Ni Una Menos –Perspektiven einer Bewegung

Nina Awarie, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Die lateinamerikanische Frauenbewegung „Ni Una Menos“ (deutsch: nicht eine weniger) stellt derzeit wohl eine der weltweit größten und bekanntesten Bewegungen gegen Frauenunterdrückung dar. Ausgelöst durch eine massive Gewaltwelle und eine unfassbar hohe Mordrate an Frauen, wurden bisher Millionen von Menschen vor allem in Argentinien gegen häusliche Gewalt, Femizide, aber auch strukturelle, staatliche Gewalt gegen Frauen auf die Straßen gebracht.

Ursprung der Bewegung

Femizid, ein Wort, das in Lateinamerika, insbesondere in Argentinien inzwischen fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses ist, war ursprünglich Hauptthema der AktivistInnen. Unter Femizid versteht man einen Mord, dessen Hauptmotiv darin besteht, dass das Opfer eine Frau ist. Solche Morde gehören in Argentinien zum traurigen Alltag und wurden in der Vergangenheit in den meisten Fällen von Politik, Justiz und Medien ignoriert und verharmlost. Von „Verbrechen aus Leidenschaft“, aus einem „Zustand gewaltsamer Erregung“ war stattdessen die Rede, sodass die Täter nicht nur mit einer milden Strafe rechnen durften, nein, die Tat wurde mit einer solchen Umschreibung auch in gewisser Weise gerechtfertigt.

Laut „La Casa del Encuentro“ (deutsch: Haus der Begegnung), einer argentinischen NGO und Anlaufstelle für weibliche Gewaltopfer, wird in Argentinien alle 32 Stunden eine Frau rechnerisch Opfer eines Femizides (von Juni 2015–Juni 2016 275, davon 162 von ihrem Freund, Ehemann oder Partner mit oder ohne Vorsilbe „Ex-“; <http://www.taz.de/!5310042/>). In der Dominikanischen Republik, Spitzenreiterin im regionalen Vergleich, erfuhren laut einem Bericht von Ende 2017 30 % der Frauen Gewalt durch ihren (Ex-)Partner, davon 10,7 % sexuelle Gewalt. 2017 gab es hier 102 Femizide. (https://amerika21.de/2018/01/193821/femizide-dominikanische-republik)

In Lateinamerika gibt es täglich mehr als 17 Femizide, die meist durch Partner oder Ex-Partner begangen werden. Von den 25 Ländern mit den höchsten Femizidraten weltweit befinden sich 14 in Lateinamerika und der Karibik. Jährlich sind es über 2000 Frauen, die dort ermordet werden. Und: Die Zahl der Femizide in Lateinamerika hat in den letzten Jahren sogar zugenommen – das ergab eine Studie der Frauenorganisation der Vereinten Nationen UN Women. (https://www.deutschlandfunk.de/lateinamerika-niunamenos-im-kampf-gegen-frauenmorde.1773.de.html?dram:article_id=389206)

Aber nicht nur die entsetzlich hohe Mordrate, auch andere Faktoren wie eine hohe Müttersterblichkeit, ein fast komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, der große Einfluss der katholischen Kirche, niedrige Bezahlung für Lohnarbeit und schlechte Arbeitsbedingungen prägen die sehr prekäre Situation der (lohnabhängigen) Frauen in diesem wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern.

Erste Proteste

Aus diesem Grund gab es dort im Juni 2015 den ersten landesweiten Protesttag unter dem besagten Motto „Ni Una Menos“ gegen Femizide, sexualisierte Gewalt und den tatenlos zusehenden Staat. Auslöser war ein Mord eines Jugendlichen an seiner 14-Jährigen, schwangeren Freundin. Eine Gruppe von Journalistinnen hatte damals die Proteste organisiert, an denen in Buenos Aires und 80 anderen argentinischen Städten bis zu 500.000 Menschen teilnahmen. Die Bewegung „Ni Una Menos“ war geboren und verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Lateinamerika. So gab es beispielweise auch in Mexiko, Peru oder Uruguay Solidaritätsdemonstrationen, an denen sich zehntausende Menschen beteiligten. Die Forderungen, welche sie auf die Straße trugen, lauteten u. a.: eine wirkliche Anwendung des Gesetzes um Gewalt gegen Frauen vorzubeugen, zu bestrafen und zu beseitigen; kostenlosen Rechtsbeistand während des gesamten Prozesses und die Eröffnung von Frauenhäusern. Aber auch andere Themen wie beispielsweise die ökonomische Benachteiligung von Frauen und vor allem das Recht auf Schwangerschaftsabbruch werden inzwischen vermehrt von den AktivistInnen thematisiert.

Des Weiteren kam es neben den zahlreichen Massendemonstrationen auch zu Streikaktionen. Der erste politische Streik der „Ni Una Menos“-Bewegung wurde im Oktober 2016 durchgeführt. Wieder mal war der Auslöser ein grausamer Mord an einer Jugendlichen. In Buenos Aires gingen daraufhin 200.000 ArbeiterInnen aus ihren Betrieben, Universitäten, Schulen, Krankenhäusern und Fabriken auf die Straße, um symbolisch für eine Stunde ihre Arbeit niederzulegen.

Recht auf körperliche Selbstbestimmung

In Argentinien sowie auch in zahlreichen anderen lateinamerikanischen Ländern herrscht quasi ein komplettes Abtreibungsverbot. Nur in wenigen Ausnahmefällen wie einer Schwangerschaft als Resultat einer Vergewaltigung darf die Frau legal abtreiben lassen. Dieser Umstand hat zur Folge, dass es laut argentinischem Gesundheitsministerium jährlich zu über 350.000 illegalen Schwangerschaftsabbrüchen kommt. Bis zu 50.000 Frauen müssen nach einem solch riskanten Eingriff ins Krankenhaus eingeliefert werden. Amnesty International geht davon aus, dass 23 % aller Todesfälle unter schwangeren Frauen die Folge von illegalisierten Abtreibungen sind – Todesfälle, die durch professionelle medizinische Versorgung verhindert werden könnten. Daher stellen die AktivistInnen von „Ni Una Menos“ auch korrekterweise die Forderung nach legalen, kostenlosen Abtreibungsmöglichkeiten auf und setzen die derzeitige Gesetzeslage in den Kontext eines staatlichen Femizides, der vor allem Frauen aus den ärmeren Schichten betrifft. Diese Frauen können sich nicht mal eben eine Auslandsreise leisten, um ihren Schwangerschaftsabbruch unter professionellen Bedingungen durchführen zu lassen. Auch in naher Zukunft wird der argentinische Staat diese strukturellen Femizide durch unterlassene medizinische Versorgung nicht beenden. Denn obwohl das argentinische Abgeordnetenhaus zwei Monate zuvor einen Gesetzesentwurf für einen legalen Schwangerschsftsabbruch bis zur 14. Woche genehmigte, scheiterte ebendieser nach einer 16-stündigen Sitzung an einer Abstimmung im argentinischen Senat am 13. Juni 2018. Am Tag der Abstimmung fanden in Argentinien ebenfalls Massendemonstrationen für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung mit fast 1,5 Millionen TeilnehmerInnen statt. Ungeachtet dessen stimmte der Senat mit 38 zu 31 Stimmen bei zwei Enthaltungen gegen eine Legalisierung. Dieses Ergebnis wurde sicherlich auch durch den Einfluss der katholischen Kirche begünstigt, die im Vorfeld der Abstimmung keine Kosten und Mühen scheute, um eine reaktionäre, frauenfeindliche Gegenkampagne zum Erhalt des patriarchalen Status quo zu organisieren.

Perspektiven

Die zahlreichen Massenmobilisierungen und Streiks haben eines deutlich gezeigt: die Frauen in Lateinamerika haben ihre Unterdrückung satt. Sie sind nicht nur in der Lage, sich basisdemokratisch zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen, sondern haben es auch geschafft, die Partikularbewegung um Themenfelder wie Sozialabbau, staatliche Repression oder die Rechte der indigenen Bevölkerung zu erweitern. Jedoch zeigen vor allem die Proteste gegen das Abtreibungsverbot in Argentinien deutlich, dass eine auch noch so große Massenbewegung auf der Straße die reaktionären BerufspolitikerInnen in den Parlamenten nicht davon abhält, weiterhin eine patriarchale Politik gegen die Interessen der Mehrheit aller Lohnabhängigen durchzudrücken. Die herrschende Klasse, vor allem vertreten durch die Regierung unter Mauricio Macri, hat kein Interesse daran, die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen aufzuheben. Ganz im Gegenteil: Prekäre Lohnarbeitsverhältnisse und individualisierte Reproduktionsarbeit sichern der Bourgeoisie durch die besondere Ausbeutung von Frauen Extraprofite und liefern gleichzeitig die Strukturen, welche häusliche Gewalt gegen Frauen begünstigen. Auch wenn Macri nach außen die „Ni Una Menos“-Bewegung unterstützt, so ist dies angesichts seiner neoliberalen Kürzungspolitik, die vor allem lohnarbeitende Frauen betrifft, doch mehr als heuchlerisch. Das wird auch daran sichtbar, dass er sich nicht gegen den Senat gestellt hat, als dieser gegen die Legalisierung von Abtreibungen stimmte.

Das ist ein Beispiel, das aufzeigt, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung also nicht mit, sondern nur gegen den bürgerlichen Staat geführt werden kann.

Das heißt nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, Forderungen an die Regierung zu stellen. Es muss aber klar sein, dass ohne Druck von der Straße und vor allem ökonomischen Druck in Form von politischen Streiks Frauen keine Zugeständnisse seitens des bürgerlichen Staates zu erwarten haben. Damit ein solcher Streik möglichst effektiv geführt werden kann, müssen alle Schichten der ArbeiterInnenklasse, also auch die lohnabhängigen Männer mobilisiert werden. Außerdem sollte er sich nicht nur auf symbolische Aktionen beschränken, sondern im besten Fall zu einem unbefristeten Generalstreik ausgeweitet werden, bis die Regierung endlich auf die Forderungen der Massen eingeht. Hierfür ist es unbedingt notwendig, dass die Basismitglieder der großen Gewerkschaften Druck auf diese ausüben, damit sie eben auch endlich die Streikaktionen unterstützen. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung muss als Teil des Klassenkampfes und des Kampfes gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Perspektive gesehen werden. Das bedeutet ebenfalls, dass es unsere Aufgabe als InternationalistInnen ist, die Kämpfe der Frauen in Lateinamerika aufzugreifen und mit unseren hierzulande zu verbinden und uns zu solidarisieren. Denn nur wenn wir gemeinsam für unsere Rechte einstehen, können wir gewinnen!




Bolsonaro an der Macht

Max Fleischer, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung, März 2019

Letztes Jahr hat Brasilien gewählt. Im Januar wurde Jair Bolsonaro als Präsident Brasiliens vereidigt. Damit steht fest, dass Brasilien die nächsten Jahre von Sexismus, Rassismus, Homophobie und Neoliberalismus regiert werden wird. Bolsonaro, seines Zeichens Ex-Militär und vehementer Kämpfer für die Militärdiktatur, steht wie kein Zweiter für Neoliberalismus und Unterdrückung. Darüber hinaus sind seine Reden durchsetzt von widerlichem, hasserfülltem Vokabular. Er hetzt gegen alles, was nicht dem normativen Familienbild entspricht: „Ich hätte lieber, dass mein Sohn bei einem Autounfall stirbt, als dass er sich als homosexuell outet“, sagte er 2011 in einem Interview des brasilianischen „Playboy“. Auch von Gewerkschafter_Innen und linken Aktivist_Innen hat er keine hohe Meinung. So sagte er 2018: „Wenn diese Leute hier bleiben wollen, müssen sie sich unserem Recht beugen. Oder sie verlassen das Land oder gehen ins Gefängnis. Diese roten Typen werden aus unserem Vaterland verbannt.“

Wie konnte das passieren?

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2007/08 wurden durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) extreme Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse gefahren. Alle Brasilianer_Innen mussten Kürzungen der sozialstaatlichen Mechanismen wie Kranken- und Rentenversicherungen über sich ergehen lassen sowie Erhöhungen von Sozialbeiträgen.

Doch das konnte nicht helfen: Brasilien, ehemals aufstrebende Halbkolonie, ist krisengeschüttelt und hoch verschuldet. Die Politik der Partido dos Trabalhadores (Arbeiter_Innenpartei; im Folgenden: PT) wurde 2006 von der Bevölkerung gewählt in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Diese wurde jedoch enttäuscht. Als regierende Partei schloss sie sich dem neoliberalen Kurs an, der durch den Internationalen Währungsfonds, kapitalgeile Investor_Innen und die Bourgeoisie vorangetrieben wurde. So war sie dafür verantwortlich, dass die Anti-Terror-Gesetze eingeführt wurden, dass mehr und mehr Menschen verarmen und, vor allem in den Favelas (Slums), die Leute ein Gefühl der Unsicherheit verspüren.

Doch das reichte nicht, um Brasilien aus der Krise zu holen. Die brasilianische Bourgeoisie brauchte jemanden, der härtere Maßnahmen gegen die Arbeiter_Innenklasse durchsetzte. Denn diese ließ die Kürzungen nicht unkommentiert stehen. Mit Protesten, massiven Mobilisierungen, Generalstreiks und Besetzungen von beispielsweise Schulen sowie Universitäten versuchten Arbeiter_Innenklasse, Jugendliche und Landlosenbewegung, sich zu wehren. Als Antwort auf die Unfähigkeit der PT-Regierung die Proteste niederzuschlagen, wurde nach einem Korruptionsskandal, der vielmehr Vorwand für einen verfassungsmäßigen Putsch lieferte, Temer als Übergangspräsident eingesetzt. Bei den letzten Wahlen konnte sich dann Bolsonaro durchsetzen, der sich nicht nur positiv auf die Militärdiktatur bezieht, sondern sich auch von Schlägertupps auf den Straßen unterstützen lässt.

Das lag daran, dass in dieser Zeit ein Rechtsruck durch die brasilianische Gesellschaft gegangen ist. So wurden die Mittelschichten durch die andauernd schlechte wirtschaftliche Situation von Bolsonaros populistischer Hetze angezogen, während die PT nicht mit ihrem Spitzenkandidaten Lula antreten konnte und bereits durch ihre vorherige Politik an der Regierung Wähler_Innen aus der Arbeiter_Innenklasse verloren hatte.

Bolsonaros Programm

Auf seiner Agenda für die kommende Zeit stehen zahlreiche arbeiter_Innenfeindliche Punkte und seine Aufgabe besteht darin, die Interessen der brasilianischen Bourgeoisie und ausländischen Investor_Innen durchzusetzen. So hat er als eine seiner ersten Amtshandlungen den Mindestlohn gekürzt und plant, den Regenwald für Agrarflächen freizugeben ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung oder Umwelt. Neben der Schließung des Kultusministeriums sind zahlreiche Entlassungen in Ministerien geplant, besonders wenn die Angestellten nicht auf seiner politischen Linie stehen. Auch die Stärkung der Befugnisse der Polizei, beispielsweise bis hin zu direkten Exekutionen bei Kriminellen ohne vorheriges Gerichtsverfahren, gehört zu seinen Vorhaben.

Zusätzlich sind seine Pläne für ganz Brasilien durchsetzt von Hass auf alle Andersdenkenden, ein Rückschritt für den Kampf um Gleichberechtigung, eine Katastrophe für die Umwelt und die letzten Indigenen in Brasilien und ein Schlag ins Gesicht für alle emanzipatorischen Kräfte.

Situation von Frauen

Diese Angriffe werden nun alle Arbeiter_Innen zu spüren bekommen. Am stärksten davon betroffen werden jedoch die sozial unterdrückten Gruppen sein. Dabei war die Situation für Frauen in Brasilien schon vor Bolsonaro schwierig. So erhalten nach einer Studie des Bundesarbeitsministeriums von 2006 Frauen 19 % weniger Lohn bei gleicher Arbeit und Qualifizierung. Daneben wird die Erwerbstätigkeit der Frauen immer noch als zweitrangig gegenüber Männern betrachtet. Trotz des gleichen Arbeitsvolumens leisten Frauen im Schnitt zusätzlich 28 Stunden häusliche Arbeit pro Woche im Gegensatz zu nur 10 Stunden bei Männern laut Ipea (Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung). Die geschlechterspezifische Arbeitsteilung ist nach wie vor stark verankert: So müssen Frauen nach wie vor einen Hauptteil in der Kinderbetreuung oder der Pflege von kranken Familienmitgliedern übernehmen. Hinzu kommt, dass Kindergartenplätze Mangelware sind und Ganztagsschulen nur für Reiche existieren.

Diese Problematik wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Denn hier kommen gerade Bolsonaros Verbündete ins Spiel. Obwohl Brasilien immer als Bastion des Katholizismus galt, ist bald ein Drittel der brasilianischen Gesellschaft evangelikal. Diese Kirche hat eine riesige Geldmenge zur Verfügung, welche sie im eigenen Interesse nutzt. Nicht nur dass sie über ein riesiges Medienimperium herrscht mit einem eigenen Fernsehsender sowie zahlreichen TV-Prediger_Innen, auch unterstützt sie Bolsonaro argumentativ und sitzen ihre Anhänger_Innen im neu gewählten Parlament. So fordern sie beispielsweise rigorose Abtreibungsverbote, selbst bei Vergewaltigungen. Bolsonaro unterstützen die christlichen, evangelikalen Fundamentalist_Innen ebenso wie Trump, da beide die bürgerlich normative Familienvorstellung wieder in den Vordergrund rücken wollen.

Doch das ist nicht alles. Besonders Gewalt gegenüber Frauen ist in Brasilien ein großes Problem. Laut Statistik wird alle 15 Sekunden in Brasilien eine Frau im eigenen Familienkreis misshandelt. Ipea geht davon aus, dass jährlich mehr als 527.000 versuchte Vergewaltigungen geschehen. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen. So wurde erst 2009 Vergewaltigung als Straftatbestand gesetzlich eingeführt. Davor wurde sie lediglich als eine „Missachtung der Familienehre“ bewertet. Auch die gezielte Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechtes, auch Femizid genannt, ist ein großes Problem. 2013 wurden knapp 13 Frauen am Tag getötet, großteils von Familienangehörigen oder Ex-Partnern. Zwar wurde 2015 dann ein Gesetz zu Femiziden verabschiedet, welches eine starke Erhöhung des Strafmaßes bei häuslicher Gewalt beinhaltet. Es ist aber unter Bolsonaro damit zu rechnen, dass sich die Gewalt gegenüber Frauen verschärft und die bestehenden Reglungen aufgeweicht werden.

Angriffe auf LGBTIAs

Ein großer Dorn im Auge sind dem Staatspräsidenten alle Menschen, die nicht den bürgerlichen, heterosexuellen Idealen entsprechen. LGBTIA-Menschen sind seit einiger Zeit wieder stärker von Aggressionen und Gewalt, verbal sowie körperlich, betroffen. Seit den Wahlen hat sich die Unsicherheit weiter verschärft. Die 2010 gesetzlich verankerte Gleichstellung von homosexuellen Partner_Innenschaften wird aktuell von Bolsonaro und seinen Evangelikal_Innen permanent bombardiert. Daneben läuft eine Hetzkampagne gegen das Adoptionsrecht von Paaren, die eben nicht dem bürgerlich normativen Idealbild entsprechen. Als die Regierung und Rousseff Pläne vorstellten, in denen sexuelle Orientierungen sowie Genderfragen als Teil des Unterrichts eingeführt werden sollten, warf Bolsonaro der Regierung vor, die Gesellschaft „homosexualisieren“ zu wollen. Auf der Agenda der neuen Regierung steht eine Umarbeitung der Lehrpläne. Es sollen jegliche Genderthemen sowie Sexualkunde gestrichen werden, um die Schule vermeintlich als „neutralen Ort des Lernens“ darzustellen. Im vergangenen Jahr wurden laut Schätzungen 300 LGBTIA-Menschen in Brasilien getötet, wobei auch hier eine höhere Dunkelziffer angesetzt werden dürfte. Kurz nach dem ersten Wahlgang wurde die LGBTIA-Kämpferin und brasilienweit bekannte Transgenderkünstlerin Aretha Sadick verbal angegriffen. Nur zwei Tage später, wenige Straßen weiter wurde eine 25-jährige Transfrau brutal ermordet. Augenzeugen berichteten von Männern, die laut schwulenfeindliche Parolen brüllten und „Bolsonaro“ riefen. Die Angst innerhalb der LGBTIA-Community wächst ständig und die Gewalt hat, seitdem Bolsonaro zur Wahl angetreten ist, dramatisch zugenommen. 2017 gab es sogar einen richterlichen Beschluss, welcher Homosexualität als Krankheit darstellt und es Psycholog_Innen erlaubt, Homosexuelle zu therapieren.

Wie gegen Bolsonaro kämpfen?

Nur eine kämpferische Linke kann die Angriffe Bolsonaros und seiner Regierung abwenden. Die fortschrittlichen Teile der Klasse sind jetzt dazu angehalten, sich gemeinsam zu organisieren und dem ekelhaften Bolsonaro einen Riegel vorzuschieben. Dazu brauchen wir eine kämpferische Einheitsfront aller linken Kräfte, die sich auf die Arbeiter_Innenbewegung stützen. Das bedeutet, dass man auch die PT und die CUT (Arbeiter_Inneneinheitskongress), den brasilianischen Dachverband der Gewerkschaften, klar auffordern und zwingen muss, sich zu beteiligen. Denn nur wenn alle linken Kräfte zusammenarbeiten, kann die Arbeiter_Innenklasse die kommende Katastrophe abwenden.

Alle linken Gruppen, Gewerkschaften und Organisationen der Klasse sind dazu angehalten, ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam zu streiken bis hin zum Generalstreik, der die gesamte Wirtschaft des Landes lahmlegt. Dazu braucht es koordinierte Organe, die die Selbstverteidigung organisieren und die Bevölkerung bewaffnen. Das ist die einzige Möglichkeit, um wirklich alle Unterdrückten zu befreien, um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herzustellen und das tradierte, auf ekligen Vorstellungen basierende Ausbeutersystem zu stürzen. Darüber hinaus muss klar sein: Der Kampf um Befreiung ist international! Auch bei uns müssen die Leute solidarisch auf die Straßen gehen. Arbeiter_Innen multinationaler Konzerne, die die brasilianische Regierung stützen, müssen ihre Arbeit niederlegen. Der Rechtsruck ist international und kann auch nur so bekämpft werden. Wenn die weltweite Linke das nicht tut, werden bald nicht nur in Brasilien die Anschläge auf LGBTIA-Menschen massiv zunehmen, werden Frauen immer stärker in ihre alte Rolle zurückgedrängt und alle Andersfarbigen widerlicher Hetze ausgesetzt sein. Nur wir können das Erstarken der Rechten verhindern!

Solidarität mit allen Brasilianer_Innen, nieder mit Bolsonaro! Nur eine geeinte Arbeiter_Innenbewegung hat die Macht, sich und die sozial Unterdrückten zu befreien und wahre Gleichberechtigung herzustellen.

 

Beschäftigungssituation:

http://www.arbeitermacht.de/ni/ni171/brasilien.htm




Lage der Frauen seit der großen Wirtschaftskrise

Katharina Wagner, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Erwerbstätigkeit

1. Die Weltwirtschaftskrise hat den Bereich von Leih- und Zeitarbeit ausgebaut sowie den Beschäftigungsanteil im prekären Sektor. Dies diente dazu, die Kosten, die durch die Finanzkrise entstanden sind, auf die ArbeiterInnenklasse abzuwälzen. Frauen sind davon besonders betroffen. Im Folgenden betrachten wir die Beschäftigungsverhältnisse im globalen Vergleich, um die Stellung von Frauen im Produktionsprozess zu belegen. Diese Betrachtung ist notwendig, um auf etwaige Unterschiede, die die ArbeiterInnenklasse als gesamte spalten, aufmerksam zu machen.

Glaubt man der International Labour Organisation (ILO), so hat sich die weltweite Lage von Frauen in den letzten Jahren leicht verbessert. Noch nie waren so viele weltweit erwerbstätig. Auch die Bildungschancen für Frauen und Mädchen sind gestiegen. Vergleicht man die derzeitige weltweite Erwerbsquote von Frauen von ca. 48,5 % mit dem Anteil von männlichen Lohnabhängigen – dieser betrug 2018 etwa 75 % –, so bleibt weiterhin eine deutliche Differenz bestehen. Dieser Unterschied fällt in Industrieländern wie etwa Deutschland noch relativ gering aus, ist aber in sog. Schwellenländern (entwickelten Halbkolonien wie z. B. Brasilien, Indien) ausgeprägt. In Entwicklungsländern hingegen ist die Differenz in der Erwerbstätigkeitsquote zwischen Männern und Frauen am geringsten. In diesem Fall ist dies aber eher als Indikator für fehlende soziale Absicherung und Armut zu interpretieren – vergleichbar der Situation im Frühkapitalismus in westlichen Ländern. Das heißt konkret, dass der Lohn des Mannes allein nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren, und alle, also Frauen und teilweise auch Kinder, gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen wie beispielsweise in Pakistan.

Ein generelles Problem, welches weiterhin besteht, ist die größere Bedrohung durch Arbeitslosigkeit für Frauen. Die globale Arbeitslosenquote für Frauen beträgt laut ILO derzeit etwa 6 % und liegt damit um 0,8 % höher als bei Männern. Allerdings liegen die Arbeitslosenquoten für beide Geschlechter in Entwicklungsländern deutlich unter denen der Industriestaaten. Die Prognosen für sog. Schwellenländer wie etwa die arabischen Staaten oder auch Nordafrika gehen von einer zukünftigen Verschlechterung im Bereich der Frauenerwerbstätigkeit in den nächsten Jahren aus [1].

Ein Blick auf die Quoten der Erwerbstätigkeit reicht aber nicht aus. Vielmehr müssen wir uns genauer die jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse ansehen, mit denen Frauen konfrontiert sind.

Seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 hat sich der Anteil der Zeitarbeit in Deutschland von 13,7 % im Jahre 2009 wieder auf das Niveau von vor der Krise (14,5 %) eingependelt. In einigen anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Griechenland ist er dagegen exponentiell angestiegen. Demgegenüber ist der Bereich der Teilzeitbeschäftigung faktisch überall in Europa um 3–5 % angewachsen. In Deutschland beträgt er im Moment rund 29 %. Sind von Zeitarbeit eher die männlichen Lohnabhängigen betroffen, konzentriert sich die Teilzeitarbeit vor allem in Bereichen mit hohem Frauenanteil wie etwa dem Dienstleistungs- oder Pflegesektor.

Zusätzlich sind Frauen weltweit deutlich häufiger unter prekären Bedingungen beschäftigt als Männer. Besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern sind sie mit 46 % bzw. 76 % besonders hoch. Zusätzlich findet die prekäre Beschäftigung, vor allem in Entwicklungsländern, im informellen Sektor statt. Diese beinhaltet das komplette Fehlen von Sozialleistungen oder genereller Absicherung bei Krankheit oder Schwangerschaft [1].

Als wäre das nicht schon mehr als genug, findet man auch doppelt so häufig Frauen wie Männer in der Rolle von HilfsarbeiterInnen im eigenen Familienbetrieb, hier meist ohne schriftliche Verträge und teilweise sogar komplett unentgeltlich. Zwar ist der Anteil der Frauen, die als mithelfende Familienangehörige im Eigenbetrieb arbeiten, in Schwellenländern in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurückgegangen. In Entwicklungsländern jedoch macht er noch immer 42 % der Gesamtbeschäftigung von Frauen aus. Im Vergleich dazu beträgt er bei Männern lediglich rund 20 % [2].

2. Migrantische Frauen verdienen in der Regel schlechter. (Anmerkung: Das gilt in der Regel nicht für weiße Frauen aus imperialistischen Ländern aufgrund der Stellung dieser Länder auf dem Weltmarkt.) Sie haben darüber hinaus mit zusätzlichen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegt Deutschland einen der vorderen Plätze, wenn es um die Integration von MigrantInnen geht. So hat sich beispielsweise die Beschäftigung von im Ausland geborenen Lohnabhängigen zwischen 2006 und 2017 um 7,9 % erhöht und beträgt demnach nun ca. 67 %. Auch die Erwerbslosigkeit von MigrantInnen hat sich in den letzten 10 Jahren auf 6,9 % halbiert [3]. Dennoch liegt sie deutlich über der durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 5,2 % im Jahre 2018 [4]. Auch die Gefahr, in Armut zu leben, ist für MigrantInnen deutlich höher als für „Einheimische“. Derzeit leben rund 21,7 % von ihnen unter der Armutsgrenze, bei den „Einheimischen“ dagegen nur ca. 16,7 %. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen ist die Quote von lohnabhängigen MigrantInnen ohne Berufsabschluss mit 35 % mehr als dreimal so hoch, zum anderen sind rund 40 % für ihren ausgeübten Beruf überqualifiziert und damit deutlich schlechter gestellt als die übrigen Lohnabhängigen. Unter ihnen trifft dies nur bei 20 % zu. Dieser Umstand liegt vor allem an im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen und der mangelnden Anerkennung durch deutsche Behörden. Vor allem Frauen sind davon massiv betroffen, denn bei ihnen ist der „Beschäftigungsabstand“ zur hier geborenen Bevölkerung weit höher als im Durchschnitt aller ZuwanderInnen. Vergleicht man ihre Situation mit in Deutschland geborenen Frauen, wird deutlich, dass sie stärker in Teilzeit und in Bereichen außerhalb ihrer beruflichen Qualifikation angestellt sind [3].

Rolle der Gewerkschaften

3. Weltweit lässt sich feststellen dass es eine Zunahme an Lohnabhängigen gib, sowohl in absoluten Zahlen, als auch im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Gerade im asiatischen Raum ist der Anteil der ArbeiterInnen aufgrund der industriellen Entwicklung rasant gewachsen. (Verglichen mit den 1970er und sogar 1980er Jahren kann man z. B. in Pakistan einen deutlichen Rückgang des Organisationsgrads feststellen. Zwar ist die Zahl der insgesamt gewerkschaftlich Organisierten in einigen Sektoren gestiegen, diese muss jedoch in Relation zu einer bedeutend größeren GesamtarbeiterInnenklasse als in den 1960er und 1970er Jahren gesetzt werden. 2007 waren 1,3 Millionen organisiert, nur rund 2 % aller Lohnabhängigen. In bedeutenden Zweigen hingegen ist der Organisationsgrad aufgrund von Privatisierung und Verkleinerung der Belegschaften in solchen Firmen zurückgegangen.) Das heißt, dass die ArbeiterInnenklasse global wächst, aber ihr Organisationsgrad niedrig ist.

So ist auch in Europa der Anteil der gewerkschaftlich Organisierten generell von rund 40 % in den 1990er Jahren auf ca. 20 % gesunken. In Schweden betrug er 2014 nur noch rund 70 % (Ausgangspunkt 80 % in den 80er Jahren). In Großbritannien ging der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder seit den 80er Jahren auf unter 20 % zurück. Auch Österreich hat einen starken Mitgliederschwund auf knapp 30 % zu verzeichnen. Einzig allein Italien konnte diesen Anteil nahezu konstant bei 40 % halten [5].

Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf die gesamte Mitgliedschaft, sagen daher wenig über die Lage der Frauen in den Gewerkschaften aus. Tatsächlich ist ihr Anteil seit 2005 zwar nur leicht, dafür aber kontinuierlich gestiegen. Er beträgt aber leider mit 33,7 % (Stand 2017) weiterhin nur rund 1/3 aller Mitglieder. Den höchsten Frauenanteil von fast 72 % finden wir bei der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft). Bei ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) ist über die Hälfte der Mitglieder weiblich (52 %) und bei der NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) beträgt er immerhin noch 42 %. Demgegenüber gibt es deutlich geringere Frauenanteile in den anderen Gewerkschaften. Den geringsten finden wir bei der IG Metall mit 18 % [6]. Die oben erwähnten Zahlen beziehen sich aber allein auf die Mitgliedschaft. Betrachtet man dagegen die oberen Hierarchieebenen innerhalb der Gewerkschaften, sind dort immer noch sehr wenig Frauen anzutreffen. Sie sind hier zumeist in Dienstleistungs-, Sekretariats- sowie in politischen ReferentInnentätigkeiten beschäftigt. Sollten sie doch einmal in die entscheidenden Organisationsebenen vordringen, dann eher als Repräsentantinnen für Frauen und Jugendliche oder im Bereich Soziales. Bereiche wie beispielsweise Wirtschafts- oder Tarifpolitik ebenso wie die Betriebsratsarbeit oder die Ortsverwaltungsstellen werden nach wie vor meist von Männern dominiert [7]. Was sagen uns diese Fakten? Sie sind ein Zeichen dafür, dass Frauen in Gewerkschaften immer noch stark unterrepräsentiert sind und dementsprechend ihre Interessen zu wenig berücksichtigt werden. Die Gewerkschaften unternehmen leider immer noch viel zu wenig, um diesen Umstand zu verändern. Nach wie vor verweigern sich Gewerkschaften auch der Aufnahme von Flüchtlingen, worunter auch viele Frauen fallen.

Existierende Lohndiskriminierung

Ein weiterer wichtiger Faktor in Bezug auf Frauenunterdrückung ist die weltweit existierende geschlechtsspezifische Lohnlücke und zwar unabhängig vom Entwicklungsstand eines jeweiligen Landes. In Deutschland beträgt diese im Moment rund 21 %. Als Gründe werden häufig zum einen der hohe Beschäftigungsanteil im Niedriglohnsektor, zum anderen aber auch fehlende Tarifverhandlungen und Mindestlöhne genannt. Und Mutterschaft ist nicht nur ein Nachteil in der Karriereplanung, sondern häufig auch ein Argument von Arbeit„geber“Innen für geringere Bezahlung. Als direkte Folge daraus herrschen eine mangelnde Absicherung und die größere Gefahr von Altersarmut für Frauen [8].

Für die Durchsetzung des Zieles „gleiches Entgelt für Männer und Frauen“ trat am 6. Juli 2017 das Entgelttransparenzgesetz in Kraft. Darin ist verankert, dass Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 MitarbeiterInnen alle 2 Jahre einen individuellen Auskunftsanspruch zu den geltenden Entgeltstrukturen des jeweiligen Betriebes geltend machen können, erstmals seit 6. Januar 2018. Allerdings muss der Anspruch in Textform erfolgen und gilt nur für Beschäftigte des jeweils anderen Geschlechts, welche eine gleiche/gleichwertige Tätigkeit im Betrieb ausüben. Damit soll insgesamt die Durchsetzung eines Anspruchs auf gleichen Lohn unabhängig vom Geschlecht erleichtert werden [9].

Die Kritik am Gesetz kam prompt. So wurde es beispielsweise von der Direktorin des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen, Ute Klammer, als ein „zahnloser Tiger“ bezeichnet. Auch befürchten viele, es verkomme zu einem Bürokratiemonster. Tatsächlich stellt sich aber die Frage, was mit der gewonnenen Transparenz erreicht werden kann. Traut sich „Frau“, gegen einen geringeren Lohn zu protestieren und damit womöglich ihren Job zu riskieren? In einem Interview der Tageszeitung „Neues Deutschland“ bezeichnete die Finanzexpertin Henrike von Platen die Unternehmenskultur als traditionell männlich geprägt. Eine Entgelttransparenz sei von vielen Unternehmungsleitungen schlicht nicht gewollt und werde darum nicht gefördert. In der Tat nahmen bisher recht wenige Beschäftigte dieses Recht in Anspruch. Vor allem Frauen scheuen demnach oft aus Angst vor Nachteilen davor zurück [8].

 Weitere Beispiele für Frauenunterdrückung

4. Der internationale Rechtsruck weltweit bringt einen gesellschaftlichen Rollback mit sich, der die Rechte von Frauen und LGBTIAs angreift. Dieser Rechtsruck ist ebenfalls Resultat der Wirtschaftskrise 2008/2009. Sie hat den Konkurrenzdruck zwischen den imperialistischen Staaten sowie die Konzentration und Zentralisation des Kapitals verschärft. Anders gesagt: Kriegerische Auseinandersetzungen wie in Syrien oder der Ukraine nehmen zu ebenso wie größere Fusionen von Monopolkonzernen. Das hat zur Folge, dass ein Teil der herrschenden Klasse im Wettbewerb untergeht oder zumindest Abstiegsängste hat. Dieser Teil, der sich nicht mehr im internationalen Wettbewerb messen kann, fängt an, eine nationalprotektionistische Politik zu fahren mit dem Interesse, dass der bürgerliche Staat seine Stellung verteidigt. Er will also das Rad der Zeit zurückdrehen und internationalen Produktionsketten nationale Abschottung entgegensetzen. Um dies ideologisch zu rechtfertigen, greift er zur rassistischen, populistischen Hetze. Gleichzeitig ist die nationalprotektionistische Politik auch Ursache für den Rollback, denn die Fokussierung auf den Nationalstaat bedeutet gleichzeitig, dass das Ideal der bürgerlichen Familie stärker wiederbelebt werden muss. Diese dient allgemein im Kapitalismus für die ArbeiterInnkenklasse als Ort ihrer Reproduktion, der größtenteils von Frauen getragen wird. Da die Rechten den Sozialstaat abbauen, muss diese gestärkt werden und mit ihr die geschlechtliche/n Arbeitsteilung und Stereotype. Das hat weitreichende Folgen: Mit dem Erstarken der Rechten steigt auch die Gewalt an Frauen, die Zahl der Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Das liegt daran, dass die Abstiegsängste nicht nur die KapitalistInnen, sondern auch Teile der ArbeiterInnenklasse treffen. Wie oben schon erwähnt, werden, um Unternehmen Kosten der Krise zu ersparen, auch die Arbeitsbedingungen schlechter sowie die Erwerbslosigkeitszahl größer. Das verschärft die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wenn die Rechten dann mit ihrer Hetze erfolgreich sind, werden ihre reaktionären Vorstellungen populärer, die zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse führen und Frauen oder auch MigrantInnen im Produktionsprozess abwerten. Dabei sehen die Zahlen schon jetzt nicht gut aus:

Nach wie vor ist Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung, sei es im häuslichen, beruflichen oder privaten Umfeld. Laut einer repräsentativen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ aus dem Jahre 2004 haben 40 % der Frauen in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Unterschiedliche Formen der sexuellen Belästigung erlebten sogar 58 % der befragten Frauen. Psychische Gewalt in Form von Einschüchterung, Drohungen, Demütigungen oder gar Psychoterror erlitten 42 %. Die Gewalt gegen Frauen wird dabei überwiegend durch (Ex-)Partner der Frauen im häuslichen Umfeld ausgeübt. Vor allem Trennungs- und Scheidungssituationen sind demnach besonders riskant. Besonders gefährdet in Bezug auf Gewalterfahrungen sind laut der Studie Prostituierte, Frauen in Haft, geflüchtete Frauen sowie Migrantinnen, die deutlich häufiger Opfer von körperlicher/sexueller Gewalt werden [10].

Ein Blick auf die Welt offenbart, dass dies ein globales Problem ist. Die WHO hat 2005 eine Studie veröffentlicht, nach der 40–70 % der Morde an Frauen durch deren männliche Partner verübt wurden. Zusätzlich sind Frauen in einigen Regionen von sogenannten Ehren- oder auch Mitgiftmorden bedroht. Schätzungen der UNO gehen davon aus, dass jährlich circa 5.000 Frauen in 14 Ländern zu Opfern werden [11]. Eine weitere Gewaltform gegen Frauen oder in diesem Fall jungen Mädchen stellt die weibliche Genitalverstümmelung dar. Diese betrifft weltweit ca. 130 Mio. Mädchen/junge Frauen. Schätzungen für das Jahr 2017 gingen in Deutschland von rund 58.000 betroffenen und 13.000 bedrohten Mädchen aus [12].

Ein weiterer Bereich der Frauenunterdrückung und der Einschränkung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung stellt die Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch dar. Dieses Recht erfährt immer stärkere Angriffe vor allem aufgrund des stärker werdenden Rechtsrucks und des Erstarkens rechtspopulistischer/nationalistischer Parteien wie der AfD in Deutschland oder der PiS (rechtskonservative Partei) in Polen. In ihnen gibt es eine starke Rückbesinnung auf die Rolle der Frau als treusorgende Mutter und Hausfrau, die auch lieber zugunsten der Reproduktionsarbeit die Erwerbstätigkeit aufgibt. Die logische Konsequenz dieser Politik liegt in der immer stärkeren Einschränkung von nationalen Abtreibungsgesetzen und dem erschwerten Zugang zu Abtreibungen. Nicht nur Spanien hat im Jahre 2013 das Abtreibungsgesetz verschärft. Auch in Polen laufen seit langem Versuche, das schon jetzt sehr strikte Abtreibungsgesetz nochmals zu verschärfen und Frauen damit die Möglichkeit zu nehmen, auf legalem Wege eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Bisher scheiterte dies aber an massenhaften Protesten. Aber auch in Deutschland hat die Debatte um Abtreibungsgesetze neuen Aufwind bekommen, nicht zuletzt durch den prominenten Fall der Gießener Ärztin Kristina Hänel und die Diskussion über den § 219a. Sie bemängelt vor allem den schwindenden Zugang zu Abtreibungskliniken oder entsprechenden ÄrztInnen, aber auch die fehlende Möglichkeit, Betroffene im Vorfeld ausführlich aufzuklären. Denn der obige Paragraph verbietet doch die „Werbung“ für Abtreibungen durch behandelnde ÄrztInnen.

Zum Schluss sei noch kurz auf die Doppelbelastung von Frauen eingegangen, die neben der Erwerbstätigkeit oft die komplette Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen und sich häufig, quasi nebenbei, um kranke und pflegebedürftige Familienangehörige kümmern. Dies erschwert ihnen oftmals auch die politische und organisatorische Teilhabe. Ganz besonders Alleinerziehende kämpfen oft mit fehlenden und teilweise sehr teuren Betreuungsangeboten und unflexiblen Arbeitszeiten.

Kampf für Frauenbefreiung

Wir sehen also, dass Frauen weltweit in vielfältiger Weise diskriminiert, benachteiligt und unterdrückt werden – und dass die kapitalistische Krise, die globale Konkurrenz und der Aufstieg rechter und rassistischer Kräfte dies weiter verschärfen. Aber wie dagegen vorgehen und eine Reproduktion der bestehenden Verhältnisse verhindern? Aus marxistischer Sicht ist die Frauenunterdrückung eng mit dem Patriarchat und dem Bestehen einer kapitalistischen Produktionsweise verknüpft. Genauer gesagt fördert die kapitalistische Entwicklung Frauenunterdrückung und Patriarchat. Daher kann eine vollständige Frauenbefreiung nur in einer sozialistischen Gesellschaft, also nach dem Sturz des Kapitalismus, erreicht werden. Die Frauenbefreiung muss daher mit dem Klassenkampf gebündelt werden. Ein erfolgreicher Kampf gegen den Kapitalismus kann aber nur mit der Gesamtheit der ArbeiterInnenklasse geführt werden, damit ein möglichst hoher ökonomischer und politischer Druck aufgebaut werden kann. Daher ist es wichtig, auch die Männer für den Kampf zur vollständigen Frauenbefreiung zu gewinnen.

Dabei ist es unerlässlich, den Frauen das Bewusstsein zu vermitteln, dass sie einer spezifischen Unterdrückung unterliegen und das Recht auf eigenständige Strukturen und Treffen in Organisationen, Parteien, aber auch Gewerkschaften haben. Zum einen ermöglicht dies ihnen, eigenständig ihre Interessen vorzubringen und entsprechende Forderungen zu stellen. Zum anderen wird dadurch eine Vereinnahmung durch andere Teile der ArbeiterInnenklasse verhindert. Denn auch die fortschrittlichsten Teile der Lohnabhängigen und Gewerkschaftsmitglieder unterliegen doch dem Einfluss einer sexistischen, kapitalistischen Gesellschaft. Gesonderte Treffen ermöglichen es zusätzlich, offen über bestehende Diskriminierungen oder aktuelle Probleme zu sprechen und Lösungen gemeinsam zu erarbeiten. Frauen sollten neben eigenen Organisationsstrukturen auch eigene Propaganda und Agitation betreiben, mit dem Ziel weitere Mitstreiterinnen für einen gemeinsamen internationalen Kampf gegen den Kapitalismus und für die vollständige Frauenbefreiung zu gewinnen!

Wir als MarxistInnen treten daher für eine internationale multi-ethnische, proletarische Frauenbewegung ein mit dem Recht auf gesonderte Treffen in ArbeiterInnenorganisationen und Gewerkschaften.

Dieser Kampf muss sich auch auf ein Aktionsprogramm stützen, um die laufenden Angriffe abzuwehren und eine internationale Bewegung aufzubauen. An dieser Stelle können wir nur einige Aspekte skizzieren und zur Diskussion stellen:

 

  • Gleiche Rechte für alle! Die formale rechtliche Gleichheit wurde zwar in vielen Ländern erkämpft, längst jedoch nicht in allen. Weltweit wird MigrantInnen und Flüchtlingen diese verwehrt, was Frauen und LGBTIA-Menschen besonders hart trifft. Wir fordern die Abschaffung aller diskriminierenden Gesetze, die volle rechtliche Gleichstellung der Frauen und LGBTIA-Menschen!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn für alle Frauen, um ein Mindesteinkommen zu sichern, das die Reproduktionskosten deckt und ein Leben ohne Abhängigkeit vom (männlichen) Partner erlaubt. Die Höhe soll von der ArbeiterInnenbewegung festgelegt und automatisch der Erhöhung der Lebenshaltungskosten angepasst werden. 
  • Kostenloser Zugang zu Gesundheitsversorgung, Pflegeeinrichtungen, Krankenvorsorge und gesicherte Renten für alle Frauen! Wir fordern kostenlose und bedarfsorientierte Kinderbetreuung, öffentliche Kantinen und Wäschereien – um eine gesellschaftliche Gleichverteilung der Reproduktionsarbeiten auf alle Geschlechter sicherzustellen. 
  • Recht auf Scheidung auf Wunsch! Ausbau und Sicherstellung von Schutzräumen für Frauen (wie z. B. Frauenhäuser). Des Weiteren stellen wir die Forderungen nach Abschaffung aller Abtreibungsgesetze auf sowie für kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und das vollständige Recht auf körperliche Selbstbestimmung. 
  • Kostenlose, kollektive Selbstverteidigungsstrukturen, um es Frauen zu ermöglichen, sich selbst vor Übergriffen zu schützen.
  • Um Frauen aufgrund ihrer Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit eine politische Teilnahme zu erleichtern, treten wir zudem für eine Vergesellschaftung sämtlicher Haushalts-, Sorge- und Reproduktionsarbeiten ein.

 

Quellen:

 

[1] https://www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_619785/lang–de/index.htm

[2]   https://www.ilo.org/berlin/arbeitsfelder/frauen-in-der-arbeitswelt/WCMS_619734/lang–de/index.htm

[3]   Tageszeitung Neues Deutschland, Ausgabe 17. Januar 2019

[4]   https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1224/umfrage/

        arbeitslosenquote-in-deutschland-seit-1995/

[5]   https://www.zeit.de/karriere/2014-10/gewerkschaften-mitglieder-weltweit

[6]   https://www.boeckler.de/107622.htm

[7]   http://agf.blogsport.de/images/MaterialFraueninGewerkschaften.pdf

[8]   Tageszeitung Neues Deutschland, Ausgabe 19./20. Januar 2019

[9]   https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/lohngleichheit-neues-zum-entgelttransparenzgesetz_76_398490.html

[10] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/lebenssituation–sicherheit-und-gesundheit-von-frauen-in-deutschland/80596

[11] http://www.bpb.de/izpb/8344/situation-der-frauen-und-kinder?p=all

[12] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/weibliche-beschneidung-genitalverstuemmelung-muenchen-hilfe-1.4188021