Safe Abortion Day 2023: Abtreibungsgegner_Innen bekämpfen! Für einen sicheren und kostenlosen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen!

Von Erik Likedeeler, September 2023

Von Köln bis Berlin: Abtreibungsgegner_Innen auf dem Vormarsch

Vor wenigen Wochen zog der sogenannte „Marsch für das Leben“ zum ersten Mal durch Köln – eine Demonstration von Rechtskonservativen, welche rigoros gegen Abtreibungsrechte vorgehen. Die Pro-Choice-Gegendemonstrant_Innen, die ihnen den Weg mit einer Blockade erfolgreich versperrten, wurden von der Polizei mit Schlagstöcken verprügelt.

So beunruhigend das bereits klingt: Abtreibungsgegner_Innen belassen es selten bei symbolischem Protest, sondern betreiben organisierte Gewalt. Sie bedrohen Ärzt_Innen, greifen Schwangere auf dem Gehweg an und arbeiten beharrlich an neuen Gesetzen, um den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu verkomplizieren.

In diesem Moment plant Berlin, das Geld für Schwangerschaftsberatungen für die nächsten 2 Jahre um 1,5 Millionen Euro zu kürzen. Der Stellenabbau wird vom Berliner Senat schulterzuckend in Kauf genommen, obwohl bereits jedes Jahr hunderte Beratungssuchende abgewiesen und tausende Termine abgesagt werden, weil es an Kapazitäten fehlt.

Bis Dezember wird über diesen Entwurf noch verhandelt. Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir am Safe Abortion Day auf die Straße gehen, um für unser Recht auf einen sicheren, informierten und kostenlos zugänglichen Schwangerschaftsabbruch zu kämpfen!

Brustkrebs und Unfruchtbarkeit: Die Mythen der Abtreibungsgegner_Innen

Um sich Abtreibungsgegner_Innen auch abseits der Straße in den Weg stellen zu können, ist es unerlässlich, zu wissen, wie genau diese vorgehen. Eine ihrer wirksamsten Taktiken ist das gezielte Verbreiten von Fehlinformationen, um Schwangere, angehende Mediziner_Innen und alle anderen Menschen zu verunsichern und zu verstören.

Das fängt schon damit an, dass sie sich selbst „Pro Life“ oder „Lebensschützer_Innen“ nennen, obwohl noch immer jedes Jahr zehntausende Menschen an illegalisierten und selbst durchgeführten Abbrüchen sterben – von Lebensschutz kann also keine Rede sein.

Wenn sie fachgerecht und hygienisch durchgeführt werden, gehören Schwangerschaftsabbrüche zu den sichersten medizinischen Eingriffen. Die Sterblichkeitsrate ist 13-mal geringer als bei einer Geburt. Dennoch behaupten Gegner_Innen, Abtreibungen würden das Brustkrebsrisiko erhöhen oder die Fruchtbarkeit senken. Das wird jedoch von sämtlichen seriösen medizinischen Vereinigungen ausgeschlossen.

Die größte Gefahr für Schwangere ist nicht eine sichere Abtreibung, sondern Gewalt. US-Studien zufolge geschieht männliche Gewalt gegen Schwangere häufiger als jede Schwangerschaftskomplikation. Unter dem eigenen Dach getötet zu werden, ist für Schwangere die wahrscheinlichste Todesursache. Da 72% der Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, Arzttermine und Screenings vermeiden, erhöht sich durch erlebte Gewalt die Gefahr von unentdeckten Komplikationen massiv.

Verschwörungsmythos Post-Abortion-Syndrom

Seit den 1970ern gibt es für Schwangere kaum noch körperliche Folgen nach einem professionell durchgeführten Abbruch. Deshalb haben die Gegner_Innen angefangen, den angeblichen Schaden in die Psyche zu verfrachten.

Das „Post-Abortion-Syndrom“ ist die angebliche emotionale Folge einer Abtreibung und soll zu Symptomen wie Depressionen und erhöhter Drogennutzung führen. Die Existenz dieses Syndroms wird von der Wissenschaft und den Gesundheitsbehörden nicht anerkannt. Tatsächlich ist das vorwiegende und langfristige Gefühl nach einem Abbruch bei den meisten Menschen Erleichterung – 99% bereuen den Abbruch später nicht.

Selbst wenn die Zahlen nicht so eindeutig wären: Es ist ein unsinniges Argument, einen medizinischen Eingriff zu verbieten, weil er Schmerzen oder Reue verursachen könnte. Eine selbstbestimmte Entscheidung zu gewährleisten bedeutet auch, potentielle Schmerzen und Reue in Kauf zu nehmen, so wie es auch bei anderen möglichen Lebensentscheidungen der Fall ist.

Das „Post-Abortion-Syndrom“ wird durch eine verschwörungsmythische Argumentation am Leben erhalten: Wer es nicht hat, der bekommt es bestimmt später noch, oder will es sich bloß nicht eingestehen. Schwangere werden für unmündig erklärt, sobald ihre Emotionen sich nicht nach einem festgelegten Skript äußern. Letztlich werden sie als rhetorisches Mittel instrumentalisiert, um Abbrüche auf bloße Gefühlserfahrungen zu reduzieren.

Auch viele Pro-Choice-Aktivist_Innen tappen in diese Falle und schaffen es nicht, sich von individuellen Befindlichkeiten zu lösen. Dadurch wird die politische Komplexität des Themas ausgeblendet.

Von Fake-Beratung bis Shoah-Relativierung

Die Anti-Abtreibungs-Bewegung sorgt dafür, dass Schwangere in die Irre geführt werden und eine informierte, selbstbestimmte Entscheidung unmöglich wird. Dafür bieten sie manipulierende Fake-Beratungen an, die nicht mit der Ausstellung des benötigten Beratungsscheins enden – mit dem Ziel, dass die gesetzlich vorgeschriebene 12-Wochen-Frist verpasst werden soll. Immer wieder fordern diese Organisationen Schwangere dazu auf, ihre Telefonnummern und Emailadressen herauszugeben, um sie zu belästigen.

Gerade, wenn nur noch wenige Tage Zeit für einen Abbruch bleiben, ist es notwendig, Fake-Beratungsstellen sofort zu erkennen. Doch das ist schwierig, denn ihre Websites ähneln seriösen Angeboten sowohl im Namen als auch im Design. Natürlich sind sie sich auch nicht zu schade, sich Begriffe wie „Entscheidungsfreiheit“ anzueignen oder leere Versprechungen für angebliche Unterstützungsangebote zu machen.

Wer sich von solchen Ködern in die Irre führen lässt, der stößt schnell auf eine andere, düstere Welt: Erbarmungslos konfrontieren Abtreibungsgegner_Innen Hilfesuchende mit brutaler Gewaltdarstellung und Gore-Bildern von toten Babys. Mit politischen Kampfbegriffen von „Infantizid“ bis „Babycaust“ fantasieren sie einen Massenmord an Babys herbei und vergleichen Abtreibungskliniken mit Konzentrationslagern.

Dass Abtreibung in den Köpfen der meisten Menschen in der gleichen Schublade wie Kindermord steckt, liegt nicht nur an Papst Franziskus, der Abtreibung einmal als „Auftragsmord“ bezeichnete. Auch die deutsche Gesetzgebung spiegelt dieses moralische Urteil wieder, denn die Abtreibungsparagraphen stehen im Strafgesetzbuch genau zwischen denen für fahrlässige Tötung und Totschlag.

In Deutschland stellen Abtreibungsgegner_Innen ihre realitätsferne Propaganda ungestraft ins Netz, während fundierte Aufklärung bis vor einem Jahr noch durch den Paragraphen 219a eingeschränkt wurde. Anders sieht es in Frankreich aus, wo die Behinderung von Schwangerschaftsabbrüchen strafbar ist und aktiv gegen Websites mit Falschinformationen vorgegangen wird.

An Schule und Uni: Aufklärung zu Schwangerschaftsabbrüchen!

Doch ein Verbot wie in Frankreich reicht nicht aus, solange wir den mit Photoshop bearbeiteten Fötus-Bildern keine umfassende und vertrauenswürdige Bildung entgegengehalten. Das ist unter anderem nötig, damit Schwangere in Kliniken und Praxen wissen, welche Rechte sie haben: Zum Beispiel das Recht darauf, den Ultraschallmonitor wegdrehen zu lassen oder auf Ultraschallbilder zu verzichten.

Informationen über Schwangerschaftsabbrüche dürfen nicht mehr verschämt unter der Hand verbreitet werden. Sie müssen Teil des Lehrplans werden, sowohl in der Schule als auch im Medizinstudium. Hier sind Studierende nach wie vor gezwungen, sich selbst Workshops zu organisieren, um den Eingriff an Papayas zu lernen, weil im offiziellen Teil des Unterrichts höchstens aus moralischer Perspektive über das Thema diskutiert wird.

Das Informations-Defizit der Mediziner_&Innen machen Abtreibungsgegner_Innen sich zunutze. Beispielsweise behaupten sie, Föten würden mit einer Spritze ins Herz abgetrieben werden. Solche Mythen hindern Ärzt_Innen daran, Abbrüche durchzuführen, weil sie glauben, sich dazu nicht überwinden zu können. Dass der Gewissensfrage mehr Raum zugesprochen wird als dem technischen Erlenen des Eingriffs, sorgt dafür, dass solche Mythen am Leben erhalten werden.

Auch Dokumentationen, Spielfilme, Bücher und weitere Medien müssen Abtreibung als legitimen Teil des Alltags darstellen, so wie viele andere medizinische Eingriffe es auch sind. Solange die ekelerregenden Fake-Bilder der Abtreibungsgegner_Innen in unseren Köpfen gepflanzt werden, müssen wir ihnen eine realistische und neutrale Perspektive entgegensetzen!

Spätabtreibung: Eine populistische Nebelkerze

In der DDR war Abtreibung in den ersten 12 Wochen bei voller Kostenübernahme legal gewesen. Deshalb kam in den 1990er Jahren Druck für eine Reform der BRD-Paragraphen auf. 1993 wurde der §218a um die sogenannte Fristenlösung ergänzt. Seitdem ist der Abbruch in den ersten 12 Wochen nicht mehr strafbar.

Häufig erzählen Abtreibungsgegner_Innen das Märchen, ohne diese Frist würde es zu massenhaft Spätabtreibungen an lebensfähigen Föten kommen. Doch ein Blick nach Kanada zeigt das Gegenteil: Dort gibt es keinerlei Fristen, und dennoch finden fast alle Abbrüche innerhalb der ersten 12 Wochen statt. Für diejenigen, die diese 12 Wochen verpassen, muss es auch danach noch möglich sein, die Schwangerschaft abzubrechen! In den ersten 22 Schwangerschaftswochen kann ein Fötus ohnehin nicht außerhalb des menschlichen Körpers überleben, keinen Schmerz empfinden und hat kein Bewusstsein.

Abtreibungsgegner_Innen geht es ohnehin nicht um die konkrete Woche des Abbruchs, sondern darum, Unwahrheiten zu skandalisieren. So sollen gemäßigte und verunsicherte Teile der Bevölkerung von erzkonservativen Ansichten überzeugt werden. Die meisten überzeugten Abtreibungsgegner_Innen sind ohnehin der Meinung, dass ein Embryo schon ab der Befruchtung oder ab der Einnistung in den Uterus über „Menschenwürde“ eine „Seele“ oder ähnliches verfüge.

Doch ausgerechnet diesen Zeitpunkt als den Beginn des Lebens zu definieren ist ein kulturelles Konstrukt, keine biologische Tatsache. In den Niederlanden ist es beispielsweise so, dass Abbrüche in den ersten 6 Wochen als „Blutungsregulierung“ bezeichnet werden. Es geht darum, die Menstruation wiederherzustellen und das Schwangerschaftsgewebe zu entfernen – mehr nicht.

Lasst uns selbst entscheiden! Abtreibungsrecht auch für Jugendliche!

Dass es sich bei dem Abtreibungsparagraphen 218 um einen Klassenparagraphen handelt, ist Arbeiter_Innen schon seit seiner Einführung im Jahr 1871 klar. In Deutschland sind die Kosten nicht einheitlich reguliert: Meist kann mit Preisen zwischen 350 und 600 Euro gerechnet werden.

Nach wie vor gilt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1993: „Die Tötung des ungeborenen Lebens steht so sehr im Vordergrund, dass die Inanspruchnahme der Sozialversicherung nicht in Betracht kommt.“ Dass ein Ausdruck wie „ungeborenes Leben“ überhaupt in Gerichtsurteilen verwendet wird, ist der Anti-Abtreibungs-Bewegung zu verdanken, die diesen Begriff in den 1970er Jahren erfunden und popularisiert hat.

Eigentlich sind die Bundesländer gesetzlich dazu verpflichtet, ein ausreichendes Angebot von Einrichtungen für Schwangerschaftsanbrüche sicherzustellen. Wie wir aktuell am Berliner Senat sehen können, wird das nicht gewährleistet – und in den ländlichen Gegenden Süddeutschlands ist die Lage noch weitaus alarmierender als in der Hauptstadt.

Aufgrund der miserablen Versorgungslage erfordern Abtreibungen meist einen weiten Anreiseweg und sind daher eine finanzielle und emotionale Belastung. Das bedeutet, dass es nur für die herrschende Klasse leicht ist, nach Ablauf der 12 Wochen eine Möglichkeit für den Abbruch zu finden – zur Not fliegt man eben schnell ins Ausland. Arbeiter_Innen hingegen werden in die Illegalität gedrängt.

Für Jugendliche kommt zusätzlich zur wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeit auch die rechtliche Benachteiligung dazu. Die Gesetzeslage bei minderjährigen Schwangeren ist vage: Ärzt_Innen urteilen individuell über die „geistige Reife“. Bei unter 14-Jährigen müssen sogar die Eltern miteinbezogen werden. Dass das Recht eines Fötus ohne Bewusstsein oder Schmerzempfinden im Zweifel höher steht als die Selbstbestimmung über unsere eigenen Körper, ist eine Dreistigkeit, die wir nicht akzeptieren können!

Fazit und Forderungen

Wie immer im Kapitalismus müssen wir uns fragen: Wozu das alles, wer hat etwas von diesen Verboten? Die Behinderung des Rechtes auf Abtreibung bedeutet die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts über den gebärenden Körper, dem im Kapitalismus die weibliche Rollenvorstellung zugewiesen wird. Diese nutzt in erster Linie der herrschenden, besitzenden Klasse. Denn die bürgerliche Familie, die Monogamie und geschlechtliche Arbeitsteilung mit sich bringt, hat für sie die Aufgabe, Eigentum zu vererben. Dass sich Frauen und andere gebärfähige Personen dieser Aufgabe verweigern, soll unterbunden werden. Das hat aber auch Auswirkungen auf die Arbeiter_Innenklasse. In der Regel haben diese wenig zu vererben, aber gleichzeitig haben die Kapitalist_Innen Interesse an immer mehr Nachwuchsarbeitskräften, die für sie arbeiten und die sie ausbeuten können. Nicht zufällig stammt der Artikel 219a aus dem Jahr 1933. Vor allem aber geht es darum, dass die auf geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung basierende Unterdrückung der Frau in der Familie durch repressive Sexualmoral, Geschlechternormen, Einschränkungen der Kontrolle über den eigenen Körper, Fixierung der weiblichen Sexualität auf das Gebären von Kindern usw., kurz gesagt, die repressiven, frauenfeindlichen Strukturen auch in der Arbeiter_Innenklasse reproduziert werden.

Schwangerschaftsabbrüche ausdrücklich abzulehnen, ist in Deutschland zum Glück eine Minderheitenposition. Dennoch ist die Anti-Abtreibungsbewegung auf dem Vormarsch: bürgerliche Parteien wie CDU und AfD schließen sich mit Kirchenverbänden zusammen, um in Großstädten für Zwangsgeburt und Unterdrückung zu marschieren. Doch was setzen wir dem entgegen, und welchen Platz sollte Abtreibung in unserer Gesellschaft haben?

  • Für die Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränkter, flächendeckender und barrierefreier Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen und Verhütungsmitteln als Teil der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, ohne Mindestalter. Abtreibungen müssen von den Krankenkassen finanziert werden!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Für uneingeschränkten und transparenten Zugang zu Informationen, Ärzt_Innen und Kliniken! Schwangerschaftsabbrüche müssen in die Lehrpläne aufgenommen werden – sowohl im Sexualkundeunterricht an Schulen, als auch im Medizinstudium.
  • Schluss mit der Bevormundung ungewollt Schwangerer: Weg mit der 12-Wochen-Fristenlösung, der Zwangsberatung, der dreitätigen Wartepflicht und der Krankenhauspflicht für den medikamentösen Abbruch.
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer häuslicher Gewalt! Für Selbstverteidigungsstrukturen gegen Gehsteigbelästigung, Angriffe auf Beratungsstellen, sowie Hass und Falschinformationen im Netz. Für die Zerschlagung der Anti-Abtreibungs-Bewegung, Hand in Hand mit der Arbeiter_Innenklasse!



Proteste gegen Abtreibungsverbote in den USA: Interview mit einer Aktivistin vor Ort

In den USA hat der Oberste Gerichtshof im Juni dieses Jahres ein Urteil erlassen, welches den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einschränken und sogar verbieten kann. Mehrere Bundesstaaten haben bereits angekündigt, die Rechte auf Abtreibungen massiv anzugreifen. Als Reaktion kam es in vielen US-amerikanischen Städten zu Massenprotesten. Wir haben in diesem Interview mit der Aktivistin Lara (Instagram @Lara.islinger) vor Ort gesprochen:

Wer bist du? Wo bist du organisiert? 

„Ich bin Lara (sie/ihr) und wohne eigentlich in Hamburg. Ich verbringe den Sommer damit, in New York für Shout Your Abortion (SYA) zu arbeiten. SYA ist eine Organisation, die sich für die Entstigmatisierung des Schwangerschaftsabbruchs einsetzt – mit kreativen Aktionen und dadurch, dass wir Menschen eine Plattform geben, um ihre Erfahrungen zu teilen. Aufgrund der aktuellen Situation, also dem Urteil des Supreme Court und die Abtreibungsverbote in vielen Staaten, fokussieren wir uns aktuell auf den Zugang zu sicheren Abtreibungen insbesondere durch Abtreibungspillen – egal ob legal oder nicht.

Seit einigen Wochen, bin ich bei New York City For Abortion Rights aktiv, ein sozialistisch-feministisches Kollektiv, das Demos und sogenannte Clinic Defenses organisiert.“

Inwiefern bist/warst du Teil der Proteste gegen die neuen Abtreibungsverbote? Was ist dein Ziel?

„Gemeinsam mit „New York City For Abortion Rights“ und anderen links-feministischen Gruppen habe ich einen Protest am Tag der Supreme Court Entscheidung organisiert zu dem 20.000 Leute gekommen sind. Mir ging es bei der Demo vor allem darum, Solidarität auszudrücken mit Menschen in republikanischen Bundesstaaten, in denen nun Abtreibungsverbote und Einschränkungen gelten. Abgesehen von einem erhöhten Andrang in den Abtreibungskliniken, wird sich in New York durch das Urteil wenig ändern. Trotzdem spüren wir auch hier den Einfluss von Abtreibungsgegner_Innen, da wir sogenannte Clinic Defenses organisieren. Das sind Proteste und Blockaden gegen Abtreibungsgegner_Innen, die zu Kliniken prozessieren, eskortiert vom NYPD, und dort Patient_Innen belästigen – mitten in New York City.

Am Montag, dem 4th of July, war ich mit “Shout Your Abortion” in Washington DC. Wir haben vor dem Supreme Court einen Stand aufgebaut, an dem wir Limonade verschenkt und Informationen zu Abtreibungspillen verbreitet haben, die man in allen 50 Staaten über die Organisation Aid Access bestellen kann – auch ohne schwanger zu sein (sog. advanced provision). Unser Motto lautet „Fuck SCOTUS. We’re doing it anyway“. Dieses illegitime, undemokratische Gericht kann uns nicht aufhalten.

Dazu will ich unbedingt betonen, dass das Urteil natürlich Konsequenzen hat, die grausam und ungerecht sind. Unter der Kriminalisierung von Abtreibung (und Fehlgeburten) leiden am meisten Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören – insbesondere Schwarze Menschen; Indigene und weitere People of Color; die LGBTQ+ Community; Menschen mit Behinderung; Menschen, die im ländlichen Raum leben; junge Menschen und arme Menschen.“

Wie nimmst du die Proteste wahr? Welche Gruppen sind am Start?

„Mir geben die Proteste Kraft. Ich finde es gut, dass wir uns den öffentlichen Raum nehmen, um unserer Wut Ausdruck zu verleihen und als Zeichen der Solidarität mit allen Menschen, die von den Abtreibungsverboten betroffen sind. Die feministische Bewegung nehme ich als zersplittert war. Viele linke Aktivist_Innen wenden sich vom liberalen, weißen Mainstream-Feminismus ab. Andererseits spüren wir in New York eine starke Solidarität von anderen linken Gruppen sowie von den neu-gegründeten Gewerkschaften (z.B. der Starbucks-Gewerkschaft), die sich unseren Protesten anschließen.

Wir distanzieren uns von Gruppen, die sogenannte die-ins organisieren, sich mit Blut beschmieren oder Kleiderbügel zu Protesten mitbringen. Unser Punkt ist ja: Wir gehen nicht zurück in die 1960er und frühen 1970er, bevor Roe entschieden wurde, und als viele Menschen aufgrund unsicherer, illegaler Abtreibungen gestorben sind. Wir wollen keine Angst schüren, sondern Hoffnung machen. Der große Unterschied ist, wir haben heute Zugang zu Abtreibungspillen und wir haben ein Netzwerk von Abortion Funds, die finanzielle Unterstützung leisten. Wir werden dieses Urteil nicht befolgen. Wir werden nicht aufhören abzutreiben. Wir werden nicht aufhören uns gegenseitig zu helfen und wir werden nicht aufhören für reproduktive Gerechtigkeit zu kämpfen.“

Kamala Harris hat als Antwort der Demokraten dazu aufgerufen, diese Entscheidung mit der Stimmabgabe bei den Zwischenwahlen doch noch zu kippen – hältst du das für realistisch?

„Die Biden-Regierung und die Demokraten betonen, dass sie Abtreibungsrechte verteidigen wollen, aber ihre Bemühungen auf Bundesebene halten nicht Schritt mit dieser Rhetorik.  Die Tatsache, dass die Demokraten in Washington nicht in der Lage sind, Abtreibungsrechte zu stärken, obwohl sie das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses kontrollieren, hat viele Wähler_Innen enttäuscht. Ich spüre deutlich die Frustration über die Untätigkeit der Demokraten auf Bundesebene und höre in linken, feministischen Kreisen immer wieder das Wort ‚desillusioniert‘.

Es stimmt: Das Supreme Court Urteil hat das Thema Abtreibung in den Mittelpunkt mehrerer wichtiger Zwischenwahlen katapultiert. Die Wahlen in den Bundesstaaten (etwa von Gouverneur_Innen, Generalstaatsanwalt_Innen, Richter_Innen und der Legislative) könnten nun darüber entscheiden, ob Millionen von Amerikaner_Innen Zugang zu legalen Abtreibungen haben oder nicht. Viele haben aber das Gefühl, dass die Demokraten – angesichts der hohen Inflation und der niedrigen Zustimmungsraten für Präsident Biden – den Unmut über das Urteil ausnutzen, um Wähler_Innenstimmen zu erhaschen, ohne einen konkreten Plan zu haben, wie sie den Zugang zu Abtreibung in den USA gewährleisten und FLINTAs unterstützen werden.“

Wenn aber doch noch nicht alles verloren ist: Welche Perspektive siehst du dann noch für FLINTAs in den USA?

„Ich lege große Hoffnung in feministische Solidarität und Netzwerke – national und international. Anders als die Demokraten haben wir uns spätestens seit dem Leak des Entwurfs im Mai darauf vorbereitet, dass Roe fallen wird. Wir verbreiten Informationen zu Abtreibungspillen, die per Post in alle 50 Staaten verschickt werden können und sehr sicher sind. Dabei hilft uns Plan C und die europäische Organisation Aid Access. Außerdem gibt es ein solides Netzwerk von regionalen Abortion Funds, die finanzielle Unterstützung für Abtreibungen leisten. Ich habe auch mitbekommen, dass als letzter Ausweg Abtreibungspillen aus Mexiko geschickt werden – kostenlos von dortigen feministischen Kollektiven als Akt der Solidarität mit FLINTAs in den USA. Unser Motto lautet: ‚We will save us.‘ Wir retten uns selber.“

Was wünschst du dir von der Bewegung? Und wie können wir hier in Deutschland/ der EU sie unterstützen?

„Ich wünsche mir von der Bewegung, dass wir uns mehr auf praktische Fragen konzentrieren. Unser Fokus sollte sein: Wie können wir Menschen dabei helfen, abzutreiben? Die vollständige Legalisierung von Abtreibung ist dabei natürlich ein wichtiger Faktor – aber nicht der einzige.

Wenn ihr wen aus den USA kennt, könnt ihr Ressourcen zu Abtreibungspillen und Advanced Provision teilen, zum Beispiel Plan C oder Aid Access. Ein großes Problem ist, dass nur 1 von 5 Amerikaner_Innen darüber Bescheid wissen. Wenn ihr Geld übrig habt, könnt ihr spenden. Dafür empfehle ich das National Network of Abortion Funds, das Spenden auf regionale Abortion Funds aufteilt und Aid Access bzw. die europäische Mutterorganisation Women on Web. Meine DMs sind immer offen für Fragen. Bitte nicht vergessen: Wir kämpfen in Deutschland den gleichen Kampf: Der §218 muss weg, genau wie weitere Schikanen für ungewollt Schwangere wie Pflichtberatung, Wartezeit und die Gehsteigbelästigung durch Abtreibungsgegner_Innen vor Praxen. Der Zugang muss verbessert werden, insbesondere durch die Schließung von Versorgungslücken. Wir sind nicht frei und gleichberechtigt ohne den bedingungslosen und legalen Zugang zu Abtreibung.“

Für eine ausführlichere Analyse des Gerichtsurteils und dessen Folgen, aber auch der Frage, warum Abtreibungsrechte eigentlich so stark umkämpft sind und wie wir sie verteidigen können, schaut gerne in unseren Artikel dazu: