Ein neues Schuljahr – Wie weiter im Kampf gegen Bildungsabbau?

Wir veröffentlichen hier ein Interview über die aktuellen Bildungsproteste, das Genoss_innen der Gruppe Arbeitermacht mit einem unserer Mitglieder führten und auch auf der Arbeitermachthomepage veröffentlicht wurde. Das Interview wurde mit Robert Teller über momentane Probleme, internationale Kämpfe und revolutionäre Perspektiven für die Kämpfe der Jugend um das Thema Bildung geführt.

Arbeitermacht (AM): Revolution war in den letzten Jahren eine der aktivsten Gruppen bei der Organisierung von Bildungsstreiks und Aktionen. 2011/12 gab es jedoch eine erkennbare Abschwächung der Bewegung an Unis und Schulen. Auf der diesjährigen REVO-Konferenz wurde über die Ursachen dieser Entwicklung diskutiert. Worin seht ihr die Hauptursachen?

Von REVOLUTION mitorganisierter Protestzug von Schüler_innen durch Pankow

Von REVOLUTION mitorganisierter Protestzug von Schüler_innen an einer Schule in Pankow, beim Schulstreik 2011 in Berlin

Robert: Das größte Problem in der Bildungsstreikbewegung ist, dass in den Kämpfen der letzten Jahre keine dauerhaften Organisationsstrukturen gebildet wurden, die eine gezielte Kampagne gegen Bildungsabbau u.a..Angriffe auf die Rechte der Jugend führen könnte. Es gibt in Deutschland viele tausend Jugendliche, die bereit sind, mit allen Mitteln für ihr Recht zu kämpfen. Es gab ein- oder mehrtägige Streiks und sogar anhaltende Besetzungen in den Unis. Doch bisher haben wir nur wenige Forderungen durchsetzen können, und diese wenigen Erfolge wurden von manchen Gruppen als Vorwand genommen, die Bewegung für beendet zu erklären.

Wir – und dies gilt für die große Mehrheit der AktivistInnen in der Bewegung – meinen, dass der Kampf weitergehen muss. Hierfür müssen wir aber die Fehler der Vergangenheit benennen und Schlüsse für die Zukunft ziehen. Wenn eine Belegschaft streikt, um z.B. Lohnforderungen durchzusetzen, dann tut sie das solange, bis sich die „Arbeitgeber“ gezwungen sehen, die Forderungen zu akzeptieren. Wenn der Druck nicht ausreicht, müssen sie alles daran setzen, sich mit anderen Belegschaften zu verbinden, demokratisch gewählte Streikleitungen zu bilden und all jene mit in den Kampf zu ziehen, die ihnen solidarisch gegenüberstehen und ähnliche Interessen haben. Es ist die erste Aufgabe jeder Bewegung, ihre Organisation auf ein stets höheres Niveau zu heben, um die Kampfkraft zu erhöhen, bestehende AktivistInnen zu dauerhaften KämpferInnen zu machen und in kommenden Aktionen alle anderen Unterdrückten, die bisher nicht aktiv waren, zu gewinnen.

AM: Auch in den letzten Wochen und Monaten gab es Schulstreiks, z.B. in Dresden und Solingen. Aber diese scheinen wenig miteinander koordiniert zu sein. Was schlagt ihr vor, um diese Aktionen zu verbinden und bundesweite Strukturen aufzubauen?

Bildungsstreik in Solingen am 29 Jnui 2012 in Solingen.

Robert: Wir brauchen in der Bildungsstreikbewegung Organisationsstrukturen, die von allen AktivistInnen gewählt und abgewählt werden können und in deren Auftrag den Kampf vereinheitlichen und vorantreiben. Die Bildungsstreik-Konferenzen müssen verbindlichen Charakter haben. Es bringt nichts, sich für zwei Tage zu treffen und die meiste Zeit darüber zu diskutieren, ob Mehrheitsentscheidungen undemokratisch sind oder ob es den Anwesenden erlaubt ist, nichtvegane Nahrung zu essen.

Die Konsens-BefürworterInnen haben offenbar nicht begriffen, dass die Bewegung konkrete Aufgaben zu erfüllen hat: Millionen von Jugendlichen vegetieren in sinnlosem Schulunterricht, Billigjobs oder Arbeitslosigkeit. Sie sind täglicher Repression durch LehrerInnen, Chefs oder Behörden unterworfen. Diese ungerechten und unterdrückerischen Verhältnisse zu bekämpfen ist unsere Aufgabe, und wir müssen von allen linken Kräften, auch von Reformisten wie DIE LINKE und den Gewerkschaften einfordern, jede nur mögliche Unterstützung zu leisten. Ein großes Problem der Jugend ist, dass es keine gemeinsame Interessenvertretung gibt, wie es bei den ArbeiterInnen die Gewerkschaften sind. Wir wollen daher eine SchülerInnengewerkschaft aufbauen. Diese sollte eine dauerhafte Basis für alle Jugendkämpfe darstellen, nur von diesen Jugendlichen kontrolliert sein und zugleich – wie die ArbeiterInnengewerkschaften – Schutz vor individueller Repression durch LehrerInnen oder den Staat bieten.

AM: Welche Forderungen und welche Organisationsformen schlagt ihr zum Aufbau einer bundesweiten Bewegung vor? Wie sollen Unverbindlichkeit und mangelnde Kontinuität überwunden werden?

Robert: Es sollten regelmäßige bundesweite Konferenzen stattfinden, die allen AktivistInnen offenstehen. Sie sollten durch Mehrheitsentscheid bestimmen, welche Aktionen für welche Ziele als nächstes stattfinden, mit welchen Mitteln wir für welche Forderungen kämpfen.Die Entscheidungen müssen verbindlich sein. Es muss für alle TeilnehmerInnen möglich sein, Anträge einzubringen, die diskutiert und abgestimmt werden. Es darf keine politische Steuerung durch „Vorbereitungsgruppen“ o.ä. geben.

Entscheidungen sollten demokratisch diskutiert, allerdings auch zielgerichtet getroffen werden, damit die Bewegung sich durch die praktischen Erfahrungen entwickeln und definieren kann!

Unsere Forderungen in der Bildungsbewegung haben wir im „Aktionsprogramm Bildung“ dargelegt. Dazu gehören beispielsweise die Neueinstellung von 100.000 LehrerInnen, Sofortinvestitionen von 40 Mrd. Euro und die Verkleinerung der Klassen auf max. 20 SchülerInnen. Dazu gehört die Abschaffung des dreigliedrigen Schulssystems und die Durchsetzung von Lehr- und Lernmittelfreiheit, also freier und kostenloser Zugang zu den Schulen. Wichtig sind jedoch auch Forderungen wie das Streikrecht für SchülerInnen und LehrerInnen, Freiheit der Organisation und Propaganda an Schulen und Verbot aller schulischen Repressionsmaßnahmen, denn heute ist unser Kampf durch die Willkür und der Schulbehörden sehr schwer. Außerdem fordern wir das Verbot von Religions- oder Moralunterricht an den Schulen.

AM: Welche Gruppierungen sollen dazu einbezogen werden?

Robert: Wir fordern alle Organisationen und Individuen zur Teilnahme auf, die den grundlegenden Forderungen für bessere Bildung zustimmen. Alle politischen Kräfte haben nicht nur das Recht, sondern die Aufgabe, den Kampf zu unterstützen. Dies gilt natürlich nicht für Rechte oder Reaktionäre – aber wir haben derzeit nicht das Problem, dass diese sich in unserer Bewegung tummeln. Wir fordern von Bündnispartnern nicht weitgehende politische Übereinstimmung als Voraussetzung. Wir kämpfen für konkrete Ziele, und wer diese Ziele teilt, ist aufgefordert, sich dem Kampf anzuschließen.

Zusammen Kämpfen -Gemeinsam Streiken!

Natürlich muss dann innerhalb der Bewegung notwendigerweise die Diskussion geführt werden, wie diese Ziele durchgesetzt werden können, und welche Forderungen wir an die Schulen und an die Regierung richten. Hier gibt es unterschiedliche Positionen, die offen diskutiert und schließlich demokratisch entschieden werden müssen. Es muss auch stets die volle Freiheit der Kritik an anderen Strömungen gewährleistet sein. Gerade weil verschiedene Strömungen in der Bewegung arbeiten, ist es wichtig, Differenzen zu diskutieren. Wenn das nicht möglich ist, werden wir keine Einheit im Kampf erreichen, sondern sektiererische Einzelaktionen verschiedener Kräfte.

AM: Welche Forderungen, welche zentrale Perspektive schlägt REVOLUTION für das Bildungssystem über Forderungen einer Einheitsfront hinaus vor?

Robert: Als KommunistInnen verstehen wir den Kampf für bessere Bildung natürlich als Kampf gegen den bürgerlichen Charakter des Bildungssystems. Wir richten uns nicht gegen ein vermeintlich „falsches Verständnis“ der Politik in Bezug auf das Bildungssystem – wir wollen das Bildungssystem vollständig der Kontrolle durch den bürgerlichen Staat entreißen.

Das bürgerliche, kapitalistische Bildungssystem dient immer der Aufrechterhaltung und Festigung der bürgerlichen Klassengesellschaft. Hier werden den Bedürfnissen der Kapitalisten entsprechend zum einen ProletarierInnen, zum anderen die kommende „Elite“ produziert – jeweils nochmals vielfach unterteilt. Viele der Haupt- und Realschulabgänger
werden auf lange Zeit der „industriellen Reservearmee“ angehören, während ein kleiner Teil von Hochschulabsolventen die nächste Funktionärsschicht der herrschenden Klasse stellt.

Unsere Ziele erschöpfen sich daher nicht in ein paar finanziellen Zuwendungen und ein wenig mehr Gleichberechtigung. Das einzig gerechte Bildungssystem ist eines, das von den Betroffenen – SchülerInnen, LehrerInnen und ArbeiterInnen – demokratisch kontrolliert wird. Diese sollen über finanzielle Ausstattung, Lehrpläne u.a. entscheiden. Der Polizei und Bundeswehr muss der Zutritt zu Schulen verboten sein. Um dies umzusetzen, werden wir Gegenmachtorgane aufbauen, die entschlossen und in der Lage sind, dem bürgerlichen Staat die Schulen und Unis zu entreißen, diese im Interesse der unterdrückten Jugend umzuwälzen und die Errungenschaften gegenüber dem Staat zu verteidigen.

AM: Könnten nicht die Kämpfe gegen Kürzungen im Bildungswesen auch ein Mittel zum Aufbau einer europaweiten Bewegung werden? Ist dazu etwas geplant, hat REVOLUTION dazu Vorschläge?

In Quebec, Kanada kämpfen Jugendliche und Studierende seit Monaten milutant gegen die Angriffe der Regierung.

Robert: In den letzten Jahren haben wir in vielen Ländern Kämpfe und Aufstände von Jugendlichen gegen das marode Bildungswesen erlebt – nicht nur in Europa, sondern z.B. auch in Chile oder Kanada. Dies geschieht vor den Augen der Welt und wir können uns ein Beispiel nehmen an den Kämpfen in Chile, wo Jugendliche gemeinsam mit ArbeiterInnen sehr entschlossen und militant gekämpft haben. Die Bedingungen für die Vereinigung dieser Kämpfe zu einer ungleich stärkeren, internationalen Bewegung sind gut.

Wir haben zudem die Aufgabe, Unterdrückte in Ländern zu unterstützen, wo die Situation noch viel prekärer ist, z.B. in Griechenland. Bei all den Nachrichten über die Krise geht es beinahe unter, dass die Regierung die Universitätsbudgets allein in diesem Jahr um 20% gekürzt hat. Die Qualität der Ausbildung ist sehr schlecht und ohnehin bekommen nur die wenige einen Studienplatz.

Wir treten dafür ein, die Bewegung auch international so eng wie möglich zu vereinen. Nicht nur, damit wir gemeinsam mehr werden – es ist essentiell, weil die Bildungsproteste, die Proteste gegen Sparpakete und die Krise in allen Ländern den selben Gegner haben: das marode kapitalistische System. Im Moment sind GenossInnen von REVOLUTION in Griechenland, um dort Kontakte zu machen mit AktivistInnen, mit StudentInnen, kämpfenden Belegschaften oder Migrantenorganisationen.

Es gab bereits europa- oder weltweite Aktionstage, wie am 27.11.2011. Um die Kämpfe wirklich auf eine höhere Ebene zu heben, treten wir für eine europaweite Konferenz der Jugend- und Antikrisenbewegung ein, die einen gemeinsamen Plan für die Kämpfe der Unterdrückten erarbeiten müsste.

AM: Wie greift REVOLUTION konkret an Schulen ein? Baut ihr dazu eigene REVO-Gruppen auf? Was tun diese?

Robert: Alle GenossInnen, die zur Schule gehen, arbeiten in Streikkomitees, oder versuchen solche aufzubauen. Vor allem in Berlin sind die Erfolge gut, auch wenn im letzten Jahr das Bündnis „Bildungsblockaden einreißen“ gespalten wurde. Die Aufgabe von Streikkomitees ist es, die konkreten Probleme an der Schule zu diskutieren, Kämpfe zu organisieren und die SchülerInnen für den Kampf zu gewinnen. Die REVOLUTION-Konferenz hat nun beschlossen, dass wir diese Aktivitäten ausweiten, auch in anderen Städten. Wenn wir an einer Schule genügend Kräfte haben, bauen wir dort auch REVOLUTION-Gruppen auf, um weitere GenossInnen zu gewinnen und unsere Vorschläge in den Komitees zu vertreten.

AM: Oft wird der Vorwurf erhoben, der Aufbau von REVOLUTION-Gruppen an Schulen oder Unis stünde im Widerspruch zum Aufbau der Bewegung oder von Bündnissen. Was entgegnet ihr dem?

Robert: Um unsere Organisation aufzubauen und zu festigen, werden wir, wo immer möglich, Schul-, Hochschul- oder Betriebsgruppen bilden, wo wir unsere Positionen in Bezug auf die jeweiligen Probleme konkret diskutieren und entwickeln und so auch weitere GenossInnen gewinnen. Dies widerspricht nicht der Arbeit in Bündnissen und steht auch nicht in Konkurrenz dazu. Im Gegenteil: In einem Aktionsbündnis arbeiten verschiedene politische Strömungen und Individuen für gemeinsame Ziele, organisieren Aktionen, bei denen sich jede Gruppe den Entscheidungen des Bündnisses unterwirft.

Als politische Organisation haben wir jedoch ganz bestimmte Positionen und Vorschläge, die wir in diese Komitees einbringen, weil wir denken, dass wir die Bewegung dadurch vorwärts bringen können. Dies steht jeder Organisation zu. Manche verwechseln Aktionsbündnisse mit politischen Blöcken, was dazu führt, dass bestimmte Kräfte sektiererisch aus dem Bündnis ausgestoßen werden.

AM: Noch eine letzte Frage. Wo können interessierte GenossInnen eure politischen Vorschläge nachlesen? Wie können sie mit den Ortsgruppen in Kontakt kommen?

Robert: Unser „Aktionsprogramm Bildung“ kann man auf unserer Website herunterladen oder von den Ortsgruppen erhalten. Auf der Website befinden sich auch andere Grundlagendokumente wie das Internationale Manifest. Interessierte können jederzeit über die Website oder Facebook Kontakt herstellen und auf die Ortsgruppentreffen kommen. Alle Interessierten können sich über unsere Kontaktadressen oder bei den Ortsgruppen melden.