Antiregierungsproteste in Israel: Gegenmacht oder Ohnmacht?

Von Jona Everdeen

Seit Wochen finden in Israel Massenproteste gegen die Politik der neuen rechten Regierung statt. Hunderttausende Menschen sind wöchentlich auf der Straße. Ihren Aufhänger fanden die Proteste in einer angestrebten Justizreform, die Befürchtungen hervorruft, sie könnte Israel in eine Diktatur verwandeln. Doch was beinhaltet die Justizreform und wer ist diese Regierung überhaupt, die allgemeinhin als rechteste in der Geschichte des Landes gilt? Welche reaktionäre Politik betreibt sie? Was sind die Folgen für die Menschen in Israel? Und wie wirkt sich die Regierungspolitik auf die eh schon massiv unterdrückten Palästinenser_Innen aus? Welchen Charakter haben die Proteste und was ist nötig, um Netanjahu, Ben-Gvir und Co. zu stürzen?

Rechtsradikale mit Ministerposten

Das Regierungsbündnis aus Netanjahus nationalreligiösem Likud, rechten Siedlerparteien und religiös-fundamentalistischen Kleinstparteien eröffnete einigen stramm rechten Hardliner_Innen den Weg zu wichtigen Regierungsposten. Viele von ihnen machten in der Vergangenheit mit extremem Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, religiösem Fundamentalismus und der Unterstützung zionistischer Terrorist_Innen von sich reden.

So zum Beispiel Itamar Ben-Gvir, der keinen Hehl aus seiner Verehrung für den Terroristen Baruch Goldstein macht, der bei einem Terroranschlag 29 Palästinenser_Innen ermordete. Außerdem wolle er „illoyale“ Palästinenser_Innen ausweisen und habe auch schon persönlich angesichts palästinensischer Proteste die Pistole gezückt. Er ist jetzt israelischer Polizeiminister.

Mit Bezalel Smotrich hat ein weiterer rechter Hardliner als Finanzminister einen zentralen Posten in der neuen Regierung. Das ideale Israel sieht er in Form einer fundamentalistischen Theokratie, in der das oberste Gesetz die Thora ist. Auch schockierte er erst kürzlich mit der Aussage, dass seiner Ansicht nach Jüdinnen und Araberinnen auf getrennten Geburtsstationen Kinder zur Welt bringen sollten. Ben-Gvir und Smotrich sind dabei nur die Spitze des Eisbergs einer Regierung voller extremer Rechter. Doch für den langjährigen rechtskonservativen Ministerpräsidenten Netanjahu schien das kein allzu großes Problem zu sein, immerhin brachten ihm diese Kräfte die nötige Mehrheit, um wieder an die Regierung zu gelangen.

Die Justizreform – Weg in die Diktatur?

Während die Übergabe wichtiger Ministerien an Rechtspopulist_Innen bereits teilweise für Unmut sorgte, brachte die von Netanjahu und seinen Verbündeten geplante Justizreform das Fass zum Überlaufen. Nachdem große Teile der israelischen Gesellschaft seit mehreren Jahren eine Anklage Netanjahus wegen eines Korruptionsskandals fordern, könnte der neue-alte Ministerpräsident durch seine Justizreform einer Anklage entgehen. Diese Dreistigkeit und Verhöhnung des bürgerlichen Rechtsstaates bildete die Grundlage für die folgenden Massenproteste.

Die geplante Reform sieht vor, dass Entscheidungen des obersten Gerichts in Zukunft mit einfacher Mehrheit des Parlaments revidiert werden können, ergo die Rechtsprechung quasi entmachtet wird. Zusätzlich dazu sieht die „Reform“ auch vor, dass die Regierung im Alleingang Richter_Innen ernennen kann, die dann (ähnlich wie die von Trump ernannten Richter_Innen des Supreme Courts) die reaktionäre Ideologie der aktuellen Regierung in ihre „Rechtsprechung“ fließen lassen. Die Justizreform ist also ein klarer Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz, die für eine bürgerliche Demokratie zentral ist.

Die besondere Stellung des Obersten Gerichtshof war schon häufiger Ziel von Angriffen rechter Regierungen. Er gilt unter linksliberalen und sozialdemokratischen Israelis als Hort der Menschenrechte und der Demokratie. Dementsprechend groß ist die Empörung über die geplante Reform nun in diesen Kreisen. Diese Empörung ist berechtigt und als Revolutionär_Innen verteidigen auch wir Angriffe gegen bürgerlich-demokratische Rechte, auch wenn sie Institutionen von kapitalistischen Nationalstaaten sind. Dennoch haben wir keine Illusionen in diesen Gerichtshof. Auch bevor die rechte Regierung ihre Reform angekündigt hat, hat der Gerichtshof die israelische Gesellschaft nicht davor bewahrt, den Charakter eines Besatzungsregimes und eines Apartheidstaates anzunehmen. Die aktuellen Angriffe verdeutlichen nur einmal mehr, wie schnell die Bourgeoisie bereit ist, ihre zuvor hoch gelobte Demokratie zu entmachten, sobald sie ihren Interessen im Wege steht. Ähnliche Beispiele haben wir zuletzt in Brasilien unter Bolsonaro, in Ungarn unter Orban, in Polen unter der PiS oder in den USA unter Trump gesehen.

Reaktionäre Innenpolitik

Während sich die religiösen Splitterparteien und die rechtsextremen Siedler_Innen vor allem an ihrem Rassismus gegenüber Palästinenser_Innen abarbeiten, vertritt der Likud zudem eine zutiefst neoliberale Wirtschaftspolitik. Der bis auf eine kleine Unterbrechung seit 14 Jahren regierende Netanjahu hat große Leistungen für das israelische Kapital vollbracht, indem er es schaffte, Arbeitsrechte und Sozialstaat und auf ein Minimum herunterzufahren. Ein Resultat dieser Politik ist, dass in vielen israelischen Städten die Immobilienpreise so hoch sind, dass dagegen München und Frankfurt am Main geradezu günstig wirken. Auch andere Lebenshaltungskosten stiegen im Laufe seiner Amtszeiten massiv an. Viele Israelis benötigen 2 bis 3 Jobs, um überhaupt über die Runden zu kommen. Öffentliche Schulen und Krankenhäuser sind in einem desaströsen Zustand, während es sich reiche Israelis leisten können, auf Privatschulen und private medizinische Einrichtungen auszuweichen. Jede_r Shekel, der in Checkpoints, Mauern, Drohnen und Panzer fließt, fehlt in den israelischen Schulen, Sozialkassen und Krankenhäusern. Ein Ende dieser Entwicklung ist sicher nicht in Sicht mit der neuen Koalition, eher ist davon auszugehen, dass auch weiterhin die Folgen der allgemeinen Krise, die auch Israel betrifft, auf dem Rücken der Arbeiter_Innen ausgetragen werden.

Noch dramatischer steht es um die Rechte von LGBTIQ-Personen und ethnischen oder religiösen Minderheiten. So ist die religiös-zionistische Partei offen queerfeindlich und macht daraus auch keinen Hehl. Ihr zufolge sollen medizinische Einrichtungen mit religiösem Träger sich weigern dürfen, queere Menschen zu behandeln.

Generell wird voraussichtlich der Rassismus gegen nicht-jüdische Israelis aber auch gegen nicht-weiße Juden:Jüdinnen, die zum Beispiel aus Äthiopien oder dem Jemen nach Israel geflohen und häufig massiven rassistischen Anfeindungen bis hin zu brutalen Angriffen ausgesetzt sind, noch weiter zunehmen.

Mit der sich verschärfenden Wirtschaftskrise geht auch eine verstärkte Verelendung der Arbeiter_Innenklasse in Israel und ihrer besonders marginalisierten, sexistisch oder rassistisch unterdrückten Teile einher. Die israelische Regierung versucht jetzt durch nationalistische Propaganda und der Erweiterung des israelischen Staatsgebiets dieser Krise durch kurzfristige Scheinlösungen zu begegnen und die israelische Arbeiter_Innenklasse mittels Nationalismus an die herrschende Klasse zu binden und damit ihre Schlagkraft zu verringern. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch das Wiederaufkommen einer entschiedenen Kriegsrhetorik gegenüber dem Iran.

Was bedeutet das für Palästinenser_Innen?

Dementsprechend hat sich die Lage der Palästinenser_Innen massiv verschlechtert und zu einer neuen Welle von Gewalt und Gegengewalt geführt. Bei Operationen des israelischen Militärs in Städten wie Jenin oder Nablus sind seit Anfang des Jahres mehrere Dutzend Palästinenser_Innen ermordet worden, im Schnitt mehr als ein Mensch pro Tag!

Dazu kam es im palästinensischen Dorf Hawara zu einem Pogrom durch rechtsradikale Siedler_Innen, die mehrere Dutzend Häuser und Geschäfte anzündeten, mindestens einen Menschen töteten und zahlreiche weitere Verletzten. Die israelische Armee hat ihnen dabei zugesehen und Rückendeckung gegeben.

Polizeiminister Ben-Gvir sorgte mit einem Besuch auf dem Tempelberg – Standort der Al-Aqsa Moschee- ebenfalls für eine krasse Provokation. Als Ariel Sharon im Jahre 2000 den Tempelberg betrat, war das der Auslöser für die 2. Intifada. Ben-Gvir kündigte darüber hinaus noch an, dass er es Muslima_en nicht den gesamten Ramadan über erlauben wolle, in der Al-Aqsa Moschee zu beten.

Zu allem Übel will die neue Regierung auch noch die Todesstrafe wiedereinführen. Diese soll gegen Palästinenser_Innen, die Israelis ermordet haben, angewendet werden können, nicht aber gegen Israelis, die Palästinenser_Innen ermordet haben. Zwar müssen Palästinenser_Innen ohnehin damit rechnen, vom israelischen Militär getötet zu werden, wenn sie sich der Besatzungspolitik widersetzen. Allerdings unterstreicht die Wiedereinführung der Todesstrafe – allein für Palästinenser_Innen – noch einmal bildlich die Geringschätzung palästinensischen Lebens.

Weniger offensichtlich aber doch extrem relevant ist auch die Übertragung der Kontrolle über die Westbank von einer militärischen zu einer zivilen Behörde. Während die Militäradministration den jahrzehntelangen Besatzungsstatus des Gebietes aufrecht erhielt, ist dies nun als endgültiges Zeichen zu verstehen, dass für die aktuelle israelische Regierung ein Verlassen dieser, und somit eine zwei Staaten Lösung, keine Option mehr ist und sie die gesamte Westbank als Teil israelischen Staatsgebiets betrachtet.

Welche Perspektive hat der Protest?

Der Protest, der sich in erstes Linie als Widerstand gegen die Justizreform aufstellt und an dem bis zu 250.000 Menschen im ganzen Land teilnahmen, wird getragen von einer sehr breiten israelischen „Zivilgesellschaft“ und ist geprägt von liberal-zionistischen Kräften. Am Meer aus israelischen Flaggen, das auf den Großdemonstrationen in Tel Aviv/Jaffa zu sehen war, wird deutlich, wie nationalistisch dieser eigentlich ist. Dennoch scheint die neue Regierung vor den Protesten zu zittern, wenn sie mit allen Mitteln versucht, die eigentlich sehr zahmen Proteste als „Gesetzesbrecher“ zu verunglimpfen und ihnen vorwerfen, sie würden „Anarchie“ verbreiten.

Der von der neuen Rechtsregierung abgelöste ehemalige Ministerpräsident Lapid versucht, sich dabei als liberaler Gegenspieler von Netanjahu und Hüter der israelischen Demokratie zu inszenieren. Dabei war er es, der zuvor auch keinerlei Probleme damit hatte, mit Naftali Bennets kaum weniger rechtsextremen Siedlerpartei gemeinsam zu regieren. Die Massenproteste werden weiterhin ohnmächtig gegenüber den rechten Angriffen auf demokratische Rechte sein, solange sie sich von liberal-zionistischen Kräften anführen lassen. Ihre Alternative gegenüber Netanjahu sieht vielleicht so aus, dass der Oberste Gerichtshof unangetastet bleibt und die Siedlungen weniger stark ausgebaut werden. An der Realität des Besatzungsregimes, des Abbaus des israelischen Sozialstaates, der massiven Inflation, der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Krise des Wohnungs-, Bildungs- und Gesundheitssektors werden sie nichts verändern.

Dennoch können die Massenproteste einen Ausgangspunkt für den Aufbau von Gegenmacht bieten. Zentral dabei ist es, ob fortschrittliche Organisationen es verstehen, in diese Proteste eine unabhängige Position der israelischen und der palästinischen Arbeiter_Innenklasse zu tragen und die Führung zu übernehmen. Es muss dabei darum gehen, die soziale Frage mit der Beendigung der Besatzung zu verknüpfen. Sozialdemokratisch-stalinistische Gruppen wie „Hadash“ und autonome Antifa-Gruppen haben auf den Großdemonstrationen mit ihrem „radical bloc“ ein starkes Zeichen gesetzt. Darin fanden sich viele palästinensische Fahnen, „Palestinen Lives Matter“-Schilder als auch Banner mit der Aufschrift „There’s no democracy with apartheid,” oder “A nation that occupies another nation will never be free“. Dabei ist das Zeigen der palästinensischen Flagge seit Neustem eine durchaus heikle Angelegenheit. So hatte Ben-Gvir zuvor das Zeigen von Palästina-Flaggen auf öffentlichen Plätzen verboten, weil diese angeblich für „Terrorismus“ stünden.

Dieser Block wurde damals von anderen Demonstrant_Innen aktiv angegangen und versucht von der Demo zu drängen, jedoch konnte sich der pro-palästinensiche Block mit der Zeit etablieren und deutlich anwachsen.

Die Proteste setzen Netanjahus Regierung real unter Druck, gerade deshalb weil die Protestierenden sich überdurchschnittlich stark aus Beschäftigten zentraler Bereiche, zum Beispiel IT-Spezialist_Innen, zusammensetzen. Auch zahlreiche Kulturschaffende sowie Klein- und Mittelunternehmer_Innen unterstützen die Proteste und lehnen die Justizreform ab. Auch der israelische Gewerkschaftsbund Histadrut, der aufgrund seiner historisch stark ausgeprägten Staatstreue bisher nicht zu den Demonstrationen aufrief, droht nun damit, sich anzuschließen und seine 800.000 Mitglieder zum Protest, und eventuell zum Streik, aufzufordern.

Was braucht es um Netanjahu, Ben-Gvir und Co. Zu schlagen?

Für uns als Sozialist_Innen ist klar, dass eine Demokratie unter den Bedingungen kapitalistischer Profitmaximierung sowie ethnischer Segregation und rassistischer Ungleichbehandlung nur Heuchelei ist. Israel kann nur dann wirklich demokratisch sein, wenn es auch Palästinenser_Innen dieselben Rechte zugesteht wie jüdischen Israelis und die Produktionsmittel gemeinsam demokratisch kontrolliert werden.

Revolutionär_Innen müssen sich den Massenprotesten gegen Netanjahu anschließen und gemeinsam mit den antizionistischen Kräften vor Ort für eine unabhängige Position der Arbeiter_Innenklasse kämpfen. Ein zentraler Punkt dabei ist die Anerkennung des Rechts der Palästinenser_Innen auf nationale Unabhängigkeit. Ebenso steht ihnen auch das Recht zu, sich gegen Angriffe zu verteidigen und gegen die fortwährende Besatzung zu wehren. Wir verteidigen dieses Recht, auch wenn wir Angriffe auf Zivilpersonen, insbesondere den brutalen Anschlag auf die betenden Menschen in der Synagoge in Ost-Jerusalem, entschieden ablehnen. Die sinnlosen Angriffe von Palästinenser_Innen auf Zivilpersonen sind ein Ausdruck der Führungskrise im palästinensischen Widerstand, der den verschärften Angriffen kaum eine glaubhafte Perspektive entgegenzusetzen hat. Dies liegt an der Schwäche der palästinensischen Linken und dem historischen Verrat der Stalinist_Innen in ihren Reihen, aber auch an der verräterischen Politik der palästinensischen Autonomiebehörde, der Abwesenheit von legalen Protestmöglichkeiten und dem Siegeszug des politischen Islams in der gesamten Region. So konnten sich Hamas und Islamischer Jihad als die „entschlossenere Alternative“ präsentieren, obwohl sie beide reaktionäre Organisationen sind, die nicht im Interesse der palästinensischen Arbeiter_Innenklasse handeln.

Netanjahu, Ben-Gvir und ihre reaktionäre Bande können nur geschlagen werden, wenn sich die israelischen Arbeiter_Innen, Jugendlichen und Unterdrückten mit den palästinensischen Massen zusammenschließen. Wenn sie gemeinsam kämpfen gegen Justizreform, Besatzung und Neoliberalismus aber auch gegen die reaktionäre Politik palästinensischer Kräfte wie Hamas und Fatah. Dies würde bedeuten anzuerkennen, dass israelische und palästinensische Arbeiter_innen objektiv dieselben Interessen und Ziele haben und dass sie nur die subjektiven Ketten des Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus davon trennen. Die Geschichte hat schon oft gezeigt, dass nationale Gegensätze im gemeinsamen Kampf für gleiche Ziele verschwinden können. Unsere Perspektive ist die eines säkularen multi-ethnischen Arbeiter_Innenstaates zu kämpfen, in dem jeder Mensch unabhängig von seiner Religion und Hautfarbe in Frieden leben kann.




Erneute Eskalation im Nahost-Konflikt? 6 Fragen – 6 Antworten!

Von Lia Malinovski, Februar 2023

Warum ist dieses Framing problematisch?

In den letzten Tagen hat sich die Gewaltspirale zwischen der israelischen Regierung und palästinensischen Gruppen wieder erneut heftig in Gang gesetzt. In den bürgerlichen Medien ist dabei von einer „Eskalation im Nahost-Konflikt“ die Rede. Dabei wird einerseits in guter alter kolonial-eurozentristischer Manier vom „Nahen Osten“ gesprochen (, denn ob das Ganze nah ist und im Osten liegt, hängt natürlich vom Standpunkt der Betrachterin ab). Auch die Rede von einer Eskalation trifft den Punkt nicht ganz, denn die jahrzehntelange Besatzung, Entrechtung und Unterdrückung der Palästinenser_innen stellen für sich genommen schon ein ziemlich eskalatives Level in einem Konflikt zwischen Bevölkerungsgruppen dar. Erst dann von Eskalation zu sprechen, wenn es zu Gewaltausbrüchen kommt, suggeriert als wäre vorher eigentlich alles tutti bzw. nicht ganz so schlimm gewesen. Doch die Palästinenser_innen spüren die Gewalt des Besatzungsregimes Tag für Tag.

Was genau ist in den letzten Tagen passiert?

Ausgangspunkt der Gewaltspirale war ein Angriff des israelischen Militärs auf ein palästinensisches Geflüchtetencamp in Jenin (Westbank). Die Soldat_innen richteten dabei ein Blutbad an, bei dem 9 Menschen getötet wurden. Weitere 20 Palästinenser_innen wurden bereits in diesem noch sehr jungen Jahr durch das israelische Militär getötet. Die im Gazastreifen regierende Hamas beantwortete das Massaker mit Raketenangriffen auf den Süden Israels, die jedoch keinen nennenswerten Schaden anrichteten. Das israelische Militär flog daraufhin Luftangriffe auf Stellungen der Hamas. Im Zuge dessen kam es auch zu Angriffen auf zivile Opfer in israelischen Siedlungen im palästinensischen Teil Jerusalems. Dabei wurden bei einem Anschlag auf eine Synagoge 7 Israelis brutal ermordet.

Was ist der Grund für die Angriffe?

Der Grund für das verschärfte Vorgehen des israelischen Militärs ist wohl die neue extrem-rechte Koalitionsregierung, die die rechteste ist, die es jemals in Israel gab. An ihrer Spitze steht der altbekannte Benjamin Netanjahu. Minister für Nationale „Sicherheit“ ist der rechtsradikale Siedler Itamar Ben-Gvir. Dieser sticht unter den vielen rassistischen Äußerungen von Mitgliedern der neuen Regierung zusätzlich dadurch negativ hervor, dass er die Massaker israelischer Siedlerterroristen wie Baruch Goldstein legitimiert, „illoyale“ Palästinenser_innen ausweisen will und auch schon persönlich angesichts palästinensischer Proteste die Pistole gezückt hat. Mit Blick auf das relativ knappe Wahlergebnis versucht sich die neue rechtsextreme Regierung nun durch ein besonders hartes Vorgehen und weitere Einschnitte in die Rechte der Palästinenser_innen zu profilieren. Dabei steht sie stark unter Druck. Mit der sich verschärfenden Wirtschaftskrise geht auch eine verstärkte Verelendung der Arbeiter_Innenklasse in Israel einher, die sich besonders in Reallohnverlusten, massiver Inflation, Entlassungen und schlechteren Arbeitsbedingungen äußert. Die israelische Regierung versucht jetzt durch nationalistische Propaganda und der Erweiterung des israelischen Staatsgebiets dieser Krise durch kurzfristige Scheinlösungen zu begegnen und die israelische Arbeiter_Innenklasse mittels Nationalismus an die herrschende Klasse zu binden und damit ihre Schlagkraft zu verringern.

Gibt es auch auf israelischer Seite Widerstand dagegen?

Dass die Palästinenser_innen das brutale Vorgehen der neuen Regierung nicht widerstandslos über sich ergehen lassen, ist nur allzu verständlich. Doch auch in Israel gibt es viele kritische Stimmen. So haben wir zahlreiche Massendemonstrationen in Israel gesehen, die gegen die neue Regierung auf die Straße gegangen sind. Zwar bieten diese Demonstrationen insgesamt keine sozialistische Perspektive und formulieren in ihrer Gesamtheit keine grundsätzliche Kritik am israelischen Staat oder dem Zionismus, sind jedoch Ausdruck der Unzufriedenheit mit dieser extrem rechten Regierung. Sie können einen Ausgangspunkt für Widerstand in der israelischen Bevölkerung bieten, wenn fortschrittliche Organisationen es verstehen, in diese Proteste die Position der israelischen und der palästinischen Arbeiter_innenklasse zu tragen und die Führung zu übernehmen. Es muss dabei darum gehen, die soziale Frage mit der Beendigung der Besatzung zu verknüpfen. Kommunistische Gruppen wie „Hadash“ und Antifa-Gruppen haben auf der über 100 000 Teilnehmende zählenden Großdemonstration in Tel Aviv in der vergangenen Woche mit ihrem „radical bloc“ ein starkes Zeichen gesetzt. Darin fanden sich viele palästinensische Fahnen, „Palestinen Lives Matter“-Schilder als auch Banner mit der Aufschrift „There’s no democracy with apartheid,” oder “A nation that occupies another nation will never be free“.

Wie ist die Reaktion der Palästinenser_innen zu bewerten?

Den Palästinenser_innen steht das Recht auf nationale Selbstbestimmung zu und auch, sich gegen Angriffe zu verteidigen und gegen die fortwährende Besatzung zu wehren. Wir verteidigen dieses Recht, auch wenn wir Angriffe auf Zivilpersonen, insbesondere den brutalen Anschlag auf die betenden Menschen in der Synagoge in Ost-Jerusalem, entschieden ablehnen. Dass es angesichts der israelischen Besatzungspolitik zu solchen Anschlägen kommt und eine auf die Arbeiter_innenklasse gestützte Taktik im palästinensischen Widerstand fehlt, ist auf die Schwäche der palästinensischen Linken, den Verrat der Stalinist_innen in ihren Reihen, die verräterische Politik der palästinensischen Autonomiebehörde, die Abwesenheit von legalen Protestmöglichkeiten und den Siegeszug des politischen Islams in der gesamten Region zurückzuführen. So konnten sich Hamas und Islamischer Jihad als die „entschlossenere Alternative“ präsentieren. Dabei sind beide reaktionäre Organisationen, die nicht im Interesse der palästinensischen Arbeiter_Innenklasse handeln. Sie sind reaktionär, da sie in ihren Taktiken gezielt Jüd_innen angreifen, anstatt die israelische Staatsmaschinerie zum Ziel zu erklären und für Verbesserungen zu kämpfen. In ihrer Ideologie stellen sie sich gegen Jüd_innen, aber auch gegen andere Ethnien (auch innerhalb der palästinensischen Bevölkerung) und vor allem gegen queere Menschen und Frauen, deren Unterdrückung sie aktiv befürworten. Ihre Taktik dient dazu, sich als Führungskraft des Befreiungskampfes zu inszenieren, indem sie hin und wieder mal Raketen nach Israel schicken. Sie tun dies, da sie davon profitieren, wenn sie sich als Führung ausgeben können, wenn sie Israel symbolisch angreifen und die Reaktion propagandistisch ausschlachten können. Damit machen sie es der israelischen Führung auch leicht, die Palästinenser_innen zum kollektiven Feind zu erklären. Mit ihren Aktionen verfolgen Hamas und Islamischer Jihad keine Strategie zur Befreiung Palästinas, sondern eine Strategie zur Erhaltung ihrer Macht, hinter der eine Klasse aus Klerikalen und Bürokraten steht.

Die palästinensische Bourgeoisie wird dagegen vor allem von der konservativen Fatah vertreten, welche die Regierungsgeschäfte der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in der Westbank lenkt. Diese ist eine Institution, die aufgrund der sehr schwachen palästinensischen Wirtschaft nur durch ausländische Entwicklungshilfe aus der EU und den USA am Leben erhalten werden kann. Da das Hauptinteresse der EU und der USA die Sicherheit ihres Verbündeten Israel ist, binden sie ihre Zahlungen daran, dass die PA für „Ruhe und Ordnung“ in den palästinensischen Gebieten sorgt. Ein großer Teil der Zahlungen fließt deshalb ausschließlich in den palästinensischen Militär- und Polizeiapparat. Die PA unter Führung der konservativen Partei Fatah wird also dafür bezahlt, die palästinensische Bevölkerung ruhig zu halten und Aufstände gewaltsam zu unterdrücken. Diese Funktion führt sie im Rahmen einer „Sicherheitskooperation“ mit dem israelischen Militär aus. Die PA übernimmt somit die Rolle einer Verwalterin der Besatzung und entwickelte sich in der Vergangenheit zu einem autoritären Polizeistaat, der die Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit unterdrückt und die israelische Besatzung zementiert. Diese „Sicherheitskooperation“ wurde nun als Reaktion auf das Blutbad in Jenin einseitig durch die PA aufgekündigt. Dies ist jedoch nicht als eine Linksentwicklung der Fatah zu verstehen, sondern vielmehr als den verzweifelten Versuch, noch irgendeine Form von Ansehen und Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung zu behalten.

Was setzen wir dem entgegen?

Was es braucht, ist eine unabhängige Position der palästinensischen Arbeiter_innenklasse, die keine Illusionen in die bürgerlichen Kräfte Hamas, Islamischen Jihad oder die Fatah hat. Diese würde bedeuten zu erkennen, dass israelische und palästinensische Arbeiter_innen dieselben Interessen und Ziele haben und dass sie nur die Ketten des Kapitalismus und Nationalismus davon trennen. Die Geschichte hat schon oft gezeigt, dass nationale Gegensätze im gemeinsamen Kampf für gleiche Ziele verschwinden können. Unsere Perspektive ist die eines säkularen multi-ethnischen Arbeiter_innenstaates zu kämpfen, in dem jeder Mensch unabhängig von seiner Religion und Hautfarbe in Frieden leben kann. Um jedoch die Palästinenser_innen für diese Position zu gewinnen, dürfen wir nicht als kommunistische Besserwisser_innen am Rande des Kampfes stehen und zuschauen. Wir müssen uns als Teil ihres Kampfes für nationale Selbstbestimmung verstehen, auch wenn uns die Führung dieses Kampfes aus reaktionären Kräften nicht passt, sein Ziel ist trotzdem legitim. Nur indem wir das legitime Recht dieses Befreiungskampfes bedingungslos verteidigen und die israelische antizionistische Opposition unterstützen, werden die Massen offen für unsere Positionen sein und den Kampf um die nationale Selbstbestimmung mit der Klassenfrage zu verbinden. Hier vor Ort muss das bedeuten, aktiv gegen Waffenlieferungen und militärische Unterstützung für Israel durch die BRD zu sein. Sich gegen Betätigungs- und Demonstrationsverbote für palästinensische Organisationen auszusprechen und den palästinensischen Befreiungskampf gegen verleumderische Antisemitismusvorwürfe zu verteidigen.

Als REVOLUTION bieten wir dem Kampf deshalb die folgende Perspektive:

  • Verbindung der Kämpfe der israelischen Arbeiter_Innenklasse mit dem Kampf um nationale Selbstbestimmung in Palästina! Für Massenstreiks und gemeinsame Aktionens von Palästinenser_innen und der israelischen Arbeiter_innenklasse gegen Inflation, Reallohnverluste, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und für die Kontrolle der Klasse über die Schlüsselindustrien!
  • Es gibt kein Existenzrecht für kapitalistische Nationalstaaten! Für den Aufbau eines freien, rätedemokratischen, sozialistischen Palästinas, das den bürgerlichen Staat Israel durch demokratische Strukturen und friedliches Zusammenleben im Rahmen einer Föderation sozialistischer Staaten ersetzt!
  • Für volle Staatsbürger_innenrechte für alle, da wo sie gerade Wohnen, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion!
  • Für volle Religionsfreiheit und gegen religiöse Staaten! Jede_r muss das Recht haben, die eigene Religion auszuüben, solange die Unversehrtheit anderer gewährleistet ist!
  • Für demokratische Milizen zur Verteidigung vor rassistischen, antisemitischen oder sonstigen reaktionären Angriffen, gewählt durch die Arbeiter_innenklasse Palästinas und Israels!



Gegen jeden Antisemitismus!

Statement von anti-imperialistischen Kräften in FridaysForFuture, erschienen im Januar 2023

Unsere Anmerkungen

Wir solidarisieren uns mit den anti-imperialistischen Kräften in FridaysForFuture, die Klimagerechtigkeit auch wirklich

Wir solidarisieren uns mit den anti-imperialistischen Kräften in FridaysForFuture (FFF), die Klimagerechtigkeit auch wirklich ernst meinen und nicht einzelne Bevölkerungsgruppen davon ausschließen. Der unten dargestellte Fall reiht sich ein in mehrere undemokratische und rassistische Äußerungen der Führung von FFF, sei es gegenüber „Palästina spricht“ in Bremen, gegenüber Ali Kocak in Berlin oder in zahlreichen Tweets und Posts im Internet. Um so wichtiger ist es, dass wir uns nicht mundtot machen lassen und die Politik der Führungsfiguren von FFF gemeinsam in Frage stellen und eine internationalistische Perspektive aufwerfen.
Deshlab spiegeln wir an dieser Stelle das folgende Statement von antirassistischen Aktivist_innen innherhalb von FFF. Dabei möchten wir jedoch darauf verweisen, dass wir einen anderen Antisemitismusbegriff haben und halten einige Darstellungen in dem Statement für verkürzt. Deshalb sei an dieser Stelle auf unseren Artikel „Was ist Antisemitismus?“ verwiesen. In unserem Programm findet ihr außerdem, was eigentlich unsere Position zum Nah-Ost-Konflikt ist. Wir stehen den Autor_innen des Statements jedoch solidarisch zur Seite und fordern alle Internationalist_innen in FFF auf, die rassistische und undemokratische Politik der Führung von FFF offen zu kritisieren. What do we want? Climate Justice!

https://onesolutionrevolution.de/smash-fascism/

https://onesolutionrevolution.de/was-ist-antisemitismus-und-wie-kann-er-bekaempft-werden/

Statement:

Seit Beginn des Jahres wurden min. 32 Palästinenser*innen von der IDF ermordet, dass sind mehr Menschen als das Jahr Tage hat. Trotzdessen hat sich FFF Deutschland (@FridayForFuture) erneut von einem Tweet von FFF International (@fridays4future) distanziert, welcher diese Fakten auf den Tisch gelegt und sich hinter widerständige Palästinenser*innen gestellt hat. Sie unterstellen FFF Int. Antisemitismus und verschieben den Diskurs, indem sie behaupten, dass verkürzte Darstellungen gemacht würden und der Konflikt „zu komplex“ sei.

Es handelt sich um einen Konflikt mit einer unterdrückenden und einer unterdrückten Partei. Die Toten werden schlichtweg ignoriert.

Da fragen wir uns, sind die Almans mit ihrem Lastenrad gegen eine Wand gefahren? Hat der Grünen-Sticker jetzt einen Kratzer? Das würde ihnen wahrscheinlich mehr bedeuten als 32 ermordete Menschen.

Kritik an Apartheid und Siedlungskolonialismus ist kein Antisemitismus, sondern „antikoloniale Pflicht“. So formulierten es unsere Genoss*innen von BiPoC for Future unter dem Tweet von FFF Deutschland, & dem können wir uns nur anschließen.

Israel ist, um es einmal ganz deutlich auszudrücken, ein neokolonialer Apartheidsstaat¹ mit einer rechtsextremen Regierung!

Die neue israelische Regierung hat kein Interesse an einer 2-Staaten-Lösung und macht diese zunichte. Gerade wird mehr über das Wort „Intifada“ geredet als über Apartheid. Um das eben abzuschließen: „Intifada²“ ist ein arabisches Wort und steht für „Aufstand“ bzw. „sich erheben“.

Die palästinensischen Intifadas waren Aufstände gegen ihre Unterdrückung und Ermordung. Sie machten Gebrauch von Massenprotesten, Generalstreiks, Frauenkomitees, selbstversorgenden Rätestrukturen von unten, Massenboykott bis hin zu militantem Widerstand. Angriffe auf Zivilist*innen unterstützen wir natürlich nicht. Intifada hat nichts mit „Vernichtungsantisemitismus“ oder gar „alle Jüd*innen ermorden“ zu tun. Hier wird Staat und Religion gleichgesetzt. Es möge argumentiert werden, dass Israel aber ein oder gar der einzige Safe-Space für Jüd*innen sei. Doch ein kapitalistischer Staat kann niemals ein Safe-Space sein. Es geht der israelischen Regierung nicht um die Menschen, sondern um Zahlen & Prozente. Auch sind einige Jüd*innen in Israel nicht sicher, jene, die arabisch-sprachig und oder Schwarz sind.

Und was ist eigentlich mit den Jüd*innen in Israel und auf der ganzen Welt, welche die Idee des Zionismus ablehnen? Auch diese sind dort keinesfalls sicher. Unser Ziel sollte sein, eine intersektionale Gesellschaft aufzubauen, in der alle Menschen sicher sind.

Erwähnenswert ist auch, dass selbst Shoa-Überlebende, wie Esther Bejarano, zu Lebzeiten von den gleichen Leuten als „Antisemitin“ diffamiert wurde, weil sie sich für palästinensische Menschenrechte eingesetzt hat.

Übrigens:

Die Distanzierung von dem Tweet wurde mit der FFF-Bewegung in Deutschland nicht einmal abgesprochen. Das, was die deutsche Fridays for Future-„Bundesebene“ gerade abzieht, ist schlichtweg undemokratisch. Das zeigt einmal wieder die extremen Machtstrukturen innerhalb von FFF Deutschland. Auch behauptet die Bundesebene, dass FFF Deutschland die IHRA-Definition von Antisemitismus übernommen hätte, was zu keinem Zeitpunkt besprochen oder beschlossen wurde. Sogar Jüd*innen die eine andere Meinung vertreten, werden nicht gehört. Zur IHRA-Definition hat auch die Rosa Luxemburg Stiftung eine empfehlenswerte Analyse gemacht³.

Es hat sich ein weiteres Mal gezeigt, wenn die deutsche FFF-Bundesebene int. Klimagerechtigkeit sagt, meint sie das nicht wörtlich, schon gar nicht, wenn es um antikoloniale Klimagerechtigkeit geht.

Vertraut den Drecksliberalen nicht!

Hoch die internationale Solidarität!

Yallah Intifada!

¹ 1. https://www.un.org/en/genocideprevention/documents/atrocity-crimes/Doc.10_International%20Convention%20on%20the%20Suppression%20and%20Punishment%20of%20the%20Crime%20of%20Apartheid.pdf

2. https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apartheid/#:~:text=This%20is%20apartheid.,order%20to%20benefit%20Jewish%20Israelis

3. https://www.hrw.org/report/2021/04/27/threshold-crossed/israeli-authorities-and-crimes-apartheid-and-persecution

4. https://www.btselem.org/apartheid

²Arabisch – Sich erheben, loswerden, abschütteln

³https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/rls_papers/Papers_2-2019_Antisemitismus.pdf




Palästinasolidarität bei FridaysForFuture?

Debattenbeitrag von Lia Malinovski

Aktuell läuft bei der klimaaktivistischen Jugendorganisation Fridays For Future in Deutschland eine Debatte um Palästinasolidarität. Die internationale Organisation hat sich durch mehrere Tweets und Posts auf anderen Social-Media-Kanälen solidarisch mit dem palästinensischen Befreiungskampf gezeigt, die deutsche Organisation distanzierte sich davon. Durch unsere Intervention bei Ende Gelände, nicht zuletzt aber durch die Rede der palästinensischen Organisation „Palästina Spricht“ auf dem globalen Klimastreik am 23.September in Bremen, ist die Debatte aktueller denn je bei Fridays For Future.

Palästinasolidarität – Notwendig oder Antisemitisch?

In unserem Artikel „Unsere Solidarität mit Palästina war niemals antisemitisch, ist nicht antisemitisch und wird auch nie antisemitisch werden!“ gehen wir tiefer in die Thematik ein, ob Palästinasolidarität antisemitisch sei. Kurz gesagt, linke Solidarität mit Palästina und dem Kampf gegen den Zionismus, ist kein Antisemitismus, sondern sollte eine revolutionäre Notwendigkeit sein!

Die Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus ist zutiefst antisemitisch und rassistisch; antisemitisch unter anderem daher, dass es eine Gleichsetzung des Zionismus und des Staates Israel mit dem Judentum bedeutet, rassistisch unter anderem daher, dass diese Ideologie Hass auf Palästinenser_innen und vor allem ihre Vertreibung legitimiert.

Das zeigt sich beispielsweise an den etlichen Morden, die die IDF (Israel Defence Forces) regelmäßig an Palästinenser_innen verübt, deutlich über 100 Menschen wurden alleine in diesem Jahr durch die Besatzungsmacht getötet, aus Gründen die selbst aus bürgerlicher Sicht unverhältnismäßig und völlig illegitim sind. Auch zionistische häufig extrem rechte Siedler_Innen morden in den palästinensischen Gebieten nicht selten und üben sehr oft, quasi immer ungestraft und häufig durch die IDF gedeckt, Gewalt gegen Palästinenser_Innen und solidarische Israelis aus.

Die Frage des Existenzrechtes Israels

In der Debatte bei Fridays for Future ist eine Frage besonders zentral: Die Frage nach dem Existenzrecht Israels. Dabei lenkt diese Frage vom eigentlichen Thema ab. Es ist das Ziel, mit Debatten über das Existenzrecht eines rassistischen Staates, die Unterstützung des antikolonialen Kampfes als antisemitisch und damit rechts und falsch abzustempeln. Anstatt über das Existenzrecht Israels zu sprechen, sollte Fridays For Future über die Unterdrückung der Palästinensischen Bevölkerung sprechen und wie sie den Kampf dagegen unterstützen können. Klimaschutz ist nur im Rahmen eines antikolonialen, und damit antirassistischen, Kampfes möglich! Letzten Endes muss sich Fridays For Future positionieren – entweder sie unterstützen einen antirassistischen Kampf, oder einen rassistischen Kolonialstaat.

Da diese Frage weiter aufkommen wird, wollen wir uns trotzdem kurz damit beschäftigen:

Wer die Frage stellt, ob man dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht, versucht zu sagen, dass man einen jüdischen Schutzraum zu unterstützen hat. Gerade mit Blick auf den zunehmenden Antisemitismus weltweit, ist die Forderung nach einem jüdischen Schutzraum, solange die Gefahr des Antisemitismus nicht gebannt ist, durchaus nachvollziehbar und in vielen Teilen auch sinnvoll.

Doch in Bezug auf Israel, geht jegliche Logik verloren: Ein jüdischer Schutzraum müsste für alle Jüd_innen, die in diesem Raum leben wollen, zugänglich und sicher sein. Israel hingegen ist für schwarze Jüd_innen kein sicherer Ort, wie die rechte Regierung Netanyahus und die israelische Rechte immer wieder mit öffentlichen Aussagen und Angriffen bishin zu kleineren Pogromen deutlich machen. Auch kann ein kapitalistischer Staat kein Schutzraum sein, denn es wird immer Spaltung und Unterdrückung innerhalb der Klassengesellschaft geben. Ein wahrer Schutzraum für Jüd_innen kann nur ein sozialistischer Staat sein, in dem alle Ethnien friedlich miteinander leben können, ein Staat unter der Kontrolle des Proletariats!

Fridays for Future muss sich positionieren, Schluss mit dem Teilen von rassistischen Ideen und der Legitimation von Unterdrückung! Klimaschutz heißt notwendigerweise Solidarität mit antikolonialen Befreiungskämpfen weltweit!

  • Freiheit für die durch das israelische Militär besetzten Gebiete! Schluss mit der zionistischen Unterdrückung und für den Aufbau eines vereinigten, säkularen und sozialistischen Palästinas, in dem Angehörige verschiedener Religionen und Atheist_innen, sowie Menschen sämtlicher Ethnien und Kulturen, gleichberechtigt miteinander leben können. Für eine vereinigte sozialistische Föderation im gesamten Nahen Osten!
  • Für globale Klimagerechtigkeit! Die imperialistischen Staaten sollen für die von ihnen verursachten Schäden bezahlen! Streichung der Schulden für die Halbkoloniale Welt!



Rassistische Berichterstattung kann Klimaintifada nicht aufhalten

Im Rahmen der aktuell stattfindenden Hamburger Aktionswoche von Ende Gelände, einem Bündnis aus linken und ökologischen Initiativen, wird auf den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung, Ausbeutungsverhältnissen und dem besonderen Elend des globalen Südens verwiesen. Die Jugendorganisation REVOLUTION begrüßt diese Entwicklung. Die kapitalistischen Zentren Europas verlagern seit Jahren Umweltzerstörung und Abfälle ihrer neoliberalen Konsumgesellschaften zunehmend auf die armen Länder der Welt.

Der Widerstand gegen diese Umstände, die die Lebensgrundlage aktueller und künftiger Generationen weltweit zerstören, verlangt eine grundlegende Veränderung. Diese Veränderung muss die Gesellschaft im Allgemeinen und materiell ergreifen, mit dem Ziel, die globale Produktion und die Nutzung begrenzter Ressourcen rational und demokratisch zu planen. Sie muss aber auch in unserem Denken ihren Anfang finden.

Ein Teil dieses Prozesses muss beinhalten, die Arroganz zu überwinden, die in der offiziellen Ideologie der Metropolen der globalen Ausbeutung und Umweltzerstörung verankert ist. Die Jugendorganisation REVOLUTION bezieht sich daher positiv auf demokratische und revolutionäre Traditionen, die auch außerhalb Deutschlands und Europas existieren. In diesem Sinne rief sie zu einer „Klimaintifada“ auf. Intifada ist ein Wort aus dem Arabischen und bedeutet, sich zu „erheben“, „etwas abzuschütteln“ oder „loszuwerden“. Das Wort blickt auf eine lange Tradition demokratischer und revolutionärer Kämpfe im arabischen Raum zurück. Seit dem 12.08.2022 bemühen sich deutsche Medien, insbesondere die Springerpresse, diesen Begriff antisemitisch umzudeuten.

Es ist wahr, dass der Begriff der Intifada auch durch demokratische Bewegungen der Palästinenser:innen gegen ihre ethnisch und religiös begründete Unterdrückung durch den israelischen Staat geprägt ist. Während diese Zeilen geschrieben werden, führt der militärisch und wirtschaftlich überlegene israelische Staat Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung. Auch in der Vergangenheit wurden demokratische Bewegungen durch ihn mit brutaler Gewalt niedergehalten, die sich mit der arabischer Diktaturen bei der Niederschlagung des arabischen Frühlings messen kann. Dieser Umstand wird im Übrigen auch von den Gremien der Vereinten Nationen anerkannt.

Die Jugendorganisation REVOLUTION steht in einer langen und nachweisbaren Tradition, demokratische Bewegungen weltweit zu unterstützen. Eines von vielen Beispielen internationaler Solidarität stellt ihr gemeinsames Engagement mit linken Juden/Jüdinnen und Palästinenser:innen für eine demokratische und sozialistische Einstaatenlösung im Raum Palästina/Israel dar, in dem alle Bürger:innen egal welcher Ethnie oder Religion gleichberechtigt, mit vollen sozialen und demokratischen Staatsbürgerrechten ausgestattet leben können.

In diesem Licht zeigt die aktuelle Berichterstattung vier Dinge:

1. dass die bürgerliche Presse in Deutschland jeden Anlass nutzen möchte, um Klimaproteste, die über symbolischen Protest hinausgehen, zu verunglimpfen, mit welch absurden Mitteln auch immer.

2. Sie wird daher dem Anspruch einer demokratischen Berichterstattung nicht gerecht.

3. Die berichtenden Journalist:innen, die sich verunglimpfend über den Begriff der Klimaintifada äußerten, sind in einem rassistischen und orientalistischen Weltbild verfangen. Ein Begriff steht hier scheinbar prinzipiell unter dem Verdacht, da er ein arabischer ist.

4. Etliche berichtende Journalist:innen und Medien erfüllen nicht die grundlegenden Standards ihrer Profession. Eine ernsthafte Recherche würde ergeben, dass die Jugendorganisation REVOLUTION keine antisemitische Organisation ist, sondern sich für einen demokratischen und sozialistischen Staat auf dem Gebiet Israel/Palästina einsetzt und antisemitische Verschwörungstheorien, wie sie im WELT-Artikel reproduziert werden („ … suggeriert einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und dem jüdischen Volk“), klar ablehnt.

Die Positionen der Jugendorganisation REVOLUTION mögen der Springerpresse nicht gefallen oder jenen, die ihr nach dem Mund reden. Sie müssen es auch nicht.

Die Springerpresse ist kaum bekannt dafür, eine Vertreterin für Demokratie oder Wahrheit zu sein. Dass sie der Meinung ist, das Wort Intifada antisemitisch zu deuten, während der israelische Staat erneut Krieg auf palästinensischem Gebiet führt, ist nichts als hetzerische Propaganda. Es ist genauso absurd, als wollte man der berechtigten Verteidigung des Selbstbestimmungsrechtes der ukrainischen Bevölkerung prinzipiell einen gegen Russland gerichteten Rassismus unterstellen. Wir sind der Springerpresse aber dankbar dafür, dass sie uns mit ihrer Hetze, die bereits Rudi Dutschke ins Grab brachte, erneut an einen wichtigen Umstand erinnert: Dieses rechte, antidemokratische und imperialistische Hetzblatt gehört enteignet und unter demokratische gesellschaftliche Kontrolle gebracht. In jedem Fall, wir werden uns ihrer orientalistischen und rassistischen Hetze nicht beugen. Sie wird die Klimaintifada – oder wie es einem (anti)deutschen Kleingeist vielleicht besser schmecken mag, Klimaerhebung – nicht aufhalten.




Nakba-Tag – 5 Fragen 5 Antworten

Von Leila Cheng, Mai 2022

Am 15. Mai ist der Tag der Nakba. Ein Tag, an dessen Gedenken wir uns beteiligen wollen und an dessen Kampf der unterdrückten Palästinenser_Innen wir anknüpfen wollen.

  1. Aber was ist überhaupt die Nakba und warum sollten wir ihr Gedenken?

Nakba = Katastrophe und beschreibt die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem historischen Gebiet Palästina mit der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 und dem Krieg der umliegenden Staaten gegen Israel am folgenden Tag, den Israel als Begründung für die Vertreibung nutzte. Die Lage hat sich im historischen Gebiet Palästina seitdem natürlich verändert. Gegen die Vertreibung von ca. 5 Millionen Palästinenser_Innen (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Palästinensisches_Flüchtlingsproblem*) und die Kolonialpolitik Israels gab es zwei große Aufstände (Intifadas). In Folge dessen entstand die Idee der 2 Staaten Lösung, also dass ein palästinensischer und ein israelischer Staat gegründet wurden. Diese scheiterte jedoch. Heute gibt es nur noch „autonome“ palästinensische Gebiete, den Gazastreifen und das Westjordanland. Diese werden aber immer weiter verdrängt durch die Siedlungspolitik und militärischen Angriffe Israels.

  1. Doch warum vertreibt und diskriminiert Israel die Palästinenser_Innen?

Der israelische Staat baut auf der Ideologie des Zionismus muss auf. Zionismus sagt aus, dass Jüd_Innen für ihre Befreiung und als Schutzraum gegen Antisemitismus einen bürgerlichen Staat für sich bräuchten. Aus diesem Prinzip heraus glauben Zionist_Innen, dass es einen Staat mit einer mehrheitlich jüdischen Bevölkerung braucht. Damit rechtfertigen sie die Vertreibung der palästinensischen Menschen aus ihrem Land. So gibt es nur für mehrheitlich jüdische Menschen Staatsbürger_Innenrechte in Israel. Eine Minderheit von größtenteils muslimischen Palästinenser_Innen werden im Land zwar geduldet, jedoch systematisch diskriminiert, z.B. von rechten Zionist_Innen aus ihren Häusern geworfen, angegriffen oder von staatlichen Behörden entrechtet und als Bürger_Innen zweiter Klasse behandelt. Deswegen bezeichnet sogar schon Amnesty International nach bestimmten internationalen Prinzipien Israel als Apartheidsstaat. (Quelle: https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apartheid/**)

Aber das ist nicht alles. Auch in dem palästinensischen Autonomiegebiet Westjordanland findet israelischer Kolonialismus statt. Siedler_Innen siedeln sich dort an und versuchen auch mit Waffengewalt die einheimische Bevölkerung immer mehr zu vertreiben, dadurch wird das Westjordanland immer kleiner. Außerdem erschießt das Militär wahllos palästinensische Menschen oft mit vorgeschobenen Begründungen. So wie erst vor ein paar Tagen die bekannte Journalistin Schirin Abu Aqla des palästinensischen Senders Al-Dschasira (Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/426409.bewaffnet-mit-einer-kamera.html). Gleichzeitig haben es die Menschen im Jordanland noch schwerer, weil die Fatah und die durch sie dominierte palästinensische Autonomiebehörde komplett von Israel gekauft wurden und kaum noch Widerstand gegen die Entrechtung leisten. Zudem stecken sich führende korrupte Politiker_Innen der Fatah alle internationalen Hilfsgelder in ihre Taschen, weshalb nicht mehr viel bei der einfachen Bevölkerung ankommt.

Der Gazastreifen ist wirklich autonom von Israel, jedoch sind dort viel zu viele Menschen auf engem Platz eingepfercht und vom Rest der Welt abgeschottet. Dort herrscht die islamistische Hamas. Um sich vor der Bevölkerung zu legitimieren, leisten sie scheinbaren „Widerstand“ und schießen recht ziellos Raketen nach Israel, wenn Israel wieder Palästinenser_Innen angreift, die aber fast alle vom israelischen Raketenabwehrsystem abgefangen werden. Israel schießt deutlich effektiver Raketen zurück, zerstören Häuser und tötet Tausende damit.

  1. Wie ist die aktuelle Lage im historischen Gebiet Palästina?

Im letzten Monat während des Ramadans (dem muslimischen Fasten) kam es vermehrt zur Eskalation: Im Westjordanland wurden mehrere Menschen erschossen, einige unorganisierte Palästinenser_Innen verübten Anschläge in Israel und die israelische Polizei griff palästinensische Demonstrationen in Jerusalem an. Daraufhin kam es auch zu vereinzelten Raketenschüssen von und in den Gazastreifen. Weiterhin marschierten rechte Zionist_Innen zusammen mit der israelischen Armee ins Westjordanland und besetzten neue Gebiete. Außerdem wurde die für muslimische Menschen sehr wichtige Al-Aksa-Moschee in Jerusalem erneut angegriffen (Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/424890.provokation-auf-westbank.html). Die Lage ist jetzt erstmal wieder ein bisschen entspannter geworden, aber mit der Ermordung der Journalistin im Westjordanland (siehe vorheriger Abschnitt) könnte es sich wieder zuspitzen.

Letztes Jahr hatte es eine starke militärische Eskalation gegeben und sehr viel Zerstörung durch Israel in Gaza. Dieser Krieg war ausgebrochen aufgrund eines brutal niedergeschlagenen Aufstandes der palästinensischen Bevölkerung in Sheikh Jarrah in Jerusalem, die sich gegen die Vertreibung aus ihren Häusern und den Angriff rechter Zionist_Innen auf die Al-Aksa-Moschee wehren wollten.

  1. Kann der Zionismus Jüd_Innen von Antisemitismus befreien?

Nein, natürlich nicht. Rassismus und Antisemitismus als besondere Form davon werden ja erst durch den Kapitalismus und bürgerliche Nationalstaaten erzeugt. So kann natürlich kein bürgerlicher Staat die Jüd_Innen vom Antisemitismus befreien. Der Kapitalismus braucht den Antisemitismus zum einen als Südenbock in Krisenzeiten (z.B. in Form von Verschwörungstheorien), um die Arbeiter_Innenklasse zu spalten und einen anderen vermeindlichen Feind als die Kapitalist_Innen zu erzeugen. Und ein bürgerlicher Staat ist immer pro kapitalistisch, denn er stellt das Interesse das Gesamtkapitals auf nationaler Ebene dar. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass Israel Antisemitismus nicht bekämpfen kann, sondern ihn nur durch Rassismus gegen Muslime und arabische Menschen zu ersetzen versucht. Diesen bekommen dann in Israel sogar jüdische Menschen ab. Natürlich geht der Zusammenhang von Kapitalismus und Antisemitismus noch viel weiter, jedoch lässt sich das nicht in so einem kurzen Artikel erklären. Wenn ihr euch mehr dafür interessiert, empfehlen wir euch unseren Artikel zu „Was ist Antisemitismus und wie kann er bekämpft werden?“ oder den etwas längeren aber sehr guten Revolutionären Marxismus-Band 51 zu Antisemitismus (https://arbeiterinnenmacht.de/2019/09/12/antisemitismus-zionismus-und-die-frage-der-juedischen-nation/).

  1. Doch was ist aus unserer Sicht die Lösung des Nahostkonfliktes?

Wie wir schon gehört haben scheiterte die Zwei-Staaten-Lösung, denn die israelische Siedlungspolitik ist gnadenlos und rassistisch. Deswegen sind wir für eine sozialistische Einstaatenlösung, wobei weder Jüd_Innen noch Muslim_Innen diskriminiert werden. Ein sozialistisches und säkulares und geeintes Palästina ist also das, was wir anstreben. Dafür bräuchte es allerdings einen gemeinsamen Kampf der israelischen und palästinensischen Arbeiter_Innenklasse gegen die israelische Apartheid, den US-Imperialismus, der diese aus ökonomischen Interessen stützt und das dahinterstehende Kapital. Bis dieser Kampf möglich ist, gilt es in Israel für eine starke linke und antizionistische Opposition einzutreten. Außerdem stehen wir an der Seite des palästinensischen Volkes und ihrem Kampf gegen den Kolonialismus und die Vertreibung Israels mit all ihren Facetten. Deswegen unterstützen wir den Widerstandskampf, wo wir können, auch wenn wir natürlich Kritik an der Korruption durch die Fatah und der reaktionären Politik der Hamas. Nichtsdestotrotz stehen wir als Kommunist_Innen an der Seite aller Unterdrückten Völker der Welt, also auch der Palästinenser_Innen.

Deshalb stellen wir folgende Forderungen auf:

  • Hoch die internationale Solidarität, für die Solidarisierung aller Linken und Arbeiter_Innen wie Unterdrückten mit dem palästinensischen Widerstandskampf
  • Gegen Waffenlieferung an Israel und gegen die Unterstützung des israelischen Kolonialismus‘
  • Für eine gemeinsamen Kampf für ein sozialistisches-säkulares Palästina (Einstaatenlösung)
  • Gemeinsamer Kampf aller Unterdrückten und Ausgebeuteten gegen Antisemitismus, Rassismus und ihre Ursache den Kapitalismus

*„Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) definiert (weltweit einzigartig) nicht nur die aus Palästina geflohenen und vertriebenen Araber, sondern auch ihre anderswo geborenen Nachkommen in väterlicher Linie als palästinensische Flüchtlinge. Derzeit zählt es rund fünf Millionen Menschen dazu, darunter auch im und nach dem Sechstagekrieg 1967 geflohene Palästinenser. Rund 1,5 Millionen davon leben in 58 von der UNRWA verwalteten Flüchtlingslagern (Palestine refugee camps) in JordanienSyrien, im LibanonGazastreifen und Westjordanland. Die übrigen 3,5 Millionen leben in Orten der arabischen Gastländer, oft in der Nähe der Flüchtlingslager.[2] Als Staatenlose besitzen sie dort meist keine staatsbürgerlichen Rechte und werden als Minderheit teilweise systematisch diskriminiert.“

** „Amnesty International’s new investigation shows that Israel imposes a system of oppression and domination against Palestinians across all areas under its control: in Israel and the OPT, and against Palestinian refugees, in order to benefit Jewish Israelis. This amounts to apartheid as prohibited in international law.“




Solidaritätserklärung mit Solid Berlin: Sozialistische Positionen gegen bürokratische Angriffe verteidigen!

Der Berliner LINKE-Vorstand plant, die Finanzierung der Jugendorganisation Solid Berlin zu streichen. Solidaritätserklärung linker, sozialistischer und gewerkschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen mit Solid Berlin.

Seit Längerem schon kritisiert die Linksjugend Solid Berlin, der Jugendverband der Berliner Linkspartei, den Regierungskurs der Mutterpartei. Am Sonntag, den 10. April, bekräftigte die Landesvollversammlung von Solid Berlin die Gegnerschaft zur Regierungsbeteiligung und forderte den Austritt der LINKEn aus dem Berliner Senat. Ebenso positionierte sich der Verband gegen Krieg und Aufrüstung ohne Unterordnung unter Russland oder unter die NATO, sowie für die entschädigungslose Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. Mit diesen Positionen wirbt die Linksjugend Solid Berlin für eine sozialistische Oppositionspolitik im Gegensatz zum Regierungskurs der Parteispitze in Berlin und bundesweit.

Kritik an der Parteispitze zu üben, ist gerade das grundsätzliche Recht des Jugendverbandes und seine Existenzberechtigung. Laut Zeitungsberichten unter anderem des Tagesspiegel vom 14. April sowie des neuen deutschland vom 19. April plant die Berliner LINKE-Landesvorsitzende Katina Schubert jedoch, die Finanzierung des Jugendverbandes zu streichen, weil sie mit den inhaltlichen Beschlüssen der Landesvollversammlung von Solid Berlin nicht einverstanden ist. Mit dieser bürokratischen Methode will die Spitze der Landespartei die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Beschlüssen der Landesvollversammlung von Solid Berlin vom 10. April verhindern, die die Positionen der Linkspartei in Berlin und bundesweit kritisieren.

Insbesondere kritisiert Schubert die beschlossene Positionierung “zur Situation in Israel und Palästina”, die unter anderem ein bedingungsloses Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen, die Benennung Israels als Apartheidsstaat sowie die Unterstützung einer binationalen sozialistischen Ein-Staaten-Lösung auf dem Gebiet des historischen Palästinas beinhaltet. Wie der Neuköllner LINKE-Bezirksverband schreibt, bewegen sich diese Positionen “im Rahmen des Parteiprogramms der LINKEN”.

Unter dem Vorwand des Antisemitismus, befeuert von einer Hetzkampagne des Springer-Blattes DIE WELT, sollen jedoch nicht nur diese Positionen unsagbar gemacht, sondern die gesamte kritische Haltung von Solid Berlin zum Regierungskurs der Mutterpartei mundtot gemacht werden. Dabei schreckten sie auch nicht davor zurück, einen Genossen als jüdische Stimme mundtot zu machen und ihn in der Springerpresse als antisemitisch zu diffamieren . Zum Jahresanfang fielen Teile des Bundessprecher:innenrats durch Hasstiraden gegen Palästinenser:innen auf. Unter anderem bezeichnete ein Mitglied des höchsten Solidgremiums Palästina als ein “Phantasialand”. Der Vorfall bleibt bis dato von der Partei unkommentiert und offensichtlich „im Rahmen des linken Parteiprogramms“.

Wir Unterzeichner:innen erklären uns solidarisch mit Solid Berlin, auch wenn wir hinsichtlich der Positionen des Verbands unterschiedlicher Meinung sein können. Wir lehnen entschieden die bürokratische Methode der Meinungsunterdrückung gegenüber dem Jugendverband ab, die eine antidemokratische Zwangsdisziplinierung darstellen und die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der Linksjugend Solid Berlin verhindern sollen. In diesem Sinne schließen wir uns den Äußerungen von Ulas Tekin sowie von Ferat Koçak im nd an, die sich klar gegen diese Methode ausgesprochen haben. Wir machen uns auch den Beschluss der LINKE-Basisorganisation Wedding vom 14. April zu eigen: Solid Berlin hat als “eigenständiger Verband, der auch das Recht über einen eigenständigen Willensbildungsprozess hat”, das Recht, die Positionen der LINKEn in Berlin und bundesweit zu kritisieren und eigene Positionen zu vertreten. “Wenn Katina Schubert und andere andere im geschäftsführenden Landesvorstand andere Meinungen vertreten, dann sollte dieser Dissens über Argumente und nicht über Repressionen geklärt werden. Wir fordern daher, dass die Autonomie der Linksjugend [’solid] Berlin vollständig erhalten bleibt und die Parteispitze Ihre Pläne zur Einschränkung der Verfügungsgewalt über die eigenen Mittel beendet.“

Erstunterzeichner:innen

Gruppen:
Migrantifa Berlin
Jewish Bund
Palästina Spricht Bewegung (Koalition für palästinensische Rechte und gegen Rassismus)
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Jüdisch-israelischer Dissens
„Bundestag 3 für Palästina“ BT3P
RIO / Klasse gegen Klasse
Gruppe ArtbeiterInnenmacht
Revolution
Ko-Kreis LINKE BO Wedding
LINKE Kreisverband Siegen-Wittgenstein
AKL Bünde
linksjugend [`solid] ROSA
linksjugend [`solid] Neuglienicke
linksjugend [`solid] Moabit / Tiergarten
linksjugend [`solid] Stuttgart
linksjugend [`solid] Heidelberg
linksjugend [`solid] Rems-Murr
linksjugend [`solid] Ortenau
linksjugend [`solid] Pforzheim
LAK Klassenkampf Niedersachsen/Bremen
linksjugend [`solid] Links der Weser
linksjugend [`solid] Salzgitter
linksjugend [`solid] Wolfenbüttel
linksjugend [`solid] Braunschweig
Jugendkommune Sara Dorşîn
Berlin for India
Wedding United
Berlin Migrant Strikers
India Justice project

Einzelpersonen:
Ferat Ali Kocak, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin
Bettina Gutperl, Ko-Kreis BO Wedding und Bundesvorstand DIE LINKE
Ulas Tekin, Mitglied im Landesvorstand von die LINKE Berlin
Leonard Diederich, Mitglied im Bezirksvorstand die LINKE Mitte und Sprecher BO Moabit
Franziska Lindner, Mitglied im Bezirksvorstand die LINKE Mitte
Marius Weichler, Vorsitzender des LinksTreff Wedding e.V.
Thierry Kruber Ko-Kreis BO Wedding
Niklas Schrader, Ko-Kreis BO Wedding
Fabian Nehring, Ko-Kreis BO Wedding
Ava Matheis, Delegierte für den Bezirk Mitte des 8. Landesparteitags die LINKE Berlin
Sungsoo Park, Mitglied in der BO Rixdorf
Robin Bitter, Kreisvorstand LINKE Düsseldorf
Michael Sappir, Mitglied bei SDS Leipzig
Yuval Gal cohen, Aktivstin bei Jüdisch-israelischer Dissens
Shira Bitan, Aktivistin bei Jüdisch-israelischer Dissens
Yossi Bartal, Die LINKE Neukölln
Judith Bernstein, BT3P
Amir Ali, BT3P
Christoph Glanz, BT3P
Yasemin Cetinkaya, Schauspielerin
Soulmade Dam, Produzent

Unterschreibt den Brief sehr gerne mit eurer Gruppe, Linksjugend- oder DIE LINKE Gliederung oder einfach als Einzelperson. Schreibt dafür eine kurze Mail an nord-berlin@solid-berlin.org




Solidarität mit der Jugend in Sheikh Jarrah! Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand!

Zuerst veröffentlicht unter: https://arbeiterinnenmacht.de/2021/05/11/solidaritaet-mit-der-jugend-in-sheikh-jarrah-solidaritaet-mit-dem-palaestinensischen-widerstand/

Dilara Lorin, Martin Suchanek, Infomail 1149, 11. April 2021

Seit Montag, den 10. Mai, bombardiert die israelische Luftwaffe
Gaza. Mindestens 24 Menschen, darunter 9 Kinder, wurden nach Angaben
des palästinensischen Gesundheitsministeriums bis zum Morgen des 11.
Mai getötet, 109 wurden verletzt. Insgesamt flogen die israelischen
Streitkräfte 150 Angriffe.

Die Regierung Netanjahu und die Armeeführung präsentieren und
rechtfertigen die Bombardierungen einmal mehr als Akt der
Selbstverteidigung – und in ihrem Gefolge auch die westlichen
imperialistischen Schutzmächte und Verbündeten Israels. Die Aktion
wird als Reaktion auf den Abschuss von über 100 Raketen aus Gaza
dargestellt, als Vergeltung auf eine vorhergehende Aktion der Hamas
und des palästinensischen Widerstandes, die als „Terrorist_Innen“,
„Islamist_Innen“ oder blutrünstige „Antisemit_Innen“
diffamiert werden.

Kurzum, der ideologischen Rechtfertigung der zionistischen
Regierung wie ihrer westlichen Unterstützer_Innen gelten die
Palästinenser_Innen als Aggressor_Innen. Die Vergeltungsschläge
sollen bloß „verhältnismäßig“ bleiben und, so das
stillschweigende Kalkül, nach einigen Tagen verebben.

Verschwiegen wird, worum es im „Konflikt“ eigentlich geht,
worin seine Ursachen eigentlich bestehen. Dabei verdeutlicht der
Kampf gegen die Räumung palästinensischer Wohnungen und Häuser im
Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah exemplarisch, worum es sich
dreht: um die fortgesetzte, systematische Vertreibung und nationale
Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung. Ostjerusalem soll
die nächste Etappe der Vertreibung und Annexion durch den
zionistischen Staat darstellen – eine fortdauernde, die mit der
Gründung Israels und dessen Expansion untrennbar verbunden ist.

Sheikh Jarrah

Auch wenn mittlerweile die internationalen Medien voll sind mit
Berichten über Sheikh Jarrah, die Zusammenstöße von Polizei,
zionistischen, rechten Siedler_Innen und palästinensischen
Jugendlichen, so dienen diese wohl eher dem Einschwören auf die
israelische und westliche politische Linie denn der Information.

Es wird nicht erwähnt, dass der zionistische Staat seit seiner
Gründung unablässig fortfährt, Palästinenser_Innen aus ihren
Wohnungen und Häusern zu vertreiben und dadurch in die Flucht zu
zwingen. Es werden die ultraorthodoxen und rechten Gruppierungen
nicht erwähnt, die friedlich Fasten brechende oder protestierende
Palästinenser_Innen angreifen, sie aus ihren Häusern werfen und
tatkräftig von den staatstragenden Parteien hofiert und unterstützt
werden. Es wird beim Lob für Israels  Impfkampagne nicht
erwähnt, dass in den vom Staat besetzten israelischen Gebieten die
Bevölkerung nicht nur keinen Zugang zum Impfstoff erlangt, sondern
auch das gesamte Gesundheitssystem permanent vor dem Zusammenbruch
steht. Palästinenser_Innen sind faktisch Menschen zweiter Klasse.
Ihnen werden gleiche bürgerliche Rechte vorenthalten, Westbank und
Gaza werden immer mehr von der Außenwelt abgeschottet.

Die rechte Regierung Netanjahu setzt seit Jahren auf einen
aggressiveren Kurs der Vertreibung und der Annexion von Land in der
Westbank infolge des Siedlungsbaus. Unter der Administration Trump
und deren „The Deal of the Century“ wurde Jerusalem offiziell als
Hauptstadt Israels anerkannt, eine Einladung an die zionistische
Regierung, an Behörden und Gerichte sowie an rechte Siedler_Innen,
die Annexion Ostjerusalems voranzutreiben.

Was hat all dies mit Sheikh Jarrah zu tun?

Sheikh Jarrah ist ein Viertel in Ostjerusalem, welches auch nach 
1948, der Gründung des israelischen Staates, mehrheitlich von
Palästinenser_Innen bewohnt war, während im Westen mehrheitlich
israelische Staatsbürger_Innen wohnen und Palästinenser_Innen
diesen Teil der Stadt nicht einfach so betreten dürfen. Diese
Aufteilung und das Verbot für die palästinensische Bevölkerung
sind Teil einer bewussten Politik, die immer mehr versucht, den
Wohnraum und die Existenz von Palästinenser_Innen einzuschränken.
Zwischen 2004 bis 2016 wurden 685 palästinensische Häuser in
Jerusalem zerstört. 2513 Menschen wurden obdachlos.

Heute leben mehr als 700.000 israelische Siedler_Innen in
illegalen Siedlungen in Palästina und Ostjerusalem. Aber damit
leider nicht genug, denn die Situation um Sheikh Jarrah hat 
kein Alleinstellungsmerkmal. Diese Zwangsräumungen der dort seit
Jahrhunderten ansässigen Palästinenser_Innen hat israelische
Tradition und ist tragische Geschichte von mehr als 538 Städten und
Dörfern. Den Bewohner_Innen dieses Stadtteils droht Vertreibung und
die damit einhergehende Flucht – entweder auf „legalem“ Weg,
indem israelische Gerichte Ansprüche von Siedler_Innen auf Häuser
legitimieren, die seit Jahrzehnten von Palästinenser_Innen bewohnt
wurden, oder auf „illegalem“, indem der Bau von Häusern und
Wohnungen durch Siedler_Innen nachträglich anerkannt wird. Die
Besatzungsbehörden planen außerdem den Bau von 200
Siedlungseinheiten auf dem Land und in den Häusern der Bevölkerung
von Sheikh Jarrah. Diese Vertreibung ist seit mehr als 40 Jahren ein
Teil des israelischen Siedlungsplans, um auf diesen Flächen
Siedlungen zu errichten, so wie es im Westjordanland tagtäglich
geschieht.

Al-Aqsa, Jerusalem und der Widerstand

Gegen die Räumung palästinensischer Häuser und Wohnungen wehren
sich seit Tagen vor allem Jugendliche in Ostjerusalem. Dagegen ging
die Polizei mit äußerster Brutalität, mit Blendgranaten und
Wasserwerfern vor. Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt, um
Unrecht und die Ordnung der Herrschenden aufrechtzuerhalten.

Anlässlich des „Jerusalem-Tages“, an dem in Israel die
Annexion Ostjerusalems im Zuge des 6-Tage-Krieges von 1967 gefeiert
wird, eskalierten rechte Siedler_Innen am 10. Mai bewusst die Lage,
indem sie trotz der Spannungen ihren jährlichen reaktionären
Fahnenmarsch durchführten. Diesmal wurde aus der gezielten
Provokation faktisch ein Angriff auf die Al-Aqsa-Moschee. Diese
befindet sich auf der Westseite Jerusalems in der Altstadt und bildet
für die Muslime/a eines der 3 wichtigsten Heiligtümer. Tage zuvor
schon hingen Plakate an den Wänden der Stadt, welche diese Angriffe
seitens rechter Siedler_Innen propagierten und dazu aufriefen, sich
daran zu beteiligen.

Während sich ein Teil der Palästinenser_Innen noch im
Fastenmonat Ramadan befindet, kämpfen diese und andere gegen die
Angriffe und Attacken. Es verbreiteten sich Bilder wo in der
Al-Aqsa-Moschee Jugendliche Steine sammeln, Barrikaden bauen, um dem
angekündigten Angriff entgegenzuwirken, und ein wütender Mob
Siedler_Innen an den Türen und Toren der Altstadt rüttelt. Die
Situation dauert schon seit mehreren Tagen an und es wurden mehr als
300 Palästinenser_Innen verletzt.

Der Angriff auf die Al-Aqsa-Moschee stellt dabei eine gezielte
Provokation nicht nur der Palästinenser_Innen, sondern aller
Muslime/a, ja aller Unterdrückten im Nahen Osten dar.

Dabei wurden bewusst und provokant religiöse Gefühle verletzt.
Im Kern geht es aber um keine Glaubensfrage, sondern darum, den
national und rassistisch Unterdrückten ihre Ohnmacht, ihre
Chancenlosigkeit vorzuführen.

Der Widerstand gegen die Räumungen bildet daher nur einen Aspekt
eines größeren Kampfes gegen ein System der Unterdrückung, der
Vertreibung, der fortgesetzten Kolonisierung und imperialistischen
Ausbeutung. An vorderster Front bei den Demonstrationen und Kämpfen
steht dabei oft die palästinensische Jugend.

Flächenbrand

Der Kampf um Sheikh Jarrah und um Al-Aqsa wirkt wie der berühmte Funken, der das Pulverfass zu entzünden droht. In zahlreichen Städten in der Westbank gingen Jugendliche, Arbeiter_Innen, Bauern/Bäuerinnen und die verarmten Massen auf die Straße. In Nazareth, Kafr Kana oder Schefar’am brachen in der Nacht vom Montag zum Dienstag lokale Aufstände aus. In Gaza marschieren Hunderte, wenn nicht Tausende, an die von der israelischen Armee hermetisch abgeriegelte und hochmilitarisierte Grenze.

Hamas und verschiedene Gruppen des palästinensischen Widerstandes
feuern Raketen auf Israel, wohl wissend um die blutige Antwort von
dessen Luftstreitkräften. Doch diese verzweifelten Aktionen in einem
asymmetrischen Krieg verdeutlichen auch die Entschlossenheit des
palästinensischen Volkes, dessen Würde und Existenz untrennbar mit
dem Widerstand gegen die Besatzung verbunden ist.

Dieser Widerstand gegen die Besatzung ist in all seinen Formen
legitim. Auch wenn die taktische und strategische Nützlichkeit von
Raketenangriffen auf Israel fraglich ist, so unterscheiden wir als
Revolutionär_Innen klar zwischen der Gewalt der Unterdrücker_Innen,
des israelischen Staates und seiner Armee, und der Unterdrückten und
solidarisieren uns mit dem Widerstand.

Eine neue Intifada liegt in der Luft. Die entscheidende politische
Frage ist jedoch, wie sich diese ausweiten, wie sie siegen kann. Die
zionistische Vertreibung und Expansion und die offene Unterstützung
durch Trump haben schon in den letzten Jahren die Palästinenser_Innen
in eine immer verzweifeltere Lage gebracht und auch die politische
Führungskrise in der Linken und Arbeiter_Innenklasse massiv
verschärft. Auch wenn die Palästinensische Autonomiebehörde und
die Hamas die Bewegung in Ostjerusalem unterstützen, so kollaboriert
erstere nach wie vor mit dem zionistischen Staat und jagt einer
Verhandlungslösung nach. Auch die Hamas verfügt über keine
Strategie zum Sieg und bietet eine reaktionäre, religiöse und keine
fortschrittliche, demokratische oder gar sozialistische Perspektive
im Interesse der Arbeiter_Innenklasse.

Die zentrale Frage besteht daher darin, wie die fortgesetzten
Bombardements Israels gestoppt und die lokalen Aufstände der Jugend
verbreitert werden können und in diesem Zug auch eine neue,
revolutionäre Kraft in Palästina aufgebaut werden kann. Dies ist
nicht so sehr eine organisatorische, sondern vor allem eine
programmatische Frage.

Um den Widerstand gegen die zionistische Aggression
voranzutreiben, braucht es eine neue Intifada, die die Form eines
Generalstreiks in den Werkstätten und auf den Feldern sowie der
Einstellung jeder Kooperation mit den Institutionen der
Besatzungsmacht annimmt. Die Möglichkeiten des rein ökonomischen
Drucks in Palästina sind aufgrund der Ersetzung palästinensischer
Arbeitskraft in vielen israelischen Unternehmen erschwert, wenn auch
nicht unmöglich.

Von entscheidender Bedeutung könnte und müsste die Solidarität
der Arbeiter_Innenklasse und Unterdrückten in den Ländern des Nahen
Ostens sein, indem sie Israel und seine militärische Maschinerie
durch Streiks und Weigerung, Waren zu transportieren oder
Finanztransaktionen durchzuführen, unter Druck setzt. Dies könnte
in Verbindung mit massenhaften Solidaritätsdemonstrationen auch die
reaktionären arabischen Regime in Ägypten und Saudi-Arabien oder
die vorgeblichen Freund_Innen der Palästinenser_Innen wie Erdogan
oder Chamenei entlarven und die Arbeiter_Innenklasse zur führenden
Kraft im Kampf gegen den Zionismus machen.

Dieser Druck kann auch die klassenübergreifende Einheit zwischen
Kapital und jüdischer Arbeiter_Innenklasse in Israel unterminieren
und damit die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von
palästinensischer Arbeiter_Innenklasse und Bauern-/Bäuer_Innenschaft
mit der jüdischen Arbeiter_Innenklasse gegen Zionismus und für
einen gemeinsamen, multinationalen Staat unter Anerkennung des
Rückkehrrechts aller Palästinenser_Innen eröffnen.

Schließlich müssen die Arbeiter_Innenklasse und die Linke in den
imperialistischen Ländern selbst in Solidarität mit dem
palästinensischen Volk auf die Straße gehen und mit Streik und
Boykott von Transporten den Druck auf Israel erhöhen, die
Luftangriffe auf Gaza und die Repression in Ostjerusalem
einzustellen. Solidaritätskundgebungen und die Unterstützung von
Demonstrationen zum Nakba-Tag wären dazu ein erster Schritt.

Die Bombardements seitens Israel, die Belagerung Gazas und die
Siedlungsbauten in der Westbank haben auch jede Hoffnung auf die
Zwei-Staaten-Lösung begraben. Angesichts der Vertreibung, der
Aggression und Unnachgiebigkeit der israelischen Regierungen erweist
sie sich nicht nur als reaktionär, sondern schlichtweg auch als
komplett illusorisch, als diplomatische Farce. Die einzig mögliche
demokratische Lösung besteht in der Zerschlagung des Systems der
Apartheid und der rassistischen Grundlage des zionistischen Staates,
im Recht auf Rückkehr für alle Palästinenser_Innen und in der
Errichtung eines binationalen Staates auf der Basis vollständiger
rechtlicher Gleichheit aller. Die imperialistischen Staaten wie die
USA, Deutschland, Britannien und die EU müssen dazu gezwungen
werden, die Kosten für diese Rückkehr und den Aufbau der nötigen
Infrastruktur und Wohnungen zu tragen. Damit diese ohne
nationalistische Gegensätze erfolgen kann, muss diese demokratische
Umwälzung mit einer sozialistischen, mit der Enteignung des
Großkapitals und Großgrundbesitzes verbunden werden.

  • Schluss mit der Besatzung! Keine Bomben auf Palästina!
  • Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand!
  • Für einen binationalen Staat, in dem alle Staatsbürger_Innen
    gleiche Rechte haben unabhängig von ethnischer Herkunft und
    Religion!
  • Für ein sozialistisches Palästina als Teil Vereinigter
    Sozialistische Staaten des Nahen und Mittleren Ostens!



#LifeUnderTerror

Hohe Mauern ziehen sich durch die Altstadt von Hebron und sollen dem Schutz der ca. 800 illegal dort lebenden Siedler_innen dienen

Hohe Mauern ziehen sich durch die Altstadt von Hebron und sollen dem Schutz der ca. 800 illegal dort lebenden Siedler_innen dienen

Am Freitag wurden 3 israelische Jugendliche auf dem Nachhauseweg von ihrer illegal in der Westbank gelegenen Religionsschule gekidnappt. Die israelische Regierung machte sofort die Hamas für die Entführung verantwortlich, währenddessen diese die Anschuldigungen als „stupid“ bezeichnete. Die israelische Armee startete daraufhin eine Großoffensive und riegelte die nahe dem Entführungsort gelegene Stadt Hebron als auch umliegende Dörfer komplett ab, bombadierte in der Nacht zum Montag den Gazastreifen und nahm mindestens 150 Palästinenser_innen, die meisten von ihnen Hamasmitglieder, auf unbestimmte Zeit fest. Ferner kam es zu einigen Attacken von gewalttätigen Siedler_innen auf Palästinenser_innen, sowie deren Häuser und Autos. Die Armee und die Regierung erklärten die Entführung als „Nationale Tragödie“ und starteten zusätzlich eine Twitterkampagne mit den Hashtags #BringBackOurBoys und #LifeUnderTerror.

Natürlich würden wir den entführten Jugendlichen wünschen gut und wohlbehalten nach Hause zu kommen, genauso wünschen wir uns aber auch, dass palästinensische Schüler_innen sicher von der Schule nach Hause gehen können. Duzende palästinensische Mütter und Väter könnten sich an die israelische Armee ebenfalls mit der Bitte „Bring Back OUR Boys and Girls!“ richten. Nämlich die Kinder und Jugendlichen, die durch die israelischen Luftoffensiven auf den Gazastreifen zu Tode gekommen sind, die bei Protesten erschossen wurden (zuletzt 2 Jugendliche bei Protesten in Beitunia am Nakba-Tag) oder die momentan in Administrativhaft (ohne Anklage und Prozess) in israelischen Gefängnissen sitzen. #LifeUnderTerror wäre ebenso eine Unterschrift, die viele Palästinenser_innen der Westbank und aus Gaza unter ihren Alltag setzen könnten. Ein Alltag von Besatzung, militärischer Willkür und Gewalt, Entrechtung und Demoralisierung. Aus Protest gegen die Administrativhaft traten beispielsweise im April 120 palästinensische Häftlinge in den Hungerstreik und befinden sich momentan im 54. Tag. All das ist die „Nationale Tragödie“ der Palästinenser_innen und diese hält bereits seit 65 Jahren mit dem israelischen Unabhängigkeitskrieg und der Vertreibung von 700000 Palästinenser_innen an.

Soldaten kontrollieren jeden Palästesinenser, der Hebron verlässt oder betritt

Soldaten kontrollieren jeden Palästesinenser, der Hebron verlässt oder betritt

Während Netanjahus Anschuldigungen an die Hamas keinesfalls bewiesen sind, konnte die israelische Regierung die Entführung der 3 Siedler bereits politisch in Bezug auf die offiziell bereits gescheiterten „Friedensgespräche“ instrumentalisieren: Nachdem nämlich Netanjahu selbst von Israels bestem Freund den USA, erheblich für den kompromisslosen Verlauf und den vorschnellen Abbruch der Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PLO) kritisiert wurde, kann der ultra-rechte Politiker seine blockierende Position nun als gerechtfertigt darstellen. Israels offizieller Grund für den Abbruch der Verhandlungen waren die Gespräche zwischen den beiden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah über eine Einheitsregierung.
Da Gespräche mit der Hamas sowieso kategorisch abgelehnt werden, kann nun auch Druck auf die international anerkannte palästinensische Regierungsfraktion Fatah ausgeübt werden, da diese nun gezwungen ist sich für eine Fahndungskooperation mit Israel oder weitere Zusammenarbeit mit der Hamas zu entscheiden. Zukünftige Manöver Israels werden also vermutlich als alternativlos und als Sicherheitsmaßnahmen gegen die allgegenwärtige Bedrohung der friedensunwilligen Palästinenser_innen dargestellt werden können.

Die palästinensische Bevölkerung selbst ist mal wieder nur Spielball des Machtkampfes zwischen den beiden Regierungsfraktionen Fatah und Hamas, sowie der aggressiven israelischen Expansionspolitik. Jedoch kann sich ihr Schicksal weder durch die Entführung unschuldiger Jugendlicher, noch am Verhandlungstisch zum Besseren wenden. Die Befreiung von Besatzung, Krieg und Verdrängung kann weder die islamistische, rückwärtsgewandte Hamas, noch die korrupte und bürokratische Fatah erreichen. Es braucht eine revolutionäre Partei der palästinensischen Arbeiter_innen und der Jugend, die zusammen mit revolutionären Israelis und im Schulterschluss mit allen anderen revolutionären Bewegungen der Region für die Vereinigten Sozialistischen Staaten im Nahen Osten kämpft!

#onesolutionrevolution !!!




Erster Mai in Israel – Ein Land ohne Arbeiterbewegung?

Zu den nationalen Festlichkeiten, die ich während meines einjährigen Aufenthalts in Israel als Freiwilliger erleben durfte zählte, neben dem HaJom Shoa (dem Holokaustgedenktag), dem Memorialday und dem Independenceday, auch der Tag der Arbeit, an dem ich mich anfang diesen Monats beteiligte.

Israel#2Das Demonstrationsangebot war eher mager und beschränkte sich, ausgenommen einiger unbedeutender Minidemos, auf eine Großdemonstration durch das Zentrum Tel Avivs. Das erste, was meinen Blick kurz nach meiner Ankunft am Startpunkt der Demonstration, dem Kikar Rabin, fesselte, waren die aus dem bunten Haufen aus Arabern, Hippies und FDJ-ähnlich gekleideten Jugendgruppen herausstechenden Nordkoreaflaggen. Nachdem deren Träger anfangs mit lautem Gegröle und wildem Fahnenschwenken nach Aufmerksamkeit zu suchen schienen, waren diese mit dem Start des Demonstrationszuges jedoch vorläufig verschwunden und tauchten erst zur Abschlusskundgebung wieder auf.

Mir wurde später erzählt, dass es sich um die Provokation einer neoliberalen Studentengruppe gehandelt habe. Sich aufstellen durfte dem äußeren Anschein nach also jede Gruppe, in deren Name oder Programm irgendwie die Begriffe Sozialismus, Kommunismus oder Arbeiterklasse fallen.

So machten einen Großteil der Demonstration die Ultras des Fußballclubs Hapoel Tel Aviv (= Arbeiter Tel Avivs) aus, welche den Ursprung ihres Vereins in der israelischen Gewerkschaft Histadrut sehen und unter denen sich den Che Guevara Fahnen zu Folge auch einige versteckte Antiimperialisten zu tummeln scheinen. Gleich dahinter stellte sich die zahlenmäßig gut vertretene Hadaschpartei auf. Die 1977 gegründete jüdisch-arabische Partei bezeichnet sich selbst als kommunistisch und setzt sich für Arbeiterrechte, als auch die Beendigung der Besatzung von Gaza und Westbank, inklusive der Räumung aller jüdischen Siedlungen ein. Daneben war zwischen vielen kleinen schwer zu überblickenden und sich ziemlich ähnlich sehenden kleinen Gruppierungen und nicht organisierten Teilnehmern, noch ein anarcho-synikalistischer Block vorzufinden, dessen Teilnehmer klassisch Schwarz gekleidet und mit rotem Halstuch vermummt waren.

Israel#1Angeführt und organisiert wurde die 1. Mai-Demo von einer uniformiert marschierenden, trommelnden, singenden, tanzenden Jugendbewegung mit dem Namen Hanoar Haoved Vehalomed, was so viel wie “Nationale Organisation der lernenden und arbeitenden Jugend” bedeutet. Ihr großes Aufgebot und auch die Tatsache, dass sie die einzige Jugendbewegung zu sein schienen interessierten mich, weshalb ich einem Mitglied mit dem Namen Scharon ein paar Fragen stellte. Zuerst wollte ich etwas von ihr über ihre Organisation wissen.

Ihre auf mich teilweise ein wenig konfus wirkenden Antworten lassen sich folgender Massen zusammen fassen: Hanoar Haoved Vehalomed ist eine vor 90 Jahren gegründete zionistisch-sozialistische Jugendbewegung, in welcher man bis zum Eintritt in die Armee Mitglied sein und sich dort sozial aber auch in Diskussionsrunden und Seminaren organisieren könne.

Auf meine Frage hin, was die Ziele seien, für die ihre Bewegung kämpfe, antwortete sie selbstbewusst mit: “Für eine gerechte Gesellschaft! Das Ideal unserer Bewegung ist die Gleichheit.” . Ich fragte sie, wie sie dieses Ideal mit der rassistischen Ideologie des Zionismus in Einklang bringen würde und sie räumte ein, dass das ein Dilemma wäre, in dem sie persönlich stecke. Jedoch beziehe sich der Zionismus ihrer Bewegung nicht auf den rassistischen und kapitalistischen Status Quo, sondern auf die “guten alten sozialistischen” Theoretiker wie zum Beispiel Theodor Herzl oder Ben Gurion. Beide verfolgten ihrer Meinung ebenso wie die Hanoar Haoved Vehalomed das Ziel einer friedlichen Koexistenz der Völker, wobei Israel lediglich ein sicherer Zufluchtsort für Juden aus aller Welt sein solle.

Israelischer Geschichtsunterricht scheint also ziemlich einseitig zu sein, denn die kolonialistischen Ideen Herzls und Gurions fanden in ihren Ausführungen keine Erwähnung. Das zionistische Prinzip der “Eroberung durch Arbeit” zum Beispiel, welches von Herzl einst formuliert und von Gurion praktisch realisiert wurde. Herzl schrieb dazu in seinem Tagebuch: “Den Privatbesitz der angewiesenen Ländereien müssen wir sachte exportieren. Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem Lande jederlei Arbeit verweigern.”(1) Ein Ausspruch, welcher eine Ideenwelt vermuten lässt, die ich nicht unbedingt einem Kommunisten zuordnen würde.

Das gleiche gilt für Gurion, dem ersten Premierminister Israels. Er war zwar innerhalb der Arbeiterbewegung aktiv und einer der Gründer der israelischen Arbeiterpartei. Allerdings war er wohl so sehr Sozialist, wie es Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder waren. Anstatt mit der internationalen Arbierklasse für die Revolution zu kämpfen, arbeitete er immer wieder offen mit unterschiedlichen imperialistischen Mächten – erst mit dem osmanischen Reich, später mit dem Britischen Empire – zusammen, um seine zionistischen Ideen um jeden Preis umzusetzen. Ausdruck genug ist ein Auszug aus einem Brief von 1938 an die Jewish Agency, in der er schrieb:„Ich bin für Zwangsumsiedlung (der Palästinenser); darin sehe ich nichts Unmoralisches.“

Ich fragte sie daraufhin, ob sie Leo Trotzki kenne, worauf sie antwortete “Ja, der Name sagt mir was. Ich glaube ich habe mal in einem Seminar was zu ihm gehört und es hat mir gefallen, wenn ich mich richtig erinnere.”

Zum Schluss wollte ich von ihr als Mitveranstalterin der Demo wissen, was der 1. Mai eigentlich für eine Bedeutung in Israel habe, ob er in irgendeiner Weise Bezug zur internationalen Arbeiterbewegung nehme und was die israelische Arbeiterklasse für zentrale Forderungen stelle. Ihrer Meinung nach handle es sich hier ganz schlicht um die “Israeli version” des 1. Mais. Es gäbe keine Verbindung zu anderen Arbeiterbewegungen oder Ähnlichem, vielmehr sei es ein Datum an dem die linken Kräfte der israelischen Gesellschaft lautstark und fröhlich auf die Straße gingen.

Diese Antwort überrascht kaum, wenn man sich einmal die israelische Klassensituation anguckt. Die großen Arbeiterparteien halten immer noch an derselben Ideologie fest, der sie im frühen 20. Jahrhundert entsprungen sind. Ihr zionistisches Erbe führt zur täglichen Verneinung der proletarischen Klasseninteressen im Namen der nationalen Einheit, wie auch israelische Historiker wie Zeev Sternhell eingestehen (2). So ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeiterbewegung vielen als “Ad-hoc Erfindung zur Erreichung der Unabhängigkeit” (3) erscheint.

Klar ist aber, dass die zionistische und reformistische Politik in der Arbeiterbewegung keine Alternative zur starken israelischen Rechten, geschweige denn im Kampf für eine sozialistische Gesellschaft, darstellt. Eine Tatsache, die sich auch in den vergangenen Wahlen zeigte. Das Problem wird noch dadurch verstärkt, dass die Arbeiterklasse in der Region durch die chauvinistische Migrationspolitik der israelischen Kapitalist_innen stark gespalten ist. Jüdische Arbeiter_innen werden durch billigere palästinensische Arbeiter_innen; palästinensische Arbeiter_innen durch billigere und politisch besser unter Kontrolle zu haltende afrikanische oder thailändische Arbeiter_innen ersetzt.

Der Bruch mit der zionistischen Ideologie ist also eine gurndlegende Voraussetzung für eine revolutionäre und internationalistische Arbeiterbewegung in der Region. Und nur durch eine gemeinsame Bewegung der arabischen und jüdischen Arbeiterklasse gegen die Ausbeutung durch die israelischen Kapitalist_innen, gegen die rassistische Siedlungspolitik und den Krieg in den besetzten Gebieten, kann dem anhaltenden Leid ein Ende bereitet werden. Natürlich haben auch die politischen Ideen der palästinensischen Bourgeoisie unter Fatah und Hamas nichts zu suchen. Das (antideutscher) Argument vieler Linker in Europa, dass die Voraussetzung für Widerstand gegen den Zionismus sei, dass es keine reaktionären Ideen in den palästinensischen Gebieten mehr gäbe, ist falsch. Das gleiche Argument würde ja auch bedeuten, dass man so lange für einen Krieg in Afghanistan oder dem Irak sein müsste, nur weil der Widerstand gegen die Besatzer nicht revolutionär ist.

Natürlich ist es aber richtig, dass die Positionen von Fatah und Hamas einem politischen Klassenkampfs der Arbeiter_innen absolut feindlich gegenüberstehen und bekämpft werden müssen. Denn der Kapitalismus beweist immer mehr, dass er nicht einmal die grundlegendsten demokratischen Rechte, geschweige denn eine wirtschaftliche Grundlage bieten kann, auf der ein friedliches Zusammenleben im Nahen Osten möglich ist. Das Interesse der Arbeiter_innen kann daher nur eine revolutionäre Bewegung sein, deren Ziel ein multiethnisches sozialistisches Palästina und eine sozialistische Revolution im Nahen Osten ist,
in dem ethnische Minderheiten geschützt, der Staat sekulär, aber das Recht auf Religionsfreiheit durchgesetzt ist.

Bericht von Marvin Schutt, REVOLUTION

#(1) Schnieper, Marlene: Nakba. Die offene Wunde. Die Vertreibung der Palaestinenser 1948 und die Folgen, 2012 Rotpunktverlag, Zuerich

(2) Sternhell, Zeev: Le Monde diplomatique Nr. 9062 vom 11.12.2009

(3)# Schnieper, Marlene: Nakba. Die offene Wunde. Die Vertreibung der Palaestinenser 1948 und die Folgen, 2012 Rotpunktverlag, Zuerich