Wessichauvinismus – Wie der Kapitalismus Deutschland geteilt hält

Von Jona Everdeen, Oktober 2024

Die sogenannte „Wiedervereinigung“, das wohl relevanteste Ereignis der letzten 50 Jahre deutscher Geschichte, jährt sich nun zum 34. Mal. Doch während dieses Ereignis heute von SPD bis AfD als nationaler Feiertag zelebriert wird, ist Deutschland in Wahrheit noch immer zutiefst gespalten. Die Lebensbedingungen in Ostdeutschland sind noch immer wesentlich schlechter als in Westdeutschland. Wenn es nach den meisten Wessis geht, sind die Ursache dafür die Ostdeutschen selber, die immer nur jammern würden, anstatt dankbar dafür zu sein, dass ihnen der Westen die Freiheit gebracht hat. Doch was hat die BRD Ostdeutschland eigentlich gebracht und was ist die wahre Ursache für die anhaltende ökonomische Teilung des Landes?

Einheit und Freiheit? Annexion und Treuhand!

Wenn heute von der „Wiedervereinigung“ gesprochen wird, dann als eine Art nationalem Mythos. Deutschland sei endlich von den Wunden seiner Vergangenheit geheilt worden und die Deutschen hätten gemeinsam die „Tyrannei“ überwunden und seien endlich „wieder“ in Freiheit vereint.

Die Wahrheit sieht anders aus. Wenn einer seine Wunden geheilt hat, dann der deutsche Imperialismus, der sich nach dem Versagen der Bürokratie des degenerierten Arbeiter:innenstaates DDR dessen Territorium einverleiben konnte und nach der kapitalistischen Restauration in den Ostblock-Staaten wieder zur größten Macht Kontinentaleuropas wurde. Eine echte Einheit, im Sinne zum Beispiel einer neuen gemeinsamen Verfassung, fand dabei explizit nicht statt und die Lebensbedingungen des Großteils der Ostdeutschen wurden nicht besser, sondern wesentlich schlechter. Die historischen Errungenschaften der DDR wurden eingestampft, die Obdach- und Massenarbeitslosigkeit kehrte zurück, das Recht auf Abtreibung wurde ostdeutschen Frauen wieder aberkannt. Die Volkswirtschaft der DDR, zwar nicht unter Arbeiter:innen- sondern Bürokrat:innenkontrolle, aber dennoch dem Wertgesetz entzogen, wurde diesem wieder untergeordnet und dabei großflächig zerschlagen. Die Treuhandanstalt verscherbelte die ostdeutsche Industrie zu Spottpreisen. Viele westliche „Investor:innen“ stampften Fabriken bewusst ein, um zu verhindern, dass diese zu Konkurrenz werden könnten. In Folge dessen verloren Millionen Menschen ihre Jobs, eine ganze Generation versank in Perspektivlosigkeit und durch massiven Wegzug, vor allem in den Westen, wurden ganze Landstriche quasi entvölkert. Es ist keine Seltenheit, dass ostdeutsche Städte ein Drittel ihrer Einwohner:innenzahl verloren haben, und in manchen besonders hart betroffenen Orten wie Frankfurt/Oder oder Eisenhüttenstadt wurde massiv Wohnraum vernichtet, da es niemanden mehr gab, der dort hätte wohnen können. Auch wenn das Jahrzehnt des kompletten Verfalls inzwischen einige Zeit zurückliegt, hat sich die Situation seitdem nicht gebessert, sondern wenn dann auf einem niedrigen Level stabilisiert. Noch immer sind die Durchschnittslöhne in Ostdeutschland wesentlich geringer und die Arbeitslosigkeit und Armut nach den meisten Parametern wesentlich höher. Auch wenn man sich die Dichte von Firmensitzen sowie Millionär:innen ansieht, wird deutlich, dass nahezu die komplette deutsche Bourgeoisie in Westdeutschland residiert und die noch vorhandene ostdeutsche Produktion von dort verwaltet wird. Die deutsche Bourgeoisie ist weiterhin die westdeutsche Bourgeoisie. Das ostdeutsche Proletariat muss meistens zu mieseren Bedingungen und schlechteren Löhnen schuften als das westdeutsche. So sieht sie aus, die kapitalistische Einheit. 

Wird Ostdeutschland national unterdrückt?

In Folge von „Wiedervereinigung“ und Treuhand entwickelte das Verhältnis Ostdeutschlands zum Westen durchaus frappierende Ähnlichkeiten mit dem einer unterdrückten Nation. Wirtschaftlich war das Land komplett fremdbestimmt. Es wurde gezielt als Folge der Massenarbeitslosigkeit – durch Zerschlagung der alten Wirtschaft – ein massiver Niedriglohnsektor angesiedelt und die Ostdeutschen somit ökonomisch vom Westen überausgebeutet.

Um Elend und Massenverarmung im Osten zu erklären und davon abzulenken, wer der wahre Schuldige war – nämlich die imperialistische Bourgeoisie der BRD, die sich wie ein Geier auf die ehemalige DDR gestürzt hatte – wurden chauvinistische Erzählungen verbreitet. Die Ostdeutschen seien selber Schuld an ihrem Elend, da sie faul wären und nur meckern könnten, anstatt dankbar zu sein, dass der Westen ihnen Freiheit und Bananen gebracht hat und sich eifriger anzustrengen für das gemeinsame Land (aka dessen Bourgeoisie).

Solche chauvinistischen Erzählungen von Wessis stellen eine Diskriminierung gegenüber Ostdeutschen dar, die angeblich nicht in der Lage wären, gleichwertig wie Wessis zu arbeiten und denen es dadurch „ganz natürlich“ schlechter gehen müsse als diesen. Diese Ideologie weist große Ähnlichkeiten auf mit den rassistischen Ideologien, mit denen nationale und imperialistische Unterdrückung gerechtfertigt wird. So wie etwa der antigriechische Rassismus rund um das Jahr 2014. Damals erzählten Springer und Co., Griech:innen wären faul und könnten nicht mit Geld umgehen, weshalb sie selber, und nicht etwa der Wirtschaftskrieg der von Schäuble geführten Troika und die von diesem aufgezwungene neoliberale Politik oder zuvor bereits die ökonomische Benachteiligung der griechischen Wirtschaft innerhalb der EU, Schuld an ihrem Elend wären.

Die Benachteiligung Ostdeutschlands geht noch immer weiter und Wessis machen sich noch immer regelmäßig über Ostdeutsche verächtlich, zum Beispiel in Form des Märchens: Dem Westen ginge es heute ökonomisch schlechter, weil er den Osten hätte aufpäppeln müssen, obwohl der einzige Wendegewinner das westdeutsche Kapital war. Allerdings stellt das Ost-West-Verhältnis in Deutschland, heute noch weniger als in den 90er Jahren, keine strukturelle gesellschaftliche Unterdrückung dar. Besonders ausschlaggebend dafür ist, dass es keine wirkliche spezifische ostdeutsche Kultur oder Sprache gibt, bzw. die vorhandenen Elemente einer ostdeutschen Kultur nicht unterdrückt werden, sondern sich höchstens, eben im Sinne von Diskriminierung, über sie lustig gemacht wird. Auch sehen wir in diesem Verhältnis keine strukturelle juristische Benachteiligung des Ostens oder staatliche Willkür gegenüber diesem.

Diese vorhandene antiostdeutsche Diskriminierung sowie vor allem die reale ökonomische Benachteiligung und Überausbeutung der Menschen im Osten, deren ideologischer Ausdruck sie ist, müssen jedoch aufgezeigt und bekämpft werden. Dabei gilt es ebenso, den, auch im Zuge des aktuellen Aufstiegs der AfD, Wessichauvinismus innerhalb der (westdeutschen) Linken entschieden abzulehnen. 

„Ossis sind halt an Diktatur gewöhnt“ – Rechtsruck und „linker“ Wessichauvinismus

Es ist offenkundig, dass populistische wie rechtsradikale Kräfte es in Ostdeutschland in der Regel leichter haben als im Westen. Und insbesondere die jüngsten Wahlen, in denen die AfD in Thüringen mit Abstand stärkste und in Sachsen und Brandenburg nur knapp zweitstärkste Kraft geworden ist, zeigen dies nochmal deutlich. Um die Anfälligkeit Ostdeutscher für den Populismus zu verstehen, ist ein Blick auf die Geschichte zwingend nötig. So ist es nur folgerichtig, dass nach falschen Versprechungen der bürgerlichen Parteien (CDU und FDP) sowie Gleichgültigkeit und Mitverwaltung des Elendes der reformistischen (SPD und PDS/Linke), die Unzufriedenheit und „Politikverdrossenheit“ im Osten noch wesentlich höher ist als im Westen.

Aufgrund der Führungskrise der Arbeiter:innenbewegung, die hier in Form von offenem Verrat durch den Reformismus sowie durch kleinere und weniger etablierte Gewerkschaften noch gravierender sichtbar wird als im Westen, ist es leicht für Populist:innen, ob rechter Spielart wie die AfD oder linker wie das BSW, mit einfachen Scheinlösungen zu punkten. Vielen Menschen erscheint alles recht, was irgendwie anders scheint als das Elend der letzten 30 Jahre. So wird auch der Boden für rechtsradikale Kräfte befruchtet, wobei deren Entstehung noch tiefer zurückdatiert werden muss. Nämlich in die Zeit direkt nach der „Wiedervereinigung“, wo Kohls geschürter Nationalismus in Kombination mit Verelendung und Perspektivlosigkeit zahlreiche Jugendliche anfällig machte für die Propaganda vor allem aus dem Westen angereister Neonazi-Aktivist:innen. Dazu mehr in anderen Artikeln, wie dem über die Wendenacht in Zerbst aus dem letzten Jahr.

Doch die realen Gründe für die Stärke der Rechten in Ostdeutschland sieht man unter Linksliberalen in Köln, Stuttgart oder Charlottenburg nicht, bzw. will sie nicht sehen. Stattdessen eignet man sich den Wesenchauvinismus an, in seiner pseudoprogressiven Form. So wären das Problem die Ostdeutschen selber, die immer nur unzufrieden sein könnten und die Demokratie nicht zu schätzen wüssten, die ihnen der Westen gebracht habe. Anstatt dankbar für dieses „Geschenk“ zu sein, sehne man sich zurück nach einer klaren Hierarchie und Autorität, da man einfach keine Demokratie gelernt habe und deshalb die Diktatur bevorzuge. Auch ein klar antikommunistischer Charakter ist hier offenkundig. Die DDR-Bürokratie wird gleichgesetzt mit einer Rechtsdiktatur oder sogar dem Faschismus.

Es wundert wenig, dass die Grünen, in deren Reihen eine solche Haltung weit verbreitet ist, im Osten kaum ankommen und in Thüringen jüngst aus dem Landtag flogen. Würde man aber anerkennen, dass nicht die „dummen Ossis“ Schuld am Rechtsruck sind und man diesen nicht mit Chauvinismus bekämpfen kann, dann müssten sie sich ja mit einer realen Lösung der gesellschaftlichen Probleme, und dazu zwangsläufig gehörend auch der Benachteiligung des Ostens, beschäftigen. Das ist aber nicht kompatibel mit den Interessen der (west)deutschen Bourgeoisie.

Was eine echte Wiedervereinigung bedeutet hätte und wie wir sie heute noch erreichen können

Während die durch Nationalismus mystifizierte Übernahme Ostdeutschlands durch das westdeutsche Kapital und mit Stigmatisierung und Ressentiments kaschierte Überausbeutung und wirtschaftliche Unterentwicklung von diesem sicher kein Grund zum Feiern ist, wäre eine echte Wiedervereinigung durchaus möglich gewesen. So war die Bewegung gegen das bürokratische DDR-Regime unter Honeckers SED ursprünglich eine fortschrittliche. Kaum einer in der Bewegung wollte eine einfache Übernahme des Staates durch die BRD, erst recht nicht in ihrer dann geschehenen Form. Auch daher kommen die Enttäuschung und Politikverdrossenheit im Osten. Viele Menschen, die 1989 auf die Straße gingen und schließlich den Fall der Berliner Mauer erkämpften, wollten das System reformieren, nicht die DDR zerschlagen. Dass schließlich die imperialistische BRD mit Nationalismus und falschen Versprechen die Bewegung kapern konnte, liegt vor allem an deren fehlender Perspektive. Was stattdessen nötig gewesen wäre, wäre die Unterstützung der westdeutschen Arbeiter:innen für die ostdeutsche Bewegung. Die Zusammenführung eines Kampfes gegen die SED-Bürokratie, die schon lange zu einem Hindernis für den Sozialismus geworden war, und gegen den BRD-Imperialismus. Ein Kampf für die Errichtung eines vereinigten Deutschlands, nicht auf kapitalistischer Grundlage, sondern auf der von Arbeiter:innenräten, die die Planwirtschaft der DDR unter demokratische Kontrolle stellen und diese durch den Sturz der westdeutschen Bourgeoisie auf das ganze Land ausweiten!

Und für diese Perspektive ist es auch heute nicht zu spät! Der Kampf gegen Krise und Rechtsruck, in Ost wie West, muss geführt werden, mit der Perspektive einer vereinigten deutschen Räterepublik. Mit der Perspektive, das Versäumte nachzuholen, eine demokratische Planwirtschaft zu errichten und Rätedeutschland an Stelle der imperialistischen BRD zu setzen!

Nur mit dieser Perspektive ist es möglich, die ökonomische Benachteiligung Ostdeutschlands, und somit auch die Wurzel für den dort verbreiteten Populismus, zu brechen und eine Perspektive auf ein besseres Leben für alle aufzuzeigen! Für ein Deutschland, in dem die Macht weder Kapitalist:innen und ihr politisches Dienstpersonal noch lediglich auf ihre eigenen Privilegien bedachte Bürokrat:innen haben, sondern die Arbeiter:innen selber! In dem die Wirtschaft nicht der Diktatur des Marktes untertan ist und auch nicht der einer undurchsichtigen, undemokratischen und häufig absurden Planbehörde, sondern dem demokratischen Plan der Produzierenden selber!




Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen: Rechtsruck geht weiter

von Valentin Lambert/Susanne Kühn, zuerst veröffentlicht in der Infomail 1263 der Gruppe Arbeiter:innenmacht, 1. September 2024

Schon nach den ersten Prognosen lässt sich ein erstes Fazit aus den Wahlen in Sachsen und Thüringen ziehen. Verwunderlich sind die Ergebnisse nicht. In Thüringen fällt das Ergebnis nach ersten Hochrechnungen (dimap, 19.59) folgendermaßen aus: AfD: 32,4 % (+9,0), CDU 23,8 % (+2,1), BSW 15,6 % (+15,6), DIE LINKE 12,9 % (-18,1), SPD 6,2 % (-2,0), Grüne 3,5 % (-1,7), FDP 1,2 % (-3,8). Für Sachsen stellt sich die Prognose wie folgt dar: CDU: 31,8 % (-0,3 %), AfD: 30,7 % (+3,2 %), BSW 12 % (+12), SPD 7,6 % (-0,1), Grüne 5,2 % (-3,4), DIE LINKE 4,1 % (-6,3), die FPD liegt bei 1,1%.

Drei Wahlsieger:innen

In beiden Ländern gibt es drei Wahlsieger:innen. Erstens natürlich die AfD, die in Thüringen zur stärksten Partei wurde und in Sachsen den zweiten Platz belegt. In beiden Ländern konnte sie vor allem bisherige Nichtwähler:innen mobilisieren. Rassismus und Rechtspopulismus schrecken offenkundig niemanden ab, im Gegenteil: Sie sind längst salonfähig in beiden Bundesländern.

Zweitens konnte sich die CDU in beiden Ländern behaupten, in Thüringen sogar leicht hinzugewinnen. Voraussichtlich kann sie in beiden zukünftig die Landesregierung anführen und weiter Fahrtwind für die Bundestagswahlen aufnehmen. Einziger Wehrmutstropfen: Sie wird zumindest in Thüringen nicht um eine Beteiligung des BSW herumkommen, in Sachsen könnte es eventuell zu einer Fortführung der CDU-SPD-Grünen-Koalition reichen.

Drittens das BSW, das in beiden Ländern gute Chancen hat, als Koalitionspartner der Konservativen in die Regierung einzutreten. An der politischen Bereitschaft von Wagenknecht und Co. fehlt es nicht, wie erste Interviews am Wahlabend zeigen.

Die Verliererinnen

Ebenso klar sind die Verliererinnen auszumachen. Die SPD blieb wie schon 2019 in beiden Ländern unter der 10-Prozent-Marke. Die Grünen schafften in Sachsen gerade so den Einzug in den Landtag, in Thüringen werden sie im zukünftigen Landesparlament nicht mehr vertreten sein. Das wohl einzig erfreuliche Ergebnis aus linker Sicht war bei diesen Wahlen das vernichtende Abschneiden der FDP, die gerade noch mehr als ein Prozent erreichte.

Doch auch DIE LINKE erlitt das erwartete Desaster. In beiden Ländern verlor sie in absoluten Zahlen mehr als die Hälfte ihrer Wähler:innen und rund zwei Drittel ihres Wähler:innenanteils.

Was bedeutet das Ergebnis?

Über die beiden Bundesländer hinaus kommt dem Ergebnis auch eine große bundespolitische Bedeutung zu.

1. Rechtsruck und Referendum für Rassismus

Die Ergebnisse verfestigen nicht nur den bundesweiten Rechtsruck der letzten Jahre. Nach den Morden von Solingen durchzog eine regelrechte rassistische Hysterie und Hetze das Land, das sich in weiteren Einschränkungen des Asylrechte, Verschärfungen von Grenzkontrollen und Erleichterungen von Abschiebungen manifestiert. Das Ergebnis von Thüringen und Sachsen stellt auch eine Art rassistisches Plebiszit dar, bei dem ausschließlich Parteien, die die Ampelkoalition bei den Themen Migration und Flucht von rechts angreifen, gewinnen konnten. Die Verluste der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP, die in den letzten Jahren immer wieder die rassistischen Forderungen der Rechten aufgegriffen haben, verdeutlichen dabei, dass diese Anpassung an AfD und CDU (und neuerdings auch BSW) nichts bringt. Rassistische Wähler:innen wählen dann allemal lieber das rechte oder konservative Original als die grün-liberal-sozialdemokratische Kopie.

2. Abstrafen der Bundesregierung

Doch die Verluste der Regierungsparteien haben noch einen weiteren Grund: die Regierungspolitik selbst. Schon im Wahlkampf wichen die landespolitischen Inhalte immer mehr den Debatten um die bundespolitischen Versäumnisse der Ampelregierung. Dabei profitiert von der Dauerkrise, den weltweiten Konfliktherden und den sozialen Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse vor allem die AfD, die sich gerade im Osten als pseudoradikale, völkische und extrem chauvinistische Pseudoopposition inszeniert.

3. Die Lage in den ostdeutschen Ländern

Die Verluste für die Regierungsparteien kommen dabei sicher nicht unverdient. Auch in den Landesregierungen haben sie den miserablen Status quo verteidigt und sind beim Verfall ganzer Regionen untätig geblieben. Regieren tun sie als „Verwalterinnen“ des weitgehend deindustrialisierten Ostens, dessen Bevölkerung weiter abwandert. Bis heute gibt es hier längere Arbeitszeiten bei geringeren Gehältern und Renten als im Westen. Gerade die ländlichen Regionen leiden nicht nur unter Abwanderung, sondern sind auch in der Entwicklung der Infrastruktur abgehängt. Die selektiven Ansiedlungen von industrieller Produktion und Logistik stellen eher kommerzielle Inseln in einer benachteiligen Region dar und keine „blühenden Landschaften“.

Gerade in den ostdeutschen Parlamenten wird die weitere „Zersplitterung“ des aktuellen Parteiensystems besonders deutlich. Die SPD, aber auch die DIE LINKE büßen ihre Massenbasis ein oder haben das längst getan. Auch die CDU ist von diesem Prozess erfasst, auch wenn sie sich bei den Wahlen vordergründig als „Volkspartei“ behaupten konnte.

Es ist kein Zufall, dass dieser Prozess gerade im Osten stärker ausgeprägt ist, weil es dort eine schwächere Kapitalist:innenklasse gibt und die kleinbürgerlichen und Mittelschichten ein weniger stabiles Milieu darstellen, das weniger Vertrauen in „ihren“ Staat und „ihre“ Parteien entwickeln konnte als im Westen. Daher verfängt der Rechtspopulismus der AfD hier umso mehr. Er nährt sich zusätzlich aus der Enttäuschung und Frustration von politisch rückständigeren Arbeiter:innenschichten über die Politik von SPD und Linkspartei, für die die Grünen weniger als Alternative erscheinen als im Westen.

Die instabilere Wähler:innenbasis der „etablierten“ Parteien kommt in der aktuellen Lage nicht nur der AfD, sondern auch dem „linkskonservativen“ BSW zugute. Die AfD hat dabei zweifellos eine stabile soziale Basis gefestigt. Beim BSW wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob seine Erfolge von Dauer sind oder sich angesichts einer wahrscheinlichen Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der CDU als politisches Strohfeuer entpuppen.

DIE LINKE – ein Debakel

Die Linkspartei zieht mit massiven Verlusten in den Erfurter Landtag ein. In Sachsen bleibt sie deutlich unter der 5 %-Hürde, auch wenn sie wahrscheinlich durch zwei Direktmandate in Leipzig dennoch in den Landtag einziehen kann.

Dieses Wahldebakel der LINKEN offenbart auch die Schwäche der linken Kräfte insgesamt mehr als deutlich. Auf viele Fragen wie Klimawandel, Aufrüstung, Sozialabbau, Pflegenotstand, Bildungsmisere und Perspektivlosigkeit findet sie keine überzeugende Antwort und stellt für die Massen keine radikale Alternative oder gar Opposition zum Kapital dar, auch wenn ihre Wähler:innenschaft sowohl in Sachsen wie Thüringen die politisch bewusstesten Schichten der Arbeiter:innenklasse und der Jugend darstellt, die sich subjektiv ernsthaft dem Rechtruck entgegenstellen will.

Kampf gegen rechts heißt Klassenkampf

Egal wie die Regierungsbildung in Thüringen und Sachsen ausgehen wird, so werden wir in beiden Ländern in den nächsten Jahren mit einem weiteren Rechtsruck inklusive offenem Rassismus auf den Straßen und Angriffen auf Migrant:innen, aber auch Antirassist:innen und Antifaschist:innen ausgesetzt sein.

Wer dagegen wirklich etwas bewegen will, muss bereit sein, für ernsthafte Veränderungen zu kämpfen – auch gegen Regierung und Kapital. Wer von der Brandmauer spricht, darf also zur Ursache des Rechtsrucks nicht schweigen und muss einen klaren Klassenstandpunkt vertreten.

Um das aktuelle Kräfteverhältnis tatsächlich zu ändern, müssten aktive Mitglieder dieser Organisationen aufgerufen und unterstützt werden, Versammlungen und Infoveranstaltungen zur Mobilisierung in ihren Betrieben, an Schulen und Universitäten zu organisieren und aktiv die Debatte um Rassismus und die ökonomische Krise, die diesen befeuert, zu führen. Demos – wie die Mobilisierung gegen den AfD-Parteitag – können dabei als Aufhängerinnen genutzt werden. Ziel muss es aber sein, in derem Zuge Aktionskomitees aufzubauen.

Um sich positiv abzugrenzen, bedarf es klarer Forderungen. Auch wenn es die ökonomische Krise ist, die den Rechten Aufwind verleiht, so sollte man nicht glauben, dass es ausreicht, sich auf Verbesserungen auf dieser Ebene zu beschränken. Mögliche Forderungen können sein:

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!
  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!
  • Mindestlohn von 15 Euro/Stunde, Mindestrente und Arbeitslosengeld von 1.600 Euro/Monat für alle!
  • Hunderte Milliarden für Bildung, Umwelt, Renten und Gesundheit statt Aufrüstung – finanziert durch die Besteuerung der Reichen!

Darüber hinaus ist es Aufgabe von Revolutionär:innen, dafür zu kämpfen, dass die Forderung nach demokratisch organisiertem Selbstschutz gegen rassistische Angriffe auf die Tagesordnung gesetzt wird. Die mittlerweile regelmäßigen Anschläge auf Politiker:innen bei Wahlkämpfen zeigen, dass das keine tollkühne Fantasie ist, sondern bittere Notwendigkeit, wenn man – insbesondere auf dem Land und im Osten der Republik – linke Politik auch tatsächlich auf die Straße tragen will.

Perspektive

Diese Forderungen müssen nicht nur aufgestellt werden, man muss auch für diese aktiv kämpfen. Doch derzeit sind die Gewerkschaften eher Teil des Problems. Ihre Führungen sind personell eng mit SPD und Linkspartei verwoben und decken zum Selbsterhalt ihres bürokratischen Apparats wie eh und je deren Politik. Damit muss Schluss sein! Wenn wir den Kampf gegen rechts gewinnen wollen, müssen wir dafür eintreten, dass diese sich nicht länger an der sozialpartnerschaftlichen Verwaltung der Krise mitbeteiligen! Sie müssen stattdessen für echte Verbesserungen kämpfen, gegen Sparpolitik und Sozialabbau und diesen Kampf aktiv mit jenem gegen Rassismus verbinden.

Das bedeutet auch, dafür einzustehen, dass Geflüchtete in die Gewerkschaften integriert werden, und sich offen gegen alle Abschiebungen und Abkommen, die die Festung Europa aufrechterhalten, auszusprechen oder nicht davor zurückzuscheuen, Enteignung unter Kontrolle der Beschäftigten als Perspektive auf die Tagesordnung zu setzen, wenn einem/r entgegnet wird, dass leider kein Geld da ist für Sozialausgaben. Doch sowas fällt nicht einfach so vom Himmel, es muss praktisch erkämpft werden. Wir treten daher für den Aufbau einer klassenkämpferischen, revolutionären Organisation ein.

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Halle: 4. Jahrestag des faschistischen und antisemitischen Terrorangriffs – Kein Vergeben, kein Vergessen!

von Leonie Schmidt, Oktober 2023

TW Antisemitismus, Mord, Rassismus

Am 9.10.2019 griff der bewaffnete Nazi B. erst eine Synagoge an, in welcher sich ca. 50 Personen befanden, wofür er sich den höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur aussuchte. Da aber die Türen der Synagoge glücklicherweise gegen sein Eindringen standhielten, zog er weiter, um letztendlich zwei scheinbar wahllos ausgesuchte Personen auf offener Straße und in einem Dönerladen zu erschießen. Neben einigen Schusswaffen und scharfer Munition hatte der Nazi auch vier Kilo Sprengstoff in seinem Auto geladen und zudem eine Kampfmontur aus einem Stahlhelm, einer schusssicheren Weste sowie einer Art „Uniform“. Letztendlich wurde er nach einer stundenlangen Verfolgungsjagd von der Polizei gestellt und verhaftet.

Motiv & Hintergründe

Ursprünglich wollte der Täter wohl ein linkes Zentrum angreifen, hatte sich jedoch anders entschieden und sich laut seinem eigenen wirren Manifest vom Attentäter in Christchurch inspirieren lassen, wenngleich dieser Moscheen angriff. Auch der Attentäter von Halle überlegte wohl zuerst eine Moschee anzugreifen, da laut seinem faschistischen Weltbild Muslim_Innen schlimmer als Linke seien. Entsprechend seiner Ideologie wählte er dann aber aus einem antisemitischen Motiv heraus eine Synagoge , da er den Islam nur als Symptom und nicht als Ursache seines eigenen Elends ansehen würde. Da die Person, die er auf offener Straße erschoss, eine Frau war, kann auch vermutet werden, dass ein Motiv hier Frauenhass und Antifeminismus gewesen sein könnte, da er in seinem Manifest auch den Feminismus zu seinem Feind erklärte. Das wurde jedoch nicht im Abschlussbericht der Bundesregierung zur Tat vermerkt, wenngleich Frauenhass ein gängiger Bestandteil rechtsradikaler Ideologien ist. Im Gerichtverfahren erklärte der Täter, Jana L. habe ihn beleidigt und da er seine Tat auf Twitch livestreamte, rechtfertigte er den Mord damit, dass er nicht von seinen Zuschauern ausgelacht werden wollte. Das Mordopfer Kevin S., welches er im Dönerladen erschoss, habe er aufgrund seiner Haarfarbe für einen Muslim gehalten, wie er vor Gericht darlegte. Des Weiteren sagte er im Gerichtsprozess aus, dass er nicht wollte, dass weiße Menschen sterben, er es insofern bedauere und breitete seine rechtsextreme Gesinnung für alle hörbar aus. Das alles untermauert nur das perfide Weltbild des Täters, welches die ideologische Basis für sein Verbrechen bildete. Es darf nicht unbeachtet gelassen werden, dass er definitiv versuchte mehr Personen zu ermorden, es ihm aber glücklicherweise nicht gelang.

Radikalisierung bei der Bundeswehr und im Internet

Der Täter wurde im Grundwehrdienst 2010-2011 an der Waffe ausgebildet. Aussagen im Prozess zufolge habe er bereits da das Wort „Jude“ als Schimpfwort verwendet, was in der Truppe so üblich gewesen sei. Immer wieder verschwinden Waffen bei der Bundeswehr, immer wieder werden rechte Netzwerke aufgedeckt. Dass es sich hier um keinen Einzelfall, sondern mindestens um staatlich geduldeten Rechtsextremismus handelt, muss uns klar sein.

Darüber hinaus radikalisierte sich B. in diversen Internetforen, wo er Hitlers „Mein Kampf“, antisemitische Propaganda und gewaltvolle Mordvideos des IS downloadete. Dort chattete er mit anderen Männern, die ähnlich wie er sozial isoliert waren und sein rechtsradikales Weltbild teilten. So konnten sie sich gegenseitig in ihrer menschenverachtenden Ideologie bestärken und bekamen Anerkennung von Gleichgesinnten, was sie immer weiter radikalisieren konnte. Auch hier ähnelt sich B. dem Attentäter von Christchurch, auch dieser hatte sich in einschlägigen Internetforen herumgetrieben und mit anderen Rechtsradikalen connectet.

Das Versagen der Polizei

Wie immer hat sich die Polizei nicht mit Ruhm bekleckert. Dass es, wenn es um Rechtsradikalismus geht, immer wieder passiert, dass den staatlichen Behörden sehr grobe Fehler unterlaufen, kann wahrlich kein Zufall sein, wie wir schon seit dem NSU-Komplex und dem Attentat in Hanau ahnen können. In Halle war das erste Problem, dass die Polizei nicht die Sorge der jüdischen Community vor Angriffen ernst nahm. Diese hatte seit Jahren die Polizei um Schutz an jüdischen Feiertagen für die Synagogen gebeten, war jedoch in ihrer Sorge ignoriert wurden. Wie spätestens am 9.10.19 zu sehen war: Eine mehr als berechtigte Sorge. Auch vor dem Gerichtsprozess gegen B. kam es wieder vermehrt zu Angriffen und Einschüchterungsversuchen gegen die hallesche jüdische Gemeinde. Am Tag der Tat musste sich der Rabbiner, der die Polizei nach den Schüssen auf die Synagoge anrief, erst unnötigen, zeitverzögernden Fragen stellen, bevor er überhaupt zur Notrufzentrale durchgestellt wurde. Zusätzlich kritisiert wurde das Verhalten der Polizei gegenüber den Jüd_Innen, die sich zum Tatzeitpunkt in der Synagoge aufgehalten hatten. Bei der Vernehmung waren die Beamt_Innen empathie- und insbesondre ahnungslos hinsichtlich der jüdischen Religion, erklärten den Betroffenen nicht, was überhaupt passiert war und hefteten den evakuierten Jüd_Innen Zettel mit Nummern an, was einige von ihnen an die NS-Zeit erinnerte. Das ist natürlich ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen, welche gerade so um Haaresbreite dem antisemitischen Mordanschlag des Täters entkommen konnten.

Des Weiteren unterliefen Fehler beim Sichern von Beweismitteln: So konnte die Polizei nicht alle Online-Aktivitäten in einem Bilderforum von B. vor der Löschung am 11.10.19 sichern, welche von einem Moderator beseitigt wurden. Das inkludiert auch die Interaktion mit anderen Teilnehmern des Forums, sowie Verweise auf sein Manifest und Waffenbauanleitungen. Die Löschung wirft außerdem die Frage auf, welche Verbindungen durch den Moderator vertuscht werden sollten. Immerhin ging die Polizei anfangs nicht von einem Einzeltäter aus. So durchsuchte die Polizei am 14.10.19 eine Wohnung in Mönchengladbach, von welcher IP-Adresse aus B.s Manifest zeitnah zum Anschlag hochgeladen wurden war, die Bewohner bestritten jedoch, B. gekannt und etwas vom Anschlag gewusst zu haben. Auch das Überprüfen der Gaming-Kontakte als Bestandteil von B.s Ideologie und seiner Radikalisierung wurde von der Polizei unzureichend durchgeführt. B. hatte mehrere Steam-Accounts und spielte Egoshooter, der Verfassungsschutz teilte mit, in seiner Kontaktliste wären weitere Ermittlungsansätze vorhanden, welche aber nicht weiterverfolgt wurden. Des Weiteren wurde für die Auswertung des Steam-Accounts eine Beamtin eingesetzt, die angab, wenig Ahnung von den Mechanismen der Plattform gehabt zu haben.

Die Gefahr ist nicht gebannt

Nach dem langwierigen Gerichtsprozess wurde B. im Dezember 2020 zu einer lebenslangen Haftstrafe mit Sicherheitsverwahrung verurteilt. Doch gelöst hat er sich von seiner Ideologie und seiner Gewaltbereitschaft natürlich nicht. Das zeigen auch die Geschehnisse in seiner Haftzeit. So versuchte er mehrmals zu flüchten, einmal 2020, indem er einen Hofbesuch zum Überqueren einer Mauer nutzte, nachdem die JVA eigenmächtig seine Sicherheitsmaßnahme heruntergefahren hatte, und einmal indem er im Dezember 2022 zwei JVA-Beamte mit einer selbstgebauten Waffe über Stunden als Geisel nahm. Danach wurde er in ein Gefängnis in Bayern verlegt, welches auf besonders schwerwiegende Straftäter spezialisiert ist.

Des Weiteren wurden in seiner Zelle Briefe von polizeibekannten Nazis sowie von einer 20-jährigen Kriminalkommissarin aus Dessau-Roßlau gefunden. Diese war aufgefallen, nachdem sie sich gegenüber einem Kollegen positiv auf B.s Taten und Weltanschauung bezog.

Wir können also sehen: Nur weil der Täter im Gefängnis ist, ist die Gefahr nicht gebannt. Er konnte weiterhin seine Kontakte zu anderen Rechtsradikalen aufrechterhalten und so in seiner Ideologie und in seiner Tat weiterhin bestärkt werden. Auch sind in Sachsen-Anhalt weiterhin Nazi-Terrornetzwerke aktiv, so zum Beispiel das aus Großbritannien stammende Netzwerk „Blood and Honour“. Auch die Identitäre Bewegung, deren österreichischer Anführer Martin Sellner mit dem Attentäter von Christchurch in Kontakt stand, hatte bis vor einigen Jahren noch ihr Hausprojekt in der Nähe des Steintor Campus in Halle, wo sie mit Propaganda gegenüber Studierenden, Einschüchterungen in der Mensa und einem Angriff auf Zivil-Polizisten auffielen. Hier hatte auch der AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider sein Abgeordnetenbüro, obwohl die AfD offiziell eine Unvereinbarkeitserklärung mit der IB hat.

Hier kommen wir auch zu des Pudels Kern: Die Tat von Halle darf nicht als Einzeltat gewertet werden, sie muss im Kontext von erneuter Zunahme von Nazi-Terror in Deutschland verstanden werden, auch wenn nach wie vor nicht bekannt ist, welche Netzwerke den Täter bei seinem Vorhaben eventuell unterstützt haben könnten. Ob Halle, Hanau oder München: Diese Taten nehmen zu. Auch 4 Jahre später finden wir uns in einer Gesellschaft, welche noch weiter nach rechts gerückt ist, wie wir an den hohen Prozenten für die AfD sehen, aber auch an der Teilhabe der Grünen an rassistischer Geflüchtetenpolitik. Dementsprechend können wir auch kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat haben, in welchem rechtsextreme Strukturen zum Alltag gehören. Denn dieser bürgerliche Staat als ideeller Gesamtvertreter der Kapitalist_Innenklasse gehört zum Produzenten des Rechtsrucks. Rechte Ideologien und Faschismus sind Produkte der kapitalistischen Produktionsweise und gewinnen häufig nach und während Krisen kräftig an Zulauf. Der Rechtsruck entstand im Zuge der Nachwehen der Weltwirtschaftskrise von 2007/08 und wurde ursprünglich vom Mittelstand, also dem Kleinbürger_Innentum, getragen, welche sich davor fürchten, in die Arbeiter_Innenklasse abzusteigen, da sie in der Krise nicht mehr mit den Großkonzernen mithalten können. Aber auch die desillusionierte und ebenfalls von der Krise geschüttelte Arbeiter_Innenklasse war empfänglich für rechte Propaganda. So war es den rechten Akteuren möglich, ein Feindbild zu schaffen, welches zu begründen versuchte, warum es der Arbeiter_Innenklasse so schlecht geht, obwohl der reale Grund in der Krise selbst und dem Umgang damit lag: Beispielsweise Kürzungen im Sozialbereich, Entlassungen, der Agenda 2010 inkl. Leih- und Zeitarbeit, Privatisierungen, die Schuldenbremse usw. Heute nimmt die kapitalistische Krise erneut an Fahrt auf und ist alles andere als gebannt. Daher ist klar: Wenn wir den Faschismus schlagen wollen, wenn faschistischer Terror der Vergangenheit angehören soll, dann müssen wir auch den Kapitalismus zerschlagen! Dafür müssen wir linke Antworten auf die Krisen unserer Zeit finden und populär machen.

Widerstand und Selbstschutz

Was wir gegen den Rechtsruck im Allgemeinen und gegen faschistischen Terror im Besonderen brauchen, ist eine bundesweit gut vernetzte und lokal verankerte Bündnisstruktur aus allen linken Organisationen und Organisationen der Arbeiter_Innenklasse. Unabhängig von inhaltlichen Differenzen muss eine solche Einheitsfront gemeinsam und massenhaft Widerstand auf allen Ebenen organisieren, auch durch militante Selbstverteidigungsstrukturen. Auf den Staat und seine Behörden, wie Polizei oder Verfassungsschutz, ist dabei kein Verlass. Im Gegenteil, diese sind selbst von faschistischen Netzwerken durchzogen.

  • Kampf dem Rassismus und Antisemitismus auf allen Ebenen!
  • Für massenhafte gemeinsame Aktionen der gesamten Linken und der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Kein Vertrauen in staatliche Behörden! Zerschlagt die faschistischen Netzwerke selbst und organisiert militante Selbstschutzstrukturen!



Belagerung der Zerbster Mühle: Als Nazis 17 Antifas lebendig verbrennen wollten

von Jona Everdeen, Oktober 2023

Vor nun 33 Jahren wurde das Territorium der DDR durch die BRD einverleibt. Seitdem wird diese Zerschlagung des degenerierten Arbeiter_Innenstaat DDR und die Wiedereingliederung seiner Wirtschaft in den deutschen Imperialismus als „Wiedervereinigung“ nationalistisch verklärt und gefeiert. Leider handelte es sich eben nicht um eine Wiedervereinigung im progressiven Sinne, also den Sturz der DDR-Bürokratie sowie des BRD-Imperialismus und Errichtung eines vereinigten Rätedeutschlands. Der ideologische Hintergrund bildete wachsender Nationalismus. Schwarz-rot-gelbe Fahnenmeere, immer wieder mit einzelnen schwarz-weiß-roten Sprenkeln durchzogen, markierten diesen jüngsten Wendepunkt der deutschen Geschichte.

Viele der im Zuge der Niederlage des „sozialistischen“ Projekts DDR desillusionierte Jugendliche wurden von diesem Nationalismus erfasst und führten ihn weiter: Indem sie sich als militante Neonazis organisierten. Diese meist jugendlichen Nazibanden terrorisierten in den folgenden Jahren viele Regionen Ostdeutschlands und machten systematisch Jagd auf alle, die nicht in ihre menschenfeindliche faschistische Ideologie passten; die Baseballschlägerjahre waren angebrochen. Doch gegen diese Bewegung von Neonazis regte sich Widerstand, auch und gerade in der Jugend, und zwar nicht nur in den später dafür berühmt gewordenen Szenevierteln Berlin-Friedrichshain und Leipzig-Connewitz. Ein leider sehr vergessenes Beispiel für diesen mutigen Widerstand gegen zahlenmäßig häufig weit überlegende Gegner_Innen ist der Kampf um die Zerbster Mühle.

Zeit des Übergangs und Aufstieg der Neonazis

Zwischen dem Mauerfall und der tatsächlichen Eingliederung Ostdeutschlands lag ein Jahr des Übergangs, in dem die DDR schon kaum mehr die Staatsgewalt ausübte, die BRD hingegen noch nicht. In diesem Machtvakuum gelang es autonomen Linken vor allem in Ostberlin aber auch teilweise in anderen Städten eine neue Ära der Hausbesetzungen einzuläuten, da keine Staatsmacht so recht dagegen vorzugehen wusste. Doch mehr noch als Autonome profitierten andere Kräfte von dem zeitweiligen Wegfall einer einheitlich strukturierten Staatsgewalt: Neonazis.

Bereits in der DDR hatten sich Neonazis versteckt organisieren können, da die SED-Führung wegschaute und das Problem leugnete. Schließlich könne es ja im sozialistischen Deutschland keine Nazis mehr geben! In Wirklichkeit stellte deren Existenz tatsächlich ein Symptom der Unfähigkeit der Bürokraten dar, wirklichen Sozialismus aufzubauen und somit die Grundlage für faschistische Ideologie dauerhaft zu vernichten.

In der Zeit nach dem Mauerfall nutzten Neonazis aus Westdeutschland in großer Zahl die sich bietende Möglichkeit und fuhren in den Osten, um dort unter jenen Jugendlichen zu agitieren, die vom nationalistischen Taumel der BRD erfasst worden waren.

Später sollte die Realität der „Wiedervereinigung“ mit Kahlschlag der DDR-Wirtschaft durch die Treuhand sowie die Verneinung der DDR-Vergangenheit dafür sorgen, dass sich der rechten Agitation ein extrem fruchtbarer Boden bot.

Doch die Strukturen, die ihren Schrecken vor allem zwischen 1991-1993 voll entfalteten, entstanden bereits in dieser schicksalhaften Wendezeit, in der Neonazis sich daran gewöhnten, ungestört Jagd auf Migrant_Innen, Linke und allen, die ihnen sonst nicht in den Kram passten, zu machen.

Die Situation in Zerbst

Die Situation in der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt Zerbst, gelegen zwischen Dessau und Magdeburg, war wohl relativ ähnlich wie vielerorts zu dieser Zeit. Zahlreiche Jugendliche schlossen sich rechten Banden an, für die wohlgemerkt meist Alkohol und eine Art gewaltaffines Abenteurertum zentraler waren als die tatsächliche faschistische Ideologie. Gleichzeitig entstanden aber auch alternative Subkulturen, die zwar ebenfalls nicht in erster Linie politisch links waren, aber diese wurden quasi nach links und zum Antifaschismus gedrängt, indem in ihnen sowohl der Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung wirkte, aber auch die Angriffe der Bürokratie, der nationalistischen Einheitsunterstützer_Innen und der rechten Jugendbanden.

Doch während es zumeist in Großstädten gelang, alternative Räume zu erkämpfen, gestaltete sich dies in Zerbst schwierig, da diese subkulturelle Szene kaum mehr als zwanzig Menschen umfasste und so wenig Möglichkeiten hatte, gegen die Rechten zu bestehen. Auch die Polizei versuchte, den Jugendlichen häufig etwas anzuhängen und interessierte sich wenig für Angriffe auf sie.

Die alternativen Jugendlichen gaben noch nicht auf, sondern besetzten die leerstehende Ketschauer Mühle am Stadtrand, in der Hoffnung, dort einen zumindest einigermaßen geschützten Freiraum zu haben.

Belagerung der Zerbster Mühle

Doch auch in der besetzten Mühle währte die Ruhe nicht lange und die Gruppe aus 13 bis 18 Jahre alten Jugendlichen musste sich hier regelmäßig gegen rechte Angriffe verteidigen, weshalb sie die alte Mühle immer stärker zu einer Festung ausbauten.

In der Nacht vom 2.- zum 3.Oktober 1990 jedoch sollte es nicht bei eher kleineren Scharmützeln bleiben, was allen Beteiligten schon lange vorher klar gewesen war. So schrieb die Lokalzeitung, dass Kämpfe zwischen „einer großen Anzahl rechtsgerichteter Jugendlicher aus Zerbst, Roßlau und Magdeburg mit linksgerichteten Jugendlichen aus Zerbst in der Ketschauer Mühle“ erwartet werden und die lokale Volkspolizei ließ im Voraus verlauten, dass sie nicht die Kräfte hätte, um dagegen irgendetwas zu unternehmen. Ein Freifahrtschein für die Neonazis.

Diese zogen dann auch mit Verstärkung aus der ganzen Region und somit einem 200-300 Menschen großen Mob zur Ketschauer Mühle.

Doch die Jugendlichen in dieser Mühle, gerade einmal 17 an der Zahl, ließen sich auch von der gewaltigen Menge an Angreifern nicht schrecken. Sie hatten sich vorbereitet ihre Mühle zu verteidigen, mit Stangen, Steinen und Molotow-Cocktails. Es gelang ihnen auch erstaunlich lange, das vollständig verbarrikadierte Gebäude gegen diese riesige Übermacht zu verteidigen, die mit Feuerwerkskörpern auf das besetzte Haus schoss und ebenfalls mit Steinen und Molotow-Cocktails warf. Doch letztendlich gelang es einigen der Angreifer_Innen, durch ein Loch ins Erdgeschoss zu kommen und dort mit Benzin ein Feuer zu entfachen.

Das Feuer griff schnell auf die oberen Stockwerke über und die Jugendlichen mussten sich bis aufs Dach zurückziehen, von wo sie immer noch Steine und Mollis auf die Angreifer unter ihnen warfen. Vermutlich wenige Minuten bevor die Flammen die Dachgiebel erreichten, und ebenso vermutlich wenige Minuten vor dem 3.Oktober, dem Tag der Wiedervereinigung, kam endlich die Feuerwehr. Die Jugendlichen mussten vom 18 Meter hohen Dach auf ein Sprungkissen springen, das gerade einmal für 5 Meter Höhe ausgelegt war, was zu teils schweren Verletzungen führte.

Die Polizei hatte das Geschehen die ganze Zeit über aus sicherer Entfernung verfolgt, die Justiz stellte die Verfahren gegen die wenigen ermittelten Beteiligten 1992 ein.

Berichtet wurde damals nicht über die Geschehnisse in Zerbst, die um ein Haar zum Tod von 17 Jugendlichen durch faschistischen Terror geführt hätten. Das hätte ja die nationalistische Euphorie getrübt. Entsprechend weiß heute kaum eine_R was in dieser Nacht geschah. Selbst in der linken Szene ist der heldenhafte antifaschistische Widerstand dieser Jugendlichen, die nichts als ein freies selbstbestimmtes Leben wollten und das Pech hatten nicht in der Rigaer Straße oder am Connewitzer Kreuz aufzuwachsen, so gut wie vergessen. 

Was wir aus dem Widerstand lernen können

Heute liegt die Hochzeit der Baseballschlägerjahre knapp mehr als 30 Jahre in der Vergangenheit. Doch erst kürzlich zeigten die Graffiti-Morddrohungen gegen die junge Solid-Aktivistin Pia in Eisenhüttenstadt sowie die Hetzkampagne gegen Lehrer_Innen, die auf rechte Umtriebe an ihrer Schule in der Lausitz hingewiesen hatten, dass die Gefahr durch faschistische Kräfte in Ostdeutschland keineswegs gebannt ist, gerade auch für linke Jugendliche.

Im Fahrwasser der rechtspopulistischen Hetze der AfD, die in den meisten Teilen Ostdeutschlands inzwischen bei 30% steht, gelingt es auch noch rechteren, faschistischen Kräften wieder zu erstarken, häufig aufbauend auf Strukturen, die schon in den Baseballschlägerjahren entstanden sind, und unter Beteiligung von Personen, die sich schon damals an Angriffen beteiligt hatten.

Und auch heute wieder gelingt es den Nazis, perspektivlose Jugendliche am Land anzusprechen und sie von ihrer menschenfeindlichen Ideologie zu überzeugen.

Dagegen gibt es für uns nur eine Option: Widerstand.

Wir müssen uns als Jugendliche zusammenschließen, wie es einst die Jugendlichen in Zerbst taten, und perspektivisch Strukturen zur Selbstverteidigung gegen faschistische Angriffe schaffen. Doch das allein genügt nicht. Auch müssen wir anderen Jugendlichen eine Perspektive aufzeigen, wie sie wirklich etwas an den elenden Lebensbedingungen ändern können, ganz besonders im immer noch stark benachteiligten Ostdeutschland. Dazu gehört es auch, für selbstbestimmte Freiräume zu kämpfen, in denen wir als Jugendliche uns unabhängig von Erwachsenen und dem uns umgebenen kapitalistischen System organisieren, bilden und aktiv werden können. Außerdem wollen wir eine Perspektive bieten, wie wir dieses System überwinden können und somit die Grundlage schaffen für eine Welt, in der wir Jugendlichen über unser Leben bestimmen und frei von kapitalistischen Zwängen sein können.

Wir fordern:

  • Kampf dem Faschismus – Für antifaschistische Selbstverteidigung, denn die Geschichte zeigt: Auf den Staat können wir uns nicht verlassen!
  • Für selbstorganisierte und selbstverwaltete Jugendräume in unseren Vierteln und an unseren Schulen!
  • Schluss mit jeder Diskriminierung auf Basis von Kleidung, Style oder Subkultur – Wir entscheiden, wie wir rumlaufen, nicht unsere Eltern, nicht die Schule, nicht der Staat!
  • Gegen die anhaltende wirtschaftliche Benachteiligung Ostdeutschlands in Folge der Treuhand – Nieder mit dem deutschen Imperialismus, her mit der deutschen Räterepublik! 



Landtagswahlen und Rechtsruck in Sachsen

von Peter Böttcher

In Sachsen stehen am 1. September die Landtagswahlen an. Die Umfragewerte für die AfD (derzeitig  rund 24 %), die ständig stattfindenden rassistischen Aufmärsche und Übergriffe machen eins deutlich: Der Rechtsruck schreitet in immer größeren Schritten voran und äußert sich immer mehr auch auf der Straße wie beispielsweise in den Mobilisierungen der rechten und faschistischen Kräfte in Chemnitz letztes Jahr. Die Linke befindet sich immer noch in der Defensive oder ist gar passive Zuschauerin. In Chemnitz haben FaschistInnen ihr wahres Gesicht gezeigt: Menschen, die dem „deutschen“ Bild nicht entsprachen oder vermeintlich links aussahen, wurden gejagt und zusammengeschlagen. Die Linke war vor Ort in der Unterzahl und konnte somit den Rechtsextremen nicht ansatzweise den öffentlichen Raum streitig machen. Auch rechtsradikale Strukturen wie „Der III. Weg“ und die „Identitäre Bewegung“ profitieren vom Rechtsruck und werden immer selbstbewusster, treten offen auf und suchen den Schulterschluss mit der AfD.

AfD und andere Rechte

Es besteht die Gefahr, dass die AfD nach den kommenden Landtagswahlen stärkste Fraktion im Landtag wird. Unter Umständen wird sie dann mit der CDU gemeinsam eine Regierung bilden. Sofern Christdemokratie, FDP, Grüne und SPD gemeinsam keine Mehrheit erreichen, könnte erstere mit der AfD koalieren. Doch egal ob eine CDU-AfD-Regierung zustande kommt oder nicht, die AfD wird die CDU weiter nach rechts drängen. Die Folgen davon werden schwerwiegend sein. Schon jetzt wird im Kabinett das neue Polizeigesetz (PVDG) diskutiert und es soll noch im April vom Landtag verabschiedet werden. Nach den Wahlen werden mit Sicherheit weitere repressive Gesetze und der Ausbau des Überwachungs- und Sicherheitsapparates folgen. Der alltägliche und staatliche Rassismus wird noch offener zutage treten usw.

Zudem ist die AfD nicht die einzige Partei, die rechts von der seit über 25 Jahren regierenden CDU steht und zu den Landtagswahlen antritt. Neben der Rechtsabspaltung von André Poggenburg, der Partei „Aufbruch deutscher Patrioten“ (AdP), will sich auch die neu gegründete Partei von Frauke Petry („Die blaue Partei“ bzw. „Die Blauen“), welche sich selbst als rechts von FDP und CDU, aber links von der AfD stehend beschreibt, zur Landtagswahl antreten. Beide Parteien rechnen sich gute Chancen aus, über die 5 %-Hürde zu kommen. Außerdem tritt noch die NPD an, womit sich demnach insgesamt vier rechts von der CDU stehende Parteien zu den Wahlen aufstellen lassen. Inwieweit und ob die Abspaltungen der AfD in Sachsen überhaupt eine relevante Rolle bei den Landtagswahlen spielen werden, ist fraglich. Es wäre auch denkbar, dass sich die neue Partei Poggenburgs zum Sammelbecken für rechtsradikale und faschistische Kräfte entwickelt. Ob die Abspaltungen der AfD nach den Landtagswahlen überhaupt noch eine Perspektive haben werden oder ob sie genauso wie die liberal-konservative Partei von Bernd Lucke (Liberal-Konservative Reformer/LKR, bis 2016: Allianz für Fortschritt und Aufbruch/ALFA) in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wird sich zeigen. Klar ist jedoch, dass die AfD trotz ihrer internen Zerstrittenheit und ihrer geschwächten Position infolge der Spaltungen nach wie vor die größte rechte Gefahr für die Werktätigen und die organisierte Linke darstellt.

Wie kämpfen?

Um gegen den Rechtsruck und die AfD anzukämpfen, braucht es eine breit aufgestellte, schlagkräftige linke Bewegung. Hierbei könnte die Partei DIE LINKE mit ihrer Basis und ihren Mitteln eine entscheidende Rolle spielen. Jedoch ist deren Führung bisher nicht darauf aus, ihre Partei darauf vorzubereiten, diese Rolle einzunehmen. Ganz im Gegenteil: Linke Spitzenkandidaten wie Rico Gebhardt begreifen die eigene Partei nur als „letzte Bastion des Humanismus“ und Teil von „Bürgerbündnissen“. Sie negieren jeglichen Klassenbezug des Kampfes gegen rechts – und damit auch die nötigen Schritte, um eine antifaschistische bzw. antirassistische Einheitsfront und die ArbeiterInnenbewegung wieder aufzubauen und gegen den Rechtsruck in Stellung zu bringen. Dies spielt letztlich der AfD weiter in die Hände.

Darum muss es unsere dringendste Aufgabe sein, mit allen Mitteln und Möglichkeiten diesen Rechtsruck und den Siegeszug der Rechten, insbesondere den der AfD, aufzuhalten. Dabei dürfen wir uns nicht auf andere linke Organisationen, wie reformistische Parteien und deren opportunistische Führungen verlassen. Diese haben dem Rechtsruck bisher nichts effektiv entgegensetzen können und werden auch zukünftig die ArbeiterInnenbewegung und den antirassistischen Kampf in eine Sackgasse führen.

Aber zugleich ist es notwendig, die Mitglieder, UnterstützerInnen und WählerInnen der Gewerkschaften, von Linkspartei und auch der SPD für den gemeinsamen Kampf gegen Rassismus, Faschismus und Rechtspopulismus zu gewinnen. Ohne diese ArbeiterInnen und Jugendlichen fehlen uns schlichtweg die Kräfte, der AfD, den anderen rechten Parteien oder Pegida wirksam und erfolgreich entgegenzutreten.

Wir als revolutionäre, kommunistische Jugendorganisation müssen klare antifaschistische und antirassistische Positionen beziehen und alles tun, um eine Einheitsfront aller linken Gruppen und der Organisationen der ArbeiterInnenklasse gegen den Rechtsruck aufzubauen. Wir müssen die SchülerInnen in den Schulen, die Jugendlichen in den Ausbildungsstätten und Universitäten organisieren, denn sie sind oft diejenigen, die am entschlossensten gegen Rassismus und Faschismus kämpfen wollen. Sie sind zumeist noch nicht durch das System und die bürgerliche Propaganda korrumpiert worden und mögen nicht tatenlos zuschauen, wie sie in Zukunft von RassistInnen (oder gar FaschistInnen) im Nadelstreifen regiert werden. Darum arbeiten wir in Sachsen derzeitig aktiv mit anderen Jugendlichen an der Durchführung einer gemeinsamen antirassistischen Kampagne. Unser Ziel ist es, durch Aktionen, Kundgebungen, Veranstaltungen u. v. m. vor allem SchülerInnen zu erreichen und bei der Selbstorganisation in den Schulen zu unterstützen. Der Höhepunkt unserer Kampagne soll ein Schulstreik Ende Juni werden. Wir wollen versuchen, dabei alle interessierten Jugendlichen und linken Gruppen, die ebenfalls die Notwendigkeit des Aufbaus einer antirassistischen Aktionseinheit erkennen, mit einzubeziehen.

Am 1. Mai will die NPD in Dresden aufmarschieren. Wir befinden uns derzeit mit anderen Jugendlichen und linken Jugendorganisationen in der Planung und im Austausch darüber, wie wir es schaffen, uns den FaschistInnen in den Weg zu stellen und dabei gleichzeitig auch unsere eigenen Inhalte und Positionen auf die Straße zu tragen. Aktuell steht daher die Anmeldung einer Demonstration an, die vom „Picknick“ der Partei DIE LINKE zum Gewerkschaftshaus führen soll. Wir wollen dabei insbesondere jene Jugendlichen und ArbeiterInnen erreichen, denen es nicht ausreicht, Würstchen zu essen, während die FaschistInnen der NPD versuchen, uns unseren Tag zu nehmen. Wir werden uns im Anschluss an unsere Demonstration den Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch anschließen und deutlich machen, dass der Erste Mai, der Kampftag der Arbeiter und Arbeiterinnen, rot bleibt!




Interview mit einer linken Aktivistin in Sachsen

von Leonie Schmidt

Du bist linke Aktivistin in Sachsen und das scheint ein besonders hartes Pflaster dafür zu sein. Wurdest du schon mal wegen deiner politischen Meinung angefeindet?

Ja, klar. Das ist leider eine Sache, die mit dem Rechtsruck einhergeht. Rechte Meinungen werden salonfähiger und dementsprechend kommt es auch immer mehr bei jungen Leuten an. Im Osten haben wir auch mit einem gewissen Antikommunismus zu kämpfen, weil manche Leute denken, dass wir uns DDR und Stasi zurückwünschen, aber das hat für uns nichts mit Kommunismus zu tun!

Welche Erfahrungen hast du mit Lehrer_Innen/Ausbilder_Innen, die von deinem Aktivismus mitbekommen haben?

Bisher eigentlich nur gute. Klar stehen sie dem etwas misstrauisch gegenüber aber beispielsweise wurde uns von einer Lehrerin sogar angeraten zu den „Fridays For Future“-Demos zu gehen. Bei Freund_Innen sieht das anders aus. Denen werden vom Direktor Repressionen angedroht, wenn sie in der Schule Flyern oder versuchen, Schüler_Innenkomitees aufzubauen. Dagegen müssen wir solidarisch zusammenhalten und ankämpfen!

Wie reagieren deine Freunde darauf, wenn du ihnen von deiner politischen Meinung und Ansichten erzählst?

Die meisten sind schon interessiert und haben Bock, mit auf Demos oder Treffen zu kommen. Sicherlich gibt es dumme Kommentare, wenn Treffen und Demos plötzlich vor Chillen im Park geht. Aber wir machen Politik nicht zum Spaß, sondern weil sie notwendig ist! Deshalb mache ich Politik im Freundeskreis. Auch wenn sich Leute falsch verhalten, also zum Beispiel sexistische oder rassistische Kommentare ablassen, muss man darauf eingehen und darüber diskutieren.

Rechte Übergriffe werden mehr. Verzichtest du teilweise auf die Teilnahme an Demos, weil du Angst hast, angefeindet zu werden?

Eigentlich gehe ich sehr offen mit meiner Meinung um. Ich versuche aber trotzdem, vorher einzuschätzen, wie Leute drauf reagieren könnten oder ob sie bestimmte Symbole tragen, welche darauf schließen lassen, dass es gefährlich sein könnte, meine Meinung zu äußern. Oftmals ist aber nicht nur körperliche Gewalt durch Nazis ein Problem, es kann auch sein, dass man von anderen „linken“ Menschen ausgegrenzt, aus Bündnissen oder von Demos geschmissen wird, wenn man öffentlich den Staat Israel und seine Politik kritisiert und mit  unterdrückten Palästinenser_Innen solidarisch ist. Dies kommt meist von Antideutschen.

Also sind nicht nur Rechte und Nazis ein Problem sondern auch vermeintlich linken Antideutschen?

Total. Leider sind sie aber überall dabei und können mit einem gepfefferten Antisemitismusvorwurf viele eher bürgerliche Linke in ihr Boot holen. Viele sagen dann, sie reden mit uns erst gar nicht, weil wir radikale Islamist_Innen (also die Hamas) und Antisemit_Innen unterstützen würden. Was natürlich Quatsch ist.

Und wie behindert dich das in deiner politischen Arbeit?

Es kommt, wie bereits erwähnt, hauptsächlich zu Ausschlüssen und Gerüchten. Aber uns wurde auch mit körperlicher Gewalt gedroht. Wir wurden auch schon von solchen Leuten auf offener Straße angespuckt. Auch in anderen Städten werden einzelne Aktivist_Innen gezielt angegriffen und Veranstaltungen müssen vor Antideutschen geschützt werden.

Wie reagierst du in solchen Situationen?

Ganz wichtig: Ob Faschos oder vermeintliche Linke, die einen bedrohen: Ruhig bleiben und sich nicht einschüchtern lassen. Wenn man in einer Gruppe unterwegs ist, sollte man kollektiv reagieren. Also kollektive Selbstverteidigung oder eben kollektives Zurückpöbeln. Wenn man alleine ist, kann man eher weniger machen, außer sich vielleicht Gesichter und Namen merken. Wichtig ist, solche Angriffe öffentlich zu machen und sich mit anderen angegriffenen Gruppen zusammenzuschließen.

Warum nicht einfach ohne Flyer und Fahne auf die Demo?

Ich bin ja nicht nur auf einer Demo, um ein Zeichen setzen. Es geht darum, Leute für seine Politik zu gewinnen und eine breite Bewegung aufzubauen. Das geht super auf Demos, weil da viele junge politisch interessierte Menschen sind, aber es geht nur mit inhaltlichem Input wie Zeitungen und einem klaren Erkennungsbild wie Fahnen. Wenn Jugendliche zur Demo kommen, um bei uns mitzulaufen, wäre es doch mega bescheuert, die Fahnen zu Hause zu lassen.

Warum bist du politisch aktiv?

Ich bin der Meinung, dass wir nur alle zusammen etwas erreichen können. So wie unsere Welt zurzeit aussieht, kann sie nicht bleiben. Unser Wirtschaftssystem beutet nicht nur uns aus, sondern auch Menschen in Halbkolonien, es gibt Geflüchtete, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, aber alles, was ihnen entgegenschlägt, sind Hass und Rassismus. Frauen* und LGTBIA* Menschen werden weiterhin unterdrückt, verfolgt und ihrer Rechte beschnitten. Die Umwelt wird im Kapitalismus immer weiter zerstört werden. Ich bin sicher, dass wir in einer solidarischen, das heißt sozialistischen Zukunft leben können. Bloß wird uns das nicht geschenkt werden, denn die Herrschenden hätten da etwas dagegen. Deswegen müssen wir dafür kämpfen und selbst aktiv werden. Wir brauchen eine breite Massenbewegung und da zählt jede_R Einzelne! Und nur weil es ein paar Rückschritte, Angriffe oder Repressionen gibt, heißt es keinesfalls, dass wir aufgeben sollten! Wir sollten uns zwar immer kritisch selbst hinterfragen, aber definitiv nichts einfach hinschmeißen, nur weil es sich anfühlt, als würden zurzeit nicht so viele Menschen unsere Ideen teilen. Denn: Wir Jugendlichen haben nichts zu verlieren außer unserer Ketten!




Wieso ist der Rechtsruck im Osten besonders stark?

von Jonathan Frühling

„Der Rechtsruck ist bloß ein Phänomen des Ostens!“ wäre wohl die Folgerung aus den ständigen Witzen und Beiträge über die Rechte in Ostdeutschland. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit, denn auch im Westen gibt es wachsende Probleme mit Nazis, AfD & Co! Hingegen stimmt es aber, dass die Rechten in Ostdeutschland stärker als in Westdeutschland sind. So hatte die AfD bei den Bundestagswahlen 2017 im Osten (ohne Berlin) jeweils um die 20% der Stimmen bekommen; im Westen waren es „nur“ um die 10%. In Dresden ist die PEGIDA-Bewegung ansässig, die zu Spitzenzeiten zehntausende Rassist_Innen auf die Straße brachte. Bis die AfD kam, saß die NPD sogar in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag. Ebenso sind Nazikameradschaften und rechte Fußballfankultur vermehrt im Osten anzutreffen und die rechte Gewalt ist in den östlichen Bundesländern pro Einwohner oft 3-5 mal höher als im Westen. Woher kommt das?

Wirtschaftliche Lage im Osten

Die Wiedervereinigung war für die Wirtschaft in der DDR eine totale Katastrophe. Profitieren sollte davon nämlich vor allem der Westen. Genauer gesagt: Die westdeutsche Bourgeoisie. Sie eignete sich die profitablen Firmen an und erschloss mit ihren Produkten den Absatzmarkt in Ostdeutschland. Selbst profitable Unternehmen, wie z.B. das Kohlekraftwerk „Schwarze Pumpe“ wurden abgerissen, damit Firmen aus dem Westen den Markt bedienen konnten. Die Wirtschaftsleistung der DDR sank deshalb Anfang der 90er um ca. 35%. Dies befeuerte die Abwanderung aus dem Osten massiv und sorgte dafür, dass bis Mitte der 90er Jahre 1,4 Millionen Leute aus dem Osten in den Westen gingen.Bis heute hat sich Ostdeutschland nicht von diesem wirtschaftlichen Schock erholt. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 9,2 % immer noch fast doppelt so hoch wie im Westen (5,7%). Auch die Armut wächst in Ostdeutschland schneller als im Westen. Die Zahl der Erwerbstätigen im Osten hat erst 2004 ihren Tiefpunkt erreicht und konnte bis heute nicht mehr auf das Niveau der DDR steigen. Die Löhne sind ca. 20% niedriger als in den alten Bundesländern. Selbst die Lebenserwartung ist im Osten geringer als im Westen. Doch die Stärke der Rechten muss auch politisch erklärt werden. Der Stalinismus war vielen in der DDR verhasst. Die offensichtlichen Privilegien der Bürokrat_Innen und die gesellschaftliche Kontrolle durch die Polizei taten dort ihren Dienst. Nach dem Zusammenbruch wandten sich die Menschen trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage von der DDR ab, da diese eben auch auf der ökonomischen Ebene abgewirtschaftet hatte. Zudem wurde der Nationalismus von der Wiedervereinigung befeuert, woran sich die Leute in ihrer verzweifelten Situation klammerten. Dies ist auch der Weg, mit dem die AfD und andere rechte Gruppen auch heute noch versuchen, die Menschen um sich zu scharren.

Schwäche der Linken

Bis zum heutigen Tage findet aber auch noch eine zweite wichtige politische Entwicklung im Osten statt: Das Versagen des Reformismus. In den beiden rot-roten Regierung in Berlin von 2001-2011 wurden die Schulden der Bankengesellschaft Berlin auf die Steuerzahler_Innen umgelegt, massiven Angriffe auf den öffentlichen Dienst gefahren und massenweise staatliche Wohnungen abgestoßen. Momentan erleben wir übrigens eine Wiederauflage dieser Politik. In Brandenburg hat die Linkspartei ihre Oppositionspolitik wie so oft als Regierungspartei in ihr Gegenteil verkehrt. Gegen Braunkohleabbau und repressive Polizeigesetze wetterte man in der Opposition, führte jedoch beides weiter, sobald man an der Regierung war. Deshalb wird die Linkspartei im Osten schon seit Jahren als keine richtige Alternative gesehen. Ähnliches gilt für die SPD. Gerade auch durch die Regierung Schröder verlor die SPD massiv an Rückhalt im Osten, sodass sie in den neuen Bundesländern in dieser Zeit teilweise fast 16% einbüßte. Grund waren die Kriege im Kosovo und Afghanistan, die Fortsetzung der Nutzung von Atomstrom und die Einführung der Agenda 2010, die die Anzahl der Armen in Deutschland explodieren lassen hat. Auch die Gewerkschaften haben in der DDR abgewirtschaftet. Nach der Wende traten die Hälfte der Arbeiter_Innen in den DGB ein. Da der DGB aber nicht viel gegen den wirtschaftlichen Verfall ausrichten konnte, traten fast die Hälfte der 4,2 Millionen Mitglieder nach kurzer Zeit wieder aus dem DGB aus. Seitdem haben die Gewerkschaften unzählige Male die Schließung von Werken mitgetragen oder verkauften Streiks. Eine weitere große Austrittswelle musst der DGB nach dem abgebrochenen Kampf um die 35-Stunden-Woche 2003 hinnehmen. 2012 lag der Organisierungsgrad der Beschäftigten im Osten nur noch bei 17,2 %. Da also die reformistische Linke so kläglich scheiterte, haben die Rechten leichtes Spiel, mit ihren rassistische Erklärungen für diese miserable Lage Erfolg zu haben und den Wut der Menschen zu bündeln, ohne dabei wirklich ihre Lage verbessern zu können oder zu wollen! Der massive Rechtsruck in den neuen Bundesländern ist also keine Entwicklung, die nur an der Vergangenheit während der DDR festgemacht werden kann oder daran liegt dass die Leute „dümmer“ sind. Entscheidend ist vielmehr die Vergangenheit Ostdeutschlands seit der Wiedereinführung des Kapitalismus, von dem sich die Region nicht wieder erholt hat. Ebenso hat der jahrelange soziale Ausverkauf  dazu geführt, dass die Menschen den Glauben an die politischen Kräfte verloren haben. Deshalb kann nur ein entschlossene revolutionäre Linke, die hält, was sie verspricht, eine Perspektive gegen die Misere seit der Einheit darstellen!