Tourismus – von der kapitalistischen Verwertung zur internationalen Solidarität

von Jona Everdeen, Juli 2023

Somme, Sonne, Urlaubszeit! Bald beginnen in ganz Deutschland wieder die Schulferien und an den Unis neigt sich das Sommersemester schon langsam seinem Ende entgegen. Viele werden von ihren Mitschüler_Innen oder Studierenden die Frage gestellt bekommen: Und wohin fährst du in Urlaub? Und während man dann im Herbst in Schule, Uni und am Ausbildungsplatz davon schwärmt, wie toll doch die Strände Spaniens und Kroatiens und die Städte von Paris, Amsterdam und Athen sind, wird man gleichzeitig anfangen zu schimpfen, dass in Kreuzberg und St. Pauli nur noch Touris abhängen und „Antiturista“-Parolen an den Wänden lesen. Doch wie passt das zusammen?

Tourismus im Kapitalismus

Nach monatelanger harten Arbeit in der Fabrik endlich mal raus aus dem tristen Alltagsleben und sich zwei Wochen am Strand sonnen, ehe dann der Arbeitsalltag wieder weitergeht. Das ist die Realität vieler Menschen. Und eben diese zwei Wochen Urlaub sind dann auch das Highlight des Jahres, wofür sich die ganze Schufterei vermeintlich lohnt.

Dass Tourismus überhaupt massentauglich wurde, also für die meisten auch lohnabhängigen Menschen im Globalen Norden zugänglich, ist ein Ergebnis der Zeit der kapitalistischen Hochkonjunktur nach dem 2. Weltkrieg. Zuvor war Urlaub eigentlich nur möglich, wenn man Verwandte anderswo besuchen konnte. Die Möglichkeit wirklich echten Urlaub zu machen, war ein Zugeständnis an die Arbeiter_Innen. In einer Zeit des massiven Wirtschaftswachstums durften sie auch mal ein wenig Pause machen und als kleine Entschädigung für die alltägliche Plackerei ein bisschen Erholung bekommen. Die Vorfreude auf den Sommerurlaub sorgt dafür, dass man seine Arbeitsbedingungen zumindest etwas genügsamer hinnimmt.

Auch wurde der Urlaub in dieser Zeit immer mehr zu einem Statussymbol: Mitglieder reicherer Familien prahlten mit exotischen Reisezielen, während die Kinder armer Fabrikarbeiter_Innen, die wieder „nur“ an die Nordsee oder in den Schwarzwald fahren konnten, sich schlecht fühlten, dass sie so wenig zu erzählen hätten.

Wie in eigentlich allem, entdeckte der Kapitalismus auch im Tourismus ein großes Potenzial Profite zu schöpfen und begann auch schnell dieses auszunutzen. Große Hotelketten mit Filialen auf der ganzen Welt entstanden, Reiseagenturen eröffneten und immer neuere, immer exotischere Urlaubsangebote wurden geschaffen, um den dahinterstehenden Kapitalist_Innen Profite zu ermöglichen. Wie bei jeder kapitalistischen Mehrwertproduktion gibt es auch im Tourismus zwei Quellen, die für die Produktion von Profit ohne Rücksicht auf Verluste ausgeschöpft werden: die menschliche Arbeitskraft und die natürlichen Ressourcen.

Imperialistische Ausbeutung und Umweltzerstörung im Tourismus

Für uns in Berlin oder Paris ist es relativ einfach, nach Ägypten oder Thailand zu reisen. Andersherum ist das nicht der Fall. Kaum ein Mensch aus Ägypten oder Thailand fährt jemals in den Urlaub nach Berlin oder Paris, außer sie sind Teil der dortigen privilegierten Klassen. Selbst wenn sie es schaffen würden, überhaupt mal ein Visum für Europa oder Nordamerika zu erhalten, hätten die dortigen Arbeiter_Innen, durch ihre lokalen Kapitalist_Innen und die Imperialist_Innen aus dem globalen Norden doppelt ausgebeutet, kein Geld für solche Reisen, egal wie hart sie arbeiten und egal wie viel sie sparen.

Stattdessen dürfen sie sich in den Ferienresorts der Karibik und der Malediven zu Hungerlöhnen ausbeuten lassen. Während sich mittelalte Westeuropäer_Innen auf Kreuzfahrtschiffen wie auf einem schwimmenden Hotel durch die Weltmeere fahren lassen, schuften philippinische Crews unter Deck und sorgen dafür, dass der Kahn fährt und sämtliche Annehmlichkeit zur Verfügung stehen.

Tourismus führt immer wieder zu massiver Zerstörung und Verdrängung. Die indigenen Massai sollen in Tansania für einen Safaripark von ihrem Land vertrieben werden. Im Süden Mexikos soll der „Tren Maya“ durch den Urwald und durch das Land indigener Völker und den Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten geschlagen werden, damit Urlauber_Innen schneller und einfacher zu den Ruinen der antiken Mayakultur gelangen können.

Ganz generell ist die ökologische Bilanz von Tourismus häufig katastrophal. Einige wenige Kreuzfahrtschiffe stoßen so viel CO₂ im Jahr aus wie zig Millionen Autos und zahlreiche ökologisch wertvolle Räume wie Korallenriffe werden durch den Massentourismus in Seaside-Ressorts für immer zerstört.

Doch während die Auswirkungen des Imperialismus in diesem Wirtschaftsbereich hier wohl, wie so viele andere Formen der imperialistischen Ausbeutung, wenig Beachtung finden würden, sorgt der Tourismus anderswo für große Empörung. Im Globalen Norden, in den westeuropäischen Metropolen.

Tourismus und Gentrifizierung

Nicht nur ferne sonnige Strände lassen sich von der Tourismusbranche gut vermarkten und entsprechend verwerten, auch die Innenstädte von Paris, Berlin und Barcelona eignen sich dafür prima. Doch so wie der Tourismus für die Menschen in der Karibik oder in Thailand meist negative Konsequenzen mit sich bringt, tut er das auch hier.

Die Innenstädte verkommen durch den Druck der kapitalistischen Verwertung im Bereich des Tourismus immer mehr zu reinen Attraktionen, umliegende Geschäfte passen ihr Angebot nicht mehr auf die Bewohner_Innen an, sondern darauf, ausländischen Touris das Geld aus der Tasche zu ziehen und statt Öffis oder Wohnbau sprechen alle nur noch von dem Ausbau „touristischer Infrastruktur“.

So gibt es in den zentralen Straßen von Großstädten teilweise mehr Hotels als Wohnhäuser. Die Nähe zu touristischen Attraktionen treibt die Mieten in diesen Gegenden massiv in die Höhe und sorgt dafür, dass sich nur noch reiche Hipster oder Investor_Innen eine Wohnung in der Innenstadt leisten können. Das Konzept von Airbnb, also dem Angebot von normalen Wohnungen an Tourist_Innen, bietet außerdem Vermieter_Innen eine alternative Verwertungsmöglichkeit für den eh schon knappen Wohnraum in innenstadtnahen Vierteln. Wohnungen werden zu Hotels.

So fungiert Tourismus als massiver Treiber der sowieso in den meisten Großstädten des Globalen Nordens grassierenden Gentrifizierung, die zur Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus den innenstadtnahen Stadtteilen an den Stadtrand führt. Städte geben ihre Bewohnbarkeit für die breite Masse zugunsten von Angeboten für Besserverdienende und eben auch Touris auf.

Internationale Solidarität statt Tourihass!

Gerade auf das Problem der Gentrifizierung durch Tourismus antworten viele Linke, gerade aus dem autonomen Spektrum, mit einem grundsätzlichen Hass gegen die „Scheißtouris“. Dieser äußert sich in Graffiti und Stickern, mit Inhalten wie „Touris go home“ oder „Refugees welcome, Tourists not“. Doch ist es wirklich etwas Schlechtes in Städte und Länder für deren Kultur, Architektur und Landschaft zu reisen? Ist die Lösung, dass alle nur noch zu Hause bleiben oder höchstens ihre Ferien auf einem nahegelegenen Campingplatz verbringen?

Nein, sicher nicht! Denn was wir eigentlich wollen, ist das Gegenteil. Eine Welt, in der sich alle Menschen frei bewegen können, wie sie wollen und in der Nationen und Grenzen keinerlei Rolle mehr spielen!

Es ist völlig legitim dahin zu reisen, wohin es einen verschlägt und unser Ziel sollte sein dafür zu kämpfen, dass die Möglichkeit nicht mehr nur den Menschen aus dem Globalen Norden, sondern allen Menschen offen steht! Wir sollten Menschen, die aus anderen Ländern zu uns reisen, mit offenen Armen willkommen heißen und nicht mit Hass überziehen, weil wir sie als Bedrohung für unsere Stadtkultur wahrnehmen. Gleichzeitig sollten auch wir mit der Erwartung in andere Länder reisen können, mit offenen Armen willkommen geheißen zu werden.

Damit das aber Wirklichkeit werden kann, muss das Reisen von den Gesetzen des Kapitalismus befreit werden, muss die touristische Infrastruktur unter die Kontrolle der dort Beschäftigten gestellt werden. Auf der ganzen Welt. Nur dann ist es möglich, dass sich das Verhältnis zwischen Reisenden und Einheimischen von einer Art Dienstleistungsverhältnis, hin zu einem genossenschaftlichen Verhältnis zwischen Gäst_Innen und Gastgeber_Innen wandelt.

In einer sozialistischen Gesellschaft wird der Tourismus als ein kommerzialisierter Wirtschaftszweig verschwinden, nicht aber der Urlaub und das Reisen!

Schließlich, werden wir in so einer Welt viel mehr Urlaubszeiten haben und unser Interesse, unsere Genoss_Innen auf der ganzen Welt zu besuchen, wird vermutlich noch viel größer sein! In so einer Gesellschaft kann auch viel leichter die Grenze zwischen Urlaub und Arbeit verschwimmen und Work & Travel vermutlich von einem Randphänomen zum gesellschaftlichen Standard werden.

Wenn eine 20-jährige Deutsche Lust hat für ein Jahr in Bangkok zu leben und zu arbeiten, ist das einfach möglich und wenn eine 20-jährige Thailänderin dasselbe in Berlin tun möchte, sollte es genauso sein!




Protest und Widerstand gegen die Räumung der Köpi-Wagenburg

Zuerst veröffentlicht unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2021/10/16/protest-und-widerstand-gegen-die-raeumung-der-koepi-wagenburg/

Jan Hektik, Infomail 1167, 16. Oktober 2021

Giffey und Geisel sind schockiert ob der Gewalt. Gemeint sind damit natürlich nicht die fast 2.000 Bullen, die den Wagenplatz unter Einsatz von Räumpanzern und anderem Gerät räumten, die dutzende Demonstrant_Innen und Protestierende seit den Morgenstunden festnahmen und das Räumungsurteil am 15. Oktober durchsetzten.

Schließlich handelten diese ja nach den geplatzten Verhandlungen mit der (kommunalen) Wohnungsbaugesellschaft Howoge rechtens, also aufgrund eines Räumungsurteils. Schließlich will sie das Gelände neben der Köpi für ihre Profitinteressen nutzen – und die darauf stehende Wagenburg muss dafür samt allen Bewohner_Innen weichen.

Gegen die Umsetzung dieses gerichtlichen Entscheides hatten sich Bewohner_Innen und Unterstützer_Innen verbarrikadiert oder an Bäumen angekettet. Bereits am frühen Morgen versammelten sich einige hundert Menschen, um dies zu verhindern bzw. dagegen zu demonstrieren.

Eine Verhinderung der Räumung war angesichts der Abriegelung ganzer Straßenzüge um die Köpenicker Straße und des massiven Polizeiaufgebots von 2.000 Einsatzkräften plus Fuhrpark wohl nicht zu erwarten. Die bürgerliche Presse, die Polizei und Leute wie Giffey und Geisel stilisieren jedoch schon das Befestigen von Zäunen, Anketten und das Nicht-Freiwillig-Gehen zum gewaltsamen Angriff. Dabei wird unter den Teppich gekehrt, wie weit mittlerweile die Straftat Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt_Innen gefasst werden kann. So kann die Weigerung wegzugehen bereits eine Straftat darstellen. Gleichzeitig wird dabei natürlich auch unterschlagen, dass es wohl kaum verwunderlich ist, wenn sich Menschen, die mit Räumpanzern, Schlagstöcken und Pfefferspray aus ihrem Zuhause vertrieben werden, dagegen zur Wehr setzen.

In Wirklichkeit werden diese gewaltsam vertrieben und zu Obdachlosen gemacht – in der schönen Welt der Polizei, der Presse und des scheidenden und wohl auch zukünftigen Senats werden diese Verhältnisse aber auf den Kopf gestellt.

Das trifft natürlich auch auf die Solidaritätsdemonstration am Abend des 15. Oktober zu. Gegen 20 Uhr versammelten sich da mehrere tausend Menschen – selbst die Bullen sprachen von 7.000 bis 8.000 – zur wahrscheinlich größten Demonstration der autonomen Szene in Berlin. Die Polizei redete von äußerster Aggressivität. Tatsächlich waren die Menschen natürlich wütend und empört – zu Recht. Angesichts der Brisanz der Situation, in Anbetracht der Größe und des versammelten politischen Spektrums, das über die Szene hinausging, waren die Empörung und der kämpferische Charakter der Demonstration wohl nicht verwunderlich.

Die Presse stilisierte jedoch den „Kontrollverlust“ der Polizei gezielt hoch, einen „Kontrollverlust“, der sich darauf beschränkt, nicht alle Sachbeschädigungen verhindert zu haben.

Rolle des Senats

In Wirklichkeit geht der scheidende Senat, getrieben von der Immobilienlobby und ihren Frontleuten im Innensenat, seit Jahren gegen die noch vorhandenen besetzen Häuser systematisch vor. Der Linkspartei, der SPD-Linken und auch den Grünen gefällt das zwar nicht – aber gegen Geisel vorgehen tun sie nicht. Dabei ist diese Räumung nur das neueste Glied in einer Kette von Wegnahmen linker Freiräume durch den rot-rot-grünen Senat. Nach der Liebig34, dem Syndikat, der Meuterei und Potse/Drugstore erkennt selbst ein/e Blinde/r einen systematischen Angriff. Wer dann zusammenhanglos die daraufhin entstehenden Proteste und die Wut als „Angriff auf den Rechtsstaat“ und „blinde Zerstörungswut“ (Geisel) bezeichnet, verdreht die tatsächlichen Verhältnisse auf geradezu widerwärtige Art.

Sicherlich sollte niemand der Illusion anhängen, dass die autonomen Taktiken das Kräfteverhältnis drehen können. Natürlich werden auch zerschlagene Glasscheiben dem Senat wenig anhaben können. Gegen die Angriffe des bürgerlichen Staates können noch so militante Szenedemonstrationen letztlich wenig bis nichts ausrichten.

Die Stilisierung der Proteste, einzelner zerbrochener Scheiben oder gar von Bengalos bei den Demos zum „Gewaltexzess“ hat nicht nur nichts mit der Realität zu tun, sie soll vor allem den Boden für eine weitere Verschärfung von Polizeigesetzen, für noch mehr Überwachung und brutalere Durchsetzung des Rechts der Immobilienhaie bereiten. Gegen diese Hetze und Verleumdung ist Solidarität nötig und angesagt mit allen, die gegen die Räumung Widerstand geleistet haben und weiter leisten werden.

Wer zu den wirklichen Angriffen des Staates schweigt, erledigt letztlich den Job der Wohnungskonzerne, von AfD, FDP und CDU und der Scharfmacher_Innen im alten und wohl auch zukünftigen Senat. Während Giffey und Geisel gegen die Besetzer_Innen – und damit letztlich gegen alle, die von Räumungen bedroht sind – hetzen, halten Grüne und vor allem auch die Linkspartei die Füße still.

Es ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet am 15. Oktober, dem Tag der Räumung der Köpi-Wagenburg, SPD, Grüne und Linkspartei bekanntgaben, gemeinsam in Koalitionsverhandlungen zu treten. Für die Mieter_Innen und für die Hausbesetzer_Innen verheißt das nichts Gutes. So sollen die Polizei aufgerüstet und die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausgeweitet werden. Die Enteignung der Immobilienkonzerne soll hingegen auf eine Expert_Innenrunde verwiesen, also auf die lange Bank geschoben werden. Obwohl 57,6 % für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. gestimmt haben, will der zukünftige Senat das Mehrheitsvotum weiter ignorieren. So sieht die rot-grün-rote Demokratie aus!

Doch die Tausende, die in Solidarität mit der Köpi-Wagenburg auf die Straße gingen, die in der Enteignungsbewegung aktiv geworden sind und die mehr als eine Million Ja-Stimmen beim Volksentscheid zeigen auch, dass der zukünftige Senat nicht einfach durchregieren wird können. Sie zeigen, dass das Potential für eine Massenbewegung von Mieter_Innen und Besetzer_Innen, die Gewinnung von Hunderttausenden Mieter_Innen, für die Aktivierung der Mitglieder von Mieter_Innenvereinen, Gewerkschaften wie auch der Basis der Senatsparteien existiert.

  • Solidarität mit dem Widerstand und allen von Repression Betroffenen!
  • Enteignet die Immobilienhaie!



Deutsche Wohnen & Co. enteignen – Wie muss es jetzt weitergehen?

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den gesamten Text findet ihr unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2021/10/04/volksentscheid-deutsche-wohnen-und-co-enteignen-jetzt/

Von Tomasz Jaroslaw und Felix Ruga

Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWe) war auch in seiner dritten Phase ein voller Erfolg. 56,4 %, in absoluten Zahlen 1.034.709 Wahlberechtigte, stimmten beim Volksentscheid am 26. September mit Ja. Eine Mehrheit für Enteignungen großer Wohnungskonzerne!

Der Erfolg ist umso bemerkenswerter, als er gegen die vielfältigen politisch motivierten Blockadeaktionen, Halbwahrheiten und Irreführungen des bürgerlichen Staates, von Parteien und Medien, der Immobilienlobby und auch der SPD-Führung und der Wohnungsgenossenschaften errungen wurde.

Mit diesem Ergebnis ist nun der Senat beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um große private Immobilienkonzerne auf Grundlage des Artikels 15 Grundgesetz zu vergesellschaften. Auch wenn dieser Beschluss im Gegensatz zum Gesetzesvolksentscheid rechtlich nicht bindend ist, ist der politische Druck aufgrund dieses klaren Ergebnisses enorm. Schließlich hat die Initiative mehr Stimmen hinter sich vereinigt als jede einzelne Partei oder jeder Zweiparteienblock.

Was wird der Senat tun?

Logisch ist, dass für CDU, FDP und AfD als rechte bürgerliche Parteien keine Enteignungen in Frage kommen. Die Linke ist klar dafür, die Grünen bezeichnen es als „letztes Mittel“. Franziska Giffey, Spitzenkandidatin und zukünftige Bürgermeisterin Berlins von der SPD mit enger Verbindung zur Immobilienwirtschaft, lehnt die Enteignung ab. Vor der Wahl definierte sie dies noch als „rote Linie“. Jetzt verspricht sie, das demokratische Votum „zu respektieren“, damit „verantwortungsvoll“ umzugehen. Sie sagt ferner „Aber dieser Entwurf muss dann eben auch verfassungsrechtlich geprüft werden“.

Aus diesen Aussagen wird deutlich, dass der überwältigende Sieg des Volksentscheides die bisherigen Regierungspartien unter Druck setzt. Aber klar ist auch, dass Giffey alles dafür tun wird, eine Umsetzung abzuwehren, indem entweder gerichtlich festgestellt wird, dass diese unverhältnismäßig ist oder Koalitionspartner_Innen ausgesucht werden, mit denen jede Gesetzesinitiative in diese Richtung im Keim erstickt wird. Dass sie ihre Sondierungsteam nur mit Vertreter_Innen des rechten Parteiflügels besetzt, zeigt schon ihr Abwenden von R2G. Der schwarze Peter wäre dann bequem an bürgerliche Gerichte oder offen ablehnende bürgerliche Parteien weitergereicht. Die SPD wäre, jedenfalls Giffeys Kalkül zufolge, fein raus und bräuchte selbst nicht eine Millionen Wähler_Innen zu betrügen.

Was ist zu tun?

Was wir nun brauchen, ist eine „vierte“ Phase, in der wir den Druck auf das Abgeordnetenhaus bis zur erfolgreichen Umsetzung aufrechterhalten und parallel die Mieter_Innenbewegung organisieren.

Denn viele haben für den Volksentscheid gestimmt, mit der Hoffnung, dass ein Rot-Grün-Roter-Senat diesen Beschluss auch umsetzt. Wir lehnen eine Koalition der Linkspartei mit den offen bürgerlichen Grünen ab. Sollte sie jedoch als einzige Unterstützerin des Volksentscheids in Koalitionsverhandlungen eintreten, so muss von ihr gefordert werden, die Umsetzung dieser demokratischen Entscheidung zu einer Bedingung einer Koalition machen. Selbst darauf sollte sich freilich niemand verlassen, schließlich hat die Partei auch in den letzten Jahren die Blockadepolitik der SPD-Senator_Innen gegenüber dem Volksbegehren im Interesse des Koalitionsfriedens geduldet.

DWe muss daher weiter massiv Druck auf die Abgeordneten ausüben, ohne Wenn und Aber den Volksentscheid umzusetzen. Zugleich darf es sich darauf keineswegs verlassen. Richtig erklärte Rouzbeh Taheri von DWe dazu: „Wir akzeptieren weder Hinhaltestrategien noch Abfangversuche. Wir kennen alle Tricks“. Natürlich bedeutet die Lage auch, dass eine Reihe von taktischen Fragen erwogen werden muss, wie dieser Druck erhöht werden kann.

Klar ist also: Am 26. September haben wir einen wichtigen Teilsieg errungen. Der Kampf muss jetzt weitergeführt, ja zugespitzt werden. Dazu schlagen wir vor:

  1. Die Kiezteams sollen ihre Arbeit als Rückgrat der Kampagne fortsetzen, Mieter_Innen im Stadtteil organisieren und Keime der zukünftigen Mieter_Innenräte nicht erst per erhofftes Vergesellschaftungsgesetz von oben, sondern in der kommenden Phase von unten aufbauen.
  2. Die Vernetzung mit Betriebs- und Gewerkschaftskämpfen wird ausgebaut und DWe bei Treffen von Betriebsgruppe, bei Infoveranstaltungen und Vollversammlungen eingeladen und für Vergesellschaftung eintreten, um die Grundlage für Massenmobilisierung und politische Streiks vorzubereiten.
  3. In Kooperation mit DWe, Mieter_Inneninitiativen, -verein und -gewerkschaft müssen eine Auseinandersetzung zur Umwandlung der Massenorganisationen der Mietenden der Stadt geführt und neue aktive Mitglieder für diese gewonnen werden. Wenn in einem Haus, Straßenzug oder Unternehmen ein ausreichender Organisationsgrad erreicht ist (50%), sind kollektive Mietboykotte für ein Vergesellschaftungsgesetz durchzuführen. Warum sollten wir den Enteignungskandidat_Innen auch nur einen weiteren Cent zahlen?
  4. Die gigantische Ausstrahlung von DWe birgt das Potenzial, für einen bundesweiten Mietendeckel zu kämpfen. Wir brauchen daher eine vorzugsweise bundesweite Aktionskonferenz, die sowohl die Perspektive aus dem Resultat des Volksentscheids diskutiert als auch Maßnahmen zum Mietendeckel bestimmt.



Deutsche Wohnen & Co Enteignen: Perspektiven & Grenzen des Volksbegehrens

Von Sani Meier

Als im
April diesen Jahres der Berliner Mietendeckel vom
Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, hat sich wohl für viele
Berliner_Innen die Hoffnung auf bezahlbare Mieten in der Hauptstadt
vorerst erledigt. Das Gesetz der rot-rot-grünen Landesregierung
hatte die Mieten von rund 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von
Juni 2019 für die nächsten fünf Jahre eingefroren oder zu hohe
Mieten auf dieses Level abgesenkt. Nachdem CDU&FDP massiv dagegen
geklagt hatten, wurde dieser Beschluss nun vom
Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und
Vermieter_Innen können die Mieten nun wieder ungestört erhöhen.
Die Mietdifferenzen der vergangenen Monate werden dann auch gleich in
Form von Mietrückzahlungen von ihren Mieter_Innen gefordert. Dass im
selben Zeitraum ein großer Teil der Bevölkerung durch die
Corona-Krise in Kurzarbeit gehen musste oder gleich den Job verlor
,und somit gar nicht in der Lage war die Mietdifferenz zur Seite zu
legen, spielt dabei keine Rolle. Gleichzeitig verzeichneten
Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen nicht einmal Verluste. Dass
hier einmal wieder Staat & Justiz zu Gunsten des Kapitals
entschieden haben, ist offensichtlich und verschärft die
Auswirkungen der Krise gerade für die Menschen, die sowieso schon am
stärksten von ihr betroffen sind. Wie groß die Wut der Berliner
Mieter_Innen über dieses Urteil ist, zeigte sich daran, dass noch am
selben Tag mehr als 20 000 Menschen dagegen auf die Straße gingen.
Auch hat sich ein weiteres Mal gezeigt, wie gefährlich es ist, auf
den Erfolg einzelner Reformen zu setzen, denn auch wenn der
Kapitalismus durchaus dazu in der Lage ist, zeitweise kleine
Verbesserungen für Arbeiter_Innen zuzulassen, so kann er sie genauso
schnell wieder zurücknehmen.

Die
letzte Hoffnung, auch in Zukunft eine Chance auf bezahlbaren Wohnraum
in der Hauptstadt zu haben, stellt für viele nun die Initiative
„Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ dar. Wir wollen sie in
diesem Artikel vorstellen und ihre Perspektiven, aber auch ihre
Grenzen aufzeigen.

Enteignung?
Was ist das überhaupt?

„Deutsche
Wohnen & Co Enteignen“, kurz „DWE“, hat das Ziel, den
Berliner Senat durch einen Volksentscheid dazu zu bringen, ein Gesetz
zu erlassen, welches Wohnungen von privaten Wohnungsgesellschaften
mit mehr als 3000 Wohnungen vergesellschaftet und sie in eine Anstalt
öffentlichen Rechts (AöR) überführt. Konkret würden circa
240.000 Wohnungen von 14 Konzernen enteignet werden. Durch die
Vergesellschaftung soll die Kontrolle über die Stadt dem Markt
entzogen werden und auf die Stadtgesellschaft übertragen werden.
Privates Eigentum wird also in öffentliches Eigentum überführt,
welches dann gemeinwohlorientiert bewirtschaftet und demokratisch
verwaltet werden solle, wobei das im Sinne der bürgerlichen
Demokratie wäre – zum Vergleich: Die Berliner Verkehrsbetriebe
(BVG) sind eine Anstalt des öffentlichen Rechts, trotzdem können
wir da weder über den Fahrpreis bestimmen, geschweige denn über den
Neubau von Straßenbahnstrecken…

Dass
mit der Enteignung klingt auch erstmal utopisch im Kapitalismus. DWE
verweist aber auf Artikel 15 des Grundgesetzes als juristischer
Grundlage für dieses Vorhaben. Darin heißt es nämlich, dass Grund
und Boden „zum Zwecke der Vergesellschaftung“ in „Gemeineigentum
oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ umgewandelt werden
können. Gleichzeitig heißt es in Artikel 18 der Berliner
Verfassung: „Jeder Mensch hat das Recht auf bezahlbaren Wohnraum.
Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem
Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen.“ Eine
angemessene Miete darf übrigens nicht mehr als 30% des Einkommens
betragen- die Realität sieht für die meisten Bewohner_Innen
deutscher Großstädte schon seit Jahren anders aus (im Durchschnitt
beträgt die Miete heute 58% des Einkommens). Deshalb werden nun bis
Ende Juni fleißig Unterschriften gesammelt, denn mindestens 7% aller
Wahlberechtigten in Berlin müssen das Volksbegehren unterzeichnen,
damit es im Berliner Senat zur Debatte steht – Doch wie geht’s
danach weiter?

Mit
Unterschriften Vermieter_Innen den Kampf ansagen?

Dieser
Slogan klingt ein bisschen wie David gegen Goliath und kann es unter
Umständen auch sein. Denn leider setzt das Volksbegehren seine ganze
Hoffnung in ein Gesetzgebungsverfahren, welches eine Mehrheit im
Abgeordnetenhaus benötigt. Letztendlich hängt also alles von der
Gunst von SPD, Grünen und Linkspartei ab. Sollte das nicht gelingen,
gibt es keinen Plan B zur Vergesellschaftung und die Initiative wäre
Geschichte. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass DWE auch
alternative Strategien diskutiert und ermöglicht, welche die
Initiative weiterführen kann. Dazu zählt vor allem die
Notwendigkeit zum Aufbau einer Massenbewegung aus Mieter_Innen,
Arbeiter_Innen, Jugendlichen und Gewerkschaften. Dass letztere auch
jetzt schon teilweise Unterstützer_Innen von DWE sind, ist eine
optimale Grundlage, um arbeitende Teile der Gesellschaft, unter
anderem durch Streiks, massenhaft in den Wohnungskampf zu
integrieren. Nur durch eine Massenbewegung auf der Straße kann genug
Druck aufgebaut werden, um über die Frage von Wohneigentum selbst
demokratisch entscheiden zu können. Der legale Weg über Petitionen
kann dazu nur der erste Schritt, eine Mobilisierung sein. Darüber
hinaus braucht es Aktionskomitees in den Kiezen, Betrieben, Unis-
aber auch in Schulen, die z.B. auch in der Lage wären einen
Mietboykott zu organisieren. Denn vor allem die Wohnungsfrage
betrifft Jugendliche in besonderem Maße, da sie keinen Zugang zu
alten und günstigen Mietverträgen haben und mit dem Gehalt aus
Ausbildung oder Minijob fast keine Aussicht auf ein Wohnungsangebot
haben. Wer es sich nicht leisten kann ist also gezwungen auf
unbestimmte Zeit im Elternhaus zu bleiben und durch finanzielle
Abhängigkeit nicht in der Lage ein unabhängiges Leben zu beginnen.
Weiterhin muss DWE (Deutsche Wohnen und Co enteignen) breite
Schichten der Arbeiter_Innenklasse aktiv organisieren, um ein
Gegengewicht zur Macht des Kapitals darstellen zu können, denn nur
so kann perspektivisch auch die Frage des politischen Streiks für
bezahlbaren Wohnraum aufgeworfen werden.

Wir
unterstützen trotzdem die Initiative und beteiligen uns aktiv an
ihr, aber werfen auch Forderungen auf, die über sie hinausgehen:

  • Dazu
    zählt vor allem die entschädigungslose Enteignung, welche momentan
    nicht von DWE vorgesehen wird. So sollen die zu enteignenden
    Immobilienkonzerne nach der Vergesellschaftung eine
    Entschädigungszahlung enthalten, welche aus den vergesellschafteten
    Profiten finanziert werden soll. Wir halten es für absurd, dass
    milliardenschwere Konzerne letztlich auch noch entschädigt werden
    sollen, nachdem sie jahrzehntelang ihre Mieter_Innen ausgepresst und
    sich an deren existenziellen Nöten bereichert haben.

  • Stattdessen
    sollte sofort leerstehender Wohnraum beschlagnahmt werden und
    Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung gestellt werden oder
    für eine dezentrale Unterbringung Geflüchteter und Wohnungsloser
    genutzt werden.

  • Weiterhin
    halten wir es nicht für genug, nur 14 Konzerne zu enteignen und
    treten für eine Enteignung des gesamten Wohnungsbausektors unter
    wirklicher, direkter Kontrolle der Mieter_Innen ein, damit diese
    selbst über Wohnraum entscheiden und verfügen können, anstatt
    Bitten an die Regierung zu stellen, wie das bei einer AöR passieren
    müsste.

  • Gleichzeitig
    fordern wir bis dahin die Wiedereinführung und Ausweitung des
    Mietendeckels, natürlich bundesweit und nicht nur in Berlin, und
    eine vollständige Streichung aller Mietrückzahlungen und
    Mietschulden!
  • Auch
    darf die gesamte Enteignungskampagne nicht nur in Berlin
    stattfinden, sondern sollte von DWE auf die ganze Bundesrepublik
    ausgeweitet werden, denn nicht nur in Berlin leiden große Teile der
    Arbeiter_Innenklasse unter Wohnungsnot und Obdachlosigkeit.

In
diesem Sinne kämpfen wir für eine massenhafte Mieter_Innenbewegung
auf der Straße, in Schulen, Unis und Betrieben – und nicht bloß auf
dem Papier!




Gentrifizierung – Sind die Yuppies schuld daran?

von Felix Robeson

Die Mieten steigen überall und in den Städten können sich viele ihre Wohnung kaum noch leisten. Gleichzeitig verändern sich die Viertel teilweise extrem. Wo gestern noch ein Discounter war, ist jetzt ein Biosupermarkt mit veganem Café und statt günstigem Wohnraum gibt’s  Luxusbuden. Und an all dem sind die Yuppies Schuld? So zumindest wird es uns immer wieder erzählt. Doch wer sind diese Yuppies überhaupt und was haben sie mit der Veränderung der Städte und der Gentrifizierung zu tun?

In der Schule…

Im Schulunterricht wird uns Folgendes über Gentrifizierung beigebracht: Ein Viertel ist runtergekommen und würde nur von relativ armen Menschen bewohnt. Da das Leben in den umliegenden Bezirken teurer werden würde, zögen dann immer mehr Studierende und Künstler_Innen in dieses Viertel, weil es dort billigen Wohnraum gibt. Als junge kreative Menschen würden sie eine Art Subkultur schaffen und wandeln somit den Charakter des Viertels vom heruntergekommenen Arbeiter_Innenviertel zum hippen Szeneviertel. Im Laufe der Zeit ziehe dieses Szeneviertel immer mehr vergleichsweise junge Menschen (Young Urban Professionals = Yuppies) an, die Karriere machen und viel Geld verdienen. Dadurch würden die Mieten steigen und die ursprünglichen Mieter_Innen und auch die, die das Viertel einst aufwerteten, würden aus den Vierteln verdrängt. So könne es in Berlin im Friedrichshain und im Prenzlauer Berg beobachtet werden und fände es aktuell in Kreuzberg und Neukölln statt. Also sind doch die, die zuziehen, Schuld daran, dass die, die hier schon wohnen, keine neue Wohnung mehr bekommen? So zumindest hört man es von bürgerlichen Theoretiker_Innen und auch erstaunlich oft aus der Linken. Dabei steigen die Mieten auch dort, wo die Yuppies nicht hinziehen.

Warum steigt die Miete?

Dass die Miete steigt, liegt daran, dass Kapitalist_Innen mit dem Vermieten von Wohnungen Gewinn erwirtschaften wollen, wobei der Zuzug in bestimmte Viertel ausgenutzt werden können. Ein extremes Beispiel stellt dabei die VONOVIA dar, die größte deutsche Immobiliengesellschaft. Von jedem Euro Miete fließen dort 38 Cent direkt in die Tasche der Eigentümer_Innen. Die VONOVIA ist dabei nur ein Beispiel, welches sich vergleichbar auf alle unternehmerischen Vermieter_Innen und Immobilienkonzerne anwenden lässt.

Schauen wir uns zunächst an, woraus die Miete besteht und wer davon profitiert. In der Miete ist zunächst die Grundrente enthalten, also das was für den Boden, auf dem das Haus steht, gezahlt wird. Weiterhin gehen die Bau- und Reparaturkosten (Betriebskosten) in die Miete ein, hier zieht z.B. die Bauindustrie ihren Profit heraus. Da für den Grundstückskauf und den Bau eines Gebäudes meist Kredite bei einer Bank aufgenommen werden, zieht auch die Bank in Form von Zinsen auf die Kredite Gewinn aus der Vermietung. Wenn wir diese Größen von der Miete abziehen, erhalten wir das, was in der Tasche des Vermieters landet. Da die Mieter_Innen seltenst in Besitz ihrer Wohnung kommen werden, leihen sie sich diese für Geld immer wieder neu aus, so dass der ursprüngliche Kostenpreis des Hauses mehrfach in Miete gezahlt wird.

Hinzu kommt die Krise des Kapitalismus: Viele Kapitalist_Innen investieren in den Immobilienmarkt, weil in der Industrie nicht mehr ausreichend Gewinne zu erwarten sind, obwohl normalerweise die Immobiliengeschäfte weniger einbringt. Daran sieht man die momentan Notlage und die Flucht in andere Sektoren. Der Run auf den Immobiliensektor wird also größer und die Kommerzialisierung steigt, wodurch sich die Lage anspannt.

Dazu kommt noch die künstliche Wohnraumverknappung: Entweder man lässt Häuser leer stehen als „Spekulationsobjekte“ oder vermietet sie beispielsweise als Ferienwohnungen. Plötzlich stehen den Mieter_Innen weniger Wohnungen zur Verfügung. Für die wenigen verfügbaren Wohnungen können die Vermieter_Innen höhere Preise verlangen als bisher.  Es klingt im ersten Moment vielleicht absurd, aber je weniger Wohnraum verfügbar ist, desto besser ist es für den Gewinn der Kapitalist_Innen, denn der Bedarf an Wohnraum sinkt ja nicht. Wir stehen also vor dem Widerspruch, dass eben weil Kapital in die Städte fließt, die Wohnungskrise verschärft wird, zumal die Konzerne wie VONOVIA vor Allem bestehenden Wohnraum aufkaufen anstatt für neuen zu sorgen.

Ist das jetzt schon Gentrifizierung?

Nicht nur. Steigende Mieten machen dabei einen Teil der Gentrifizierung aus. Gentrifizierung umschreibt Verdrängung durch Aufwertung von Vierteln. Neben dem Gewinn aus der Miete gibt es in der Immobilienwirtschaft eine zweite Möglichkeit Geld zu verdienen. Dabei kaufen die Kapitalist_Innen Grundstücke (tw. Mit alten Gebäuden darauf) in Vierteln, die aktuell noch günstig sind, bei denen aber eine Aufwertung in den kommenden Jahren wahrscheinlich ist. Eine solche Aufwertung kann stattfinden durch das gezielte Bauen einzelner moderner Wohnhäuser für reiche Mieter_Innen oder auch durch staatliche Förderungen durch steuerliche Vergünstigungen beim Neubau oder Modernisieren oder durch die günstige Lage innerhalb der Stadt. In Berlin-Kreuzberg findet dieser Prozess in den letzten Jahren massiv statt. Teilweise hat sich der Preis für Grundstücke dort in den letzten 10 Jahren verzehnfacht. Oft werden diese Grundstücke gekauft, um sie nach Jahren der Wertsteigerung weiterzuverkaufen, ohne dass sie währenddessen bewohnt werden.

Der Strukturwandel im Kiez wird dabei durch die Politik oftmals gefördert. Nicht nur, dass öffentlicher Wohnraum (sprich der Staat ist Eigentümer durch eigene Gesellschaften) privatisiert wird und in die Hände von VONOVIA und Co gerät. Nachdem die Besitzer_Innen jahrelang nichts an den Immobilien gemacht haben, bekommen sie steuerliche Vergünstigungen, wenn sie nun doch ein neues Wohnhaus auf dem Grundstück errichten.  Aufgrund der hohen Preise der Grundstücke wird in diesen Vierteln nur noch für wohlhabende Menschen gebaut, zu großen Teilen auch Eigentum, da sich damit kurzfristig mehr Gewinn erwirtschaften lässt als mit Mietwohnungen. Dadurch wird die ehemals dort lebende Bevölkerung immer weiter aus dem Vierteln verdrängt. Besonders hart trifft es dabei Arbeiter_Innen mit niedrigen Löhnen und Arbeitslose, die sich die immer weiter steigenden Lebenshaltungskosten im Viertel nicht mehr leisten können. Neben den Mieten steigen in solchen Vierteln dann auch die Kosten für Lebensmittel und Dienstleistungen an. Wo früher der Discounter war, ist jetzt der besagte Biomarkt und teurer Einzelhandel. Die Yuppies, die in den Kiez ziehen, sind somit lediglich der Ausdruck der Gentrifizierung, nicht aber ihr Auslöser. Der Auslöser der Gentrifizierung ist die Spekulation und Gewinnmaximierung von Kapitalist_Innen durch unseren Wohnraum.

Gegen die Gentrifizierung können wir uns also nur wehren, wenn wir gegen die Kapitalist_Innen kämpfen, die sich durch unserer Miete bereichern und mit unseren Wohnungen spekulieren. Deshalb fordern wir:

  •  Keine Rendite mit der Miete! Massiver Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, auch innerhalb der Städte!
  •  Entschädigungslose Enteignung von Vonovia, Deutsche Wohnen &  Co– Die Wohnungen, denen die sie brauchen  unter Kontrolle von Mieter_Innen- und Arbeiter_Innenräten!
  •  Die Stadt gehört uns: Für den Ausbau von kostenlosen Freizeit- und Kulturangeboten, sowie öffentlichen Nahverkehr – demokratisch geplant!