Marxistische Filmkritik: Die Sissi-Trilogie

Von Felix Ruga, Dezember 2023

Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, die Sissi-Trilogie aus den 1950er, die jedes Jahr im Wohnzimmer meiner Familie zur Weihnachtszeit läuft, mal etwas bewusster zu schauen und konnte es zunächst kaum verstehen: Wie kann das eigentlich sein, dass gerade dieser Film zu so einem Weihnachtsklassiker geworden ist? Da geht es kein bisschen um Weihnachten! Aber irgendwie fühlt es sich doch stimmig an. Welche Bedürfnisse werden also bedient? Warum gehört der Film zur Weihnachtstradition doch einiger Familien in Deutschland?

Kurzer Überblick

In der Trilogie wird ziemlich frei das junge Leben von der Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt Sissi und gespielt von Romy Schneider, nacherzählt. Im Grunde verläuft die Handlung entlang ihres romantischen Verhältnisses zu Kaiser Franz. Sie treffen 1853 zufällig aufeinander, während Sissi noch eine jugendliche Adlige in Bayern ist und verlieben sich natürlich innerhalb weniger Stunden unsterblich ineinander. Damit beginnen dann die ganzen Konflikte des Films: Was ist mit der bereits arrangierten Ehe von Franz? Hat Sissi als niedere Adelige überhaupt das Zeug dazu, Kaiserin zu werden? Wie gewinnt Sissi das Herz des Wiener Hofs und gerade ihrer herrischen Schwiegermutter? Wie kriegen die beiden die Politik und ihre Liebe unter einen Hut? Kann Sissi die politischen Krisen im großen Kaisertum und Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn mit ihrer Forschheit, Cleverness und ihrem Charme lösen? Und dann wird sie auch noch schwanger! Das alles wird dann verhandelt auf Hofbällen, Ausflügen, dem Schloss oder in den vielen humorvollen bis melodramatischen Dialogen.

Damit hätte man schon den ersten Ansatz, was den Film so passend zu Weihnachten macht: Er ist auf mehreren Ebenen „leicht“. Zum einen wäre da natürlich das filmische, also dass die Ästhetik kitschig und das Schauspiel übertrieben theatralisch ist, sodass man eigentlich immer sofort versteht, was bei den Charakteren so abgeht. Alle Rollen passen ins gut/böse/albern-Schema. Zum anderen ist die Stimmung leicht, denn man kann den Film eigentlich gar nicht ernst nehmen. Immer, wenn es mal etwas schwerfälliger werden könnte, trampelt irgendein trotteliger Offizier herein oder der Film schneidet rüber zu den herzlich-komischen Eltern von Sissi. Alles wird getragen von der schnulzigen und reinen Romantik zwischen den Protagonist:innen. Kein Wort über die wahren Verhältnisse in der Ehe zwischen dem Kaiser, der seine damals 16-jährige Cousine heiratete oder Sissis ständiger Flucht vom Hof, Magersucht und ‚Melancholie‘. Und letztendlich sind Sissis Adeligen-Probleme für uns moderne Arbeiter:innen doch mehr als fremd und deswegen besonders leicht bekömmlich.

Die guade oide Zeit

So weit, so gewöhnlich. Solche seichte Unterhaltung ist so alt wie das Kino selbst und heute mit etwas anderer Ästhetik immer noch weit verbreitet. Um zu verstehen, was die Sissi-Trilogie für die Deutschen so betörend macht, muss man schauen, unter welchen Vorzeichen diese gedreht wurden. Die 3 Filme kamen 1955,56 und 57 raus und lagen damals voll im Trend, denn da wurde eine Heimatschnulze nach der anderen gedreht. Nach der Befreiung Deutschlands von den Nazis kann man hier die Stimmung ablesen: Zum einen hatten die Deutschen immer noch die ideellen Werte von Heimat, Familie, Autorität und symbiotischer Einigkeit zwischen Volk und Staat, zum anderen wurde man jedoch besiegt, gedemütigt und so manche:r wird mit der eigenen Mitwirkung an den Untaten der Nazis konforntiert, während ein Großteil gar nicht dran denken will. Heimatschnulzen klemmen sich in diesen Widerspruch besonders gut rein: Oberflächlich unpolitisch, unkompliziert und unbeschwert, aber gleichzeitig wird die Romantisierung der ganzen alten Naziwerte betrieben.

Die Sissi-Trilogie hat dieses politische Unpolitischsein gemeistert und das ist sicherlich ein entscheidender Grund, warum sie bis heute so ein großer Erfolg ist. Indem man nämlich in die romantisierte Darstellung einer längst vergangenen Zeit schlüpft, bricht man oberflächlich aus der kapitalistischen Modernität aus. Das wird durch den ganzen Kitsch noch weiter zementiert. Dazu werden antimoderne Wünsche befriedigt: Da wäre zum einen natürlich die fast schon skandalöse Idealisierung des Adels und Verniedlichung der Adelsherrschaft. Da in dem Film fast ausschließlich Adelige oder deren unmittelbare Bediensteten auftreten, entsteht der Eindruck einer „Klassenlosigkeit“: Kein Wort zu den heftigen Klassenkämpfen und revolutionären Bestrebungen zu dieser Zeit, keine Beachtung des anwachsenden Proletariats, der beraubten Bäuer:innenschaft von ihrem Land, am Rande werden mal die aufsteigenden Nationalbewegungen verhandelt. Vor allem geht es aber um die auf magische Weise wohlhabenden Adligen in ihren prunkvollen Sälen. Das gibt mehr als genug Raum für Eskapismus aus den Mühen des modernen Kapitalismus.

Zum anderen sind da die nationalistischen Gefühle, die dem Film zwar aus allen Poren kommen, aber nicht so plump wie im Nazi-Stil. Denn es geht im Film ja nicht um Deutschland, sondern „nur“ um das Habsburgerreich Österreich-Ungarn, was aber für Deutschnationale eigentlich ja auch nur verlorene Deutsche sind, und zwar genau zu einer Zeit, als dieses noch mächtig und groß war und diverse Länder unterjochen konnte. Dadurch wird die Sehnsucht nach der Zeit bedient, „als wir in der Welt noch wer waren“, ohne es so offensichtlich zu machen, dass man sich damit aktiv auseinandersetzen müsste. Das alles kulminiert sich in der Schlussszene der Trilogie: Venedig will sich vom Habsburgerreich emanzipieren und protestiert, indem dem Kaiserpaar bei der Ankunft nicht zugejubelt wird. Doch Sissi erwärmt mit ihrem Charme die Herzen der Venizianer:innen und die politische Krise ist abgewehrt. Zur Feier schmettert in voller Länge die deutsche Nationalhymne los. Aber zwinkerzwinker- es ist ja nicht wirklich die bundesdeutsche Nationalhymne, sondern Österreich hatte damals doch die gleiche Melodie! Ist ja nichts dabei, in Zeiten des geteilten Deutschlands die Nation zu beschwören. Alles nur geschichtliche Sorgfalt, nicht wahr?

Schuldige Unschuld und unschuldige Schuld

Zuletzt sollte man sich noch die ideologische Rolle der namensgebenden Protagonistin Sissi anschauen. Hier kann man die Interpretationen zwischen damals und heute etwas aufteilen. Sissi wird in dem Film als gutherzige, liebenswürdige, volksnahe, jugendlich-unschuldige Frau dargestellt, die zwar eigensinnig aber doch irgendwie pflichtbewusst in die herrschenden Kreise aufsteigt. Mächtig, beliebt, unschuldig und irgendwie einzigartig in einer fremden Welt. Das ist der ferne deutsche Traum in der Nachkriegszeit und dementsprechend war Sissi damals eine besondere Identifikationsfigur.

Aber auch für das aktuelle Zeitenwende-Deutschland hält Sissi etwas bereit. Überhaupt als weibliche und starke Protagonistin hat sie etwas Modernes. Sie ist eine Rebellin, aber nicht durch Wut oder Kampfeswillen, sondern weil sie einfach ein gutes Herz und ideelle Werte hat und sich nicht an den althergebrachten Machtspielchen beteiligen, aber doch die Weltpolitik mitgestalten will. Eigentlich perfektes Spiegelbild der „wertegeleiteten“ Außenpolitik. Und beide sind doch nur Fassade und im Hintergrund bleibt das Streben nach der Ordnung im nationalstaatlichen Interesse.

So lässt sich insgesamt auch erklären, warum der Film so ein Weihnachtsklassiker geworden ist: Er bedient über die historischen Perioden hinweg deutsche Träume, setzt sich dabei aber immer in einen unpolitischen und ungefährlichen Kontext und kann deswegen ganz gedankenlos geguckt werden. Wie immer in den Weihnachtsfilmen werden die guten alten Werte wie Familie, Treue und Nächstenliebe ganz großgeschrieben und das alles wird dann in eine ordentliche Portion Kitsch, Frohsinn und Romantisierung gepackt. Nostalgie dürfte das zentrale Moment des Films sein: Schon in den 50ern hat er eine nostalgische Vergangenheitsklitterung betrieben, heute ist der Film schon aus der Tradition mit Nostalgie verbunden. Dementsprechend sollte man aber die Ideologie des Films als eine reaktionäre verstehen, denn sie ist rückwärtsgewandt im eigentlichen Sinne, will die modernen Probleme mit der Besinnung auf Altes bewältigen ohne eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Konsequenzen. Die Kälte, Konflikte und Widersprüche der kapitalistischen Moderne lassen sich nicht durch solche Beschönigungen lösen, was auch für fast alle weihnachtlichen Vorstellungen gilt. Das kann nur die Überwindung des Kapitalismus schaffen.




Filmkritik: Die Barbarei von Panem – Oder: Was passiert, wenn wir verlieren?

Von Jona Everdeen, Dezember 2023

Es sorgte für einigen Spaß als bekannt wurde, dass Teile des neue „Tribute von Panem“ Prequel ausgerechnet in Duisburg gedreht werden sollten. Es wurde gewitzelt, dass die ökonomisch schwächelnde Industriestadt im Ruhrgebiet den post-apokalyptischen Vibe sehr gut treffe.

Doch was ist das wirklich für eine Welt, in der Jugendliche zur Teilnahme an den tödlichen Hungerspielen gezwungen werden und wo die große Mehrheit der Menschen in den Distrikten im Elend versinkt, während eine kleine Gruppe von Menschen im Kapitol ein selbst für große Teile der aktuellen Bourgeoisie schwer vorstellbares Luxusleben führt?

Und was hat diese dystopische Gesellschaft mit unserer Welt zu tun? Könnte Panem, wenn es dumm läuft, irgendwann ein sehr realer Schrecken sein?

Die Klassenstruktur von Panem

Der Staat Panem besteht aus 12 Distrikten und einer Hauptstadt, dem Kapitol. In den Distrikten findet jeweils voneinander getrennt die Produktion verschiedener Güter statt (z.B. Holz, Textilien, elektronische Geräte), während vom Kapitol aus der Staat verwaltet wird.

Die Produktion in den größtenteils sehr armen Distrikten dient in erster Linie der Versorgung des Kapitols.

Die Menschen in den Distrikten sind dabei keine Sklav_Innen des Kapitols. Sklav_Innen sind lediglich die „Avoxe“, Bedienstete im Kapitol selbst, denen die Zunge herausgeschnitten wurde, damit sie sich nicht verbal verständigen können. Sie sind keine Leibeigenen im Sinne eines Feudalsystems, die für ihre Herren Frondienste verrichten und Abgaben leisten müssen, aber sonst für den Eigenbedarf produzieren. Und sie sind auch keine Arbeiter_Innen, die Arbeit verkaufen.

Genauso sind die Menschen im Kapitol auch keine Sklavenhalter_Innen, wobei die Gesellschaft des Kapitols einer antiken Stadtgesellschaft durchaus ähnlich ist, keine Feudalherren und keine Kapitalist_Innen, die ihre Stellung in erster Linie durch den Privatbesitz an Produktionsmitteln inne haben. Der Hauptwiderspruch dieser Gesellschaft ist eben der zwischen Kapitol und Distrikten und beruht letztendlich auf roher, kaum verhüllter, staatlicher Gewalt. Während die Menschen in den Distrikten schuften müssen, extrem prekären Lebensbedingungen ausgesetzt sind und auch noch jedes Jahr zwei Jugendliche aus jedem Distrikt zum Sterben in die Arena der Hungerspiele schicken müssen, lebt es sich im Kapitol in Saus und Braus.

Das Kapitol presst, um diesen Lebensstil finanzieren zu können, auf brutalste Art und Weise die Distrikte aus, wobei die Hungerspiele eigentlich nur die Spitze des Eisbergs sind. Weigern sich Menschen, die Schwerstarbeit zu leisten oder können sie schlicht die Liefermengen an das Kapitol nicht erfüllen, kommt es zu meist völlig willkürlichen Auspeitschungen und Hinrichtungen und somit extremster Repression durch die als „Friedenswächter“ bezeichnete Armee des Kapitols.

Diese Armee setzt sich aus verschuldeten Bürger_Innen des Kapitols oder Menschen aus dem etwas privilegierten Distrikt 2 zusammen.

Soziale Mobilität gibt es zwar in der Armee im beschränkten Maße. Aber als Kapitolbewohner_In klassische Distriktbewohner_In zu werden oder andersherum ist hingegen quasi ausgeschlossen und auch von einem Distrikt in den anderen zu „wechseln“, kann man zumindest nicht regulär.

Auch die Sieger_Innen der Hungerspiele nehmen in dieser Gesellschaft nur begrenzt eine Sonderrolle ein: Sie werden zwar im Kapitol zu einer Art Popstars und erhalten genug Geld um sich und ihren Familien ein sorgloses Leben zu ermöglichen, sie bleiben jedoch weiterhin Distriktbewohner_Innen.

Kann Panem Realität werden?

„Sozialismus oder Barbarei“, diese Mahnung Rosa Luxemburgs ist in der marxistischen Linken allseits bekannt und bedeutet, dass, sollte es uns nicht gelingen, die gesellschaftlichen Widersprüche des Kapitalismus auf revolutionärem Weg zu lösen, zwangsläufig dieses System an den Widersprüchen untergehen und die Gesellschaft in eine Barbarei stürzen müsse.

Was jedoch diese Barbarei genau bedeutet, ist dabei bewusst offengehalten. Zum einen wird damit die Entbändigung der kapitalistischen Gewalt im Faschismus beschreiben. Es geht dabei aber auch um eine apokalyptische nach-kapitalistische Welt. Man kann diese natürlich nicht vorhersehen, aber sich bestimmte Szenarien ausmalen, woraus einige kulturelle Genres entstanden sind.

Die erste Option können wir im Film „I Am Legend“ sehen oder auch bei manchen Klimagruppen hören. Hier gibt es die Vorstellung, dass nach einer großen Katastrophe wie Krieg, dem eskalierenden Klimawandel oder einer Pandemie die Menschheit als Spezies schlicht verschwindet.

Deutlich öfter und auch irgendwie überzeugender tauchen Visionen einer heftigen Dezimierung aber nicht Auslöschung der Menschheit auf, die dann ihr Dasein unter prekärsten, vormodernen Verhältnissen fristen muss, wie in Teilen der Fallout-Reihe oder Metro 2033. Die dritte Option ist jene von Tribute von Panem: Der Errichtung einer neuen Klassengesellschaft auf den Trümmern der alten. Einer Gesellschaft in der nicht mehr das kapitalistische Wertgesetz herrscht aber auch kein zentraler, rätedemokratischer Plan.

Wenn man sich aber auf diese wilde Spekulation einlässt, scheint eine Gesellschaft in der es einer privilegierten, technologisch überlegenen, Minderheit gelingt, eine neue Ordnung in ihrem Interesse zu erschaffen und die Gesellschaftsmehrheit unter Androhung und Anwendung exzessiver Gewalt dazu zu zwingen, für sie zu arbeiten, durchaus nicht unrealistisch.

Auch in einem weiteren post-apokalyptischen Universum sehen wir ein Beispiel für eine solche Gesellschaft, allerdings in ihrer Frühphase: Negans Saviors aus The Walking Dead.

Diese bilden letztendlich eine Gruppe aus Menschen die, von einem gut gesicherten Hauptquartier aus agierend, mit Waffengewalt andere Gruppen von Menschen dazu zwingen für sich zu arbeiten und Produkte, zum Beispiel Lebensmittel, als Tribut zu zahlen. Sollten diese nicht im geforderten Maße liefern, ist die Strafe meist die Erschießung eines Mitglieds der Gemeinschaft.

In Tribute von Panem wird nicht genauer erwähnt, wie die dortige Gesellschaft ursprünglich entstanden ist, jedoch ist ein ähnlicher Ursprung der Räuberei durch das Kapitol, die sich dann über die Jahrzehnte institutionalisiert zu einer Art Staat weiterentwickelt haben könnte, durchaus realistisch.

Tatsächlich sehen wir ja bereits jetzt, wie an verschiedenen Orten von Superreichen „Weltuntergangs-Resorts“ gebaut werden. Orte, an denen diese auch nach einem Zusammenbruch des kapitalistischen Weltsystems weiterhin ein privilegiertes Leben führen können, so zum Beispiel in Tirol oder in Neuseeland. Die meisten dieser Luxusbunker sind allerdings bisher recht klein konzipiert. Die abgeschottete und als autark geplante Stadt Neom in Saudi-Arabien, die bis 2030 gebaut werden soll, erinnert hingegen in ihrer futuristischen Konzeption schon sehr erschreckend an das Kapitol.

Wenn die Gesellschaft an der Unzahl von unlösbaren Krisen zerfällt, sind solche abgeschottete Rückzugsräume logische Notwendigkeit für die herrschende Klasse. Dann braucht es nur noch die Duisburger Arbeiter_Innen zur Versorgung des Luxuslebens! Und wenn die Gesellschaft sich schlussendlich das Luxusgut Moral und Menschlichkeit nicht mehr leisten kann, sind faschistische Ideologien zu Legitimierung und solche brutale „Spiele“ wie die Hungerspiele zur Stabilisierung der Gesellschaft auch nicht mehr weit.

Vergesst nicht, wer der wahre Feind ist!

Wenn wir also nicht wollen, dass unsere Enkel in Hungerspielen gegeneinander antreten müssen und in einer von schrecklichen Kriegen und einer eskalierten Klimakatastrophe verheerten Welt ihr Leben damit verbringen müssen, zu ackern, damit die Enkelkinder unserer Bosse weiter in Saus und Braus leben können, müssen wir jetzt etwas tun!

Deshalb müssen wir jetzt kämpfen, es wagen den Hunger nach Gerechtigkeit ein für alle Mal zu stillen und eine Welt zu erbauen, in der wir für immer frei von Ausbeutung und Unterdrückung leben können!

Vergessen wir nicht, wer der wahre Feind ist! Das sind nicht unsere Klassengenoss_Innen in anderen Ländern oder aus anderen Distrikten, nicht Menschen, die hierher vor Krieg und Elend fliehen, und nicht unsere Arbeitskolleg_Innen mit denen wir, zumindest laut unseren Bossen, um unsere Arbeitsplätze in Konkurrenz stehen müssen – Der wahre Feind sind die kapitalistischen Ausbeuter_Innen, die durch ihren Reichtum an Produktionmitteln bestimmen wie diese Gesellschaft funktioniert und ihre Privilegien im Zweifel auch nutzen würden, in einer post-apokalyptischen barbarischen Klassengesellschaft weiterhin die Herren zu bleiben! Nur eine Gesellschaft, die auf Solidarität, Demokratie und Gerechtigkeit fußt, kann überhaupt erst Krieg und Klimakatastrophe für immer verhindern!




Barbie: Dauerwerbesendung für pinken Kapitalismus? Eine marxistische Filmkritik

von Leonie Schmidt, Juli 2023

Nachdem der neue Barbiefilm (Greta Gerwig, 2023 USA) letzte Woche in den Kinos anlief und dabei einen unglaublich erfolgreichen Raketenstart hinlegte, gab es direkt die ersten Kritiken von Konservativen, die sich beschwerten, der Film würde sich gegen Männer richten, sei zu woke und würde unchristliche Werte vermitteln. Die positiven Kritiken hingegen versprachen stattdessen ein feministisches Spektakel voller Kritik am Patriarchat, radikalisierend oder gar revolutionär. Nach diesen zwiegespaltenen Rezensionen wollte sich unsere Autorin Leonie Schmidt selbst überzeugen. Hier könnt ihr die vollständige Kritik lesen.

Worum geht es?

In einem Land namens Barbieland lebt die stereotypische Barbie (Margot Robbie) zusammen mit verschiedenen anderen Versionen von Plastikpuppen und ihren Begleitern, den Kens (und Allan (Michael Cera)). Obwohl ihr Leben unter den vielen anderen Barbies und Kens perfekt erscheint, hegt sie eines Tages Selbstzweifel und wird von Angstgefühlen geplagt, da sie auf einmal Makel bekommt, die sie vorher nicht hatte. Dies führt dazu, dass sie Barbieland verlassen muss, um wieder perfekt zu werden und zusammen mit ihrem Begleiter Ken (Ryan Gosling) in die reale Welt reisen muss. Während dieser Reise verwandeln sie sich auf magische Weise in echte Menschen und landen in Los Angeles. Das sexistische Verhalten der Menschen und die Unterschiede zur Welt in Barbieland irritieren Barbie. Gleichzeitig begibt sie sich auf die Suche nach ihrer langjährigen Besitzerin, von der sie glaubt, sie in der frechen Teenagerin Sasha (Ariana Greenblatt) gefunden zu haben. Währenddessen entdeckt Ken während eines Spaziergangs durch die Stadt, dass die reale Welt im Gegensatz zu Barbieland von einem Patriarchat dominiert wird. Durch diese Reise verändert sich so einiges in Barbieland: Ken will dieses Paradies ebenfalls in ein Patriarchat mit Pferden und Mango-Bier verwandeln. Nun geht es darum, Barbieland vor dem Aufstand der Kens zu retten. Die Incel- und Macho-Revolution kann am Schluss durch den Zusammenhalt der Barbies abgewendet werden und die stereotypische Barbie erkennt, dass sie keine Barbie mehr sein möchte und darf nun in der echten Welt leben.

Zu hohe Erwartungen

Eine feministische Revolution in Hollywood, mit Barbie, dem Symbol der weiblichen Geschlechtsrolle? Zugegebenermaßen, das schien mir eigentlich die ganze Zeit für viel zu hoch gegriffen. Aber nachdem ich gesehen hatte, wie alle Menschen, denen ich online so folge, die irgendwie progressiv und teilweise auch antikapitalistisch bis revolutionär sind, den Film in den Himmel lobten, waren meine Erwartungen sehr hoch. Auch von Greta Gerwig als Filmemacherin hörte man bisher nur Gutes, ich hatte zwar bislang nur Lady Bird (Greta Gerwig, 2017 USA) gesehen, aber fand die antisexistischen Untertöne und das Portrait der Mutter-Tochter-Beziehung darin sehr gelungen. Die Besetzung des Barbiefilms ist außerdem hochkarätig und die Pressetour vor dem Filmstart, gab einem das Gefühl, dass Margot Robbie und Ryan Gosling sich genau mit ihren Rollen und deren tieferen Bedeutungen auseinandergesetzt haben. Auch hatte ich gehört, dass Gerwig und Robbie sich mit einigen Szenen gegen Mattel und Warner Bros durchsetzen, weil sie diese für absolut relevant für die Aussage des Films hielten (zum Beispiel die Szenen mit der alten Frau an der Bushaltestelle, mit der Barbie kurz nach ihrer Ankunft in der echten Welt spricht). Nachdem ich den Film gesehen hatte, dachte ich mir allerdings nur: das war alles?!

Positive Elemente

Bevor wir zu den Kritikpunkten kommen, soll es aber erst einmal um die positiven Elemente des Filmes gehen. Rein von der Ästhetik her sind Barbieland und die Barbies und Kens hervorragend umgesetzt. Mit viel Liebe zum Detail wurden Set und Outfits dem ikonischen Spielzeug angepasst und die Bewegungen der Schauspieler_Innen haben immer etwas subtil puppenhaftes, ohne vollständig unnatürlich zu wirken.

Der ganze Film ist gespickt mit Humor, um seine Inhalte zu übermitteln und die Gags haben Realitätsbezug, wirken zwar manchmal etwas überspitzt, aber seien wir ehrlich: viele von uns mussten sich schon mal im Detail anhören, was einen staubtrockenen Film so hochinteressant macht, wie die Barbie, welcher Der Pate (Francis Ford Coppola, 1972 USA) gemansplaint wird. Diese geteilte Erfahrung macht das Ganze erst so komisch. Im Allgemeinen ist es tatsächlich sehr erfrischend, wenn Männer einmal so eindimensional, plump und unselbstständig dargestellt werden, wie es in unzählige Filme mit Frauen immer noch getan wird. Die Reaktion von vielen (konservativen) Männern zeigt, dass sie es scheinbar nicht so toll finden, wie ihnen hier der Spiegel vorgehalten wird.

Auch der Plot hat zumindest eine noble Idee und Grundaussage: Perfektion ist absolut unmenschlich und in der Realität nicht erstrebenswert, was auch für Frauen gilt, die vermeintlich dem Stereotyp entsprechen, und jede Frau jeden Alters ist auf ihre eigene Art und Weise wunderschön. Auch die individuelle Erfahrung von Frauen im Patriarchat wird an mehreren Stellen gut gezeigt. Als Barbie und Ken beispielsweise in Los Angeles ankommen und Roller skaten und Barbie sich auf einmal, das erste Mal in ihrem Leben, unwohl fühlt, weil sie von Männern angegafft wird und Ken, der daneben steht, davon gar nichts mitbekommt und sich pudelwohl fühlt. Diese Szene führt letztendlich dazu, dass ein Mann Barbie auf den Po schlägt, woraufhin sie sich umdreht und ihm einen Faustschlag verpasst. Barbie lässt sich also schon einmal nichts gefallen.

Ebenso findet sich eine subtile Polizeikritik, als die Polizisten Barbie nach der Verhaftung mit anzüglichen Kommentaren überhäufen, was eigentlich erst der Grund war, weswegen sie zurecht ausgerastet ist und verhaftet wurde. Die Polizei kann also im Kampf gegen das Patriarchat auch nicht helfen. Die Wutrede von Gloria (America Ferrera) zum Thema kognitive Dissonanz für Frauen im Patriarchat, die gleichzeitig alles sein sollen, aber immer zu wenig sind, bringt die alltäglichen Anforderungen an Frauen auf den Punkt.

Herausgearbeitet wird außerdem, was bei Männern zumindest auf einer psychologischen Ebene zu Frauenhass führen kann: zu wenig Anerkennung und ein fragiles Ego. Wie erschütternd das ist, wenn ein eigentlich guter Freund sich auf einmal zu einem Männerrechtsaktivist und Chauvinist entwickelt, muss Barbie am eigenen Leib erfahren.

Der Film scheut auch nicht vor plakativer Systemkritik zurück. Als Ken sich in der realen Welt über das Patriarchat und seine Jobmöglichkeiten informiert, wird ihm gesagt, ganz so einfach, wie er sich das vorstellt, dass er einfach nur ein Job bekommt, weil er ein Mann ist, ist es dann doch wieder nicht. Allerdings wissen die Männer es heutzutage einfach nur besser zu verschleiern, dass sie sehr wohl Vorteile haben. Wer schon einmal über Gleichberechtigung diskutiert hat, kennt sie, die Männer die sagen: „Ne, ne wir sind doch alle gleichberechtigt, das Patriarchat gibt es schon lange nicht mehr.“ Somit ist es mal ganz erfrischend zu hören, was der CEO zu Ken sagt.

Ebenfalls eine Kritik am Choice Feminismus (alles ist feministisch, solange sich eine Frau bewusst dafür entscheidet) findet sich mehrfach. Bereits zu Beginn wird die Grundidee der Barbie-Puppe „Du kannst alles sein was du willst“ hinsichtlich der Karriere zwar gelobt, aber es wird von der Erzählerstimme dennoch darauf hingewiesen, dass das Patriarchat selbst mit diesen Karrieremöglichkeiten für Frauen eben nicht einfach abgeschafft wurde. Auch zeigt der Film auf, dass es nicht im Interesse von Frauen ist, sich den Männern zu unterwerfen, auch wenn sie das selber in dem Moment vielleicht anders sehen.

Positiv herauszustellen ist außerdem, dass Barbies Lebensinhalt nicht Männer sind, an Ken hat sie schon einmal gar kein Interesse und auch an niemand anderem. Wie sollte sie auch, ist sie doch eine Puppe so ganz ohne Genitalien. Daher kommen ihr die Anmachversuche in der echten Welt auch einfach sehr seltsam vor. Das zeigt aber vor allem, dass Filme die für eine weibliche Zuschauerinnenschaft gemacht wurden, eben nicht immer nur romantische (Sub)Plots haben müssen, um zu funktionieren. Es wirft auch die Frage auf, ob Barbie überhaupt hetero ist. Klar wird sie von Mattel eigentlich so dargestellt, aber wenn wir uns mal scharf dran erinnern, wie wir mit Barbies gespielt haben…

Barbie – der Film zum Rebranding von Mattel

Der Sinn dieses Films wird uns eigentlich auf dem Silbertablett serviert: Barbie soll weiterhin ein relevantes Spielzeug sein, auch in einer Zeit, in welcher, zumindest oberflächlich, feministische Diskurse Einzug in die gesamte Gesellschaft erhalten haben. Das kann man sehen an der Teenagerin Sasha, die keinen Bock auf Barbie hat, natürlich einerseits, weil sie schon zu alt ist, aber andererseits auch, weil es komplett uncool ist, zuzugeben, dass man Barbies mag, wenn man sich gleichzeitig für Feminismus interessiert. Am Ende kann sie aber doch noch überzeugt werden. Deswegen wird im Film auch die ursprüngliche Vision von Barbie-Erfinderin Ruth Handler so betont: Barbie sollte eine Alternative zu den Puppen darstellen, mit denen die Mutterrolle normalerweise eingeübt wurde und durch die anfänglichen Editionen, wo es vor allem um Berufe ging, und dass Frauen eben alles sein können, was sie möchten, mit der weiblichen Geschlechterrolle brechen. Allerdings verschweigt der Film, dass diese Vision nicht lange anhielt und mit dem Abschied von Ruth Handler von Mattel Lifestyle, Mode, Sport und Tiere in den Interessenfokus von Barbie gerieten. Außerdem war ein kompletter Bruch mit der weiblichen Geschlechtsrolle sowieso für Barbie niemals vorgesehen: das fängt mit ihrem Aussehen an, welches immer als Schönheitsideal galt. Barbies frühere Idealmaße hätten bei einem echten Menschen dazu geführt, dass dieser nicht lebensfähig ist. Diese wurden zwar mittlerweile überarbeitet, um realistischer zu werden, dennoch haben unzählige viele kleine Mädchen mit Barbie gelernt, dass es total wichtig ist, immer gut gestylt zu sein und regelmäßig die neuste Mode zu kaufen. Barbie bereitet sie also auf ein Leben im Patriarchat als Frau und im Kapitalismus als Konsumentin vor. Das mag nicht so offensichtlich auf die Mutterrolle abzielen, aber wenn man sich einmal anschaut, welche Berufe Barbie so ausübt, wird auch hier schnell klar, dass Care-Arbeit gerne gesehen wird: eine der ersten Berufe, die Barbie hatte, war Krankenschwester.

Im Film wird immer wieder klar, hier soll etwas verkauft werden: die Barbies und ihre Outfits, die gezeigt werden, existieren größtenteils alle wirklich. Auch die Szene, in der Ken Barbies Outfits aus dem Dreamhouse wirft, betont das noch einmal über deutlich, indem die Namen der Outfits explizit eingeblendet werden. Noch dazu gibt es sehr offensichtliche Product-Placements von Chanel, Birkenstock und Chevrolet.

Mattel will also ein bisschen mit dem Klischee brechen, Barbie sei nur ein anti-feministisches Püppchen und stattdessen zeigen, dass Barbie immer auch daran gebunden ist, wer mit ihr spielt. So können sie sich einerseits aus der Verantwortung ziehen und andererseits den individualistischen Charakter ihrer Produkte betonen. Deswegen ist die feministische Grundhaltung des Films auch alles andere als subtil, was für Greta Gerwig eigentlich sehr ungewöhnlich ist.

Misslungene Kritik am Patriarchat

Das Wort Patriarchat kommt mehrmals im Film vor und mit ihm auch eine völlig falsche Kritik daran. So wird an einer Stelle gesagt, dass die Menschen sich das Patriarchat bewusst ausgedacht hätten. Als hätten sich die Männer eines Tages mal an einen Tisch gesetzt und bestimmt, dass es ab heute Patriarchat geben soll, genauso wie die Kens versuchen, das umzusetzen (nur dass sie sich Mango-Bier trinkend an einen Pool statt an einen Tisch setzen). Das ist jedoch nicht korrekt. Das Patriarchat hat sich über Jahrtausende entwickelt, zu dem was es heute ist und war keine bewusste Entscheidung, sondern rührt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der Entwicklung der Produktionsmittel her. In den Urgesellschaften lebten Männer und Frauen gleichgestellt, die Arbeitsteilung erfolgte aufgrund von körperlichen Fähigkeiten, das heißt auch Frauen gingen jagen, außer sie waren schwanger, Entscheidungen wurden kollektiv getroffen. Erst eine Produktionsweise, die es erlaubte, mehr zu produzieren als direkt verzerrt werden konnte, sorgte dafür, dass es Vorräte und somit auch Verwalter der Vorräte gab, die von der Arbeit freigestellt werden konnten, was in den meisten Fällen Männer waren. Diese bekamen auch Vorrechte bezüglich des Zugriffs auf die Vorräte, welche sich in manchen Fällen weitervererben ließen. Dadurch wurden die Frauen immer mehr in die Reproduktionsarbeit (Ernährung, Haushalt, Erziehung, Pflege) gedrängt und um die Erblinie der Vorteile und des Eigentums zu sichern, entwickelte sich das ganze patrilinear und monogam (zumindest für Frauen). Die Frauenunterdrückung entwickelte sich über die Klassengesellschaften immer weiter, somit darf die Frauenunterdrückung von den Klassengesellschaften auch nicht abgetrennt gesehen werden. Das passiert aber in diesem Film. Klar, wie soll es auch in einem Werbefilm für pinken Kapitalismus auf einmal antikapitalistisch werden? Mehr als Aufregung über die Symptome des Patriarchats und Kritik an Unternehmensvorständen, weil sie keine Frauen haben, gibt es also hier nicht. Schon gar keinen Ansatz dafür, wie das Patriarchat überwunden werden kann. Wie auch, wenn es sich angeblich nur um eine abstrakte Idee handelt. Noch dazu wird das Patriarchat als für alle Frauen gleich dargestellt. Aber in Wirklichkeit gibt es gravierende Unterschiede. Gerade Frauen der herrschenden Klasse haben es sehr einfach, sich aus ihrer Rolle der Reproduktionsarbeit frei zu kaufen durch Kindermädchen und Leihmütter, in Unternehmen beuten sie als CEOs selber andere Frauen aus, zur Not können sie für eine Abtreibung mal eben in ein anderes Land jetten, während die Frauen der Arbeiter_Innenklasse doppelt ausgebeutet werden, einmal in der Produktion und einmal in der Reproduktion und ihre reproduktiven Rechte massiv eingeschränkt werden. Des Weiteren können auch andere Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus oder Ableismus die sexistische Unterdrückung begleiten und auf diese einwirken, was natürlich mit der stereotypischen Barbie in der Hauptrolle unmöglich aufzuzeigen ist. Natürlich gibt es Repräsentation von diesen Frauen im Film und das ist auch positiv herauszustellen, da Repräsentation für gesellschaftlich Unterdrückte einen positiven Einfluss hat, aber der Dreh- und Angelpunkt bleibt die weiße Blondhaarige. Die trans Frau Hari Nef spielt Dr. Barbie, aber Dr. Barbie bleibt genauso eine Nebenrolle wie viele WOC im Film, wenngleich diese ebenso beeindruckende Jobs haben (wie zum Beispiel Präsidentin-Barbie (Issa Rae)).

Im Film wird uns außerdem vermittelt, dass das Problem die Männer an sich sind und nicht die Klassengesellschaft, was auch daran zu sehen ist, dass in Barbieland das Matriarchat für Frieden und florierenden Wohlstand sorgt, während das beim Versuch des Patriarchats nicht der Fall ist.

Die Lösung: Selbstakzeptanz?

Würde man das Ende wohlwollend interpretieren, könnte man sagen: „Super, Barbie hat es geschafft sich aus ihrer Rolle zu befreien, indem sie anerkannt hat, dass sie ihr nicht mehr entsprechen kann und will und kann jetzt selber herausfinden, wer sie wirklich ist, in dem sie als Mensch in der realen Welt leben darf.“ Und auch Ken braucht einfach nur Selbstfindung und Selbstakzeptanz um kein Chauvi mehr zu sein.

Aber die Geschlechterrollen können innerhalb des Patriarchats und des Kapitalismus gar nicht abgeschüttelt werden, denn sie prägen uns Tag ein, Tag aus, auch wenn sie ab und zu im neuen Gewand daherkommen. Das Sein beeinflusst das Bewusstsein, wie Karl Marx schon sagte. Somit ist die einzige Möglichkeit sich den Geschlechterrollen dauerhaft zu entziehen, die Klassengesellschaft zu zerschlagen, da die Produktionsverhältnisse die materielle Grundlage für diese sind. Sicherlich kann die Akzeptanz, dass man diesen Rollen niemals entsprechen wird, es einem zeitweise etwas angenehmer machen. Und Männer können ihre toxische Männlichkeit reflektieren und sich bemühen, Frauen besser zu behandeln. Aber es ist doch eine zutiefst individualistische Lösung, die die Zuschauer_Innen eher hilflos zurücklässt. Das widerspricht noch dazu der ursprünglichen Kritik am Choice Feminismus, mit welcher der Film eigentlich überzogen war.

Fazit

Der Film macht zwar Spaß, aber das Gefühl, dass es sich hierbei um einen Werbefilm für einen pinken Kapitalismus und eine Umdeutung von Barbie handelt, bleibt leider bestehen. Es muss zwar nicht jeder Film eine Lösung präsentieren, aber wenn er es schon tut, dann sollte diese nicht so unglaublich uneffektiv sein. Auch die letzte Szene wirft noch einmal Fragezeichen auf. Barbie, als Mensch in der realen Welt, hat einen Termin. Was wird es sein, vielleicht ein Vorstellungsgespräch oder ein Date? Nein, sie geht zum Gynäkologen. Dass sie sich so sehr darüber freut, ist vielleicht nachvollziehbar, in Anbetracht der Tatsache, dass sie vorher keine Genitalien hatte und die Reproduktion der Art sicherlich ein relevanter Teil des Menschseins ist. Aber für mich hat es sich so angefühlt, als ob Barbies Erfahrung als Frau jetzt wieder nur auf ihre Reproduktionsfähigkeit reduziert würde und sie somit auch wieder in eine Mutterrolle gepresst werden könnte.

Der Film hat vielversprechende Ansätze, aber mit Mattel und Warner Bros im Boot ist es wohl unmöglich, einen antisexistischen und antikapitalistischen Film zu drehen, der Barbie zu einer Revolutionärin macht (auch wenn die komische Barbie (Kate McKinnon) in ihrem komischen Haus zumindest schon mal das richtige Outfit für diesen Plot gehabt hätte).




Filmkritik „Im Westen nichts Neues“: Kontext verzerrendes Bildergewitter

Von Lars Keller, zuerst erschienen in der Infomail der Gruppe ArbeiterInnenmacht, März 2023

Da hat die deutsche Netflix-Neuverfilmung von „Im Westen Nichts Neues“ also vier Oscars gewonnen: ein bildgewaltiger Film, dessen Plot jedoch eine Welt versinnbildlicht, die wieder am Rand des Weltenbrandes steht und keinen Ausweg daraus findet. Warum ist das so?

Krieg als Kunst als Ware

Dass ein Antikriegsfilm – und als solcher darf sich die Arbeit von Regisseur Edward Berger auf jeden Fall bezeichnen – auch nichts anderes als eine Ware ist, die Geld auf dem Filmmarkt einspielen soll, ist ja kein Geheimnis. Genauso wenig, dass die Oscars selbst Teil dieser Industrie sind, die sich in der Verleihungschoreographie quasi selbst geil findet.

Zwangsläufig führt das jedoch zu einer besonderen Form der Dramaturgie, die schnell ins Ahistorische übergeht. Zum Beispiel, wenn der Film in einer der Anfangsszenen die mythisierte Kriegsbegeisterung ins Jahr 1917 verlegt, eine Zeit, die längst von Hunger, Kriegsmüdigkeit und Zynismus geprägt war.

Oder indem die Handlung des Romans auf 148 Minuten zusammengestaucht wird. Relevante Szenen des Romans – etwa der Streich Paul Bäumers und seiner Kameraden an ihrem erniedrigenden Ausbilder; der Fronturlaub; das Unverständnis und die Verlorenheit, die Bäumer zuhause fühlt; seine Begegnung mit russischen Kriegsgefangenen – haben da drin logischerweise keinen Platz. Es bleibt das Geschehen in den Gräben, wo der Film technisch groß aufgefahren hat und durchaus sehr überzeugende schauspielerische Leistungen zeigt.

Dennoch: Netflix produziert doch sonst aus jedem noch so abgedroschenen Thema eine von durchschnittlicher Mittelmäßigkeit durchsetzte Serie. Hier wäre mal die Chance gewesen, darüber hinauszuwachsen.

Aber letztlich ist das egal. Den durchschnittlichen Zuschauer:innen reicht das Gemetzel, um ihrer Angstlust nachzugehen und dann zu sagen: „Schrecklich!“ oder „Krass!“

Konzernproduktionen von Netflix, Warner oder Disney haben weder die Aufgabe noch den Anspruch, historische Ereignisse korrekt zu kontextualisieren. Ihre Macher:innen haben auch selbst gar kein Bewusstsein dafür. Das ist ja gerade die Crux mit der Ideologie. Am Set denken sie vielleicht wirklich, sie tragen hier dazu bei, zukünftige Kriege zu verhindern. Aber ob es diese Gedanken gestern auch beim Applaus gab?

Klar könnte man jetzt sagen, dass Erich Maria Remarques Roman diesen Kontext selbst nicht herstellt. Das stimmt. Die Kritik ist trotzdem gerechtfertigt, weil Bergers Film bei allen Weglassungen aus dem Roman selbst einen zweiten Handlungsstrang zusätzlich geschaffen hat, der direkt so, wie er dargestellt wird, auf Geschichtsklitterung im Dienste des Dramas hinausläuft.

Kriegsende ohne Revolution

Es geht um die Verhandlungen im Eisenbahnwagen im Wald von Compiègne, die zum Waffenstillstand führten.

Was der Film definitiv gut darstellt, ist die besondere Sinnlosigkeit der letzten Angriffsversuche selbstsüchtiger Befehlshaber, die noch Minuten vor dem Waffenstillstand Menschen ins Feuer trieben.

Das Problem liegt im Kontext der Verhandlungen selbst.

Während die Herrschenden auf allen Seiten vier Jahre lang kein Problem damit hatten, Massen auf die Schlachtbank zu führen, taucht nun der gute Matthias Erzberger von der konservativen Zentrumspartei auf und appelliert vor Humanismus triefend bei den französischen Unterhändlern um Frieden.

Noch 1916 stand derselbe Erzberger für einen Siegfrieden ein, ab 1918 für einen „Verständigungsfrieden“ – also einen Frieden, den die Imperialist:innen am Runden Tisch beschließen, um die Welt dort unter sich aufzuteilen.

Das größte Problem an der Erzählung im Film ist, dass diese Friedensbemühungen bei Erzberger (Daniel Brühl) als rein einsichtige Guter-Mensch-Tat erscheint, auch wenn immerhin anklingt, dass die Oberste Heeresleitung in ihm einen nützlichen Trottel gefunden hat, der das schmutzige Geschäft des Friedens – also der Niederlage – übernahm und das Militär somit die Dolchstoßlegende zur Wahrung des eigenen Gesichts bemühen konnte.

Aber ohne die aussichtslose Kriegssituation und vor allem ohne die heraufziehende Novemberrevolution lassen sich die Waffenstillstandsbemühungen auf deutscher Seite nicht verstehen. Letzteres lässt der Film sträflich einfach weg. Während im Roman der Protagonist „Entweder gibt es Frieden oder eine Revolution“ denkt, fällt dieses R-Wort nirgends im Film. Das wäre aber Pflicht gewesen im Sinne einer historischen Richtigkeit. Denn während das Buch im Oktober 1918 endet, treibt der Film die Handlung ja bis in den November.

Natürlich war auch Remarque kein Revolutionär. Aber er vermied es, sich die Finger am falschen Frieden zu verbrennen, indem er sich rein auf die Perspektive Paul Bäumers konzentrierte.

Berger und Netflix sind aber absichtlich über dieses Perspektive hinausgegangen und bei ihnen ist der ganze Frieden nicht mehr als eine gute Tat der Herrschenden. Er erscheint nicht als etwas, womit sie ihren eigenen Kopf vor der Revolution retteten. Denn selbstredend war Erzberger genauso wie Ebert, Noske und Co. ein entschiedener Gegner der sozialistischen Revolution.

Kontext heute

Und damit mal zurück in die Gegenwart, in die Zeit des Krieges in der Ukraine, wo der Kampf um die Neuaufteilung der Welt erneut eskaliert. Die NATO handelt hier in der Unterstützung der Ukraine genauso wenig selbstlos wie ein Erzberger in Compiègne. Sie verfolgt durch das ukrainische Militär eigene imperialistische Interessen gegenüber der russischen Konkurrenz.

Es gibt viele frappierende Parallelen, sei es, dass es wie ein Jahr nach dem Beginn des ersten Weltkrieges auch heute wieder einen Munitionsmangel gibt oder sei es, dass Bachmut mit Verdun verglichen wird.

Entsprechend kam der Film für die westlichen Verbündeten zur genau richtigen Zeit. Russland erscheint in den Köpfen der Meisten als der Aggressor – was es ja auch ist. Die Kriegsziele werden jedoch kaum hinterfragt, was die westliche Seite angeht. Jetzt taucht so ein Film auf, der die Schrecken des Krieges zeigt, und: Oha! Das wiederholt sich ja heute, und Russland hat Schuld daran. Über die Angst vor dem Krieg bindet „Im Westen Nichts Neues“ die Zuschauer:innen in die westlichen Kriegsbemühungen ein, der Pazifismus landet auf dem Bauch. Die vier Oscars sind kein Zufall. Mindestens unbewusst wirken die Bilder des Krieges von damals und heute zusammen.

Für die Macher:innen des Films gilt, dass sie sich, indem sie mit dem Finger mahnend auf die Vergangenheit weisen, heute moralisch auf der richtigen Seite wähnen. Aber: Psst! – auf dieser Seite wähnten sich viele Kulturschaffende auch vor 109 Jahren!

Russland hat den Krieg zwar begonnen, aber wenn dieser zum Dritten Weltkrieg ausartet tragen dafür alle daran beteiligten Herrschenden Schuld, und alle sind sie von ihrer Unschuld überzeugt. Manche Regisseur:innen von Antikriegsfilmen sind vielleicht, ohne es zu wissen, auf dem besten Weg, zur moralischen Unterstützung des Krieges zu werden.

Stellt sich noch die Frage nach der Verhinderung und dem Ende des Krieges.

Für Marxist:innen ist in Gedenken an Rosa Luxemburg (über deren Tod Matthias Erzberger bestimmt nicht traurig war) klar, dass die Weltlage auf Sozialismus oder Barbarei hinausläuft.

Der Sozialismus ist kaum als eine Alternative für unsere Gegenwart bekannt. Das ist auch den Produzent:innen nicht vorzuwerfen. Wohl aber, historisch inkorrekt und unvollständig gearbeitet zu haben. Und das wirkt nun mal auch ins barbarische Heute.

In den letzten Jahren gab es viele Filme, die die Geschichte zum Gegenstand nahmen. Babylon Berlin ist ein anderes Beispiel dafür, wobei die Serie offen zur eigenen Fiktion steht.

Trotzdem: Das Ergebnis dieser Produktionen ist, auch wenn das die Macher:innen vielleicht nicht wollen, dass die Vergangenheit noch rätselhafter, willkürlicher und naturgesetzlicher erscheint, als sie das sowieso schon im Schulunterricht ist. Aber Geschichte ist Pseudonatur. Sie wird von Menschen gemacht und Menschen können sie auch positiv bewusst auflösen.

Weit weg von solchen Ideen (Wofür auch, es ist ja eine kapitalistisch vergewaltigte Kunst, die Geld und Ruhm bringen soll!) ist die Vergangenheitsbewältigung der modernen Großfilmindustrie darauf reduziert, die Geschichte als mitreißendes Drama auf die Leinwand zu tragen – und damit selbst zum Teil des sehr realen Gegenwartsdramas zu werden.




Filmkritik: Oskars Kleid – Deutscher Film zu Transidentitäten von Kindern

Von Felix Ruga

TW: Transfeindlichkeit; ACHTUNG: Spoiler!

Der Film „Oskars Kleid“ aus deutscher Produktion hat so einiges an Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er behandelt in der gewohnt glatten deutschen Ästhetik ein für viele Deutsche sperriges Thema, nämlich Transidentitäten bei Kindern. Wie zu erwarten war, wird dem Film von konservativer Seite „Genderideologie“ vorgeworfen, aber weite Teile der Trans-Community hat auch klare Kritik an dem Film. So oder so lässt sich über den Film auf jeden Fall viel sagen, denn aus ihm spricht teilweise schon Ideologie oder zumindest eine Anpassung an ideologische Vorstellungen, aber sicherlich auf eine andere Art und Weise, als die Konservativen denken.

Worum geht‘s?

In diesem Film verfolgen wir den Münchner Polizisten Ben, der so ziemlich alle Eigenschaften eines typischen Bullen aufweist: herrisch, konservativ, unkontrolliert, letztendlich toxisch männlich. Dieser hat 2 Kinder aus seiner vorherigen Ehe, in der er wohl nicht der beste aller Väter war und nun erfährt, dass eins seiner Kinder ein trans Mädchen ist: Die 9-jährige Lilli. Ihr Vater will das nicht wahrhaben und deadnamed sie die meiste Zeit als „Oskar“. Daher auch der Name des Films.

Es entsteht nun ein Ringen um Lillis Identität zwischen ihrem Vater und praktisch der restlichen Welt, vor allem aber Lilli selbst und ihrer Mutter. Dabei wird er immer wieder laut und verzweifelt-aggressiv, schmeißt Lillis Kleider weg, will ihr männliche Verhaltensweisen lehren und konfrontiert seine Tochter mit seiner Weltsicht, die teils selbstbewusst, teils eingeschüchtert darauf reagiert. In diesem Ringen sieht Ben schlussendlich ein, dass er seine Ansichten ändern muss und nimmt nicht nur die Identität seiner Tochter an, sondern stellt auch seine Vorstellung von Männlichkeit insgesamt in Frage.

… aber leicht hat’s einen.

Der Film ist gemessen an dem Thema inhaltlich und stilmäßig sicherlich recht anschlussfähig für viele Menschen, die zwar eine konservative Einstellung haben, aber zumindest in irgendeiner Form offen sind. Es wäre ein Film, den ich meinen Eltern vorschlagen würde, die irgendwie etwas verängstigt von dem Thema Transidentitäten sind, aber schon verstehen, dass es etwas ist, mit dem man sich mal auseinandersetzen sollte. Und das kann man dem Film schon zugutehalten. Aber das wird teuer erkauft, indem sich der Film einiges viel zu leicht macht. Allem voran wäre da das Ding, dass es in dem Film paradoxerweise kaum um die Innenwelt und der Suche nach der Identität von trans Menschen geht. Es geht eigentlich um die Sicht eines konservativen cis Typen, der damit konfrontiert wird. Dadurch erhalten wir vielleicht Verständnis dafür, wie „schwer“ er es hat, aber eigentlich kein wirkliches Verständnis für die Situation von Lilli. Ihr innerer Prozess scheint gewissermaßen auch schon abgeschlossen zu sein und dass sie in der Zeit vor der Handlung eine innere Eindeutigkeit erlangt hat, wer sie ist.

Das ist schön und bestärkend, weil sie dadurch als starker und stolzer Charakter auftritt, ebenso wie die einzige andere trans Person, nämlich eine random ältere Dame, die gegen Ende Ben die Welt erklären soll. Aber diese starken Darstellungen verpuffen den meisten cis Personen bei Verlassen des Kinos, da man nicht verstehen konnte, welchen Weg man als trans Person dafür gehen musste. Sowieso ist der Film nicht radikal genug, um entscheidenden Vorurteilen den Zahn zu ziehen. Alleine die Wahl, dass man das Thema Transidentität anhand eines Kindes behandelt, geht dabei einigen Dingen aus dem Weg: Von TERFs oder anderen Transfeind_Innen werden trans Frauen oftmals als gefährliche und abstoßende Perverse dargestellt, die sich Frauen in ihren Schutzräumen aufdrängen. Das ist sicherlich etwas, was man einem 9-jährigen Kind kaum vorwerfen kann, aber dadurch auch nicht aufgelöst wird. Und die Frage von Veränderungen des Körpers und damit auch der äußeren Wahrnehmung im Zuge der Pubertät wird nur angesprochen, aber sicherlich nicht verhandelt. Dadurch kann es z.B. auch nur so problemlos laufen, dass Lilli in ihrer Schule nicht als trans Mädchen auffällt und damit Diskriminierungen entgeht. Das führt zum nächsten Punkt.

Wo bleibt die Gesellschaftskritik?

Denn wirkliche Diskriminierung erfährt Lilli kaum, außer von ihrem Vater. Sowieso macht der Film den Eindruck, als ob eigentlich die restliche Gesellschaft in Ordnung wäre: Die Schule nimmt sie als Mädchen auf und schützt sie; die Angestellte vom Jugendamt ist noch am selben Abend da und ist trotz Unterbezahlung sehr bemüht um das Kinderwohl; selbst die anderen Bullen auf der Wache scheinen sich auch noch den kleinsten Spruch zu verkneifen. Das Problem scheint nur bei einzelnen verbohrten Konservativen zu liegen, die es einfach nicht raffen wollen. Doch die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterdrückung darf in dieser ganzen Frage nicht ausgeblendet werden. In einigen Artikel haben wir schon auf die vielen Missstände hingewiesen, seien es Diskriminierung und Gängelung an Ämtern und im Gesundheitssystem, Misshandlung durch die Polizei oder unmittelbare Angriffe auf offener Straße. Doch der Film ist geradezu staatstragend, denn der Staat tritt als schützend, sorgend und gerecht auf, was ein Schlag ins Gesicht vieler trans Menschen bedeutet.

Die Verbindung zu anderen Unterdrückungsformen wird nicht hergestellt. Die einzige, von der Lilli betroffen ist, ist es, trans und als Kind ihrem Vater ausgeliefert zu sein. Ansonsten ist sie deutsch, lebt normalerweise in einer akzeptierenden Familie, wohnt in einer der reichsten Städte in einem der reichsten Länder und hat Eltern, die sich getrennt 2 Häuser mit Garten leisten können und sonst wohl keine wirtschaftlichen Sorgen zu haben brauchen. Das ist ein sehr eingeschränktes, vielleicht sogar unrealistisches Bild. Wobei der Film es ja eröffnet, aber dann doch vermasselt: Denn die Familie väterlicherseits ist jüdisch. Aber anstatt ernsthaft auf Antisemitismus hinzuweisen oder darauf, was eine überzeugt religiöse Familie in diesem Kontext bedeuten kann, spielt Religiosität dort nur eine oberflächliche Rolle und das Thema Antisemitismus taucht nur auf eine problematische Art auf: Der Opa vermutet nämlich in Momenten, in denen es nicht darum geht, unbeirrbar-schematisch und damit auf alberner Weise Antisemitismus gegen ihn und seine Familie. Damit wird der Antisemitismus in Deutschland kleingeredet.

Insgesamt ist „Oskars Kleid“ der Gesellschaft gegenüber zu wenig radikal und cis-normativen Vorstellungen gegenüber zu vorsichtig, um seinem eigentlichen Potential gerecht zu werden, welches im Film ohne Frage vorhanden und sichtbar ist. Als cis Person, die sich schon etwas mit Transidentität auseinandergesetzt hat, aber nicht unmittelbar davon betroffen ist, konnte ich den Film ohne Probleme wegkonsumieren, aber für viele trans Personen dürfte es eher wie etwas zwischen Enttäuschung und Hohn darstellen. Insgesamt hat sich der Film so angefühlt, als sei er für die typischen urbanen grünen bis sozialdemokratischen Wähler_Innen gedreht worden: Niedliche und saubere Ästhetik, seicht aufgeklärt, staatstragend und das einzig schlechte in der Welt sind die verbohrten Konservativen. Dadurch kann keine tiefe Einsicht in das Leben von trans Menschen und deren Unterdrückung stattfinden, was aber für einen weiteren gesellschaftlichen Fortschritt notwendig ist!




Marxistische Filmkritik: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

Von Leonie Schmidt

Jedes Jahr aufs Neue wird in vielen Haushalten der Weihnachtstradition nachgegangen, den Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (Václav Vorlíček, ČSSR/DDR 1973) an den Weihnachtsfeiertagen oder während der Adventszeit gemeinsam anzusehen. Märchenfilme generell sind sehr beliebt, doch dieser scheint besonders hervor zu stechen. Wir wollen uns an dieser Stelle anschauen, was eigentlich die Grundaussagen des Filmes sind und wie wir sie mit einem marxistischen Blick interpretieren können. Diese Herangehensweise lässt sich prinzipiell auf jedes Kulturgut anwenden, jedoch bietet sich es hier natürlich besonders an, immerhin handelt es sich um ein Werk aus dem sozialistischen Realismus.

Progressive Elemente

Voranstellend kann gesagt werden, dass dieser Film, insbesondere für einen Märchenfilm aus den 1970er Jahren, ziemlich viele progressive Elemente hat. Das muss natürlich in den Kontext der Produktionsländer ČSSR/DDR gestellt werden, welche zwar degenerierte Arbeiter_Innenstaaten darstellten, aber trotz alledem gerade hinsichtlich geschlechtlicher Gleichberechtigung den westlich-kapitalistischen Staaten um Einiges voraus waren. Beispielsweise gab es in der DDR ein umfängliches Abtreibungsrecht, im Gegensatz zur damaligen und heutigen BRD.

Auf der einen Seite haben wir also Aschenbrödel, welches von ihrem Vater entgegen der weiblichen Geschlechterrolle erzogen worden ist, besser reiten und jagen kann als so mancher Mann. Sie besticht durch Scharfsinn und ist auch mal frech, wie bspw. in der Szene gegen Anfang, als sie den Prinzen und seine Kumpanen mit Schnee bewirft und dann sein Pferd entwendet oder nachdem sie ihr Jägerkostüm abgelegt hat und dem Prinzen nicht verrät, wo sich besagter junger Jäger befindet. Sie ist emanzipiert, in dem Sinne, dass sie nicht einfach tatenlos auf den Prinzen wartet, sondern selbst aktiv wird, sich aber auch nicht von ihm unterbuttern lässt, und bspw. den Konsens ihn zu heiraten, aktiv einfordert (siehe dazu die Ballszene) und durch die Rätsel, welche sie ihm stellt, versucht herauszufinden, ob er ihr auch in puncto Intelligenz gewachsen ist (und ob er sich wirklich mit einer einfachen, armen jungen Frau abgeben will). Aschenbrödels Gegenspielerin, die klassische böse Stiefmutter, die sie und die anderen auf dem Hof ausbeutet, hingegen versucht sie in die Rolle der braven, armen Magd zu drängen, die alle möglichen (sinnlosen) Drecksarbeiten erledigen muss, während ihre leibliche Tochter Dora hemmungslos verwöhnt wird. Auch der Prinz stellt sich in gewisser Weise den Macht – und Geschlechterverhältnissen entgegen, indem er sich seinem Vater, dem König, quer stellt, welcher unbedingt möchte, dass er möglichst schnell und möglichst eine reiche, brave Frau heiratet. Auch lassen sich an manchen Stellen homoerotische Tendenzen interpretieren, etwa in der Szenen als das als Jäger verkleidete Aschenbrödel den Ring vom Prinzen angesteckt bekommt, der sie in ihrer Rolle als Jäger nicht nur für die Jagdkünste zu bewundern scheint. Die Grundaussage des Films scheint zu sein: nur die Liebe hilft gegen die Rollenvorstellung von Patriachat und Klassengesellschaft.

Kritik der Klassengesellschaft

Im Sinne des sozialistischen Realismus wird die Klassengesellschaft recht offensichtlich dargestellt, auch wenn der Film in feudalen Verhältnissen spielt. Die böse Stiefmutter könnte man hier als eine Klasse interpretieren, die aufsteigen möchte (in dem sie sich einschleimt und ihre leibliche Tochter Dora mit dem Prinzen verheiratet), aber selber schon Besitz an Produktionsmitteln hat und ihre Angestellten ausbeutet und quält. Ganz besonders die, die sie als Konkurrenz sieht und deren Aufstieg sie dringend unterbinden muss, notfalls mit allerlei Tricks und Hinterhältigkeit. Den wenigen Besitz, den Aschenbrödel hat, welches die Arbeiter_Innenklasse darstellt, wurde ihr auch schon entwendet. Bspw. Nikolaus, der prächtige Schimmel, und ebenso wurden auch ihre jeglichen sonstigen Freiheiten eingeschränkt. Der Vergleich des Kleinbürger_Innentums gegen die Arbeiter_Innenklasse im Rahmen der Faschismustheorie ließe sich hier beispielweise ziehen: die Emanzipation der Arbeiter_Innenklasse muss bewusst aufgehalten werden, um die herrschenden Verhältnisse zu sichern und das Kleinbürger_Innentum stellt sich an dieser Stelle in den Dienst der Bourgeoise, in der Hoffnung, eines Tages selber in diese aufzusteigen. Man kann die böse Stiefmutter auch noch auf eine marxistisch-feministische Art interpretieren: Sie ist der Beweis dafür, dass es keine natürliche Solidarität unter Frauen aller Klassen gibt und dass sich die Interessen von Frauen der verschiedenen Klassen stark unterscheiden. Denn ein Happy End für Aschenbrödel ist für die böse Stiefmutter im doppelten Sinne schlecht: Sie hat eine Frau weniger, die, unter anderem, ihre Reproduktionsarbeit übernehmen kann, und hat es zusätzlich nicht einmal geschafft, ihre Tochter Dora gewinnversprechend zu verheiraten.

Auch der Szene mit den Linsen und dem Mais, was eine absolut unnütze Aufgabe und vor allem eine Strafe ist, die die Stiefmutter nur Aschenbrödel aufhalst, damit sie es ja nicht wagt, sich zum Hofball zu schleichen, wohnt einer gewissen antikapitalistischen Symbolik inne. Repressionen gibt es viel in der kapitalistischen Gesellschaft, diese sollen uns auch schlauchen, damit wir nicht mehr in der Lage sind uns mit möglichen Verbesserungen oder gar der Organisierung dieser zu beschäftigen. Die Tauben werden hier zu einem Symbol der Solidarität und der Masse der Arbeiter_Innenklasse, da sie aufgrund ihrer Anzahl in der Lage sind, Aschenbrödel diese zeitintensive Aufgabe ohne viel Aufwand abzunehmen. Die Bedeutung liegt hier in der Kraft der Solidarität gegenüber Genoss_Innen, denen vom bürgerlichen Staat Repressionen aufgehalst werden.

Alles eine Frage des Bewusstseins

Auch das für MarxistInnen allseits bekannte Thema des fehlenden Bewusstseins der ausgebeuteten Schichten wird aufgegriffen. Das können wir beispielsweise erkennen beim Knecht Vinzek, der großes Mitleid mit Aschenbrödel hat, aber nicht in der Lage ist, ihr wirklich zu helfen. Er kann lediglich vertuschen, dass sie immer noch Nikolaus besucht und ihr die drei Haselnüsse von der Fahrt in die Stadt mitbringen. Oder aber auch in der Szene, als der Prinz auf das Gut von Aschenbrödels Stiefmutter kommt um „seine Prinzessin“ mit Hilfe des verlorenen Schuhs zu finden. Hier machen sich die Mägde und Knechte darüber lustig, dass es wirklich eine von ihnen sein könnte, die der Prinz da sucht. Sie können es sich einfach gar nicht vorstellen, dass sowas möglich wäre, auch wenn sie sich wahrscheinlich alle insgeheim wünschen, dass sie die Außerwählten sind, die endlich vom Joch der Knechtschaft befreit werden.

Klassenkampf und Kitsch?

Mit Sicherheit gibt es Leute, die diesen Film für kitschig halten. Allerdings liegen die Differenzen zu klassischen Disney-Märchen-Filmen auf der Hand: die Kulissen sind wenig pompös, selbst der Ballsaal und die Thronstühle vom Königspaar sind verhältnismäßig schlicht. Lediglich von der Kleidung vom Königspaar, dem Prinzen sowie der Stiefmutter und Dora (und Kleinrösschen!) kann man das nicht behaupten. Auch spielt die Natur eine wichtige Rolle: man kann sie als Art Parallelwelt, in welcher die Gesetze der Klassengesellschaft aufgehoben werden, interpretieren. Hier kann Aschenbrödel frei von Zwängen ausreiten, jagen und dem Prinzen begegnen. Der Prinz und seine Kumpanen müssen nicht dem Herrn Präzeptor (eine Art Hauslehrer) Folge leisten, sondern können ihn einfach im tiefen Schnee stehen lassen. Die böse Stiefmutter und Dora finden ihr vorzeitiges Ende im gefrorenen Weiher, weil die Kutschpferde durchgehen. Und der Prinz und Aschenbrödel reiten am Ende in die Freiheit in die verschneite Natur, anstatt eine pompöse, eigentlich dem Adel angemessene, Hochzeit im Palast des Königs abzuhalten.

Auch hinsichtlich des romantischen Plots trotzt Aschenbrödel den veralteten Disney-Klischees. Wie eingangs erwähnt, ist sie selbstbewusst, frech und lässt sich ihre Geschlechterrolle nicht aufdrängen. Besonders hervorstechend ist die Szene beim Ball, in welcher der Prinz sie von der Stelle weg heiraten will und sie ihn deutlich darauf hinweist, dass er vergessen hat, sie zu fragen und somit den Konsens dieser Beziehung einfordert, auch wenn sie ihn natürlich trotzdem schon toll findet. Ihre Unabhängigkeit wird trotz bevor stehender Ehe auch dadurch noch einmal verdeutlicht, dass sie in der Schlussszene nicht mit auf seinem Pferd sitzt, sondern ihr eigenes behält.

Liebe gegen Klassengesellschaft und Patriachat?

Nun widerstrebt es natürlich Marxist_Innen, die These aufzustellen, dass nur die romantische Liebe, welche ihre höchste Form in der bürgerlich-monogamen Ehe findet, die Menschheit befreien kann. Sicherlich ist die romantische Liebe von Aschenbrödel und dem Prinzen vor allem für feudale Zeiten, wie bereits aufgezeigt, emanzipatorisch. Auch in dem Punkt, dass der Prinz eine Liebesheirat einer arrangierten Heirat vorzieht, setzen sie ein Zeichen. Allerdings ist das glückliche Ende eigentlich ziemlich individualistisch, denn nur Aschenbrödel konnte sich (mit Hilfe des Prinzen) aus ihrer Stellung als arme Magd befreien, während die restlichen Angestellten des Guts der bösen Stiefmutter immer noch untergeordnet sind. Deswegen kann man auch die Liebe zwischen den beiden auf eine andere Weise interpretieren und zwar als Symbol für den gemeinsamen solidarischen Kampf der Arbeiter_Innnenklasse gegen die herrschenden Verhältnisse. Der Ritt in die verschneite Natur zeigt somit den Weg in die klassenlose Gesellschaft auf, Aschenbrödel und der Prinz (der vermutlich nicht mehr länger Prinz sein wird, aber das kann man unterschiedlich interpretieren) könnte man hier auch als Avantgarde, also als Anführer_Innen der Arbeiter_Innenbewegung deuten. Gleichzeitig muss man aber auch eine kritische Interpretation zulassen, die ein Ende der Unterdrückung Aschenbrödels nur durch die Einheirat in eine höhere Klasse und durch die Hilfe des Mannes ermöglicht.

Ob diese Botschaft so konkret vermittelt werden sollte, kann natürlich nicht nachgeprüft werden. Klar ist jedoch, dass sozialistische Ideale auch bei dieser Produktion eine Rolle gespielt haben müssen. Aber das ist eigentlich bei Filmkritiken auch nicht der wichtige Punkt; was der Autor sagen wollte, ist (meistens) irrelevant. Was hingegen der Film aussagt, ist entscheidend. Und bei diesem Film zeigt sich, dass Mut und Kampfgeist gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeiten mit Freiheit belohnt werden können!