Islamische Bekleidung: Sexismus und Islamfeindlichkeit in den imperialistischen Kernländern

Rebecca Anderson, Red Flag Großbritannien,  Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten zehn Jahren haben viele europäische Länder
Frauen verboten, islamische Kleidung zu tragen. PolitikerInnen haben dazu
tendiert, diese islamfeindlichen Gesetze als Integration oder Frauenbefreiung
zu verkleiden und sie damit zu rechtfertigen, dass sie genau den Frauen zugutekommen,
deren Rechte beschnitten werden.

Die Verbote sind von Land zu Land unterschiedlich und
umfassen die Burka, die Kopf und Gesicht einschließlich der Augen bedeckt, den
Niqab, der Kopf und Gesicht, aber nicht die Augen bedeckt, und den Hidschab
oder das Kopftuch, das nur den Kopf bedeckt.

Zunehmende Islamophobie

Der Rassismus gegen MuslimInnen in Europa und Nordamerika
hat nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA, den darauf folgenden
Invasionen im Irak und in Afghanistan sowie dem Syrienkrieg deutlich
zugenommen. Mit der Invasion und Besetzung der Länder des Nahen und Mittleren
Ostens kam der Terrorismus durch diejenigen auf, die sowohl durch den Konflikt
selbst als auch durch die soziale Isolation und den Rassismus, denen sie als
MuslimInnen in Ländern wie Großbritannien, Frankreich und den USA ausgesetzt
waren, radikalisiert wurden.

Im Jahr 2019 richteten sich 47 Prozent der Hassverbrechen in
Großbritannien gegen MuslimInnen. Frauen waren in der Regel die meisten Opfer,
wobei weiße Männer am ehesten als Täter in Frage kamen. In den USA gibt es ein
ernstes Problem mit der beiläufigen Berichterstattung über Hassverbrechen, die
ebenfalls nur langsam veröffentlicht werden, aber es gab eine 2000-prozentige
Zunahme der Angriffe und solche Vorfälle verharren auf hohem Niveau.

Verbot der islamischen Kleidung

In diesem Zusammenhang sind die Staaten dazu übergegangen,
muslimischen Frauen das Tragen traditioneller islamischer Kleidung zu
verbieten, was in der Bevölkerung breite Unterstützung findet. Eine 2016 in
Großbritannien durchgeführte YouGov-Umfrage ergab, dass mehr als zwei Drittel
der Bevölkerung ein Verbot der Burka unterstützten, wobei die 18-24-Jährigen
die einzige Altersgruppe waren, die sich gegen ein Verbot aussprachen. Umfragen
ergaben ein ähnliches Maß an Unterstützung für ein Verbot in Deutschland,
jedoch eine Zweidrittelmehrheit gegen ein Verbot in den Vereinigten Staaten,
was vielleicht eine historisch-kulturelle Opposition gegen die staatliche
Einmischung in persönliche Angelegenheiten widerspiegelt.

Im Jahr 2011 war Frankreich bekanntlich das erste
europäische Land, das Burkas und Niqabs verboten hat. Dasselbe Gesetz verbot
Staatsangestellten, einschließlich Lehrerinnen, das Tragen von Hidschabs.
Belgien folgte schnell dem Beispiel und verbot Burkas und Niqabs drei Monate
später, während die Niederlande 2016 ein ähnliches Gesetz verabschiedeten.

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel hat sich für Verbote im
Jahr 2016 ausgesprochen: „Der volle Gesichtsschleier ist unangemessen und
sollte verboten werden, wo immer es rechtlich möglich ist“. Die Hälfte der
sechzehn deutschen Bundesländer hat Vorschriften eingeführt, die es
muslimischen Lehrerinnen verbieten, ihr Haar oder ihr Gesicht zu bedecken.
Österreich hat 2017 den Niqab und die Burka in Gerichten und Schulen verboten.

In Großbritannien hat der Staat das Recht der Frauen, ihr
Gesicht oder ihre Haare zu bedecken, nicht eingeschränkt, erlaubt aber
einzelnen Schulen, Verbote auszusprechen.

Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte gegen das französische Verbot ist gescheitert, und so wurde
diese Behandlung muslimischer Frauen auf supranationaler Ebene gebilligt, so
dass europäische Frauen keine weiteren Rechtsmittel gegen diese Verbote
besitzen.

Die „feministische“ Verteidigung

Das Verbot islamischer Kleidung hat bei den rechten
FeministInnen Unterstützung gefunden, insbesondere in Frankreich. Diese
Rechtfertigungen geben der Islamophobie einen feministischen Deckmantel und
wurden von den GesetzgeberInnen aufgegriffen.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy sagte 2009: „Das
Problem der Burka ist kein religiöses Problem, es ist ein Problem der Freiheit
und der Würde der Frau. Sie ist kein religiöses Symbol, sondern ein Zeichen der
Unterwürfigkeit und Entwürdigung. Ich möchte feierlich sagen, dass die Burka in
Frankreich nicht willkommen ist. In unserem Land können wir keine weiblichen
Gefangenen hinter einem Wandschirm aufnehmen, die von allem sozialen Leben
abgeschnitten und jeder Identität beraubt sind. Das ist nicht unsere
Vorstellung von Freiheit.“

Die französische feministische Organisation, die
Internationale Liga für Frauenrechte, betrieb beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte das Verbot von Niqabs und Burkas und schrieb: „Der
Ganzgesichtsschleier, indem er [buchstäblich den Körper und] das Gesicht
begräbt, stellt eine wahre Auslöschung der Frau als Individuum in der
Öffentlichkeit dar… Wie kann man nicht sehen, dass das Tragen des
Vollschleiers auch eine symbolische Gewalt gegenüber anderen Frauen darstellt?“

Die Wirkung dieses „Feminismus“ besteht darin, muslimische
Frauen von der Arbeit zu verdrängen und sie auf der Straße unsicherer zu
machen. Verbote geben RassistInnen, die muslimische Frauen missbrauchen oder
angreifen wollen, mehr Auftrieb. Sie ermutigen KundInnen und KolleInngen,
diejenigen herauszufordern, die islamische Kleidung tragen, und sie
legalisieren die Entlassung muslimischer Frauen aus dem Arbeitsleben.

Nach der Verhängung des französischen Verbots von Niqabs und
Burkas berichtete das französische Kollektiv gegen Islamophobie über einen
Anstieg der Zahl der körperlichen Angriffe auf Frauen, die diese Kleidung
tragen.

Die Logik dieser Verbote verweigert den muslimischen Frauen
die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, politische Ideen zu entwickeln
und sich zu organisieren. Muslimische Frauen werden als Opfer ihrer Familien
und Gemeinschaften behandelt, und die Tatsache, dass sie nie um diese Verbote
gebeten haben, wird nicht einmal in Betracht gezogen.

Das Integrationsargument

Es ist auch nicht so, dass der Niqab und die Burka weit
verbreitet sind. In Vorbereitung auf das Verbot der islamischen Kleidung in
Frankreich, einem Land mit fünf Millionen MuslimInnen, hat die Regierung den
Geheimdienst gebeten, Statistiken über die Anzahl der französischen Musliminnen
zu erstellen, die diese Kleidungsstücke tragen. Als der Geheimdienst
berichtete, dass weniger als vierhundert ihr Gesicht bedeckten, wurde er
gebeten, erneut zu zählen, und kam mit einer Zahl von knapp zweitausend zurück.

MuslimInnen werden für die Diskriminierung gegen sie
verantwortlich gemacht, und der Niqab und die Burka werden als Symbole für ein
„Versagen“ bei der Integration hochgehalten. Es wird argumentiert, dass
MuslimInnen, wenn sie sich besser integrieren würden, nicht mit rassischer oder
religiöser Diskriminierung konfrontiert würden. Es ist jedoch die
Diskriminierung, die der Teilnahme muslimischer Frauen am öffentlichen Leben
Hindernisse in den Weg legt. In Großbritannien stellte der Ausschuss für Frauen
und Gleichberechtigung fest, dass muslimische Frauen dreimal so häufig arbeitslos
sind und nach Arbeit suchen.

Marxismus, Sexismus und Islamfeindlichkeit

Als MarxistInnen erkennen wir natürlich den Sexismus, der
der Idee innewohnt, dass Frauen sich „bescheiden“ kleiden sollten. Es ist nicht
Sache der Frauen, sich zu kleiden, um sexuelle Belästigung zu vermeiden,
sondern es ist Sache der Männer, sich zu entscheiden, nicht zu belästigen. Das
Christentum blickt auch auf eine lange Tradition zurück, in der Frauen ihre
Haare aus Bescheidenheit bedecken, daher die Bekleidungsgebräuche bei Nonnen.
Religionen wie das Christentum und der Islam gründen auf den
Geschlechterverhältnissen, wie sie vor Jahrhunderten bestanden, und während sie
sich ständig an die Ideologien der derzeit herrschenden Klassen christlicher
und muslimischer Länder anpassen, sind sie wie alle Religionen konservative
Ideologien, die zur Rechtfertigung der Unterdrückung von Frauen in der
Klassengesellschaft benutzt werden.

Das Verbot islamischer Kleidung schafft nicht nur ein
feindseliges Umfeld für muslimische Frauen, sondern trägt auch dazu bei, Kriege
im Nahen und Mittleren Osten und die Unterdrückung der muslimischen Bevölkerung
imperialistischer Länder zu rechtfertigen, indem Muslime als einzigartig
sexistisch dargestellt werden , die eine oft ghettoisierte Gemeinschaft „entfremden“.
Feministinnen, die die Verbote unterstützen, verleihen der rassistischen
Politik, die die Unterdrückung der muslimischen Frauen verschlimmert, einen
feministischen Deckmantel.

RevolutionärInnen sollten sich auch gegen die Verbote
wenden, weil jedes Gesetz, das die individuelle Freiheit einschränkt, gegen
Andersdenkende eingesetzt wird. Im Jahr 2012 benutzte die Polizei in Marseille
die französischen verbotenen Burkas und Niqabs, um Frauen in Sturmhauben zu
verhaften, die gegen die Verurteilung der russischen Punkband Pussy Riot
protestierten. Die Verhaftung weißer Feministinnen war nicht die Absicht des
Verbots, aber die Polizei wird immer alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel
einsetzen.

Die entscheidende Lösung für die Befreiung der muslimischen
Frauen ist die gleiche wie für alle Frauen: volle und uneingeschränkte
Teilnahme am öffentlichen Leben. Dazu gehört alles, von der kostenlosen
Kinderbetreuung über die gleiche Bezahlung zur Beseitigung der materiellen
Basis der Frauenunterdrückung bis hin zur Bekämpfung von Belästigungen und der
Bereitstellung von Zuflucht für Überlebende. Für muslimische Frauen gibt es
auch spezifische Maßnahmen, und dazu gehören die Freiheit, islamische Kleidung
zu tragen, und offene Grenzen, um die Superausbeutung von Menschen ohne
Staatsbürgerschaft zu verhindern. Es muss auch anerkannt werden, dass der
Rassismus, den muslimische Frauen erleben, sich mit dem Sexismus überschneidet,
und der Kampf für die Befreiung der Frauen kann nicht vom Widerstand gegen imperialistische
Kriege im Ausland und rassistische Maßnahmen zur Stigmatisierung der
muslimischen Bevölkerung der imperialistischen Länder, insbesondere von
MigrantInnen und Flüchtlingen, getrennt werden.




Interview mit Syrer – "Warum ich mich dem Aufstand anschloss."

Wir veröffentlichen hier ein Interview mit „Muhamed“, Mitglied der Freien Syrischen Armee, das am 11. September an der türkisch-syrischen Grenze von unserem Genossen Reimund Fleck (Gruppe Arbeitermacht, deutsche Sektion der LFI und REVOLUTION – internationale kommunistische Jugendorganisation) geführt wurde.

Reimund Fleck: Wie kam es, dass Du dich dem Aufstand gegen das Regime von Baschar al-Assad angeschlossen hast?

Patient stirbt nachdem die syrische Armee ein Krankenhaus blockiert.

Muhamed: Ich war als Militärarzt der Assad-Armee in einem Lazarett in Homs stationiert. Was ich dort gesehen habe, hat mich dazu gebracht, zu desertieren und mich der FSA anzuschließen. Ich habe viele tote Zivilisten gesehen, und sogar die Leichen wurden unwürdig behandelt. Ich habe gesehen, wie ungefähr 100 Leichen zu einem Haufen aufgetürmt wurden. Diese Armee behandelt unsere Leute wie Tiere – ich konnte nicht mehr daran glauben, dass es eine gute Armee ist. In meinem Krankenhaus waren Gefangene, die gegen die Regierung demonstriert hatten – sie wurden an ihre Betten gefesselt, die Krankenschwestern traten sie mit Stiefeln und folterten sie, anstatt sie zu versorgen. Sie durften nicht einmal zur Toilette gehen. In meiner Stadt habe ich viele friedliche Demonstrationen gesehen.

Sie riefen: „Wir wollen Assad nicht, wir wollen Freiheit“. Dafür wurde auf die Demonstranten geschossen. Auch einer meiner Freunde wurde erschossen, nur weil er auf die Straße gegangen war und „Weg mit Assad“ forderte. Ich wollte nicht mehr an der Seite derer stehen, die meine Leute ermorden, mein Gewissen konnte das nicht mehr ertragen. So habe ich beschlossen, zu desertieren.

Reimund Fleck: Warum setzt man das eigene Leben aufs Spiel, um einen Aufstand zu unterstützen, dessen Sieg nicht sicher ist?

Muhamed: Bei der Armee war ich ja auch in Gefahr. Bei einem Angriff der FSA hätte ich auch ums Leben kommen können. Ich hätte nicht das Feuer erwidert, denn ich wusste, dass sie meine Leute sind. Dann wäre ich aber von meinem Kommandeur erschossen worden. Das Risiko ist also auf beiden Seiten dasselbe – es macht keinen Unterschied. Aber ich denke, es ist besser zu desertieren. Ich habe jetzt ein gutes Gefühl, das ist wichtig, auch wenn ich in Gefahr bin. Es ist egal, wenn ich sterbe. Jetzt unterstütze ich die Freie Syrische Armee mit dem, was ich kann. Ich bin im Sanitätsdienst und kümmere mich um die Verwundeten und um die Flüchtlinge.

Reimund Fleck: Was sind die wichtigsten Ziele der Revolution?

Muhamed: Ich denke, Demokratie ist die wichtigste Forderung in unserem Kampf. Ich möchte meine Meinung sagen können, ohne mich in Gefahr zu begeben, zum Beispiel ob ich für den Präsidenten bin oder nicht. Seit 50 Jahren haben wir keine freien Wahlen mehr gehabt. Wenn Du gegen Assad stimmst, bist Du in Gefahr, glaub mir. Wir wollen selbst unseren Präsidenten bestimmen können und keine Sklaven für den Präsidenten sein. Es ist also eine Art „französische“ Revolution.

Reimund Fleck: Erschöpft sich die Revolution im Kampf für demokratische Freiheit? Was ist mit der sozialen Situation?

 

Die beste Hilfe für die syrische Revolution ist die Unterstützung durch die Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen und Arbeiterorganisationen mit Nahrungsmitteln, Medizin und Waffen – unabhängig von den Imperialisten!

Muhamed: In Syrien leben 80 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Es ist sehr schwer, genügend, Nahrung zu bekommen. Die Leute schuften den ganzen Tag, um ihren Familien etwas zu Essen mitbringen zu können. Der Grund ist, dass Baschar die Erlöse aus Öl und Landwirtschaft einsteckt und nichts für die Bevölkerung übrig lässt. Es ist also auch eine wirtschaftliche Frage. Wir brauchen eine starke Wirtschaft, um die Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllen zu können.

Reimund Fleck:  Es gibt Stimmen, die militärische Hilfe vom Westen oder Lieferung von Ausrüstung befürworten, andere befürchten, diese Länder würden dann über die Zukunft Syriens entscheiden. Was denkst Du?

Muhamed: Bei manchen Gütern brauchen wir unbedingt Unterstützung von außen. Im Moment gibt es aber keinerlei derartige Unterstützung. Die Medien sagen, der Westen schicke uns Waffen, aber das ist falsch. Die Freie Syrische Armee erbeutet ihre Waffen bei Angriffen auf Assads Armee. In den Flüchtlingslagern haben wir nicht genügend Nahrungsmittel. 7.000 Flüchtlinge warten an der Grenze zur Türkei, sie werden nicht hereingelassen. Wo bleiben die angeblichen Hilfslieferungen? Waffenlieferungen brauchen wir nicht. Wir brauchen Nahrung und Medikamente, und bis jetzt kommt nichts an. Hilfslieferungen gibt es nur in den Medien.

Reimund Fleck:  In Europa gibt es viele, die in der Revolution keinen legitimen Volksaufstand sehen. Sie behaupten, es sei in Wirklichkeit eine Verschwörung westlicher Länder, die den Nahen Osten ins Chaos stürzen wollen. Was würdest Du antworten?

„Nieder mit dem Regime“ – steht auf den Händen eines jungen Mädchens, das gegen Assads Diktatur demonstriert.

Muhamed: Verzeih mir diese Antwort – es ist einfach dumm, zu bestreiten, dass diese Revolution von der syrischen Bevölkerung ausgeht. Was würdest Du tun, wenn deine Eltern getötet werden? Du würdest Dich der Revolution anschließen, weil Du den Terror beenden und Freiheit haben möchtest. Lass mich den Anfang der Revolution erzählen. Die Revolution hat ihren Anfang in Daraa genommen. Neun Kinder waren festgenommen worden, sie wurden gefoltert. Hamza Ali Al-Khabeer wurde getötet. Als die Leute daraufhin zur Polizeistation gingen, wurden auch sie verprügelt. Die Polizei sagte zu ihnen: „Haut ab, sonst holen wir auch noch eure Frauen.“ Das war der Auslöser dieser Revolution. Seit 50 Jahren leben wir in Angst und Unterdrückung. Man musste nur den Deckel anheben, um eine Explosion auszulösen. Genau das ist die Revolution. Es stecken nicht die Geheimdienste dahinter.

Reimund Fleck:  Manche Leute meinen, es handle sich um einen „Religionskrieg“.

Muhamed: Selbst wenn das der Fall wäre, so würde einzig und allein Baschar Al-Assad die Schuld dafür tragen. Die Alawiten waren 30 Jahre lang unsere Brüder und Schwestern. Aber seit Beginn des Aufstandes gibt Baschar ihnen Geld, damit sie uns töten – und sie tun es. Sie bekommen auch Häuser dafür, und die Einrichtungen, die er von uns geraubt hat. Dafür töten sie uns. Aber wenn die Revolution gesiegt hat, würde ich sie verschonen, denn unser ursprüngliches Verhältnis war von Toleranz geprägt – wir leben im selben Land. Ich hoffe nur, dass sie aufhören, uns zu massakrieren. In Wirklichkeit ist Baschar Al-Assad nicht nur unser Feind, er ist ebenso ihr Feind – denn eines Tages wird Assad sich in ein Flugzeug nach Russland setzen und sie unter uns zurücklassen.

Reimund Fleck:  Was wird deiner Einschätzung nach auf Assads Sturz folgen?

Muhamed: Meine große Angst ist, dass es einen Bürgerkrieg geben könnte. Aber man sieht, dass in dieser Revolution die Menschen auch zusammenrücken. Das ist der Fall in Aleppo und auch in Damaskus. Ich glaube nicht, dass es einen solchen Bürgerkrieg geben wird. Ich denke wir sollten eine demokratische Regierung haben, vielleicht eine islamische wie in Ägypten. Aber hierzu muss ich sagen: wirkliche Muslime töten sich nicht gegenseitig, wie es Al-Quaida tut. Das Bild über den Islam ist völlig entstellt. Glaub mir, wir sind nicht so, wie die Medien uns darstellen. Wirkliche Muslime sind sehr gastfreundlich. Wenn Du nach Syrien gehst, sind die Menschen dort bereit, ihr eigenes Leben zu riskieren, um Deines zu schützen – ob Du Christ bist oder was auch immer. Die Menschen aller Religionen sind unsere Brüder und Schwestern. Auch Baschar ist Muslim – aber nur in Worten, in Wahrheit tötet er uns. Das eigentliche Problem ist also nicht die Religion, sondern was man daraus macht.

Reimund Fleck:  Was sollten UnterstützerInnen in anderen Ländern tun, um euch zu helfen?

Muhamed: Ihr müsst es einfach selbst anpacken, wir haben hier nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken. Wer wirklich helfen möchte, wird einen Weg finden. Ihr solltet
große Massenproteste organisieren und internationale Unterstützung für die Revolution. Die Revolution ist dem Sieg nun ziemlich nah. Baschar Al-Assad wird sich bald aus dem Staub machen. Was die FSA jetzt braucht, sind Luftabwehrraketen, das ist alles. Wir haben den Boden unter Kontrolle, aber Assad kontrolliert den Luftraum. Wenn wir die Flugzeuge vom Himmel holen, haben wir den Sieg.

Reimund Fleck:  Bekommt ihr Unterstützung aus Libyen oder Ägypten?

Muhamed: Ein paar Kämpfer sind aus diesen Ländern zu uns gekommen, aber sehr wenige, vielleicht 200. Aus Saudi-Arabien und Katar bekommen wir finanzielle Unterstützung, das ist sehr gut. Wir sind ihnen dafür dankbar.

Reimund Fleck:  Wie ist jetzt im Moment die Lage in Syrien?

Muhamed: Wir brauchen dringend Hilfe, und zwar jetzt! Die ganze Welt ist gegen uns – Russland, China und Iran, ebenso Libanon. Sie sind alle gegen uns. Dann gibt es die USA und Europa – sie sehen zu und tun überhaupt nichts. Für mich ist auch das ein Verbrechen. Sie könnten unserem Leiden ein Ende setzen, aber sie tun es nicht. Die Türkei hat ihre Grenzen dichtgemacht und will uns alle rauswerfen. Unsere Situation ist also wirklich miserabel.

Reimund Fleck: Vielen Dank für das Interview. Ihr habt unsere volle Unterstützung und wir wünschen euch einen vollständigen Sieg über Baschar Al-Assad.

Ausführliche Darstellung der Positionen von REVOLUTION zum Bürgerkrieg in Syrien unter anderem in den Artikeln Nieder mit Assad – Sieg der Free Syrian Army, Aufstand in Syrien: Nieder mit dem Assad Clan! Solidarität mit der Revolution, Für „Freiheit und Demokratie“ in Syrien – und weiter?




Interview mit Syrer – "Warum ich mich dem Aufstand anschloss."

Wir veröffentlichen hier ein Interview mit „Muhamed“, Mitglied der Freien Syrischen Armee, das am 11. September an der türkisch-syrischen Grenze von unserem Genossen Reimund Fleck (Gruppe Arbeitermacht, deutsche Sektion der LFI und REVOLUTION – internationale kommunistische Jugendorganisation) geführt wurde.

Reimund Fleck: Wie kam es, dass Du dich dem Aufstand gegen das Regime von Baschar al-Assad angeschlossen hast?

Patient stirbt nachdem die syrische Armee ein Krankenhaus blockiert.

Muhamed: Ich war als Militärarzt der Assad-Armee in einem Lazarett in Homs stationiert. Was ich dort gesehen habe, hat mich dazu gebracht, zu desertieren und mich der FSA anzuschließen. Ich habe viele tote Zivilisten gesehen, und sogar die Leichen wurden unwürdig behandelt. Ich habe gesehen, wie ungefähr 100 Leichen zu einem Haufen aufgetürmt wurden. Diese Armee behandelt unsere Leute wie Tiere – ich konnte nicht mehr daran glauben, dass es eine gute Armee ist. In meinem Krankenhaus waren Gefangene, die gegen die Regierung demonstriert hatten – sie wurden an ihre Betten gefesselt, die Krankenschwestern traten sie mit Stiefeln und folterten sie, anstatt sie zu versorgen. Sie durften nicht einmal zur Toilette gehen. In meiner Stadt habe ich viele friedliche Demonstrationen gesehen.

Sie riefen: „Wir wollen Assad nicht, wir wollen Freiheit“. Dafür wurde auf die Demonstranten geschossen. Auch einer meiner Freunde wurde erschossen, nur weil er auf die Straße gegangen war und „Weg mit Assad“ forderte. Ich wollte nicht mehr an der Seite derer stehen, die meine Leute ermorden, mein Gewissen konnte das nicht mehr ertragen. So habe ich beschlossen, zu desertieren.

Reimund Fleck: Warum setzt man das eigene Leben aufs Spiel, um einen Aufstand zu unterstützen, dessen Sieg nicht sicher ist?

Muhamed: Bei der Armee war ich ja auch in Gefahr. Bei einem Angriff der FSA hätte ich auch ums Leben kommen können. Ich hätte nicht das Feuer erwidert, denn ich wusste, dass sie meine Leute sind. Dann wäre ich aber von meinem Kommandeur erschossen worden. Das Risiko ist also auf beiden Seiten dasselbe – es macht keinen Unterschied. Aber ich denke, es ist besser zu desertieren. Ich habe jetzt ein gutes Gefühl, das ist wichtig, auch wenn ich in Gefahr bin. Es ist egal, wenn ich sterbe. Jetzt unterstütze ich die Freie Syrische Armee mit dem, was ich kann. Ich bin im Sanitätsdienst und kümmere mich um die Verwundeten und um die Flüchtlinge.

Reimund Fleck: Was sind die wichtigsten Ziele der Revolution?

Muhamed: Ich denke, Demokratie ist die wichtigste Forderung in unserem Kampf. Ich möchte meine Meinung sagen können, ohne mich in Gefahr zu begeben, zum Beispiel ob ich für den Präsidenten bin oder nicht. Seit 50 Jahren haben wir keine freien Wahlen mehr gehabt. Wenn Du gegen Assad stimmst, bist Du in Gefahr, glaub mir. Wir wollen selbst unseren Präsidenten bestimmen können und keine Sklaven für den Präsidenten sein. Es ist also eine Art „französische“ Revolution.

Reimund Fleck: Erschöpft sich die Revolution im Kampf für demokratische Freiheit? Was ist mit der sozialen Situation?

 

Die beste Hilfe für die syrische Revolution ist die Unterstützung durch die Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen und Arbeiterorganisationen mit Nahrungsmitteln, Medizin und Waffen – unabhängig von den Imperialisten!

Muhamed: In Syrien leben 80 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Es ist sehr schwer, genügend, Nahrung zu bekommen. Die Leute schuften den ganzen Tag, um ihren Familien etwas zu Essen mitbringen zu können. Der Grund ist, dass Baschar die Erlöse aus Öl und Landwirtschaft einsteckt und nichts für die Bevölkerung übrig lässt. Es ist also auch eine wirtschaftliche Frage. Wir brauchen eine starke Wirtschaft, um die Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllen zu können.

Reimund Fleck:  Es gibt Stimmen, die militärische Hilfe vom Westen oder Lieferung von Ausrüstung befürworten, andere befürchten, diese Länder würden dann über die Zukunft Syriens entscheiden. Was denkst Du?

Muhamed: Bei manchen Gütern brauchen wir unbedingt Unterstützung von außen. Im Moment gibt es aber keinerlei derartige Unterstützung. Die Medien sagen, der Westen schicke uns Waffen, aber das ist falsch. Die Freie Syrische Armee erbeutet ihre Waffen bei Angriffen auf Assads Armee. In den Flüchtlingslagern haben wir nicht genügend Nahrungsmittel. 7.000 Flüchtlinge warten an der Grenze zur Türkei, sie werden nicht hereingelassen. Wo bleiben die angeblichen Hilfslieferungen? Waffenlieferungen brauchen wir nicht. Wir brauchen Nahrung und Medikamente, und bis jetzt kommt nichts an. Hilfslieferungen gibt es nur in den Medien.

Reimund Fleck:  In Europa gibt es viele, die in der Revolution keinen legitimen Volksaufstand sehen. Sie behaupten, es sei in Wirklichkeit eine Verschwörung westlicher Länder, die den Nahen Osten ins Chaos stürzen wollen. Was würdest Du antworten?

„Nieder mit dem Regime“ – steht auf den Händen eines jungen Mädchens, das gegen Assads Diktatur demonstriert.

Muhamed: Verzeih mir diese Antwort – es ist einfach dumm, zu bestreiten, dass diese Revolution von der syrischen Bevölkerung ausgeht. Was würdest Du tun, wenn deine Eltern getötet werden? Du würdest Dich der Revolution anschließen, weil Du den Terror beenden und Freiheit haben möchtest. Lass mich den Anfang der Revolution erzählen. Die Revolution hat ihren Anfang in Daraa genommen. Neun Kinder waren festgenommen worden, sie wurden gefoltert. Hamza Ali Al-Khabeer wurde getötet. Als die Leute daraufhin zur Polizeistation gingen, wurden auch sie verprügelt. Die Polizei sagte zu ihnen: „Haut ab, sonst holen wir auch noch eure Frauen.“ Das war der Auslöser dieser Revolution. Seit 50 Jahren leben wir in Angst und Unterdrückung. Man musste nur den Deckel anheben, um eine Explosion auszulösen. Genau das ist die Revolution. Es stecken nicht die Geheimdienste dahinter.

Reimund Fleck:  Manche Leute meinen, es handle sich um einen „Religionskrieg“.

Muhamed: Selbst wenn das der Fall wäre, so würde einzig und allein Baschar Al-Assad die Schuld dafür tragen. Die Alawiten waren 30 Jahre lang unsere Brüder und Schwestern. Aber seit Beginn des Aufstandes gibt Baschar ihnen Geld, damit sie uns töten – und sie tun es. Sie bekommen auch Häuser dafür, und die Einrichtungen, die er von uns geraubt hat. Dafür töten sie uns. Aber wenn die Revolution gesiegt hat, würde ich sie verschonen, denn unser ursprüngliches Verhältnis war von Toleranz geprägt – wir leben im selben Land. Ich hoffe nur, dass sie aufhören, uns zu massakrieren. In Wirklichkeit ist Baschar Al-Assad nicht nur unser Feind, er ist ebenso ihr Feind – denn eines Tages wird Assad sich in ein Flugzeug nach Russland setzen und sie unter uns zurücklassen.

Reimund Fleck:  Was wird deiner Einschätzung nach auf Assads Sturz folgen?

Muhamed: Meine große Angst ist, dass es einen Bürgerkrieg geben könnte. Aber man sieht, dass in dieser Revolution die Menschen auch zusammenrücken. Das ist der Fall in Aleppo und auch in Damaskus. Ich glaube nicht, dass es einen solchen Bürgerkrieg geben wird. Ich denke wir sollten eine demokratische Regierung haben, vielleicht eine islamische wie in Ägypten. Aber hierzu muss ich sagen: wirkliche Muslime töten sich nicht gegenseitig, wie es Al-Quaida tut. Das Bild über den Islam ist völlig entstellt. Glaub mir, wir sind nicht so, wie die Medien uns darstellen. Wirkliche Muslime sind sehr gastfreundlich. Wenn Du nach Syrien gehst, sind die Menschen dort bereit, ihr eigenes Leben zu riskieren, um Deines zu schützen – ob Du Christ bist oder was auch immer. Die Menschen aller Religionen sind unsere Brüder und Schwestern. Auch Baschar ist Muslim – aber nur in Worten, in Wahrheit tötet er uns. Das eigentliche Problem ist also nicht die Religion, sondern was man daraus macht.

Reimund Fleck:  Was sollten UnterstützerInnen in anderen Ländern tun, um euch zu helfen?

Muhamed: Ihr müsst es einfach selbst anpacken, wir haben hier nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken. Wer wirklich helfen möchte, wird einen Weg finden. Ihr solltet große Massenproteste organisieren und internationale Unterstützung für die Revolution. Die Revolution ist dem Sieg nun ziemlich nah. Baschar Al-Assad wird sich bald aus dem Staub machen. Was die FSA jetzt braucht, sind Luftabwehrraketen, das ist alles. Wir haben den Boden unter Kontrolle, aber Assad kontrolliert den Luftraum. Wenn wir die Flugzeuge vom Himmel holen, haben wir den Sieg.

Reimund Fleck:  Bekommt ihr Unterstützung aus Libyen oder Ägypten?

Muhamed: Ein paar Kämpfer sind aus diesen Ländern zu uns gekommen, aber sehr wenige, vielleicht 200. Aus Saudi-Arabien und Katar bekommen wir finanzielle Unterstützung, das ist sehr gut. Wir sind ihnen dafür dankbar.

Reimund Fleck:  Wie ist jetzt im Moment die Lage in Syrien?

Muhamed: Wir brauchen dringend Hilfe, und zwar jetzt! Die ganze Welt ist gegen uns – Russland, China und Iran, ebenso Libanon. Sie sind alle gegen uns. Dann gibt es die USA und Europa – sie sehen zu und tun überhaupt nichts. Für mich ist auch das ein Verbrechen. Sie könnten unserem Leiden ein Ende setzen, aber sie tun es nicht. Die Türkei hat ihre Grenzen dichtgemacht und will uns alle rauswerfen. Unsere Situation ist also wirklich miserabel.

Reimund Fleck: Vielen Dank für das Interview. Ihr habt unsere volle Unterstützung und wir wünschen euch einen vollständigen Sieg über Baschar Al-Assad.

Ausführliche Darstellung der Positionen von REVOLUTION zum Bürgerkrieg in Syrien unter anderem in den Artikeln Nieder mit Assad – Sieg der Free Syrian Army, Aufstand in Syrien: Nieder mit dem Assad Clan! Solidarität mit der Revolution, Für „Freiheit und Demokratie“ in Syrien – und weiter?