser:innen sterben.

2. “Die Palästinenser:innen werden einbezogen”

Dass es als Großzügigkeit dargestellt wird, wenn “ein palästineneisches Komitee aus hamasfernen Akteur*innen und Expert*innen” (sic!) irgendwie auch mitreden darf, ist eigentlich eine Frechheit. Fast so frech wie wenn man Israel anpreist, weil es sich dazubereiterkläre, entwaffneten Kämpfer:innen “sogar das Recht einzuräumen, den Gazastreifen zu verlassen”. Es wird also von jeglichen Palästinenser:innen im Vorhinein verlangt, dass sie ihre Hamasferne (was auch immer das bedeuten soll) zuerst beweisen, ehe sie dabei “einbezogen” werden, was mit ihrem Land passiert. So reaktionär die Hamas auch politisch ist, stellt sie weiterhin die größte Kraft im palästinensischen Widerstand dar. Das macht sie unweigerlich zum Anziehungspunkt für viele Menschen in Gaza, welche sich gegen Besatzung, Vertreibung und Genozid wehren wollen. Dass es einen politischen Kampf innerhalb dieses Widerstands gegen sie um die Führung braucht, ist für uns als Linke außer Frage. Das kann aber eben nicht heißen, an die politische Betätigung der Palästinenser:innen Vorbedingungen zu stellen und diese von oben herab einzuschränken.

3. “Es ist nur eine Übergangslösung”

Sorry to break the news, aber Übergangsregierungen sind schon immer ein Trick der Herrschenden gewesen. Warum sollten sie denn die Macht irgendwann abgeben? Und an wen überhaupt? Und wer soll dann überprüfen, dass auch alle Palästinenser:innen “hamasfern” bleiben? Spätestens seit Oslo hat die Zwei-Staaten-Lösung ja ohnehin ihre Glaubwürdigkeit verloren, aber das hier ist auch nochmal eine ganz besonders schlechte Variante davon.

Es ist in diesem Text nicht der Platz dafür, aber wir haben es an anderer Stelle ausführlicher behandelt: Palästina wird frei sein, sobald es einen(!) sozialistischen, säkularen, multiethnischen Staat gibt. Sobald den über 9 Millionen palästinensischen Geflüchteten ein Recht auf Rückkehr gewährt wird und sobald alle imperialistischen Räuber vertrieben sind – ob USA, Deutschland, EU oder andere.

Wie weit soll der Pluralismus noch gehen?

So ein Statement zu lesen, kann vielleicht verwundern, wenn man an die vielen Genoss:innen auch von der Solid denkt, mit denen wir schon Seite an Seite gegen den Genozid auf die Straßen gegangen sind. Wir sehen auch anhand der vielen Kommentare unter dem Beitrag, wie wenig Rückhalt diese unsozialistische Positionierung noch in der solid hat. Es treten hier zwei Probleme von Solids Pluralismus ans Licht. Einmal, dass es keine bindenden Beschlüsse gibt, die so etwas verhindern. Und zweitens, dass z.B. ein marxistisches Verständnis von Imperialismus gar nicht auf breiter Basis entstehen kann, solange überhaupt nicht der Anspruch besteht, als Organisation politische Antworten, ein umfassendes Programm zu entwickeln, hinter dem sich alle Mitglieder und Organisationsgliederungen versammeln. Und das verhindert eben eine überzeugende Perspektive für Jugendliche, sogar wenn mal nicht gerade auf Donald Trump reinfällt.

An die kritischen Landesverbände, Basisgruppen und Solids:

Gut, wenn ihr euch schon einmal distanziert habt von dem Trash. Jetzt mit beruhigtem Gewissen zurück auf Twitter gehen, wäre aber schade. Notwendig wäre es, auch auf Bundesebene einen politischen Kampf zu führen und nichts in der Organisation den Anti-Deutschen oder den “Beide-Seiten-sind-in-der-Verantwortung” Leuten zu überlassen. Statt sich aber nur zufällig auf der gleichen Seite bei Abstimmungen auf dem BuKo wiederzufinden, braucht Opposition Organisierung, um zielgerichtet vorgehen zu können. Deswegen sollten sich Revolutionär:innen in der Solid auf Basis eines gemeinsamen Programms zu einer revolutionären Fraktion zusammenschließen, welche um die Führung in der Linksju-gend kämpft. Mehr dazu könnt ihr in unserem Artikel „Was können Revolutionär:innen in der Solid tun?“ lesen.

Es ist Zeit, endgültig mit der Staatsräson zu brechen: Positioniert euch als Gesamtorganisation konsequent gegen den Genozid, für die sozialistische Ein-Staaten-Lösung. Und lasst den Worten Taten folgen: eine Kampagne in den Schulen, Unis, Betrieben. Für Aufklärung über die Besatzung statt prozionistischer Propaganda. Gegen alle Waffenlieferungen, militärische, wirtschaftliche oder ideologische Unterstützung Israels. Und gegen Trumps scheiß 20-Punkte-Plan!




Zwischen Ohmacht und Rechtsrutsch: Was können Revolutionär:innen in der Linksjugend tun?

von der Revolution Leitung, aus der REVOLUTION Zeitung von Juli 2025, 7 Minuten Lesezeit

Bei den Bundestagswahlen konnte die Linkspartei massiv Punkten und befindet sich in einem überraschenden Aufschwung. Über 50.000 neue Mitglieder und 8% bei der Wahl gehen auch an der Linksjugend Solid nicht vorbei. Diese neuen Mitglieder bringen frischen Wind in die Segel der verknöcherten Strukturen, was sich an der Annahme der JDA-Antisemitismusdefinition beim letzten Parteitag widerspiegelt. Was vielversprechend klingt, wirft aber die zentrale Frage auf den Plan, für welche Politik wollen Solid und Die Linke einstehen? Denn die Vergangenheit darf nicht einfach vergessen werden, dass die Linke und die Solid Totgesagt wurden hatte einen Hintergrund. Es konnten Mobilisierungen nicht genutzt werden, es wurde wenig selber initiiert und inhaltliche Punkte wurden schwammig gesetzt. Für Revolutionär:innen stellt sich also auch die Frage, wie das verändert werden kann.

Organisierende Klassenpartei

Die aktuelle politische Lage ist von Krisen geprägt. Die Krise des deutschen Imperialismus führt zu Militarisierung, der Rechtsruck – ob AfD-Umfragewerte, Abschottungspolitik, Abschiebungen oder der Aufschwung der Nazijugenden – schreitet weiter voran und die Merzregierung plant immer weitere Angriffe auf die Arbeiter:innen und Jugend mit Kürzungen für die Bildung, bei Jugendclubs und anderen Freizeitaktivitäten. Die Lebenshaltungskosten steigen ins Unermessliche. Wenn Die Linke sich als „organisierende Klassenpartei“ versteht, dann muss sich das auch in ihrer Jugendorganisation widerspiegeln. Es reicht einfach nicht, nur bei Protesten mitzumachen, die Solid muss sich selber als Kraft verstehen, die diesen initiiert – das wirft jedoch Fragen auf, wofür sie eigentlich steht. Um die Aufgaben der aktuellen Zeit zu bewerkstelligen und auf die politische Situation eine Antwort zu geben, braucht es eine klare politische Analyse und Methodik, die aufzeigt, wie man die kommenden Angriffe nicht nur abwehrt, sondern die Kämpfe dahin führt, dass konkrete Verbesserungen erkämpft werden. Ansonsten werden wir aus der Defensive nicht rauskommen. Konkret bedeutet das, Bündnisse zu schmieden mit den Gewerkschaften und anderen linken Jugendorganisationen, mit einem politischen Plan und konkreten Forderungen. Diese könnten sein:

  • Klassenkampf der neuen Regierung und dem Generalangriff: Gegen Agenda 2030! Gegen Aufrüstung und Militarisierung! Gegen Rechtsruck und Rassismus! Für internationale Solidarität!
  • Klassenkämpferische Politik auf der Straße und in den Gewerkschaften: Bruch mit der Sozialpartner:innenschaft!
  • Gegenmacht aufbauen: Nein zum Reformismus, für eine revolutionäre, internationalistische Kampfpartei!

Für eine revolutionäre Fraktion in der Solid und Linkspartei!

Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Solid von heute auf morgen einfach so ändert. Um so wichtiger ist es, dass wir uns als (subjektive) Revolutionär:innen zusammenschließen zu einer Fraktion. Diese darf nicht auf dem Stadium einer losen Vernetzung bleiben wie es der BAK Klassenkampf aktuell ist, sondern muss ein politisch-inhaltlicher Zusammenschluss sein, der nicht bloß in der Solid, sondern auch in der Linkspartei agiert. Die Basis davon muss eine tiefe Diskussion und Auseinandersetzung mit Antimilitarismus, Internationalismus und dem Subjekt der Veränderung, sowie Klarheit über den Charakter der Linkspartei als reformistische Arbeiter:innenpartei sein. Sicherlich ist es illusorisch zu glauben, aktuell alle Teile einer solchen Fraktion hinter ein klar revolutionäres Programm zu vereinen, doch ein Pluralismus wie er in der Linken/solid vorherrscht, ist zu gewissem Grad schädlich, was sich bei Themen wie Palästina oder Iran besonders zeigt. Die Fraktionierung muss sich beim BuKo in Kampagnenvorschlägen und LVVn widerspiegeln und auch in die Linkspartei versuchen hineinzuwirken. Dabei dürfen wir keine Angst davor haben, dass Gelder gekürzt werden!

Es kann sich lohnen, vom Organizing zu lernen, die positiven Elemente mitzunehmen und auf Schulen und Ausbildungsplätze zu übertragen – allerdings muss klar sein: Organizing ist ein Mittel, keine Strategie!

Die Solid könnte im Themenfeld Antimilitarismus Kampagnen gegen die Bundeswehr an Schulen machen. Dabei könnte jedes Mitglied sich zum Ziel setzen, 2-3 Klassengenoss:innen in der Schule dazu zu interviewen und anschließend in Aktion zu bringen. Dabei müssen konkrete Forderungen zur Situation vor Ort mit der gesamtgesellschaftlichen Dynamik verbunden werden (bspw. „kein Werben fürs Sterben – Bundeswehr raus aus unseren Schulen! Wir bestimmen, wer an unsere Schule kommt!“). Neben dem Aspekt der Organisierung vor Ort, muss sich die Solid auch zur Aufgabe machen, ihre eigene Mitgliedschaft zu schulen. Woher kommt Krieg? Was sind die Antworten der Arbeiter:innenbewegung? Wie kommen wir zu einer breiten Antikriegsbewegung? Die Linke muss diese Kampagnen unterstützen, gleichzeitig muss die Solid als kämpferischerer Teil der Linken die Mutterpartei herausfordern – inhaltlich und praktisch – und so den Weg für eine Klassenkämpferische Partei bereiten. Sie muss sich gegen jegliche Aufrüstung (inklusive sogenannter Verteidigungsfähigkeit) des deutschen Imperialismus richten und dem imperialistischen Projekt der EU die Perspektive der vereinigten sozialistischen Staaten von Europa entgegensetzen und die Abgeordneten, die im Bundesrat den Weg für die Hochrüstung des deutschen Imperialismus geebnet haben, zur Rechenschaft ziehen.
Auch zu Palästina müsste die Solid mit ähnlichen Kampagnen arbeiten. Forderungen müssten sich gegen das Kuffiya-Verbot in Berlin, die Israel 1948-Bröschüre, die an Neuköllner Schulen verpflichtend werden sollte, und die Repression gegen Palästinasolidarität richten. Es braucht die Forderung nach der Niederlage Israels und der USA im Krieg gegen den Iran und im gesamten Nahen Osten und das Recht auf Widerstand seitens der Unterdrückten. Das bedeutet auch den Kampf gegen den Pazifismus der Mutterpartei und deren Perspektive einer „vernünftigen, gerechten“ imperialistischen Politik, die sie als gesamtes nicht bekämpft.

Probleme der linken Fraktion

Mit dem BAK Klassenkampf hat die Linksjugend im vorletzten Jahr erstmals seit Jahren eine dediziert linke Plattform bekommen. Der Anspruch des BAKs ist die politische Ausrichtung der Solid entschieden nach links zu bewegen. Dieses Vorhaben ist in jedem Fall zu begrüßen und in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Intervention auch in der Zusammenarbeit mit anderen progressiven linken Organisationen mündete und der gemeinsame politische Kampf erfolgreich Früchte trug.

Zugleich hat sich jedoch gezeigt, dass der BAK in seiner Funktion als Sammelbecken seine politischen Positionen immer weiter differenzierte und es zu einer zunehmenden Verwässerung der Linie des Arbeitskreises kam. Die anfängliche Einheit und gezielte Ausrichtung haben sich zunehmend zu einem losen Zusammenschluss linksoppositioneller Ideen gewandelt. Um die Linksjugend jedoch grundlegend zu verändern und ihre politische Stagnation zu überwinden, braucht es mehr als das. Dazu gehört auch, dass man den linksreformistischen und zentristischen Fraktionen der Linksjugend ein inhaltliches Programm entgegensetzt, welches die Funktion und Stellung der Solid als Ganzes reflektiert. Angesichts des Aufschwungs der Partei ist es notwendig, das Wegducken vor der Realität seitens der Partei- und Verbandsspitzen anzuprangern und mit einem revolutionären Programm vom Reformismus wegzubrechen. Die Debatte um die Strategie des Verbands ist zentraler Bestandteil dabei: Bleiben wir beim Haustürwahlkampf, Demobesuchen und Hoffen auf den Parlamentarismus oder bauen wir eine Widerstandskraft der Arbeiter:innenklasse auf, die den Angriffen der Regierung und dem Kapital den Kampf ansagt?

Schlussfolgerung: Was ist also die Aufgabe von Revolutionär:innen?

Zentral ist es also, aktiv die Debatte über Strategien zu suchen. Der Reformismus wird sich nicht von selbst entlarven, wir brauchen konkrete Taktiken und müssen in Neuformierungsprozesse eingreifen. Eine Arbeit innerhalb des Verbands ist nur dann sinnvoll, wenn der Reformismus konsequent kritisiert und praktisch bekämpft wird. Es gilt insbesondere den reformistischen Apparat der Solid und Linkspartei anzugreifen und durch die tägliche Arbeit als Bewegungshemmend zu entlarven.

Die Politik, die die Linke macht wird entscheiden, ob und wie erfolgreich die kommenden Angriffe der neuen Regierung abgewehrt werden können. Viele sind eingetreten mit der Hoffnung, dass die Partei diese Kämpfe führt und mit Illusionen in den bürgerlichen Staat. Die Aufgabe für Revolutionär:innen ist also mit diesen Leuten im gemeinsamen Kampf Erfahrungen zu sammeln und vom Reformismus und damit auch von Partei und Verband wegzubrechen. Es geht darum, die kommenden Angriffe abzuwehren – nur danebenstehen und erzählen, dass die uns eh verraten werden, reicht nicht, weil sich Reformismus scheinbar natürlich reproduziert im Kapitalismus und wir uns so nur selbst isolieren.

Es gilt den Kampf zu führen für inhaltliche Positionen und für eine revolutionäre Fraktion in der Linksjugend Solid sowie der Linkspartei! Wir laden euch dazu ein, mit uns darüber zu diskutieren und gemeinsam aufzubauen!




Kann die Linkspartei den Rechtsruck aufhalten?

von Jona Everdeen, April 2025 – Lesezeit: 8 Minuten

In einem unglaublichen Comeback ist die Partei die Linke innerhalb eines halben Jahres von Umfragewerten bei ungefähr drei Prozent auf ein Wahlergebnis von fast 9 Prozent geklettert. In der gleichen Zeit hat sie ihre Mitgliederzahlen auf inzwischen über 100.000 (Rekord in der Parteigeschichte) verdoppelt. Dieser Aufstieg der Linken, die zuvor in einer tiefen Krise steckte, zeigt den Wunsch vieler, große Teile davon Jugendliche und junge Arbeiter:innen, nach einer echten Alternative zum Rechtsruck. Doch wie kann „die Linke“, deren innere Widersprüche sicher nicht überwunden sind, tatsächlich den Erwartungen an sie gerecht werden und eine entschlossene Kraft gegen den Rechtsruck bilden?

Kampf gegen Rechtsruck heißt Kampf gegen Krise!

Zuerst einmal muss, was die Partei im Wahlkampf zumindest teilweise gemacht hat, die Verbindung gezogen werden zwischen der Krise und dem Rechtsruck. So machte die Linke deutlich, dass für den Aufschwung der AfD die jüngsten Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiter:innen verantwortlich sind. Allerdings begründet die Linke das auf eine recht schematische Art und Weise. So würden Menschen, denen es ökonomisch schlecht geht, leicht empfänglich werden für rechte Propaganda, wenn jedoch eine linke Partei ihre Lebensbedingungen verbessere, sich davon wieder abwenden. Entsprechend auch ihr Wahlprogramm, das sehr ambitionierte Reformforderungen aufwirft, Forderungen, die wenn sie restlos umgesetzt werden würden, tatsächlich die Lebensbedingungen der Arbeiter:innen enorm verbessern würden! Forderungen für die wir einen Kampf jederzeit unterstützen würden! Doch genau hier kommt es zum Knackpunkt, denn wie diese Forderungen zu erreichen sind, weiß die Partei „die Linke“ bisher nicht. In einer Regierungskoalition mit SPD und Grünen 2029 und mit Heidi Reichinnek als Kanzlerin, wird das sicher nicht passieren. Eine andere Perspektive hat die Partei „die Linke“ nicht, da ihr, wie für reformistische Parteien üblich, das Verständnis fehlt, wie man mit einer proletarischen Massenbewegung auf der Straße Siege erringen kann.

Nach dem Wahlkampf kommt der Straßenkampf!

Was es zunächst braucht, ist die Erkenntnis, dass der Wahlkampf nur eine Bühne ist für den eigentlichen politischen Kampf, der woanders geführt wird: Auf der Straße, in den Betrieben, in den Schulen und Universitäten! Positiv hervorzuheben sind bereits zweierlei Dinge: 1. Die Organisierung von Studis gegen Rechts an Universitäten und 2. Die Unterstützung von Streikposten in der Tarifrunde Öffentlicher Dienst (TVöD) durch Aktivist:innen und Mitglieder der Linken! Doch das kann nur der Anfang sein. So muss Studis gegen Rechts aufhören, bloß eine Plattform für Großmobilisierungen und den Wahlkampf zu sein und beginnen, aktiv auch an den Unis selber zu kämpfen. Und so braucht es auch ähnliche Strukturen an den Schulen und in den Betrieben. Es muss klar sein, dass der Kampf in erster Linie dort beginnt, wo uns das System zwingt, uns täglich aufzuhalten, wo unser Platz in diesem System ist. Denn dort befindet sich auch unser Hebel, dieses System herauszufordern!

Während es sehr lobenswert ist, dass die Linke die Streiks der Beschäftigten unterstützt, darf es nicht bloß bei rein symbolischer Solidarität bleiben. Die Linke muss ganz aktiv den ökonomischen Kampf der Arbeiter:innen verbinden mit politischen Forderungen, ihn zu einem politischen Kampf gegen die Kürzungen machen, muss dabei aufzeigen, dass nicht Migrant:innen für das Elend der deutschen Arbeiter:innen verantwortlich sind, sondern die deutsche Bourgeoisie und dass deutsche Arbeiter:innen Verbesserungen nur gemeinsam mit ihren migrantischen Kolleg:innen erkämpfen können! Und sie muss sich selber dafür einsetzen, ein Gegengewicht in den Gewerkschaften zu etablieren zur falschen Politik der Sozialpartner:innenschaft, die von der SPD-nahen Gewerkschaftsführung betrieben wird und immer wieder zum Verrat an den Beschäftigten und ihrem Kampf führt. Die Linke muss sich im Zuge ihrer Streiksolidarität aktiv gegen diesen Verrat stellen, und für eine Kontrolle der Tarifverhandlungen durch die Streikenden selber eintreten!

Ebenfalls muss sie aktiv die Kämpfe der Streikenden für mehr Lohn, gegen Entlassungen und für bessere Arbeitsbedingungen verbinden mit dem Kampf gegen Kürzungen, gegen den Rechtsruck, gegen Rassismus und den Kolleg:innen aufzeigen, warum diese miteinander verbunden sind. Letztendlich ist es die Aufgabe der Linken, dafür einzutreten, dass die Arbeiter:innen die verknöcherten Gewerkschaften umbauen zu ihren demokratisch kontrollierten Kampforganen gegen die Bourgeoisie. Und im Zuge davon den politischen Streik, im Betrieb sowie in Schule und Universität, als Kampfmittel Nummer 1 auf die Tagesordnung zu setzen!

Umverteilung reicht nicht – Das System ist das Problem!

Große Teile der Partei „die Linke“ haben erkannt, dass der Rechtsruck nur dann gestoppt werden kann, wenn es stattdessen eine linke Antwort auf die Krise gibt. Da stimmen wir zu und halten die Haltung der Linkspartei für richtig, dass die Wohnungsfrage zur Zeit eines der größten materiellen Probleme unserer Klasse darstellt. Allerdings reicht ein bundesweiter Mietendeckel genauso wenig, wie es der Berliner Mietendeckel getan hat! Stattdessen müssen Vonovia und Co. enteignet werden, und zwar im ganzen Land! Die Wohnungen müssen unter Kontrolle der Mieter:innen und Arbeiter:innen verstaatlicht werden! Das ist eine Forderung, wie sie eine starke proletarische Antwort bräuchte. Die Linkspartei schafft es aber nicht, eine kämpfende Bewegung von Arbeiter:innen und Unterdrückten aufzubauen, um schlagkräftig gegen Kürzungen und den immer stärker werdenden Rassismus anzukämpfen, somit fehlt eine linke kämpfende Massenbewegung und eine Führung innerhalb der Arbeiter:innenklasse.

Letztendlich setzt sie auf eine einfache Lösung: sozialstaatliche Umverteilung – und verkennt damit den eigentlichen Charakter der Krise. Diese liegt tief im kapitalistischen System selber, und fußt auf einer Überakkumulationskrise und dadurch verursachter sinkender Profitrate für die Kapitalist:innen. Einfach gesagt: das Kapital, das die Kapitalist:innen investieren, rentiert sich immer weniger. Entsprechend greift die Bourgeoisie nicht aufgrund einer besonders gierigen, einer besonders falschen, neoliberalen Doktrin die Arbeiter:innen an, sondern weil sie das tatsächlich aus ihrem Standpunkt heraus muss, um weiter profitabel zu sein. Gleichzeitig hat die Kapitalist:innen-Klasse de facto wenig Möglichkeiten für Zugeständnisse, weshalb auch eine linkskeynesianische (Kapitalismus mit großer staatlicher Intervention in den Markt) Politik massiver Sozialreformen, wie sie „die Linke“ fordert, zum Scheitern verurteilt ist. Denn wir haben immer wieder in der Geschichte gesehen, dass in Krisen und Kriegen, diese als erstes wieder zurückgenommen werden. So ist es auch heute nicht verwunderlich, aber bestürzend, dass die kommende Koalition den 8-Stunden-Tag aushöhlen will.

Auch wenn die Reformforderungen der Linken grundsätzlich einen guten Charakter haben und Folge richtiger Erkenntnisse sind, bekämpfen sie nur die Symptome des Problems, nicht aber seine Wurzel und sind somit zum Scheitern verurteilt. Die einzige Möglichkeit, wie man gravierende Verbesserungen für das Proletariat, für die Jugend, für alle Ausgebeuteten und Unterdrückten erkämpfen kann, ist, indem man das System selber in Frage stellt! Indem man dafür kämpft, dass die Produktion nicht mehr bestimmt wird durch die Interessen von Kapitalist:innen, sondern durch die Arbeiter:innen selber! Nur wenn wir eine solche Perspektive aufzeigen, die die Massen dazu bewegt, das Problem an der Wurzel zu packen und auszureißen, können wir eine linke Gegenoffensive starten, die den Rechtsruck zu einem hässlichen blau-brauen Vogelschiss der Geschichte macht!

Auf diesen Staat ist kein Verlass!

Doch während wir den Rechtsruck politisch bekämpfen müssen, in dem wir seine Ursachen bekämpfen, stellt sich auch die Frage, wie wir uns gegen rechte Gewalt schützen können. So wurde unser Genosse Leon von Faschisten angegriffen, als Reaktion darauf, dass er linke Organisation in seiner Schule aufbaut. Und auch Mitglieder der Partei „die Linke“ wurden immer wieder Opfer rechter Gewalt. Doch während Linke, wie Lina E. oder die Beschuldigten im Budapest Verfahren, mit hohen Haftstrafen rechnen müssen, kommen Faschist:innen meist im schlimmsten Fall mit einer Bewährungsstrafe davon. Das hat Gründe, die deutlich tiefer gehen als bloß, dass viele Polizist:innen selber ein extrem reaktionäres Weltbild teilen. Die Aufgabe des bürgerlichen Staates ist nämlich nicht der Schutz der „Demokratie“ oder gar der Bevölkerung, sondern der kapitalistischen Ordnung. Und für diese stellen Rechte keine Bedrohung dar. Im Gegenteil! Wenn die herrschende Ordnung in ernsthafter Gefahr ist, können sie als bewaffnete Terrorbande sehr nützlich sein. So die Freikorps, die mit aktiver Unterstützung des deutschen Staates Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordeten, und in den folgenden Jahren tausende Arbeiter:innen und Linke massakrierten. Oder auch die SA-Schlägerbanden, gegen die der Weimarer Staat nichts ernsthaft unternahm und die nach Hitlers Machtergreifung teils in den Staatsapparat integriert wurden. Die aktuelle Welle rechter Gewalt mag noch weit von Freikorps oder SA entfernt sein, allerdings zeigt sie uns bereits jetzt eines: Auf den Staat ist überhaupt kein Verlass.

Doch wenn der Staat uns nicht schützt, müssen wir uns selber schützen! Wir müssen selber Strukturen schaffen, um uns, unsere Genoss:innen sowie andere Opfer rechter Gewalt wie Migrant:innen, Queers oder Juden:Jüdinnen und Muslim:innen, vor dem Terror zu schützen. Es ist nötig, dass wir in unseren Kiezen, Städten und Dörfern sowie in den Betrieben, Schulen und Universitäten Strukturen schaffen, die in der Lage sind, sich den faschistischen Banden entgegenzustellen! Dafür muss die Partei „die Linke“, die selber mit am meisten von rechter Gewalt betroffen ist, aktiv ihre Mitgliederbasis mobilisieren und sich dafür in Gewerkschaften, Mieter:innenorganisationen etc. einsetzen! Auch muss das verbunden werden mit der Schaffung sozialer Angebote vor allem für Jugendliche, um zu verhindern, dass sich Nazibanden wie 3.Weg oder „Deutsche Jugend Voran“ Elend und Perspektivlosigkeit zu Nutze machen können! Die Aufgabe der Linkspartei sollte es jetzt sein, ihre zahlreichen (neuen) Mitglieder auf einer Aktionskonferenz gegen den Rechtsruck mit den oben beschriebenen Strukturen in Unis, Schulen und Betrieben und anderen Aktivist:innen zusammenzubringen, um gemeinsam über Forderungen und ein Aktionsprogramm gegen Rechtsruck & Krise zu diskutieren!




Die Ampel ist aus. Was muss jetzt von Links kommen?

von Dilara Lorin, November 2024

Am Abend des 6. November 2024 wird Christian Linder Deutschlands bekanntester Arbeitsloser. Für Olaf Scholz sei dessen Rauswurf als Finanzminister notwendig, um Schaden von Deutschland abzuwenden und das Land nicht in Chaos versinken zu lassen. Dabei kommt dieser Schritt für viele unerwartet, andere sind erfreut und wieder andere erhoffen sich dadurch einen Aufschwung der eigenen Politik. International gesehen wird Deutschlands Handlungsfähigkeit dadurch vermehrt in Frage gestellt, was vor allem die EU verunsichert. Am Donnerstag danach, haben viele EU Abgeordnete Deutschland zur schnellen „Einigung“ aufgerufen. Vor allem nach dem Wahlsieg Trumps schnürt sich die US-Schlinge um die EU immer weiter zu.

Warum ist sie zerbrochen?

Dass sich die Ampelparteien seit ihrer ersten Zusammenkunft nicht einig sind, ist nichts neues. Die Chronologie der Streitigkeiten ist lang: Heizungsgesetz, Investitionsfonds, Kindergrundsicherung, Bürgergeld und schließlich die Frage des Haushalts. Vor allem in der letzten Zeit wurden die Differenzen immer öfter auch öffentlich ausgetragen: So veröffentlicht Lindner an den Kolleg:innen vorbei ein 18-seitiges Papier für eine ganz andere Wirtschaftspolitik, als der Koalitionsvertrag vorsieht. Scholz nutzt seine Rede als Wahlkampfauftakt und nennt 4 Punkte, damit das Land nicht in Chaos versinke: 1. Deckelung der Netzentgelte für „unsere“ Unternehmen; 2. Sicherung der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und bei Zulieferern; 3. Investitionsprämien sowie steuerliche Abschreibemöglichkeiten für Unternehmen; 4. Unterstützung der Ukraine unabhängig von den USA. Alle 4 Punkte haben eins gemeinsam: keine sozialen Forderungen oder Ansätze, wie der Arbeiter:innenklassen in der aktuellen Wirtschaftskrisen geholfen werden kann, sondern nur staatliche Subventionen und Möglichkeiten wie Unternehmen gerettet werden können. Vergleicht man dann die Reden von SPD, Grünen und FDP von den letzten Tagen wird sehr schnell deutlich, wo die Unterschiede liegen: Wie stehen sie zur Schuldenbremse?
Diese müsse aufgehoben werden, um durch Erhöhung der Staatsschulden die Mittel für mehr Wirtschaftsförderung, weitere Aufrüstung und Waffenlieferungen bereitstellen zu können und gleichzeitig auch über Mittel für die soziale Abfederung der Rezession und der massiven Umstrukturierung der Unternehmen zu verfügen. Die Krise der bürgerlichen Parteienlandschaft wird durch das Ampel-Aus unmissverständlich offengelegt. Dabei dreht es sich, angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation in Deutschland vor allem darum, wer die Kosten zahlen soll und wofür Schulden überhaupt aufgenommen werden sollen.
Dass die Ampel selbst Opfer der Zeitenwende geworden ist, hätte sich wahrscheinlich Olaf Scholz auch nicht gedacht, als er das Wort etablierte. Aber zwischen Kriegen und Krisen, der Inflation und Rezession lässt sich selbst Spuren von sozialer Politik schwer umsetzen. Vor allem die wirtschaftliche Entwicklung seit der Finanzkrise 2007/2008 macht die Verteilungskrise sowie die Abgründe des kapitalistischen Systems deutlich. Zusätzlich dazu verschärften die Corona Pandemie sowie der Ukraine Krieg die Lage des deutschen Imperialismus, welches in Folge der Blockbildung sich immer mehr dem US-Imperialismus unterordnet. Dies sowie der internationale Rechtsruck verschärft auch die Fraktionierung der Bourgeoisie. Mit dem Wahlsieg Trumps steht auch die transatlantische Ausrichtung der BRD und EU in Frage. Dadurch steht das deutsche Kapital letztendlich vor unauflösbaren Aufgaben: Auf der einen Seite gibt es Ansätze als Juniorpartner der USA, auf der anderen Seite ist das Manövrieren zwischen USA und China nicht mehr gangbar, was eine Klärung der außenpolitischen Ausrichtung unabdingbar macht. Diese Uneinigkeit der deutschen Bourgeoisie durchzog als Konflikt auch die Ampelregierung. Schlussendlich wird die kommende Zeit vom Überlebenskampf des deutschen Kapitals geprägt sein, in der 2. Reihe des Imperialismus zu bleiben.

Was wird jetzt passieren?

Nach tagelangem Ringen konnte man sich nun zumindest auf einen Wahltermin Ende Februar einigen. Die neuesten Umfragen ergeben, dass allen voran die CDU/CSU gut dastehen, sodass alle Merz schon als sicheren nächsten Kanzler handeln. Die Union bereite sich schon seit mehreren Wochen auf vorgezogene Wahlen vor. Und die ersten Unternehmerverbände, wie der Außenhandelsverband BGA oder der Verband der Chemischen Industrie, stimmten sogleich in Merz’ Forderung nach schnellen Neuwahlen ein. Nicht fehlen im Chor darf natürlich Wagenknecht: Schließlich stellt sich in Brandenburg sowie Sachsen die Regierungsfrage für das BSW und Koalitionsverhandlungen lassen sich wesentlich besser führen, wenn die Kraft im Bundestag auch stärker vertreten ist. Massiv, wenn nicht sogar am meisten profitieren wird die AfD. Am schlechtesten ist die Linkspartei aufgestellt, bei der die Organisationsstrukturen aktuell am meisten am Boden liegt: Abspaltung des BSW, viele hochrangige Austritte, gleichzeitig auch viele Eintritte an der Basis. Vielleicht hätte sie sich bis zur Bundestagswahl im September sich noch aufrappeln können, aber vorgezogene Neuwahlen machen an der Stelle ein vorzeitiges Aus für sie nur noch schwer abwendbar. Antworten auf die Wirtschafskrise oder die Kriege? Dafür muss man tief rumwühlen: Jan von Aken Auftritt in der Ukraine hat mehr Fragezeichen als Klarheit geschaffen und Heidi Reichinnek verliert lieber kein Wort bezüglich des Genozids an der Palästinenser:innen. Ob noch die gestartete Offensive auf Social Media und die Dynamik um Studis gegen Rechts und den Haustürwahlkämpfen die Rettung bringt, wird sich zeigen. Die 9 Monate weniger Zeit sind für sie aber, wie für viele andere kleinen Parteien, definitiv eine Katastrophe.

Wie müssen wir auf das Ampel-Aus antworten?

Eins ist sicher: Die aktuellen Krisen in Deutschland erfordern klare Antworten. Weder die Wirtschaftskrise, die Inflation noch die daraus resultierenden Massenentlassungen lassen sich durch Bitten oder Appelle lösen. Bei der nächsten Wahl und Regierungsbildung in Deutschland wird sich entscheiden, welche der Kapitalfraktionen gewinnen wird. Dabei ist klar: Die Soziale- sowie Bildungskrise werden sich massiv verschärfen, ob mit oder ohne Abfederungspolitik seitens der SPD und Grünen. Eine verstärkte Militarisierung wird uns erwarten, in welchen nicht nur Milliarden Gelder in die Bundeswehr gesteckt werden, sondern diese immer mehr Richtung Wehrpflicht rückt. Das ist auch die Antwort des deutschen Imperialismus die ökonomische Schwäche durch militärische Stärke auszugleichen.

Deswegen dürfen wir nicht passiv warten bis eine neue Regierung gewählt wird, sondern müssen aktiv gegen Krieg und Krise kämpfen! Wir zahlen diese nicht, Schluss mit Sozialpartner:inneschaft, gegen Massenentlassungen und Schuldenbremse! Um diese Angriffe erfolgreich abzuwehren, braucht es einen Bruch vor allem der Gewerkschaften mit der Politik der Klassenkollaboration. Wir brauchen eine Aktionskonferenz gegen die Krise, bei der die Linke in Deutschland diskutiert, mit welchen Forderungen sie einen Ausweg aus der aktuellen Misere aufzeigen kann. Und wir brauchen eine Diskussion darüber, welche Art Partei, welches Programm, welche Politik wir gegen Rechtsruck und Krise brauchen. Der Zusammenbruch der Ampel, der Niedergang der SPD und der Linkspartei verdeutlichen, dass wir nicht nur organisierten Massenwiderstand aufbauen müssen. Wir müssen zugleich für eine revolutionäre Alternative zum Reformismus, für den Aufbau eine revolutionären Arbeiter:innenpartei kämpfen.

Und wie sollten wir zur Wahl selbst stehen?

In Zeiten, in denen die revolutionäre Linke schwach ist und es noch keine revolutionäre Partei gibt, müssen wir taktisch zur Wahl stehen. Die kritische Wahlunterstützung ist dabei ein Konzept, welches dem „Wählen des kleineren Übels“ entgegengestellt ist. Während es bei zweiterem um die Hoffnung geht, den Rechtsruck damit zumindest etwas zu verlangsamen und seine allerschlimmsten Auswüchse abzuwehren, während man eigentlich den Status Quo verteidigt, verfolgt die kritische Wahlunterstützung einen Ansatz, der eine revolutionäre Perspektive aus der Schwäche öffnen soll. Es geht dabei darum, Parteien zu wählen, welche noch eine Verankerung innerhalb der Avantgarde der Arbeiter:innenklasse besitzen, aber mit einem reformistischen Programm, so wie eben die Linkspartei. Es geht dabei darum, sie in der Wahl kritisch zu begleiten, sie unter Druck zu setzen, aber es kann auch eine Linke insgesamt und den linken Flügel innerhalb dieser Partei stärken. Letztendlich sagen wir: Wir unterstützten die richtigen Forderungen der Linkspartei nach höheren Löhnen und offenen Grenzen, werden aber als Kommunist:innnen im gemeinsamen Kampf aufzeigen, dass diese nicht auf parlamentarischen Wege und nur eingebettet in ein revolutionäres Programm durchgesetzt werden kann. Die Basis und Wähler:innen dieser reformistischen Parteien müssen wir dazu auffordern, ihre Führung auf die Probe zu stellen und von ihnen einen tatsächlichen Kampf für ihre Forderungen einzufordern. An seinen Versprechen muss der Reformismus zerbrechen und wenn die revolutionäre Linke selbstbewusst und überzeugend vorgeht, kann das die Chance zu einer massenhaften Gewinnung für den Prozess zu einer revolutionären Partei sein!

Denn uns sollte klar sein: Letztendlich ist der Kapitalismus die Grundlage von Krisen, Kriegen, Ausbeutung und Unterdrückung und lässt sich weder wegreformieren noch abwählen.




Neues Logo, alte Probleme? Der Europaparteitag der Linken

Dezember 2023

Sie ist endlich da – die „neue“ Linkspartei. Nach dem Paukenschlag der Gründung des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gab der Europaparteitag der Linken einen ersten Einblick, wie die Partei in Zukunft, ohne ewige Streitereien zwischen den Flügeln, aussehen wird. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Wirklich neu sieht das Ganze nicht aus. Die tatsächliche Programmatik für die Europawahl verkommt zur Nebensache zugunsten einer offensiven Zurschaustellung von Einheit und Aufbruch sowie der Kandidat_Innenwahl.

Die Einheit ist dabei keine bloße Schauspielerei: Mit der Tatsache, dass durch die Spaltung der Partei jede Regierungsbeteiligung in weite Ferne gerückt ist, können grundlegende Strategiefragen fürs erste ausgeklammert werden. In diesem Aspekt bekommt die Bewegungslinke ihren Willen, viel mehr als Basisarbeit bleibt der Partei in nächster Zeit nämlich nicht übrig. Beim Aufbruch sieht die Sache hingegen etwas anders aus und im verabschiedeten Wahlprogramm wird auf „Bewährtes“ gesetzt, wenn überhaupt mit seichteren Positionen als noch in der Vergangenheit. Wie mittlerweile kaum noch jemanden überraschen dürfte, wird das Wort Sozialismus im Dokument nicht einmal erwähnt, es geht um Neoliberalismus statt Kapitalismus und Umverteilung und soziale Gerechtigkeit müssen an die Stelle des bösen E-Wortes „Enteignung“ treten. Lediglich im Bezug auf Immobilien ist davon die Rede, aber selbst hier bleibt offen, ob es eine Entschädigung geben soll oder nicht.

Strategische Leere

Es gibt einen Forderungskatalog mit allerlei guten Dingen (Höhere Löhne, bessere Sozialleistungen, höhere Besteuerung der Reichen usw.), aber letztendlich stellt die Linke hier passend zur kalten Jahreszeit ihren Wunschzettel vor. Eine Strategie, wie diese Forderungen tatsächlich durchzusetzen seien, fehlt. An anderen Stellen wird es folgerichtig völlig utopisch: Die Banken sollen transparenter werden und der Gesellschaft dienen, die „Fehler“ der EU (Aufrüstung, dichte Grenzen, usw.) sollen durch Reformen gelöst werden, anstatt anzuerkennen, dass diese „Fehler“ im Sinne der EU als imperialistischem Staatenbündnis womöglich eher als Feature zu verstehen sind. Nationalismus und Krieg sind Produkte der Klassengesellschaft, und daher bleiben Forderungen nach offenen Grenzen, nach nachhaltiger Abrüstung, bloße Träumereien, wenn man nicht gleichzeitig auch die Systemfrage stellt. Statt konkreter Ideen wie den Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas bleibt im Prinzip nichts außer „vielleicht wird’s ja diesmal was“.

Die Linke erkennt zwar korrekt, dass in der momentanen Krisenperiode auch Krieg auf dem Plan steht, aber die Lösung dieses Problems soll in erster Linie in einer Stärkung der UN liegen. Falls man seit Jahren nicht in die Nachrichten geschaut hat, mag das schlüssig erscheinen, aber in der Realität haben zuletzt die Kriege in der Ukraine wie in Gaza prominent gezeigt, dass sich die UN im Kriegsfall nicht als großes Hindernis präsentieren. Wie auch? Die UN sind keine neutrale Weltregierung. Sie sind nicht losgelöst von den Staaten, aus denen sie sich zusammensetzen, und das globale Kräfteverhältnis setzt sich auf diese Weise auch in ihnen durch. Das erkennt auch die Linke in Stücken an, aber sieht die UN als Möglichkeit zum niedrigschwelligen Dialog und zur globalen Abrüstung an. Das offenbart eine verklärte Sicht auf die Welt: Kriege sind keine bloßen Zankereien, bei denen sich beide Parteien aussprechen und versöhnen müssen, sondern bittere Konsequenz des kapitalistischen Expansionszwangs. Dialog und Abrüstung sind dabei nicht in sich verkehrt, aber bleiben Symptombekämpfung und kein Heilmittel. In den Worten Trotzkis: „Die Imperialisten führen nicht Krieg, weil sie Waffen haben, sondern umgekehrt: sie schmieden Waffen, weil sie Krieg führen müssen.“

Zwischen Halbherzigkeit und Widersprüchen

In beiden Konflikten, Ukraine wie Gaza, präsentiert sich die Linke auch im Detail halbgar: Sie vertreten zwar korrekterweise das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine, lassen jedoch eine konsequente Positionierung auch gegen westliche imperialistische Einmischung vermissen. Das ist den Ukrainer_Innen, die bereits jetzt zum Spielball zwischen imperialistischen Mächten geworden sind, gerade auch im Hinblick auf die Zeit nach dem Krieg wenig dienlich. Die Mächte des Westens, auch Deutschland, werden sicherzustellen wissen, dass sich ihre derzeitigen Investitionen lohnen, ungeachtet der Tatsache, wie fatal selbstverständlich auch eine Eroberung der Ukraine durch Russland wäre. Im Nahostkonflikt hingegen wird weiterhin die Zwei-Staaten-Lösung vertreten, die sich getrost ins Reich der Fiktion verbannen lässt und für eine langfristige (und auch kurzfristige) Beilegung des Konflikts völlig unzureichend ist. Diese Frage ist auch innerhalb der Linkspartei stark umstritten, und im Sinne der neuen Einheit gibt es folgerichtig einen seichten Kompromiss, der Palästinenser_Innen wie Israelis mit ihren Problemen alleine lässt. Das ist im Übrigen symptomatisch: Die Vermeidung von Konflikten, das Beschließen von Kompromissen geht nur so lange durch, bis die Realität eine Positionierung einfordert, und es ist fraglich, wie lange der neue Einheitskurs gefahren werden kann, bis es an anderer Stelle zum Zwist kommt.

Die Zukunft der Linkspartei

Wie steht es also um die Linkspartei? Der Patient atmet noch, aber der Zustand ist kritisch. Als Etappenziele für den Neuaufbau werden die Wahlen bis zur Bundestagswahl 2025 genannt – für 2025 selbst steht der Einzug in den Bundestag auf dem Zettel. Ist das realistisch? Die Spaltung war zweifelsfrei ein schwerer Schlag, und auch wenn in positiven Tönen von den vielen Leuten berichtet wird, die mit dem Abgang Wagenknechts den Parteieintritt vollziehen, ist bislang noch offen, wie hoch die Zahl der Austritte ist, die gerade mit der tatsächlichen Parteigründung durch das BSW noch steigen wird. Zugleich bewahrt sich die Linke das Alleinstellungsmerkmal, sich tatsächlich gegen den Rechtsruck zu stellen, und trifft auf diese Weise weiterhin einen Nerv. Die Tragweite dieser Positionierung bleibt jedoch begrenzt, solange besagter Rechtsruck nicht als notwendige Konsequenz der Krise (die ihrerseits notwendige Konsequenz des Kapitalismus ist) verstanden wird, in der durch Konkurrenz und verstärkte Blockbildung die Grundlage für Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und andere Unterdrückungen liegt, welche eine gemeinsame Solidarisierung der Arbeiter_Innen verhindern. Stattdessen wird an der Idee festgehalten, dass mehr soziale Gerechtigkeit als Gegenmittel ausreiche, und die daraus folgende Ineffektivität wird der Linken auch an dieser Front zunehmend das Wasser abgraben. So oder so kommen harte Zeiten auf die Partei zu, und falls es nicht wider erwarten zu einem Aufbruch kommen sollte, der den Namen tatsächlich verdient, so lange weiterhin die Systemfrage vermieden wird, ist schwer vorstellbar, dass sich dies in naher Zukunft ändern sollte. Die Linke zeigt damit einmal mehr, dass der Reformismus nicht in der Lage ist, die Widersprüche des Kapitalismus aufzulösen und führt uns die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Arbeiter_Innenpartei  mit einem marxistischen, revolutionären Programm vor Augen, in welcher Jugendliche, Arbeitende und alle Unterdrückten des Systems gemeinsam kämpfen, um dieses zu überwinden.




Wiederholte Qual der Wahl

Zur Wahlwiederholung im Februar in Berlin von Wilhelm Schulz

Zuerst erschienen in der Neuen Internationalen der Gruppe Arbeiter:innenmacht.

Berlin wählt noch einmal. Am 12. Februar steht die Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenversammlungen an. Das Bundesverfassungsgericht ordnete die Wiederholung des Urnengangs vom 26. September 2021 zur „Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ (Tagesschau 16.11.22) an.

Schließlich war die vergangene Wahl auch ein Desaster. Es wurden unvollständige Briefwahlzettel ausgeschickt. In 72 dokumentierten Fällen fehlten die Stimmzettel für den damaligen Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co. enteignen. In mindestens 424 Wahllokalen musste noch nach 18 Uhr abgestimmt werden, da nicht rechtzeitig ausreichend Stimmzettel vorlagen und 73 Wahllokale wurden aufgrund dessen zeitweise geschlossen. Teilweise wurden Stimmzettel vertauscht. Schlussendlich kam es in neun Prozent der Lokale zu Unregelmäßigkeiten.

Wiederholung und nicht Neuwahl

Politisch führte die Abgeordnetenhauswahl 2021 zu einer Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition. Sechs Parteien zogen ins Abgeordnetenhaus ein (SPD: 21,4 %, Grüne: 18,9 %, CDU: 18,9 %, LINKE: 14,1 %, AfD: 8,0 % und FDP: 7,1 %). Die Wahlprognosen ähneln diesem Ergebnis mit leichten Verschiebungen. Es ist unklar, ob SPD, Grüne oder CDU die meisten Stimmen erhalten werden. Die FDP und die LINKE drohen, 2 bzw. 3 Prozent zu verlieren.

Dabei ist zu beachten: Das Prozedere am 12. Februar ist eine Wahlwiederholung, keine Neuwahl. Dementsprechend dürfen die Parteien keine Veränderungen bezüglich der aufgestellten Direktkandidat_Innen sowie Landeslisten vornehmen – nur der Tod entschuldigt. Doch was bedeutet das für uns? Mehr als ein Jahr RGR2 liegt bereits hinter uns mit Auseinandersetzungen um die Krise der LINKEN, einer Konfrontation um die Frage „Regierungsbeteiligung oder Umsetzung des Mietenvolksentscheids?“, einem Krieg, einer Teuerungswelle und vielem mehr. Wir wollen dementsprechend in diesem Text auf die Politik der Koalition von SPD, Grünen und LINKEN, aber auch auf die Krise der LINKEN eingehen und unsere wahltaktischen Schlussfolgerungen darlegen.

Links blinken, rechts abbiegen?

Zahlreich sind die Versprechen für Verbesserungen, die Rot-Rot-Grün gegeben hat. Noch zahlreicher sind jedoch die, die über Bord geworfen oder so umgedreht wurden, dass man sie kaum als Verbesserungen verstehen kann. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Schulbauoffensive, ein Private-Public-Partnership-Modell, mit dem Versprechen, notwendige Sanierungsarbeiten zu tätigen, das mehr schlecht als recht läuft. Hinzu kommen massive Kürzungen bei den Verfügungsfonds der Berliner Schulen. Während früher pro Schule 28.000 Euro zur Verfügung standen, sind es nun 3.000 Euro.

Auch die von den Grünen geführte Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (Senatorin: Jarasch) kann nicht besonders glänzen: Denn RGR2 setzt den Versuch der Teilprivatisierung der Berliner S-Bahn fort und schrieb am 17. Juni 2020 die sogenannte Stadtbahn (Ost-West-Verbindung) und den Nord-Süd-Tunnel aus. Die Netzausschreibung findet in Teilen statt und die Ausschreibung der Fahrzeuginstandhaltung ist ebenfalls davon getrennt.

Besonders präsent ist jedoch der Umgang mit dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, der bereits während des letzten Wahlkampfes für einigen Aufruhr in der Parteienlandschaft sorgte. So machten die Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), und mit Abstrichen die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, schon vor der Wahl klar, dass es eine Enteignung großer Immobilienkonzerne mit ihnen nicht geben wird. Somit wurde bereits vor dem ersten möglichen Sondierungsgespräch deutlich, dass es keine Koalition geben konnte, die bereit war, den Volksentscheid umzusetzen.

Das hielt die LINKE nicht davon ab, sich bis heute als bedingungslose Unterstützerin des Volksentscheids zu inszenieren. Statt ihn aber konsequent umzusetzen, stimmte sie der Einrichtung einer Expert_Innenkommission zu, die die Enteignung objektiv verschleppt, die nicht nur das „Wie“ sondern auch und vor allem das „Ob“ diskutieren soll. Währenddessen plante DIE LINKE mit der Koalition hinterrücks die personelle Zusammensetzung der Kommission, gaukelte der Initiative DWe aber vor, selbiges mit ihr abzusprechen.

Das gibt natürlich ordentlich Raum für emotionale Empörung und ist einer der Gründe, warum sich viele Linksparteimitglieder enttäuscht von der eigenen Partei abwandten. Überraschend ist es jedoch auf der anderen Seite nicht. Schließlich besteht einer der Funktionen reformistischer Organisationen darin, soziale Proteste zu inkorporieren. Gleichzeitig hat genau dies dazu geführt, dass sich die Spaltungslinien innerhalb der Linkspartei verstärkt haben, da man auch seiner sozialen Basis gerecht werden muss.

Auch wenn die Linkspartei wahrscheinlich weiter Stimmen verlieren wird, so ist sie noch immer eine Partei mit rund 8.000 Mitgliedern und rund 250.000 Wähler_Innen allein in Berlin. Trotz Unterordnung unter die Vorgaben der Koalition und Enttäuschung vieler Anhänger_Innen setzen bis heute viele Aktivist_Innen sozialer Bewegungen (sogar von DWe!) und die politisch bewussteren Schichten der Arbeiter_Innenklasse (z. B. Krankenhausbewegung) auf DIE LINKE – und sei es als kleineres Übel angesichts von Parteien, die ansonsten entweder für offen neoliberale, konservative und rassistische Politik stehen oder die imperialistische Aufrüstungspolitik und den Wirtschaftskrieg gegen Russland an der Bundesregierung mitverantworten.

Zerreißprobe für die Linkspartei: für eine linke Opposition!

Die Auseinandersetzung rund um das letzte Wahlergebnis zeigte auf, dass es in den unterschiedlichen Flügeln der LINKEN Differenzen gibt um die Frage, welche Politik die Partei angesichts ihrer generellen Krise anstoßen muss. Das regierungssozialistische Mehrheitslager in Berlin wie bundesweit warb für Rot-Grün-Rot und gab dafür weite Teile seiner Versprechen auf, während ein Minderheitsflügel die Beteiligung an einer Regierung mit SPD und Grünen nicht prinzipiell ablehnte, jedoch die Selbstaufgabe dafür.

Diese Orientierung der Mehrheit ist nachvollziehbar, da die LINKE seit ihrer Gründung länger an der Regierung in Berlin war als in der Opposition. Berlin ist quasi zu einem Vorzeigeprojekt der Regierungssozialist_Innen geworden. Die Beteiligung an etwaigen Koalitionen wird von diesem Lager mit der Existenzberechtigung der Gesamtpartei in eins gesetzt – eine Orientierung, die ein Hindernis und keinen Zugewinn gegenüber den Angriffen auf Errungenschaften der Klasse darstellt.

Während der Minderheitsflügel in der Partei in Teilen zwar ausspricht, dass sich beide Ziele entgegenstehen, bleiben die praktischen Konsequenzen aus. In Teilen der Partei wird anerkannt, dass es sich um zwei mögliche Pfade handelt, die sie einschlagen kann: entweder Orientierung auf die Regierung oder Kampf für die Umsetzung ihrer Versprechen. Das Ausbleiben einer systematischen Opposition durch DWe selbst hängt direkt damit zusammen, dass die Initiative programmatisch auf selbige Sackgasse zusteuert: eine Umsetzung durch parlamentarische Mehrheiten.

Zwischen der Wahl und der Koalitionsbildung bildete sich innerhalb der LINKEN Widerstand. Mit der Initiative für eine linke Opposition und Anträgen gegen die Regierungsbeteiligung wurde dies greifbar, doch erstickte dies schlussendlich im Keim. Anstatt über die Urabstimmung hinaus gegen die Regierungsbeteiligung zu kämpfen, endete der organisatorische Prozess zu Beginn des Jahres 2022. Zwar gibt es weiterhin eine Reihe von Direktkandidat_Innen der LINKEN, die sich gegen eine erneute Beteiligung an RGR aussprechen, doch ändert diese nichts an ihrer Zersplitterung. Unter den Parlamentarier_Innen findet sich keine Person, die offen ausspricht, gegen Giffey gestimmt zu haben.

Keine offenen Treffen der Gegner_Innen der Regierungsbeteiligung wurden organisiert. Der Konflikt hat sich verlagert – hin zur Frage der Umsetzung des Volksentscheids. Diese Verlagerung ist ein Ausdruck dessen, in welche Sackgasse sich die LINKE manövriert hat, jedoch zugleich ein falscher Konsens. Denn es zögert den Konflikt hinaus, da zugleich passiv auf das Ergebnis einer Expert_Innenkommission gewartet werden kann, deren Urteil nicht bindend ist, und das als eine Perspektive gegen die Verhinderungstaktik von SPD und Grünen dargestellt wird.

Die Verlagerung steht also aktiv dem politischen Konflikt im Wege. In diesem Sinne muss auch die bedingungslose Unterstützung des Volksentscheides, die die LINKE kürzlich erst erneut bekräftigte, als Lippenbekenntnis gewertet werden. Für Parteilinke bedeutet das, ihre Aufgaben in der LINKEN zu erkennen, wenn sie nicht Flankendeckung zur Verteidigung der Regierungsbeteiligung bleiben möchten.

Wie verhalten wir uns dazu?

Die Aufgabe für Revolutionär_Innen lautet nun aufzuzeigen, wie der linke Flügel den Kampf um seine Inhalte führen muss. Dazu muss an dieser Stelle Druck aufgebaut werden, da eine bisher systematische Organisierung des Widerstands gegen die Regierungssozialist_Innen ausgeblieben ist. Zugleich sind dessen Kandidat_Innen durchaus Repräsentant_Innen einer bedeutenden Minderheit in der Partei und kontrollieren faktisch Bezirke wie das mitgliederstarke Neukölln.

Deswegen rufen wir zur kritischen Unterstützung der Kandidat_Innen des linken Flügels der LINKEN bei den Erststimmen auf. Wir wollen damit jene Kräfte in ihr stärken, die sich gegen eine prinzipienlose Regierungsbeteiligung ausgesprochen und, wenn auch inkonsequenten, Protest gegen den Koalitionsvertrag unterstützt und organisiert haben. Das Ziel ist es, sie in die Verantwortung zu bringen und unter Druck zu setzen, den kämpferischen Worten auch ebensolche Taten folgen zu lassen.

Wir rufen daher bei den Erststimmen nur zur Wahl jener Kandidat_Innen auf, um unsere Stimme gegen die Regierungsbeteiligung sichtbar zu machen. Diese Sichtbarkeit machen wir fest an drei Punkten; Erstens unterstützen wir jene Kandidat_Innen direkt, die auf dem Landesparteitag der LINKEN den Antrag gegen die Regierungsbeteiligung aufgestellt haben. Zweitens rufen wir zur Stimmabgabe für jene Kandidat_Innen auf, die öffentlich die Initiative „Für eine linke Opposition“ unterstützten, sowie drittens jene, die öffentlich für einen Bruch mit der Regierungspolitik der LINKEN eintreten wie beispielsweise Jorinde Schulz und Ferat Koçak, beides Direktkandidat_Innen in Neukölln.

Die Unterstützung verbinden wir mit der Forderung, dem Nein-Lager einen organisatorischen Ausdruck zu geben. Zugleich rufen wir zur Zweitstimmenabgabe für DIE LINKE auf. Schlussendlich soll die eingeschlagene Taktik dem linken Flügel im Kampf zur Klarheit verhelfen und nicht durch reine Stimmabwesenheit zum Bedeutungsverlust ohne politische Alternative führen. Wäre dies der Fall, so würde unsere Wahltaktik gegenüber den Wähler_Innen nichts aussagen, außer zuhause zu bleiben. Mit dieser Taktik hingegen rufen wir dazu auf, auch über die Wahl hinaus Druck aufs Abgeordnetenhaus und die bremsende Mehrheit der LINKEN aufzubauen. Der essentielle Punkt ist nämlich nicht einfach nur, dazu aufzurufen, ein Kreuz zu machen, sondern die Stimmabgabe mit der Aufforderung zur gemeinsamen Aktion zu verbinden.

Warum schlagen wir diesen Weg ein?

Als revolutionäre Marxist_Innen betrachten wir die Überwindung des Kapitalismus und damit einhergehend des bürgerlichen Staates als die zentrale Aufgabe unseres politischen Wirkens. In Konsequenz dessen spielt für uns die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiter_Innenbewegung eine zentralere Rolle als die Arbeit im Parlament, die strategisch überhaupt unfähig ist, den Kapitalismus zu überwinden. Für uns ist das Abgeordnetenhaus in diesem Sinne eine Tribüne im Klassenkampf. Der Reformismus hingegen steht dieser Aufgabenbeschreibung diametral entgegen. Während er zugleich am gewerkschaftlichen Bewusstsein kämpfender Teile der Klasse ansetzend die politische Vertretung als Partei der organisierten Arbeiter_Innenschaft zu repräsentieren vorgibt, hängt er zugleich der Utopie der schrittweisen Überwindung gesellschaftlichen Elends an. Das Ziel muss also sein, das vorherrschende reformistische Bewusstsein innerhalb der Arbeiter_Innenklasse – noch bürgerlich, aber von der Notwendigkeit einer Klassenpartei überzeugt – zu brechen. Das passiert nicht allein durch Denunziation oder moralische Empörung über den Verrat der bürgerlichen Arbeiter_Innenparteien. Ansonsten wäre es schwer erklärbar, warum nach mehr als 100 Jahren der stetigen Enttäuschung Olaf Scholz Kanzler ist oder Giffey in Berlin regieren kann.

Das heißt: Wir rufen zur kritischen Wahlunterstützung für DIE LINKE nicht auf, weil wir denken, dass ihr Wahlprogramm, ihre Politik die dringlichsten Ziele von Arbeiter_Innen, Migrant_Innen, Jugendlichen, Renter_Innen, Arbeitslosen oder anderen Ausgebeuteten und Unterdrückten einlösen, sondern weil sie gewählt wird von Hunderttausenden, die sie für eine soziale Kraft angesichts massiver Preissteigerungen und inmitten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks halten. Entscheidend ist daher nicht das Programm, sondern das Verhältnis der Kandidat_Innen und/oder ihrer Partei zur Klasse und den Unterdrückten. Die Taktik der kritischen Wahlunterstützung setzt an diesem Punkt an, weil wir als revolutionäre Marxist_Innen nicht imstande sind, aus eigenen Kräften anzutreten. Folglich geben wir eine kritische Wahlempfehlung für nicht-revolutionäre Kandidat_Innen der organisierten Klasse mit dem Ziel, auf sie Druck auszuüben und somit Teile vom Reformismus aktiv leichter wegbrechen zu können, anstatt zu warten, bis diese von selbst desillusioniert werden. Denn ob man es will oder nicht: Mit rund 8.000 Mitgliedern und rund 250.000 Stimmen bei der letzten Wahl ist DIE LINKE keine Kraft, die einfach ignoriert werden kann.

Die Illusionen zerfallen nicht durch die reine Kritik an ihrer Ausrichtung, sondern dadurch, dass die Partei in die Lage versetzt wird, ihre Politik umsetzen zu müssen. Gerade angesichts der Wahlwiederholung muss deutlich gesagt werden, dass DIE LINKE bereits anschaulich bewiesen hat, dass die Regierungsbeteiligung für sie mehr bedeutet als ihrer Wähler_Innenbasis. Doch der linke Flügel der Partei läuft Gefahr, dies durch seine Passivität zu legitimieren, anstatt in der Partei und Wähler_Innenschaft Widerstand zu organisieren.

Daher sagen wir: Schluss damit! Wir fordern die sofortige Umsetzung des Volksentscheides, ansonsten kommt keine Koalition zu Stande. Wählt die Kandidat_Innen, die diese Position vertreten haben und lasst uns gemeinsam für die Umsetzung dieser kämpfen!




Solidaritätserklärung mit Solid Berlin: Sozialistische Positionen gegen bürokratische Angriffe verteidigen!

Der Berliner LINKE-Vorstand plant, die Finanzierung der Jugendorganisation Solid Berlin zu streichen. Solidaritätserklärung linker, sozialistischer und gewerkschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen mit Solid Berlin.

Seit Längerem schon kritisiert die Linksjugend Solid Berlin, der Jugendverband der Berliner Linkspartei, den Regierungskurs der Mutterpartei. Am Sonntag, den 10. April, bekräftigte die Landesvollversammlung von Solid Berlin die Gegnerschaft zur Regierungsbeteiligung und forderte den Austritt der LINKEn aus dem Berliner Senat. Ebenso positionierte sich der Verband gegen Krieg und Aufrüstung ohne Unterordnung unter Russland oder unter die NATO, sowie für die entschädigungslose Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. Mit diesen Positionen wirbt die Linksjugend Solid Berlin für eine sozialistische Oppositionspolitik im Gegensatz zum Regierungskurs der Parteispitze in Berlin und bundesweit.

Kritik an der Parteispitze zu üben, ist gerade das grundsätzliche Recht des Jugendverbandes und seine Existenzberechtigung. Laut Zeitungsberichten unter anderem des Tagesspiegel vom 14. April sowie des neuen deutschland vom 19. April plant die Berliner LINKE-Landesvorsitzende Katina Schubert jedoch, die Finanzierung des Jugendverbandes zu streichen, weil sie mit den inhaltlichen Beschlüssen der Landesvollversammlung von Solid Berlin nicht einverstanden ist. Mit dieser bürokratischen Methode will die Spitze der Landespartei die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Beschlüssen der Landesvollversammlung von Solid Berlin vom 10. April verhindern, die die Positionen der Linkspartei in Berlin und bundesweit kritisieren.

Insbesondere kritisiert Schubert die beschlossene Positionierung “zur Situation in Israel und Palästina”, die unter anderem ein bedingungsloses Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen, die Benennung Israels als Apartheidsstaat sowie die Unterstützung einer binationalen sozialistischen Ein-Staaten-Lösung auf dem Gebiet des historischen Palästinas beinhaltet. Wie der Neuköllner LINKE-Bezirksverband schreibt, bewegen sich diese Positionen “im Rahmen des Parteiprogramms der LINKEN”.

Unter dem Vorwand des Antisemitismus, befeuert von einer Hetzkampagne des Springer-Blattes DIE WELT, sollen jedoch nicht nur diese Positionen unsagbar gemacht, sondern die gesamte kritische Haltung von Solid Berlin zum Regierungskurs der Mutterpartei mundtot gemacht werden. Dabei schreckten sie auch nicht davor zurück, einen Genossen als jüdische Stimme mundtot zu machen und ihn in der Springerpresse als antisemitisch zu diffamieren . Zum Jahresanfang fielen Teile des Bundessprecher:innenrats durch Hasstiraden gegen Palästinenser:innen auf. Unter anderem bezeichnete ein Mitglied des höchsten Solidgremiums Palästina als ein “Phantasialand”. Der Vorfall bleibt bis dato von der Partei unkommentiert und offensichtlich „im Rahmen des linken Parteiprogramms“.

Wir Unterzeichner:innen erklären uns solidarisch mit Solid Berlin, auch wenn wir hinsichtlich der Positionen des Verbands unterschiedlicher Meinung sein können. Wir lehnen entschieden die bürokratische Methode der Meinungsunterdrückung gegenüber dem Jugendverband ab, die eine antidemokratische Zwangsdisziplinierung darstellen und die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der Linksjugend Solid Berlin verhindern sollen. In diesem Sinne schließen wir uns den Äußerungen von Ulas Tekin sowie von Ferat Koçak im nd an, die sich klar gegen diese Methode ausgesprochen haben. Wir machen uns auch den Beschluss der LINKE-Basisorganisation Wedding vom 14. April zu eigen: Solid Berlin hat als “eigenständiger Verband, der auch das Recht über einen eigenständigen Willensbildungsprozess hat”, das Recht, die Positionen der LINKEn in Berlin und bundesweit zu kritisieren und eigene Positionen zu vertreten. “Wenn Katina Schubert und andere andere im geschäftsführenden Landesvorstand andere Meinungen vertreten, dann sollte dieser Dissens über Argumente und nicht über Repressionen geklärt werden. Wir fordern daher, dass die Autonomie der Linksjugend [’solid] Berlin vollständig erhalten bleibt und die Parteispitze Ihre Pläne zur Einschränkung der Verfügungsgewalt über die eigenen Mittel beendet.“

Erstunterzeichner:innen

Gruppen:
Migrantifa Berlin
Jewish Bund
Palästina Spricht Bewegung (Koalition für palästinensische Rechte und gegen Rassismus)
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Jüdisch-israelischer Dissens
„Bundestag 3 für Palästina“ BT3P
RIO / Klasse gegen Klasse
Gruppe ArtbeiterInnenmacht
Revolution
Ko-Kreis LINKE BO Wedding
LINKE Kreisverband Siegen-Wittgenstein
AKL Bünde
linksjugend [`solid] ROSA
linksjugend [`solid] Neuglienicke
linksjugend [`solid] Moabit / Tiergarten
linksjugend [`solid] Stuttgart
linksjugend [`solid] Heidelberg
linksjugend [`solid] Rems-Murr
linksjugend [`solid] Ortenau
linksjugend [`solid] Pforzheim
LAK Klassenkampf Niedersachsen/Bremen
linksjugend [`solid] Links der Weser
linksjugend [`solid] Salzgitter
linksjugend [`solid] Wolfenbüttel
linksjugend [`solid] Braunschweig
Jugendkommune Sara Dorşîn
Berlin for India
Wedding United
Berlin Migrant Strikers
India Justice project

Einzelpersonen:
Ferat Ali Kocak, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin
Bettina Gutperl, Ko-Kreis BO Wedding und Bundesvorstand DIE LINKE
Ulas Tekin, Mitglied im Landesvorstand von die LINKE Berlin
Leonard Diederich, Mitglied im Bezirksvorstand die LINKE Mitte und Sprecher BO Moabit
Franziska Lindner, Mitglied im Bezirksvorstand die LINKE Mitte
Marius Weichler, Vorsitzender des LinksTreff Wedding e.V.
Thierry Kruber Ko-Kreis BO Wedding
Niklas Schrader, Ko-Kreis BO Wedding
Fabian Nehring, Ko-Kreis BO Wedding
Ava Matheis, Delegierte für den Bezirk Mitte des 8. Landesparteitags die LINKE Berlin
Sungsoo Park, Mitglied in der BO Rixdorf
Robin Bitter, Kreisvorstand LINKE Düsseldorf
Michael Sappir, Mitglied bei SDS Leipzig
Yuval Gal cohen, Aktivstin bei Jüdisch-israelischer Dissens
Shira Bitan, Aktivistin bei Jüdisch-israelischer Dissens
Yossi Bartal, Die LINKE Neukölln
Judith Bernstein, BT3P
Amir Ali, BT3P
Christoph Glanz, BT3P
Yasemin Cetinkaya, Schauspielerin
Soulmade Dam, Produzent

Unterschreibt den Brief sehr gerne mit eurer Gruppe, Linksjugend- oder DIE LINKE Gliederung oder einfach als Einzelperson. Schreibt dafür eine kurze Mail an nord-berlin@solid-berlin.org




#LinkeMeToo: Aus den Fehlern lernen!

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1185, 18. April 2022

Zuerst veröffentlich unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2022/04/18/linkemetoo-aus-den-fehlern-lernen/

Der SPIEGEL-Artikel „Entweder wir brechen das jetzt, oder die Partei bricht“ und unzählige Tweets unter dem Hashtag #LinkeMeToo sorgen für Aufregung. Es wird von Missbrauchsvorfällen berichtet innerhalb des hessischen Landesverbandes der Linkspartei sowie der Linksjugend. Unter den zehn Betroffenen, mit denen der SPIEGEL gesprochen hat, ist auch eine Person, die zum Zeitpunkt der Vorfälle 2017/18 minderjährig war. Besonders sticht dies heraus, da mehrere Betroffene sagen, dass führende Mitglieder von den Vorfällen gewusst, aber nichts getan hätten – darunter auch Janine Wissler, aktuelle Bundesvorsitzende der Linkspartei. Ein paar Worte zur beginnenden Debatte.

Sexualisierte Gewalt in linken Strukturen

Zuerst muss klar gesagt werden: Lasst uns bitte nicht schockiert tun! Sexismus und sexualisierte Gewalt sind niemals „das Problem der anderen“. Sie sind Alltag in der gesamten Gesellschaft. Politik und linke Strukturen bilden keine Ausnahme. Sie sind keine Inseln der Freiheit, wo alle unbefangen miteinander leben können.
Das ist auch logisch. Wir alle sind von der bürgerlichen Gesellschaft geprägt, verinnerlichen dementsprechend Rollenbilder sowie Stereotype, die nicht einfach so verschwinden. Gerade in großen Organisationen sind unterschiedliche Wissens- und Bewusstseinsstände normal, auch, weil neue und neu politisierte Menschen hinzukommen. Entsetzt zu sein, dass „so etwas überhaupt jemals passieren konnte“, ist Teil des Problems. Es geht davon aus, dass es sichere Räume geben könne, aus denen ein für alle Mal rückständige Ideen und Verhalten verbannt sein könnten. Das gibt es leider nicht. Gleichzeitig sorgt diese Annahme auch dafür, dass gewaltausübende Personen (Täter:innen) es leichter haben, sich aus der Anklage zu ziehen. Denn wenn es so unglaublich, so unfassbar ist, dass Gewalt stattgefunden hat, ist es auch leichter, Betroffenen nicht zu glauben, zu zweifeln und keine Schritte zur Klärung einzuleiten.

Lasst uns deswegen sagen: Sexismus und sexualisierte Gewalt sind Probleme der Gesellschaft und deswegen ist die Linke nicht frei davon. Das senkt die Hemmschwelle für Betroffene, sich zu erkennen zu geben, und bricht mit der Schweigekultur. Die Frage ist nicht, ob es die Übergriffe überhaupt gibt, sondern welche Strukturen aufgebaut werden, um dagegen anzugehen.

Stellungnahmen und Konsequenzen

Der hessische Landesvorstand hat am 15. April eine kurze Stellungnahme herausgegeben. In dieser wird davon gesprochen, dass dieser Ende November 2021 Kenntnis erlangte und begonnen hat, auf allen Ebenen das Geschehene aufzuarbeiten. Perspektivisch sollen Vertrauenspersonen eingesetzt sowie ein Workshop zur Sexismussensibilisierung organisiert werden. Im Statement der Bundespartei, ebenso vom 15. April, wird klar gemacht: „Patriarchale Machtstrukturen finden sich überall in der Gesellschaft. DIE LINKE ist davon nicht ausgenommen.“ Ebenso wird festgehalten, dass der Parteivorstand im Oktober 2021 die Vertrauensgruppe innerhalb des Parteivorstandes gegründet hat, um Menschen, die innerhalb der LINKEN Erfahrungen mit Sexismus, Übergriffen oder Diskriminierung machen, beratend zur Seite zu stehen. Im SPIEGEL wird dies zwar erwähnt, näher beleuchtet wird die Arbeitsweise und Zusammensetzung dieses Gremiums aber nicht. In den Fokus gestellt wird dafür ein Handout zu den „Vorwürfen sexualisierter Gewalt“ – geschrieben von einem mutmaßlichen Täter.

Es ist gut, dass es die Schritte gegeben hat. Der Kritikpunkt, der intern aufgearbeitet werden muss, lautet: Warum braucht es für die Einrichtung solcher Dinge erst den öffentlichen Druck von Betroffenen? Welche Annahmen hat es gegeben, dass diese nicht schon früher eingeleitet wurden?

Als Antwort auf die Artikel hat auch der Jugendverband einen offenen Brief verfasst, den bisher 500 Mitglieder unterschrieben haben. In diesem werden u. a. gefordert:

  • Transparente und lückenlose Aufklärung aller Vorfälle.
  • Verpflichtende Awarenessstrukturen, deren Mitglieder nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Partei stehen oder Abgeordnete sind.
  • Verpflichtende Seminare zum Thema Awareness und Feminismus für Funktionär:innen und Angestellte.
  • Finanzielle Unterstützung durch DIE LINKE für alle Betroffenen, wenn sie juristische oder auch psychologische Beratung und Hilfe in Anspruch nehmen.
  • Eine Vertrauensperson für Mitarbeitende von Partei, Mandatsträger:innen und Fraktionen, die von Sexismus, verbalen Übergriffen und sexualisierter Gewalt betroffen sind.

Dies sind unterstützenswerte Forderungen. Die Aufarbeitung scheint begonnen zu haben und die Forderung nach Strukturen, die nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Funktionen stehen, ist enorm wichtig. Auf weitere Punkte, die sinnvoll sein könnten, gehen wir im späteren Teil des Artikels ein. Zuerst wollen wir uns jedoch mit einer anderen Frage beschäftigen:

Rücktritt als Lösung?

Ebenso wird in dem offenen Brief auch der Rücktritt aller beteiligten Personen gefordert – ob sie nun selber Täter:in sind oder die Taten anderer gedeckt haben. Dazu soll an der Stelle gesagt werden: Ein Wechsel von Personen bedeutet nicht immer, dass der Umgang sich verbessert und nachhaltige Strukturen geschaffen werden. Vielmehr kommt es auf Einsicht an. Damit ist nicht gemeint, dass alle, die jetzt aufschreien, aus dem Schneider sind. Das heißt: Jene, die beiseite treten, die offen Fehler eingestehen, jene, die den Raum für Aufklärung freimachen, sollten bedacht werden – denn es ist ein Zeichen, mit den Strukturen brechen zu wollen. So hat Janine Wissler selbst eine Stellungnahme verfasst, in der sie zu den aufgeworfenen Fragen des SPIEGEL Stellung bezieht und klarmacht, dass sie nicht wusste, dass es sich für die Betroffene um eine Grenzüberschreitung gehandelt hat. Ob diese ausreichend ist oder nicht, sollte eine Kommission entscheiden – nicht nur bei ihr, sondern allen, die involviert waren. Besagte Kommission sollte aus FLINTA-Mitgliedern bestehen, die unabhängig vom Parteiapparat sind und die verschiedenen politischen Strömungen der Partei repräsentieren. Auch kann so verhindert werden, dass solche Fälle für politische Machtkämpfe um Posten benutzt werden können.
Aber Achtung: Das Problem bei Awarenessstrukturen und Meldestellen liegt immer darin, dass diese nur so effektiv sind wie das Bewusstsein der Leute dort selber. Denn ein Problem, warum Diskriminierungen totgeschwiegen werden und man auf soviel Widerstand bei der Aufklärung stößt, sind die unklaren Konsequenzen. Wer Angst hat, für jeden Fehler abgestraft zu werden, wird das Beste versuchen, diese Fehler unter den Teppich zu kehren, insbesondere wenn Einkommen und Karriere davon abhängig sind. Das ist an der Stelle kein Appell für einen Freifahrtschein für Täter:innen und jene, die sie schützen. Es ist ein Appell dafür, künftig mit den Konzepten von Transformative Justice zu arbeiten, wo es Sinn macht.

Der Kampf für Verbesserung ist ein gesamtgesellschaftlicher

Viele Dinge müssen geschehen. Die Diskussion in DIE LINKE und [‚solid| könnte so einen Beitrag leisten im Kampf gegen Sexismus und Gewalt in der Linken und in der Arbeiter:innenbewegung. Aber wie? Gesamtgesellschaftlich brauchen wir einen anderen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Zuerst braucht es eine politische Kampagne, die konkrete Verbesserungen erkämpft. Forderungen, die dringend notwendig sind:

1. Flächendeckende Meldestellen für sexuelle Gewalt!

Für flächendeckende Anlaufstellen zur Meldung von sexueller Gewalt, die ebenso, wenn gewünscht, kostenlose psychologische Beratung anbieten. Dies muss damit verbunden werden, dass es breite Aufklärungskampagnen bezüglich Gewalt an Frauen an Schulen, Universitäten und in Betrieben gibt.

2. Finanzielle Unterstützung für Betroffene!

Im Falle eines konkreten gerichtlichen Prozesses braucht es besondere Unterstützung für die Betroffenen. Dabei reden wir nicht nur von psychologischer, sondern kostenloser Rechtsberatung und Übernahme der Prozesskosten, unabhängig von dessen Ausgang. Darüber hinaus bedarf es längerfristige Hilfeangebote für Betroffene von sexueller Gewalt, finanziert durch den Staat. Solche Verfahren sind keine Kleinigkeit. Deswegen bedarf es des Rechts auf mehr bezahlte Freistellung, zusätzliche Urlaubstage sowie eine Mindestsicherung, angepasst an die Inflation! Dies ist notwendig, um die ökonomische Grundsicherung für Betroffene zu gewährleisten, ihnen überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich so einem aufreibenden Prozess zu stellen.

3. Öffentliche Untersuchungen und Verfahren unter Kontrolle der Betroffenen und der Arbeiter:innenbewegung!

Die ersten beiden Forderungen wären im Hier und Jetzt einfach umzusetzen. Die dritte ist nicht so einfach, aber die substantiellste. Solange der bürgerliche Polizei- und Justizapparat die Untersuchungen und Rechtsprechung beherrscht, werden Verbesserungen immer wieder an diesen Strukturen scheitern oder bestenfalls auf halbem Wege steckenbleiben. Es braucht daher vom Staatsapparat unabhängige Untersuchungskommissionen sowie von den Betroffenen gewählte Richter:innen. Diese sollten mehrheitlich aus Frauen und geschlechtlich Unterdrückten zusammengesetzt sein.

Ebenso sollten sie für den Umgang mit Betroffenen von Gewalt sensibilisiert und geschult worden sein. So kann man gewährleisten, dass Entscheidungen hinterfragt werden und nicht abhängig von der männlichen Sozialisierung der Richtenden und Untersuchenden sind. Im Zuge dessen könnte auch das Sexualstrafrecht überarbeitet werden und festhalten, dass das Konsensprinzip „Nur Ja heißt Ja“ eine sinnvolle Grundlage wäre. Warum? Dies liegt dem Ansatz zu Grunde, dass Polizei und Staat zum einen kein materielles Interesse an der Verfolgung solcher Vorwürfe hegen. Zum anderen sind diese Formen wesentlich fortschrittlicher, als wenn jede/r für sich alleine bestimmt, was richtig ist und nicht. Ausführlicher leiten wir das in diesem Artikel her: https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/17/kampf-gegen-sexuelle-gewalt-abseits-des-staates-gegen-oder-mit-ihm/

Und in linken Strukturen?

Der Kampf für so eine Kampagne ist essentiell. Denn linke Strukturen sind aus sich heraus nicht nur meist zu schwach, dauerhafte und professionelle Hilfe für Betroffene zu gewährleisten – was es diesen wiederum erschwert, wieder in politischen Zusammenhängen aktiv zu werden. Sie können und sollen auch keinen Ersatz die Herstellung allgemeiner gesellschaftlicher Rechte im Kampf gegen Unterdrückung bilden. Doch das heißt nicht, dass man bis dahin nichts tun kann. Präventionsarbeit durch beispielsweise regelmäßige Debatten über sexuellen Konsens sind ein Beispiel – unabhängig davon, ob es Übergriffe gegeben hat oder nicht. Dabei braucht es das Verständnis, insbesondere für männlich Sozialisierte, dass ein Ausbleiben eines Ja keine Zustimmung ist. Nur Ja heißt Ja und aktives Nachfragen ist nicht nur nett, sondern notwendig. Zudem braucht es eine Sensibilisierung für den Umgang mit Machtverhältnissen wie Alter, Herkunft oder auch Stellung in der eigenen Gruppe. Für weiblich sozialisierte Menschen macht es Sinn, sich dessen bewusst(er) zu werden und zu lernen, wie die eigenen Bedürfnisse artikuliert werden können. Darüber hinaus braucht es eigene Treffen – Caucusse – für gesellschaftlich diskriminierte Gruppen, die sich über Missstände innerhalb von linken Strukturen austauschen und Veränderungen einfordern.

DIE LINKE hat sicher Mist gebaut. Aber sie hat die Chance, ja die Pflicht, ihre Politik zu ändern. Sie verfügt über die Ressourcen, eine Kampagne zu starten, wie sie hier umrissen ist. Das würde nicht nur den Betroffenen am ehesten gerecht werden. Es kann auch dafür sorgen, dass DIE LINKE mal wieder irgendeinen ernstzunehmenden Kampf führt, was zur Zeit sicher keine/r behaupten kann.




Linke Politik in der Pandemie?! Teil 3: SPD und Linkspartei

In den ersten beiden Teilen
dieser Artikelreihe haben wir uns zunächst mit den Gewerkschaften und dann mit
der radikalen Linke auseinandergesetzt.
Zuletzt, wollen wir uns anschauen, was die beiden größten bürgerlichen
Arbeiter_Innenparteien im Parlament während der Corona-Zeit so getrieben haben.

Mit „bürgerlichen
Arbeiter_Innenparteien“ meinen wir Parteien wie die SPD oder die Linke, weil
sie im Parlament bürgerliche Politik, das heißt Politik im Interesse der
herrschenden Kapitalist_Innenklasse machen, aber gleichzeitig aufgrund ihrer
Tradition und sozialen Zusammensetzung eine starke Verbindung zur
Arbeiter_Innenklasse haben.

Das erste „Rettungspaket“
Um deren Politik einschätzen zu können sollten wir zunächst auf die Anfänge des
Covid-19-Virus blicken, auch wenn der Ausbruch in Deutschland schon etwa 3
Monate her ist. Das erste Paket an Maßnahmen wurde damals von einer großen
Mehrheit im Bundestag verabschiedet. Es
beinhaltete neben mehreren Billionen Euro, die die Unternehmen quasi geschenkt
bekamen, auch das sogenannte „Kurzarbeitergeld“, welches eine weitere
Millionensubvention für Unternehmen bedeutete, da die Lebensunterhaltskosten
ihrer Angestellten nun aus Steuergeldern und nicht aus der Konzernkasse
finanziert werden. Für alle anderen, die leider keine Produktionsmittel
besitzen, heißt es nun den Gürtel enger zu schnallen. Wer hier gerettet wird
und wer dafür zahlen soll ist eine eindeutige Klassenfrage: Die Armen zahlen,
damit die Reichen gerettet werden. Die Corona-Pandemie hat dabei die ohnehin
massive soziale Ungleichheit zusätzlich verstärkt. Zu dieser massiven
Umverteilung von Steuergeldern zugunsten der Reichen gab es wenig Widerspruch
von der SPD, aber auch von der Linken. Katja Kipping (Parteivorsitzende der
Partei die Linke) feierte das „Hilfs-Paket“ sogar als „sozialen Fortschritt“.

Die bürgerlichen
Arbeiter_Innenparteien haben sich also, wie die Gewerkschaften, zu einer
Burgfriedenspolitik (das heißt: Zurückstellen von Kritik im Sinne der
nationalen Einheit zur Bewältigung der Krise) entschieden. Während die SPD als
Teil der Großen Koalition auch heute noch die arbeiter_Innenfeindliche Politik
der Bundesregierung zu verantworten hat, probiert die Linke seit ein paar
Wochen wieder mehr einen auf Opposition zu machen.

Die Linke zurück in der
Opposition?

Die Linke veröffentlichte am
28. März ein umfassendes Papier unter dem Titel „Solidarisch aus der Krise –
Menschen vor Profite!“. Dieses Papier mit dem netten Titel besteht aus Beschlüssen
der Partei und legt damit die Grundlage der Politik der Linken während der
Corona-Pandemie fest. Es liest sich eigentlich gar nicht schlecht: „ Für ein
krisenfestes Gesundheitssystem“, „Die Kosten
der Krise gerecht verteilen“, „ Solidarität über Grenzen hinweg – Leben weltweit schützen“ sind
einige der Überschriften aus dem Papier.

Also alles
supi-dupi-solidarisch? Na dann brauchen wir ja alle nur die Linke wählen und
alles wird gut? Nein! Das Problem sind aber nicht die teilweise richtigen sozialdemokratischen
Forderungen, sondern das, was nicht drinsteht. Es fehlt zum Beispiel eine
Begründung, warum denn unser Gesundheitssystem nicht krisenfest ist, warum die
Kosten der Krise nicht gerecht verteilt werden und warum die Solidarität im
Nationalismus verpufft. Es fehlt eine Antwort auf die Frage, wo die
strukturellen Ursachen der sozialen Verwerfungen der Corona-Krise liegen und
wie eine Gesellschaft aussehen kann, deren Zweck es ist, die Bedürfnisse der
Menschen zu erfüllen anstelle möglichst viel Profit anzuhäufen. Ebenso fehlt es
an einer Antwort auf die Frage, was mit den Zehntausenden Geflüchteten
passieren soll, die in überfüllten Lagern an den Außengrenzen der Festung
Europa leben müssen. Statt internationale Solidarität auszuüben, indem sie sich
z.B. für offene Grenzen aussprechen würde, will Die Linke vor allem den
Wirtschaftstandort Deutschland retten.

Und was hat Die Linke eigentlich
aktiv versucht, um diese Forderungen umzusetzen? Bis auf ein paar kritische
Redebeiträge in Bundestag und Landesparlamenten war dahingehend still um die
Partei. Keine Spur von Protestaufrufen. Keine Spur von Aufrufen an die
Gewerkschaftsführungen gegen die geplanten Massenentlassungen und
Umverteilungsmaßnahmen zu Gunsten der Reichen zu streiken.

Die Linke erkennt in ihrem
Beschlusspapier zwar richtig: „Die Krise trifft die am härtesten, die am
wenigsten haben“. Sie stellt dort auch Forderungen auf, was dagegen getan
werden sollte: Zum Beispiel die Anhebung des Kurzarbeiter_Innengeldes, höhere
Besteuerung von Reichen oder Schluss mit Schuldenbremse. Bei den Arbeiter_innen
scheint sie damit aber nicht so richtig anzukommen: Während bei den aktuellen
Sonntagsumfragen zur Bundestagswahl die Werte der CDU während der Corona-Krise
von 27% (07.02.2020) auf 39% (29.05.2020) stiegen, sank der Wert der Linken
leicht von 10 auf 8 Prozent (von Forschungsgruppe Wahlen). Gleichzeitig
dominieren rechte Kräfte die „Hygiene-Bewegungen“ auf der Straße. Das Erstarken
von dubiosen Bewegungen, die durch Verschwörungstheorien bis hin zu offen
faschistischen Ideen einen Ausweg aus der Krise propagieren, lässt sich auch
durch die Abwesenheit einer linken Alternative besser verstehen.

Wenn wir den Rechten die Rolle
der Opposition jedoch nicht überlassen wollen, brauchen wir jetzt eine
klassenkämpferische Antikrisenbewegung, die die Probleme der Menschen
wahrnimmt, eine linke Kritik am Corona-Management der Bundesregierung
formuliert und internationale Solidarität lautstark auf die Straßen trägt. An
SPD, Linke und Gewerkschaften kommen wir mit diesem Vorhaben jedoch nicht
vorbei, denn ein Großteil der organisierten Arbeiter_Innenklasse zählt zu ihren
Mitgliedern. Doch um aktiven Widerstand zu leisten, brauchen sie scheinbar
einen kräftigen Arschtritt!

Auch wir von REVOLUTION treten
für Reformen ein, die direkt die Lebensbedingungen von uns allen verbessern und
die auch schon im Kapitalismus umgesetzt werden können. Zum Beispiel die
Forderung nach Weiterzahlung des vollen Gehalts während der Corona-Krise.
Allerdings machen wir uns auch Gedanken darüber, was passieren muss, wenn die
Chefetagen der Unternehmen nicht dazu bereit sind. Deshalb fordern wir in einem
zweiten Schritt die Offenlegung der Geschäftsbücher sowie die Verstaatlichung
der Unternehmen und die demokratische Kontrolle durch die Beschäftigten.
Letztendlich werden wir die großen Krisen, denen wir gegenüber stehen (ob
Corona-Pandemie, Klimakrise, Wirtschaftskrise oder Festung Europa), jedoch nur
solidarisch bewältigen können, wenn wir der kapitalistische Profitlogik die
Perspektive des Aufbaus einer kommunistischen Gesellschaft entgegenstellen.
Dazu braucht es ein revolutionäres Programm, das einen Weg dahin aufzeigt. Eine
Anti-Krisenbewegung muss auf der einen Seite geeint kämpfen und auf der anderen
Seite über das richtige Programm streiten.

Wenn’s der Wirtschaft gut geht,
geht’s allen gut?

Seit Jahrzehnten erzählen uns
Finanzminister_Innen, dass Deutschland seine Staatsschulden abbauen müsse.
Etliche Sozialkürzungsmaßnahmen, Bildungsabbau und Sparprogramme wurden mit dem
Argument gerechtfertigt, die Neuverschuldung möglichst gering halten zu müssen.
Die Corona-Krise veranlasste die Bundesregierung nun zu einer 180 Grad-Wende:
Plötzlich ist massig Geld da und die Milliardenkredite sprudeln aus der
Staatskasse. Allerdings fließen diese nicht in öffentliche Dienstleistungen
oder Sozialhilfe sondern in die Privatwirtschaft. Geld scheint also eigentlich
da zu sein, wenn es einen politischen Willen dafür gibt. Mit dem neuen
Konjunkturpaket sollen nun weitere 130 Milliarden Euro investiert werden, um
die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen. Dabei wurden zuvor bereits mehrere
Billionen Euro zu diesem Zweck an Unternehmen verschenkt. Trotzdem
prognostizieren Wirtschaftsforschungsinstitute immer noch einen Abfall des
BIPs, wie ihn Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr
gesehen hat. Entweder denkt die Bundesregierung also, dass es 130 weitere
Milliarden jetzt rausreißen oder sie sieht angesichts ihrer
pro-kapitalistischen Haltung keine andere Möglichkeit als noch mehr Geld in die
Unternehmenskassen zu pumpen.

Dabei konnte die SPD sich
immerhin durchsetzen, dass die von der Autoindustrie und von großen Teilen der
CDU geforderte Autoprämie für Verbrenner nicht Teil des Pakets geworden ist. Es
sollen aber die Kaufprämien für E-Autos erhöht werden. Als „ökologische Wende
nach der Krise“ lässt sich dies aber nun auch nicht gerade betiteln sondern
eher als Geschenk an die deutsche Automobilindustrie. Weitere Kernpunkte des
Pakets sind Maßnahmen, mit denen die Bundesbürger_innen wieder in die
Shoppingmalls gelockt werden sollen: einmaliger Kinderbonus von 300€ pro Kind,
zusätzliche Unterstützung von Unternehmen und die Senkung der Mehrwertsteuer
vom 1. Juli bis 31. Dezember von 19 auf 16 Prozent. Während die SPD den ganzen
Mist zu verantworten hat, kritisiert Die Linke immerhin richtiger Weise, dass
damit wenig den geholfen wird, die am meisten auf staatliche Hilfe angewiesen
sind: Geringverdiener_Innen und Arbeitslose. Außerdem meint Sie, dass das Paket
nicht nachhaltig genug sei. Vom Sozialismus aus ihrem neuen Beschlusspapier ist
hier jedoch schon wieder keine Rede mehr. Die Linke wünscht sich vielmehr einen
„zahmeren Kapitalismus“. Ein bisschen soziales und ökologisches Parfum auf die
Verwertungslogik und dann wird die nationale Wirtschaft schon wieder laufen.
Von der demokratischen Kontrolle der Produktion durch die Beschäftigten und
internationaler Solidarität ist hier jedoch nichts zu hören.

Uns als Kommunist_innen geht es
nicht darum, wie ein solches Konjunkturpaket hätte sozialer & ökologischer
aussehen können. Es geht uns um die Frage, ob die strukturell im Kapitalismus
bedingten Wirtschaftskrisen, die alle paar Jahre wieder ausbrechen, damit
gelöst werden, dass man die Bevölkerung zum Einkaufen motiviert. Wie Olaf
Scholz ganz ehrlich zugegeben hat, geht es in erster Linie darum, das Wachstum
wieder anzukurbeln. Dabei sollen für Olaf jedoch nicht das Gesundheitssystem
oder der soziale Wohnungsbau wachsen, sondern die Profite der Kapitalist_Innen.
Darum geht es dem Konjunkturpaket. Um die Billionenhilfen für die Wirtschaft
finanzieren zu können, wird eine gigantisch hohe Staatsverschuldung in Kauf
genommen. Zahlen sollen am Ende die Lohnabhängigen in Form von
Massenentlassungen und Sozialkürzungen.

Was sollten SPD und Linke tun?

Die SPD muss sich überhaupt erst
einmal wieder auf das Ziel zurückbesinnen, mit dem ursprünglich vor über 150
Jahren gegründet wurde: die Interessen der Arbeiter_innen und Unterdrückten zu
vertreten. Sie sollte sich also gegen jede Abwälzung der Krisenkosten auf die
Arbeiter_Innenklasse stellen. Wenn sie das tut, muss sie allerdings raus aus
der Groko!
Die Linke sollte nicht nur im Parteiprogramm über Antikapitalismus und
Sozialismus reden, sondern auch im aktuellen politischen Geschehen die Zusammenhänge
von Krisen und Kapitalismus mit einer internationalistischen und
sozialistischen Perspektive verbinden.

Zusammen sollten SPD und Linke
nicht nur Reden im Bundestag schwingen sondern aktiv mit den Gewerkschaften
eine Anti-Krisenbewegung auf die Straße bringen, die für eine sozialistische
Perspektive kämpft und sich dem wachsenden Rassismus und rechten
Verschwörungstheorien entgegenstellt. Eine Anti-Krisenbewegung muss eine
unabhängige Stimme der Lohnabhängigen, Migrant_Innen und Jugendlichen darstellen
und ein eigenes Programm für diese demokratisch entwickeln. Dabei muss sie den
Anschluss an bestehende internationale Massenproteste wie die aktuelle
Black-Lifes-Matter-Bewegung suchen und Themen wie Polizeigewalt und Rassismus
in ihr Aktionsprogramm integrieren.
Wir haben allerdings auch keine Illusionen in die Führung der beiden Parteien,
sondern sehen dies eher als Aufforderung an die Basis mit der Führung zu
brechen und selbst auf die Straße zu gehen. Dort müssen wir uns organisieren
und selbst demokratische Strukturen aufbauen, in denen wir frei darüber
diskutieren können wie wir in Zukunft leben wollen und mit welchem Programm wir
da hinkommen.




Europawahl 2019: EU-Krise goes Wahlkabine – 6 Fragen und 6 Antworten

von Alex Metzger

Was ist das eigentlich diese Europawahl und hat das überhaupt irgendeine Bedeutung?

Am 26.Mai wird nach 5 Jahren wieder ein neues EU-Parlament gewählt. Das EU-Parlament ist neben dem Ministerrat und der EU-Kommission eine von mehreren Institutionen der EU, wobei allein das EU-Parlament direkt gewählt wird. Wie bei allen Wahlen im Kapitalismus bleibt uns aber auch hier nicht viel mehr übrig, als alle paar Jahre irgendwo ein Kreuz zu machen und zu hoffen, dass die gewählten Parteien wenigstens ein bisschen weniger Scheiße bauen, als die die vorher an der Regierung waren. Eigene Ideen einbringen und das System grundlegend in Frage stellen? Fehlanzeige! Noch dazu sind die Möglichkeiten der Fraktionen im EU-Parlament, sich politisch durchzusetzen, aufgrund eines komplizierten Gesetzgebungsverfahrens zusätzlich sehr eingeschränkt. Ebenso dürfen sehr viele Menschen, die in EU-Staaten leben, wie zum Beispiel Jugendliche unter 18 Jahren oder Geflüchtete, überhaupt nicht an der Wahl teilnehmen Scheiß egal sind die EU-Wahlen im Mai aber trotzdem nicht, denn wir können daran sehr viel über den aktuellen Status der EU und die bestehenden Kräfteverhältnisse ablesen und uns Gedanken machen, wie wir etwas verändern können.

 

In welcher Situation steckt die EU denn gerade?

Die EU steckt in einer tiefen Krise und es ist unmöglich, dass die kommenden Wahlen sie da rausholen könnten. Das liegt daran, dass die EU-Krise selbst nur eine Folge der globalen Wirtschaftskrise ist, die Profite der internationalen Unternehmen schrumpfen ließ und den Konkurrenzkampf um das, was noch übrig geblieben ist, angefeuert hat. Die EU selbst ist kein eigener Staat sondern nur ein Bündnis zwischen verschiedenen miteinander konkurrierenden Ökonomien, die nach langen Jahren des Wachstums und der Stabilität jetzt in der Krise die Krallen ausfahren.
Dass die EU in der Krise steckt, erkennen wir zum Beispiel daran, dass in fast allen EU-Mitgliedsstaaten europafeindliche Parteien wachsen und mehr Stimmen bekommen. Während in Südeuropa Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut getrieben wurden, haben in Nordeuropa viele kleinere Unternehmen Angst, durch den freien Warenverkehr innerhalb des EU-Binnenmarktes von den großen Unternehmen plattgemacht zu werden und sind enttäuscht, dass mit den EU- Geldern nicht sie gerettet wurden sondern die Banken. Jugendliche und Lohnabhängige haben die Krise durch europaweite Privatisierungen Entlassungswellen und Sozialkürzungen besonders hart zu spüren bekommen. Die EU ist also von vielen Rissen – zwischen Nord und Süd, zwischen binnenmarkt- und exportorientierten Unternehmen und besonders zwischen Arbeiter_innen und Kapital – durchzogen und kann entlang dieser Risse schnell gänzlich auseinanderreißen. Der Brexit hat uns gezeigt, wie präsent diese Gefahr ist und hat die Krise zusätzlich verschlimmert. Hinzu kommt, dass der Druck international beispielsweise durch einen US-Präsidenten Trump, der die EU erstmals in ihrer Geschichte als einen „Feind der USA“ bezeichnet hat, erheblich gewachsen ist.
Die beiden Führungsmächte der EU, Deutschland und Frankreich, haben es nicht gebacken bekommen, sich auf eine einheitliche „Europastrategie“ zur Bewältigung dieser Krise zu einigen. Gemeinsame Projekte
zur Vereinheitlichung der EU wie die EU-Armee, eine koordinierte europäische Finanzpolitik oder auch eine gemeinsame europäische Migrationspolitik wurden in den Sand gesetzt. Das liegt auch daran, dass sich nicht mal ihre eigenen Regierungen im Zuge der Krise auf eine europäische Strategie einigen konnten: Während die Groko im Dauer- Koalitionsstreit steht, ist Macron damit beschäftigt, seine Gelbwesten zu bekämpfen.

Wer hat denn in der letzten Periode das EU-Parlament regiert?

Die letzten 5 Jahre hatten die „EVP: Europäische Volkspartei“ (da steckt die CDU drin) und die „Progressive Allianz“ (da steckt die SPD drin) mit 54 Prozent die ehrheit im EU-Parlament. Die EVP steht in ihrer Zusammensetzung sogar noch weiter rechts als die CDU und treibt die neoliberale Sparpolitik federführend mit an. Sie steht für Privatisierungen, Deregulierung, Festung Europa und einem freien innereuropäischen Markt. Nach den jüngsten Debatte wurde der Ausschluss der ultra-rassistischen ungarischen Fidesz unter Victor Orban erst einmal nur auf Zeit beschlossen und brachte der EVP in den Umfragen weitere Stimmeinbußen durch ihre rechten Wähler_innen ein. Sie wird wohl als Verliererin aus der kommenden Wahl hervorgehen. Doch auch die Sozialdemokrat_innen haben sich mit allem anderen als mit Ruhm bekleckert. In ganz Europa haben sie die neoliberale Politik mitgetragen und somit dafür gesorgt, dass ihre lohnabhängigen Stammwähler_innen ihnen nicht mehr vertrauen. Auch sie haben die „EU-Schuldenbremse“ unterstützt und
Südeuropa in Abhängigkeit und Armut gestürzt. Auch sie haben Privatisierung und Sozialkürzungen selbst mit durchgesetzt. Auch sie haben der Industrie geholfen, unbefristete Arbeitsverträge und gute Jobs gegen Arbeit im Niedriglohnsektor und gegen befristete Arbeitsverhältnisse einzutauschen.Anstatt sich in der Wirtschaftskrise und der zunehmenden Migration in die EU klar links zu positionieren, Antirassismus mit Sozialpolitik zu verbinden und auf die Nöte der Menschen mit ordentlichen Konzepten zur sozialen Absicherung und einer Politik der offenen Grenzen zu antworten, haben sie nur politische Zugeständnisse an die Industrie, die Banken und die Rechten springen lassen. Dass nun die noch rechteren Parteien im Aufwind sind, ist das direkte Resultat dieser Politik. Perspektivlosigkeit und Abstiegsängste führen in ganz Europa dazu,
dass Leute diesen in die offenen Arme laufen. Doch anstatt die Wurzel des Problems anzugreifen, haben die „Volksparteien“ versucht, ihre Wähler_innen bei sich zu halten, indem sie selber weiter nach rechts gerutscht sind. Dabei sind die Abschottung der EU, die Kriminalisierung von Seenotrettungen, Deals mit Diktaturen und der massive Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex nur Facetten dieser Entwicklung. Gewaltsame Übergriffe auf Geflüchtete, Muslim_innen, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma und Frauen haben überall massiv zugenommen. Auch mit der Etablierung autoritärer Polizeistaaten unter dem Vorzeichen des „Kampfes gegen den Terrorismus“ wurde bereits begonnen. Brutalere Polizeigesetze und autoritärere Justizreformen richten sich nicht nur gegen „Minderheiten“ sondern auch unmittelbar gegen die demokratischen Rechte der Aktivist_Innen, die gegen die Politik der EU und ihrer einzelnen
Mitgliedsstaaten auf die Straße gehen.

Und was ist nach den kommenden Wahlen zu erwarten?

Da die internationale Konkurrenz tendenziell nicht abnimmt sondern stärker wird, werden sich diese Trends verstärken. Ebenso ist zu erwarten, dass die Außenpolitik der Union deutlich an Aggressivität zunehmen wird. Auch wenn das Projekt einer EU-Armee erst einmal auf die Auswechselbank gesetzt wurde, wird die EU früher oder später auf die immer aggressiver werdende Politik von Trumps US-Imperialismus mit einer eigenen aktiven Außenpolitik antworten müssen. Die Aufstockung der Militärausgaben auf 2% des BiP(Nato Vorgabe) sind ein erster Schritt dahin.
Angefeuert werden Militarismus, Rassismus, Abschottung und Sozialkürzungen durch den Rechtsruck. Die europäischen „Volksparteien“ werden zwar für ihre verfehlte Politik mit massiven Stimmverlusten bestraft werden, doch gewinnen werden die Rechten. In Italien liegt Salvinis rassistische „Lega“ in Umfragen derzeit mit 32,4 Prozent als stärkste Einzelpartei des Landes vorn. Ähnlich ist das Bild in Frankreich, wo Le Pens ultra-rechte „Ressemblement National“ aktuell mit 22 Prozent knapp vor Macrons liberaler „En Marche“ an erster Stelle liegt. InPolen kann die regierende nationalkonservative PiS mit 40 Prozent rechnen. Selbst in Schweden würden die rechtsnationalen „Schweden Demokraten“ aktuell mit knapp 20 Prozent zweitstärkste Partei. Die AfD schaffe es laut Umfragen auf 12 Prozent der Stimmen. Momentan wird die rechte Fraktion im EU-Parlament (ERK) von der englischen Conservative Party(Tories) und der polnischen PiS angeführt. Beide verfügen jeweils über ca. 40 Prozent der Sitze in der Fraktion. Eine komplette Neuaufstellung der EKR als gesamte Fraktion ist nach den Wahlen zu erwarten. Vor allem auch aufgrund der ideologischen Nähe zu anderen rechten Fraktionen im Europaparlament, insbesondere der ENF (Europa der Nationen und Freiheit). In der ENF finden sich nämlich neben Marine Le Pens RN(Ressemblement National)auch die italienische „Lega Nord“ und Österreichs rechte Regierungspartei FPÖ. Insgesamt wird für die europäische Rechte(EKR) ein Wahlergebnis von ca. 12,5 % erwartet, die ENF klettert auf knapp 11 Prozent(Stand 07.04). Die Stimmen würden für eine Koalition aus Liberalen, Konservativen und Rechten locker reichen.

Gibt es denn keine Linken, die den Rechten ein bisschen die Stirn bieten könnten?

Tatsächlich hat die Krise auch linken Bewegungen einen kleinen Aufschwung gegebenen. Podemos erreichte bei Parlamentswahlen in Spanien über 20 Prozent der Stimmen und auch Melenchons „La France Insoumnise“ erreichen in Wahlen mindestens 18 Prozent. Diese linkspopulistischen Bewegungen haben sich von der „Europäischen Linken“ abgespalten und treten dieses Jahr erstmals unter dem Namen „Maintenant le Peuple“ zur Europawahl an. Neben Forderungen nach höheren Löhnen und staatlichen Investitionen wollen sie den Kampf des Volkes gegen die bösen „internationalen Eliten“ führen – also Volkspolitik statt Klassenpolitik machen. Dass das ein großes Problem ist, sehen wir unter anderem daran, wenn Melenchon im EU-Parlament erzählt „Jedes Mal, wenn ein eingewanderter Arbeiter ankommt, stiehlt er das Brot der dort beheimateten Lohnabhängigen“. Statt internationaler Klassensolidarität fördern die Linkspopulist_innen ein nationales und teilweise sogar rassistisches Bewusstsein und passen sich damit an den Rechtsruck an. Doch auch die „Europäische Linke“ hat beispielsweise mit der griechischen Partei „Syriza“, die an der Regierung das Streikrecht eingeschränkt, EU-Spardiktate umgesetzt und die Renten gekürzt hat, so einige Leichen im Keller. Die dritte linke Partei, die den zu den diesjährigen Europawahlen antritt, nennt sich „DiEM25“ und wird vom früheren griechischen Finanzminister Gianis Varoufakis angeführt. Sie vertritt ein eher linksliberales Programm und fordert hier und da ein wenig mehr Demokratie auf EU-Ebene ohne jedoch für tiefgreifende soziale Reformen einzutreten.
Alle 3 Parteien sind sich jedoch einig, dass man die Probleme der EU, der Lohnabhängigen, der Schuldenkrise und der Geflüchteten mit Reformen lösen könne. Die einen sehen die EU als beste Plattform für diese Reformen, die anderen den Nationalstaat. Auf die Idee, den Kapitalismus als Ursache all dieser Probleme abzuschaffen, ist leider kein_e von ihnen gekommen.

Also lieber gar nicht wählen?

Das Wahlrecht ist eine große Errungenschaft, die sich die Arbeiter_innenbewegung blutig erkämpfen musste. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung und selbst wenn unsere Stimmen kaum etwas ändern werden,
wäre es Schwachsinn, diese Errungenschaft wegzuwerfen. Wir dürfen nur nicht beim Kreuzchenmachen stehen bleiben! Gewerkschaften, linke Parteien, soziale Organisationen und wir Jugendlichen aus ganz Europa müssen uns zusammenschließen und den Angriffen kollektiv die Stirn bieten! Gegen den europaweiten Rechtsruck, die zunehmende Konkurrenz, den Sozialabbau und die Abrieglung der Außengrenzen brauchen wir auch einen europaweiten Abwehrkampf und kein Zurück zum Nationalstaat. Die EU als Institution bleibt trotzdem undemokratisch, militaristisch, rassistisch, neoliberal und scheiße. Wir wollen deshalb keine kapitalistische EU und auch keinen kapitalistischen Nationalstaaten sondern die „Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa“! Da dieses Modell gerade nicht zur Debatte steht rufen wir euch auf, am 26.5. „die Linke“ zu wählen. Nicht weil wir die toll finden, sondern weil sie von den fortschrittlichsten Teilen der Arbeiter_innen-, Antira- und Ökologiebewegungen unterstützt wird und wir sie in die Verantwortung bringen wollen, ihre Forderungen auch in der Praxis umsetzen zu müssen.