Großbritannien nach den Riots – Ein Land vor Entscheidungen
Am Donnerstag den 04. August wurde der 29-jährige Familienvater Mark Duggan von der Polizei in Tottenham erschossen. Kurz darauf behauptete die Polizei, dass sie Mark, in einer Schießerei, aus Notwehr erschossen hätte. Als „Beweis“ legte sie ein Funkgerät mit einer eingeschlagenen Kugel im Gehäuse vor. Wie sich später herausstellen sollte, gab es keine Schießerei. Es gab keine Notwehr. Der Einschlag in dem Funkgerät wurde nachträglich durch eine Feuerwaffe der Polizei verursacht! Mark Duggan wurde mit zwei Schüssen in Brust und Schulter kaltblütig ermordet.
Die Gemeinde, aus der Mark stammte, organisierte daraufhin am Samstag, den 06. August eine Demonstration zur örtlichen Polizeistation in Tottenham. Sie glaubte den Lügen der Polizei über Mark Duggan´s Tot nicht. Als auf der Demonstration vor der Polizeistation ein 16-jähriges Mädchen von einer Gruppe Polizisten brutal zusammengeschlagen wurde, eskalierte die Situation.
Der unartikulierte Ärger brach sich in Ausschreitungen seine Bahnen! Während der „London Riots“, die sich auf Städte, wie Birmingham, Leeds, Manchester, Bristol und Nottingham ausweiteten, wurden Polizeistationen, aber auch Wohnhäuser in Brand gesetzt. Läden und Supermärkte wurden geplündert und es kamen vier weitere Menschen, drei in Birmingham und eine in London, um ihr Leben.
Während auch kriminelle Gangs in die Geschehnisse verwickelt waren, waren die „Riots“ vor allem ein Ausdruck von Wut und der Armut vieler Jugendlicher in den Arbeitervierteln. Dazu meinte Simon Hardy, Mitglied von Workers Power (UK) „Die Situation der Jugendlichen und der Arbeiter in Großbritannien war bereits vor der Krise schlecht. Doch durch die Kürzungen und die unsoziale Politik der Konservativ-Liberalen Koalition ist sie unerträglich geworden. Die jetzigen Ausschreitungen sind keine Antwort auf die Probleme. Aber sie drücken sie aus!“
So wurden in den Abteilungen des öffentlichen Dienstes mindestens 40% des Budgets gekürzt. Über 150´000 Beschäftigte werden noch in den nächsten Monaten ihre Jobs im öffentlichen Sektor verlieren. Was sie dann erwartet, ist ein ungefähres Arbeitslosengeld von 70 Pfund in der Woche. Verglichen mit den geschätzten 85 Milliarden Pfund, die die Regierung in den nächsten vier Jahren Einsparen will, erscheinen die 100 Millionen Pfund Schaden, die durch die „Riots“ verursacht wurden, daher beinahe lächerlich.
Die Reaktionen der Medien, der Regierung und der Polizei waren wie erwartet, aber dennoch erschreckend! Anstatt über die Hintergründe der Ausschreitungen zu reden, beschäftigte man sich damit, die Jugend als verwahrlost und die Plünderer als Tiere darzustellen. Ein britischer Historiker ging soweit, zu behaupten, dass das Problem die „Weißen seien, die schwarz geworden wären“. Kurzerhand wurde, zum ersten mal in der Geschichte Englands, der Einsatz von Wasserwerfern und Gummigeschossen gestattet. In Regierungskreisen dachte man sogar über den Einsatz des Militärs nach. Die Aktionen der Regierung waren keinesfalls zum Schutz der Bevölkerung gedacht, sondern der Wahrung des Gewaltmonopols des Staates und der Sicherung des bürgerlichen Privateigentums.
In Brixton, wo die Erinnerung an die dortigen Ausschreitungen der 80er noch tief im Bewusstsein der Gemeinde verankert war, in deren Folge über 80% der Haustüren durch die Polizei bei Hausdurchsuchungen eingetreten wurden, verweigerten die Einwohner der Polizei den Eintritt zu ihrem Stadtteil, indem sie sich mit der Aussage „We´ll handle it our own!“ verbarrikadierten.
Ein Bewusstsein, dass begreift, dass Polizei und Regierung nicht die Freunde im Alltagsleben der Bevölkerung sind. In einer anderen Stadt, wo zwei Jugendliche zu „Riots“ aufgerufen hatten (es fanden danach keine Riots statt) wurden die beiden zu vier Jahren Haftstrafe verurteilt, während die Polizisten, die zu Morden an politischen Aktivisten der Anti-Krisen-Bewegung aufgerufen hatten, immer noch unbehelligt ihrem „Job“ nachgehen.
Eines ist klar – Die Ausschreitungen haben England verändert. Wir lehnen entschieden die reaktionäre Stimmungsmache der Politiker ab! Nichts desto trotz sind wir der Meinung, dass die Plünderungen und die Ausschreitungen keine Antwort auf die jetzigen Verhältnisse darstellen! Sie waren ein Ausdruck der Verzweiflung, zum Teil waren sie auch kriminell motiviert. Die große Gefahr ist jetzt aber, dass die Arbeiterklasse durch die Stimmungsmache gespalten wird. Nicht zuletzt, weil sich Labour (britische Arbeiterpartei) und viele Gewerkschaftsführer, in dieser Frage, auf die Seite der Regierung stellen. Sie wollen den Zusammenhang zwischen Polizeigewalt, Kürzungen, Verarmung und den Ausschreitungen nicht sehen.
Die Führer der bürgerlichen sehen den Zusammenhang. Und sie versuchen ihn zu verschleiern. Ihre Antwort ist – Generalangriff auf die Rechte der Arbeiterklasse! Ein Angriff, der nicht nur in Großbritannien forciert wird, sondern der überall in Europa von statten geht. David Cameron meinte dazu „Es geht nicht um Armut, es geht um Kultur. Das Problem ist eine Kultur, die Rechte fordert, aber nicht über Verantwortung spricht. Eine Kultur, die Gewalt verherrlicht und keine Autoritäten kennt.“
Diese Rede war purer Hohn, wenn man daran denkt, dass es die britische Regierung ist, die Krieg in Afghanistan und Irak führt. Ihre Polizei hat seit 1990 knapp 1000 Tote zu Verantworten. Ihre Politik ist eine Politik der Kürzungen, eine Politik der Gewalt. Sie will die Rechte der Arbeiter_innen und der Jugend zerschlagen und beklagt sich über den fehlenden Respekt dafür. Und zuletzt behauptet sie, das die wahren Schuldigen nicht die Regierung, sondern die Arbeiter und Jugendlichen, mit einer verrohten Kultur, wären.
Dennoch war die Rede ein gefährliches Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass die Regierung die Kürzungen und sozialen Angriffe durch repressive Gesetze und ausgeweitete Polizeibefugnisse, unter dem Vorwand der Ausschreitungen, schützen will. Die konservative Innenministerin Theresa May hat zum Beispiel über Ausgangssperren für Jugendliche unter 16 Jahren ab 21 Uhr nachgedacht. Das würde praktisch bedeuten, dass Jugendliche kaum noch zu politischen Treffen oder Demonstrationen gehen könnten, geschweige denn feiern zu gehen oder sich mit Freunden zu treffen.
Unsere Antwort muss die geeinte Aktion der Arbeiterklasse und der Jugend sein. Die gemeinsame Aktion gegen die Kürzungen, gegen den Versuch, die Befugnisse der Polizei auszudehnen und repressive Gesetze durchzusetzen. In diesen Kampf müssen die Arbeitergemeinden und vor allem Parteien wie Labour, sowie die Gewerkschaften integriert werden. Zwar werden sich ihre reformistischen Führer, wie Ed Milliband, verweigern. Sie werden sogar versuchen den Kampf zu manipulieren. Aber letztlich geht es darum die Klasse in den gemeinsamen Auseinandersetzungen für revolutionäre Forderungen und eine kämpferische Praxis zu gewinnen.
In diesem Kampf kann und darf sich die Arbeiterklasse nicht auf die Polizei verlassen. Sie braucht eigene Schutzorgane – Sei es auf Demonstrationen, bei Streiks oder im eigenen Stadtbezirk, wenn die eigene Infrastruktur gefährdet ist. Die Brixtoner haben das, wenn auch unbewusst, begriffen.
Die Arbeiterbewegung, die Jugendlichen und alle Betroffenen, müssen das begreifen, wenn sie im Herbst, in einer erneuten Welle von Demonstrationen, Streiks und Massenversammlungen – letztlich einem dringend notwendigen Generalstreik, der die Regierung und ihre Kürzungen stürzen kann – in die Konfrontation mit der Regierung und dem Staat geraten.
Wir schlagen daher folgende Forderungen vor:
- Gegen Polizeigewalt – Nein zu Gummigeschossen Wasserwerfern, Ausgangssperren, berittenen Einheiten und Polizeirazzien in den Arbeitervierteln!
- Für Selbstverteidigungskomitees gegen Polizeigewalt, Kriminalität und Plünderung, die von den Gemeinden und der lokalen Arbeiterbewegung
kontrolliert werden! - Schluss mit dem perversen Aburteilen, der Festgenommenen, kein Vertrauen in die Polizei und die bürgerlichen Gerichte! Für die Aufklärung der Morde und Verbrechen, durch unabhängige Komitees, die durch die Gemeinden, Angehörigen und die Arbeiterbewegung geleitet werden!
- Bekämpft die Ursachen für Armut und Rassismus – Für Massenversammlungen, Demonstrationen, Streiks und einen unbefristeten Generalstreik der Arbeiter_innen und ihrer Organisationen gegen Kürzungen, Armut und Arbeitslosigkeit! Für die Organisation der Arbeitslosen in den Gewerkschaften!
- Für Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur, von Schulen, Krankenhäusern, Kultur- und Sporteinrichtungen, sowie den Bau von sozialen Wohnhäusern! Finanziert durch die Besteuerung der Reichen und kontrolliert durch Komitees der Anwohner_innen und Organisationen der Arbeiterbewegung!
- Teilt die Arbeit auf alle Hände auf! Für einen Mindestlohn von 10 Pfund in der Stunde!
- Für die entschädigungslose Verstaatlichung von Unternehmen, die Standorte schließen oder ihre Belegschaft entlassen unter Arbeiter_innenkontrolle!
- Vertreibt die Faschist_innen! Die „White Shirts“ der faschistischen English Defense League schützen die Arbeiter_innenviertel nicht. Sie suchen sie mit Gewalt und Rassismus heim!