EU: Land der Zäune, Seenot und Selbstgerechten.
Von Ener Zink & Felix Ruga, REVOLUTION Zeitung, Dezember 2024
Wenn man die EU fragt, gründet sie sich auf folgende Werte: Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie, Gleichstellung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Und selbstverständlich war das immer ziemlich verlogen, denn die Gründung war vor allem durch wirtschaftliche und imperialistische Interessen getrieben. Doch mit dem wachsenden Rechtsruck in Europa werden auch die letzten Hüllen fallengelassen. Gerade beim Recht auf Asyl verlieren alle Parteien auch die letzten Hemmungen und schließen sich den Rechten an. Was ist also der Stand des Rechtsrucks in Europa? Und was können wir dagegen tun?
Das europäische Asylverweigerungssystem
Im April 2024 wurde die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen, die 2026 in Kraft treten soll. Diese Änderung bedeutet de facto die Abschaffung des Rechts auf Asyl in Europa. Die Reform wird häufig als Maßnahme dargestellt, um die Zahl der Todesfälle im Mittelmeer zu verringern und eine bessere Verteilung von Asylsuchenden innerhalb Europas zu erreichen. Doch das Sterben an den EU-Außengrenzen wird durch gezielte Pushbacks und die Gewalt von Frontex nicht reduziert, sondern verschärft.
Bereits 2016 wurden erste Vorschläge für eine derartige Reform gemacht. Sie stellt die gravierendste Änderung des Asylrechts seit dem Dublin-Abkommen dar. Im Rahmen des neuen Asylverfahrens werden die Zuständigkeiten und Abläufe für Asylsuchende geregelt. Dieses Verfahren umfasst im Wesentlichen drei Phasen: ein Screening, ein Asylgrenzverfahren von bis zu drei Monaten sowie ein Abschiebeverfahren von weiteren drei Monaten. Erst nach Ablauf dieser sechs Monate gelten die Personen als offiziell eingereist. All diese Maßnahmen finden unter Haftbedingungen statt, die nun auch für Familien mit Kindern gelten. Nur alleinreisende Minderjährige sind von diesen Regelungen ausgenommen.
Das verlängerte Antragsprinzip, welches de facto einer schuldlosen Inhaftierung entspricht, dient nicht der tatsächlichen Prüfung der Anträge, sondern schafft vor allem Möglichkeiten für Abschiebungen in sogenannte „sichere Drittstaaten“ außerhalb Europas. Die Anforderungen an die Sicherheit dieser Länder wurden stark herabgesetzt. So gilt die Türkei generell als sicherer Drittstaat, und Deutschland plant, im neuen Abkommen zwischen Olaf Scholz und Erdoğan, Abschiebungen dorthin weiter auszubauen. Darüber, wie sicher die Türkei ist, können Kurd:innen und türkische Linke ein Liedchen singen…
Ähnlich dem umstrittenen britischen Ruanda-Modell wird auch in Deutschland die Haftzeit an Flughäfen (von bisher 12 Wochen) vervierfacht, eventuell auch an anderen Binnengrenzen, in Verbindung mit verschärften Kontrollen an den Außengrenzen. Die Abschiebeverfahren sollen vereinfacht und die Verteilung innerhalb der EU und an „sichere Drittstaaten“ weiter ausgebaut werden. Die Definition von „sicher“ orientiert sich hierbei vor allem an diplomatischen und letztendlich imperialistischen Interessen der EU.
Getragen durch die Politik
Das läuft selbstverständlich nicht ohne eine politische Machtverschiebung ab: Die AfD in Deutschland, Fratelli d’Italia in Italien und der Rassemblement National in Frankreich gewinnen zunehmend an Einfluss. Bei den letzten Europawahlen verzeichneten vor allem die rechten Fraktionen große Zuwächse: Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) gewann vier Sitze, und die Fraktion der Identität und Demokratie (ID) konnte neun zusätzliche Sitze erlangen. Zusammengenommen mit anderen rechten Parteien wie der AfD oder Fidesz, die keiner Fraktion angehören, stellen sie etwa 25 % aller Sitze – etwa so viele wie die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Besonders in den imperialistischen Kernländern Europas, wie Frankreich, Deutschland und Italien sowie in Teilen Osteuropas erzielen diese Kräfte die größten Erfolge.
Aber der wachsende Anteil der offen rechten Kräfte ist nur die eine Hälfte des Problems. Der Rechtsruck in Europa ist Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Krise und nicht nur auf rechtspopulistische Parteien begrenzt. So wie sich hier in Deutschland die FDP, die Grünen und die SPD zunehmend der fremdenfeindlichen Rhetorik anschließen und eine entsprechende Politik betreiben, angeblich mit großem Widerwillen, so ist es auch im restlichen Europa mit den etablierten Parteien. Parolen und Forderungen, die vor 10 Jahren nur von Rechtsextremen laut ausgesprochen wurden, sind mittlerweile überall salonfähig geworden. Nur einige linke Parteien scheinen dabei noch klaren Widerspruch zu leisten.
Warum läuft es momentan so?
Die bürgerliche Politik in der EU wechselt gerade im großen Stil ihre Strategie. Das hat sicherlich viele Gründe, aber wir wollen zwei zentrale Wirkmechanismen herausnehmen. Erstens versinkt Europa gerade in einer Wirtschaftskrise. Mit stagnierendem Wirtschaftswachstum, steigenden Lebenshaltungskosten, sinkenden Löhnen und dem Widerwillen, die Steuern bei den Reichen anzuheben, schrumpfen die Staatskassen. Das Ergebnis: Während die Reichen immer reicher werden, wird die arbeitende Bevölkerung auf dem Altar der Austerität geopfert. Allgemein werden Gelder für soziale Unterstützung und Infrastruktur gekürzt. Asylsuchende sind ebenfalls auf genau diese angewiesen. Die Investitionen in sichere Unterkünfte, Deutschkurse und Lebensperspektiven für Geflüchtete werden als „zu teuer“ abgetan. Gerade in einer zunehmend rassistischen Gesellschaft ist es unerlässlich, einiges an finanziellem Support zu leisten, damit das Einleben gut funktioniert. Daran wurde aber von Anfang viel zu viel gespart, selbst in Zeiten der deutschen „Willkommenskultur“. Das ist nun auch meistens der Kern dessen, dass die „Kommunen Alarm schlagen“: Die neoliberale Sparpolitik, die auf die Erhaltung der Gewinne für die herrschende Klasse abzielt, führt dazu, dass man den Geflüchteten nicht die nötige Unterstützung leisten kann und es zunehmend nur noch ein perspektivloses Verwahren dieser ist. Anstatt aber das Geld bei den Reichen zu holen, wird nun die andere Option gewählt: ein möglichst blutiges Abschottungsregime.
Der zweite zentrale Grund für diesen Wechsel in der bürgerlichen Politik ist die systematische Spaltung der Arbeiter:innen. Die Verschlechterung der Lebenslage der meisten Arbeiter:innen sorgt zurecht für Unmut bei ihnen, und die Parteien müssen irgendwie mit diesem Unmut umgehen. Aufgrund der Krise ist an sozialen Ausgleich nicht zu denken. Um aber dennoch die Illusion zu schüren, man würde als Partei „was machen“, und gleichzeitig die Aufmerksamkeit von den Reichen und Mächtigen wegzulenken, wird der falsche Eindruck erweckt, dass Asylsuchende bevorzugt behandelt würden und den „Einheimischen“ angeblich Ressourcen wegnehmen, und dass man dagegen jetzt vorgeht. Diese Erzählung wird bewusst gestreut, um die Menschen in Konkurrenz zueinander zu setzen, und dass die einheimischen Arbeiter:innen in ihrem Frust und ihrer Aggression gelindert werden, indem die Politik auf Leute losgeht, die noch ärmer dran sind als sie selbst.
Die EU nutzt also eine rassistische Asylpolitik nicht nur zur Abschottung, sondern auch zur Sicherung ihrer eigenen Macht. Es ist kein Zufall, dass sich die Bedingungen für Geflüchtete in ganz Europa verschärfen: Sie dienen als Sündenböcke, die davon ablenken sollen, dass die wahre Bedrohung für die Arbeiter:innen von oben kommt.
Wie verteidigen wir das Recht auf Asyl?
In Zeiten zunehmender Repression und Abschottungspolitik ist eine klare Perspektive für offene Grenzen und gleiche Rechte für alle notwendiger denn je. Geflüchtete werden durch die geltenden Asylgesetze und die anstehende Reform zu Menschen zweiter Klasse degradiert.
Zu Jahresbeginn gingen bereits Hunderttausende gegen die rassistischen Remigrationspläne der AfD auf die Straße. Angesichts der bevorstehenden Reform braucht es eine breite, kämpferische Bewegung, die daran anknüpft und sich konsequent antirassistisch positioniert. Eine Bewegung, die sich aus Schüler:innen, Studierenden, Arbeiter:innen und migrantischen Organisationen zusammensetzt, kann den Widerstand aufbauen und verteidigen. Wir müssen diesen Kampf dort verankern, wo wir uns täglich aufhalten: in Schulen, Universitäten und Betrieben. Wir dürfen dabei nicht auf die rechten Narrative reinfallen, sondern stabil und selbstbewusst das Recht auf Migration verteidigen. Zentral ist dabei die Verbindung mit anderen Kämpfen, vor allem gegen die sozialen Angriffe, aber auch mit den existierenden antiimperialistischen Bewegungen, um daraus eine allgemeine Bewegung um Solidarität und antikapitalistischen Widerstand zu schmieden.