AfD zerschlagen statt verbieten!

von Flo Rojo, REVOLUTION-Zeitung Januar 2024

Mehr als eine Viertelmillionen Menschen waren am 21.01.24 gegen die AfD auf der Straße und haben lautstark deutlich gemacht, was sie von Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Neoliberalismus und Antisemitismus halten! Dass diese Massenproteste plötzlich entflammt sind, ist kein Wunder, denn die AfD ist auf dem Vormarsch. Von radikaler Linke, Regierungs- und Oppositionsparteien bis hin zu verschiedensten bürgerlichen Akteuren steigt die Angst, dass die Rechtspopulist:innen in den anstehenden Landtagswahlen im Osten, bei der Europawahl und auch bei der Bundestagswahl nächstes Jahr Wahlgewinne erzielen werden. Migrant:innen, queere Menschen und Linke fürchten die Repressionen, die sich aus einer Regierungsbeteiligung oder starken Opposition der AfD ergeben könnten. Aus diesem Klima von Angst und Unsicherheit erwächst nun eine Forderung, die schnell an Popularität gewonnen hat: Das Parteiverbot der AfD. Doch wie sollten radikale Linke zu einem Parteiverbot stehen und kann ein solches die Rechten auf ihrem Vormarsch stoppen? In dem Artikel wollen wir darauf eingehen und eine Antwort liefern, wie ein wirklicher Kampf gegen die Rechtspopulist:innen aussehen sollte.

Kann man die AfD überhaupt verbieten?

Die Antwort darauf ist: theoretisch schon, auch wenn unklar ist, ob das Programm der AfD nicht zu schwammig formuliert ist, um ihr Verfassungsfeindlichkeit juristisch nachzuweisen. Dafür müssten die Bundesregierung, Teile des Bundesrats oder Bundestags erst einmal Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Wenn dieses entscheidet, dass die Partei gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ agiert und somit verfassungsfeindlich ist, kann diese verboten werden. In der Geschichte der BRD wurden bis jetzt zwei Parteien verboten: die Nachfolgepartei der NSDAP (SRP) und auf derselben rechtlichen Grundlage kurz darauf auch die stalinistische KPD.

Die Geschichte hat uns somit einmal mehr vor Augen geführt, warum Kommunist:innen nicht für Parteiverbote eintreten sollten: Denn jede Ausweitung seines rechtlichen Handlungsspielraums zur Repression bietet dem Staat die Möglichkeit, gegen Linke vorzugehen. Hintergrund dessen ist das verquere Bild, es existiere eine „demokratische politische Mitte“, die von den extremistischen Rändern von rechts und links gleichermaßen bedroht werde und gegen die sich die Demokratie, beispielsweise mit Parteiverboten, verteidigen müsse. Damit wird zum einen Rechts und Links gleichgesetzt, so als ob es keinen Unterschied mache, ob Menschen Geflüchtetenunterkünfte in Brand setzen oder davor stehen, um eben das zu verhindern. Zum anderen verschleiert die Idee vom Hufeisen mit den extremistischen Rändern, dass rechte Ideen in eben jener „demokratischen Mitte“ produziert werden und allgemeine demokratische Rechte hingegen eine Errungenschaft linker Kämpfe ist.

Ein oft angeführtes Beispiel, um auch den möglichen Erfolg eines solchen Verfahrens zu untermauern, sind die Parteiverbotsverfahren gegen die NPD (heute: Die Heimat). Am Ende des zähen und jahrelangen Verfahrens kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Entschluss, dass ein Verbot wegen der fehlenden Relevanz der NPD nicht umgesetzt werden muss. Die AfD unterscheidet sich natürlich in mehreren Punkten von der NPD. Entgegen der offen faschistischen NPD versucht die AfD rechtsextreme Positionen nicht durch faschistische Milizen auf der Straße, sondern durch den bürgerlich-demokratischen Staat zu drücken. Wie das praktisch aussehen kann, sieht man z.B. in der Meloni-Regierung in Italien. Darüber hinaus stellt die AfD durch ihren Einfluss und Größe ein viel größere Gefahr dar als die Nazi-Kleinpartei.

Doch was würde ein Verbot bringen?

Was viele Befürworter:innen des AfD-Verbots anführen, sind die Vorteile, die ein solches Parteiverbot mit sich bringen würde. Allen voran der Wegfall der Finanzierung, Vermögen und Räume, die sonst weiterhin extreme Rechte nutzen können. Darüber hinaus würden die Strukturen der Rechten angegriffen und auch die Teilnahme an Wahlen vorerst (!) erschwert werden. Doch obwohl wir uns dann erstmal nicht mehr das hässliche Blau der AfD ansehen müssten, hat das Ganze für uns mehr Nachteile als Vorteile.

Denn so ein Verfahren würde ziemlich sicher nicht in ein paar Tagen abgeschlossen werden, denn auch wenn das Verbot dieser Partei die Teilnahme an Wahlen verhindern würde, bis zu den Landtagswahlen im Osten und auch bei der Europawahl wird das Ganze nicht umgesetzt werden. Darüber hinaus werden die Hunderttausenden, die aktuell auf den Straßen sind, dadurch in eine passive Haltung gebracht, denn es erscheint so, als sei der einzige Weg, der AfD Einhalt zu gebieten, in den bürgerlichen Staat und seine Gerichte zu vertrauen. Doch spätestens seit den staatlichen Verstrickungen in die rassistischen Morde des NSU oder der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl durch die aktuelle Bundesregierung wissen wir, dass der bürgerliche Staat keinen Verbündeten im Kampf gegen Rechts darstellen kann. Im Kapitalismus ist der Zweck des Staates die Absicherung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. Wie rechtspopulistisch oder wie faschistisch die Politik dieses bürgerlichen Staates in der konkreten historischen Situation ausfällt, hängt letztlich von diesem Zweck ab, nämlich der Absicherung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse. So kann derselbe Staat, der heute noch „vielfältig“, „demokratisch“ und „solidarisch“ sein will, in einer revolutionären Situation, in der die organisierte Arbeiter_Innenklasse diese Eigentumsordnung bedroht, seine faschistische Fratze offenbaren.

Der Kampf gegen die AfD kann also nicht mit Staat und Kapital, sondern nur gegen diese erfolgreich sein. So ist die AfD nicht Ursache des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks, sondern ein Produkt dessen. Somit ist also auch nicht der Rechtsruck weg, nur weil die AfD potenziell von der Bildfläche verschwinden könnte. Die Ursachen des Rechtsrucks liegen vielmehr in den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 2007/2008, der Niederlage linker internationaler Massenbewegungen, der Passivität der Gewerkschaften angesichts der sozialen Angriffe und den gesellschaftlichen Abstiegsängsten der kleineren Kapitalfraktionen und des Kleinbürgertums. Der Rechtsruck lässt sich also nicht verbieten, er lässt sich samt seinen materiellen Ursachen nur mithilfe einer organisierten antikapitalistischen Perspektive überwinden.

Wer fordert das Verbot eigentlich und warum?

Nach Offenbarung des Geheimtreffens in Potsdam bildeten sich Bündnisse von Jusos, Grüner Jugend, Gewerkschaften bis hin zu zahlreichen NGOs, um unter Mottos wie „Demokratie stärken“ Demonstrationen und Kundgebungen zu organisieren. Wie schon an dieser Forderung zu sehen ist, verharren diese in einem recht bürgerlichen Rahmen und greifen die AfD schlichtweg als undemokratische Kraft an. Diese Darstellung nutzen die anderen bürgerlichen Parteien, um sich als die „Besseren“ oder die „wahren Demokrat:innen“ zu profilieren, während erst am letzten Donnerstag das Asylgesetz durch die Bundesregierung verschärft wurde. Die AfD konnte nur stark werden, in einem politischen Klima, in dem eine Ampelkoalition und vorherige Bundesregierungen Rassismus verbreiten, Geflüchtete entmenschlicht und migrantische Kämpfe (wie zB. die palästinensische Solidaritätsbewegung) kriminalisieren. Während sich Grüne, SPD, FDP und Teile der CDU am Rassismus der AfD abarbeiten, haben sie, wo immer sie in der Regierungsverantwortung standen, Forderungen der AfD umgesetzt. Der bürgerliche Staat kann den Rechtsruck in der Gesellschaft selbst nicht aufhalten, sondern ist Teil seiner Grundlagen. Genauso wie der tagtägliche Schrecken, welcher der bürgerliche Staat mit sich bringt, ob Abschiebung, Polizeigewalt, Ausbeutung am Arbeitsplatz oder Unterdrückung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen.

Doch was braucht es dann?

Zusammengefasst liegt der Erfolg der AfD nicht an der Partei selbst, sondern ist nur ein Symptom der gesellschaftlichen Entwicklung nach rechts, welche ihren Ursprung in der Krise und der Schwäche der politischen Linken hat. Ihre soziale Basis hat die AfD im krisengeschüttelten und von Abstiegsängsten bedrohten Kleinbürgertum und auf den binnenmarktorientierten kleineren Teilen des Kapitals. Doch auch unter prekarisierten Arbeiter:innen bekommt die Partei Zulauf. Nach der Pandemie und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise ebenso wie der Inflation nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges sind viele Teile der Gesellschaft ärmer geworden. Wir sehen eine Welt in Trümmern sowie Lohn- und Jobverlust bei großen Teilen den arbeitenden Bevölkerung, während die Linkspartei es nicht auf die Reihe bekommt, ein ordentliches Programm gegen Krieg und Krise aufzustellen. Durch fehlende Angebote der Linken wenden sich dann die verunsicherten Kleinbürger:innen und Arbeiter:innen bei der Suche nach der Ursache des Problems den Rechten zu, die ein utopisches „Zurück“ zur Vergangenheit versprechen. Doch diese ganze Ordnung, die den Rechtsruck erst hervorgebracht hat, wird tagtäglich aufrechterhalten durch eben den bürgerlichen Staat, welcher jetzt angebettelt wird, die Probleme, die er selbst schafft, zu bekämpfen.

Doch nur, weil eine illusorische Forderung wie das AfD-Verbot die aktuellen Massenproteste dominiert, heißt das auf gar keinen Fall, dass wir ihnen den Rücken zukehren. Vielmehr müssen wir dort in voller Stärker am Start sein und die Perspektive einer Arbeiter:inneneinheitsfront im Kampf gegen die AfD aufwerfen. Als Jugendorganisation müssen wir uns den Rechten schließlich in den Weg stellen, wo immer sie auftauchen. Doch allein durch Blockadeversuche und große Demos werden wir sie noch nicht aufhalten können. Wir müssen den Kampf gegen Rassismus auch mit sozialen Forderungen, wie höheren Mindestlöhnen für alle oder bezahlbarem Wohnraum verknüpfen, um auch die materiellen Ursachen des Rechtsrucks anzugreifen. Gleichzeitig darf Antirassismus kein Lippenbekenntnis sein, sondern benötigt Organe des Selbstschutzes von Betroffenen und Unterstützer:innen. Die einzige Kraft, die dem Rechtsruck durch ihre besondere Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess die Grundlage entziehen kann, ist die organisierte Arbeiter:innenklasse. Obwohl bereits in vielen Anti-AfD-Bündnissen Gewerkschaften dabei sind, dürfen diese es nicht beim symbolischen Unterzeichnen des Demoaufrufs belassen. Vielmehr müssen die Gewerkschaften ihre Basis aktiv zu den Protesten mobilisieren und zum Streik gegen die sozialen Angriffe aufrufen. Doch die bewusstesten Teile der Arbeiter:innenklasse organisieren sich nicht nur in Gewerkschaften, sondern auch in der Linkspartei und linken SPD-Gliederungen. Diese müssen wir zur gemeinsamen Aktion mit Migrant:innenorganisationen und der radikalen Linken gegen AfD, Asylrechtsverschärfungen und Sparpläne auffordern. In der gemeinsamen Aktion gilt es sie von einer revolutionären Perspektive zu überzeugen und mit ihrem reformistischen Bewusstsein zu brechen. Was es letztlich braucht ist ein revolutionäres Programm der Jugend und Arbeiter:innenklasse, welches eine echte Perspektive gegen den Rechtsruck und somit der Krise bietet.

Wir fordern:

  • Unabhängige Antidiskriminierungsstellen an Schulen, Unis und Betrieben!
  • Offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle!
  • Massive Lohnerhöhung und automatischer Inflationsausgleich in Form einer gleitenden Lohnskala!
  • Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales finanziert durch die Gewinne der Reichen, die aktuell noch einmal so richtig Profit aus der Krise schlagen!
  • Für demokratisch aufgebaute antirassistische Selbstschutzkomitees!
  • Kampf der AfD heißt Kampf dem Kapital! Für ein revolutionäres Programm der Jugend und Arbeiter:innenklasse!



„Bist du Commie oder Anarcho?“

von Jona Everdeen

…wahrscheinlich eine der am häufigsten gestellten Fragen unter jugendlichen Linken in Deutschland. Was sind also unsere Differenzen und Gemeinsamkeiten zum Anarchismus und wie kann es zusammen funktionieren?

Wie alles begann

Der Anarchismus ist eine Strömung der Arbeiter_Innen-Bewegung, die sich innerhalb der Ersten Internationale von den Sozialist_Innen trennte, da die politischen Differenzen beider Strömungen zu gravierend waren. Berühmt sind die heftigen und teils polemischen Debatten zwischen Karl Marx mit anarchistischen Vordenker_Innen wie Michail Bakunin. Dabei treibt bis heute dieser Konflikt folgende Frage um: „Was ist unsere Position zum Staat und zur Autorität? Und wie verbinden wir unsere Ideale mit unserem Kampf?“, bei der Anarchist_Innen auf der Stelle jegliche Form von Herrschaft abschaffen wollen, während Kommunist_Innen eine parteiförmige Organisierung und rätedemokratische Herrschaft als Zwischenstadium für notwendig halten.

Denn eine Sache teilen sich Kommunist_Innen und Anarchist_Innen damals wie heute: Eine gemeinsame Utopie. Das, was wir Kommunismus nennen und das, was Anarchist_Innen Anarchie nennen, ist im Grunde derselbe Zustand einer klassenlosen Gesellschaft, in der die gesellschaftlich notwendige Arbeit ohne einen äußeren Zwang vollrichtet werden kann und es somit auch keine Staaten mehr benötigt. 

Die Unterschiede beginnen im Weg, wie wir es schaffen, zu dieser Gesellschaft zu gelangen. Dabei differenzieren sich sowohl Kommunist_Innen als auch Anarchist_Innen auch untereinander wieder auseinander. Aber das grundsätzliche Verständnis von Kommies dürfte sein: Zunächst Organisierung in Parteien als Kampforgane für die Revolution, dann planwirtschaftliche Verwaltung der Produktionsmittel durch das Proletariat, das rätedemokratisch herrscht. Diese sozialistische Gesellschaft entwickelt sich mit der Zeit in die wirklich freie Gesellschaft. Dieser Weg folgt aus der Erkenntnis, dass es nicht möglich ist, aus dem Kapitalismus ohne weiteres in den Kommunismus überzugehen und dass es eben notwendig ist, die Produktivkräfte und das gesellschaftliche Bewusstsein für diesen Zustand der absoluten Klassenlosigkeit reifen zu lassen, was voraussichtlich Generationen brauchen wird.

Typische Anarchismen

Anarchist_Innen hingegen erkennen diese Notwendigkeit zum Sozialismus nicht an, wobei sich der genaue alternative Lösungsweg von Strömung zu Strömung unterscheidet und wir natürlich nicht auf alle eingehen können. Klassische Anarchist_Innen denken, dass es sehr wohl möglich ist, das Bewusstsein der Gesellschaft im hier und jetzt auf das Niveau zu heben, dass die Menschen für die Herrschaftslosigkeit reif sind und man einfach alle Staaten und alles Geld abschaffen kann und dann schon die klassenlose Gesellschaft kommt. Dabei bezieht man sich eher nicht auf das Proletariat als revolutionäres Subjekt, sondern der Kampf entfaltet sich zwischen Staat und Bevölkerung. Dabei kann man grundlegend zwischen jenen unterscheiden, die in offener und militanter Opposition zum Staat stehen, und jenen, die innerhalb des Kapitalismus‘ „herrschaftslose Inseln“ bilden, die sich linear und möglicherweise sogar gewaltlos ausweiten, bis die gesamte Gesellschaft frei ist. Solche Ideen sind sowohl in der Hausbesetzer_Innenszene vertreten als auch bei Graswurzel-Anarchist_Innen. In aller Regeln versuchen Anarchist_Innen, bereits innerhalb ihrer politischen Praxis ihre freiheitlichen Ideale zu leben. Auch wenn wir diese Ideale teilen, sehen wir ein, dass das innerhalb des Kapitalismus nur Schwächung und Illusion bedeutet und wir sagen: „Die Befreiung erfolgt nicht im Kampf, sondern ist dessen Ergebnis und alles muss auf dessen Erreichung ausgelegt sein! Politische Organisierung befreit uns nicht, sondern nur eine andere Gesellschaftsform kann uns befreien!“

Den Sozialist_Innen am ähnlichsten sind die Anarcho-Syndikalist_Innen, da sich diese klar auf das Proletariat beziehen und ebenfalls Arbeitskämpfe als Hauptwerkzeug verwenden. Allerdings setzen sie dabei ihren Fokus auf Organisierung revolutionärer Gewerkschaften, die das Ziel haben, Stück für Stück Betriebe in die Hand der angestellten Arbeiter_Innen zu überführen. Es gibt dabei aber weder eine klare Vermittlung zwischen Betrieben durch Planung, noch eine Vermittlung zwischen Arbeits- und politischen Kampf durch eine Partei.

Sehr anders gehen hingegen Anarchos vor, die die „Propaganda der Tat“ vertreten, also die Annahme, dass punktuelle durch einzelne Individuen oder kleine Gruppen ausgeführte militante Aktionen dafür sorgen, dass die Massen ein revolutionäres Bewusstsein entwickeln und sich den vereinzelten Aktionen gegen Bourgeoise und bürgerlichen Staat massenhaft anschließen.

Doch tatsächlich passiert meist das Gegenteil: Die Aktionen haben häufig eher eine stärkere Isolation der revolutionären Kräfte zur Folge, da die Hürde für den Einstieg und gleichzeitig die Möglichkeit des bürgerlichen Staates, mittels Propaganda das Proletariat gegen die Aktionen der revolutionären Kleingruppen aufzubringen, extrem hoch sind.

Den klandestinen, individuellen und punktuellen Aktionen gegen bestimmte Elemente der kapitalistischen Herrschaft stellen wir ein Programm des kollektiven Kampfes möglichst großer Teile des Proletariats gegenüber, dass vor allem mittels von Streiks in der Lage ist, die ökonomische Grundlage der Macht der Bourgeoise aus den Angeln zu heben und Konzernen wie Rheinmetall oder Vonovia somit viel effektiver zu schaden, als es ein abgebrannter Firmenwagen oder eine zerbrochene Scheibe tun.

Freund_Innen in der Revolution

Doch wie verhalten wir uns in Folge dieser Widersprüche gegenüber Anarchist_Innen?

Hier kommt wie so oft das Prinzip der Einheitsfront zum Tragen. So streben wir eine Zusammenarbeit aller Kräfte des Proletariats an, also auch anarchistischer, in gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus.

Die Basis dafür bilden gemeinsame Ziele sowie die Propagandafreiheit sämtlicher Beteiligter.

Gleichzeitig regen wir in diesem Rahmen auch zu einer Wideraufnahme eines solidarischen Diskurses zwischen Anarchist_Innen, Kommunist_Innen und anderen Kräften der Arbeiter_Innen-Bewegung an, in der Differenzen angesprochen und diskutiert werden können, ohne dass es gleich zu Stigmatisierungen von der „Autoritären Kommisekte“ oder den „planlosen Anarchos“ kommt!

Auch sind wir solidarisch mit Anarchist_Innen, die aufgrund von militanten Aktionen gegen Repräsentant_Innen von Staat und Kapital Repressionen erfahren, auch dann, wenn wir diese Aktionen in ihrer Form kritisch sehen.

  • Freiheit für alle politischen Gefangenen!
  • Für eine Einheitsfront aller Kräfte der Arbeiter_Innenklasse und der Jugend im Kampf gegen Bourgeoisie und bürgerlichen Staat!
  • Für Propagandafreiheit in gemeinsamen Aktionen! Wer als Organisationen eine politische Aktion mitträgt, muss auch das Recht haben, ihre Symbole zu zeigen und Materialien zu verteilen!
  • Für politische Streiks in Schulen, Unis und Betrieben als zentrales Mittel des Klassenkampfes!



Die Weltlage und Aufgaben der Arbeiter_Innenklasse

Jaqueline Katherina Singh

In den vergangenen zwei Jahren sah sich die Welt mit einer Reihe von miteinander verknüpften Krisen konfrontiert. An erster Stelle steht eine weltweite Gesundheitskrise. Covid-19 hat die Regierungen und Gesundheitssysteme überrascht, obwohl Epidemiolog_Innen und die WHO vor einer wahrscheinlichen zweiten SARS-Epidemie gewarnt und die Gewerkschaften des Gesundheitspersonals darauf hingewiesen hatten, dass ihre Krankenhäuser und Kliniken für eine solche nicht gerüstet sind. Covid-19 hat weltweit mehr als fünf Millionen Todesopfer gefordert, wütet mit seinen Delta- und Omikron-Varianten immer noch – und bricht in Ländern wieder aus, die überzeugt waren, die Krankheit unter Kontrolle zu haben und ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Die Schlagzeilen der letzten beiden Jahre beherrschten aber auch die sich häufenden extremen Wetterereignisse – Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren -, die rund um den Globus wüten und die Aussicht auf einen katastrophalen Klimawandel unbestreitbar machen. Im krassen Gegensatz zu den Gefahren endete der Weltklimagipfel einmal mehr im – Nichts. Die wichtigsten Staaten blockierten jede feste Verpflichtung zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Wieder einmal wurden die halbkolonialen Länder, vor allem in den bereits stark geschädigten Tropenzonen, um die Milliarden betrogen, die sie zur Bekämpfung der Auswirkungen benötigen. Stattdessen wurden ihnen weitere Kredite angeboten.

Im Jahr 2020 verursachte Covid den stärksten Einbruch der Weltwirtschaft seit den 1930er Jahren. Auch wenn die globale Ökonomie schon davor im Niedergang war, so synchronisiert die Pandemie die Rezession und diese prägt auch den Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung und die Maßnahmen der Regierungen. Die Lockdowns zwangen die großen imperialistischen Staaten, mit den neoliberalen Dogmen über die Staatsausgaben zu brechen. Die Zinssätze, die jahrelang bei null lagen, um die zur Stagnation neigenden Volkswirtschaften anzukurbeln, erlaubten es den Staaten nun, Billionen zu leihen und in den imperialistischen Kernländern die Auswirkungen der Krise auf die Massen abzumildern. Die Unterbrechung der Versorgungsketten, der Weltmärkte und die wiederholten Aussperrungen haben enorme Verluste verursacht, auch wenn deren volles Ausmaß erst nach Beendigung der Pandemie deutlich werden wird. Auch wenn in einigen Ländern ein kurzfristiger Konsumboom möglich sein mag, wenn sich die Wirtschaften etwas erholen, so wird dieser eher einem Strohfeuer denn einer ernsten Erholung gleichkommen.

Ökonomische Auswirkungen

Mit Beginn der Pandemie stand ab Ende Februar 2020 die Wirtschaft still und internationale Produktionsketten lagen brach. Viele bürgerliche Forschungsinstitute und Konjunkturprognosen übten sich trotzdem in den letzten beiden Jahren in Sachen Optimismus. In Vorhersagen wurde  festgehalten, dass die Erholung schnell erfolgen und munter weitergehen wird – schließlich sei die Pandemie nur ein externer Faktor.

Die ganze Realität bildet das allerdings nicht ab. Nach dem Einbruch der weltweiten Wirtschaftsleistung 2020 um 3,2 % folgte in diesem Jahr zwar eine Erholung. In seinem vierteljährlichen Bericht ging der IWF im April 2021 noch von einer Steigerung der globalen Wirtschaftsleistung von 6,4 % aus – und musste diese Prognose nur um 0,4 % nach unten korrigieren. Begründet wurden die optimistischen Prognosen mit dem Beginn der Impfungen, der damit verbundenen Erwartung eines Endes der Pandemie sowie den Konjunkturpaketen.

So ist es auch kein Wunder, dass vor allem die imperialistischen Zentren Erholung verzeichnen, während die Länder, die sich weder Impfstoff noch Konjunkturpakete leisten können, zurückbleiben. Genauer betrachtet ist das Wachstum in den imperialistischen Zentren jedoch langsamer als erhofft und begleitet von Inflation. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Stillstand der Handels- und Produktionsketten hat einen länger anhaltenden Einfluss, wie man beispielsweise an der Halbleiterproduktion betrachten kann. Hinzu kommen gestiegene Energie- und Rohstoffpreise. So meldete das deutsche statistische Bundesamt, dass die Erzeugerpreise im September 2021 um 14,2 % im Vergleich zum Vorjahr nach oben gingen – die stärkste Steigerung seit der Ölkrise 1974. Die Energiekosten sind laut Bundesamt zusätzlich um 20,4 % teurer geworden. Auch Arbeitskräftemangel in bestimmten Sektoren sowie Inflation verlangsamen das Wachstum. Zentral sind aber niedrige Investitionsraten, die zwar durch die massiven Konjunkturpakete angekurbelt werden, aber vor allem im privaten Sektor gering ausfallen.

Ebenso darf bei der Betrachtung nicht vergessen werden, dass die Folgen der Finanzkrise 2007/08 noch längst nicht ausgelöffelt sind. Vielmehr hat sich die internationale Schuldenlast massiv erhöht und auch die Niedrigzinspolitik lief die letzte Dekade munter weiter.

Letztlich erfordern kapitalistische Krisen eine Vernichtung überschüssigen Kapitals. In der Rezession 2009 fand diese jedoch nicht annähernd in dem Maße statt, das notwendig gewesen wäre, um einen neuen Aufschwung der Weltökonomie zu ermöglichen. Staatdessen war das letzte Jahrzehnt weitgehend eines der Stagnation.

Die Politik des billigen Geldes in den imperialistischen Zentren verhinderte dabei nicht nur die Vernichtung überschüssigen Kapitals, sondern führte auch zu einem massiven Anstieg der öffentlichen wie privaten Schuldenlast; neue spekulative Blasen bildeten sich. Die Coronamaßnahmen vieler imperialistischer Regierungen haben diese Lage noch einmal befeuert. So wurden zwar befürchtete große Pleiten vorerst verhindert – gleichzeitig gilt ein bedeutender Teil der Unternehmen mittlerweile als „Zombiefirmen“, also Betriebe, die selbst wenn sie Gewinn machen, ihre Schulden nicht mehr decken können und eigentlich nur künstlich am Leben erhalten werden.

Hinzu kommen weitere Faktoren, die deutlich machen, dass in den kommenden Jahren mit keiner Erholung der Weltwirtschaft, sondern allenfalls mit konjunkturellen Strohfeuern zu rechnen ist. Erstens fällt China anders als nach 2008 als Motor der Weltwirtschaft aus. Zweitens verschärfen zunehmende Blockbildung wie auch Fortdauer der Pandemie die wirtschaftliche Lage selbst und können nicht nur als vorübergehende Faktoren betrachtet werden. Drittens reißt die aktuelle Lage schon jetzt wichtige Halbkolonien in die Krise. Ländern wie Argentinien, der Türkei oder Südafrika drohen Insolvenz und Zusammenbruch ihre Währungen. Indien und Pakistan befinden sich ebenfalls ganz oben auf der Liste von Ländern, die IWF und Weltbank als extrem krisengefährdet betrachten.

Zusammengefasst heißt das: Die Folgen der Finanzkrise 2007/08 wurden noch abgefedert. Jetzt erleben wir eine erneute Krise von größerem Ausmaß, die diesmal fast alle Länder gleichzeitig erfasst. Doch der Spielraum der herrschenden Klasse ist dieses Mal geringer.

Auswirkungen auf das Weltgefüge

Somit ist klar, dass die Coronapandemie und ihre Folgen die Welt noch für einige Zeit in Schach halten werden. Nicht nur, weil wir mit Mutationen rechnen müssen, gegen die die Impfstoffe unwirksamer sind, sondern die Pandemie ist längst kein „externer“ Faktor mehr, sondern ihrerseits eng mit den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen und deren politischen Folgen verwoben. Ein einfaches Zurück zur „Vor Corona“-Zeit ist somit nicht möglich.

Bereits vorher war die internationale Lage zwischen den imperialistischen Kräften angespannt. Der  Handelskrieg zwischen USA und China bestimmt zwar nicht mehr die Schlagzeilen in den Zeitungen, aber die aktuelle Krise verschärft die innerimperialistische Konkurrenz erneut auf allen Ebenen. Die massive Überakkumulation an Kapital spitzt nicht nur die ökonomische Konkurrenz zu, sondern  wird auch das Feuer der innerimperialistischen politischen Querelen weiter anfachen. Schließlich will niemand die Kraft sein, auf deren Kosten die anderen ihr Kapital retten. Praktisch bedeutet das: weitere harte Handels- und Wirtschaftskonflikte, zunehmende ökonomische Tendenz zur Blockbildung und Kampf um die Kontrolle etablierter oder neuer halbkolonialer Wirtschaftsräume. Die USA und China, aber auch Deutschland und die EU verfolgen dies mit zunehmender Konsequenz.

Dies hat nicht nur ökonomische, sondern auch politische Folgen, darunter die zunehmende Militarisierung sowie eine weitere Eskalation kriegerischer Auseinandersetzungen. Hinzu kommt, dass die Pandemie den Trend zum Nationalprotektionismus verschärft hat und ein widersprüchliches Moment in sich trägt. Wie wir an Lieferengpässen sehen, sind die Produktionsketten mittlerweile extrem verschränkt. Ein einfaches Entflechten gemäß dem Ideal, „alles was man braucht“, im eigenen Staat zu produzieren, ist schlichtweg nicht möglich. Dennoch kann es infolge von vermehrten ökonomischen und politischen Konflikten zur Erhebung weiterer Zölle, wechselseitigen Sanktionen etc. kommen. Auch wenn dies die Weltwirtschaft selbst in Mitleidenschaft ziehen wird, so werden solche Konflikte zunehmen. Das Kräftemessen kann zugleich auch deutlich machen, welche Länder das schwächste Glied in der imperialistischen Kette bilden, und seinerseits innere Konflikte zuspitzen und ganze Staaten destabilisieren.

Die Aussichten sind also nicht besonders rosig. Schon das letzte Jahrzehnt war von einer Zunahme autoritärer, rechtspopulistischer und bonapartistischer Tendenzen geprägt, die sich unter dem gesellschaftlichen Ausnahmezustand der Pandemie verschärft haben. Um in kommenden Auseinandersetzungen mögliche Proteste in Schach zu halten, ist damit zu rechnen, dass wir eine Verstärkung von Rechtspopulismus, Autoritarismus, Bonapartismus erleben werden.

Angesichts diese krisenhaften Lage erheben sich zentrale Fragen: Wer wird zur Kasse gebeten, um die Rettungs- und Konjunkturpakete zu finanzieren? Wer wird die Kosten der Krise zahlen? Welche Klasse prägt die zukünftige Entwicklung?

Bedeutung für die Arbeiter_Innenklasse

Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig. Nicht die Herrschenden wollen den Kopf hinhalten und so werden die bürgerlichen Regierungen natürlich versuchen, die Last vor allem auf die Arbeiter_Innenklasse, die Bauern-/Bäuerinnenschaft und die Mittelschichten abzuwälzen, wie dies im Grunde schon während der Coronakrise der Fall war. Fast überall arbeiteten die jeweiligen Gesundheitssysteme an ihren Grenzen und Gewalt, insbesondere gegen Frauen, hat gesamtgesellschaftlich stark zugenommen. Allein die unmittelbaren Folgen des Stillstands wie Massenentlassungen, Verelendung und massiver Zuwachs an Armut sind global schnell sichtbar geworden. So erwartet der Internationale Währungsfonds, dass die Pandemie den Fortschritt in der Bekämpfung der globalen Armut seit den 1990er Jahren annulliert sowie die Ungleichheit weiter verstärkt.

Die größten Auswirkungen sind in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen zu verzeichnen. Dort beträgt deren Verlust mehr als 15 Prozent. Genau diese Länder haben zudem die schwächsten Sozialsysteme. Hinzu kommt die steigende Inflation, die die Lebenshaltungskosten in Ländern wie der Türkei oder dem Libanon und vielen anderen in die Höhe treibt. Das Festhalten der imperialistischen Länder an den Patenten zugunsten der Profite sorgt dafür, dass die Lage sich nicht in absehbarer Zeit verbessern wird.

Nicht allzu viel besser sieht die Situation in den imperialistischen Zentren aus. Auch hier gab es zahlreiche Entlassungen. So hatten die USA 2020 ihr historisches Hoch. Die Konjunkturpakete oder Hilfen wie das Kurzarbeiter_Innengeld in Deutschland federn zwar die Auswirkungen der Krise ab, aber auch hier ist die Inflation deutlich in der Tasche zu spüren.

Was kommt?

Aufgrund des konjunkturellen Aufschwungs in den USA und in etlichen europäischen Staaten werden die kurzfristigen Auswirkungen hier andere sein als für große Teile der Massen in den Halbkolonien. Letztere werden von einer Dauerkrise der Wirtschaft, der Pandemie und auch ökologischen Katastrophen geprägt sein. Das heißt, dass in den halbkolonialen Ländern der Kampf für ein Sofortprogramm gegen die akute Krise und Pandemie eine zentrale Rolle spielen wird, das die verschiedenen ökonomischen und sozialen Aspekte umfasst. Grundsätzlich können wir davon ausgehen, dass der Klassenkampf in diesen Ländern aufgrund der zugespitzten sozialen und politischen Lage eine weit explosivere Form annehmen wird.

Die Extraprofite des imperialistischen Kapitals in den Metropolen sowie der aktuelle konjunkturelle Aufschwung in etlichen Ländern erlauben in diesen Staaten mehr Spielraum für gewerkschaftliche und soziale Umverteilungskämpfe. Ebenso kann es sein, dass teilweise reformistische oder linkspopulistische Kräfte an Aufwind gewinnen. Schließlich hat die Gesundheitskrise in den Augen von Millionen verdeutlicht, dass massive Investitionen, Verstaatlichungen und Neueinstellungen in diesem Bereich wie auch in anderen Sektoren nötig sind (Wohnung, Verkehr … ). Bürgerliche wie reformistische Kräfte versuchen, dem verbal entgegenzukommen und die Spitze zu nehmen. So beinhalten das Programm Bidens wie auch der Green Deal der EU Versprechen, die ökologischen Probleme zu lösen und soziale Ungleichheit zu reduzieren. In der Realität werden sich diese Reformversprechen als Quadratur des Kreises entpuppen.

In Wirklichkeit sind es Programme zur Erneuerung des Kapitals, nicht der Gesellschaft. Der Arbeiter_Innenklasse und den Unterdrückten wird nichts geschenkt, schon gar nicht in der Situation zunehmenden Wettbewerbs. Während die wirtschaftliche Lage in den imperialistischen Ländern jedoch kurzfristig einen gewissen Verteilungsspielraum eröffnen kann, der von der Arbeiter_Innenklasse genutzt werden muss, besteht dieser in den halbkolonialen Ländern praktisch nicht. Dort können und werden sich selbst Kämpfe um soziale, ökonomische und demokratische Verbesserungen viel rascher zum Kampf um die politische Macht zuspitzen, wie z. B. der Sudan zeigt.

Auch wenn die Situation in imperialistischen Ländern und Halbkolonien bedeutende Unterschiede birgt, so sind alle wichtigen Auseinandersetzungen unserer Zeit – der Kampf gegen die Pandemie, die drohende ökologische Katastrophe,  die Folgen der Wirtschaftskrise und die zunehmende Kriegsgefahr – Fragen des internationalen Klassenkampfes. Sie können auf nationaler Ebene letztlich nicht gelöst werden.

Wo aber beginnen?

Zuerst ist es wichtig zu verstehen, dass die verschlechterte Situation der arbeitenden Klasse nicht automatisch Proteste mit sich bringt. Diese gibt es zwar, ebenso wie Streiks und Aufstände, jedoch sind sie erstmal nur Ausdruck der spontanen Unzufriedenheit der Massen. Zu glauben, dass aus ihnen mehr erwachsen muss oder sie von alleine zu einer grundlegenden Lösung führen werden, ist falsch, ein passiver Automatismus. Streiks befördern natürlich das Bewusstsein der Arbeiter_Innenklasse, dass sie sich kollektiv zusammenschließen muss, um höhere Löhne zu erkämpfen. Nicht mehr und nicht weniger. Ihr spontanes Bewusstsein im ökonomischen Kampf ist jedoch selbst noch eine Form bürgerlichen Bewusstseins, weil es auf dem Boden des Lohnarbeitsverhältnisses steht. Es stellt insbesondere in Friedenszeiten nicht das kapitalistische System in Frage, sondern fordert erstmal nur mehr Lohn ein. Ähnliches gilt für Proteste beispielsweise aufgrund von Hunger. Beide – Streiks und spontane Proteste – tragen jedoch in sich das Potenzial, zu mehr zu werden. Allerdings nur, wenn es geschafft werden kann, die Grundlage der Misere aufzuzeigen, zu vermitteln, dass die Spontaneität der Proteste noch nicht automatisch die Lösung bringt, sondern es einen organisierten Umsturz braucht, um dieses System erfolgreich zu zerschlagen. Es ist Aufgabe von Revolutionär_Innen, dieses Verständnis, dieses Bewusstsein in die Klasse zu tragen und die dazu notwendigen Schritte zu vermitteln. Dies ist jedoch leichter geschrieben als getan, denn ein Blick auf die aktuelle Lage zeigt, dass es viele Widerstände gibt, die man zu überwinden wissen muss.

Kämpfe und Kontrolle

Das heißt, dass man in die existierenden Kämpfe intervenieren und diese zuspitzen muss. Beispielsweise durch Forderungen, die weiter gehen als jene, die bereits aufgeworfen werden. Es reicht nicht, nur kommende Angriffe abzuwehren, vielmehr müssen die Abwehrkämpfe mit dem Ziel geführt werden, konkrete Verbesserungen zu erkämpfen, und dabei aufzeigen, was für eine andere Welt möglich wäre. Denn der Illusion anzuhängen, dass es irgendwann genauso wie vor der Pandemie werden kann, ist eine Illusion, wie die obige Diskussion der Weltlage aufzeigt. Zudem war dieser Zustand eh nur für einen sehr geringen Teil der Weltbevölkerung annehmbar. Beispielsweise kann das dafür notwendige Bewusstsein folgendermaßen vermittelt werden:

In Zeiten permanenter Preissteigerungen geraten selbst erfolgreiche Lohnkämpfe an ihre Grenzen. Die Forderung nach höheren Löhnen muss daher mit der nach automatischer Anpassung an die Preissteigerung verbunden werden. Da zur Zeit die Preise für die Konsumgüter der Arbeiter_Innenklasse (Mieten, Heizung, Lebensmittel) stärker steigen, als es die statistische Inflationsrate zum Ausdruck bringt, sollte durch die Gewerkschaften und Verbraucher_Innenkomitees ein Index für die reale Steigerung der Lebenshaltungskosten erstellt und immer wieder aktualisiert werden. An diesen sollten die Löhne und Gehälter angeglichen werden. Damit dies auch wirklich passiert, sollten wir uns nicht auf den Staat (und schon gar nicht auf die Ehrlichkeit der Unternehmen) verlassen, sondern müssen dazu betriebliche Kontrollkomitees – also Formen der Arbeiter_Innenkontrolle – etablieren.

So kann ein konkretes Problem – die Steigerung der Lebenshaltungskosten – für die gesamt Klasse angegangen und mit dem Aufbau von Organen der Arbeiter_Innenkontrolle, also der betrieblichen Gegenmacht, verbunden werden.

Ähnliches lässt sich auch für andere Bereiche zeigen. Die Forderung nach massiven Investitionen in den Gesundheitssektor stellt sich weltweit. Dies muss durch Besteuerung der Reichen passieren unter Kontrolle der Arbeiter_Innen selber. Hier bedarf es neben einer Erhöhung der Löhne auch einer enormen Aufstockung des Personals, um Entlastung zu schaffen.

Hinzu kommt, dass die Arbeit im gesamten Care-Sektor oftmals geringer vergütet wird, da dieser nicht im gleichen Maße Mehrwert produziert – und somit nicht auf gleicher Ebene rentabel ist. Das ist nur einer der Gründe, warum es entscheidend ist, dass die Investitionen unter Kontrolle der Beschäftigten stattfinden. Sie können aufgrund ihrer Berufsqualifikation und -erfahrung wesentlich besser entscheiden, wo Mängel im Joballtag bestehen, und hegen zeitgleich kein materielles Interesse daran, dass der Gesundheitssektor so strukturiert ist, dass er Profite abwirft. Zentral ist allerdings beim Punkt Kontrolle, dass sie nicht einfach so herbeigeführt werden kann. Damit dies nicht nur schöne Worte auf Papier bleiben, sondern sie Realität werden kann, bedarf es Auseinandersetzungen innerhalb der Betriebe, bei denen sich Streik- und Aktionskomitees gründen. Diese stellen Keimformen von Doppelmachtorganen dar, die den Weg zur Arbeiter_Innenkontrolle ebnen. Nur so kann die nötige Erfahrung gesammelt werden sowie sich das Bewusstsein entwickeln, dass die existierende Arbeit kollektiv auf die Arbeitenden aufgeteilt werden kann.

Ebenso müssen wir dafür einstehen, dass die Patente für die Impfstoffe abgeschafft werden. Es wird deutlich, dass das Vorenthalten nicht nur aktiv dafür sorgt, dass Menschen in Halbkolonien an dem Coronavirus sterben, sondern auch durch die Auswirkungen auf die Wirtschaft stärker verarmen. Ausreichend allein ist dies natürlich nicht. Die Freigabe der Patente muss mit der kostenlosen Übergabe von Wissen und den nötigen technischen Ressourcen verbunden werden – ein kleiner Schritt, der dafür sorgt, dass die stetige Abhängigkeit von den imperialistischen Ländern sich an diesem Punkt nicht weiter verfestigt. Nur so kann die Grundlage geschaffen werden, etwaige Mutationen des Virus zu verringern. Falls diese doch entstehen, erlaubt es schnelles Handeln bei der Produktion notwendiger neuer Impfstoffe. Auch dies kann nur geschehen, wenn nicht die Profitinteressen der imperialistischen Länder und Pharmaindustrie vorrangig bedient werden. Deswegen müssen auch hier die Konzerne enteignet und unter Arbeiter_Innenkontrolle gestellt werden.

Doch so einfach ist es nicht …

Dies sind Forderungen, die weltweit ihre Relevanz haben und die Grundlage für eine internationale Antikrisenbewegung legen können. Doch einfacher geschrieben als durchgesetzt. Denn wie bereits zuvor geschrieben: Es gibt Widerstände, auch innerhalb der Klasse.

Niederlagen in den Klassenkämpfen des letzten Jahrzehntes, vor allem des Arabischen Frühlings, aber auch von Syriza in Griechenland trugen eine tiefe, desillusionierende und demoralisierende Auswirkung auf die Massen mit sich. Nicht die Linke, sondern die populistische Rechte präsentierte sich in den letzten fünf Jahren immer wieder als pseudoradikale Alternative zur Herrschaft der tradierten „Eliten“. Diese konnte sich aufgrund der Passivität der Linken innerhalb der Coronakrise profilieren. So kann die Zunahme eines gewissen Irrationalismus‘ in Teilen des Kleinbürger_Innentums, aber auch der Arbeiter_Innenklasse beobachtet werden. Rechte schaffen es, die Bewegung für sich zu vereinnahmen und dort als stärkste Kraft aufzutreten – was Grundlage für ihr Wachstum ist, aber auch ihre Radikalisierung mit sich bringt.

Die Dominanz von Reformist_Innen und Linkspopulist_Innen drückt sich in einer Führungskrise der gesamten Arbeiter_Innenklasse aus. Zwar werden Kämpfe geführt, wenn es sein muss – also wenn es Angriffe gibt. Letztlich läuft die Politik der Gewerkschaftsbürokratien und der Sozialdemokratie – aber schließlich auch der Linksparteien – auf eine Politik der nationalen Einheit mit dem Kapital, auf Koalitionsregierungen und Sozialpartner_Innenschaft in den Betrieben hinaus. Die Politik des Burgfriedens sorgt dafür, dass Proteste im Zaum gehalten werden oder erst gar nicht aufkommen. Somit besteht eine der zentralen Aufgaben von Revolutionär_Innen darin, den Einfluss dieser Kräfte auf die Masse der Arbeiter_Innenklasse zu brechen.

Internationalismus

Dies geschieht jedoch nicht durch alleiniges Kundtun, dass Bürokratie & Co üble Verräter_Innen sind. Sonst wäre es schon längst im Laufe der Geschichte passiert, dass die Massen sich von diesen Kräften abwenden und automatisch zu Revolutionär_Innen werden. Deswegen bedarf es hier der Taktik der Einheitsfront, des Aufbaus von Bündnissen der Arbeiter_Innenklasse für Mobilisierungen um konkrete Forderungen. Aufgabe ist, möglichst große Einheit der Klasse im Kampf gegen Kapital und Staat herzustellen und im Zuge der Auseinandersetzung aufzuzeigen, dass die Gewerkschaftsbürokratie oder reformistische Parteien sich selbst für solche Forderungen nicht konsequent ins Zeug legen.

Entscheidend ist es also, bestehende Kämpfe und Bewegungen zusammenzuführen, die existierende Führung dieser sowie der etablierten Organisationen der Arbeiter_Innenklasse herauszufordern. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass es eine Wiederbelebung der Sozialforen gibt – diesmal jedoch nicht nur als Versammlungen zur unverbindlichen Diskussion, sondern zur beschlussfähigen Koordinierung des gemeinsames Kampfes. Doch ein alleiniges Zusammenführen von ganz vielen verschiedenen Bewegungen reicht nicht. Unterschiedliche Positionierungen, Eigeninteressen und fehlende oder falsche Analysen können zu Stagnation und letztendlich zum Niedergang dieser führen. Es braucht einen gemeinsamen Plan, ein gemeinsames – revolutionäres – Programm, für das die revolutionäre Organisation eintreten muss. Eine solche müssen wir aufbauen – in Deutschland und international.




Bolsonaro wird Brasiliens neuer Präsident – Ein internationaler Sieg für die Reaktion!

von Jonathan Frühling, REVOLUTION Kassel

Seit gestern Nacht ist klar, was sich in den letzten Wochen abgezeichnet hat. Der ultrarechte Jair Bolsonaro gewann die Stichwahl in der brasilianischen Präsidentschaftswahl. Hinter ihm hatte sich das gesamte bürgerliche Lager gesammelt: Die Polizei, die Bourgeoisie, die Justiz und auch das Militär.

Die Wahl des reformistischen Kandidaten der PT wäre zwar richtig gewesen, um Bolsonaro aufzuhalten, allerdings hat sich die PT, selbst bis 2017 an der Regierung mit neoliberalen Kürzungsprogrammen total diskreditiert. Für Brasilien und die internationale Arbeiter_Innenklasse ist das eine totale Katastrophe. Das Land ist bis heute für seine verschiedenen sozialen Bewegungen bekannt. Dieses Jahr marschierten hunderttausende Frauen für Gleichberechtigung, es gibt eine mächtige Bewegung landloser Landarbeiter_Innen, in den letzten Jahren waren durch die Bildungsbewegung zwischenzeitlich tausende Schulen und über 300 Unis besetzt, die Gewerkschaften sind zwar reformistisch, aber militant und haben letztes Jahr zu einem Generalstreik mit 30 Millionen Menschen mobilisiert!

Für die herrschenden Klasse sind diese Bewegungen ein Hindernis bei der Umsetzung ihrer neoliberalen Ausbeutungspolitik. Bolsonaro machte deshalb von Anfang an klar, welche Politik seine Regierung umsetzen würde. Er versprach offen die existierenden sozialen Bewegungen restlos zu zerschlagen. Dafür will er die Rechte der Polizei erweitern, sich auf das Militär stützen und auch Folter und scharfe Munition einsetzen. Der Staat wird sich zweifelsohne wieder in Richtung einer faschistischen Militärdiktatur entwickeln, wie es sie von 1964-1985 in Brasilien gab, welche von Bolsonaro verehrt wird. Auch steht Bolsonaro für eine us-freundliche Außenpolitik, was innerhalb der momentan stattfindenden Blockbildung ebenfalls von internationaler Relevanz ist.

Was es jetzt braucht ist ein geeinter Widerstand in einer Einheitsfront aller Unterdrückten, um Bolsonaro und die herrschende Klasse, der er dient, aufzuhalten. Das von allen großen (zentristischen) Organisationen betriebene Sektierertum ist dagegen ein Verrat am Proletariat! Auch die Frage der Selbstverteidigung gegen den massiven Anstieg politischer Morde, sowie gegen Angriffe auf Demos oder Räumlichkeiten muss auf die Tagesordnung gesetzt werden. Letztlich müssen wir jedoch selbst zum Angriff übergehen und mit einem Generalstreik die Machtfrage stellen. Für den Sieg brauchen wir aber eine Organisation nach bolschewistischen Vorbild, die die Klasse auch in diesen schweren Zeiten führen und zum Sieg verhelfen kann.

Internationale Solidarität ist dabei sehr wichtig, um die Entschlossenheit und den Glauben an einen Sieg unter den Lohnabhängigen zu steigern. Wir verfolgen den Kampf unserer Klassenschwestern und -brüder mit großer Besorgnis, aber auch mit großer Hoffnung auf einen Sieg.

Ihr seid nicht alleine! Sieg dem Sozialismus! Hoch die internationale Solidarität!




Antifaschistischer Protest in Chemnitz – ein erster Schritt auf einem langen Weg

VON GEORG ISMAEL

Diese Analyse der Proteste in Chemnitz wurde gemeinsam durch Revolution und Gruppe ArbeiterInnenmacht ausgearbeitet, da beide Gruppen zusammen an den Gegenprotesten teilgenommen haben.

Am Samstag, dem 1. September 2018, wollten die Rechten erneut in Chemnitz aufmarschieren. Die AfD-Landesverbände Sachsen, Thüringen und Brandenburg, die „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ (PRO CHEMNITZ), Pegida und die gesamte Fascho-Szene um Gruppierungen wie den „Dritten Weg“ versuchten erneut, den Tod des Antirassisten Daniel H. für sich zu instrumentalisieren. Seit einer Woche verbreiten sie dreiste Lügen und versuchen den Umstand, dass ein Iraker und ein Syrer der Tat beschuldigt werden, zur rassistischen Hetze. Bereits am Sonntag, dem 26. August, mobilisierten die FaschistInnen mit freundschaftlicher Unterstützung der AfD einen rassistischen Mob, der MigrantInnen verfolgte. Am Montag, dem 27. August, organisierten sie eine Demonstration, auf der nationalsozialistische Parolen ertönten, der Hitler-Gruß demonstrativ gezeigt wurde, und die in Hetzjagden auf Flüchtlinge, MigrantInnen und Linke in Chemnitz endete.

In der gesamten Bundesrepublik gab es daraufhin kurzfristige und spontane antifaschistische Mobilisierungen, die beispielsweise in Berlin 10.000 TeilnehmerInnen auf die Straße brachten. Doch unter der Woche behielten die FaschistInnen in Chemnitz die Oberhand, die in der Region auf starke Strukturen und eine enge Verbindung in die Hooligan-Szene der Fußballvereine hinein zurückgreifen können.

An diesem Wochenende wollten die Rechten eine weitere Demonstration ihrer Stärke abliefern. PRO CHEMNITZ hatte eine Kundgebung angemeldet, die AfD einen „Trauermarsch“ über den Innenstadtring. An der Aktion beteiligten sich mehr als 6.000 Rechte – ein weiteres schauriges Beispiel dafür, wie eng die Nazi-Szene und die AfD miteinander kooperieren. Beide wollen den Rechtsruck für ihre Ziele und die Stärkung ihrer Organisationen nutzen und durch Mobilisierungen weiter vertiefen. Ihren AnhängerInnen und WählerInnen wollen sie über die Demonstration ihrer Stärke auf der Straße und durch extreme rassistische Hetze ein Gefühl der Stärke vermitteln. Ihre GegnerInnen trachten sie einzuschüchtern – mit Demagogie, Verleumdung und nackter Gewalt. Angriffe auf Geflüchtete, deren Unterkünfte, Kontrolle über die Straßen zielen auf deren Vertreibung – und sei es mit dem Mittel der Menschenjagd.

Über die Gefahr, die von rechts droht, sollte sich nach den Tagen von Chemnitz niemand mehr im Unklaren sein.

Gegenmobilisierung

Tausende AntifaschistInnen aus Sachsen und dem Bundesgebiet hatten die Zeichen der Zeit immerhin in dieser Hinsicht erkannt und wollten am Samstag ein Zeichen setzen. Die OrganisatorInnen des Weltfriedenstages hatten sich richtigerweise kurzerhand entschlossen, den Kundgebungsort ihrer Versammlung an der Johanneskirche direkt am Ring für eine antifaschistische Kundgebung zur Verfügung zu stellen. Insgesamt versammelten sich unseren Schätzungen nach vielleicht bis zu 8.000 AntifaschistInnen in Chemnitz.

Die Mobilisierung wurde jedoch stark erschwert durch die Unsicherheiten der Anreise. Die meisten aus dem Bundesgebiet waren auf eine Anreise mit Autos oder der Bahn angewiesen, da sich Unternehmen weigerten, Busse an AntifaschistInnen zu vermieten. Im Zweifelsfall ist den Bürgerlichen ihr Eigentum wichtiger als der Widerstand gegen faschistische Straßenmobilisierungen. Ein gutes und praktisches Beispiel, warum jede Illusion in das Bürgertum im Kampf gegen die FaschistInnen fatal ist. So blieben zur Anreise nur Autos und Kleinbusse oder die Bahn, wobei Übergriffe durch die Rechten zu befürchten und Schikanen durch die Polizei bei der Anreise vorprogrammiert waren. Dennoch gab es gemeinsame Anreisepunkte in Dresden und Leipzig, an denen sich Tausende, vor allem junge Menschen, beteiligten.

Derartige Mobilisierungen sind kurzfristig ohnedies schwer. Zusätzlich hat die reaktionäre Gewalt, die von den Rechten und Nazis in den letzten Tagen ausging, offenkundig viele Menschen abgeschreckt und dazu gebracht, nicht nach Chemnitz zu fahren, da sie als vereinzelte Individuen oder kleine Gruppen sicher auch Angst hatten.

Dieses Problem kann durch kleine Gruppen allein nicht gelöst werden. Möglich wäre dies jedoch, wenn Massenorganisationen diese ernsthaft politisch, organisatorisch und finanziell unterstützen würden. Meinen es Gewerkschaften, Linkspartei oder SPD Ernst mit ihrem Antifaschismus, sollten sie in Zukunft ihre Kapazitäten nutzen, um gemeinsame Anreisen zu organisieren, öffentlich zu den Aktionen aufrufen und engagiert mobilisieren. Wenn es kleinen antifaschistischen und revolutionären Gruppierungen möglich war, die Anreise dutzender oder hunderter Mitglieder und SympathisantInnen zu organisieren, welche Möglichkeiten hätten Strukturen wie die LINKE mit 70.000, die SPD mit rund 460.000 oder der DGB mit sechs Millionen Mitgliedern?

Es wäre zudem möglich gewesen, Sporthallen, Säle oder andere Unterkünfte in Sachsen und in Chemnitz zur Verfügung zu stellen, um den Widerstand erfolgreicher und wehrhafter zu gestalten. Aber es ist nicht nur eine logistische, sondern eine politische Frage der antifaschistischen Selbstverteidigung. Die Linke, und alle ArbeiterInnenorganisationen müssen ihre Demonstrationen, Veranstaltungen und Gegenproteste absichern können. Dazu gehört nicht nur die Aktion selbst, sondern auch die An- und Abreise der TeilnehmerInnen.

Dabei können wir uns nicht auf die Polizei verlassen. Viele weitere Tausend, die sich aus Angst vor faschistischen Übergriffen nicht an den Gegenprotesten beteiligten, beweisen das. Für die Zukunft braucht es daher den Aufbau solcher Komitees zum Selbstschutz, die in den Betrieben, Schulen und im Stadtteil verankert sind, die sowohl mobilisieren, Veranstaltungen schützen und den Kampf gegen die FaschistInnen strukturieren können.

Die radikale Linke sollte nicht nur praktisch etwas für deren Aufbau tun. Sie muss diese Notwendigkeit in der ArbeiterInnenklasse und unter den Unterdrückten politisch vermitteln, diese offen durch klare Argumente überzeugen. Dazu gehört auch die politische Auseinandersetzung mit der LINKEN, der SPD und dem DGB und die Aufforderung an diese Organisationen, den Aufbau antifaschistischer und antirassistischer Selbstverteidigungsorgane in Zusammenarbeit mit Geflüchteten und MigrantInnen anzugehen. Das mag angesichts der reformistischen und chauvinistischen Politik von deren Führungen als eine unlösbare oder utopische Aufgabe erscheinen. Und zweifellos werden diese das „staatliche Gewaltmonopol“ und „unsere Polizei“ als Schutz gegen die Nazis ins Feld führen.

Doch spätestens nach Chemnitz und den offenen Verstrickungen der Staatsorgane in die rechte Szene sollten GewerkschafterInnen, SozialdemokratInnen und alle Linken ihre Hoffnungen auf den „antifaschistischen“ Schutz durch die Polizei begraben. Außerdem haben manche Mitglieder und WählerInnen der SPD und der Linkspartei am letzten Wochenende einmal mehr erleben müssen, dass sich die FaschistInnen nicht darum kümmern, ob Menschen die Fahne der Antifa oder der SPD tragen.

Vor Ort

Während des Tages gelang es AntifaschistInnen, den Innenstadtring an zwei Punkten zu besetzen. Nahe der Johanneskirche war dies insbesondere aufgrund der gemeinsamen Initiative der GenossInnen von ArbeiterInnenmacht und Revolution in Absprache mit AktivistInnen der SAV und der linksjugend [’solid] möglich. Dieser Blockade schlossen sich im Verlauf rund 1.000 Menschen an. Über diesen „Brückenkopf“ gelang es in der Folge weiteren AntifaschistInnen, auf die andere Seite des Rings zu kommen. Das Resultat war, dass die AfD ihre Route ändern und umdrehen und gegen 20 Uhr ihre Versammlung für beendet erklären musste.

Die Polizei war diesmal mit einem massiven Aufgebot aus dem gesamten Bundesgebiet präsent. Zweifellos wollten das Land Sachsen und die Bundesregierung demonstrieren, dass sie die „Lage unter Kontrolle“ haben. Davon kann freilich nur bedingt die Rede sein. Die Rechten und FaschistInnen waren überaus aggressiv. Am Rande der Aktionen und abends kam es auch zu Übergriffen auf Linke oder abziehende DemonstrantInnen.

Gegenüber den AntifaschistInnen und linken Blockaden ging die Polizei mit Schikanen und auch Repression vor. So wurden ankommende DemonstrantInnen am Bahnhof festgehalten und konnten erst nach längerer Wartezeit zum Kundgebungsplatz gelangen. Dort versuchte die Polizei, die Straße zuerst für den rechten Aufmarsch frei zu halten. Dies gelang nicht – auch weil eine Räumung der Blockade wahrscheinlich eine solche der gesamten Protestkundgebung bedeutet hätte, auf der auch SPD, Grüne, Linkspartei, KirchenvertreterInnen usw. sprachen. Sicherlich sollte vermieden werden, an diesem Platz „unglückliche“ Bilder zu erzeugen.

Es nimmt daher kein Wunder, dass gegen die zweite Blockade viel massiver vorgegangen wurde. Hunderte Menschen wurden stundenlang eingekesselt und viele überdies erkennungsdienstlich behandelt.

Gleichzeitig gelang es aber auch hunderten FaschistInnen, aus dem Demonstrationszug der Rechten auszubrechen, um sich auf direktem Weg zu den Gegenprotesten zu begeben. Im Verlauf des Tages kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit diesen in der Chemnitzer Innenstadt.

Während wir keine Illusionen in die Polizei und den „Rechtsstaat“ haben, wie ihn LINKE, Grüne und SPD auf der Bühne an der Johanneskirche beschworen, müssen wir uns auch kritisch mit dem Stand unserer eigenen Bewegung auseinandersetzen. Bei einer direkten Konfrontation mit den FaschistInnen hätte sich der antifaschistische Protest nur schwer behaupten können – trotz wahrscheinlich knapper Überzahl. Bereits die Tatsache, dass sich die Mehrheit der TeilnehmerInnen am Johanneskirchplatz nicht der Blockade auf der Straße anschloss, zeigt, wie defensiv und eingeschüchtert die ArbeiterInnenbewegung ist, wie groß aber auch die verbliebenen Illusionen oder Hoffnungen in den „Rechtsstaat“ noch sind.

RednerInnen von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION wiesen bei der Blockade auf diesen Umstand mehrmals durch das Megaphon hin. Sie riefen zur Notwendigkeit einer antifaschistischen Einheitsfront und massenhaft organisiertem Selbstschutz unserer Klasse auf. Sie betonten dabei die Notwendigkeit, in praktischen Fragen mit der LINKEN, der SPD und dem DGB sowie allen Organisationen der Linken zusammenzuarbeiten. Sie unterstrichen aber auch, dass am Ende des Tages nur Klassenkampf die FaschistInnen aufhalten könne. Jede Abschiebung, jede anti-soziale Reform, jede Kürzung durch SPD und LINKE in den Regierungen, jede sozialpartnerschaftliche Verräterei durch die Gewerkschaftsführung schwächt die Kampfkraft der ArbeiterInnenbewegung und desillusioniert noch mehr Lohnabhängige. Das stärkt die FaschistInnen, die an die Verzweiflung, die wirkliche oder vermeintliche Abstiegsangst der Mittelschichten, von Arbeitslosen wie auch frustrierten Schichten der ArbeiterInnenschaft appellieren. Die Rechten sammeln diese Menschen auf der Basis gesellschaftlicher Verzweiflung, die sie rassistisch formieren.

Bedauerlicherweise konnte es sich die FAU Dresden nicht verkneifen, sich schützend vor die reformistische Führung zu stellen und unsere RednerInnen als „autoritäre AntisemitInnen“ zu beschimpfen, weil wir für die Solidarität mit unterdrückten Nationen und den Aufbau einer kommunistischen Organisation eintreten. Während wir es begrüßen, dass sich die SPD, die LINKE, der DGB aber auch Organisationen wie die FAU an dem Protest beteiligten, denken wir, dass unser Antifaschismus nur erfolgreich sein kann, wenn er in den Kontext einer revolutionären Strategie gestellt wird. Rassismus und Faschismus – und damit rechts-populistische wie faschistische Parteien – können nämlich nicht nur durch Gegenmobilisierungen auf der Straße gestoppt werden. Vielmehr müssen wir auch die gesellschaftlichen Ursachen für ihr Wachstum angehen – und diese liegen im Kapitalismus selbst. Dementsprechend nehmen wir uns auch weiter „das Recht heraus“, unsere Ansichten bekannt zu machen.

Unter den gegebenen Umständen erzielten wir am 1. September einen Teilerfolg. Es war überaus wichtig, all jenen, die sich den RassistInnen der AfD, den offenen NationalsozialistInnen um den „Dritten Weg“ oder den Kameradschaften in Chemnitz und Sachsen entgegenstellen wollten, zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Solidarität war für alle, die nach Chemnitz fuhren, kein leeres Wort. Es war auch wichtig zu zeigen, dass Widerstand möglich ist. Die Blockaden waren auch eine einschlägige Erfahrung für viele. Immerhin konnten die FaschistInnen und RassistInnen an diesem Tag nicht ungehindert marschieren, jagen und hetzen. Aber unsere Bewegung hat noch einen weiten Weg vor sich. Sie muss nicht nur größer, sondern auch besser organisiert und bewusster werden. Das bedeutet nicht nur, auf eine direkte Konfrontation mit den FaschistInnen vorbereitet zu sein, sondern auch, sich der Ursachen des Rechtsrucks, des Zulaufs für die AfD-RassistInnen und FaschistInnen bewusst zu werden. Nur so wird es möglich sein, dem Kampf gegen den Faschismus eine organisierte, militante und anti-kapitalistische Stoßrichtung zu geben.




Bankrott – aber nicht am Ende!

Quelle: Scharf-Links

Warum also nicht etwas riskieren, Widerstand organisieren oder einen Aufstand wagen, einen kleinen oder auch größeren, so oder ähnlich dürften derzeit viele denken in Spanien, in Griechenland. Und sie tun es, die Mineros (Minenarbeiter_innen in Asturien), die Stahlarbeiter_innen in Thessaloniki und viele, viele andere Jugendliche, Arbeitslose, Arbeiter_innen, Rentner_innen in ganz Europa – hunderttausende, bis zu 800.000 waren es am 19. Juli in Madrid, mehrere Millionen waren es letzte Woche in Portugal und Spanien. Sie müssen befürchten, dass es für sie nach Jahren steigender Arbeitslosigkeit, sozialer Angriffe, Kürzungen in Bildung, Gesundheit, Rente nun noch viel schlimmer kommt, denn das ist der Plan ihrer Regierungen, der EU und ganz besonders „unserer“ Frauen und Herren Merkel und Rösler. Doch dieser Plan kann gestoppt werden, und dass hierfür der erste Schritt bereits getan ist, das zeigen die hektischen Reaktionen der rechten deutschen Presse, die ein „Umkippen“ Spaniens befürchtet. Sind die Proteste also bloß Ausdruck einer Verzweiflung angesichts des unvermeidlichen Bankrotts?

Nein, sie sind vielmehr die richtige und notwendige Reaktion – auf den Versuch der herrschenden Kapitalist_innen, ihre Krise in unseren Ruin zu verwandeln. Der Kampf gegen Sparprogramme und „Bankenrettung“ kann erfolgreich sein, und so er das in Spanien und Griechenland nicht ist, werden auch uns derartige Angriffe nicht erspart bleiben. Von den Zuständen manch anderer Länder – in Griechenland und Spanien sind mehr als die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos – sind wir in Deutschland weit entfernt. Doch die Durchsetzung der gewaltigen Sparprogramme dort würde die Situation für uns nicht etwa verbessern – ganz im Gegenteil wären die deutschen Kapitalist_innen ermutigt, auch uns solche Einschnitte aufzuhalsen: Denn sie wissen, dass sie hauptsächlich deswegen besser dastehen, weil bereits seit Jahren die Löhne in Deutschland stagnieren und Hartz 4, Agenda 2010 und Leiharbeit höhere Profite als anderswo erlauben. Und umgekehrt ist das Fehlen von massenhaftem Widerstand in Deutschland, vor allem das weitestgehende Stillhalten von Gewerkschaften und der Partei „DIE LINKE“ mit dem Ziel, „friedlich und ruhig“ durch die Krise zu kommen, nicht nur ein schändlicher Verrat an der Bevölkerung in „Krisenländern“, sondern wird auf uns selbst zurückfallen, sobald Griechenland und Spanien „abgehakt“ ist. Der Kampf gegen die Politik der Bundesregierung ist daher jetzt notwendig – es ist falsch, erst auf die „Zuspitzung der Lage“ zu warten (wie manche linke Reformist_innen in Deutschland, aber auch SYRIZA in Griechenland)  oder – wie die DGB-Gewerkschaften in den Tarifrunden vormachen – „verantwortungsvoll“ gemeinsam mit den Kapitalist_innen die Krise „auszustehen“. Verantwortungsvoll ist dies nur vom Standpunkt der Ausbeuter, den Kapitalist_innen.

Für den Kampf gegen die Krise schlagen wir folgende Schritte vor:

  • Europaweite Mobilisierung gegen Fiskalpakt, Sparpaket, Bankenrettung! In ganz Europa muss 2012 ein Herbst des Widerstandes werden!
  • Generalstreiks in Spanien und Griechenland sind in der Diskussion. Diese sind notwendig, wenn die Verarmung gestoppt werden soll!
  • Solidaritätsstreiks auch in Deutschland! Überhaupt jeder Arbeitskampf, jede Demo muss auch Solidarität mit Spanien und Griechenland zum Ausdruck bringen!
  • Unterstützung muss praktisch werden: Solidaritätskomitees in jeder Stadt! Kampf der nationalistischen Hetze gegen Griechenland! Materielle Unterstützung für die griechische Arbeiter_innenklasse, wo der Kampf dies erfordert!
  • Aktionstag „UMfairTEILEN“ am 29. September: Alle auf die Straße, in jeder Stadt! Bildet Vorbereitungskomitees!
  • Schluss mit dem Stillhalten der Gewerkschaftsführungen! Ernsthafte Mobilisierung, klassenkämpferische Opposition von unten!
  • Für eine europaweite Konferenz der Linken, Arbeiter_innen- und Jugend-Aktivist_innen zur Verstärkung des Kampfes gegen die Krise – beteiligt euch vom 08.-11. November an „Florenz 10+10“. Macht es mit uns zu einer europaweiten Aktionskonferenz unseres Widerstandes!



Post aus Athen – Griechenland am Scheideweg

Am morgigen Tag findet ein weiterer Generalstreik in Griechenland statt. Fast 20 Generalstreiks hat das Land seit Ausbruch der Krise 2007 gesehen – fast keine der elementaren Angriffe konnte bisher verhindert werden. Im Zusammenhang mit der sich zuspitzenden Lage und der aktuellen Solidaritätskampagne unserer Organisation veröffentlichen wir daher den Bericht unserer Genossin Sonja Spunk, den sie im August 2012 nach ihrem 3 wöchigen Aufenthalt in Athen verfasste.

Nirgendwo sonst fanden in Europa so heftige Klassenkämpfe statt wie in Griechenland in den letzten 3 Jahren – Stahlwerke und Krankenhäuser werden besetzt und unter Arbeiterkontrolle gestellt, ein Generalstreik folgt dem anderen, riesige Massendemonstrationen lassen die Straßen von Athen beben und brennen, es kommt zu brutalen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Protestierenden.

REVOLUTION organisiert Solidaritätsdelegationen nach Griechenland.

Doch diese Kämpfe nur zu heroisieren, Solidarität nur Kund zu tun, indem man Bilder auf Facebook teilt und im viel zu ruhigen Deutschland darauf zu warten, dass die Griechen das Ding schon schaukeln werden, hilft niemandem. Denn wenn man genauer hinsieht, entstanden diese Kämpfe nicht als eine spontane Idee von einigen Jugendlichen, die Lust auf Krawall hatten, sondern sie drücken den Willen der Unterdrückten in Griechenland aus, die seit Beginn der Krise 2008 immer weiter in Armut und Elend gedrängt werden. Der Wille nach einem Leben,dass nicht vom auf und ab der kapitalistischen Wirtschaft bestimmt ist, sondern nach einer Zukunft, die man selbst in die Hand nehmen kann.

Um einen Eindruck von den griechischen Lebensverhältnissen zu bekommen, mit Aktivisten zu sprechen, über unsere eigenen Vorschläge für Griechenlands Zukunft zu diskutieren und um an Aktionen teilzunehmen haben wir von REVOLUTION gemeinsam mit der Liga für die 5. Internationale Anfang Juli begonnen, Solidaritätsdelegation nach Athen zu schicken, die bis Ende August mit wechselnder Besetzung vor Ort sein werden. Was nun folgt, ist ein Bericht über die Eindrücke, die wir während unserer Zeit in Griechenland gewonnen haben, sowie die Schlüsse,die wir daraus ziehen.

Betrachtet man zu erst einmal das Stadtbild von Athen, und damit meinen wir nicht die touristischen Einkaufsmeilen oder die Akropolis, sondern die normalen Wohnbezirke, ist man doch erstaunt, wie groß das Gefälle des Lebensstandards innerhalb von Europa ist. Zerfallene Häuser reihen sich an geschlossene Geschäfte vor denen Bettler sitzen, die noch weniger haben als die erst kürzlich obdachlos gewordenen, die noch viel von dem Hausrat bei sich haben, der aus ihrer alten Wohnung stammt. Man muss auch nicht in den hintersten Winkel der Stadt gehen, um Drogenabhängige sich Heroin spritzen zu sehen, als Student der Polytechnischen Universität wird man von ihnen an der Eingangstür begrüßt.

Athen macht keinen Hehl daraus, heruntergekommen und von der Krise schwer getroffen zu sein, es wirkt fast so als wolle es allen, die hierherkommen, sagen: „So sieht Wettbewerb und Marktwirtschaft auf der Seite der Verlierer aus!“ Aber die Armut hat keineswegs den Nachgeschmack der Hoffnungslosigkeit oder der Ohnmacht der Gesellschaft, ganz im Gegenteil. Was aus diesen Zuständen erwächst ist Widerstand und Kampfgeist. Der Wille, für eine bessere Zukunft zu kämpfen, denn was hat man schon zu verlieren?

Tsipras: Held oder doch eher Heuchler?

SYRIZA, die größte linke Partei, die bei den letzten Wahlen beinahe die konservative Nea Demokratia vom Throne der Regierung geschubst hätte, gewann in den letzten Monaten viele Mitglieder und Sympathisanten. Ihre Forderung nach einem sozialen Griechenland der Arbeiter_innen, der Menschen und nicht des Kapitals, traf auf breite Unterstützung. Die fehlenden drei Prozent zum Wahlsieg, hätten kein Hindernis für SYRIZA sein sollen, um auch nach der Wahl den Kurs Richtung Antikapitalismus zu halten, gegen die neue Regierung zu mobilisieren und sich auf die Basisstrukturen zu stützen, die die griechische Bevölkerung aufgebaut hat, um sich selbst zu organisieren.

Stattdessen sieht SYRIZAs Parteivorsitzender Tsipras tatenlos zu, wie die Regierung neue Angriffspläne schmiedet, wie zum Beispiel das bereits durchgesetzte Sparpaket in Höhe von 11,5 Mrd. Euro, die durch geringere Renten und massenhafte Entlassungen zusammenkommen sollen oder der Plan eine 6-tägige Arbeitswoche einzuführen.

Antarsya, das kleine und radikalere linke Bündnis, eine Allianz aus 10 Gruppen, lag bei den letzten Wahlen zahlenmäßig unter einem Prozent. Auf der Straße scheinen sie jedoch bei sämtlichen Aktionen ganz vorne mit dabei zu sein. Ein Beispiel war die antifaschistische Demonstration in Nikea, einem stark migrantisch geprägten Viertel von Athen, das Mitte Juni von Faschisten und der Polizei pogromartig angegriffen wurde. Am 05. Juli fand dort eine Demonstration statt, bei der klar wurde, dass die Migrant_innen in Zukunft mit ausnahmslos allen Mitteln bereit seien, sich selbst und ihren Stadtteil zu verteidigen. Antarsya-Mitglieder waren dort zahlenmäßig gut vertreten und mobilisierten zu der Demonstration, jedoch gibt es auch von ihnen keinen entschlossenen Schritte in Richtung des Aufbaus gemeinsamer Selbstverteidigungsstrukturen für Migrant_innen und linker Aktivist_innen, die im Angesicht der immer stärker werdenden Faschist_innen  nun immer notwendiger werden.

Ebenso wenig Ruhm verdiente sich bisher die stalinistische KKE. So radikal manche ihrer Thesen auch sein mögen, reicht es doch nicht aus, sich in seinem Büro zu verschanzen und darauf zu warten, dass die revolutionären Massen von ganz alleine zu einem strömen. Sie lehnt gemeinsame Aktionen mit anderen Organisationen meist ab, organisiert nur eigene Demonstrationen und auch bei dem jährlich stattfindenden Antirassismus-Festival, bei dem diesen Sommer 30.000 Besucher teilnahmen, ließ sie sich nicht blicken. Als vermeintlich revolutionäre Kraft hätte sie die Pflicht – gerade unter dem Anbetracht, dass sie einen erheblichen Organisationsgrad unter der industriellen Arbeiterklasse besitzt – jeden Kampf mit aller Kraft zu unterstützen, um die Arbeiter_innen zum Sieg zu führen. Stattdessen versteckt sie sich und mobilisiert ihre Basis nur zu symbolischen Aktionen außerhalb der praktischen Bewegung. Nur um das theoretische Potential der KKE und wie sie damit umgeht, aufzuzeigen erinnern wir an den Streik der Stahlarbeiter in Chalivourgia. Beispielsweise schaffte sie es gemeinsam mit der ihr nahe stehenden Gewerkschaft „PAME“ innerhalb kürzester Zeit, eine Demonstration von 30.000 auf die Straße zu bringen, die gegen die Räumung des besetzten und seit 9 Monaten bestreikten Stahlwerks in Chalivourgia protestierten. Über eine Demonstration schienen die Führer jedoch nicht hinaus gehen zu wollen, weder Syntagma noch Omonia wurden besetzt, das Stahlwerk nicht zurückerobert.

Doch bei aller Kritik an den politischen Mängeln der einzelnen Organisationen – Wie erreicht man nun sein Ziel, wenn scheinbar keine Organisation genügend Durchschlagskraft besitzt?

Die griechische Arbeiterklasse darf sich weder von ihren falschen politischen Führern, noch von der herrschenden Klasse aufhalten lassen, will sie ihrem Elend ein Ende bereiten!

Schuld sind nicht die Mitglieder, die, wie manche behaupten, gar keine Lust hätten, die Regierung zu stürzen und die Macht in ihre Hand zu nehmen. Schuld tragen die Führungen dieser Organisationen, die sich manchmal nicht einmal ihres genauen Zieles, manchmal aber auch nur nicht dem Weg dorthin bewusst sind. Tsipras spricht nicht offen davon, eine Arbeiterregierung und eine Rätedemokratie in Griechenland zu erkämpfen. Es wüsste auch gar nicht wie, denn er setzt er auf den parlamentarischen Weg, auf seine Rolle als „verantwortungsvolle Opposition“. Seine Basis will aber sicherlich nicht bis zur nächsten
Wahl abwarten und alle Maßnahmen ertragen, die die neue Regierung zur Zufriedenheit der Bourgeoisie erlässt.

Was die Arbeiter_innen, die Jugend und andere Unterdrückte zum Erfolg, also zur Umsetzung ihrer Forderungen bringen würde, wären riesige Proteste, die sich auf alle Basiskomitees, Aktions- und Streikkomitees stützen würden. Ein unbefristeter Generalstreik, der die gesamte Wirtschaft zum Stillstand bringt und enormen Druck gegen die Herrschenden aufbaut – letztlich die Frage der Macht in der griechischen und europäischen Gesellschaft stellen würde – muss angekündigt werden. Alle linken Organisationen, Migrantenorganisationen, Jugendorganisationen, Arbeiter_innen und Arbeitslose müssten zusammen eine demokratisch gewählte Arbeiterregierung aufbauen, die der Bourgeoisie, der EU, Merkel & Co. die Stirn bieten kann. Sie müsste sich selbst verteidigen gegen die Polizei der Herrschenden, gegen das Militär und die Faschisten. Nur auf diesem Weg, durch die gemeinsame Aktion aller Unterdrückten kommt man dem Sieg gegen die Kapitalisten von Europa, die Griechenland unter ihrer Führung behalten wollen, einen Schritt näher.

Griechenland ist der beste Beweis, dass man im Parlament keinen Kapitalismus reformieren kann, dessen einziges Ziel es ist, die Wirtschaft und die Gesellschaft und die Kontrolle der Besitzenden zu stellen, während die Arbeiter_innen den eigentlichen gesellschaftlichen Reichtum produzieren. Die Mehrheit der Bevölkerung will keine Sparmaßnahmen diktiert bekommen, aber im Parlament scheint das niemanden zu interessieren. Schon das allein zeigt, wie demokratisch dieses Parlament, das über dem Syntagma Platz erhebt, wirklich ist.

Doch kann man die Griech_innen nicht alleine kämpfen lassen, denn auch ein noch so sozialistisches Griechenland wäre in Europa vollkommen von der Wirtschaft isoliert und würde in kürzester Zeit zusammenbrechen, bliebe es isoliert. Deshalb müssen alle europäischen Arbeiter_innen gegen ihre bürgerlichen Regierungen kämpfen, um Solidarität organisieren zu können und überhaupt Handelsbeziehungen mit Griechenland aufrecht erhalten können. Diese Kämpfe müssen international koordiniert werden, von Gewerkschaften, von Jugendorganisationen, von Arbeiterparteien in einer neuen, fünften Internationale Seite an Seite mit einer revolutionären Jugendinternationale!

Ein Artikel von Sonja Spunk, REVOLUTION Ulaan Bataar




Ein neues Schuljahr – Wie weiter im Kampf gegen Bildungsabbau?

Wir veröffentlichen hier ein Interview über die aktuellen Bildungsproteste, das Genoss_innen der Gruppe Arbeitermacht mit einem unserer Mitglieder führten und auch auf der Arbeitermachthomepage veröffentlicht wurde. Das Interview wurde mit Robert Teller über momentane Probleme, internationale Kämpfe und revolutionäre Perspektiven für die Kämpfe der Jugend um das Thema Bildung geführt.

Arbeitermacht (AM): Revolution war in den letzten Jahren eine der aktivsten Gruppen bei der Organisierung von Bildungsstreiks und Aktionen. 2011/12 gab es jedoch eine erkennbare Abschwächung der Bewegung an Unis und Schulen. Auf der diesjährigen REVO-Konferenz wurde über die Ursachen dieser Entwicklung diskutiert. Worin seht ihr die Hauptursachen?

Von REVOLUTION mitorganisierter Protestzug von Schüler_innen durch Pankow

Von REVOLUTION mitorganisierter Protestzug von Schüler_innen an einer Schule in Pankow, beim Schulstreik 2011 in Berlin

Robert: Das größte Problem in der Bildungsstreikbewegung ist, dass in den Kämpfen der letzten Jahre keine dauerhaften Organisationsstrukturen gebildet wurden, die eine gezielte Kampagne gegen Bildungsabbau u.a..Angriffe auf die Rechte der Jugend führen könnte. Es gibt in Deutschland viele tausend Jugendliche, die bereit sind, mit allen Mitteln für ihr Recht zu kämpfen. Es gab ein- oder mehrtägige Streiks und sogar anhaltende Besetzungen in den Unis. Doch bisher haben wir nur wenige Forderungen durchsetzen können, und diese wenigen Erfolge wurden von manchen Gruppen als Vorwand genommen, die Bewegung für beendet zu erklären.

Wir – und dies gilt für die große Mehrheit der AktivistInnen in der Bewegung – meinen, dass der Kampf weitergehen muss. Hierfür müssen wir aber die Fehler der Vergangenheit benennen und Schlüsse für die Zukunft ziehen. Wenn eine Belegschaft streikt, um z.B. Lohnforderungen durchzusetzen, dann tut sie das solange, bis sich die „Arbeitgeber“ gezwungen sehen, die Forderungen zu akzeptieren. Wenn der Druck nicht ausreicht, müssen sie alles daran setzen, sich mit anderen Belegschaften zu verbinden, demokratisch gewählte Streikleitungen zu bilden und all jene mit in den Kampf zu ziehen, die ihnen solidarisch gegenüberstehen und ähnliche Interessen haben. Es ist die erste Aufgabe jeder Bewegung, ihre Organisation auf ein stets höheres Niveau zu heben, um die Kampfkraft zu erhöhen, bestehende AktivistInnen zu dauerhaften KämpferInnen zu machen und in kommenden Aktionen alle anderen Unterdrückten, die bisher nicht aktiv waren, zu gewinnen.

AM: Auch in den letzten Wochen und Monaten gab es Schulstreiks, z.B. in Dresden und Solingen. Aber diese scheinen wenig miteinander koordiniert zu sein. Was schlagt ihr vor, um diese Aktionen zu verbinden und bundesweite Strukturen aufzubauen?

Bildungsstreik in Solingen am 29 Jnui 2012 in Solingen.

Robert: Wir brauchen in der Bildungsstreikbewegung Organisationsstrukturen, die von allen AktivistInnen gewählt und abgewählt werden können und in deren Auftrag den Kampf vereinheitlichen und vorantreiben. Die Bildungsstreik-Konferenzen müssen verbindlichen Charakter haben. Es bringt nichts, sich für zwei Tage zu treffen und die meiste Zeit darüber zu diskutieren, ob Mehrheitsentscheidungen undemokratisch sind oder ob es den Anwesenden erlaubt ist, nichtvegane Nahrung zu essen.

Die Konsens-BefürworterInnen haben offenbar nicht begriffen, dass die Bewegung konkrete Aufgaben zu erfüllen hat: Millionen von Jugendlichen vegetieren in sinnlosem Schulunterricht, Billigjobs oder Arbeitslosigkeit. Sie sind täglicher Repression durch LehrerInnen, Chefs oder Behörden unterworfen. Diese ungerechten und unterdrückerischen Verhältnisse zu bekämpfen ist unsere Aufgabe, und wir müssen von allen linken Kräften, auch von Reformisten wie DIE LINKE und den Gewerkschaften einfordern, jede nur mögliche Unterstützung zu leisten. Ein großes Problem der Jugend ist, dass es keine gemeinsame Interessenvertretung gibt, wie es bei den ArbeiterInnen die Gewerkschaften sind. Wir wollen daher eine SchülerInnengewerkschaft aufbauen. Diese sollte eine dauerhafte Basis für alle Jugendkämpfe darstellen, nur von diesen Jugendlichen kontrolliert sein und zugleich – wie die ArbeiterInnengewerkschaften – Schutz vor individueller Repression durch LehrerInnen oder den Staat bieten.

AM: Welche Forderungen und welche Organisationsformen schlagt ihr zum Aufbau einer bundesweiten Bewegung vor? Wie sollen Unverbindlichkeit und mangelnde Kontinuität überwunden werden?

Robert: Es sollten regelmäßige bundesweite Konferenzen stattfinden, die allen AktivistInnen offenstehen. Sie sollten durch Mehrheitsentscheid bestimmen, welche Aktionen für welche Ziele als nächstes stattfinden, mit welchen Mitteln wir für welche Forderungen kämpfen.Die Entscheidungen müssen verbindlich sein. Es muss für alle TeilnehmerInnen möglich sein, Anträge einzubringen, die diskutiert und abgestimmt werden. Es darf keine politische Steuerung durch „Vorbereitungsgruppen“ o.ä. geben.

Entscheidungen sollten demokratisch diskutiert, allerdings auch zielgerichtet getroffen werden, damit die Bewegung sich durch die praktischen Erfahrungen entwickeln und definieren kann!

Unsere Forderungen in der Bildungsbewegung haben wir im „Aktionsprogramm Bildung“ dargelegt. Dazu gehören beispielsweise die Neueinstellung von 100.000 LehrerInnen, Sofortinvestitionen von 40 Mrd. Euro und die Verkleinerung der Klassen auf max. 20 SchülerInnen. Dazu gehört die Abschaffung des dreigliedrigen Schulssystems und die Durchsetzung von Lehr- und Lernmittelfreiheit, also freier und kostenloser Zugang zu den Schulen. Wichtig sind jedoch auch Forderungen wie das Streikrecht für SchülerInnen und LehrerInnen, Freiheit der Organisation und Propaganda an Schulen und Verbot aller schulischen Repressionsmaßnahmen, denn heute ist unser Kampf durch die Willkür und der Schulbehörden sehr schwer. Außerdem fordern wir das Verbot von Religions- oder Moralunterricht an den Schulen.

AM: Welche Gruppierungen sollen dazu einbezogen werden?

Robert: Wir fordern alle Organisationen und Individuen zur Teilnahme auf, die den grundlegenden Forderungen für bessere Bildung zustimmen. Alle politischen Kräfte haben nicht nur das Recht, sondern die Aufgabe, den Kampf zu unterstützen. Dies gilt natürlich nicht für Rechte oder Reaktionäre – aber wir haben derzeit nicht das Problem, dass diese sich in unserer Bewegung tummeln. Wir fordern von Bündnispartnern nicht weitgehende politische Übereinstimmung als Voraussetzung. Wir kämpfen für konkrete Ziele, und wer diese Ziele teilt, ist aufgefordert, sich dem Kampf anzuschließen.

Zusammen Kämpfen -Gemeinsam Streiken!

Natürlich muss dann innerhalb der Bewegung notwendigerweise die Diskussion geführt werden, wie diese Ziele durchgesetzt werden können, und welche Forderungen wir an die Schulen und an die Regierung richten. Hier gibt es unterschiedliche Positionen, die offen diskutiert und schließlich demokratisch entschieden werden müssen. Es muss auch stets die volle Freiheit der Kritik an anderen Strömungen gewährleistet sein. Gerade weil verschiedene Strömungen in der Bewegung arbeiten, ist es wichtig, Differenzen zu diskutieren. Wenn das nicht möglich ist, werden wir keine Einheit im Kampf erreichen, sondern sektiererische Einzelaktionen verschiedener Kräfte.

AM: Welche Forderungen, welche zentrale Perspektive schlägt REVOLUTION für das Bildungssystem über Forderungen einer Einheitsfront hinaus vor?

Robert: Als KommunistInnen verstehen wir den Kampf für bessere Bildung natürlich als Kampf gegen den bürgerlichen Charakter des Bildungssystems. Wir richten uns nicht gegen ein vermeintlich „falsches Verständnis“ der Politik in Bezug auf das Bildungssystem – wir wollen das Bildungssystem vollständig der Kontrolle durch den bürgerlichen Staat entreißen.

Das bürgerliche, kapitalistische Bildungssystem dient immer der Aufrechterhaltung und Festigung der bürgerlichen Klassengesellschaft. Hier werden den Bedürfnissen der Kapitalisten entsprechend zum einen ProletarierInnen, zum anderen die kommende „Elite“ produziert – jeweils nochmals vielfach unterteilt. Viele der Haupt- und Realschulabgänger
werden auf lange Zeit der „industriellen Reservearmee“ angehören, während ein kleiner Teil von Hochschulabsolventen die nächste Funktionärsschicht der herrschenden Klasse stellt.

Unsere Ziele erschöpfen sich daher nicht in ein paar finanziellen Zuwendungen und ein wenig mehr Gleichberechtigung. Das einzig gerechte Bildungssystem ist eines, das von den Betroffenen – SchülerInnen, LehrerInnen und ArbeiterInnen – demokratisch kontrolliert wird. Diese sollen über finanzielle Ausstattung, Lehrpläne u.a. entscheiden. Der Polizei und Bundeswehr muss der Zutritt zu Schulen verboten sein. Um dies umzusetzen, werden wir Gegenmachtorgane aufbauen, die entschlossen und in der Lage sind, dem bürgerlichen Staat die Schulen und Unis zu entreißen, diese im Interesse der unterdrückten Jugend umzuwälzen und die Errungenschaften gegenüber dem Staat zu verteidigen.

AM: Könnten nicht die Kämpfe gegen Kürzungen im Bildungswesen auch ein Mittel zum Aufbau einer europaweiten Bewegung werden? Ist dazu etwas geplant, hat REVOLUTION dazu Vorschläge?

In Quebec, Kanada kämpfen Jugendliche und Studierende seit Monaten milutant gegen die Angriffe der Regierung.

Robert: In den letzten Jahren haben wir in vielen Ländern Kämpfe und Aufstände von Jugendlichen gegen das marode Bildungswesen erlebt – nicht nur in Europa, sondern z.B. auch in Chile oder Kanada. Dies geschieht vor den Augen der Welt und wir können uns ein Beispiel nehmen an den Kämpfen in Chile, wo Jugendliche gemeinsam mit ArbeiterInnen sehr entschlossen und militant gekämpft haben. Die Bedingungen für die Vereinigung dieser Kämpfe zu einer ungleich stärkeren, internationalen Bewegung sind gut.

Wir haben zudem die Aufgabe, Unterdrückte in Ländern zu unterstützen, wo die Situation noch viel prekärer ist, z.B. in Griechenland. Bei all den Nachrichten über die Krise geht es beinahe unter, dass die Regierung die Universitätsbudgets allein in diesem Jahr um 20% gekürzt hat. Die Qualität der Ausbildung ist sehr schlecht und ohnehin bekommen nur die wenige einen Studienplatz.

Wir treten dafür ein, die Bewegung auch international so eng wie möglich zu vereinen. Nicht nur, damit wir gemeinsam mehr werden – es ist essentiell, weil die Bildungsproteste, die Proteste gegen Sparpakete und die Krise in allen Ländern den selben Gegner haben: das marode kapitalistische System. Im Moment sind GenossInnen von REVOLUTION in Griechenland, um dort Kontakte zu machen mit AktivistInnen, mit StudentInnen, kämpfenden Belegschaften oder Migrantenorganisationen.

Es gab bereits europa- oder weltweite Aktionstage, wie am 27.11.2011. Um die Kämpfe wirklich auf eine höhere Ebene zu heben, treten wir für eine europaweite Konferenz der Jugend- und Antikrisenbewegung ein, die einen gemeinsamen Plan für die Kämpfe der Unterdrückten erarbeiten müsste.

AM: Wie greift REVOLUTION konkret an Schulen ein? Baut ihr dazu eigene REVO-Gruppen auf? Was tun diese?

Robert: Alle GenossInnen, die zur Schule gehen, arbeiten in Streikkomitees, oder versuchen solche aufzubauen. Vor allem in Berlin sind die Erfolge gut, auch wenn im letzten Jahr das Bündnis „Bildungsblockaden einreißen“ gespalten wurde. Die Aufgabe von Streikkomitees ist es, die konkreten Probleme an der Schule zu diskutieren, Kämpfe zu organisieren und die SchülerInnen für den Kampf zu gewinnen. Die REVOLUTION-Konferenz hat nun beschlossen, dass wir diese Aktivitäten ausweiten, auch in anderen Städten. Wenn wir an einer Schule genügend Kräfte haben, bauen wir dort auch REVOLUTION-Gruppen auf, um weitere GenossInnen zu gewinnen und unsere Vorschläge in den Komitees zu vertreten.

AM: Oft wird der Vorwurf erhoben, der Aufbau von REVOLUTION-Gruppen an Schulen oder Unis stünde im Widerspruch zum Aufbau der Bewegung oder von Bündnissen. Was entgegnet ihr dem?

Robert: Um unsere Organisation aufzubauen und zu festigen, werden wir, wo immer möglich, Schul-, Hochschul- oder Betriebsgruppen bilden, wo wir unsere Positionen in Bezug auf die jeweiligen Probleme konkret diskutieren und entwickeln und so auch weitere GenossInnen gewinnen. Dies widerspricht nicht der Arbeit in Bündnissen und steht auch nicht in Konkurrenz dazu. Im Gegenteil: In einem Aktionsbündnis arbeiten verschiedene politische Strömungen und Individuen für gemeinsame Ziele, organisieren Aktionen, bei denen sich jede Gruppe den Entscheidungen des Bündnisses unterwirft.

Als politische Organisation haben wir jedoch ganz bestimmte Positionen und Vorschläge, die wir in diese Komitees einbringen, weil wir denken, dass wir die Bewegung dadurch vorwärts bringen können. Dies steht jeder Organisation zu. Manche verwechseln Aktionsbündnisse mit politischen Blöcken, was dazu führt, dass bestimmte Kräfte sektiererisch aus dem Bündnis ausgestoßen werden.

AM: Noch eine letzte Frage. Wo können interessierte GenossInnen eure politischen Vorschläge nachlesen? Wie können sie mit den Ortsgruppen in Kontakt kommen?

Robert: Unser „Aktionsprogramm Bildung“ kann man auf unserer Website herunterladen oder von den Ortsgruppen erhalten. Auf der Website befinden sich auch andere Grundlagendokumente wie das Internationale Manifest. Interessierte können jederzeit über die Website oder Facebook Kontakt herstellen und auf die Ortsgruppentreffen kommen. Alle Interessierten können sich über unsere Kontaktadressen oder bei den Ortsgruppen melden.




Wahlen in Griechenland – Troika-Diktat oder Arbeiterregierung?

Sririzy Kandidat Tsipras hofft auf einen Sieg bei den Wahlen, der Sieg der Arbeiterklasse kann aber nur durch den Kampf auf der Straße entschieden werden.

Die Wahl in Griechenland wird zu einem Referendum über die Fortsetzung des EU-Kurses mit seinen Spardiktaten – oder für eine linke Regierung gegen das Spardiktat, wie es SYRIZA verspricht. Die Radikalisierung der Arbeiterklasse und die gesellschaftliche Polarisierung, die den massiven Zuwachs von SYRIZA auf 16,7% im Mai erklären, werden sich weiter zuspitzen.

Der massive Zulauf für SYRIZA bei den Wahlen, wo sie ihren Stimmanteil fast vervierfachen konnte, drückt eine Radikalisierung und Polarisierung aus. Alle Umfragen sehen eine Zunahme von SYRIZA einerseits voraus, andererseits auch eine Zunahme der rechts-konservativen Nea Demokratia.

Der Zulauf für SYRIZA, die selbst eine Allianz von reformistischen Parteien wie Synaspismos, die Teil der europäischen Linkspartei ist, und kleineren, radikaleren Parteien und Gruppierungen (z.B. die maoistische KOE) ist, ist daher leicht zu erklären. SYRIZA und Tsipras haben den Massen eine Machtalternative versprochen, die ihnen in dieser Situation unbedingt notwendig und auch realistisch erscheint. Die anderen linken Kräfte sind zu wankelmütig-opportunistisch wie DIMAR, eine Rechtsabspaltung von SYRIZA von 2010. Die KKE wiederum lehnt eine „linke Regierung“ ab – und vertröstet die Massen damit, dass eine „echte Volksregierung“ nur unter ihrer Führung zu Stande kommen könne. Da diese in weiter Ferne ist, ziehen die Massen die Wahl einer Partei vor, die heute eine „andere Politik“ verspricht. Antarsya, eine Koalition kleinerer Gruppierungen mit revolutionärem Anspruch, ist zu klein und isoliert, um eine unmittelbare Alternative für die Massen bieten zu können.

Die griechische Jugend und Arbeiterklasse sind zum revolutionären Kampf, der über eine historische Niederlage oder einen historischen Sieg entscheiden wird, gezwungen,...

Der Aufstieg von SYRIZA ist jedoch keineswegs das Resultat des besonderen politischen Geschicks von Tsipras – und erst recht nicht seiner „hemmungslosen Demagogie, welche die FAZ als „gemeingefährlich“ ansieht.

Er ist Resultat einer revolutionären Krise, der politischen Zuspitzung des Klassenkampfes. Seit Jahren haben die griechische Arbeiterklasse und die Jugend, ja auch große Teile der städtischen Mittelschichten und des Kleinbürgertums versucht, die Angriffe der Regierungen zu stoppen: durch eine Reihe befristeter Generalstreiks, durch die Besetzungen des Syntagma-Platzes (des zentralen Platzes von Athen), durch eine wachsende Zahl von längeren Streiks und Betriebsbesetzungen inklusive der Fortführung einzelner Unternehmen unter Arbeiterkontrolle.

Das Programm von SYRIZA

Im Wahlkampf nimmt der Zulauf zu SYRIZA weiter massiv zu – und nicht nur zur Partei. Die „Volksversammlungen“, die als eine Mischung aus Wahlveranstaltung, Stadtteilversammlung und Ortsgruppentreffen von SYRIZA stattfinden, ziehen regelmäßig hunderte, wenn nicht tausende Menschen an.

In dieser Situation stellt SYRIZA einen „Sofortplan“ von fünf Punkten ins Zentrum der Wahlagitation:

  1. Beseitigung der „Memoranden“, aller Sparmaßnahmen und der Gegenreformen im Arbeitsrecht, die das Land zerstören
  2. Nationalisierung der Banken, an die mit den öffentlichen Hilfeleistungen viel gezahlt worden ist
  3. Moratorium der Schuldenzahlung und ein Audit, das es ermöglichen wird, die illegitimen Schulden anzuprangern und zu streichen
  4. Abschaffung der Immunität der MinisterInnen
  5. Abänderung des Wahlrechts, durch das es Pasok und Nea Dimokratia möglich war, zum Schaden der griechischen Bevölkerung zu regieren und das Land in die Krise zu stürzen.

Dieser „Sofortplan“ – und auch das längere und radikalere 40-Punkte Programm für die Wahlen – ist ein reformistisches Programm. Es bleibt auf dem Boden der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, es stellt weder diese noch den bürgerlichen Staat in Frage.

...auf den sich die griechische Polizei...

Für die griechische und europäische Bourgeoisie ist es jedoch eine Kriegserklärung. Denn selbst die Umsetzung dieser Forderungen ist nur möglich, wenn SYRIZA an der Regierung weiter ginge, als ihrer Führung lieb ist. Die Vorstellung von Tsipras, dass sich die EU, der IWF, die EBZ, die deutsche Regierung durch die Drohung katastrophischer Auswirkungen eines griechischen Bankrotts zu „Neuverhandlungen“ und weiteren Finanzspritzen für das Land dauerhaft zwingen ließen, ist eine Illusion.

Im Gegenteil: Die Imperialisten würden offen oder verdeckt an der Destabilisierung und dem Sturz einer solchen Regierung arbeiten – bis hin zum Mittel, eine offen autoritäre Regierung zu schaffen, die sich auf Militär, Ausnahmezustand und faschistische Banden stützt.

...die Faschisten...

Revolutionäre KommunistInnen müssen daher vor den Illusionen warnen, die SYRIZA und Tsipras verbreiten und die Arbeiterklasse, ihre Avantgarde, die Masse der Bevölkerung darauf vorbereiten, weiter zu gehen, als ihre aktuellen, reformistischen FührerInnen es wollen.

Wir rufen zur kritischen Unterstützung von SYRIZA auf. Im Falle eines Wahlsieges – sei es eines absoluten wie auch einer relativen Mehrheit – fordern wir von SYRIZA, von DIMAR, KKE und den Gewerkschaften: Brecht mit der Bourgeoisie! Kämpft für die Bildung einer Arbeiterregierung!

...und die internationale Bourgeoisie mit Institutionen wie der Troika, vorbereiten.

Die Bewegung kann und muss diese – im Grunde bürgerliche Arbeiterregierung – bei allen fortschrittlichen Maßnahmen, gegen die unvermeidlichen Sabotageakte des Imperialismus und der Reaktion verteidigen. Dazu müssen umgekehrt von einer solchen Regierung die Entwaffnung der Konterrevolution und die Legalisierung von Arbeiterkontrolle, Enteignung und die Bewaffnung von Selbstverteidigungsorganen der Klasse gefordert werden.

Dieser Kurs muss mit der Propaganda und Agitation für ein Programm von Übergangsforderungen verbunden werden, das zum Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie führt, zur Errichtung der Macht der Arbeiterklasse, zur Diktatur des Proletariats, wie es Marx nannte.

Ein unerlässlicher Teil dabei ist die Schaffung von proletarischen Kampf- und potentiellen Machtorganen, auf die sich eine solche revolutionäre Übernahme der Macht stützen könnten: von Räten und Milizen.

Forderungen

Die Stadtteilversammlungen, die Versammlungen in besetzten Betrieben können zu Räten, zu Organen einer zukünftigen Staatsmacht werden. Diese sollten auf regionaler und landesweiter Ebene in Form eines Rätekongresses zentralisiert werden, der von den Arbeiterparteien die Umsetzung eines Aktionsprogramms gegen die Krise fordert:

  • Streichung der Schulden, Stopp des IWF/EU-Diktats! Entschuldung der Kommunen! Einführung eines Außenhandelsmonopols!
  • Aufhebung aller arbeiterfeindlichen Gesetze wie der Abschaffung des Tarifrechts, der Absenkung des Mindestlohns, der Erhöhung von Massensteuern und von Entlassungen!
  • Öffnung der Geschäftsbücher, Verträge und Transaktionen der Banken und des Staates! Progressive Besteuerung der Reichen und Vermögensbesitzer, Abschaffung der Massensteuern!
  • Preiskontrollkomitees für Nahrungsmittel, Wohnungen usw., um der Preissteigerung zu begegnen sowie eine gleitende Skala der Löhne und Sozialeinkommen (Arbeitslosengeld, Renten …)!
  • Mindestlohn, Mindestrenten, freier Zugang zu Bildung, Schulen, Unis und das Gesundheitswesen!
  • Maßnahmen, um Kleinbürgertum, Bauern und Fischer vor dem Ruin zu bewahren – einschließlich günstiger Kredite bei gleichzeitiger
    Sicherung der Arbeiterrechte in allen privaten und öffentlichen Unternehmen!
  • Entschädigungslose Enteignung der Banken, imperialistischen Investoren, der Großindustrie und Großgrundbesitzer! Verstaatlichung aller geschlossenen Betriebe und Wiedereinstellung der Entlassenen unter Arbeiterkontrolle!
  • Zentralbank unter Arbeiterkontrolle! Demokratische Planung der Großindustrie und ein öffentliches Beschäftigungsprogramm unter Arbeiterkontrolle, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen sowie Aufteilung der Arbeit auf alle Hände, um die Arbeitslosigkeit abzuschaffen!

Eine wirkliche Arbeiterregierung müsste sich auf ein solches Programm, auf Räte und Milizen stützen. Sie müsste die Kontrolle des Oberkommandos über die Armee durch Soldatenräte brechen und die Arbeiterklasse und die Massen durch Bildung einer Arbeiter- und Volksmiliz bewaffnen.

Dem kann nur eine Arbeiterregierung etwas entgegensetzen. Syriza, KKE, Dima und Antarsya müssen aufgerufen werden für eine solche unter oben genannten Forderungen zu kämpfen. Letztlich kann die Revolution jedoch nur durch eine revolutionäre geführte Arbeiterregierung - die Diktatur des Proletariats - wirklich erfolgreich sein. Dafür bedarf es dringend einer revolutionären internationalistischen Partei!

Es wäre aber eine Utopie, von SYRIZA, KKE oder anderen Massenparteien in Griechenland eine konsequente Umsetzung eines solchen Programms zu erwarten. Das kann nur eine genuin revolutionäre Arbeiterpartei leisten. Doch eine solche wird nur geschaffen werden können, wenn es die fortgeschrittensten Kräfte der Arbeiterbewegung, jene radikalen Linken und AktivistInnen, die heute v.a. in SYRIZA und wahrscheinlich zu einem geringeren Teil in Antarsya wirken, vermögen, die Avantgarde und diese die Masse der Arbeiterklasse zu gewinnen, die sich heute SYRIZA zuwendet.

Der gemeinsame Kampf mit den reformistischen ArbeiterInnen, die Schaffung einer Einheitsfront der Arbeiterklasse ist dafür eine Grundvoraussetzung. Nur so – in der praktischen Erfahrung werden sie lernen können, dass wie weiter gehen müssen, als es ihren reformistischen oder auch zentristischen Führungen lieb ist.

Der Kampf für eine Arbeiterregierung ist daher heute eine, wenn nicht die aktuellste, Schlüsselfrage der griechischen Revolution.

Martin Suchanek, übernommen aus der Arbeitermacht Publikation „Neue Internationale“ 170, Juni 2012