Tarifabschluss Metall- und Elektroindustrie: Danke für nichts!

Christian Mayer

Seit
Dezember letzten Jahres lief in der Metall- und Elektroindustrie die
Tarifrunde, Ende März wurde sich auf einen Tarifabschluss geeinigt.
Wie schon der erste Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann
ankündigte, wollte man noch vor Ostern ein Ergebnis haben. Dies sei
nach seiner Aussage „zwar sportlich, aber machbar“. Gesagt,
getan.

Das Ergebnis

Wenn
man sich anschaut, mit welchen Forderungen die IG Metall in die
Tarifrunde ging und was am Ende dabei rauskam, kann man durchaus
sagen: Viel gefordert, lange verhandelt, (fast) nichts erreicht.

Aber
schauen wir erst mal kurz die Hauptforderungen an. Diese waren:

  1. eine
    Entgelterhöhung von 4% im Volumen (eine eigenartige Formulierung)
  2. eine
    Laufzeit des Tarifvertrages von 12 Monaten
  3. Die
    Sicherung von Beschäftigung
  4. Die
    Aufnahme von dual Studierenden in den Manteltarifvertrag Ausbildung

Im
Ergebnis wurden die Forderungen 1 und 3 zusammengeschmissen:
Sicherung von Beschäftigung und Entgelterhöhung heißen nun
„Transformationsgeld“. Dieses ist eine vierte Sonderzahlung neben
Urlaubs-, Weihnachts- und Tariflichem Zusatzgeld (kurz T-ZuG). Was
auf den ersten Blick einfach klingt ist in der Tat kompliziert und
auch nicht jedem IG Metall-Mitglied im Detail verständlich. Hinter
dem „Transformationsgeld“ steckt eine etwas komplizierte
Berechnungsgrundlage. Dabei werden die Löhne zwar theoretisch um
2,3% erhöht, allerdings wird diese Erhöhung nicht ausbezahlt,
sondern über einen Zeitraum von 8 Monaten, nämlich bis Februar
2022, angesammelt. Erst dann entscheiden Geschäftsführung und
Betriebsrat, ob diese Zusatzzahlung ausbezahlt oder in zusätzliche
freie Tage umgewandelt wird. Klingt fair? Nun, die Bürokratie der IG
Metall wäre nicht sie selbst, hätte sie den Metallkapitalist_innen
nicht noch ein Hintertürchen eingebaut.

Das „Transformationsgeld“ wird nämlich nur dann ausgezahlt, wenn für die Geschäftsführung des jeweiligen Betriebes die wirtschaftlichen Kennzahlen passen. Oder einfacher: Kein Profit – keine Zusatzzahlung. Ach ja, und wenn wir schon dabei sind, soll das „Transformationsgeld“ ab Februar 2023 dann auch wieder nach dem beschriebenen Prinzip gezahlt werden (nur statt 18,4% (das Produkt aus 8 * 2,3) des eigenen Lohns werden es dann 27,6% vom eigenen Lohn sein), aber eben nur wenn es Profit gibt.

Dafür erhalten die Facharbeiter_Innen und Angestellten dieses Jahr eine Einmalzahlung in Höhe von 500,- € netto, Azubis und Studierende bekommen 300,- € netto.

Und
die Beschäftigungssicherung? Na ja, die finanziert man sich aus dem
eigenen Geldbeutel. Falls es „Beschäftigungsprobleme“ in einem
Betrieb geben sollte, kann man die Arbeitszeit zwar auf eine
Vier-Tage-Woche absenken (man arbeitet dann halt 32 statt 35 Stunden,
jedenfalls in Westdeutschland), allerdings muss man den Lohnausfall
selber begleichen. Wie? In dem individuell, also jede_r für sich
nicht nur auf das „Transformationsgeld“, sondern auch noch auf
das T-ZuG verzichtet und diese in zusätzliche, freie Tage umwandelt.
Umgerechnet auf einen Monat bedeutet das, man kann zwar seine
Arbeitszeit um ganze drei Stunden in der Woche verkürzen kann,
ausgeglichen wird aber nur der Lohnausfall von zwei Stunden durch die
Umwandlung der Zusatzzahlungen. Die letzte Stunde, die dann noch
übrig ist, schenkt man den Kapitalist_innen also in dem diese die
Stunde nicht bezahlen müssen.

Laufzeiten – und was sie bedeuten

Kommen
wir nun zum zweiten Punkt, der Laufzeit. Hier wurden von der IG
Metall ja 12 Monate angepeilt. Im Endergebnis läuft der
ausgehandelte Tarifvertrag aber 21 Monate bis September nächsten
Jahres. Schlecht gerechnet oder doch ein Tippfehler? Nein, entspricht
der Wahrheit. Zwar ist die Laufzeit diesmal etwas kürzer als beim
Tarifabschluss 2018 (da waren sogar 27 (!) Monate), aber wundern
sollte uns das nicht.

Warum
nicht? Weil die IG Metall in den letzten fünf Jahren eigentlich
keine Tarifverträge abgeschlossen hat, die unter 20 Monaten laufen.
Und andererseits bedeutet eine lange Laufzeit eines Tarifvertrages
auch immer, dass die legalen Kampfmöglichkeiten für die
Arbeiter_Innenklasse nicht gegeben sind, da während der Laufzeit
eine Friedenspflicht gilt. Diese ist in den allermeisten Fällen
sogar länger als die Laufzeit des abgeschlossenen Tarifvertrag.
Während der Friedenspflicht darf nicht gestreikt werden, dass regelt
das Betriebsverfassungsgesetz. Nach Ablauf der Friedenspflicht sieht
die Sache anders aus, aber hier beschränkt sich die IG Metall seit
inzwischen 37 Jahren lieber auf Warnstreiks bzw. 24 Stunden Streiks.

Zum jetzigen Abschluss kommt hinzu, dass die Entgelterhöhungen nicht tabellenwirksam sind. Das heißt, die Entgelttabellen sind seit 2018 nicht mehr angepasst worden und man verdient immer noch dasselbe jeden Monat brutto. Gerade für die unteren Entgeltgruppen bedeutet dies angesichts steigender Mieten, Lebensmittelpreise usw. einen deutlichen Einkommensverlust. Und auch für Auszubildende und Studierende bedeutet dies, dass sich ihre Vergütungen nicht erhöhen. Diese werden zwar im Falle von Auszubildenden nach jedem Lehrjahr und für Studierende etwa nach jedem zweiten Semester erhöht, am Ende bleiben sie aber doch deutlich unter dem, was ihre Kolleg_Innen verdienen. Gerade in Städten wie Stuttgart, die inzwischen die teuerste Großstadt bei den Mieten ist (10,41 € pro m²), wird dann deutlich, wie abhängig Jugendliche in Ausbildung von den Eltern sind, selbst wenn sie nicht mehr bei ihnen wohnen.

Aufnahme von dual Studierenden in den MTV Ausbildung

Groß verkündet die IG Metall in der Meldung zum Tarifabschluss, man hätte die dual Studierenden nun endlich in den Manteltarifvertrag (MTV) Ausbildung aufnehmen können. Wenige Stunden später dann allerdings ruderte man zurück. Nun heißt es: „Darüber hinaus werden die Tarifvertragsparteien bis Ende September die Situation von dual Studierenden in den Betrieben evaluieren und prüfen, inwieweit sich tarifpolitischer Handlungsbedarf ergibt. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wird auch nach Wegen gesucht, damit mehr Betriebe Auszubildende und dual Studierende einstellen.“ Oder übersetzt: Erst mal nachschauen und prüfen, ob es überhaupt einen Grund gibt, dual Studierenden einen Tarifvertrag zuzugestehen und sie dann in den MTV aufzunehmen, oder nicht.

Lediglich in Baden-Württemberg gilt nun für dual Studierende, dass sie in den MTV aufgenommen werden. Ungerecht? In den Augen der IG Metall nicht. Dass dual Studierende in der Regel kein Bafög erhalten und es dann noch lokal extrem große Unterschiede gibt, interessiert die IG Metall-Führung nicht. Hauptsache mal wieder was für’s eigene Image getan.

Keine
Alternative zur IG Metall-Kapitulation?

Wir
stellen fest, dass die IG Metall ihren Abschluss als den heißen shit
schlechthin verkauft, das Ergebnis allerdings in der Realität nicht
heiß, sondern lediglich shit ist.

Außerdem: In den kommenden Jahren sollen allein in der Autoindustrie bis zu 400.000 Jobs gestrichen werden. Dagegen gibt es kaum Widerstand. Warum? Weil die Gewerkschaftsbürokratie gerade in diesem Bereich extrem darauf angewiesen ist, mit den Kapitalist_Innen zusammenzuarbeiten. Nirgends in Deutschland kann durch einen Aufsichtsratsposten außerhalb vom Bankenwesen so viel Geld verdient werden wie in der Autoindustrie. Aufsichtsräte werden etwa jeweils zur Hälfte von Kapitalist_Innen und Gewerkschafter_Innen besetzt, den Vorsitz hat aber immer die Kapitalseite inne. Gewerkschaftsfunktionär_Innen sind hier besonders eng mit den Bossen verbunden.

Geht die Gewerkschaftsbürokratie also nun in die Offensive, hat sie ein Problem: Auf der einen Seite muss sie ihren Mitgliedern etwas bieten können, auf der anderen Seite will sie es sich jedoch auch nicht mit den Kapitalist_Innen verscherzen. Die Lösung dieses Problems sind dann Abschlüsse wie dieses Jahr, eine Lösung auf Kosten der Arbeiter_Innen.

Doch
was können wir tun, um Erfolg zu haben? Streiken? Das ist außerhalb
der Friedenspflicht wie bereits dargestellt möglich. Dafür muss der
Kampf gegen die zögerliche Politik der Gewerkschaftsbürokratie
geführt werden. Bedeutet im konkreten Fall: Urabstimmung über die
Durchführung des Streiks und zwar direkt nach Ende der
Friedenspflicht und nicht erst Warnstreiks. Dafür müssen wir eine
organisierte Opposition in den Gewerkschaften aufbauen – und zwar
hier und jetzt.

Eine Opposition darf sich nicht auf den Kampf gegen einzelne Entscheidungen beschränken. Zum Beispiel ist die Forderung nach Ablehnung des Tarifergebnisses in den Tarifkommissionen nicht ausreichend. Es müssen andere Konzepte entwickelt werden und die Unterordnung unter die Kapitalist_Innen gehört politisch bekämpft. Es müssen die undemokratischen Strukturen bekämpft werden, die es der Bürokratie erlauben, die Gewerkschaften zu kontrollieren. Was hilft es zu hoffen, dass Tarifkommissionen Ergebnisse ablehnen, wenn Basismitglieder dafür nicht kandidieren dürfen?

Eine Opposition aufzubauen,
wird nicht leicht fallen, der Apparat ist mächtig. Aber auch wenn
seine Konzeption in vielen Fällen funktioniert, so scheitert sie
doch mit Zunahme der Systemkrise immer mehr.

Und: Es gibt kleine Ansätze
für eine solche Opposition. Aber sie muss zu einer
klassenkämpferischen Basisbewegung werden: Klassenkampf statt
Sozialpartnerschaft mit dem Kapital, Kontrolle der Gewerkschaft durch
die Basis anstelle der Bürokratie!