Warum Ziviler Ungehorsam nicht radikal ist.

Nahezu alle, die sich für die Radikalisierung der Umweltbewegung einsetzen, von XR über Ende Gelände zu einer Großzahl der Aktivist_Innen in der antikapitalistischen Plattform Changeforfuture (CFF), haben eins gemeinsam: die Berufung auf das Konzept “Ziviler Ungehorsam“. Wir als Revolutionäre freuen uns natürlich über jede_n, die angesichts der faulen Kompromissvorschläge seitens der Regierung den Widerstand verstärken wollen, anstatt sich mit bloßer Aufmerksamkeit zu begnügen. Mit Zivilem Ungehorsam befinden sich jene Verbündete unseres Erachtens allerdings in einer Sackgasse, weshalb wir unter diesem ein wenig provokanten Titel hier eine politische Kritik formulieren wollen und einen Vorschlag, wie wir tatsächlich gewinnen können.

Was ist Ziviler Ungehorsam und woher kommt er?
Ideengeschichtlich wird der Ursprung des Begriffs dem Liberalisten und Selbstverwirklicher Henry D. Thoreau zugeordnet, der im 19. Jahrhundert eine (!) Nacht im Gefängnis verbrachte, da er sich geweigert hatte Steuern zu bezahlen und daraufhin seinen Akt des „zivilen Ungehorsams“ zum politischen Prinzip erklärte. Dazu schrieb er seinen berühmten Essay „Civil Disobedience“ (auf deutsch „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“). Später wurde das Konzept noch von anderen Theoretiker_innen wie Hannah Arendt und Jürgen Habermas aufgegriffen.

In der Theorie handelt es sich bei Zivilen Ungehorsam um einen angekündigten Regelübertritt, mit dem man auf einen gesellschaftlichen Missstand aufmerksam machen will. Sobald diese Aufmerksamkeit erzeugt ist, kümmern sich die gesellschaftlichen Mechanismen dann darum, den Missstand zu beheben. Plakatives Beispiel: Ein Mensch kettet sich an einen Kohlebagger, wird zwar sofort davon losgeschnitten und verhaftet, die Medien und die „Politik“ bemerken allerdings wie wichtig dieser Person das Thema mit der Kohle war, kommen darüber ins Grübeln, dass das mit der Kohleverstromung doch nicht so die beste Idee war und schwuppdiwupp – Climate Justice. Da es hauptsächlich um die erzeugte Aufmerksamkeit geht, ist es auch nicht notwendig Gewalt dabei einzusetzen, im Gegenteil erscheint es sogar oft als vorteilhaft sich mit „gewaltfrei“ zu labeln, um die Öffentlichkeit leichter auf der eigenen Seite zu halten. In jedem Fall aber ist es nicht vorgesehen, den Staat anzugreifen, da man ja nur durch diesen symbolischen Regelübertritt eine Öffentlichkeit schaffen will und die dafür vorgesehen Strafe sogar akzeptiert. „Im Gegensatz zum Revolutionär“, schreibt dazu der bürgerliche Theoretiker Carl Cohen, „akzeptiert der zivile Gehorsamsverweigerer den Rahmen der bestehenden Autorität und die generelle Rechtmäßigkeit der Rechtsordnung.“

Zu Grunde liegt der ganzen Theorie ein sehr idealistisches Verständnis vom bürgerlichen Staat. Demnach sei dieser eine Art Kompromiss der Interessen seiner „Bürger“, der jedoch nur dann zufriedenstellend gelinge, wenn jedes Individuum den Staat nach seinen eigenen moralischen Vorstellungen zu gestalten versuche. Der Zivile Ungehorsam bezeichnet dabei den Ausgleich zwischen dem Individuum als Staatsbürger und als moralisches Subjekt: Der_die einzelne Bürger_In soll durch ggf. ungehorsames Verhalten den Staat im Sinne der eigenen moralischen Überzeugungen beeinflussen. Somit soll die Staatsgewalt zu einem wahrhaft ausgeglichenen System ergänzt werden.

Was ist daran problematisch?
Es ist wichtig zu verstehen, dass im Kapitalismus die Dinge nicht einfach passieren, weil sie „sinnvoll“ sind. Es wäre sinnvoll niemanden hungern zu lassen, statt 2/3 der Lebensmittel wegzuschmeißen. Es wäre sinnvoll niemanden im Mittelmeer ertrinken zu lassen oder in Lager zu sperren. Es wäre sinnvoll den Planeten nicht zu zerstören. Die Dinge passieren im Kapitalismus aus genau zwei Gründen: Entweder es bringt Profit oder wir haben es erkämpft. Entweder es liegt im Interesse der herrschenden Klasse oder die Unterdrückten haben es ihnen abgerungen. Warum reden wir jetzt schon wieder davon? Weil es nicht ausreicht, darauf aufmerksam zu machen, dass etwas nicht sinnvoll ist. RWE kennt doch selbst die eigenen Bilanzen am besten, weiß doch ganz genau, dass ihr Geschäft die Erde zu Grunde richtet, aber ihr Geschäft ist ihnen alles, deswegen ist es egal.

Es ist auch eine falsche Vorstellung, dass der Staat schon macht was er soll, wenn man es ihm nur sagt. Der Staat steht im Kapitalismus nämlich nicht über den Klasseninteressen, im Gegenteil ist genau er dafür verantwortlich, dass die Herrschaft des Kapitals mit Gewalt aufrecht erhalten und der Widerstand dagegen unterdrückt wird. Wenn wir Freiheit und Klimagerechtigkeit wollen, müssen wir diesen Staat also kaputt machen und dürfen uns nicht mit Bitten an ihn begnügen.

Was wäre eigentlich radikal?
Radikal heißt die Dinge an der Wurzel packen. Die Wurzel des Klimawandels liegt unserer Meinung nach im Kapitalismus und insbesondere im Privateigentum an den Produktionsmitteln. Zur Überwindung dessen, müssen wir die Lohnabhängigen dafür gewinnen, die Kapitalist_Innen zu enteignen und die Produktion gemeinsam nach unseren Bedürfnissen und im Sinne des Planeten zu gestalten. Das würde mehr bedeuten als nur einen Missstand im System beheben, der Staat würde sich gegen uns stellen, wir müssten mit allen Mitteln für unsere Freiheit kämpfen.

Statt nur Aufmerksamkeit zu erzeugen und uns darauf zu verlassen, dass die Herrschenden handeln werden, müssen wir unsere Ziele erzwingen, durch Streiks, Besetzungen, Enteignungen. Uns fehlt nicht eine Sitzblockade vor dem Supermarkt, uns fehlen koordinierte Streiks der Beschäftigten in der Lebensmittelindustrie. Uns fehlt nicht eine Menschenkette vor dem Flughafen, uns fehlt die durch die Gewerkschaften getragene Forderung nach kostenlosem Schienenverkehr für alle. Uns fehlt nicht der halbjährliche Ausflug in die Kohlegrube, uns fehlt ein Generalstreik, der die demokratische Kontrolle über die Strom- und die gesamte Produktion erkämpft.

Der Streik trifft dieses System in seinem Herzen, dem Profit. Wo gestreikt wird, kann kein Profit mehr fürs Kapital produziert werden, es wird gezwungen, den Streik zu zerschlagen oder auf unsere Forderungen einzugehen. Gleichzeitig werden wir in die Lage versetzt die Betriebe zu besetzen und auf eine wirklich nachhaltige Art und Weise für uns selbst zu produzieren.

Militant oder gewaltfrei? Kollektiv oder individuell?
So schön es andernfalls auch wäre: Dass der Staat bereit ist, sich regenden Widerstand mit aller Kraft zu zerbrechen, hat er uns oft genug bewiesen. Dabei ist es nicht ausschlaggebend wie der Protest selbst agiert, auch Sitzblockierer_Innen werden mit Schmerzgriffen abtransportiert und im Sichtschutz von Bullenwagen zusammengeschlagen. Wir müssen uns also verteidigen, selbst wenn wir nur grundlegende Rechte wie unsere Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen. Wichtig dabei ist es kollektiv vorzugehen, denn durch Aktionen kollektiver Selbstermächtigung gelangen wir sogar in die Situation, dass große gesellschaftliche Veränderungen wie Enteignungen usw. auf einmal möglich werden. In dieser Hinsicht muss man auch zwischen verschiedenen Akteur_Innen Zivilen Ungehorsams unterscheiden, da Massenaktionen wie Ende Gelände viel mehr Potential haben als individuelle Steuerverweigerung.

Führungskrise der Arbeiter_Innenbewegung
Dass Ziviler Ungehorsam für viele so attraktiv ist, hat auch damit zu tun, dass die eigentliche Arbeiter_Innenbewegung hier sehr schwach geworden ist und planlos umherirrt. Schlimmer noch, die Führung der Lohnabhängigen, also die Spitzenposten von SPD, Linkspartei und den Gewerkschaften, haben sich mit ihren Privilegien und hohen Gehältern ganz gut eingerichtet mit diesem Schweinesystem und verraten mit ihrer „Sozialpartnerschaft“ ihre Klasse. Das hat aber auch dazu geführt, dass Streiks und andere ursprünglich revolutionäre Kampfformen der Arbeiter_Innenklasse neuen Aktivist_Innen gar nicht mehr so radikal vorkommen und sie sich dem modern wirkenden Zivilen Ungehorsam anschließen. Unser Ziel muss es aber sein, diese Führungskrise mit einem revolutionären Programm aufzuheben, denn die Macht einer organisierten Arbeiter_Innenklasse wäre heute größer als je zuvor.

Warum wir trotzdem alle zu Ende Gelände müssen
Große Mobilisierungen sind oft stärkende Momente der dahinterstehenden Bewegung. Die Entschlossenheit, mit der wir bei Ende Gelände vorgehen, gibt uns auch die Erfahrung, dass wir Erfolge auch gegen den Staat prinzipiell erreichen können. In der gemeinsamen Tat können wir dabei über unsere verschiedenen Ansätze diskutieren und sie an der Praxis überprüfen. Fahrt also alle mit uns nach dem Global Strike am 29.11. in die Lausitz und lasst uns dieses Zeichen setzen, auch wenn wir nicht dabei stehen bleiben!

 




50.000 Menschen für den Hambacher Forst – Ein Bericht

Von Jonathan Frühling, REVOLUTION Kassel

Gestern strömten zehntausende Menschen jeden Alters und Geschlechts, aus allen Teilen Deutschlands zum Erhalt des Hambacher Forst nach NRW. Das ist ein riesiger Erfolg für die Bewegung. Die Teilnehmer_Innen wurden vor allem durch BUND, Greenpeace, Compact und Naturfreunde mobilisiert. Linke Gruppen waren dagegen allerding kaum präsent. Neben Revolution und der Gruppe Arbeiter_Innenmacht beteiligten sich einige hundert Menschen lokaler IL-Gruppen, sowie einige Personen von Linkspartei/SAV, außerdem Menschen aus verschiedenen anarchistischen Zusammenhängen. In der Masse der NGO-Anhänger gingen diese Gruppen aber regelrecht unter. Gewerkschafter_Innen waren für uns überhaupt nicht auszumachen.

Während der Kundgebung fingen die Genoss_Innen von „Ende Gelände“ mit ihrem „Waldspaziergang“ durch den Hambi und zur Abbruchkante an, dem sich im Laufe der nächsten Stunden nach und nach fast die gesamte Kundgebung anschloss. Die Polizei verhinderte die Aktion nicht. Auch Revolution und GAM beteiligten sich mit einem lautstarken Block, in dem Parolen gerufen wurden wie: „Streik, Besetzung überall, bring jetzt RWE zu fall!“ Die Aktivist_Innen konnten sich durch den Spaziergang von der Schönheit des Waldes und von dem erschreckenden Ausmaß des Tagesbaus selbst ein Bild machen. Alle waren der Meinung: „Dieses Loch ist groß genug!“ und „Hambi bleibt!“

Die Aktivist_Innen forderten nicht nur den Erhalt des „Hambis“, sondern traten auch für einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der gesamten Kohleverstromung ein. Als Mittel zu dessen Durchsetzung wurden vor allem Appelle an die Politik gerichtet. Zwar wurde die Abholzung des Waldes für die nächsten 2 Jahre gerichtlich gestoppt, verlassen sollte man sich auf Politik und Gerichte allerdings nicht. SPD und CDU stehen offen hinter RWE und auch die Grünen haben an der Landesregierung grünes Licht für die Abholzung des Waldes gegeben. Eine nachhaltige, im Einklang mit der Natur stehende Gesellschaft wird nicht von der herrschenden Politik durchgesetzt werden, wenn wir sie nur von der Wichtigkeit überzeugen. Sie muss im Gegenteil gegen die bürgerlichen Parteien erkämpft werden. Politik und Wirtschaft sind für die rücksichtlose Ausbeutung der Natur verantwortlich, sowie das kapitalistische Wirtschaftssystem insgesamt, welches mit seiner Profitlogik einer nachhaltigen Klimapolitik entgegensteht. Die Umweltbewegung braucht deshalb auch eine klare antikapitalistische Perspektive und eine Perspektive, wie die Beschäftigten der Energiekonzerne für die Bewegung gewonnen werden können. Streiks in den Betrieben sind letztlich das einzige Mittel, die Macht der Konzerne zu brechen. Diese Perspektive fehlt der Bewegung aber leider bisher. Nichtsdestotrotz war die Kundgebung gestern eine nicht zu ignorierende Machtdemonstration in Richtung RWE, Polizei und Landesregierung.




Welche Strategie gegen die Kohlekonzerne?

Flugblatt von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION zur Demonstration am Hambacher Forst am 6. Oktober, Infomail 1023, 8. Oktober 2018

Wöchentlich finden Massenproteste am Hambacher Forst mit tausenden Menschen statt, organisiert von Umweltschutzorganisationen wie BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland), NABU (Naturschutzbund Deutschlands), Greenpeace, attac, den Grünen sowie Teilen der radikalen Linken. Währenddessen tagt in Berlin die sogenannte „Kohlekommission“, um bis zum Jahresende einen Plan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung zu erarbeiten, wobei anzunehmen ist, dass der Ausstieg um viele Jahre verschleppt werden wird, während die selbst gesteckten Klimaziele Deutschlands (Reduktion des Treibhausgasausstoßes bis 2020 um 40 % im Vergleich zu 1990, Anteil der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung von 18 % bis 2020) in Rauch aufgehen.

Beim Kampf um den Hambacher Forst geht es dabei letztlich um weit mehr als den Erhalt eines Waldstücks und die Braunkohleverstromung. Er ist ein Bestandteil des Kampf um wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel und zur Sicherung der natürlichen Grundlagen menschlicher Existenz – ein Ziel, das angesichts verschärfter kapitalistischer Konkurrenz in noch weitere Ferne rückt.

Gerade Jugendliche werden die Folgen der drohenden Klimakatastrophe noch viel härter zu spüren bekommen. Umweltschutz ist längst nicht mehr nur eine Sache von Alt-Hippies und 68ern, sondern aller. Die Jugend und die AktivistInnen im Hambacher Forst stellen eine neue Generation von Aktiven dar, die auch eine antikapitalistische Perspektive aufwerfen Das heißt für uns, nicht nur zu meckern, sondern sich klare Gedanken dazu zu machen, was wir im Hier und Jetzt tun können, um unsere Ziele zu erreichen.

Braunkohle und Widerstand

Der Tagebau Hambach ist Teil des rheinischen Braunkohlereviers, dessen Brennstoff in den naheliegenden Kraftwerken zur Stromerzeugung verfeuert wird. Neben dem Rheinland ist die Lausitz das zweite große Braunkohleabbaugebiet in der Bundesrepublik. Die in den rheinischen Kraftwerken freigesetzten Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) zählen zu den höchsten CO2-Emissionen durch Elektrizitätswerke weltweit. Die Auswirkungen sind aber nicht nur die Freisetzung von CO2, sondern auch das Umkrempeln des Lebensraumes der Menschen zwischen Köln und Aachen. Acker- und Waldflächen sind verloren, Ortschaften und Verkehrswege wichen ebenso den riesigen Löchern in der Erde. Hinzu kommen Belastungen des Grundwassers und hochgiftiger Feinstaub.

Daher gab es mit Beginn des Braunkohleabbaus bereits Widerstand in den angrenzenden Ortschaften gegen ihre Umsiedlung. Viele davon existieren heute nicht mehr. Heute hat der Protest gegen den Kohleabbau seinen Schwerpunkt vor allem im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel und für „Klimagerechtigkeit“. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine Kritik am CO2-Ausstoß der sogenannten Industrienationen wie z. B. Deutschland, dessen negative Folgen (Dürre, Anstieg des Meeresspiegels, Stürme,…) vor allem die ausgebeutete halbkoloniale Welt zu tragen hat.

Viele AnwohnerInnen unterstützen zum Teil seit Jahren die Proteste gegen RWE & Co. Ein Großteil der Bevölkerung im Rheinland hält den Polizeieinsatz für überzogen, der der teuerste in der Geschichte von Nordrhein-Westfalen werden könnte.

Frage der Protestform

Der Einsatz, mit dem die AktivistInnen im Hambacher Forst Bäume besetzten oder im Rahmen von „Ende Gelände“ immer wieder in Tagebaue im Rheinland oder in der Lausitz eindrangen, verdient enormen Respekt. Es wurde große öffentliche Aufmerksamkeit für die Thematik erzeugt und zumindest kurzzeitig der Betrieb gestört. Der Kampf der BaumhausbewohnerInnen bei der Verteidigung des Waldes verdient unsere Solidarität. All jene, die hierbei staatliche Repression erfahren, sind bedingungslos zu verteidigen.

Die Aktionsform, durch Besetzungen umweltschädliche Maßnahmen zu verhindern, hat eine lange Tradition in der Bewegung, die bis in die 1970er und 1980er Jahre zurückreicht. Um erfolgreich zu sein, muss sie allerdings auch mit einer Massenbewegung und Unterstützung verbunden sein. Ansonsten ist es für die Herrschenden ein Leichtes, die Bevölkerung gegen AktivistInnen in Stellung zu bringen und ihre Aktionen zu isolieren.

Im Hambacher Forst ist die Verbindung zweifellos gegeben. Die Aktiven der Besetzung sind politisch im wesentlichen libertär, anarchistisch oder (post)autonom geprägt. Aktionsbündnisse wie „Ende Gelände“ werden von der „Interventionistischen Linken“ und anderen post-autonomen Kräften dominiert. Die Massendemonstrationen und -aktionen wiederum werden vor allem von den Umweltverbänden und zu einem geringeren Teil Gruppierungen wie attac getragen – im „Hintergrund“ steht die Grüne Partei, in geringerem Maße die Linkspartei.

Auch wenn die radikaleren, anti-kapitalistisch ausgerichteten Kräfte den Aktionen ihren Stempel aufdrücken, so stellen die Umweltverbände die Masse und sind letztlich politisch in der Vorhand.

Dies hat zwei Gründe. Erstens können solche Besetzungen und militanten Aktionen einer Minderheit letztlich ohne eine unterstützende Masse und die Gewinnung der Öffentlichkeit nicht gehalten werden. Zweitens zielen sie natürlich darauf, Druck auf die Landesregierung auszuüben, RWE bei der Rodung zu stoppen und einen möglichst raschen Kohleausstieg zu erzwingen.

Doch wie dieser genutzt wird – darüber entscheidet keine „Bewegung“ und bestimmen erst recht nicht die BesetzerInnen oder „Ende Gelände“. Die Dynamik der Bewegung versuchen vielmehr die VertreterInnen von Greenpeace, BUND und der Grünen – ohne jegliche Kontrolle der Basis – beim Schacher am Verhandlungstisch der Kohlekommission für sich zu nutzen. Bislang mit bescheidenem Erfolg, werden doch „Ausstiegsdaten“ wie 2038 kolportiert. RWE will erst 2045 den Braunkohletagebau einstellen, Greenpeace soll sich angeblich mit 2030 anfreunden können. Inzwischen wollen die LobbyistInnen Fakten schaffen, da sie verhindern wollen, dass auch der noch verbliebene Teil des Hambacher Forstes „ungenutzt“ bleibt.

Die Umweltbewegung, vor allem aber die radikaleren AktivistInnen stehen hier vor einem Dilemma. Mit ihren Aktionsformen, ihren Mitteln können sie nicht mehr leisten, stehen ihn im Grunde nur zwei strategische Optionen des Ausstiegs aus der Kohleverstromung und vor allem zur Reorganisation der Energiewirtschaft offen. Bei der einen läuft es auf eine generelle Reduktion, wenn nicht die Abschaffung industrieller Großproduktion hinaus, die durch „selbstverwaltete“ Formen der Kleinwirtschaft ersetzt werden soll. Ein solches Ziel ist nicht nur utopisch angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse. Es ist auch reaktionär, weil damit weder die Mittel zur Verfügung stünden noch die notwendige Koordination globaler Maßnahmen möglich wäre, um den Klimawandel zu stoppen und die Bedürfnisse von Milliarden Menschen auf der ganzen Welt zu befriedigen (einschließlich einer massiven Ausdehnung der Industrieproduktion auf große Teile der sog. „Dritten Welt“).

Der andere Ausweg ist ein Abkommen mit Kapital und Regierung zum „ökologischen Umbau“ der Gesellschaft. Daran werkelt zur Zeit die „Kohlekommission“.

Ökologie und Klassenkampf

Ein solcher „grüner“ Deal wird nicht funktionieren. Eine gewisse Beschleunigung des Kohleausstiegs mag zwar erreichbar sein – aber sicher keine ausreichenden Maßnahmen beim „Gesamtpaket“ Klimawandel. Selbst das sog. 2-Grad-Ziel rückt global in weite Ferne.

Die zur Erreichung dieses Ziels notwendigen Maßnahmen sind schlichtweg nicht durchsetzbar, solange die Umweltpolitik an den Profitinteressen des Kapitals ihre Grenze findet, solange RWE & Co. bestimmen, was zu welchen Bedingungen produziert und verkauft wird.

Nehmen wir nur RWE, einen letztlich kleinen Teil des Gesamtproblems. Der Konzern macht riesige Profite durch die Stromproduktion, wobei die gleichzeitige Zerstörung unserer Lebensgrundlage billigend in Kauf genommen wird. Wenn nun gefordert wird, aus der Kohleverbrennung auszusteigen, ist es für die KapitalistInnen und auch die Regierung ein Leichtes zu sagen, das gefährde die Jobs der 9.000 Beschäftigten im Rheinland. Doch dieses Argument ist nur ein Vorwand. Die Kohleverbrennung ist vielmehr billig und daher ein zentrales Element im Profit von RWE (Nettogewinn 2017: 1,9 Mrd. Euro). Weiterhin hat RWE bereits massiv in die Braunkohleverstromung investiert, z. B. durch Kauf des Hambacher Forstes. Diese Investitionen hat ein kapitalistischer Staat wie Deutschland zu schützen und dementsprechend verhalten sich CDU, SPD, AfD und FDP – und auch die IG BCE. Und natürlich sind auch die Grünen für einen Deal mit dem Kapital zu haben, wie sie mit ihrer Zustimmung zur Rodung des Forstes in der ehemaligen rot-grünen Landesregierung hinlänglich bewiesen haben.

Tatsächlich sind die Jobs jedoch absolut zweitrangig für die KapitalistInnen und ihre staatlichen HelferInnen in der Landesregierung und im Bundestag. Wenn die Streichung von Stellen in den Augen der KapitalistInnen ihren Gewinn erhöhen könnte, so würden diese auch auf die eine oder andere Weise dem Drang nach Profit zum Opfer fallen. Ein Beispiel dafür findet sich in den 1990er Jahren, wo RWE tausende Arbeitsplätze durch Rationalisierung gestrichen hat.

Eine besonders unrühmliche Rolle bei der Verhandlung um den Kohleausstieg nimmt die sogenannte ArbeiterInnenbürokratie ein. In diesem Fall sind das konkret die Betriebsräte und die Führung der Gewerkschaft IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie). Jüngst haben Betriebsräte vor einem „vorschnellen“ Kohleausstieg gewarnt – auch hierbei wird wieder das Jobargument bemüht. Das ist kein untypisches Verhalten für die offiziellen „Arbeitnehmer“vertreterInnen, wobei sie letztlich den KapitalistInnen in der Argumentation nachlaufen. Das ist auch kein Zufall, denn ihre privilegierte Stellung ist im Rahmen der „Sozialpartnerschaft“ absolut abhängig von der Energieindustrie. Dementsprechend hat die IG BCE die Arbeitsplatzstreichung in den 1990er Jahren auch fleißig mit getragen.

In der Tat braucht es eine Perspektive für die Beschäftigten im Kohlebergbau und in den Kraftwerken und, wie diese für den Kampf gegen die Konzerne gewonnen werden können. Wie es mit den rund 21.000 Menschen (Lausitz und Rheinland) nach einem Kohleausstieg weitergehen soll, beantwortet der aktuelle Aufruf von „Ende Gelände“ leider nicht und erst recht nicht der bürgerliche Teil der Umweltbewegung. Zwar wird im Aktionskonsens geschrieben, dass sich die Aktionen nicht gegen die RWE-MitarbeiterInnen richten, viel mehr aber leider nicht. In der Umweltbewegung gibt es Tendenzen, die ArbeiterInnen in der Energiebranche als GegnerInnen zu betrachten.

Das mag hervorgerufen sein durch Konfrontationen mit dem RWE-Wachschutz oder, weil die ArbeiterInnen mit dem Energiekonzern selbst gleichgesetzt werden. Allerdings ist dies unserer Ansicht nach nicht zielführend. Vielmehr sollte es darum gehen, die Beschäftigten von RWE von ihrer aktuellen Bindung an die Interessen „ihrer“ Konzerne, von RWE, Vattenfall und Konsorten zu brechen und für unseren Kampf zu gewinnen. Das schließt auch ein, ihnen eine Perspektive für die Zeit „nach der Kohle“ vorzuschlagen. Dazu gehören eine Weiterbeschäftigung ohne Lohnverlust und Einsatz bei anderen, für den Umbau des Energiesektors wichtigen Aufgaben.

Diese Perspektive ist nur gegen die Kapitalinteressen durchsetzbar. Erst recht gilt das für die Umstrukturierung des Energiesektors selbst und die Umstellung von Produktion und Konsum im Interesse des Erhalts der Umwelt wie der Menschen. Das ist ohne die Enteignung der Konzerne einfach unmöglich.

Hier zeigt sich aber auch, warum die ArbeiterInnenklasse nicht nur als politische Unterstützerin gewonnen werden, sondern sich zum zentralen Subjekt im Kampf für den Klimawandel erheben muss:

  • Nur sie verfügt über das technische Know-how für einen geplanten Ausstieg aus der Kohleverbrennung (nicht nur in Elektrizitätskraftwerken, sondern auch in Heizkraftwerken) hin zu erneuerbaren Energien.
  • Sie hat Zugang zu den Produktionsmitteln (Tagebau, Kraftwerk, Forschung) und kann dadurch die Produktion lahmlegen.
  • Durch das Lahmlegen der Produktion im Rahmen eines politischen Streiks kann massiv Druck auf Kapital und Staat ausgeübt werden. Dabei kann der Organisationsgrad der Arbeitenden erhöht werden, z. B. durch Aufbau von Streikkomitees und Verteidigung des Streiks gegen Repression.
  • Die Organisierung der ArbeiterInnen durch den politischen Kampf kann die Grundlage dafür schaffen, dass die Arbeitenden im Rahmen einer entschädigungslosen Enteignung der Energiekonzerne selbst die Kontrolle über die Produktion übernehmen und sie dahingehend planen, dass ein schnellstmöglicher Ausstieg aus der Kohleenergie möglich wird, ohne dass es zu ihren Lasten geschieht.

Der Umsetzung dieser Strategie steht derzeit vor allem die Politik der Gewerkschaftsbürokratie entgegen. Nichtsdestotrotz bleibt sie notwendig, da Kapital und Staat unfähig und unwillig sind, auf zügigem Wege aus der zerstörerischen, aber profitbringenden Kohleenergie auszusteigen. Andernfalls ist zu erwarten, dass der Kohleausstieg, wenn er denn kommt, über Arbeitsplatzstreichungen und Steuern auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung finanziert werden soll. In diesem Kontext schlagen wir einen Forderungskatalog vor, der Eckpunkte zur Energiewende mit einer klassenkämpferischen Perspektive verbindet:

  • Solidarität mit den BesetzerInnen: Rodung des Hambacher Forstes verhindern! Bullen raus aus dem Wald, organisierte Gegenwehr gegen die Räumungsversuche! Massenaktionen gegen RWE und Kohleindustrie! Bundesweite Aktionskonferenz zur Durchsetzung des Kohleausstiegs!
  • Zeigt den ArbeiterInnen von RWE auf, dass wir gemeinsame Interessen haben, unsere Umwelt zu schützen und die Produktion demokratisch umzugestalten! Dafür braucht es gemeinsame Veranstaltungen, Diskussionen sowie Aktionen vor und in den Betrieben.
  • Für die ökologischen Katastrophen ist die herrschende Klasse verantwortlich – daher soll sie für die Schäden aufkommen! Entschädigungslose Enteignung der Energie- und Transportindustrie unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für den schnellstmöglichen organisierten Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung und Einstieg in klimaneutrale Erzeugung im Rahmen eines Energieplans unter ArbeiterInnenkontrolle! Für einen solchen Plan auf europäischer und weltweiter Ebene, der Verkehr, Industrie, Haushalte, Strom- und Wärmegewinnung integriert!
  • Weg mit dem Emissionsrechtehandel und der Subventionierung von „regenerativer Energie“! Den „blind“ wirkenden Marktmechanismen setzen wir das bewusste, planmäßige Eingreifen in die Produktion entgegen. Für die Förderung von Energie und Ressourcen sparenden Techniken, bezahlt vom Kapital!
  • Für ein globales Programm zur Wiederaufforstung von Wäldern, der Renaturierung von Mooren und zum Schutz des Bodens und der Meere als CO2-Senken! Entschädigungslose Enteignung von LandbesitzerInnen, nachhaltige Bewirtschaftung unter Kontrolle der ArbeiterInnen und BäuerInnen!
  • Für Forschung zur Lösung der Speicherproblematik der erneuerbaren Energien, zur Minimierung bzw. Beseitigung des Schadstoffproblems (Atommüll) unter ArbeiterInnenkontrolle und auf Kosten der Energiekonzerne!
  • Gegen die Spaltung von Umweltbewegung und Beschäftigten in umweltgefährdenden Betrieben! Umschulung und neue Arbeitsplätze zu gleichen Löhnen und Arbeitsbedingungen! Gegen prekäre Beschäftigung in der Branche erneuerbarer Energien: gleiche Bedingungen für alle Beschäftigten in Windkraft-, Solarbetrieben wie für jene in Bergbau, AKWs und bei den Stromkonzernen!