Intergeschlechtlichkeit: Was hinter dem I in LGBTIA steht

Von Erik Likedeeler, Mai 2023, REVOLUTION-Zeitung April/Mai 2023

Noch vor dem Beginn eines Lebens stellen sich viele werdende Eltern die Frage: „Junge oder Mädchen?“ Es werden Erwartungen gestellt an das Verhalten, das Aussehen und die Rolle des zukünftigen Kindes. Aber was, wenn der Körper des Kindes diesen Erwartungen nicht entspricht?

Als intergeschlechtlich werden Körper verstanden, die von außenstehenden Personen weder als männlich noch als weiblich identifiziert werden können. Intergeschlechtlichkeit zeigt sich zum Beispiel durch verschiedene Varianten der X- und Y-Chromosomen, durch im Körper liegende Hoden bei einem weiblich gelesenen Äußeren oder durch Geschlechtsteile, die als große Klitoris und als kleiner Penis interpretiert werden könnten.

In einer binärgeschlechtlich denkenden Welt ist die Situation intergeschlechtlicher Menschen von Diskriminierung, medizinischer Missachtung und bürokratischen Hindernissen geprägt. Die Tabuisierung des Themas unter dem Motto „Sag‘ es niemand anderem!“ übt starken Druck auf inter Personen aus.

In diesem Artikel soll es darum gehen, wie intergeschlechtliche Personen in Deutschland von Geburt an diskriminiert und misshandelt werden, und wie dagegen vorgegangen werden kann. Außerdem soll auf das dialektische Verhältnis zwischen dem „sozialen“ und dem „biologischen“ Geschlecht eingegangen werden. Hauptquellen sind „The state’s hands in our underpants“ von Theresa Anna Richarz und der Parallelbericht zum 5. Staatenabkommen der BRD zum Übereinkommen gegen Folter.

Was passiert bei Operationen an intergeschlechtlichen Kindern?

In Deutschland sind 95% der intergeschlechtlichen Menschen von medizinischen Eingriffen nach der Geburt betroffen. Seit den 1950er Jahren sind kosmetische Operationen an inter Säuglingen und Kleinkindern medizinisch institutionalisiert. Bestandteil der Operationen ist die Entfernung der hormonproduzierenden Keimdrüsen (Gonadektomie). Dadurch kommt es zu psychischen und körperlichen Folgeerkrankungen. Es werden lebenslange Hormonersatztherapien und Folgeoperationen erforderlich und die Person wird dauerhaft unfruchtbar.

Außerdem erfolgt eine Beschneidung der äußeren Geschlechtsorgane, die mit dem Verlust der erotischen Empfindsamkeit einhergeht. Für die Zwangszuweisung zu einem Standardgeschlecht messen Ärzt_Innen die Größe der Genitalien, um zu bestimmen, welche Rolle diese am ehesten beim traditionellen heterosexuellen Geschlechtsverkehr einnehmen könnten. In 85-90% der Fälle wird der Körper feminisiert. Ein Grund dafür ist die chirurgische Machbarkeit. Ein weiterer ist die sexistische Annahme, Frauen könnten eher ohne erfüllende Sexualität leben als Männer.

Während bei maskulinisierenden Operationen Größe und Funktion des Penis im Mittelpunkt stehen, geht es bei feminisierenden Operationen darum, den Körper auf Geschlechtsverkehr vorzubereiten. Es wird eine Neo-Vagina angelegt, welche regelmäßig durch das Einführen harter Gegenstände gedehnt werden muss, bis sie als penetrierbar gilt. Ohne das Einverständnis der betroffenen Person stellt das eine Misshandlung dar – die in vielen Fällen routinemäßig von den eigenen Eltern durchgeführt wird.

Ungefährliche Varianten der Geschlechtsentwicklung werden zu Störungen erklärt, die Angleichung an die Norm als Heilung dargestellt. Dahinter steckt der Gedanke, dass Menschen die Zweigeschlechtlichkeit am ehesten akzeptieren würden, wenn sie nie etwas von ihrer Intergeschlechtlichkeit erfahren. Laut einer in Hamburg durchgeführten Studie haben 50% der inter Personen, bei denen in der Kindheit irreversible operative Eingriffe vorgenommen wurden, Suizidgedanken.

Wie werden die Operationen rechtlich ermöglicht?

Die Einführung der Geschlechtsoption „divers“ wurde von der Hoffnung begleitet, Akzeptanz für intergeschlechtliche Körper zu schaffen. Doch die Aufmerksamkeit für das Thema hat nicht zum Ende der Operationen geführt. Meist werden die Eingriffe ohne medizinische Indikation verübt, ohne wirksame Einwilligung der Eltern und ohne Aufklärung über Risiken und Folgebehandlungen. Ärzt_Innen erwähnen selten, dass ein erfülltes Leben ohne Operation möglich ist.

In Deutschland ist es verboten, in die Sterilisation des eigenen Kindes einzuwilligen, doch bei intergeschlechtlichen Kindern kommt dieses Gesetz nicht zur Anwendung. In vergleichbaren Fällen wäre die stellvertretende Einwilligung in derart folgenschwere Eingriffe nur bei unmittelbar lebenserhaltenden Maßnahmen zulässig.

Seit Jahren besteht die Forderung, ein Operationsverbot durchzusetzen. 2021 wurde ein Gesetz dafür geschaffen, doch dieses zeichnet sich durch massive Lücken aus und lädt geradewegs dazu ein, umgangen zu werden. Mit Verweis auf ein angeblich erhöhtes Krebsrisiko darf weiterhin operiert werden, obwohl es keine Langzeitstudien gibt, die das beweisen.

Der Staat tut nichts, um diese Folter zu verhindern, sondern macht sich durch die Finanzierung mitverantwortlich. Gesetzliche Krankenkassen zahlen normalerweise nur für medizinisch indizierte Behandlungen, nicht für ästhetische Operationen. Doch die Standardisierung der Genitalien wird als dringend und medizinisch notwendig eingestuft.

Im Jahr 2000 wurde die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche von 30 auf 3 Jahre gekürzt. Viele inter Menschen erfahren erst zu einem viel späteren Zeitpunkt ihres Lebens von den Operationen. Auch hier zeigt sich Sexismus, denn die Beeinträchtigungen infolge einer Kastration werden bei weiblich kategorisierten Personen als weniger gravierend eingestuft. Außerdem ist es schwierig, Ansprüche geltend zu machen, denn Krankenakten sind oft unvollständig, „nicht verfügbar“ oder werden geschwärzt.

Das alles steht in krassem Widerspruch zum bürgerlichen Bild des „binären Geschlechts“. Dieses ist der ideologische Hintergrund, warum Intergeschlechtlichkeit so unterdrückt wird. Doch welches Verständnis von Geschlecht können wir dem entgegensetzen?

Wie kann ein marxistisches Verständnis von Geschlecht aussehen?

Aus unserer Sicht besteht das Geschlecht aus drei Bestandteilen: Zunächst der biologische Körper (engl. sex), der einfach erstmal existiert und mit Eigenschaften, wie schwanger werden zu können, unsere Lebensrealität prägt. Wie oben schon angemerkt, ist das biologische Geschlecht nicht binär (XX- oder XY-Chromosom), sondern bipolar, also die Veranlagungen stehen immer irgendwo zwischen diesen Kategorien. Als zweites das soziale Geschlecht (engl. gender), was die Rollenverteilung ist, in die uns die Gesellschaft drängt und in die wir eingeordnet werden. Die Geschlechterrollen entwickeln sich auf einer gesellschaftlichen Ebene, überspitzen biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern und naturalisieren eigentlich soziale Prägungen. Die Rollen stehen momentan vor allem unter dem Vorzeichen des Patriarchats und als Individuum kann man diese Kategorie nicht einfach auflösen. Der dritte Aspekt ist die Geschlechtsidentität, also das Bewusstsein über das Verhältnis zwischen dem biologischen und sozialen Geschlecht. Wenn diese übereinstimmen, dann spricht man von Cisidentiät, falls es abweicht, spricht man beispielsweise von Trans- oder nichtbinärer Identität. Die Geschlechtsidentität ist über das menschliche Leben fluide, geprägt von vielen Einflüssen und letztendlich weder binär noch bipolar, sondern polypolar. Alle drei Aspekte wirken aufeinander, stehen also in einem dialektischen Verhältnis zueinander und bilden miteinander das Geschlecht.

In diesem Verständnis von Geschlecht grenzen wir uns von jenen queerfeministischen Theorien ab, die annehmen, dass Geschlecht ausschließlich eine soziale Kategorie wäre, die durch Sprache und Handeln performt wird. Dabei wird davon ausgegangen, Geschlechtlichkeit würde nichts mit anatomischen Begebenheiten zu tun haben. Der Körper wäre lediglich Ausdruck einer wiederholten Inszenierung, die vollständig dekonstruiert werden könnte. Diese Praxis bietet keine politische Perspektive, denn individuelle Verhaltensänderung durch Sichtbarmachung, Bildung und Aufklärung greifen den Kapitalismus als Ursache der patriarchalen Unterdrückung nicht an.

Im Kontrast dazu bauen radikalfeministische Ansätze das Geschlecht vor allem auf körperliche Faktoren auf. Aus dieser Essentialisierung leiten sie die patriarchale Unterdrückung als naturgegeben ab – auch daraus ergibt sich keine politische Perspektive. Die Einordnung von Frauen als eigene ökonomische Klasse offenbart ein fehlgeleitetes Verständnis von Materialismus.

Soziale Ungleichheit ist nicht auf die Verschiedenheit der Körper, sondern auf die materielle Grundlage der Gesellschaftsorganisation zurückzuführen. Geschlecht ist als Dimension von Ungerechtigkeit eingelagert in kapitalistische Produktionsformen. Nachhaltige Veränderung des Bewusstseins kann demnach nur im Klassenkampf gegen den Kapitalismus erreicht werden.

Wie zeigt sich das dialektische Verhältnis im Alltag?

Die Frage, ob Eigenschaften biologisch erklärbar sind, ist schwierig, denn wir können unsere Sozialisation nicht einfach wegdenken. Wie tief diese in den Körper eingeschrieben ist, lässt sich exemplarisch an der Stimme erkennen. Häufig wird davon ausgegangen, dass Männer mit einer niedrigen und Frauen mit einer hohen Grundfrequenz sprechen. In Wahrheit gibt es einen großen Frequenzbereich, der unabhängig vom Geschlecht genutzt wird. Einerseits wird der Klang der Stimme von physiologischen Merkmalen wie der Größe des Kehlkopfes bestimmt. Andererseits spielen auch verhaltensbedingte Faktoren eine Rolle.

In Medien wird Geschlecht durch Intonation und Stimme überzeichnet. In Studien wurden Kinder gebeten, Wörter zunächst normal auszusprechen und dann so jungen/mädchenhaft wie möglich. Bei einer normalen Sprechweise gab es keine Unterschiede, diese traten erst bei der Nachahmung auf. Ungefähr ab einem Alter von 7 Jahren lernen Kinder dann unbewusst, ihre Stimme an ihr zugewiesenes Geschlecht anzupassen.

Dabei spielen dynamische soziale Faktoren eine Rolle: Eine sogenannte Knarrstimme, die mit Härte und Robustheit assoziiert wird, gilt allgemein als männliche Tendenz, wird jedoch auch von aufsteigenden, berufstätigen Frauen verwendet. Insgesamt ist die Grundfrequenz von Frauen in den westlichen Gesellschaften den letzten Jahrzehnten gesunken.

Soziale Vorstellungen sind mächtig und prägen die Erinnerungsleistung: Visuelles Wissen über das Geschlecht des_der Sprechenden spielt bei der Sprachverarbeitung eine Rolle und beeinflusst, wie wir die Stimme eines Menschen in Erinnerung behalten. Wie man an diesem Beispiel sieht, ist die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht nicht so einfach, und sowieso ist eine strikte Trennung zwischen Biologie und Sozialem immer verkürzend. Es zeigt auch, dass eine Binarität von biologischem Geschlecht nicht gegeben ist und wir uns dabei auf einem Spektrum befinden. Intergeschlechtlichkeit ist Ausdruck dessen.

Wir wollen für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet ihres Geschlechts gleichberechtigt und gefahrenfrei leben können. Deshalb fordern wir:

  • Das Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern. Geschlechtsangleichende Behandlungen nur mit Zustimmung der betroffenen Person, kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!

Doch formalrechtliche Verbote zu erringen, bringt wenig, wenn die praktische Wirksamkeit ausbleibt. Nur echte Akzeptanz von Intergeschlechtlichkeit kann dafür sorgen, dass das Operationsverbot kein symbolisches bleibt. Deshalb fordern wir zusätzlich:

  • Sicherstellung von aufklärungsbasierter Einwilligung, Information auch über Nichtbehandlung. Für selbstbestimmte Geschlechtsidentität, Sexualität, Fortpflanzung und Elternschaft für inter Personen!
  • Sensibilisierung und Fortbildung von Mediziner_Innen, Sicherstellung des Bewusstseins darüber, welche physischen, psychischen und sozialen Schäden nicht-indizierte kosmetische Operationen und Drüsenentfernungen zu Folge haben können. Zugleich auch Ausbau und Finanzierung von Beratungsangeboten für Eltern und Antidiskriminierungsstellen für Betroffene, unter Besteuerung der Reichen!
  • Aufarbeitung und Entschädigung vergangener Diskriminierung und Folter. Sicherstellung des Zugangs zur eigenen Krankenakte, Aufhebung der Verjährungsfristen.
  • Gegen die Pflicht, das eigene Geschlecht in offiziellen Dokumenten anzugeben. Für den Ausbau von geschlechtsneutralen Toiletten und Umkleiden im öffentlichen Raum.
  • Der Kampf für die Rechte von inter Personen muss Hand in Hand mit dem der Arbeiter_Innen gehen. Es braucht aber gleichzeitig auch den Kampf gegen jegliche LGBTIA-Feindlichkeit innerhalb der Arbeiter_Innenbewegung und das Recht auf Caucusse für Betroffene!
  • Menschen sind keine Sexobjekte! Kampf der bürgerlichen Sexualmoral, samt Binarität und Geschlechterrollen! Für die Vergesellschaftung der Hausarbeit!



Die Lage von Trans- und Inter- Personen

Nina Awarie, REVOLUTION Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den vergangenen
Jahrzehnten wurden weltweit viele juristische und gesellschaftliche
Zugeständnisse seitens der Herrschenden gemacht oder seitens der
LGBTIA-Bewegung erkämpft. In Deutschland haben seit 2017 beispielsweise
gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, eine zivile Ehe zu schließen. Auch
in 22 weiteren Staaten wie den USA, Irland oder Südafrika können
gleichgeschlechtliche Paare heiraten, also die gleichen bürgerlichen Rechte wie
Heteropaare wahrnehmen. Allerdings heißt die gestiegene formelle Akzeptanz
nicht, dass es in diesen Ländern keine Diskriminierung von Homosexualität im
Alltag gibt. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass in mehr als 70
Staaten, also im Großteil der Welt, auf homosexuelle Handlungen eine Gefängnis-
oder sogar die Todesstrafe steht. Daneben kommt in der öffentlichen Wahrnehmung
die rechtliche und soziale Lage von Inter- und Trans-Menschen zu kurz.

Situation
von Transgendern …

Der Begriff Transgender
wurde vor allem von John F. Oliven von der Columbia University in seiner Arbeit
„Sexual Hygiene and Pathology“ aus dem Jahre 1965 geprägt. Dieser ist weiter
gefasst als der der Transsexualität und gleichzeitig auch zutreffender, denn
bei Gender (sozialem/psychologischem Geschlecht) handelt es sich natürlich um die
Geschlechterrolle und nicht um das biologische
Geschlecht. Der Begriff Transgender schließt aber auch all diejenigen
mit ein, die sich non-binär nennen, sich also weder eindeutig männlich noch
eindeutig weiblich identifizieren. Studien zufolge sind bis zu 0,26 % der
Menschen trans, wobei die Dunkelziffer wesentlich größer sein dürfte. Dies hat
vor allem mit einer gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas, aber auch
teilweise mit staatlichen Repressionen zu tun. Außerdem ist auch die
erschreckend hohe Suizidrate unter Trans-Personen auffällig. Demnach hat in
Großbritannien Umfragen zufolge fast die Hälfte aller jugendlichen Transgender
einen oder mehrere Selbstmordversuche hinter sich und laut einer kanadischen
Untersuchung haben im Bundesstaat Ontario bereits 78 % alles
Trans-Personen einen oder mehrere Versuche unternommen, sich das Leben zu
nehmen.

Wenn man nun die
rechtliche Situation von Trans-Personen allein in Deutschland betrachtet, stößt
man zunächst auf einen riesigen, kaum zu durchblickenden Paragraphendschungel.
Das liegt einerseits an dem großen bürokratischen Aufwand im Falle einer
Geschlechtsangleichung, andererseits an den vielen juristischen Schwächen des
Transexuellengesetzes (TSG). Das TSG trat 1980 in Kraft, wurde aber im Laufe
der Jahre häufig geändert, da viele Inhalte auf Beschwerden von Betroffenen hin
vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurden.
Beispielsweise durften Personen unter 25 Jahren im ersten Entwurf des TSG weder
eine Vornamensänderung („kleine Lösung“) noch eine Personenstandsänderung
(„große Lösung“) durchführen. Auch ging das TSG ursprünglich davon aus, dass
alle Trans-Personen heterosexuell seien. Folglich konnte die „kleine Lösung“,
also die Vornamensänderung, vom Gesetzgeber wieder rückgängig gemacht werden,
wenn die Person eine andere des gleichen Geschlechts heiratete oder innerhalb
von 300 Tagen nach der Namensänderung ein Kind bekam. Eine der heftigsten
Forderungen des TSG an die betroffenen Personen war aber der erforderliche
Nachweis einer Sterilisation, um den Personenstand ändern lassen zu können.
Noch bis 2011 wurde das TSG auf diese Weise umgesetzt und bis heute kann der
Personenstand nicht rückwirkend, also auch auf der Geburtsurkunde, geändert
werden. Neben dem Paragraphendschungel stellt die Kostenübernahme durch die
Krankenkassen ein Problem dar. Diese sind zwar gesetzlich zur Kostenübernahme
verpflichtet. Welche Eingriffe und Behandlungen die Kassen aber tatsächlich übernehmen,
variiert stark. Generell ist die Bürokratisierung des Verfahrens – allein für
eine Vornamensänderung – eine unzumutbare Belastung. Die Person muss demnach
mindestens drei Jahre in der Geschlechterrolle „leben“, der sie sich „zugehörig“
fühlt, und sich diese „Zugehörigkeit“ von zwei unabhängigen Gutachter_Innen vor
dem Amtsgericht bestätigen lassen. Für Jugendliche, die ihr Geschlecht
angleichen wollen, gibt es daneben noch eine andere Hürde: die eigenen Eltern.
Denn für die Einnahme von Hormonen oder Operationen braucht man deren Erlaubnis
und ist somit ihrer Willkür ausgesetzt. Das Selbstbestimmungsrecht über den
eigenen Körper wird also in allen Fällen massiv beschnitten.

… und
Inter-Personen

Intersexuell sind
Menschen, die weder dem biologisch männlichen noch dem weiblichen Geschlecht
eindeutig zugeordnet werden können. Das kann genetische, anatomische und
hormonelle Ursachen haben. Schätzungsweise kommt jedes tausendste Kind
intersexuell auf die Welt.

Etliche dieser
Menschen wurden vom 20. Jahrhundert bis zum heutigen Tag zwangsweise hormonell
behandelt, genital verstümmelt, sterilisiert und für eine binäre
Geschlechterordnung „passend“ gemacht – das alles in einem Alter, in dem es
unmöglich zu wissen ist, wie sich die Person selber sieht bzw. sich entwickeln
würde.

Diese brutale
Praxis geht auf die These des Psychologen John Money aus den 1950er Jahren
zurück. In seiner „Optimal Gender Policy“ behauptete er, dass man Kinder zu
Männern oder Frauen „erziehen“ könnte, wenn man nur die körperlichen
Besonderheiten vor dem zweiten Lebensjahr einem der beiden Geschlechter
angleiche. Auch wenn Forschungen belegen, dass die Geschlechtsidentität von den
körperlichen Merkmalen losgelöst sein kann und viele der zwangsoperierten,
intersexuellen Menschen lebenslang unter Depressionen, körperlichen Schmerzen
und Traumata zu leiden haben, hält sich diese These in der Medizin teilweise
noch heute. So heißt es in einem laut Amnesty International erst 2013 neu
aufgelegten Fachbuch für Kinderärzt_innen: „Die operative Korrektur soll so
früh durchgeführt werden, dass die Mädchen sich später ihrer Intersexualität
nicht erinnern, also im Säuglingsalter, spätestens im zweiten bis dritten
Lebensjahr.“

In Deutschland gab
es rechtlich gesehen 2013 eine Reform des Personenstandsgesetzes. Diese
beinhaltete, dass, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen
Geschlecht zugeordnet werden kann, es ohne eine solche Angabe in das
Geburtenregister eingetragen werden darf. Während liberale Teile des
Bundestages dies als großer Erfolg feierten und Volker Beck gar von einer
„kleinen Revolution“ sprach, gab es schon damals seitens der
Betroffenenverbände Kritik an dieser Reform. Erst ab dem 10. Oktober 2017 war
die Eintragung als „inter“ oder „divers“ im Geburtenregister möglich, was ein
Fortschritt ist, aber weiterhin an rein körperlichen Merkmalen festgemacht wird
und damit nicht-binäre Trans-Personen ausschließt. Ein ausdrückliches Verbot
von medizinisch nicht notwendigen, kosmetischen Genitaloperationen an Kindern
gibt es bis heute nicht.

Was hat das
Ganze denn jetzt mit der bürgerlichen Gesellschaft zu tun?

Ob nun durch
konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung: Die
Gesellschaft reproduziert tagtäglich ein reaktionäres Familienbild. In der bürgerlichen
Familie sind die Rollen klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die
Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber
hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert.

Dies geschieht
nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der
Familie die Erbschaftverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze
Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten
stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative
Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich
ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung
in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen
Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder
bekommen.

Auch wenn schon
einige Errungenschaften erkämpft worden sind und die gesellschaftliche
Akzeptanz von Trans-und Inter-Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen
ist, so ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch
längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback
in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der
international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken
der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der
LGBTIA-Bewegung dar. Da Trans- und Interphobie unmittelbar mit der Existenz der
bürgerlichen Gesellschaft, also der kapitalistischen Klassengesellschaft
verbunden sind, reicht es nicht aus, sie nur separat bekämpfen zu wollen. Man
muss diesen reaktionären Ideologien ihre materielle Basis entziehen, also den
Kampf gegen LGBTIA-Feindlichkeit mit dem Kampf gegen den Kapitalismus
verbinden.

Wir wollen
gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet
ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und
gefahrenfrei leben können. Daher fordern wir:

  • Intersex vollständig legalisieren! Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!
  • Kostenlose Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!
  • Kampf der Diskriminierung in Beruf und Alltag! Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!